Tales of Beasts and Magic - Vanessa Golnik - E-Book
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Tales of Beasts and Magic E-Book

Vanessa Golnik

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Beschreibung

Ein Science-Fantasy-Roman um eine Alchemistin und einen Krieger, die alles riskieren müssen, um die Welt vor furchterregenden Bestien zu retten. »Den ersten Bestien waren wir schutzlos ausgeliefert gewesen. Unsere Waffen hatten versagt, trotz intensiver Forschung hatte niemand Gegengifte gefunden. Millionen Menschen waren gestorben, zerfetzt von Tieren, die zuvor harmlos gewesen waren.« Jeden Tag eine neue Bestie. Jeden Tag eine neue Bedrohung. Jeden Tag ein Stück mehr, das du von dir aufgibst. Lianas Welt wird von Magie beherrscht. Unablässig erschafft diese Bestien, die die Menschheit bedrohen. Doch die Magie hat den Menschen auch drei Gaben geschenkt, um zu kämpfen. Alchemisten, Krieger und Medien tun alles in ihrer Macht stehende, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Als Alchemistin entwickelt Liana Gifte und Gegengifte. Sie arbeitet allein, bis zu dem Tag, an dem eine Prophezeiung sie dazu auswählt, gegen die gefährlichste Bestie zu kämpfen. Doch dazu muss sie ausgerechnet mit Kieran zusammenarbeiten, einem Krieger mit dem sie seit ihrem ersten Tag an der Akademie für Magie auf Kriegsfuß steht. Romantische Fantasy in einem futuristischen Setting mit einem Haufen verrückter Monster Band 1 der düsteren Fantasy-Reihe »Tales«.

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© Piper Verlag GmbH, München 2020Redaktion: Cornelia FrankeCovergestaltung: Annika HankeCovermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Danksagung

Für Philipp, der immer an mich glaubt, besonders dann, wenn ich es nicht tue.

Kapitel 1

Als mir der Stift aus der Hand glitt, kam ich langsam wieder zu mir. Ich starrte auf das Blatt auf meinem Schreibtisch. Wie immer wusste ich nicht, was die Zeilen bedeuteten. Die Runen, die ich zu Papier gebracht hatte, konnte niemand außer ein Alchemist im Rausch entschlüsseln.

Tief in mir verspürte ich den Drang, sofort ins Labor zu rennen, doch ich kämpfte dagegen an.

Es war schon nach Mitternacht. Nur das schwache Licht der Schreibtischlampe erhellte mein Zimmer. Dieser bescheuerte Rausch hatte mir bereits genug Schlaf geraubt. Was auch immer die Runen bedeuten, es konnte bis morgen warten.

Ich stopfte mein Notizbuch in meine Tasche und pfefferte sie in die Ecke, obwohl es meine Finger danach juckte, sie mir über die Schulter zu werfen und mich auf den Weg ins Labor zu machen. Aber es war nicht das erste Mal, dass ich gegen meine Gabe ankämpfen musste. Inzwischen war ich stärker. Meistens zumindest.

Auch als ich im Bett lag, ließ der Drang nicht nach. Doch ich hatte gerade erst einen Rausch gehabt, den ich nicht absichtlich heraufbeschworen hatte. Fürs Erste war ich stärker. Es dauerte nicht lange, bis die Erschöpfung überwog, und ich einschlief.

Als der Wecker klingelte, hatte ich das Gefühl, es wären erst ein paar Sekunden vergangen, obwohl helles Tageslicht durch die Lücke zwischen meinen blauen Vorhängen fiel. Sofort setzte der Drang, möglichst schnell ins Labor zu kommen, wieder ein und trieb mich aus dem Bett. Ich schaltete den Alarm meines Cores aus und ließ ihn an das Armband an meinem Handgelenk schnappen. Sofort synchronisierte sich das Gerät mit dem Armband und teilte mir mit, dass meine Schlafqualität heute Nacht schlecht gewesen war. Da wäre ich auch ohne den Mini-Computer draufgekommen. Gähnend zog ich ein paar Klamotten aus dem Schrank und machte mich auf den Weg ins Badezimmer. Heute würden mich wieder tiefe Augenringe durch den Tag begleiten.

»Guten Morgen, Schlafmütze!« Ich hatte mich kaum an den Küchentisch gesetzt, als meine beste Freundin Mandy mir einen Teller mit Waffeln hinstellte. Mandy gehörte zu den wenigen Menschen, die morgens um sechs putzmunter aus den Federn hüpften. Pfeifend holte sie den Ahornsirup aus einem der hellgelben Küchenschränke und stellte ihn auf den Tisch.

Sie ließ sich mir gegenüber auf ihren Stuhl fallen und schob mir eine Tasse Kaffee zu, auf der in bunten Buchstaben Don’t worry, trust in magic stand. Alle unsere Tassen verkündeten ähnliche Weisheiten. Überhaupt konnte man in der ganzen Küche ihren Geschmack sehen. Alles war bunt und hell, freundlich, einladend. Mein Zimmer dagegen war eher spartanisch eingerichtet. Mit Dekokram konnte ich nicht viel anfangen.

Sie legte den Kopf schief und strich sich eine leuchtendrote Haarsträhne hinters Ohr. »Du siehst genervt aus. Was ist los?«

Bevor ich antwortete, nahm ich erst mal einen großen Schluck Kaffee. »Ich hatte gestern Abend noch einen Rausch. Habe nicht viel geschlafen.«

Mitfühlend verzog sie das Gesicht. »Blödes Timing. Aber im Gegensatz zu mir erfindest du ständig coole Sachen. Ich prophezeie nur völlig irrelevante Dinge.«

Über meinen Teller hinweg warf ich ihr einen bösen Blick zu. Sie wusste genau, dass ich viel lieber Medium als Alchemistin gewesen wäre. Genau wie ich wusste, dass sie lieber Alchemistin als Medium wäre.

»Meine letzten sogenannten Erfindungen bewirkten nur kleine Verbesserungen bereits existierender Sachen. Nicht gerade weltbewegend.« Ihre Faszination für Alchemie hatte ich noch nie verstanden. Selbst als wir klein waren, lange bevor unsere Gaben erwacht waren, wollte ich immer nur Medium werden. Die Magie hatte sich mit uns beiden einen schlechten Scherz erlaubt.

Mandy verzog das Gesicht und stützte das Kinn auf die Hand. »Aber trotzdem. Alchemie ist so viel interessanter als Weissagungen.«

Dieses Gespräch hatten wir schon tausendmal geführt, ohne eine Einigung zu finden. Also sparte ich mir eine Antwort und schaufelte stumm meine Waffel in mich hinein. Nachdem ich aufgegessen hatte, fühlte ich mich schon besser. Der Zucker lieferte mir die Energie, die ich so dringend brauchte. Gemeinsam mit Mandy machte ich mich auf den Weg zur Akademie, die nur einen kurzen Fußmarsch von unserem Wohnheim entfernt lag. Unser erstes und streng genommen einziges Fach war Bestienkunde. Wir beide hatten unsere Grundausbildung bereits abgeschlossen und arbeiteten inzwischen an den ersten eigenen Projekten.

So früh am Morgen waren die Straßen noch leer. Außer uns waren nur ein paar andere Begabte unterwegs. Unser Weg führte uns durch die Hochhäuser des Viertels. Alle, die hier lebten, besaßen eine der drei Gaben, die die Magie uns geschenkt hatte. Wir waren diejenigen, die alle beschützten.

Man sah deutlich, wo die Steuergelder hinflossen. In den äußeren Bezirken, wo ich herkam, wiesen die Straßen Schlaglöcher auf, hier entdeckte ich kein einziges. Die Häuser waren frisch gestrichen, nirgendwo bröckelte der Putz. Wir liefen an einem kleinen Café vorbei, dessen bunte Marquisen Farbe ins Bild brachten. Direkt daneben war ein Buchladen, die Scheiben mit ein paar Szenen aus Shakespeares Stücken dekoriert. Alle paar Meter ragte ein Baum aus dem Gehweg, zu seinen Wurzeln wuchsen Blumen.

»Meinst du, wir fangen heute endlich mit Riesentigern an? Ich kann keine Regenbogenmambas mehr sehen.« Mandy schüttelte sich. »Die Viecher sind so gruselig. Ich hasse Schlangen.«

»Keine Ahnung«, murmelte ich. »Meinst du wir haben schon alle neuen Giftschlangen durch?«

Sie rümpfte die Nase. »Das will ich wohl schwer hoffen.«

Das Problem mit den Bestien war, dass ständig neue entstanden. Es war gut möglich, dass schon wieder eine Art entdeckt worden war. Mindestens einmal die Woche gab es eine neue Version unseres Lehrbuchs, das automatisch auf unsere Cores geladen wurde. Früher hatte man im Alltag unterschiedlichste Geräte gebraucht. Heute gab es nur noch die Cores, ein paar Kubikzentimeter große Mini-Computer, die durch verschiedene Attachments für alles verwendet werden konnten.

Ich kniff die Augen zusammen, als wir aus dem Schatten eines Hochhauses ins Sonnenlicht traten, das von den umliegenden Glasfassaden reflektiert wurde. Ich hatte mich immer noch nicht daran gewöhnt. Dort, wo Mandy und ich aufgewachsen waren, standen die Wohntürme so dicht zusammen, dass selten ein Sonnenstrahl den Boden erreichte. Dort war alles dunkler, heruntergekommener. Ärmer.

Schon ragte die Kingston Academy für magisch Begabte vor uns auf, die mit ihren hohen Säulen im griechischen Stil wie aus längst vergangenen Zeiten wirkte. Neben dem Namen prangten auf ihrem Giebel die Symbole der drei Gaben. Ein Auge für die Medien, eine Figur mit einem rauchenden Kolben in der Hand für die Alchemisten und eine, die das Schwert hocherhoben hatte, für die Krieger. Wir stiegen die schneeweiße Marmortreppe hoch, so wie jeden Morgen.

Früher hatten wir täglich davon geträumt, einmal hier zu lernen. Nur in vertauschten Rollen.

»Bitte keine Giftschlangen mehr, bitte keine Giftschlangen mehr«, murmelte Mandy immer und immer wieder, als wir die große Eingangshalle betraten, an deren Wänden Porträts der berühmtesten Begabten hingen. Grinsend schüttelte ich den Kopf, während ich ihrem Mantra lauschte. Unsere Schritte hallten durch den Gang, als wir uns auf den Weg zum Hörsaal machten.

Wir bogen gerade um die letzte Ecke, als mich jemand anrempelte. Eine Gruppe Männer drängte sich laut grölend an uns vorbei.

Ich verdrehte die Augen. Krieger. Bei ihrem Auftreten war die Brosche mit ihrem Symbol überflüssig.

Keiner von ihnen hatte sich die Mühe gemacht, die dreckige Uniform auszuziehen. Eine Dusche hätte ihnen auch gutgetan. Aber nein, die Krieger liebten es, uns unter die Nase zu reiben, dass sie die ganze Nacht auf Bestienjagd waren, um uns alle zu beschützen. Sie taten so, als wäre es allein ihr Verdienst, dass die Bestien in Schach gehalten wurden. Dabei wurden sie während der Ausbildung nur innerhalb der Stadt eingesetzt, um sich um kleinere Bestienplagen zu kümmern. Bei größeren Einsätzen in der Nähe standen sie stets unter strenger Aufsicht voll ausgebildeter Krieger.

»Was ist los, Williams?«, brüllte mir einer von ihnen zu. Kieran Namara. Der schlimmste von allen. »Du siehst schon wieder so aus, als hätte dich ein Killerpuff gebissen.«

Killerpuffs waren kleine bunte Fellknäuel mit riesigen dunklen Kulleraugen, deren Biss bei den meisten Menschen Depressionen auslöste. Sie waren das erste Mal in den 2090iger Jahren aufgetaucht und rasend schnell zu den beliebtesten Haustieren geworden. Erst ein paar Jahre später hatten sie eine Selbstmordwelle auf dem gesamten Kontinent ausgelöst. Obwohl es inzwischen fast zwanzig Jahre her war, zählte es als eine der größten Katastrophen seit Beginn der Nordamerikanischen Zentralregierung. Danach waren Bestien als Haustiere verboten worden.

Kierans Uniform hatte einige Risse, sein dunkles Haar stand in alle Richtungen ab und auf seiner Wange klebte getrocknetes Blut. Er sah aus, als hätte er sich mit einer Wagenladung Punkthörnchen angelegt. Trotzdem grinste er überheblich.

»Deine Anwesenheit hat einen ähnlichen Effekt auf mich«, teilte ich ihm mit, als ich mich an ihm vorbeidrängte.

»Uhhh«, machten seine Kumpels, aber Kieran lachte nur.

»Du wärst so viel umgänglicher, wenn du dich einfach mal locker machen würdest, Williams«, rief er mir hinterher, als ich den Hörsaal betrat.

Erneut verdrehte ich die Augen. Wenn man bedachte, wie kindisch sie sich alle verhielten, war es ein Wunder, dass die Stadt einigermaßen sicher war.

»Ignorier ihn.« Mandy packte mich am Arm und zog mich die Stufen hinunter zu den vorderen Reihen, während Kieran und seine Kumpels sich in die letzte Reihe verzogen.

Langsam füllte sich der große Hörsaal. Da Bestienkunde für jeden Pflicht war, versammelten sich dafür jeden Morgen die über tausend Studenten der Akademie. Die Krieger richteten sich wie immer im hinteren Teil des Hörsaals ein, während die Alchemisten den vorderen Teil für sich beanspruchten. Die Medien verteilten sich dazwischen. Zwischen Kriegern und Alchemisten herrschte seit jeher ein großer Konkurrenzkampf.

Hatten sich die weiblichen Medien schon immer eher auf die Seite der Krieger gestellt oder was das erst so, seit Kieran an der Akademie war? Über die Schulter sah ich, wie er sich vorlehnte, um mit ein paar Medien zu reden, die vor ihm saßen. Sie alle kicherten, spielten mit ihren Haaren, streckten den Rücken durch, damit ihre Brüste besser zur Geltung kamen, und verhielten sich exakt wie Glitzerpfauen in der Paarungszeit.

»Was finden die alle an ihm?«, fragte ich Mandy.

Die lachte. »Da fragst du die Falsche. Mir ist vollkommen schleierhaft, was man an Männern allgemein finden kann.«

Ich rümpfte die Nase, als Kieran den Fuß auf den Sitz vor sich stellte und sich mit der Hand durch das zerzauste Haar fuhr. Zugegebenermaßen, mit seinem dunklen Haar, den hohen Wangenknochen und den strahlendblauen Augen sah er verdammt gut aus. Wie alle Krieger war er hochgewachsen und durchtrainiert, doch seine Arroganz machte das alles zunichte. Meiner Meinung nach zumindest. Die drei Medien, die immer noch heftig mit ihm flirteten, störten sich daran nicht.

Endlich betrat Professor Barkley den Hörsaal und bat um Ruhe. Mandy und ich zogen unsere Cores von unseren Armbändern und setzten sie in die dafür vorgesehenen Andockstellen an den Tischen. Sofort leuchtete das Display auf, das den gesamten Tisch einnahm, und zeigte mir das Interface meines Cores. Ich öffnete das Lehrbuch, das erst vor wenigen Minuten aktualisiert worden war.

Als das erste Bild auf der Projektionsfläche des Professors erschien, ballte Mandy eine Hand zur Faust.

»Yes! Keine gruseligen Schlangen mehr.«

Grinsend drehte ich mich wieder nach vorne.

Ein riesiger Tiger war vorne zu sehen, der das Maul weit aufgerissen hatte, sodass seine langen Reißzähne gut zur Geltung kamen.

»Und das ist dir wirklich lieber als die Schlangen?«, flüsterte ich ihr zu.

Sie nickte. »Ein Happs und du bist tot. Bei der Schlange leidest du erst mal, bevor das Gift dich umbringt.«

Das Argument war gar nicht schlecht. Glücklicherweise gab es bei uns in der Gegend weder Riesentiger noch Regenbogenmambas. Wir hatten genug andere Bestien, mit denen wir uns herumschlagen mussten. Über die Jahre brachte die Magie immer gefährlichere Monster hervor. Eines der gefährlichsten der letzten Jahre waren die Grinsekatzen. Sie grinsten zwar nicht wie die Figur, nach der sie benannt waren, aber sie waren leuchtend blau, grün oder gelb und ihr Gift löste Halluzinationen aus, die schon einige den Verstand gekostet hatten. Doch im Moment waren die Tollwuthasen das größte Problem. Ihr Biss tötete innerhalb weniger Stunden und bisher gab es noch keine Heilung.

Aus den letzten Reihen drang Gelächter. Ich drehte mich um. Die Krieger bewarfen sich gegenseitig mit Papierkugeln. Sie hielten Bestienkunde für überflüssig. Ihre Gabe sagte ihnen, wie sie welches Tier am besten bekämpften und wo die Gefahren lagen.

»Meine Herren«, sagte Professor Barkley scharf. »Ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit. Sonst hagelt es Strafaufsätze.«

Solche Drohungen sprach er gern aus. Meistens machte er sie allerdings nicht wahr. Er war selbst Krieger, wenn auch im Ruhestand, weswegen er mit diesem Haufen viel zu viel Nachsehen hatte. Es war also kein Wunder, dass seine Ermahnung nur für ein paar Minuten Ruhe sorgte.

Nach Bestienkunde verabschiedete ich mich von Mandy. Während sie zum Medientraining musste, machte ich mich auf den Weg ins Labor.

Fast ohne mein Zutun wurden meine Schritte schneller. Der Drang, meine Arbeit zu beenden, schlug mit voller Kraft zurück.

»Was ist los, Williams?«, rief Kieran mir hinterher, als ich an ihm vorbei hastete. »Kannst du es kaum erwarten, einen neuen Stimmungsaufheller für dich zu entwickeln? Oder etwas, das entspannt. Du hast beides dringend nötig.«

Ich ignorierte ihn, so wie immer, und eilte die Treppe hinab in den Keller. Schritte hallten auf dem glatten Marmorboden wider. Ich wusste, dass noch andere Alchemisten den gleichen Weg hatten, aber meine Gabe blendete sie aus. Im Keller reihten sich die Labore aneinander. Meins lag am Ende des Flurs.

Vor der Tür bekam ich für einen Moment die Kontrolle über meinen Körper zurück und hielt inne. Liana Williams, Alchemistin in Ausbildung stand in großen schwarzen Buchstaben auf der Tür. Sobald ich diesen Raum betrat, würde ich Stunden meiner Lebenszeit verlieren. Es war meine Arbeit, doch ich würde mich an keinen einzigen Moment erinnern.

Meine Hand zitterte, als ich die Klinke herunterdrückte.

»Das menschliche Gehirn kann die volle Macht der Magie nicht ertragen«, hatte mein Professor für Alchemie uns erklärt, als ich mit sechzehn mit all den anderen neuen Alchemisten in unserer ersten Unterrichtsstunde gesessen hatte. »Deshalb können wir uns nach dem Rausch an nichts erinnern. Es ist ein Schutzmechanismus.«

Die Vorstellung, mich an so viel Zeit meines Lebens nicht erinnern zu können, hatte mir Angst gemacht, aber ich war auch aufgeregt gewesen. Damals, vor vier Jahren, hatte ich es kaum erwarten können, meinen ersten Rausch zu haben. Auch wenn ich kein Medium war, so wie ich es mir immer gewünscht hatte, ich gehörte zu den Begabten, zusammen mit meiner besten Freundin, und das hatte mich unglaublich glücklich gemacht. Diese Begeisterung für meine Gabe hatte seitdem allerdings stark nachgelassen.

Ich setzte mich auf meinen Stuhl und ließ meine Tasche auf den Boden fallen. Noch bevor ich mein Notizbuch herausholen konnte, merkte ich, wie der Rausch begann. Meine Sicht verschwamm, alle Geräusche wurden dumpf, als würde ich in Watte gepackt. Dann verlor ich das Gefühl in den Gliedmaßen und schwarze Flecken breiteten sich in meinem Sichtfeld aus, bis alles verschwand.

Als ich wieder zu mir kam, wurde es draußen bereits dunkel. Mein Magen schmerzte vor Hunger. Warum konnte der Rausch nicht wenigstens eine Mittagspause gönnen? Meine Arbeitsfläche war übersät von Notizen, die ich jetzt nicht mehr lesen konnte; mein Abzug war überfüllt mit dreckigen Glasgeräten.

Ich seufzte. Der Rausch endete immer, bevor ich aufgeräumt hatte. Jedes Mal.

Ich wusch mir die Hände und machte mich auf den Weg zur Küche, wo ich ein paar Wraps aus dem Kühlschrank zog. Ich schob den ersten in den Ofen und ließ mich auf einen Stuhl fallen, bis der Timer klingelte. Froh, dass ich allein im Raum war, stürzte ich mich auf mein Essen, sobald es fertig war.

Drei Wraps später fühlte ich mich endlich gestärkt genug, um mich auf den Weg zurück ins Labor zu machen.

Ich sah mich im Chaos um. Es war schon fast acht Uhr. Aufräumen würde ich heute garantiert nicht mehr.

Ich griff nach den Notizen, auf denen sich die Anleitung zu meiner neuen Erfindung befinden musste. Wie immer, wenn ich etwas beendete, stand ganz unten eine Zeile in normaler Schrift, damit jeder lesen konnte, worum es sich handelte. Es war ein Mittel gegen das Gift der Tollwuthasen. Ein erleichtertes Lächeln trat auf mein Gesicht. Mit ihrem grünbraunen Fell konnten sie sich perfekt im Gebüsch verstecken und hatten in den letzten Monaten viele Leben gefordert. Der Magie schien es auf eine perverse Art, Spaß zu machen, niedliche Tiere in Killermaschinen zu verwandeln.

Seufzend griff ich nach der Flasche mit dem Gegenmittel, die mein Rausch-Ich im Abzug platziert und feinsäuberlich beschriftet hatte. Dann machte ich mich auf den Weg zum Büro meines Alchemieprofessors. Dort war bereits alles dunkel, doch der Vorraum war immer geöffnet. Ich stellte das Mittel in den Kühlschrank, beschriftete meine Notizen und legte sie in das Fach mit meinem Namen. Da ich noch in Ausbildung war, würde er das Mittel testen, bevor es eingesetzt wurde, denn letzten Endes war er für alles verantwortlich, was seine Studenten herstellten. Trotz der Hilfe der Magie passierten Fehler, vor allem bei unerfahrenen Alchemisten.

Dann sah ich zu, dass ich zurück ins Wohnheim kam, bevor meine Gabe mir einen Strich durch die Rechnung machte.

 

»Du bist spät dran.« Mandy saß am Küchentisch, ihren Core zum Tablet ausgeklappt vor sich.

Achtlos ließ ich meine Tasche fallen. »Dank mir gibt es jetzt ein Mittel gegen das neue Tollwuthasengift.«

»Super«, brummte sie, ohne den Kopf zu heben.

Irritiert hielt ich inne. Normalerweise interessierte sie sich brennend für alle meine Erfindungen, auch für die, die alles andere als revolutionär waren. Während der letzten Wochen hatte ich nur Dinge verbessert und sie war trotzdem jedes Mal fast ausgeflippt.

»Ist alles in Ordnung?«

»Hm, klar.« Sie starrte immer noch auf den Bildschirm vor ihr, als würde er die Antworten auf all ihre Fragen und Probleme enthalten.

Vorsichtig setzte ich mich neben sie, während mein Magen sich zusammenzog. Ihre Verschwiegenheit konnte nichts Gutes bedeuten. »Lügnerin.«

Aus dem Augenwinkel warf sie mir einen kurzen Blick zu. »Ich darf nicht mit dir darüber reden.«

Langsam nickte ich. Sie musste eine neue Prophezeiung gemacht haben. Bis der Rat der Medien jedes einzelne Wort zu Tode interpretiert und die Prophezeiung öffentlich verkündet hatte, waren sie strenggeheim. Vor allem bei jungen Medien, deren Visionen meist recht wirr waren, arbeitete der Rat äußerst langsam und gründlich.

»Ist es etwas Schlimmes?«, fragte ich vorsichtig.

Wieder sah sie mich nur für einen Sekundenbruchteil an. »Bitte hör auf zu fragen.«

»Okay.« Ich stand auf. »Dann lasse ich dich am besten in Ruhe.«

»Danke«, murmelte sie.

Mit einem letzten besorgten Blick machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer, wo ich mich auf mein Bett fallen ließ. Normalerweise dauerte es nur ein paar Tage, bis die Prophezeiungen veröffentlicht wurden. Vielleicht sah es auf den ersten Blick schlimmer aus, als es war. Prophezeiungen zu interpretieren, war schwer, weswegen nur die besten Medien dazu befugt waren. Vielleicht hatte Mandy einfach die falschen Schlüsse gezogen.

Kapitel 2

Auch am nächsten Morgen hatte sich Mandys Verhalten nicht verändert. Zwar war sie wie immer früh wach und machte Frühstück für uns, aber ihre sonst so gute Laune fehlte.

Es fiel mir schwer, sie nicht mit Fragen zu löchern, doch ich hielt mich zurück. Sollte ich es tatsächlich schaffen, ihr etwas zu entlocken, hätte sie die wichtigste Regel der Medien gebrochen. Im schlimmsten Fall konnte sie dafür sogar ausgestoßen werden. Das war es nicht wert.

Auf dem Weg zur Akademie schwiegen wir uns an. Während sie stur auf den Bürgersteig starrte, warf ich ihr immer wieder besorgte Blicke zu.

Wir waren seit dem Kindergarten beste Freundinnen. Es gab niemanden, den ich besser kannte. Niemanden sonst, dem ich alles anvertraute. Deswegen wusste ich auch, dass die Prophezeiung wirklich schrecklich sein musste. Was war es? Eine neue Bestie? Eine Naturkatastrophe? Oder etwas noch Schlimmeres?

Ob sie dies wohl erwartet hatte, als wir als Kinder davon träumten, eines Tages die Akademie zu besuchen? Ich hatte mir das Leben als Begabte definitiv anders vorgestellt. Irgendwie glamouröser. Und glücklicher. Ich hatte ernsthaft gedacht, dass Begabte immer glücklich waren. Wie konnte man auch unglücklich sein, wenn man zur Elite der Gesellschaft gehörte? Wenn man sich nie Sorgen um Geld machen musste, weil die Regierung einen bereits während des Studiums ein Gehalt zahlte und dazu einen Platz im Wohnheim stellte? Kurzum, ich war verdammt naiv gewesen.

Vor dem Hörsaal rief Kieran mir wieder einen unqualifizierten Kommentar zu, genau wie gestern ignorierte ich ihn. Wie schaffte er es eigentlich, jeden Morgen verdreckt und blutbeschmiert hier aufzutauchen? Er war wohl kaum jede Nacht im Einsatz. Seinem Fanclub schien sein Aufzug allerdings zu gefallen. Ob er sich extra mit Schlamm einrieb, bevor er hier auftauchte?

Vorne erzählte Professor Barkley inzwischen etwas über die leuchtend orangefarbenen Löwen, die die Magie vor einigen Jahren hervorgebracht hatte.

Mandy sagte während der gesamten Stunde kein einziges Wort. Sie reagierte nicht mal auf die Bilder der Opfer der Löwen. Dabei hatte sie normalerweise Probleme damit, wenn Barkley uns zerfetzte Leichen zeigte. Doch heute starrte sie einfach nur stumm nach vorne. Wahrscheinlich kam kein einziges von Barkleys Worten bei ihr an. Sie zuckte nicht mal, als er mit den Zombiepanthern weitermachte, deren Gift einen bei lebendigem Leib verwesen ließ.

»Was ist denn mit der los?«, wollte Kieran wissen, als Mandy sich nach dem Unterricht so schnell durch die Menge drängte, dass sie einige Leute anrempelte.

Ohne ein Wort zu sagen, ging ich an ihm vorbei.

»Du solltest dringend an deinen Manieren arbeiten, Williams«, rief er mir hinterher. »Wahrscheinlich sollte ich mich nicht wundern. Immerhin hast du nicht die beste Kinderstube genossen. Vielleicht sollte man euch erst mal einen Benimmkurs machen lassen, bevor man euch Slumkinder auf uns loslässt.«

Das reichte. Ich wusste genau, dass ich alles nur schlimmer machen würde, wenn ich ihn weiter anstachelte, aber ich war am Ende meiner Geduld angekommen. Also drehte ich mich um und ging zu ihm zurück.

Er hob die Augenbrauen, überrascht, dass ich reagierte, sein arrogantes Grinsen fest auf dem Gesicht. Im Gegensatz zu mir stammte er aus einer langen Linie Begabter, fast alle Krieger, und darauf bildete er sich verdammt viel ein.

»Du verhältst dich permanent wie das größte Arschloch des Planeten und willst mir was von schlechten Manieren erzählen?«

Er legte den Kopf schief. »Im Gegensatz zu dir ignoriere ich nicht die Leute, die mir Fragen stellen.«

Ich streckte das Kinn vor, entschlossen, nicht kleinbeizugeben. »Im Gegensatz zu dir ruhe ich mich nicht auf den Lorbeeren meiner Vorfahren aus.«

Wie war es möglich, dass sein Grinsen noch breiter wurde? Er trat einen Schritt auf mich zu und beugte sich vor. »Bei dir gibt es ja auch nichts zum Ausruhen«, flüsterte er mir ins Ohr.

Ich wusste, dass er mich einschüchtern wollte, aber ich konnte nicht verhindern, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Bei wie vielen Mädchen setzte er diesen Move wohl zum Flirten ein? Das war so billig.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, damit ich ihm ebenfalls ins Ohr wispern konnte. »Irgendwann, in vielen, vielen Jahren, wirst auch du erwachsen werden. Und dann wirst du feststellen, dass deine Persönlichkeit nur aus Arroganz und dummem Gehabe besteht und deine sogenannten Freunde dich nur ausnutzen, um ein bisschen Ruhm abzubekommen. Und dann wirst du allein dastehen, ohne Charakter, ohne Freunde und dir wünschen, du könntest die Zeit zurückdrehen.«

Als ich den Kopf zurückzog, meinte ich, dass kurz Wut in seinem Gesicht aufblitzte, doch dann war sein arrogantes Grinsen zurück und ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nicht nur eingebildet hatte.

»Irgendwann wirst du feststellen, dass du nicht so schlau bist, wie du denkst«, warf er mir an den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich musterte ihn abfällig. »Ich bin schlau genug, um keine weitere Sekunde an dich zu verschwenden.«

Damit drehte ich mich um und ging davon.

»Dafür, dass deine Gabe dir die Hälfte deiner Lebenszeit nimmt, bist du erstaunlich schlecht darin einzuschätzen, womit du deine kostbaren Minuten verschwenden solltest.«

Am liebsten hätte ich mich umgedreht und ihn mitten ins Gesicht geschlagen, doch ich ging weiter. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu meinem Labor zu rennen, denn sein letzter Kommentar war ein Messerstich mitten ins Herz. Meine Gabe stahl mir viel zu viel, aber ich war festentschlossen, den Rest nicht zu verschwenden. Keine einzige Sekunde.

 

Als ich mich an meinen Schreibtisch setzte, musste ich mir erst mal ein paar Tränen aus den Augen wischen. Kieran Namara war ein Arschloch. Er liebte es, andere zu piesacken. Liebte es, im Mittelpunkt zu stehen, egal, wer dafür leiden musste. Die Tatsache, dass er seinen ersten Rausch bereits mit fünfzehn gehabt hatte, war ihm zu Kopf gestiegen. Er war es nicht wert, dass ich mich weiter über ihn aufregte. Auch wenn er diesmal genau ins Schwarze getroffen hatte.

Eigentlich sollte ich versuchen, mich in den Rauschzustand zu versetzen, sollte meine Gedanken zur Ruhe kommen lassen und meinen Kopf leeren, bis meine Gabe erwachte, doch ich konnte nicht aufhören, mich über Kieran aufzuregen. Die Wut sorgte dafür, dass mein Magen sich zusammenzog und meine Gedanken sich im Kreis drehten. Es kam mir unmöglich vor, mich in den meditativen Zustand zu versetzen, der mir half, einen Rausch auszulösen. Erst gestern hatte ich ein Gegenmittel gegen die Tollwuthasen erfunden. Niemand konnte sagen, dass ich nicht genug leistete, nur weil ich einen Tag lang nicht produktiv war. Außerdem musste ich aufräumen. Im Rausch war mein Gehirn viel zu sehr mit Erfinden beschäftigt, um sich um so etwas Banales zu kümmern. Vielleicht würde es mir besser gehen, wenn mein Abzug wieder blitzblank war.

Ich setzte meine Schutzbrille auf und zog meinen Laborkittel an. Dann stellte ich mich vor den Abzug und betrachtete das Chaos. Wenigstens war mein Rausch-Ich so nett, auf die Glasgeräte zu schreiben, mit welchem Lösungsmittel sie geputzt werden sollten. Ein weiterer Schutzmechanismus. Ich hatte keine Ahnung, mit was für Chemikalien ich hier arbeitete. Jeglicher Fortschritt, der mithilfe der Magie entstanden war, war uns nicht zugänglich. Doch niemand wagte es, sich darüber zu beschweren, denn ohne die Magie wären wir verloren gewesen. Den ersten Bestien waren wir schutzlos ausgeliefert gewesen. Unsere Waffen hatten versagt, trotz intensiver Forschung hatte niemand Gegengifte gefunden. Millionen Menschen waren gestorben, zerfetzt von Tieren, die zuvor harmlos gewesen waren. Bunte Vögel, die sich vom Himmel gestürzt hatten, um jeden anzugreifen, der sich nach draußen wagte. Ratten, die durch die Abwasserrohre in unsere Wohnung eingedrungen waren, um die Bewohner totzubeißen. Erst als nach ein paar Jahren die ersten Jugendlichen in den Rauschzustand gefallen waren, hatte sich die Lage gebessert. Langsam hatten wir unsere Gesellschaft wiederaufgebaut. Kanada, die USA und Mexiko hatten sich zu Nordamerika zusammengeschlossen und wir hatten angefangen, der Magie zu vertrauen, anstatt sie zu fürchten.

Denn es waren nicht nur die Bestien gewesen, gegen die wir allein nie bestanden hätten. Ohne die Magie hätten wir den Klimawandel niemals aufhalten können. Dank ihr gewannen wir unseren Strom durch Kernfusion aus Sonnenreaktoren. Dank ihr gab es unzählige Ersatzprodukte für tierische Nahrung, die unsere Ernährung sicherten, sodass Fleisch, Milch und Eier zu etwas geworden waren, das nachhaltig hergestellt werden konnte.

Wissenschaftler konnte nur derjenige werden, der die Alchemistengabe besaß. Nein, Wissenschaftler musste jeder werden, der die Alchemistengabe besaß. Keiner der Begabten konnte seiner Bestimmung entkommen.

Ich war gerade mit den Kolben fertig, auf denen Aceton stand, als es klopfte und mein Alchemieprofessor den Kopf zur Tür hineinsteckte.

Ich trat einen Schritt zurück, um ihn besser sehen zu können. »Guten Morgen, Professor Dennings.«

Er lächelte, doch es wirkte angespannt. War mit meinem Gegengift etwas nicht in Ordnung? »Guten Morgen, Miss Williams.«

»Gibt es ein Problem?«, fragte ich, als er zögerte.

»Ehrlich gesagt, weiß ich das selbst nicht so genau. Ich weiß nur, dass Sie sofort zu Professor Hanks gehen sollen.«

Meine Augenbrauen zogen sich zusammen. Ich sollte zur Rektorin?

»Es ist dringend«, fügte er hinzu.

»Okay. Einen Moment, bitte.« Ich ging zum Waschbecken, um mir die Hände zu waschen, während Dennings wieder verschwand.

Was konnte Professor Hanks von mir wollen? Ich hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen. Selbst wenn sie irgendwie erfahren hätte, dass ich nicht sonderlich begeistert von meiner Gabe war, konnte sie mir daraus keinen Vorwurf machen. Ich tat meine Arbeit und hatte schon ein paar brauchbare Erfindungen gemacht, obwohl ich noch in der Ausbildung war. Ich stieg die Treppen hoch, in Richtung des Rektorats. Hier war ich nicht mehr gewesen, seit ich mir nach dem Ende meiner Grundausbildung mein Zeugnis abgeholt hatte. Ich hatte erwartet, erst in drei Jahren wieder hierher zu kommen, wenn mir mein Doktortitel verliehen wurde. Zwar forschten wir nur noch und schrieben keine Doktorarbeiten mehr, da wir dank der Magie unsere Notizen nur im Rausch lesen konnten, dennoch erhielten wir einen entsprechenden Titel und Gehaltscheck.

Endlich erreichte ich den richtigen Gang, doch als ich sah, wer bereits vor dem Büro der Rektorin stand, erstarrte ich.

Kieran, jetzt nicht mehr in seiner verdreckten Uniform, sondern in verschwitzten Trainingsklamotten.

Ich hatte keine Ahnung, warum ausgerechnet Kieran Namara auch hier war, aber bisher war mir nie etwas Gutes passiert, wenn er in der Nähe war.

Missmutig folgte ich Kieran in den Raum, wo ich erneut innehielt.

Auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch der Rektorin saß bereits jemand. Mandy hatte den Blick auf ihre Hände gerichtet, die sie im Schoß wrang.

Jetzt rutschte mir das Herz in die Hose. Die Prophezeiung, die ihr solche Sorgen bereitet hatte. Hatte sie am Ende etwas mit mir zu tun? Mit mir und Kieran? Oder war das albern? Denn was konnte uns schon verbinden?

»Miss Williams.« Professor Hanks nickte mir zu. »Mr Namara. Setzen Sie sich.« Sie deutete auf die beiden freien Plätze. Ich griff nach der Lehne des Stuhls neben Mandy und ließ mich langsam darauf sinken. Inzwischen zitterte ich am ganzen Leib. Was hatte Mandy prophezeit? Was war so schlimm, dass sie mir nicht mehr in die Augen sehen konnte?

Mein Blick wanderte zu den goldgerahmten Porträts der ehemaligen Akademieleiter hinter dem Schreibtisch. Genau wie Professor Hanks waren die meisten von ihnen Medienprofessoren gewesen, bevor sie die Leitung der Akademie übernommen hatten. Mir war, als würden sie mich alle kritisch mustern.

Sobald die Tür hinter Kieran ins Schloss fiel, sah Professor Hanks von den Unterlagen auf ihrem riesigen Schreibtisch auf.

Als sich der Blick ihrer braunen Augen in meine bohrte, fühlte ich mich wie ein Kaninchen vor einem Raubvogel. Schockstarr, nicht in der Lage wegzurennen.

»Nun, Miss Williams, Mr Namara«, sagte sie schließlich. »Sie fragen sich sicher, worum es geht.«

Kieran gab ein verächtliches Schnauben von sich.

»Miss Schilling hier hat gestern eine interessante Prophezeiung gemacht.«

Interessant war wohl nicht das passende Wort. Mandy starrte immer noch stur auf ihre Hände, das Gesicht hinter ihren leuchtendroten Haaren versteckt. Wie oft war ich neidisch auf dieses Feuerrot gewesen, das die Magie ihr geschenkt hatte? Wie oft hatte ich mich beschwert, dass meine Haare einfach langweilig schwarz waren?

Professor Hanks riss mich aus meinen banalen Gedanken. »Der Rat der Medien will sie noch nicht offiziell verkünden. Sie sind sich noch nicht sicher, was einige ihrer Interpretationen angeht.«

Ich runzelte die Stirn. Die Medien waren sich nie sicher. Es war unmöglich, sich komplett sicher zu sein, alles richtig interpretiert zu haben. Diese Prophezeiung musste wichtig sein, sehr wichtig.

»Wo sie sich hingegen einig sind, ist, dass sie beide betroffen sind.«

Von Mandy kam ein Murmeln.

Professor Hanks’ Augenbrauen schossen in die Höhe. »Ja, Miss Schilling?«

Zum ersten Mal, seit ich den Raum betreten hatte, hob Mandy den Kopf. »Die Prophezeiung enthält ihre Namen. Was gibt es da zu interpretieren?« Sie legte eine zitternde Hand auf die Lehne ihres Stuhls und klammerte sich daran fest.

Ich starrte sie an. Es war selten, dass in Prophezeiungen Namen genannt wurden. Was auch immer sie gesehen hatte, es musste wirklich wichtig sein.

Professor Hanks’ Gesicht blieb ausdruckslos. »Sie haben gute Arbeit geleistet, Miss Schilling. Sie können stolz auf sich sein.«

Mandy wirkte alles andere als stolz, dabei konnte sie nichts für den Inhalt der Prophezeiung. Ausnahmsweise grinste Kieran nicht, als unsere Blicke sich trafen.

»Sie haben sicher bereits von der neuen Bestie gehört, die sich rasend schnell ausbreitet«, fuhr Professor Hanks fort.

Natürlich hatten wir das. Jeden Tag gab es neue Artikel über die Zerstörung, die sie anrichteten. Drachen wurden sie genannt. Dabei hatten nichts mit den Drachen aus den alten Sagen gemeinsam. Sie konnten weder fliegen noch Feuer speien. Drachen hatte ich mir immer elegant vorgestellt, mit großen ledernen Flügeln und langen Schwänzen. Unsere Drachen hatten weder das eine noch das andere und waren eher plump gebaut. Sie waren allerdings riesengroß, so groß wie Elefanten, sagten die meisten Berichte, denn es war noch niemandem gelungen, nah genug an sie heranzukommen, um sie zu vermessen. Fieberhaft versuchte ich, mich daran zu erinnern, was bereits über sie bekannt war. Sie hatten Schuppen und ein großes Maul voller Reißzähne. Sie waren giftig. Die korrekte Bezeichnung lautete Riesenwaran, aber das interessierte die Presse herzlich wenig. Sie bewegten sich behäbig, doch durch ihren enormen Größenvorteil konnten sie einen Menschen immer noch problemlos einholen. Ihre Schuppenpanzerung war so dicht, dass nichts sie durchdringen konnte. Keiner der Alchemisten hatte bisher irgendetwas entwickelt, was es den Kriegern erleichterte, sie zu bekämpfen.

Ich hatte nicht das Gefühl, dass Hanks eine Antwort erwartete, aber es überraschte mich, dass auch Kieran schwieg. Sonst gab er immer überall seinen Senf dazu.

»Wie gesagt, die Prophezeiung ist noch nicht vollständig interpretiert, also kann ich Ihnen den genauen Wortlaut nicht sagen, aber es ist wichtig, dass wir damit beginnen, Sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Es geht hier immerhin…«

»Können Sie bitte einfach zur Sache kommen?«, unterbrach Kieran sie. In seiner Wange zuckte ein Muskel. Der große Krieger hatte offensichtlich keinen sonderlich langen Geduldsfaden, aber ausnahmsweise war ich ihm sogar dankbar.

Hanks warf ihm einen wütenden Blick zu, aber sie ermahnte ihn nicht. »Laut der Prophezeiung sind Sie beide die einzigen, die die Riesenwarane vernichten können.«

Kapitel 3

Mein Magen zog sich zusammen. »Was soll das heißen, wir beide?«

Professor Hanks stützte die Ellenbogen auf ihren großen dunklen Tisch und seufzte, als wüsste sie, dass ihr nächster Satz nicht gut ankommen würde. »Sie beide. Zusammen. Sie müssen lernen, sich gemeinsam in den Rauschzustand zu versetzen.«

Ein gemeinsamer Rauschzustand? Davon hatte ich noch nie gehört. War das überhaupt möglich?

Kieran schüttelte den Kopf. »Das ergibt keinen Sinn. Ich bin Krieger.« Er sah mich an, als wäre ich nicht mehr als ein Matschfleck auf seinem Stiefel. »Sie ist Alchemistin. Sie arbeitet für mich, nicht mit mir.«

Mir klappte die Kinnlade herunter. »Wie bitte? Ich bin doch nicht dein Dienstmädchen. Ohne unsere Arbeit hättet ihr keine Chance gegen die Bestien.«

Langsam hob er eine Augenbraue. »Jetzt übertreib mal nicht.«

Ich lehnte mich in seine Richtung. »Wie oft hat dich schon irgendetwas gebissen? Was glaubst du, wer die Gegenmittel dafür herstellt? Was glaubst du, wer die Waffen entwickelt, die ihr braucht, um euch gegen Panzerkröten oder Schuppenwölfe zu wehren?« Ich hob die Hand und ließ Daumen und Zeigefinger sich fast berühren. »Wer gibt sein halbes Leben auf, damit ihr auch nur den Hauch einer Chance…«

»Miss Williams, bitte«, unterbrach Professor Hanks mich scharf.

Ich ließ mich zurück in meinen Stuhl sinken. Es fiel mir schwer, nicht die Arme vor der Brust zu verschränken wie ein beleidigtes Kleinkind, aber zu einer Entschuldigung würde sie mich sicher nicht bewegen können.

Hanks seufzte. »Ich habe schon befürchtet, dass es Ihnen nicht leichtfallen wird. Krieger und Alchemisten sind einfach zu verschieden. Aber wir haben keine andere Wahl. Die Riesenwarane richten im Süden bereits eine unglaubliche Verwüstung an. Wir haben Glück, dass die Bevölkerungsdichte in den betroffenen Gebieten nicht sonderlich hoch ist. Bisher hat die Rinderzucht in Texas am meisten gelitten. Auch das ist ein wirtschaftlicher Schaden, der nicht zu unterschätzen ist. Außerdem ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie bei der Nahrungssuche auf Städte stoßen, deren Zäune nicht darauf ausgelegt sind, sechs, sieben Meter große Monster aufzuhalten. Ein paar Dörfer in Sonora und New Mexico haben sie bereits vollkommen zerstört. Fast zwanzigtausend Tote. Wenn Sie beide sich nicht zusammenreißen, dann könnten es Millionen werden. Geht das in Ihre Köpfe?«

»Ja«, murmelte ich, auch wenn ich mir wünschte, dass die Lage anders wäre. Warum ausgerechnet Kieran? Jeder andere Krieger wäre mir lieber gewesen.

»Mr Namara?«

Kieran warf mir einen weiteren vernichtenden Blick zu, doch dann nickte er. »Natürlich.«

Professor Hanks sah zwischen uns hin und her. »Kann ich mich auf Sie verlassen?«

Was für eine Wahl hatten wir schon? Erst vor ein paar Tagen hatte ich in den Nachrichten die Bilder aus Carbó gesehen, einem kleinen Ort im ehemals mexikanischen Staat Sonora. Die Warane hatten die Zäune niedergetrampelt, als wären sie nur Gestrüpp. Von den Häusern waren nur noch Ruinen übrig gewesen. Das verwackelte Bild eines Warans, der ein Auto mit dem Maul gepackt und durch die Luft geschleudert hatte, hatte sich in mein Hirn gebrannt. Von den fast viertausend Bewohnern hatte nur eine Handvoll überlebt. Mit jedem Tag, den wir verschwendeten, würde es mehr Opfer geben.

»Ja.« Es fiel mir schwer, dieses eine simple Wort zwischen meinen Zähnen hervorzupressen. Meine Hände krallten sich in die Armlehnen meines Stuhls. Von nun an würde unendlich viel Verantwortung auf meinen Schultern lasten, aber mein Schicksal war besiegelt gewesen, sobald Mandy ihre Prophezeiung gemacht hatte. Jetzt musste ich irgendwie das Beste daraus machen.

Auch Kieran musste seine Zustimmung kundgetan haben, denn auf Professor Hanks’ Gesicht erschien ein erleichtertes Lächeln. »Sehr schön. Wir haben einen Trainingsraum der Krieger für Sie reserviert. Sie können direkt loslegen.«

Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. »Womit genau loslegen?«

Professor Hanks senkte den Blick auf ihren Schreibtisch und begann, einen Stapel Unterlagen durchzublättern. »Das wird Ihnen nicht lange verborgen bleiben. Trainingsraum Fünf. Miss Schilling, Sie können zurück in Ihren Unterricht.«

Damit waren wir entlassen. Da sie keine Anstalten machte, sich zu verabschieden, erhob ich mich wortlos und verließ den Raum. Draußen verschränkte ich die Arme vor der Brust und drehte mich zu Mandy und Kieran um.

Mandy hielt den Kopf gesenkt, während Kieran meine Pose nachahmte.

»Alles in Ordnung, Mandy?«, fragte ich vorsichtig.

Sie nickte, ohne den Kopf zu heben. »Klar. Ich muss los. Bis heute Abend.« Und schon war sie den Gang entlang verschwunden.

Ich seufzte. Darum würde ich mich später kümmern müssen.

»Weißt du, wo wir hinmüssen?«

Kieran nickte. »Natürlich.« Damit wandte er sich ab und stapfte den Gang entlang davon.

Ich musste mich beeilen, um ihm zu folgen.

»Wo genau gehen wir hin?«, fragte ich ihn, als wir eine Treppe hinabstiegen, die ich noch nie genommen hatte.

»Das wirst du schon sehen«, antwortete er und beschleunigte seine Schritte noch mehr.

Ich verdrehte die Augen. Würde ich mich damit von nun an jeden Tag herumschlagen müssen? Wirklich tolle Aussichten.

Missmutig folgte ich Kieran den Gang entlang, eine weitere Treppe hinunter, bis wir schließlich einen neuen Flur erreichten. Zielstrebig ging er auf eine Tür zu, auf der eine große schwarze Fünf prangte. Das war also der Trainingsraum.

»Kieran«, begrüßte ihn eine hochgewachsene Kriegerin mit kurzem schwarzen Haar und brauner Haut. Sie war ein paar Jahre älter als wir.

Kieran nickte ihr zu. Unsicher blieb ich hinter ihm stehen. Die Kriegerin kam auf mich zu und streckte mir die Hand hin. »Beth Rogers.«

Ich schüttelte ihr die Hand. »Liana Williams.«

»Was genau wird das hier?«, fragte Kieran sie.

Beth gab ein bitteres Lachen von sich. »Wenn ich das nur wüsste. Bisher haben wir kaum Erfahrungen mit dem gemeinsamen Rausch, vor allem nicht zwischen Leuten unterschiedlicher Begabungen. In der Bibliothek sitzt eine Horde Medien und recherchiert. Was wir aber auf jeden Fall wissen, ist, dass ihr euch dazu vertrauen müsst.«

Kieran und ich wechselten einen Blick. Er schien der Sache ungefähr genauso viel Erfolgswahrscheinlichkeit zuzuschreiben wie ich. Und zwar gar keine.

»Und wie genau sollen wir das anstellen?«, fragte er, wobei seine Augenbrauen fast seinen Haaransatz berührten.

Beth seufzte. »Wir werden einen Weg finden. In der Zwischenzeit beschäftigen sich die Medien mit der Interpretation eurer Prophezeiung. Und ein Alchemist ist auch unterwegs. Zur vollständigen Repräsentation.«

Das war eine sehr freundliche Umschreibung für: damit die arme kleine Alchemistin sich nicht einsam fühlt.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und tat so, als wäre ich nur genervt, nicht nervös. Unauffällig versuchte ich, mich im Trainingsraum umzusehen. Auf dem Boden lagen Matten herum, vermutlich um den Nahkampf zu trainieren, an den Wänden hingen Dutzende von Schwertern, Dolchen und Speeren, bei deren Anblick es mir kalt den Rücken herunterlief. Ich hoffte inständig, dass niemand auf die dumme Idee kam, mich gegen Kieran kämpfen zu lassen.

»Angst, Williams?« Ich zuckte zusammen, als Kierans Atem mich am Ohr kitzelte. Schon wieder dieser Schauer, der mir den Rücken herunterlief und als warmes Gefühl in meiner Magengrube endete.

Hastig trat ich ein paar Schritte von ihm weg. »Lass mich in Ruhe.«

Sein leises Lachen drang an mein Ohr. »Ich glaube kaum, dass Angst eine gute Voraussetzung ist, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.«

Wütend wirbelte ich zu ihm herum. Wenn ich in Zukunft jeden verdammten Tag mit diesem Widerling verbringen musste, dann durfte er mir nicht länger auf der Nase herumtanzen. »Wieso zur Hölle sollte ich Angst vor dir haben?«

Langsam breitete sich das mir so verhasste, arrogante Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Glaubst du, mir entgeht, wie du jedes Mal erschauerst, wenn ich dir nahekomme? Dafür gibt es nur zwei Erklärungen. Entweder, du hast Angst vor mir, oder …« Er hob eine Augenbraue und beugte sich näher zu mir herab. »… du bist verknallt in mich.«

Ich gab ein verächtliches Schnauben von mir. »Träum weiter, Namara.«

»Das würde natürlich erklären, warum du immer so kratzbürstig zu mir bist«, fuhr er fort. »Du bist überfordert mit deinen Gefühlen und versuchst deshalb …«

In diesem Moment flog die Tür zum Trainingsraum auf und der oberste Rat der Medien trat ein. Kieran und ich erstarrten. Ich hatte gewusst, dass die Prophezeiung über uns wichtig war, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass der gesamte oberste Rat sich damit beschäftigen würde. Als Regierungssitz beherbergte Kingston nicht nur die größte Akademie des Kontinents, sondern auch die obersten Räte der Begabten. Trotzdem war ich es gewohnt, ihre Gesichter nur in den Nachrichten zu sehen.

»Das sind alle sechs«, flüsterte Kieran mir zu. »Was zur Hölle?«

»Hast du etwa noch nicht mitbekommen, wie gefährlich die Riesenwarane sind?«, antwortete ich, entschlossen, ihm nicht zu zeigen, wie beunruhigt ich war. Er durchschaute mich.

»Jetzt tu doch nicht so abgebrüht.«

»Miss Williams, Mr Namara.« George Arlington, das oberste Medium trat vor uns, gekleidet in seinen lilafarbenen Talar, den er sonst nur bei offiziellen Anlässen trug. Doch auch dieses weite Gewand konnte seine Leibesfülle nicht verbergen. »Professor Hanks hat sie zwar über die wichtigsten Dinge bereits informiert, aber ich wollte persönlich mit ihnen reden. Ihnen wird eine große Ehre und essenzielle Aufgabe übertragen. Ich hoffe, Sie sind sich der Tragweite bewusst. Unsere Zukunft liegt in Ihren Händen.«

Ich vergrub die Fingernägel in den Handflächen, als mein Magen sich zusammenkrampfte. Die Erwartungen aller lasteten auf uns. Was, wenn wir versagten?

Ich zuckte zusammen, als ich Kierans Hand auf meinem Rücken spürte. Überrascht sah ich zu ihm hoch. Versuchte er gerade, mich zu beruhigen? Wohl kaum, er starrte stur in Arlingtons Richtung.

»Wir werden weiterhin unsere gesamte Kraft in die Interpretation Ihrer Prophezeiung investieren«, versicherte der uns. »Machen Sie sich keine Sorgen, Sie bekommen all die Unterstützung, die wir Ihnen geben können.«

Kieran sprach aus, was ich dachte. »Was, wenn das nicht reicht?«

Arlingtons Augenbrauen zogen sich zusammen. »Nun, wenn Sie mit dieser Einstellung an Ihre Aufgabe gehen, dann sind Sie vermutlich zum Scheitern verdammt. Was das für die Menschheit bedeuten könnte, muss ich Ihnen wohl kaum erklären.«

Nein, das musste er nicht. Vor Carbó hatte es zwei Orte in New Mexico erwischt. An die Namen der Dörfer konnte ich mich nicht mehr erinnern, an die Zerstörung dafür umso besser. Nur drei Warane waren nötig gewesen, um sie innerhalb weniger Stunden dem Erdboden gleich zu machen. Zwölftausend Tote.

»Ich weiß, Alchemisten und Krieger führen einen wirklich überflüssigen Kleinkrieg, aber Sie müssen endlich über Ihren Schatten springen und zusammenarbeiten.«

Er hatte leicht reden. Er war nicht derjenige, auf dessen Schultern die gesamte Verantwortung lag.

»Nun, nach allem, was wir bereits herausgefunden haben, ist der gemeinsame Rausch nicht gerade ungefährlich«, warf ein weiteres Medium ein. Wenn ich mich recht erinnerte, lautete ihr Name Susan Barnes.

»Kein Wort mehr von Ihnen, Barnes«, fuhr Arlington sie an, woraufhin sie den Mund zuklappte.

»Haben Sie sie gerade davon abgehalten, uns wichtige Informationen zu geben?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt vor, obwohl ich mich am liebsten in einer Ecke verkrochen hätte. Doch ich durfte jetzt auf keinen Fall schwach wirken. Nicht, wenn ich mich dem obersten Medium entgegenstellte. »Informationen, die uns zustehen?«

»Welche Informationen Ihnen zustehen, ist nicht Ihre Entscheidung, Williams.« Er reckte das Doppelkinn vor und führte seine Hände vor der Brust zusammen, sodass sie in den weiten Ärmeln seines Talars verschwanden.

Kieran trat neben mich. »Liana hat recht. Wenn dieser Rausch gefährlich ist, haben wir ein Recht darauf, es zu erfahren. Wir werden diese Mission nicht antreten, ohne umfassend über die Risiken aufgeklärt worden zu sein.«

Arlingtons rundes Gesicht lief langsam rot an. »Wie können Sie es wagen, so mit mir zu sprechen? Ihr Vater würde eine solche Respektlosigkeit nicht dulden.«

»Mein Vater würde nicht dulden, dass Sie seinen Sohn blind in sein Verderben rennen lassen. Warum sagen Sie uns nicht die Wahrheit? Haben Sie Angst, dass wir kneifen?«

»Natürlich nicht.« Arlington schüttelte vehement den Kopf. »Wir sind mit unseren Recherchen noch nicht am Ende. Das ist alles. Ich möchte Ihnen auf keinen Fall falsche Informationen geben.«

Das war eine lahme Ausrede. Garantiert hatte Arlington Angst, dass wir unsere Mission ablehnten, aber welche Wahl blieb uns schon? Es ging hier um das Schicksal unserer Welt.

»Wir warten gerne, bis Sie mit Ihren Recherchen fertig sind«, teilte ich ihm mit. »Das ist überhaupt kein Problem.«

In Arlingtons Wange zuckte ein Muskel. »Für heute lasse ich Ihnen Ihr Verhalten durchgehen. Sie sind bestimmt sehr aufgewühlt, aber das ist der einzige Freifahrtschein, den Sie bekommen.«

Damit wandte er sich ab und machte sich auf den Weg in Richtung Tür.

Susan Barnes schenkte uns ein zurückhaltendes Lächeln. »Wir melden uns, wenn wir neue Informationen haben. Versprochen.« Sie drehte sich um und folgte den anderen Medien zur Tür.

»Jetzt hat uns immer noch niemand gesagt, was in dieser verdammten Prophezeiung eigentlich drinsteht«, brummte Kieran.

Ich zuckte mit den Achseln. »Du weiß doch, wie geheimniskrämerisch die Medien sind. Immerhin ist Barnes auf unserer Seite.«

Es rührte mich, dass er mir bei Arlington beigestanden hatte. Er hatte mit mir zusammengearbeitet, ohne darüber nachzudenken. Vielleicht gab es doch eine Chance, dass wir so etwas wie Vertrauen zwischen uns aufbauen konnten. Mit viel Geduld. Und vermutlich viel Frustration.

»Das glaube ich erst, wenn ich es sehe«, murmelte Kieran, dann hob er den Kopf. »Und was genau ist eure Rolle dabei?«

Ich runzelte die Stirn. Erst jetzt fiel mir auf, dass neben Beth eine junge Frau stand. Sie war fast einen Kopf kleiner als Beth und hatte bonbonrosafarbenes Haar, das kurz über ihren schmalen Schultern endete. Außerdem trug sie das Symbol der Alchemisten auf der Brust.

Lächelnd kam sie auf uns zu und streckte Kieran die Hand hin. »Ich bin Carly Howard und soll dir helfen, zu meditieren.«

Kieran ignorierte ihre Hand. »Wozu genau soll das gut sein?«

Carly ließ den Arm sinken. »Die Alchemisten benutzen Meditation, um sich in den Rauschzustand zu versetzen. Wir wissen nicht genau, wie man einen gemeinsamen Rausch heraufbeschwört. Vielleicht hilft es.«

Kieran deutete mit dem Kinn auf mich. »Und warum muss sie dann nicht lernen zu kämpfen? Krieger beschwören ihren Rausch im Kampf herauf.«

Beth trat zu uns, die Hände in die Hüften gestemmt. Mit ihren dunklen Augen fixierte sie Kieran. »Natürlich muss sie das. Dafür bin ich da.«

Kampftraining? Das konnte nicht ihr Ernst sein. Ich war Alchemistin, keine Kriegerin. Ich war nicht zum Kampf gemacht. Ich war dazu gemacht, mit meinem Kopf zu arbeiten. Ich gab anderen die Möglichkeit zu kämpfen.

Carly verschränkte die Arme vor der Brust und sah zwischen uns hin und her. »Ich weiß, dass ihr beide nicht begeistert davon seid, aber wir müssen alles versuchen. Leider weiß niemand so genau, wie das mit dem gemeinsamen Rausch funktioniert.«

»Wieso eigentlich nicht?«, wollte ich wissen. »Die Regierung behauptet doch immer, dass alles über Magie sehr genau archiviert wird.«

Beth und Carly wechselten einen Blick.

»Es wurde verboten, weil es so gefährlich sein soll«, sagte Carly. »Sie wollten nicht, dass es jemand ausprobiert, und mussten dafür sorgen, dass niemand weiß, dass es möglich ist.«

»Scheiß Regierung«, brummte Kieran, dann sagte er deutlicher: »Ich bin dafür, dass wir mit dem Kampftraining anfangen.«

»Das war ja klar.« Natürlich wollte er, dass ich mich zuerst blamierte.

Kieran zuckte mit den Achseln. »Mit einem müssen wir anfangen.«

Erneut wechselten Carly und Beth einen Blick.

»Wir hatten in der Tat geplant, mit dem Kampftraining anzufangen«, sagte Beth schließlich, »Carly meinte, wenn ihr erschöpft seid, fällt euch das Meditieren leichter.«

Mit »euch« meinte sie in diesem Fall wohl Kieran. Meditationstraining war ein wichtiger Bestandteil meiner Grundausbildung gewesen.

»Liana, die Umkleiden sind am Ende des Ganges. Ich habe dort Trainingssachen für dich bereitgelegt«, teilte Beth mir mit.

Ich verzog das Gesicht, machte mich aber auf den Weg, ohne etwas zu sagen. Es würde ohnehin drei gegen einen sein. Vorsichtig trat ich zurück in den Gang und eilte in die Richtung, die Beth mir genannt hatte. Ich war froh, dass mir niemand begegnete. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war ein dummer Spruch irgendeines Kriegers.

Die Umkleide war voller weißer Bänke, über denen Haken angebracht waren. Direkt auf der Bank neben der Tür lag ein Stapel Kleidung. Ein enges Top, Leggins und eine leichte Trainingsjacke, alles schwarz. Auf dem Boden stand ein Paar Sportschuhe. Nachdem ich mich umgezogen hatte, betrachtete ich mich im Spiegel. Normalerweise trug ich nie schwarz. Es war die Farbe der Krieger und somit unter Alchemisten verpönt. Es fühlte sich merkwürdig an, die Brosche mit dem Alchemistensymbol zurückzulassen. Fast so, als würde ich meine Gabe verraten. Seit ich an die Akademie gekommen war, hatte ich das Haus nie ohne sie verlassen. Doch ich wusste, dass sie beim Training nur stören würde.

Ende der Leseprobe