Tag X von Andreas Stern - Nicole Sunitsch - E-Book

Tag X von Andreas Stern E-Book

Nicole Sunitsch

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Beschreibung

In diesem Buch erzählt die Autorin und Justizwachebeamtin eine Geschichte über Andreas Stern. Die Erzählung nach einer wahren Begebenheit beschreibt die emotionalen Ebenen der einzelnen Haften eines Strafgefangenen mit jeweils einer kurzen Vorgeschichte und befasst sich mit dem Alltag in einem österreichischen Gefängnis. Andreas Stern, aufgewachsen mit sechs Geschwistern in Wien, von seiner Mutter mit dreizehn Jahren in ein Heim abgeschoben, versucht nach mehreren Gefängnisaufenthalten, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Andreas gibt Teile des Gefängnisalltages preis und beschreibt die Gefängnisaufenthalte aus seiner Sicht. Eine spannende Geschichte, die mit Tag X beginnt und mit Hoffnung endet.

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Inhalt

Vorwort

Mein Elternhaus

Vorgeschichte

Tag X - Check-in ins Gefängnis

Tag X - Mein erster Tag im Gefängnis

Die nächsten Tage im Gefängnis

Wie es zur zweiten Verurteilung kam

Tag X - Das zweite Mal in Haft

Vorgeschichte

Tag X - Das dritte Mal in Haft

Entlassung/Schlusswort

Erfahrungsbericht

Tag X

Dreimal in Haft/Frau Brooks

Poetischer Anhang – Gefängnisgedichte

Zwiespalt

Zeit

Die Rückkehr

Freiheit

Aufstehen

Danksagung

Bücher der Autorin

Vorwort

Liebe Leser!

Diese Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit, welche das emotionale Gefühlsleben in der Haft aus der Sichtweise eines Strafgefangenen in Österreich beschreibt und widerspiegelt. Die Namen und Handlungen wurden geändert.

Viel Spaß beim Lesen!

Mein Elternhaus

Mein Name ist Andreas Stern. Ich wuchs mit meinem Zwillingsbruder und fünf Schwestern in Wien auf. Wir hatten eine nicht allzu große Wohnung. Heute würde ich sagen, wir gehörten zu den sozial schwachen Familien. Mein Vater verließ meine Mutter, als mein Bruder und ich drei Jahre alt waren. Danach ließ er sich nie wieder blicken. Die Alimente bekamen wir vom Staat. Im Jahr 2010 erfuhr ich von seinem Tod. Obwohl er nur wenige schöne Erinnerungen hinterließ, verabschiedeten wir uns beim Begräbnis von ihm. Danach heiratete meine Mutter einen Alkoholiker und aus dieser Ehe entstanden drei weitere Schwestern. Sein Name war Joseph und wir verstanden uns nie. Ich fühlte mich gegenüber den Geschwistern oft benachteiligt. Egal, was ich anpackte, ich war immer sein Sündenbock. Bei Problemen gab Joseph meistens mir die Schuld. Diese Ehe hielt zum Glück nicht lange und so entstanden mit dem nächsten Mann die zwei jüngsten Schwestern.

Die Jahre vergingen und irgendwann war meine Mutter eine alleinerziehende Frau mit sieben Kindern. Ich sehnte mich nach Liebe und es blieb vieles auf der Strecke. So wurde ich nach und nach zum Problemkind. Meine Mutter gab mich mit dreizehn Jahren in ein Heim, weil sie mit ihrem Leben und mir nicht mehr zu Recht kam. Halt erfuhr ich weder im Heim noch zuhause. Auch der neue Freund von ihr war dem Alkohol nicht abgeneigt. Meistens trank er nicht nur Bier, sondern auch Schnaps und Magenbitter. Meine Mutter litt schon längere Zeit unter Depressionen, Krankenhausaufenthalte zur Behandlung verweigerte sie immer. Da sie des Öfteren mit meinem neuen Stiefvater mittrank, verstärkte der Alkohol ihre Depressionen. Manchmal lag sie tagelang auf der Couch. Den Einkauf erledigten bis dahin mein Bruder und ich. Als ich im Heim war und mich nicht mehr um den Haushalt kümmerte, befand sich die Wohnung in einem miserablen Zustand.

Die Kindergartentante fand nach einiger Zeit bei den jüngsten zwei Schwestern Läuse in den Haaren. Daraufhin besuchte die Fürsorge die Wohnung, sah den verschmutzten Zustand und fand meine alkoholisierte Mutter vor. Es dauerte nicht lange und es wurden ihr von der Bezirkshauptmannschaft die zwei jüngsten Geschwister abgenommen. Mein Zwillingsbruder und die zwei älteren Schwestern blieben bei meiner Mutter.

Vorgeschichte

Da ich als Jugendlicher schon eine Vorstrafe wegen Nötigung (§ 105 StGB) bekommen hatte, und ich abermals meinen Betreuer im Heim beschimpfte, wurde mein ganzes Leben immer schwieriger.

In meiner Jugendzeit dachte ich über gewisse Dinge gar nicht nach. Mein damaliger Betreuer schikanierte mich ständig und ließ mich nie in Ruhe.

Meldungen und Beschwerden an die Leiterin der Einrichtung wurden nicht ernst genommen.

Mein Handeln bestärkte meinen Betreuer und so wurde für mich die Unterbringung im Heim immer unerträglicher. Irgendwann hatte ich die Geduld verloren und sagte zu ihm: „Wenn du mich nicht bald in Ruhe lässt, dann haue ich dir eine runter und glaub mir, ich schlage dich so fest, dass dir die Lichter ausgehen! Dann kannst du dir die Welt von unten ansehen!“

Ich war damals sechzehn Jahre alt. Für diese Aussage bekam ich eine bedingte Strafe von fünf Monaten. Danach wechselte ich das Heim. Meine Therapeutin sagte immer, »du musst an deiner Impulskontrolle arbeiten, du bist noch nicht soweit.« Weiterhin besuchte ich regelmäßig die Therapien und arbeitete an mir.

In der neuen Wohngemeinschaft (WG) begann alles wie im Bilderbuch. Es gab verschiedene Gruppen, Ausflüge und Veranstaltungen. Jeden Sonntag spazierten wir zum Gottesdienst in die Kirche.

Mein Stundenplan war ausgebucht, ich bemühte mich, hielt die Regeln ein und arbeitete mit. In der WG wurde mir der Betreuer Jonson zugeteilt.

Nach einer Zeit bemerkte ich einige Ähnlichkeiten mit Jonsen und meinem letzten Betreuer. Ab und zu war es sogar offensichtlich, dass er immer Recht benötigte, da er mich ständig auf meine Fehler hinwies. Herr Jonson war groß, pummelig und hatte zwei Warzen auf der Nase. Manchmal roch er nach Schweiß und obwohl er sich selten bewegte, schwitzte er meistens. Wenn er die Hände hob, sah man die großen Schweißflecken unter den Achseln beim T-Shirt. Von Art und Wesen machte er eher einen mürrischen Eindruck, doch ab und zu lernte ich sogar die nette Seite von ihm kennen. Herr Jonson hatte ein lautes Organ und wurde sehr schnell aufbrausend. Durch seine wankelmütige Art wusste ich nie, wie ich bei ihm dran war und welches Verhalten, ihm gegenüber am besten wäre. Einmal empfand er alles für in Ordnung und in der nächsten Sekunde wurde er ohne Grund laut. Er gehörte zu den schwierigen Menschen und es fiel mir schwer, ihn zu durchschauen.

Trotz seiner komischen Art war er bei den Kolleginnen und Kollegen der Wohngemeinschaft beliebt und er sagte des Öfteren zu mir, dass er den Job als Betreuer gerne ausübt. Ich kam von Anfang an nicht mit ihm klar und er saß mir auf.

Ich probierte, mich im Griff zu haben, nicht impulsiv zu handeln und wie immer still zu sein. Jeglichen Konflikt versuchte ich zu vermeiden.

Nach einer gewissen Zeit lernte ich meine Freundin Emilia kennen. Sie befand sich im siebzehnten Lebensjahr und war mit einer Größe von 1,75 Meter etwas kleiner als ich. Sie hatte langes dunkles Haar, grüne Augen und das allerschönste Lächeln.

Ich war zum ersten Mal verliebt und hatte Schmetterlinge im Bauch. Emilia wohnte bei ihren Eltern. Wir trafen uns regelmäßig und mir wurde es erlaubt, am Wochenende bei ihr zu schlafen. Wie das Leben so spielt, wurde Emilia nach nur zwei Monaten schwanger. Durch mein junges Alter und meine Naivität freute ich mich damals schon wahnsinnig auf das Kind, doch ich wusste nicht, was da auf mich zukommen würde.

Neun Monate später brachte Emilia unsere Tochter auf die Welt. Mit meiner Anwesenheit unterstützte ich meine Freundin und so fiel ihr die Geburt etwas leichter. Endlich wurde ich Vater. Es war ein Moment, der nicht zu beschreiben ist. Ich hielt das kleine Lebewesen das erste Mal in den Händen, sah ihr in die reizenden Augen und brachte nur einen Satz heraus:

»Ich bin so stolz.«

Die Geburt war ein einmaliges Gefühl. Es gab für mich nichts Schöneres, als mein kleines Mädchen in den Händen zu halten. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Wir tauften unser Kind »Daisy« und einen Monat später tätowierte ich mir ein Bild von meiner Tochter auf die Brust, um sie immer bei mir zu haben.

Emilia und ich hatten uns für ein Eigenheim entschlossen und als sie endlich achtzehn Jahre alt war, machte ich mich auf die Suche nach einer eigenen Wohnung, denn wir waren beide der Meinung, dass ich aus der Wohngemeinschaft ausziehen sollte. Es dauerte nicht lange und ich hatte gleich eine passende Gemeindewohnung für uns gefunden. Als ich mit dem Mitarbeiter der Gemeinde die Wohnung betrat, konnte ich meine Begeisterung nicht zurückhalten. Sie war neu saniert, hatte eine Küche, ein Badezimmer, einen Wohn- und Schlafraum und ein kleines Kinder-zimmer, was mich sehr beruhigte. Die Größe der Mietwohnung überzeugte nicht unbedingt, doch durch die gute räumliche Aufteilung reichte sie für den Anfang. Gleich in der Nähe siedelte sich ein Kindergarten mit Spielplatz an und laut Vermieter gehörte auch ein kleiner Garten zur Wohnung.

Sofort verständigte ich die Wohngemeinschaft und ersuchte um ein Gespräch mit meinem Betreuer.

Ich hatte wegen der Mietwohnung einige Sachen zu erledigen und musste dringend mit der Gemeinde telefonieren. Völlig aufgeregt suchte ich in der Gemeinschaftsküche nach Herrn Jonson, doch ich fand ihn nicht. Er war einkaufen und ich traf ihn kurze Zeit später im Stiegenhaus.

Ich sagte zu ihm: »Herr Jonson, ich muss dringend die Gemeinde wegen der Wohnung anrufen.«

Mein Betreuer antwortete darauf, »jetzt nicht« und ließ mich im Stiegenhaus stehen.

Ich kam wieder mal in Rage, nichts funktionierte und erneut freute er sich nicht für mich. Wenn ich handelte, dann meistens impulsiv, ohne nachzudenken.

So rannte ich ihm wie ein kleines Kind nach und rief:

»Bitte Herr Jonson, es ist wichtig!«

Mein Anliegen wurde abermals abgelehnt, und er nannte mich einen nervigen Dummkopf. »Es geht um meine Existenz, um meine Familie, können Sie das nicht verstehen?«

Er sagte: »Nein, heute wird nicht mehr telefoniert, morgen vielleicht.«

Ich kochte vor Wut und schrie ihn an. Er ignorierte mich und das nicht zum ersten Mal.

Mir riss der Faden und ich drohte ihm: »Wenn du mich jetzt nicht telefonieren lässt, dann reiße ich dir deinen Magen raus und esse dich zum Frühstück.«

Das ließ sich Herr Jonson nicht gefallen und zeigte mich sofort bei der Polizei an.

Bei Gericht wurde ich erneut wegen

Nötigung (§ 105 StGB) und für gefährliche Drohung (§ 107 StGB) verurteilt und weil ich fünf Monate bedingt aus meiner Jugendzeit offen hatte, wurden daraus gleich ein Jahr Freiheitstrafe (FS).

Bei Gericht war ich wütend auf Jonson, er kannte mich, ich war immer still, fraß alles in mich hinein, verursachte wenig Probleme und wehrte mich bei verbalen Angriffen selten.

Bei der Verhandlung wurde mir erlaubt zu meinen Vorwürfen Stellung zu beziehen, doch die Argumente brachten mir nichts, und der Richter glaubte mir kein Wort. Einen Rechtsanwalt leistete ich mir aufgrund meiner finanziellen Lage nicht und deswegen wurde mir ein Pflichtverteidiger beigestellt. Mein Verteidiger setzte sich für mich ein, doch leider war es ihm nicht möglich, bei der Verhandlung etwas auszurichten.

Die Niederschrift von meinem Betreuer beinhaltete nicht nur wahre Angaben, denn es waren einige Aussagen dabei, die nicht der Realität entsprachen.

Herr Jonson nutzte seine Stellung aus, und für mich hieß das Gefängnis. Meine Probleme wurden kontinuierlich größer. Ich zählte nur mehr die Tage, denn ich wusste, dass die Zeit zum Tag X immer näher rückte. Es war furchtbar. Wenn ich an das Gefängnis dachte, wurde mir unwohl und übel. Nicht nur mein Magen zog sich zusammen, sondern ich litt auch oft unter Kopfschmerzen und wenn ich über meine Situation nachdachte, krampfte mein Körper. Trotzdem versuchte ich mich etwas abzulenken.

Mit der neuen Wohnung war es mir möglich, ab und zu nicht an die Haft zu denken. Im Hinterkopf hatte ich immer Emilia und Daisy.

Das Gefängnis schob ich, sofern es möglich war beiseite. Ich hatte das Ziel, die Gemeindewohnung noch vor der Haft zu beziehen, um meiner Familie und mir einen Neustart zu ermöglichen.

Gedanken, dass ich Verantwortung für Emilia und Daisy hatte und dass sie sich im neuen Heim wohlfühlen, wenn ich im Gefängnis bin, bereiteten mir Sorgen und stimmten mich oft traurig.

Obwohl ich unter Stress stand, schaffte ich es und wir bezogen die Wohnung schon nach zwei Wochen.

Ohne meinen Freund vom Heim wäre ich aufgeschmissen gewesen, denn nach der Auseinandersetzung mit Herrn Jonson organisierte er mir den Termin zur Wohnungsbesichtigung.

Kurzfristig war ich glücklich, denn die Gedanken an meine Strafe verdrängte ich. Die Tage vergingen schneller, als ich dachte und ich wurde wieder wach gerüttelt.

Tag X - Check-in ins Gefängnis

Von einem Gefängnis hatte ich bisher noch keine Ahnung und ein merkwürdiges Gefühl.

Ich kannte nur die Erzählungen von verschiedenen Leuten, von Bekannten, die hinter Gittern waren, oder die unzähligen Filme mit Menschen, die in Gefängnissen saßen.

Es bereitete mir eine Riesenangst, denn meine Gedanken waren in purer Ungewissheit gefesselt. Ich fürchtete mich vor all den Mythen, wusste nicht, ob es der Wahrheit entsprach, dass man dort als Insasse von anderen Gefangenen körperlich missbraucht wird, oder ob ich jeden Tag von den so genannten alten Eisen der Justizanstalt nur Leid und Diskriminierung spüren würde.

Wie werde ich von den Beamten behandelt, was wird auf mich zukommen, was erlebe ich dort, was sagen dazu meine Mutter, meine Geschwister, der Stiefvater und die Verwandten?