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Jeden Tag wird die Dunkelheit stärker. Bald ist sie nicht mehr zu stoppen. Eine futuristische Romantasy für alle LeserInnen von Ava Reed und V.E. Schwab
»Das Chaos liebt uns alle. Es schickt uns so viele Bestien, wie in seiner Macht steht, damit ihr Gift uns erlösen kann, doch die Begabten wollen alles für sich allein, wie sie auch schon in dieser Welt alles für sich beanspruchen.«
Die Riesenwarane sind besiegt. Doch die dunkle Magie bereitet sich darauf vor, mit aller Macht zurückzuschlagen. Jetzt ist es an Liana und Kieran, anderen Begabten beizubringen, sich in den gemeinsamen Rausch zu versetzen, damit sie eine Chance haben gegen die Dunkelheit zu bestehen. Doch diesmal müssen sie nicht nur gegen Bestien kämpfen. Immer mehr Menschen stellen sich auf die Seite der dunklen Magie.
Band 2 der düsteren Fantasy-Reihe »Tales«.
Romantische Fantasy in einem futuristischen Setting mit einem Haufen verrückter Monster
»Am liebsten hätte ich ewig weitergelesen. In diesem Sinne wünsche ich euch ebenso emotionale sowie aufregende Lesestunden wie ich sie hatte und kann euch nur empfehlen, jede Seite davon zu genießen.« ((Leserstimme auf Netgalley))
»Die Geschichte ist voller Magie, Angriffen, Kämpfen und großer Gefühle. Spannend, actionreich und sehr zu empfehlen.« ((Leserstimme auf Netgalley))
»Wenn mich jemand fragen würde, hätte ich es fast wie einen Film beschreiben können. Alles in allem ein absolut tolles Buch und eine sehr empfehlenswerte Reihe.« ((Leserstimme auf Netgalley))
»Gut gemachtes Buch über Magie, Bestien, Liebe, Mut und Freundschaft, das mir gut gefallen hat.« ((Leserstimme auf Netgalley))
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© Piper Verlag GmbH, München 2021
Redaktion: Cornelia Franke
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Cover & Impressum
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Bestien-Glossar
Danksagung
Für Mama, die Korrektur gelesen hat, bis ihr der Kopf schwirrte
»…eine dunkle Magie, die es auf uns abgesehen hat. Sie erschafft die Bestien und versucht mit aller Macht, uns zu zerstören. Das ist es, was uns eine Quelle innerhalb der Kingston Academy für magisch Begabte anvertraut hat. Doch kann es wirklich wahr sein? Mehr dazu gleich.«
Erschrocken riss ich den Kopf von Kierans Brust.
Der schnalzte mit der Zunge. »Das erklärt, warum Charlotte unbedingt wollte, dass wir Nachrichten schauen.« Auf seinem Core blinkte immer noch ihre letzte Nachricht.
Hört auf zu fummeln und schaltet den scheiß Fernseher ein!
Subtil war kein Wort, mit dem ich sie beschreiben würde.
»A-aber das sollte geheim bleiben«, stammelte ich, während eine Nachrichtensprecherin auftauchte, die neben einem selbsternannten Experten für Magie saß. »Und Experte für Magie? Niemand ist Experte für Magie!«
»Arlington wird ausflippen.« Kieran, der hinter mir auf der Couch ausgestreckt lag, tippte auf seinen Core und der Fernseher erlosch.
Ich setzte mich auf und suchte nach meinem Core, den ich vorhin abgenommen hatte. Auf dem Glastisch war nichts zu sehen. Meine Füße versanken in dem dichten cremefarbenen Teppich, als ich mich vorbeugte. »Hey! Mach das wieder an! Wir müssen wissen, wie das weiter geht.«
»Das werden wir noch früh genug erfahren.«
Erschrocken schrie ich auf, als er mich zu sich hinab zog. »Arlington wird uns sicher bald einbestellen. Ich für meinen Teil würde die Zeit bis dahin gern nutzen.« Er strich mir mit der Hand durchs Haar und versuchte, mich zu küssen, doch ich wand mich aus seinem Griff.
»Du bist unmöglich.« Ich stand auf und ging in Richtung Esstisch, wo ich meinen Core entdeckt hatte. Bevor ich ihn erreichen konnte, schlang Kieran seine Arme von hinten um mich. »Ist es zu viel verlangt, dass ich Zeit mit meiner Freundin verbringen möchte, ohne dass uns irgendjemand auf den Sack geht?«
»Das ist wichtig, Kieran.« In dem Moment fing mein Core an zu vibrieren.
Kieran gab ein frustriertes Knurren von sich. »Und schon werden wir einbestellt. Was habe ich gesagt?«
Ich schnappte mir meinen Core und öffnete die Nachricht. Kieran hatte recht. Es war eine Anordnung von Arlington, in der uns befohlen wurde, sofort in die Akademie zu kommen.
»Der erste Nachmittag, den wir für uns haben und Arlington macht ihn kaputt«, brummte Kieran.
»Das hat er sicher nicht geplant.« Ich sah über die Schulter zu ihm auf und er nutzte die Gelegenheit, um mich zu küssen. Automatisch schloss ich die Augen, als er mit der Zunge sanft über meine Unterlippe fuhr. Ich streckte die Hand aus und vergrub sie in seinem dunklen Haar. Er drückte mich fester an sich und ließ seine Hand von meiner Wange über meinen Hals in Richtung meiner Brüste wandern.
Erneut vibrierte der Core in meiner Hand.
Widerwillig lösten wir uns voneinander. Kierans blaue Augen leuchteten, als er mich ansah. Er war wütend, dass Arlington uns die wenigen Stunden nahm, die wir für uns hatten.
Es war der erste Nachmittag seit unserer Rückkehr aus New Mexico, an dem wir keine Verpflichtungen hatten. Fast zwei Wochen nach dem Sieg über die Warankönigin hatten wir durch Besprechungen, Untersuchungen und Interviews zwar viel Zeit miteinander verbracht, aber allein waren wir kaum gewesen.
Eine der ersten Besprechungen war mit Arlington, dem obersten Medium, gewesen, der uns eingeschärft hatte, niemandem von der dunklen Magie zu erzählen. Das würde Panik auslösen. Es würden nur Begabte davon erfahren, für deren Arbeit dies notwendig war. Es hatte mir zwar nicht gefallen, aber es war wohl besser so. Denn über die dunkle Magie wussten wir noch weniger als über die gute. Weder wie geschwächt sie war noch, wann sie wieder zuschlagen würde. Nur eins war sicher: dass sie wieder zuschlagen würde.
Wieder und wieder hatten wir unsere Erfahrungen haargenau schildern müssen, waren gemeinsam mit einigen ranghohen Kriegern, Alchemisten und Medien ein Schreckensszenario nach dem anderen durchgegangen.
»Als ob das irgendetwas bringt«, hatte Kieran mir dabei oft zugeflüstert. »Wenn etwas passiert, werden wir uns auf die Magie verlassen müssen. So wie immer.«
Unsere einzige Option war es, abzuwarten und so zu tun, als wäre alles in Ordnung.
Doch jetzt wusste ganz Kingston und bald ganz Nordamerika über die dunkle Magie Bescheid.
Und Arlington würde Kieran und mich beschuldigen, uns verplappert zu haben.
»Komm, gehen wir uns unseren Anschiss abholen.« Kieran hatte offensichtlich denselben Gedanken, als er mir meine Jacke reichte und wir uns auf den Weg zur Akademie machten.
Hand in Hand liefen wir durch die Straßen des Begabtenviertels. Seit unserer Rückkehr hatte sich viel verändert. Leute erkannten uns auf der Straße, gratulierten uns oder stellten Fragen. Arlington hatte unsere neue Beliebtheit schamlos ausgenutzt und uns so oft wie möglich vor Kameras gezerrt.
»Die Leute lieben Helden«, hatte Kierans Vater, General Namara, uns erklärt. »Für die Nicht-Begabten sind wir ein Mysterium. Sie wissen, dass wir ihnen nicht alles sagen. Ihr stärkt ihr Vertrauen in uns.«
Diese Worte hatten mich sehr viel mehr zur Kooperation bewegt als Arlingtons: »Das ist Ihr verdammter Job, Williams.«
Kieran ließ meine Hand los, doch nur, um den Arm um mich zu legen und mich näher an sich zu ziehen. »Ich wünschte, sie würden aufhören zu glotzen.«
Die meisten Begabten starrten uns unverhohlen an, schließlich waren wir das einzige gemischte Begabten-Paar, das einen gemeinsam Rausch gemeistert hatte. Doch heute waren die Blicke anders, besorgt, beinahe misstrauisch. Niemand hatte uns breit angelächelt oder gratuliert. Dank der Cores verbreiteten sich Neuigkeiten in rasender Geschwindigkeit. Jeder, der uns entgegenkam, wusste bereits, dass wir ihnen etwas verschwiegen hatten. Jetzt wollte ich noch mehr wissen, was in der Nachrichtensendung besprochen worden war, nachdem Kieran den Fernseher ausgeschaltet hatte. Gaben sie uns die Schuld?
Wir erreichten die Akademie und machten uns auf den Weg zu Arlingtons Büro im Trakt der Medien.
»Oh gut, Sie sind da.« Miss Barnes, Arlingtons Assistentin, atmete erleichtert auf, als wir das Vorzimmer betraten. »Kommen Sie, er wird sonst nur noch wütender.«
Ich verzog das Gesicht.
»Auf in den Kampf«, flüsterte Kieran mir zu, bevor er das Büro betrat.
Mit einem Seufzen folgte ich ihm.
Arlington erwartete uns bereits, die Hände auf seinen riesigen dunklen Schreibtisch gestützt, das Gesicht rot vor Wut. Während im Büro der Rektorin, Professor Hanks, die Porträts ihrer Vorgänger hingen, zierten Arlingtons Büro zahlreiche Urkunden und eingerahmte Artikel über seine Leistungen. Das einzige Porträt zeigte ihn selbst.
Ansonsten befand sich noch General Namara im Raum, der die Arme vor der Brust verschränkt und die Lippen fest aufeinandergepresst hatte. Vermutlich war sein Gespräch mit Arlington nicht sonderlich produktiv verlaufen.
»Haben wir das Ihnen zu verdanken?« Arlington zeigte auf den großen Bildschirm an der Wand links von seinem Schreibtisch. Dort lief die Gesprächsrunde mit dem angeblichen Experten für Magie, die vorhin angekündigt worden war, doch da der Ton ausgeschaltet war, erfuhr ich wieder nichts über das Besprochene.
»Natürlich nicht«, antwortete ich hastig.
Arlington hob die Augenbrauen. »Und das soll ich Ihnen glauben? Nur eine Handvoll Leute wusste darüber Bescheid.« Handvoll war übertrieben. Nachdem in New Mexico unsere Waffen manipuliert worden waren, hatte sich die Existenz der dunklen Magie im Lager herumgesprochen, auch wenn wir es niemandem direkt auf die Nase gebunden hatten. Doch die Alchemisten und Krieger hatten es verdient gehabt, davon zu erfahren. Immerhin hatten sie dagegen kämpfen müssen. Immerhin waren sie dafür gestorben. So wie Kyle. Kierans Cousin. Sein bester Freund, der sich für unseren Erfolg geopfert hatte.
Doch nach unserer Rückkehr hatte Arlington uns angeschrien, was wir uns dabei gedacht hatten, und sämtliche Teilnehmer der Mission eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen lassen.
»Und was genau sollten wir davon haben, die Stadt in Panik zu versetzen?« Wie sein Vater verschränkte Kieran die Arme vor der Brust.
Arlington richtete sich auf. »Sie haben durch ihre kleine Heldentat am Ruhm geschnuppert und jetzt wollen Sie mehr davon.«
»Ich hätte nichts gegen weniger Aufmerksamkeit«, teilte ich ihm mit. »Sie waren es, der uns in den letzten Wochen zu einem Haufen Interviews geschickt hat. Wir wollen nur unsere Ruhe haben.«
Arlington gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Darauf können Sie lange warten. Die Presseabteilung hat bereits ein Dutzend Interviewanfragen bekommen. Nehmen wir an, ich würde Ihnen glauben, dass diese Katastrophe nicht auf ihre Kappe geht …«
»Haltlose Anschuldigungen bringen uns nicht weiter, Arlington«, unterbrach General Namara ihn. »Die Krieger werden dem Informationsleck in Zusammenarbeit mit der Polizei nachgehen. Bis wir Ergebnisse haben, sollten wir uns auf Schadensbegrenzung konzentrieren.«
»Ihre sogenannten Ermittlungen beruhigen mich ganz und gar nicht. Immerhin ist Ihr Sohn einer der Verdächtigen.«
General Namaras Stimme war vollkommen ruhig, als er antwortete. Trotzdem war die Drohung darin unüberhörbar. »Abgesehen davon, dass die Polizei die Untersuchung leitet, lasse ich mir nicht vorwerfen, parteiisch zu sein. Kommen Sie endlich zum Punkt, sonst werde ich meine Zeit nicht weiter an Sie verschwenden.«
»Wie können Sie es wagen …«, setzte Arlington an, doch der General unterbrach ihn.
»Ich kann und ich werde. Ich bin der oberste Befehlshaber der Streitkräfte Kingstons. Vergessen Sie das nicht.«
Ein paar Sekunden lang starrte Arlington ihn an, dann schien er kleinbeizugeben und wandte sich uns zu.
»Sie haben gleich ein Interview mit Channel One. Das oberste Ziel lautet Schadensbegrenzung. Sie erzählen, dass Sie zwar gegen die dunkle Magie gekämpft haben, aber nichts über sie wissen. Erinnern Sie die Leute daran, dass wir alles tun, um die Bürger zu schützen. Dass wir sie nicht mit unvollständigen Informationen beunruhigen wollten. Verstanden?«
Kieran und ich nickten.
»Keine Alleingänge, keine dramatischen Geschichten. Und jetzt machen Sie sich auf den Weg zur Presseabteilung, damit Sie zurechtgemacht werden.«
Kieran griff nach meiner Hand und zog mich aus dem Raum, bevor ich etwas erwidern konnte.
»Kieran, Miss Williams.« General Namara hatte ebenfalls die Gelegenheit genutzt, zu verschwinden. »Niemand außer Arlington denkt ernsthaft, dass ihr etwas damit zu tun habt. Das ist nicht das erste Mal, dass die Bürger schlecht auf uns zu sprechen sind, aber wir werden die Situation in den Griff bekommen.« Er sah sich im Gang um. Während er in Arlingtons Büro vollkommen ruhig gewesen war, wirkte er jetzt angespannt.
Kieran nickte. »Danke, Vater.«
»Und denkt daran, dass ihr zum Abendessen eingeladen seid.« Jetzt schenkte General Namara mir ein Lächeln, das nicht sehr überzeugend ausfiel. Zu deutlich war die Sorge in seinem Blick. »Meine Frau freut sich darauf.«
Kierans Mutter hatte die letzten Wochen in Onlinekonferenzen verbracht. Einmal im Jahr trafen sich Stellvertreter der Begabten aus den verschiedenen Ländern, um sich auszutauschen. Über die Bestien, Fortschritte im Kampf gegen sie, Waffen, Gegenmittel und Vorhersagen.
Colonel Namara hatte dort die Krieger der Nordamerikanischen Fraktion vertreten. Doch nach dem Tod ihres Neffen hatte sie sich entschuldigen lassen, um bei Kyles Beerdigung dabei sein zu können.
Kieran schnaubte verächtlich. »Wer’s glaubt, wird selig. Erinnere sie daran, dass ich mit Liana abhaue, sobald sie gehässig wird.«
General Namara seufzte. »Ich richte es aus. Bis heute Abend.« Damit wandte er sich ab und ging davon.
»Immerhin scheint eins deiner Elternteile kein Problem mehr mit mir zu haben«, sagte ich lahm. Seit wir aus New Mexico zurück waren, verhielt sich General Namara mir gegenüber viel freundlicher und auch mit seinem Sohn ging er anders um. Kyles Tod hatte ihn daran erinnert, wie leicht er ihn verlieren konnte.
Kieran schüttelte den Kopf. »Mutter war immer die härtere Nuss, aber darauf kann ich mich gerade nicht konzentrieren.«
Ich folgte ihm den Gang entlang in Richtung der Presseabteilung. Mir graute vor dem Abendessen. Noch mehr als vor den Interviews.
Gemeinsam betraten wir das Büro des Pressesprechers der Akademie, ein Medium, weswegen er immer zu wissen schien, welche Fragen uns gestellt werden würden.
»Kieran, Liana.« Don schenkte uns zur Begrüßung ein Lächeln. »Gut, dass ihr da seid. Setzt euch. Kurzes Briefing.«
Ich ließ mich auf einen der beiden Stühle vor seinem Schreibtisch sinken und griff nach Kierans Hand, als dieser sich neben mich setzte.
»Die Fragen sind so offensichtlich, dass ihr mich gar nicht braucht. Was ist die dunkle Magie, wie gefährlich ist sie, warum wurde sie den Bürgern verschwiegen«, leierte er herunter. »Die Klassiker.«
Ich runzelte die Stirn. Dons Gesicht war so ausdruckslos, dass ich nicht einschätzen konnte, ob er einen unglaublich trockenen Humor hatte oder gar keinen.
»Noch irgendetwas, das wir wissen sollten?«, fragte Kieran.
Don sah zwischen uns hin und her. »Seid bescheiden, entschuldigt euch dafür, dass diese Information verschwiegen wurde, und betont, dass wir kaum etwas über die dunkle Magie wissen.«
»Aber es war nicht unsere Entscheidung, das Ganze zu verschweigen«, warf ich ein.
»Das ist egal.« Don verschränkte die Hände auf dem Tisch und lehnte sich vor. »Für die Bürger sind wir Begabten alle eine Einheit.« Seit ich im Begabtenviertel lebte, vergaß ich oft, wie wenige es von uns gab. Kingston hatte fast eine Million Einwohner, davon waren etwa zehntausend Begabte und das, obwohl unsere Akademie die größte des Kontinents war. Davon musste man noch die Krieger abziehen, die auf Außeneinsätzen waren, so wie unsere Mission in New Mexico.
»Also will Arlington uns die Schuld dafür geben«, schlussfolgerte Kieran.
»Mit dieser Taktik wäre er erfolgreicher, wenn er sich dümmere Opfer gesucht hätte.« Diesmal erkannte ich ein leichtes Lächeln auf Dons Gesicht. Die Medien waren gespalten, was ihr Oberhaupt anging. Arlington war nur mit einer knappen Mehrheit wiedergewählt worden und Don schien zu seinen Kritikern zu gehören. »Trotzdem müsst ihr vorsichtig sein. Wir müssen eine vereinte Front bilden, um das Vertrauen der Bevölkerung in uns zu stärken.«
»Wir werden uns zusammenreißen«, versprach ich, denn Don hatte recht. Arlington hatte viele Fehler, aber wenn wir ihm in den Rücken fielen, richteten wir mehr Schaden als Nutzen an.
»Wann stehen die nächsten Wahlen des Rats der Medien an?«, fragte Kieran. »Nur damit ich weiß, wie lange wir uns mit ihm herumschlagen müssen.«
»Er wurde erst letztes Jahr wiedergewählt, Kieran«, erinnerte Don ihn. »Das solltest du eigentlich mitbekommen haben.«
Kieran zuckte mit den Achseln. »Wieso sollte ich mich mit Wahlen beschäftigen, an denen ich nicht teilnehmen kann?«
Nur Medien wählten den Rat der Medien, genau wie die Alchemisten unseren Rat wählten. Die Krieger dagegen waren militärisch organisiert, durch Beförderung stieg man in den Rängen auf. Ihr Rat bestand aus den Generälen der jeweiligen Akademiestädte, geführt vom obersten Befehlshaber.
»Weil die Räte ein wichtiger Teil unserer Regierung sind, und jetzt habe ich keine Lust mehr auf sinnlose Diskussionen. Ab in die Garderobe.« Er zeigte auf eine Tür auf der anderen Seite des Raumes. »Ihr kennt den Ablauf.«
Kieran verdrehte die Augen. Eigentlich waren wir davon ausgegangen, dass die Zeiten, in denen andere bestimmten, was wir tragen sollten, lange vorbei waren.
Meine Stylistin Sadie drückte mir eine weiße Bluse in die Hand, sobald ich die Garderobe betrat.
Kritisch betrachtete ich die Rüschen auf der Vorderseite. »Ernsthaft?«
»Weiß ist die Farbe der Unschuld, Schätzchen«, erklärte sie mir, bevor sie mich zur Umkleide zog, »hier ist noch eine Hose dazu und Pumps. In dreckigen Turnschuhen kannst du dich da nicht sehen lassen und jetzt Abmarsch.«
Missmutig schlüpfte ich aus meinen Sneakern und zog das Outfit an. Business Casual nannte Sadie den Stil, den sie mir aufgedrückt hatte. Definitiv nicht ich wäre eine bessere Beschreibung.
Wie so oft war ich neidisch auf Kieran, der einfach seine Kriegeruniform tragen konnte. Er sollte stark wirken, immer zum Kampf bereit, hatte sein Stylist Peter uns erklärt. Und für diese glorreiche Beratung wurde er sogar bezahlt.
»So sieht man deine Brosche nicht richtig.« Sadie wühlte in den Rüschen nach meiner Alchemistenbrosche und steckte sie über dem Stoff wieder fest. Ich verkniff mir einen Kommentar, inzwischen wusste ich, dass meine Meinung hier nicht viel zählte.
Erst, als Sadie und Peter uns perfekt frisiert und geschminkt hatten, durften wir uns auf den Weg in das kleine Studio ein paar Räume weiter machen. Bis vor ein paar Wochen hatte ich keine Ahnung gehabt, dass die meisten Interviews mit dem Rat oder anderen hochrangigen Begabten direkt in der Akademie aufgenommen wurden.
»Liana, Kieran, setzen Sie sich.« Darla strahlte uns mit ihren unnatürlich weißen Zähnen an. Sie war bereits Nachrichtensprecherin bei Channel One, seit ich ein Baby war. Inzwischen tat sie alles dafür, dass man ihr das nicht ansah. Sie hatte bereits mehrere Facelifts hinter sich. Vermutlich sehr teure, da es nur auffiel, weil sie manchmal nach einem Urlaub deutlich jünger aussah als zuvor.
Zielstrebig ging ich auf den Stuhl zu, auf den sie gezeigt hatte. Auch wenn ich während der letzten Wochen ständig gezwungen worden war, Absätze zu tragen, sicher fühlte ich mich auf ihnen nicht.
Kieran nahm neben mir Platz.
»Bereit?«, fragte Darla und nickte der Kamerafrau zu, bevor wir antworten konnten. Am Anfang hatte mich ihre übertrieben freundliche Art aus dem Konzept gebracht. Ich war mir sicher gewesen, dass sie nur so tat und uns in Wahrheit hasste. Inzwischen wusste ich, dass sie kein Problem mit uns hatte. Sie übertrieb nur alles fürs Fernsehen. Anscheinend kam das besser bei den Leuten an.
»Wir schalten übrigens live«, teilte Darla uns mit, während die Kamerafrau den Countdown zählte. »Damit die Bürger uns nicht vorwerfen können, dass die Akademie nachträglich etwas streicht.« In diesem Moment gab die Kamerafrau ihr ein Zeichen und Darla setzte ihr strahlendes Lächeln auf.
Kieran und ich wechselten einen Blick. Diese Information hätte ich gern vorher gehabt. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, bevor ich ein Lächeln auf mein Gesicht zwang. Kieran griff nach meiner Hand. Er war genauso nervös wie ich.
»Danke, Paul. Herzlich willkommen, Nordamerika. Ich sitze hier mit Kingstons berühmtesten Begabten, Liana Williams und Kieran Namara.«
Ich schaffte es, ein »Hallo« hervorzubringen, das nicht allzu zittrig klang. Kieran nickte nur. Die Rolle des stoischen, wortkargen Kriegers spielte er ausgesprochen gut.
»Heute haben uns Nachrichten erreicht, die ganz Nordamerika in Aufregung versetzt haben«, spulte Darla ihren Text ab. »Die Akademie hat es Ihnen überlassen, dazu Stellung zu nehmen, denn laut ihrer Aussage kennen Sie sich am besten damit aus. Also, Liana, Kieran, gibt es die dunkle Magie?«
»Ja.« Meine Stimme klang viel zu schwach. Ich räusperte mich. »Ja, es gibt die dunkle Magie.«
Darlas Lächeln verrutschte. Es war das erste Mal, dass ich sie aus dem Konzept gebracht hatte. »Wow, wenn ich ehrlich bin, habe ich eine andere Antwort erwartet. Oder besser gesagt erhofft. Es gibt wirklich dunkle Magie?«
»Ja«, bestätigte ich erneut. »Die dunkle Magie gibt es, seit es die Magie – die gute Magie – gibt. Sie hat sich uns nur nie gezeigt. Sie erschafft die Bestien, während die gute Magie uns die Gaben geschenkt hat und uns hilft, gegen sie zu kämpfen.«
Darla zog die Augenbrauen hoch. »Heißt das, wir müssen keine Angst vor ihr haben?«
»Nein«, widersprach ich sofort. »Die dunkle Magie will uns schaden. Was ich sagen wollte, ist, dass sie das schon immer wollte. Die gute Magie beschützt uns seit einem Jahrhundert. Das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass wir jetzt wissen, dass es zwei unterschiedliche Arten der Magie gibt.« Und dass sie uns Begabte während des Rauschs töten konnte. Die Bevölkerung wusste nicht, dass das der Grund war, warum Alchemisten bei der Synthese des Schuppenmittels gestorben waren. Sie dachten, die Synthese selbst wäre gefährlich gewesen.
»Ist das wirklich Ihre Ausrede, warum Sie die Bürger nicht darüber informiert haben? Es hat sich nichts geändert?« Darla führte ihre Interviews stets direkt, aber so aggressiv hatte ich sie noch nicht erlebt.
Kieran drückte meine Hand, als spürte er, dass ich einen Schubs brauchte.
»Es war nicht unsere Entscheidung, der Öffentlichkeit die dunkle Magie zu verschweigen.« Ich musste vorsichtig sein. Zwar wollte ich nicht als Sündenbock herhalten, aber Don hatte recht. Wenn ich nicht aufpasste, konnte ich viel Schaden anrichten. »Wir haben nicht genug Erfahrung, um so eine Entscheidung treffen zu können, und wir können auch nicht in die Zukunft sehen. Die Medien wollten verhindern, dass die Bürger mehr Angst haben müssen als nötig. Ich bin mir sicher, dass sie die Informationen bekannt gegeben hätten, sobald es notwendig gewesen wäre.« Ich hielt kurz inne, während ich überlegte, wie ich den Menschen zum Abschluss etwas Hoffnung geben konnte. Wie ich ihnen klarmachen konnte, dass wir weiter für sie kämpften. »Unser Sieg über die Riesenwarane hat die dunkle Magie geschwächt. Wir werden die Zeit nutzen, um so viel wie möglich über sie herauszufinden, damit wir so gut wie möglich vorbereitet sind, wenn sie wieder angreift.«
»Also glauben Sie, dass sie wieder angreifen wird?«, hakte Darla nach.
Kieran gab ein verächtliches Schnauben von sich. Normalerweise hielt er sich in den Interviews zurück. Sein Zynismus machte ihn laut Don nicht zum Sympathieträger. Aber manchmal konnte er nicht anders. »Natürlich wird sie das. Das tut sie seit hundert Jahren.«
»Sind die Begabten auf diese Bedrohung vorbereitet?«
Ich sah zu Kieran. Waren wir das?
»Die gute Magie wird uns leiten.« Kierans Blick war entschlossen, dabei wusste ich, dass er zweifelte. Genau wie ich. Wir beide hatten bei unserem Kampf gegen die Warane erkannt, wie abhängig wir von der Magie waren und dass sie nicht unfehlbar war. Sie hatte nicht alle retten können. Und die Entscheidung, wen sie retten würde, traf sie über unsere Köpfe hinweg. Aber wir konnten nicht offen sagen, wie unglaublich machtlos die Begabten waren. Die Bürger Nordamerikas verließen sich auf uns.
»Du bist wunderschön.« Kieran küsste mich auf die Wange. »Können wir jetzt endlich los?«
»Du hast hier nichts zu melden, Namara.« Charlotte schob ihn von mir weg und machte sich wieder an meinen Haaren zu schaffen.
Nach dem Interviewmarathon heute Nachmittag wollte ich nur noch ins Bett, doch das Abendessen mit Kierans Eltern konnten wir nicht absagen. Auf keinen Fall wollte ich seiner Mutter einen weiteren Grund geben, mich zu hassen. Also hatte ich Charlotte die Aufgabe übertragen, meine schwarzen Locken zu bändigen. Normalerweise schlang ich sie immer zu einem unordentlichen Dutt, damit sie mir im Labor nicht ins Gesicht hingen. Jetzt fielen sie in sanften Wellen über meinen Rücken und abschließend steckte mir Charlotte gerade ein paar Strähnen nach hinten.
»Meine Mutter kann es nicht ausstehen, wenn wir zu spät kommen, und das wird sie an Liana auslassen.«
»Hör nicht auf ihn«, empfahl Charlotte mir, »er hat keine Ahnung.«
Kieran öffnete den Mund, doch ich hob abwehrend die Hände. »Könnt ihr einfach ruhig sein? Ich bin schon nervös genug.«
Man sollte meinen, nachdem ich mich den Riesenwaranen gestellt hatte, machte mir nichts mehr Angst. Von wegen. Evangeline Namara ließ mich erzittern.
Als Kieran und ich später die Eingangshalle betraten, starrte seine Mutter mich so abschätzend an, dass ich am liebsten direkt wieder gegangen wäre.
Die Villa der Namaras war noch pompöser, als ich erwartet hatte. Von der hohen Decke hing ein riesiger Kronleuchter. In der Mitte des Raumes führte eine große geschwungene Treppe mit goldenem Geländer in den ersten Stock. An den Wänden hingen Ölporträts einiger Männer und Frauen in Kriegeruniform, dazwischen auch ein paar von Kieran und seinen Eltern. Auf dem ersten war er noch ein Baby, während er im Verlauf der Bilder immer älter wurde.
Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie fehl am Platz ich mich fühlte, doch Evangeline schenkte mir ohnehin kaum Beachtung.
»Kieran, wie schön, dich zu sehen.« Sie ging an mir vorbei, als wäre ich Luft, legte Kieran die Hände auf die Schultern und küsste ihn auf beide Wangen.
»Mutter«, brummte er als Antwort. »Ich bin nicht allein gekommen.«
Sie ließ von ihm ab. Ihre braunen Augen scannten meinen Körper ab, als würde sie sich ihre Meinung anhand meines Outfits bilden. Jetzt war ich Charlotte noch dankbarer für ihre Hilfe. Sie hatte mich in ein elegantes dunkelblaues Etuikleid gesteckt, das sie extra für mich gekauft hatte. Ich hätte mir ein Kleid von ihr geliehen, doch sie hatte mir den Vogel gezeigt. Zum einen war Charlotte ein gutes Stück größer als ich, zum anderen, was wenn Evangeline erkannt hätte, dass es ihr Kleid war?
Evangeline dagegen trug ein weißes Businesskostüm und dunkelroten Lippenstift, was ihre helle Haut betonte. Ihre blonden Locken fielen ihr über die eine Schulter. Sie sah aus wie eine High Society-Dame, nicht wie eine Kriegerin. Doch sie stammte aus einer alten, einflussreichen Begabtenfamilie, genau wie ihr Mann. Das erste Mal hatte ich sie auf Kyles Beerdigung vor ein paar Tagen getroffen, dort hatte sie wie alle Krieger ihre schwarze Uniform getragen. Trotz des Anlasses hatte sie damals irgendwie nahbarer gewirkt.
»Schön, Sie zu sehen, Liana«, sagte sie. Genau wie bei der Beerdigung ignorierte sie mich so gut sie konnte.
Dieses Abendessen war die Idee ihres Mannes gewesen, der versuchte, eine bessere Bindung zu seinem Sohn aufzubauen. Im Gegensatz zu den anderen Kriegern hatte General Namara auf Kyles Beerdigung das erste Mal menschlich gewirkt. Hinter der Fassade des ehrgeizigen Generals steckte ein Mann, der nur seine Familie beschützen wollte.
Evangeline führte uns durch die Eingangshalle, an der großen Treppe vorbei. Die Absätze, zu denen Charlotte mich genötigt hatte, klackten laut auf dem hellen Marmorboden, während ich mich staunend umsah. Das Haus wirkte eher wie ein Museum. An der Wand standen antike Kommoden und Vasen, alle bestückt mit frischen Blumen. Schnittblumen waren teuer, seit ihre Anzucht eingeschränkt worden war, um dem Lebensmittelanbau mehr Raum zu geben.
»Wir schaffen das«, flüsterte Kieran mir zu. Er drückte meine Hand eisern, seit wir das Haus betreten hatten. Vielleicht musste er sich an mir festhalten.
»Wir haben die Warane besiegt, da kann deine Mutter nicht so schlimm sein.« Ich wollte nicht zugeben, wie sehr ich wollte, dass seine Mutter mich akzeptierte. Denn egal, was Kieran sagte, es würde unsere Beziehung belasten, wenn sie mich weiterhin hasste.
»Das ist die richtige Einstellung.«
Ein riesiger Tisch, ebenfalls voller Blumengestecke, nahm das Esszimmer ein, doch nur vier Plätze in der Mitte waren eingedeckt. Hinter einem dieser Stühle wartete General Namara, diesmal im Anzug statt in Uniform, und bedeutete uns, sich zu setzen. »Liana, Kieran, schön, euch zu sehen.«
Auch Kieran trug einen Anzug, was ihm ausgesprochen gut stand. Das maßgeschneiderte Jackett betonte seine breiten Schultern und muskulösen Arme. Auf eine Krawatte hatte er trotz Charlottes Protest verzichtet und den obersten Hemdknopf offengelassen.
Kieran zog einen Stuhl vom Tisch weg und bot mir den Platz an.
»Immerhin hast du nicht all deine Manieren vergessen.« Evangeline ließ sich gegenüber von uns neben ihrem Mann nieder und gab einem Diener, der sich unauffällig im Hintergrund aufhielt, ein Zeichen. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie merkwürdig Bedienstete auf mich wirkten.
»Normalerweise haben wir nur eine Haushälterin«, flüsterte Kieran mir zu. »Mutter stellt für Veranstaltungen mehr Leute ein, um Eindruck zu schinden.«
Ich runzelte die Stirn. Wieso wollte Evangeline Namara bei mir Eindruck schinden?
»Kieran, ich bitte dich.« Evangeline faltete ihre Serviette auf und platzierte sie auf ihrem Schoß. »Musst du unsere Familienangelegenheiten hier so breittreten?«
Kieran schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. »Ja, Mutter.«
Sein Vater legte Evangeline eine Hand auf den Arm und sah sie eindringlich an. Sie seufzte, schwieg aber.
General Namara wandte sich wieder Kieran und mir zu. »Wie waren die Interviews?«
Sein Sohn zuckte mit den Achseln. »Ganz okay. Liana hatte wie immer kluge Antworten parat, aber ich glaube, die Leute haben trotzdem Angst. Verständlicherweise.«
Ich versuchte, am Gespräch teilzuhaben, doch Evangelines prüfender Blick brachte mich ständig aus dem Konzept. Mir kam es so vor, als würde sie jedes meiner Worte analysieren.
»Was sind Ihre Ambitionen, Liana?«, fragte sie ohne Vorwarnung.
Ich blinzelte. »Ambitionen?«
Sie lehnte sich vor, stützte den Ellbogen auf den Tisch und fuchtelte kurz mit der Hand. »Ihre Karriereziele. Kieran hat eine große Zukunft vor sich. Er ist sehr talentiert und braucht jemanden, der ähnliche Ziele hat. Jemanden, der ihn bei seinem Erfolg unterstützt. Also?«
Kieran gab ein genervtes Stöhnen von sich. »Mutter, bitte lass den Unsinn.«
Doch ich wollte nicht, dass seine Mutter dachte, ich sei schwach, also nahm ich die Schultern zurück und streckte den Rücken durch. »Natürlich unterstütze ich Kieran. Wir haben zusammen bereits einiges durchgemacht.«
Evangeline hob die Augenbrauen. »Immerhin sind Sie kein Feigling, aber ich bezweifle, dass Sie die Richtige für meinen Kieran sind.«
»Davon kann ich Sie nicht abhalten«, entgegnete ich, »genauso wenig, wie Sie mich davon abhalten können, mit Ihrem Sohn zusammen zu sein.«
General Namara räusperte sich, versuchte dadurch, sein Lächeln zu unterdrücken. »Gut, da wir das geklärt haben, könnten wir mit dem Essen anfangen?«
Seine Frau und er wechselten einen langen Blick, als lieferten sie sich einen stummen Kampf. Vermutlich hatten sie im Vorhinein besprochen, wie sie sich heute verhalten wollten. Offensichtlich waren sie sich nicht einig geworden.
Schließlich nickte Evangeline und die Diener servierten den ersten Gang. Es war der hübscheste Salat, der mir je vorgesetzt worden war. Die Radieschen waren zu Rosen geschnitzt, die Karotten zu kunstvollen Spiralen. Das Ganze war mit bunten Blumen dekoriert. So viel Arbeit, für eine simple Vorspeise.
Die Stimmung blieb jedoch angespannt. Evangeline sagte wenig, während ihr Mann Kieran und mir Fragen zu den heutigen Interviews stellte, dabei war ich mir sicher, dass er sie alle mitverfolgt hatte.
Auch beim nächsten Gang hatten die Köche ein Kunstwerk geschaffen, die Kartoffeln waren perfekt um das Steak drapiert. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass es sich hier um echtes Fleisch handelte, obwohl das ein Vermögen gekostet haben musste. Bei uns zu Hause gab es immer synthetisches Fleisch, was geschmacklich sehr ähnlich, aber viel billiger war. Der Gedanke daran, dass für mein Abendessen ein Tier gestorben war, war mir unangenehm, doch ich beschwerte mich nicht. Seit dem Verbot der Massentierhaltung und den damit einhergehenden Reformen der Viehhaltung, ging es den Tieren gut, bevor sie geschlachtet wurden. Außerdem wollte ich die Namaras nicht beleidigen.
Erst, als das Gespräch auf Charlotte kam, mischte Evangeline sich wieder ein. »So ein talentiertes Mädchen. Was soll jetzt noch aus ihr werden?«
»Ihrem Arm geht es schon viel besser. Außerdem ist sie schlau und ehrgeizig. Sie wird sich nicht unterkriegen lassen«, antwortete Kieran, ohne von seinem Steak aufzusehen.
Da musste ich ihm recht geben. Charlotte hatte sich mit Feuereifer in ihre Reha gestürzt. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass es ihre Art war, Kyles Tod zu verdrängen, nachdem er sich für sie geopfert hatte. Er hatte sich zwischen sie und einen Waran gestellt, obwohl er gewusst hatte, dass seine Munition nutzlos war. Auf seiner Beerdigung hatte Charlotte keine Träne vergossen. Tränen bedeuteten Schwäche. Doch sie hatte fast wie ein Geist gewirkt, so bleich und abwesend. Als würde ein Windstoß ausreichen, um sie davonzuwehen.
Evangeline kräuselte die Lippen. »Mag sein, aber es wird nicht die Karriere sein, die ihre Eltern für sie geplant haben. Und jetzt hat sie auch keine Chance mehr, eine gute Partie zu finden.«
Mir klappte fast die Kinnlade herunter. »Nur, weil sie ihren Arm nicht mehr richtig bewegen kann?« Kyle hatte zwar den Großteil des Prankenhiebs auf sich genommen, die messerscharfen Krallen hatten Charlottes Arm dennoch zerfetzt. Die Wunde war bis auf den Knochen gegangen, die Muskelstränge an mehreren Stellen durchtrennt gewesen.
Ich wusste, dass die alten Begabtenfamilien Liebe als zweitrangig ansahen, trotzdem klang Evangelines Urteil für mich zu harsch. Außerdem stand noch nicht fest, wie groß die bleibenden Einschränkungen sein würden.
Evangeline zuckte mit den Achseln. »Sie kann ihre starke Gabe an ihre Kinder weitergeben, aber ihre Karriere wird sich nicht von ihrer Verletzung erholen. So ist das eben.«
»Charlotte wird sich davon nicht aufhalten lassen.« Entschlossen sah Kieran seiner Mutter in die Augen. »Du bist nur wütend, weil wir deine Pläne durchkreuzt haben.«
Evangelines braune Augen verengten sich. »Du weißt genau, warum es diese Pläne gab. Du bist ein Namara, einer der talentiertesten Kämpfer deines Jahrgangs, auf dir lasten große Erwartungen, um halbwegs sicher zu leben. Krieger in niedrigen Positionen sterben früh, Kieran. Vergiss das niemals.« Je höher man aufstieg, desto seltener stand man an vorderster Front.
»Wie könnte ich?« Auf Kierans Gesicht mischten sich Wut und Schmerz, grimmig verzog er den Mund. »Gerade jetzt. Aber wir haben eine der gefährlichsten Bestien besiegt. Liana und ich haben das Mittel gegen sie entwickelt. Gemeinsam. Wir sind die Ersten seit Jahrzehnten, die den gemeinsamen Rausch gemeistert haben. Wie kommst du darauf, dass ich an ihrer Seite schwach bin?«
»Es geht hier um Politik, Kieran.« Evangeline reckte das Kinn vor und strich sich eine Locke aus der Stirn. »Glaubst du wirklich, du wirst erfolgreicher, wenn die Frau an deiner Seite eine von denen ist, die sich in ihrem Labor verstecken?«
Unter dem Tisch griff ich nach seiner Hand. Sie zitterte vor unterdrückter Wut. »Liana war bei allem dabei, Mutter. Sie hat mir das Leben gerettet. Ohne sie hätte die Warankönigin mich fertig gemacht. Wag es also nicht, die Arbeit der Alchemisten kleinzureden. Ohne ihre Waffen hätten wir keine Chance und auch viele von ihnen sind bei dieser Mission gestorben.«
Sie öffnete den Mund, doch bevor sie antworten konnte, legte General Namara ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir sollten das Thema wechseln.«
Seine Frau wandte sich zu ihm. »Warum stellst du dich immer auf seine Seite, Arthur?«
»Er ist erwachsen und kann seine eigenen Entscheidungen treffen, Evangeline. Das müssen wir lernen zu akzeptieren.« Ich hatte das Gefühl, dass er diese Lektion in den letzten Wochen bereits verstanden hatte.
»Ich will nur das Beste für ihn.« In Evangelines Stimme lag ein flehender Unterton.
Ihr Mann sah sie ein paar Sekunden lang an, bevor er antwortete. »Hab ein bisschen mehr Vertrauen in ihn. Er weiß, was er tut.«
Damit war das Gespräch beendet. Für den Rest des Abends stocherte sie schweigend in ihrem Nachtisch herum, als bereute sie es zutiefst, dass sie ihn hatte servieren lassen. Es gab Schokoladenmousse. Kierans Lieblingsnachtisch, wie sein Vater mir erklärte.
Ich war heilfroh, als wir endlich nach Hause konnten.
Kieran legte den Arm um mich, sobald die große Eingangstür hinter uns ins Schloss fiel. »Sie wird noch eine Weile brauchen, bis sie dich akzeptiert. Ihr fällt es schwer, Pläne aufzugeben. Sie hat nichts gegen dich persönlich.«
»Lass uns bitte nicht weiter darüber reden.« Evangeline war ehrgeizig. Sie hatte sich den ältesten Sohn der mächtigsten Begabtenfamilie geschnappt. Natürlich wollte sie, dass ihr Sohn ihr nacheiferte.
Kieran seufzte, zog mich näher zu sich heran und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. »Wie wäre es, wenn wir stattdessen über eine andere grauenhafte Pflichtveranstaltung reden?«
Ich senkte den Kopf, während wir den Schatten zwischen zwei Straßenlaternen durchquerten. Hinter uns erloschen einige der Lichter wieder. Um Energie zu sparen, waren sie an Bewegungsmelder gekoppelt.
»Darüber willst du auch nicht reden?«, unterbrach Kieran meine Grübelei.
»Doch, schon okay«, murmelte ich, »auch wenn ich mich nicht darauf freue.« Morgen würde es eine Zeremonie zu Ehren der gefallenen Krieger und Alchemisten geben. Man hatte den Familien Zeit gelassen, allein zu trauern, doch nun sollte eine große Show veranstaltet werden. Um die Gefallenen zu Helden zu erheben, damit jedes Kind weiterhin davon träumte, sich für den Kampf gegen die Bestien zu opfern.
»Das Letzte, was ich jetzt will, ist weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung.« Kierans Finger gruben sich in meine Schulter, nicht schmerzhaft, dennoch spürte ich seine Anspannung.
»Kyle würde wollen, dass du sein Opfer feierst.« Es fiel mir schwer, die Worte über die Lippen zu bringen. Jedes Mal, wenn ich seinen Namen sagte, erinnerte ich mich an den Kampf, den ich durch Kierans Augen verfolgt hatte. Kyle, das Gesicht blutüberströmt, die Augen weit aufgerissen, die Brust zerfetzt. Jedes Mal spürte ich Kierans Schmerz und Verzweiflung, die mich übermannt hatten.
»Weil der Idiot die Scheiße geglaubt hat, die die Begabtenräte verzapfen. Dass es eine Ehre ist, im Kampf gegen die Bestien zu sterben. Als hätte unser Leben nur dann einen Wert, wenn wir es verlieren. Wenn er vorsichtiger gewesen wäre, dann wäre er vielleicht noch bei uns.«
»Und Charlotte wäre vielleicht tot«, erinnerte ich ihn.
Er blieb stehen, wandte sich zu mir und schlang die Arme um mich.
»Das macht es nicht einfacher.« Seine Stimme klang erstickt. Ich ließ ihn den Kopf an meiner Schulter vergraben. Eine Weile lang standen wir nur so da, in der Stille der Nacht, während Kieran versuchte, seine Trauer zu verarbeiten. Ich konnte seinen Schmerz nicht lindern, doch ich redete mir ein, dass meine Umarmung wenigstens half. Ein Windstoß fuhr mir durchs Haar und wirbelte die Locken durcheinander, die Charlotte so sorgsam arrangiert hatte. Langsam wurden die Nächte kälter. Wenn Kieran mich nicht gewärmt hätte, hätte ich wohl gezittert.
Schließlich richtete er sich wieder auf. Der Schmerz verdunkelte seine blauen Augen.
»Er ist nicht der Erste, den ich so verloren habe, und das Schlimmste ist, dass er nicht der Letzte sein wird. Am liebsten würde ich nie wieder kämpfen. Mir einen anderen Job suchen, irgendwo hinziehen, wo es keine Bestien gibt, aber keiner von uns Begabten hat diese Wahl. Ich kann bloß möglichst schnell aufsteigen, genau, wie meine Mutter es will. Denn mit einer Sache hat sie recht. Es ist der einzige Weg für uns, halbwegs sicher zu leben. Aber den Traum von starken Kriegerenkeln werde ich ihr nicht erfüllen. Ich werde niemand anderen zu diesem Scheiß verdammen.«
Ich nahm sein Gesicht in die Hände und wischte eine Träne von seiner Wange. Er schloss gequält die Augen. »Wenn wir nicht alle verlieren wollen, die uns etwas bedeuten, müssen wir weiter gegen die dunkle Magie kämpfen. Das ist unsere einzige Chance.«
»Ich weiß, aber die Magie sollte sich diesmal etwas richtig Gutes ausdenken. Sonst kann sie mich mal.«
Das entlockte mir ein kurzes Lächeln.
Hand in Hand setzten wir den Weg zu seiner Wohnung fort. Ich wies ihn nicht darauf hin, dass es der Magie vermutlich egal war, was er von ihr hielt. Für sie waren wir nichts als Werkzeuge. Ich sagte auch nicht, dass ich ihm zustimmte, was Kinder anging. Wenn sie die Kriegergabe erbten, verdammten wir sie zu einem frühen Tod. Dennoch hoffte ich, dass wir unseren Kindern einmal eine bessere Welt bieten würden. Aber für diese Diskussion war es definitiv zu früh.
Alles war dunkel und still, als wir Kierans Wohnung betraten. Die Stimmung war vollkommen anders als heute Nachmittag, bevor wir zu den Interviews gerufen worden waren. Für ein paar Stunden hatten wir alles verdrängen und die Nähe des anderen genießen können. Jetzt hatte uns die Realität wieder eingeholt. Trauer, Schmerz und Angst drohten uns zu erdrücken.
Keiner von uns sagte ein Wort, während wir uns fertig zum Schlafengehen machten.
Sobald ich mich zu ihm ins Bett legte, zog er mich an sich.
Ich fühlte mich sicher in seinen Armen, obwohl ich wusste, dass das ein Trugschluss war. Vor der dunklen Magie konnten wir uns nicht verstecken.
Ich lag wach, lange bevor der Wecker klingelte. Neben mir atmete Kieran ruhig ein und aus. Einerseits war ich froh, dass er schlief wie ein Stein und andererseits auch wütend, weil ich alleine wach lag.
Ich schloss die Augen und versuchte, mich auf seinen Atem zu konzentrieren, doch in meinem Kopf rasten die Gedanken. Ich hatte gedacht, nach Kyles Beerdigung das Schlimmste überstanden zu haben, aber das war eine Veranstaltung im engsten Familien- und Freundeskreis gewesen. Heute würde ganz Kingston zusehen. Heute musste ich funktionieren, professionell wirken. Stark, selbstbewusst, jemand, auf den die Bürger sich verlassen konnten.
Seit unserem Kampf gegen die Warankönigin hatten Kieran und ich keinen gemeinsamen Rausch mehr gehabt, was auch bedeutete, dass die Magie nicht direkt mit uns kommuniziert hatte. Diese Verbindung zu ihr hatte mir von Anfang an Angst gemacht, doch jetzt vermisste ich die Stimme in meinem Kopf, die mir die Richtung wies.
»Wie lange bist du schon wach?« Kieran hatte sich zu mir gewandt und beobachtete mich aus seinen blauen Augen. Heute wirkten sie besonders dunkel.
»Zu lange«, seufzte ich.
Ich rutschte näher an ihn und vergrub den Kopf an seiner Schulter. Er schlang die Arme um mich und seine Hand strich beruhigend über meinen Rücken. Es half, doch beim Gedanken an die Gedenkfeier wurde mir immer noch schlecht. Wir blieben so liegen, bis der Wecker klingelte.
Als ich aus dem Bad kam, die Haare nass vom Duschen, stand Kieran in der Küche und machte Rührei. Er fluchte, als Fett auf seine nackte Brust spritzte.
Ich trat neben ihn. »Vielleicht solltest du dir ein Shirt anziehen.«
Er sah zu mir hinab und schlang einen Arm um meine Hüfte, ein Schmunzeln auf den Lippen. »Willst du das wirklich?«
Lachend schüttelte ich den Kopf und stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen.
Als wir uns voneinander lösten, legte er seine Stirn an meine. »Ich bin heilfroh, wenn das endlich vorbei ist.«
»Immer daran denken, Kyle hätte diese Zeremonie geliebt.« Es war ein schwacher Trost, denn Kyle hätte eine lange, glorreiche Karriere viel mehr geliebt. So war er bloß eine Stichflamme. Hell und intensiv, aber unglaublich kurzlebig.
»Das ist der einzige Grund, warum ich den Unsinn nicht schwänze. Kyle hat es verdient, dass wir sein Opfer in Ehren halten, genau wie all die anderen Krieger und Alchemisten. Mir gefällt nur die Art nicht, wie die Akademie das aufzieht.« Er wandte sich der Pfanne zu und schaufelte Rührei auf zwei Teller.
»Mir auch nicht.« Die letzte Zeremonie zu Ehren gefallener Begabter, meistens Krieger, war etwa zwei Jahre her, nachdem die Zombiepantherplage unter Kontrolle gebracht worden war. Das Gegengift war damals sehr spät entwickelt worden, bis dahin waren die Krieger auf sich gestellt gewesen. Das Gift der Panther hatte Dutzende von ihnen zerfressen. Ihnen war langsam das Fleisch von den Knochen gefault und die Ärzte hatten nichts tun können, außer sie zu sedieren, damit sie nicht litten. Von dieser Katastrophe hatten sich die Krieger immer noch nicht erholt. Die meisten Missionen wurden in Unterzahl erledigt, so auch unsere in New Mexico. General Namara hatte das erst zugegeben, nachdem wir wieder sicher zu Hause waren. So viele Städte mussten bewacht werden, so viele Bestienplagen wüteten an anderen Stellen, niemand hatte Krieger entbehren können.
Für die Zeremonie trug ich dasselbe schwarze Kleid wie auf Kyles Beerdigung, während Kieran seine formelle Uniform anzog. Im Grunde genommen sah sie aus wie ein schwarzer Anzug, abgesehen von den goldenen Knöpfen, dem Symbol der Krieger auf der rechten Brust und dem ersten Orden, der Kieran nach dem Kampf gegen die Riesenwarane verliehen worden war.
Heute wurden wir von einem Wagen der Krieger abgeholt. General Namara saß bereits auf der Rückbank, als man uns die Wagentür öffnete.
Der Fahrer nickte uns zu. »Miss Williams, Lieutenant Namara.«
Kieran ignorierte ihn. Nach der Mission war er befördert worden, doch mit seinem neuen Titel angesprochen zu werden, erinnerte ihn an den Preis, den er dafür gezahlt hatte. An der Akademie sprachen die Krieger sich so gut wie nie mit ihren Rängen an. Während die Studenten alle Kadetten waren, waren die Trainer meist Captains, hatte Charlotte mir erklärt, aber auf die Formalien wurde nur bei offiziellen Anlässen geachtet.
»Also ähnlich wie mit unseren Doktortiteln«, hatte ich geantwortet. »Hat irgendwann sowieso jeder, also wird er selten extra erwähnt.«
General Namara begrüßte uns freundlich. Seine Frau saß auf dem Beifahrersitz. Ihr Guten Morgen war wesentlich kühler. Unter den heutigen Umständen konnte ich ihr daraus keinen Vorwurf machen.
Die Tür wurde hinter mir geschlossen und schon setzte sich der Wagen in Bewegung.
Stille breitete sich aus. Niemand hatte die Energie für Smalltalk.
Ich starrte aus dem Fenster, auf die Häuser des Begabtenviertels, die an uns vorbeirauschten, Kierans Hand fest in meiner.
Die Zeremonie würde vor dem Kongresshaus beginnen, wo normalerweise das Parlament tagte. Anschließend würden wir durch die Straßen zu der Gedenkstätte gehen, an der heute eine neue Tafel angebracht werden würde.
Die Fahrt dauerte nicht lang. Nur ein paar Minuten später hielt der Wagen vor der großen Treppe, die hoch zum Kongress führte. Das Gebäude war kurz nach der Gründung der nordamerikanischen Zentralregierung gebaut worden, als beschlossen wurde, dass die neue Regierung an keinem der alten Standorte tagen sollte. Hier sollte jeder die Möglichkeit haben, eine Parlamentssitzung zu besuchen, auch wenn die Ränge meist recht leer waren. Jeder durfte vorsprechen, wenn er einen begründeten Antrag stellte.
Doch genau wie die Akademie, war auch dieses Gebäude so gestaltet worden, dass es viel älter aussah. Allerdings war es imposanter, ragte noch höher auf. Allein die Treppe, die zum Eingang führte, war doppelt so lang. Auf dem hohen, schneeweißen Giebel prangten die Worte Gemeinsam stark, das Motto, unter dem sich Kanada, die Vereinigten Staaten und Mexiko zusammengeschlossen hatten. Allein hätten sie den Bestienplagen nicht standgehalten.
Der große Platz vor dem Kongress war bereits gut gefüllt. Unser Fahrer musste mehrmals hupen, um durchzukommen.
Als wir ausstiegen, wurden die Stimmen um uns herum lauter. Einige schienen sich über unser Erscheinen zu freuen, doch andere buhten laut.
Kieran bot mir seinen Arm an und ich hielt mich dankbar daran fest. Hinter seinen Eltern erklommen wir die Treppe. Oben standen bereits links die Alchemisten und rechts die Krieger, die an der Mission beteiligt gewesen waren. Dazwischen hatten sich die Medien versammelt. Neben dem Rat vermutlich diejenigen, die die Archive durchsucht hatten und natürlich Mandy, die mir ein aufmunterndes Lächeln schenkte. In den letzten zwei Wochen hatte ich hauptsächlich bei Kieran geschlafen und nicht in unserer gemeinsamen Wohnung, weswegen ich meine beste Freundin kaum gesehen hatte.
Kierans Eltern wandten sich nach rechts zu den Kriegern. Neben denen, die uns bei der Mission begleitet hatten, standen auch einige Colonels, die bei der Entwicklung der Strategie geholfen hatten.
Kieran gab mir einen flüchtigen Kuss, bevor er sich neben Charlotte einreihte. Die nickte mir zu, das blonde Haar zu einem festen Dutt geschlungen, den Arm immer noch in einer Schlinge. Neben ihr entdeckte ich Beth, die kurz die Hand hob, um mir zuzuwinken.
Ich erwiderte die Geste, bevor ich mich in Bewegung setzte.
Zielstrebig hielt ich auf Carly und Leo zu, die nebeneinander in der Gruppe der Alchemisten standen und mir sofort Platz machten.
Carly schloss mich in die Arme, sobald ich nah genug bei ihr war.
»Wie geht es dir?«, wollte sie wissen. Wir hatten uns ebenfalls seit New Mexico nicht gesehen.
»Ich bin froh, wenn wir das hier hinter uns haben«, murmelte ich.
Mein Blick huschte zu Leo. Er hatte die Lippen fest aufeinandergepresst. Sein bester Freund Carl war einer der Alchemisten gewesen, die bei der Synthese des Schuppenmittels gestorben waren. Später in New Mexico war Leo von der dunklen Magie gezwungen worden, das Mittel zu manipulieren.
Die Namaras und ich waren unter den Letzten gewesen. Nach uns erklomm nur noch eine Handvoll Begabter die Treppen. Ein paar Minuten später, genau um Punkt zehn, öffneten sich die Türen des Kongresshauses und zwei Männer trugen ein Rednerpult heraus, das sie am Kopf der Treppe aufbauten.
Ihnen folgten Dario Martinez, der Präsident Nordamerikas, und sein Vize Alain Bernard.
Bei diesen Zeremonien hielt immer der Präsident eine Rede, um den Begabten zu danken, die sich zum Wohl der Bürger geopfert hatten.
Über dem Platz leuchtete jetzt ein Hologramm auf, das das Geschehen am oberen Ende der Treppe in vielfacher Vergrößerung darstellte.
Stille senkte sich über die Menge, während alle darauf warteten, dass der Präsident begann.
»Bienvenidos, señoras y señores.« Seine Stimme hallte laut und klar über den Platz, während auf dem Bildschirm die englische und französische Übersetzung seiner Worte eingeblendet wurde. Nordamerika hatte drei Amtssprachen, Englisch, Spanisch und Französisch, die jeder in der Schule lernte. In Kingston war der Großteil der Bevölkerung englische Muttersprachler, doch bei offiziellen Anlässen wurde immer darauf geachtet, dass jeder verstehen konnte, was vor sich ging. Präsident Martinez sprach fließend Englisch, aber er bevorzugte es, seine Reden in seiner Muttersprache zu halten.
Er erzählte davon, wie die Riesenwarane aufgetaucht waren, wie Kieran und ich ausgewählt worden waren. Wie die Medien alles getan hatten, um uns zu helfen. Mandy wurde erwähnt, dann der Rat und die Medien, die recherchiert hatten. Er sprach vom Training, von Beth und Carly und von unseren ersten Erfolgen. Es folgten die Namen der Alchemisten, die bei der Synthese des Mittels gestorben waren. Neben mir verkrampfte sich Leo. Die Reise nach New Mexico begann, der Kampf gegen die Warane und schließlich die Namen der Krieger, die im Kampf gefallen waren.
Ich versuchte krampfhaft wegzuhören, doch diese Namen verfolgten mich.
Endlich kam Präsident Martinez ans Ende seiner Rede, dankte den Gefallenen erneut. Auf dem Bildschirm erschienen die strengen Porträts, die die Akademie von den Begabten machte.
Carl sah auf seinem Bild müde aus.
Kyle wirkte entschlossen, die braunen Locken wild durcheinander, die dunklen Augen leicht verengt.
Mein Blick suchte Kieran in der Menge. Der starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Charlotte neben ihm hielt sich den Arm, als hätte sie Schmerzen. Doch ich hatte den Verdacht, dass die Tränen in ihren Augen nichts mit ihrer Verletzung zu tun hatten. Sie blinzelte und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich mir die Tränen nicht nur eingebildet hatte.
»Liana!«
Ich zuckte zusammen, als Carly mich am Arm packte, damit ich mich endlich in Bewegung setzte. Um uns herum stieg der Großteil der Alchemisten bereits die Treppe hinunter. Gemeinsam mit Carly und Leo reihte ich mich in den Marsch ein.
Ein paar Nicht-Begabte eilten durch die Menge und verteilten Holoprojektoren, einen für jeden Gefallenen. Es war Tradition, dass die Bilder der Gefangenen uns zum Denkmal begleiteten.
Ich griff nach einem und wählte aus der Liste der Gefallenen den Namen Carl Sage aus. Sofort erschien Carls Bild. Der Projektor ließ ihn einen halben Meter über meinem Kopf schweben, damit man ihn über die Menge hinweg sehen konnte. Um uns herum erschienen nach und nach die Bilder der Gefallenen.
Auffordernd hielt ich Leo den Projektor hin. Das Bild flackerte durch die Bewegung. Carl war sein bester Freund gewesen. Es war sein Recht, ihm diese letzte Ehre zu erweisen.
Leo starrte wie gebannt auf das 3D-Modell, ich drehte den Projektor, damit er sein Gesicht sehen konnte. »Carl hat dieses Foto gehasst.« Seine Stimme klang erstickt. Auf dem Bild war Carls blondes Haar streng zurückgegelt und er trug Hemd und Krawatte unter seinem Kittel. Er wirkte älter, müder und irgendwie freudlos. Dabei hatte er seine Bestimmung geliebt, genau wie Leo.
»Trotzdem sollte ihn jeder in Erinnerung behalten.«
Leos Finger zitterten, als sie sich um den Projektor krampften, doch er nickte entschlossen und hielt ihn hoch.
Gemeinsam folgten wir den anderen Überlebenden über den Platz, wo die Menge uns bereitwillig vorbeiziehen ließ.
Ich kannte den Weg, doch bisher hatte ich den Marsch um das Kongressgebäude nur im Fernsehen verfolgt. Ich spürte, wie jemand nach meiner Hand griff. Kieran hatte sich zu uns gedrängt. In seiner anderen Hand hielt er den Projektor, der Kyles Bild zeigte. Charlotte und Beth waren Kieran dicht auf den Fersen.
Charlotte wirkte blasser als sonst und auch Beth hatte das Gesicht verzogen, als wäre ihr schlecht. Allerdings konnte das auch an ihrer Schwangerschaft liegen.
Unser Weg führte uns schräg über den Platz, bis zur Ecke des Kongressgebäudes, wo wir abbogen. Die Straße war für den Verkehr gesperrt worden, sodass der Trauerzug sie vollständig einnehmen konnte. Viele der Zuschauer schlossen sich uns an, während wir am Regierungsgebäude entlangschritten.