Talla 2XLC - Andreas Tomalla - E-Book

Talla 2XLC E-Book

Andreas Tomalla

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Beschreibung

TECHNO ist längst Musikgeschichte und Frankfurt war das Mekka für die elektronische Musik. Hier entstand der Begriff, die Bewegung, der prägende Sound der 90er Jahre. Andreas Tomalla, weltweit bekannt als DJ Talla2XLC, hat das Profil der Hauptstadt des Techno entscheidend geprägt. Er war von Anfang an dabei und gründete den Technoclub. Jahrelang war er einer der Resident DJs im legendären „Dorian Gray“. „Am Anfang war der Technoclub“ erzählt nicht nur die Lebensgeschichte von Talla2XLC, sondern auch die Entstehung des legendären Technoclubs. Wie er vom Plattenaufleger zum Musiker und DJ wurde, weltweit Berühmtheit erlangte und schließlich für seine kulturellen Verdienste die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt bekam. Aber dieses Buch ist mehr als eine Biografie, es erzählt die Anfangsjahre der elektronischen Musik im Frankfurt der 80er und 90er Jahre, vom Dorian Gray, vom No Name und vom Omen, von der Techno-Szene, von der damaligen Jugend- und Musikkultur, von der Neuen Deutschen Welle, von House Musik, von Rave, von rauschenden Nächten und der Love-Parade. Die Techno-Welt wuchs und gedieh und wandelte sich dabei enorm, bis hin zur heutigen Zeit. Und was wurde aus Talla2XLC… „Ich war Techno-DJ der ersten Stunde, ich bin heute noch DJ und werde immer DJ sein. Wenn die Tanzenden außer Rand und Band geraten ... die Bässe Deinen Körper durchdringen und die Melodien Deine Emotionen verrückt spielen lassen...Das fühlt sich einfach großartig an und ist vielleicht das beste Gefühl überhaupt.“

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Seitenzahl: 329

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Andreas Tomalla

Am Anfang war der TechnoClub

ISBN 978-3-96320-039-7

© 2019 Henrich Editionen,

ein Unternehmen der Henrich Druck + Medien GmbH, Frankfurt am Main

eBook 1/2019

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien, Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Autoren: Talla 2XLC und Wafa Tomalla

Redaktionelle Mitarbeit: Gerd Fischer

Umschlaggestaltung: © Boris Pracht

Es war leider nicht in allen Fällen möglich, die Inhaber des Copyrights der einzelnen Bilder zu ermitteln. Der Verlag bittet die Rechtinhaber darum, sich zu melden.

Gesamtherstellung und Verlag:

Henrich Druck + Medien GmbH, Frankfurt am Main

Layout: Gerhard Horion, Henrich Druck + Medien GmbH

www.henrich.de

 

Andreas Tomalla

Am Anfang war der TechnoClub

Biografie

Gewidmet ist dieses Buch meinem Vater und meinem älteren Bruder

Georg und Dieter Tomalla

Inhalt

Vorwort

Warum habe ich es geschrieben?

Intro

2010 – Odyssee in den Römer

01

Zeitreise in die 70er

Ein Außerirdischer rockt die Tanzschule oder „Born to be Alive“ (Patrick Hernandez)

Die Liebe zur Musik oder „I feel LOVE“ (Donna Summer)

„Verbrennt alle Gitarren“– Roots of Techno oder Unit (Logic)

„The Planet doesn’t mind“ (New Music)

Die Lehre war mir eine Lehre

Schlüsselmoment 1982. Der Name TECHNO wird geboren

Kontaktbörse City-Music oder “Tekno Talk” (Moskwa TV)

Club Atmosphäre im City-Music oder „Headhunter“ (Front 242)

Das Ende von City-Music und der Beginn von etwas Neuem

02

Start der Techno-Mission

Ein Sonntag im Jahre 1984 oder „Let me go“ (Heaven 17) 

Rückblende: die Geburt des Technoclubs oder „Los niños del parque“

(Liaisons Dangereuses)

Die Zeit der EBM begann oder „Moskau Disco“ (Telex) 

Die meistgestellte Frage meines Lebens

Zurück ins No Name – doch meine Techno-Zukunft lag woanders oder „Face to Face“ (Klinik)

03

Dorian Gray 1: Der Technoclub zieht ins Gray

Die magischen Jahre im Gray

Als Gast – meine Anfangszeit im Gray

Sound und Licht wie aus einer anderen Galaxie

Eine neue Zeitrechnung beginnt

Gutes Omen, schlechtes Omen?

04

Vom Plattenaufleger zum Artist – die Entwicklung des DJs

Mix it up

Die Wandlung des DJs

05

Spirit of Frankfurt und wie ich selbst anfing zu produzieren

Erste Gehversuche auf dem Synthesizer

Erster Vertrag, erste Produktion oder „Telk Me“ (Two of China)

The Sound of Frankfurt

Nur noch eins im Sinn: neue Musikprojekte Moskwa TV

Querelen

Labelwechsel, um neues musikalisches Terrain zu erobern

Wie ich dem harten Rhythmus der Electronic Body Music verfiel

Ein Front242-Konzert war der Startschuss

Voll in meinem Element

06

Techno aus der Waschküche

Aufbruch in einen neuen Bereich oder „Fahrenheit“ (Umo Detic)

Talla hat ein neues Label – das sprach sich schnell herum

Nächstes Level, zweites Label

Die Messe der Legenden

Umzug und Aufstieg

Zoth Ommog ging richtig ab

Suck me Plasma: The future is ... Trance

Spaß an Musik: Experimente und Sub-Labels

Tetsuo

07

Wie ich zum Techno-Papst ernannt wurde

08

Dorian Gray 2: Neue Impulse

Rückkehr ins Gray

Das Sprachrohr der Szene – Frontpage

Kraftwerk tanzen im Technoclub!

Die Partisanen

Die Institution im Gray

Ein neuer Weg – Tetsuo

Große DJs, große Feste

Rave on!

Mein ganz persönliches Highlight im Gray

09

Als der Techno zur Massenbewegung wurde – die 90er Jahre

Es begann auf dem Kudamm

Lost in Techno oder raus aus dem Underground

Gotthilf Fischer? Das war zu viel für mich!

Trends und Technojünger

Von Frankfurt in die Welt

Als die Bookings starteten

Gig auf Gig – eine Auswahl

Die Medien springen auf den fahrenden Techno-Zug: Clubnight und Club-Rotation

Von Vinyl zu digital – eine Entwicklung, die alles über den Haufen schmiss

10

Ein Techno-Buch ohne Drogen? Geht leider nicht!

11

Dorian Gray 3: Das Ende des Gray und der bittere Showdown bei Music Research

Krise und Battle-Compilations

Das Ende der Magie

Das unrühmliche Ende bei Music Research

12

Der Neuanfang188

Im Helikopter über Las Vegas

Unterwegs als DJ

Die große weite Techno-Welt

Break: Ein Blues über Erkrankung und Verschleiß

Rückkehr zur Parade der Liebe

Der Albtraum folgte

Was bleibt?

Der Technoclub nach dem Gray

13

Mission completed? Noch lange nicht!

Wie aus einer Vision ein Museum für elektronische Musik wird: das MOMEM 

Eine visionäre Idee nimmt Formen an

Nachwort

Appendix

Bands und Projekte von New Zone, Zoth OmmogSuck me Plasma und Tetsuo

Tetsuo: Bands/DJs/Projekte

Aliases and Project/Band Name Creations

Vorwort

Treibende Beats und Stroboblitze, flackernde Laser über der Tanzfläche. Hände recken sich, Tanzende überschreiten die Schwelle zur Ekstase. Ein DJ mit Sonnenbrille und Kopfhörer thront göttergleich auf der DJ-Kanzel und bringt die Masse zum Beben.

Wer kennt sie nicht, die Bilder aus den Techno-Tempeln dieser Welt? Aus dem Berghain und dem Tresor in Berlin, aus dem Space und dem Amnesia auf Ibiza, oder – in den legendären früheren Zeiten – aus dem Omen und dem Dorian Gray in Frankfurt am Main, meiner Heimatstadt. Dort, wo alles begann. Wo aus elektronischer Musik Techno wurde und eine weltweite Jugendbewegung ihren Ursprung nahm.

Und wo sich ein Junge aus Frankfurt die Welt der Musik neu eroberte.

Dieser Junge war ich.

Andreas Tomalla, genannt Talla.

In meiner Kindheit und Jugend hörte ich allerlei Musik, doch erst als ich die ersten elektronischen Klänge vernahm, war ich von ihr begeistert. Synthetisch erzeugte Geräusche, Laute, Töne und Sounds entfachten ein Feuer in mir. Eine Leidenschaft, die ich bis dato nicht verspürt hatte. Ich entdeckte neue Bands und Stücke, meine Liebe für Platten und das Auflegen als DJ. Gitarrenklänge waren mir irgendwann nicht mehr genug. In mir formten sich ganz neue Klangwelten. Ich wollte weiter, war infiziert von Synthie-Pop, Elektro, New Wave, Industrial und Electronic Body Music. Ich stieß immer tiefer in die verschiedenen Musikwelten vor, doch bald reichten mir vorhandene Platten nicht mehr aus. Ich wollte Neues schaffen. Eigenes. Stücke und Klänge kreieren, die nie zuvor ein Mensch gehört hatte, und neue Klanglandschaften erobern. Elektronische Musik half mir dabei, einen eigenen Sound zu erschaffen, der im Laufe der späten 80er Jahre Techno genannt wurde.

Frankfurt war einer der Ausgangspunkte der Techno-Bewegung, die anfangs Sub-Kultur war, purer Underground, die später in den Mainstream überging und zur anerkannten, allseits beachteten und weltweiten Kultur- und Jugendbewegung wurde, die sich bis heute in unzählige Subgenres gefächert hat und die jeden Tag neu erfunden wird. Techno ist inzwischen in nahezu allen Ländern der Welt angekommen und zu hören. Die Technokultur hat so vieles andere beeinflusst: Mode, Design und Grafik, unseren Alltag, selbst technologische Neuentwicklungen. Sie ist wahrscheinlich die größte musikalische und stylische Jugendrevolution seit dem Rock’n Roll.

Dieses Buch erzählt von den Anfängen in Frankfurt, eine magische Zeit. Eine Zeitreise in die Techno-Szene, die es damals noch nicht unter diesem Namen gab. Wegbegleiter und Wegbereiter, DJs und Freunde, mit denen auf musikalischem Terrain Dinge möglich wurden, die niemand vorher zu träumen gewagt hatte. In Frankfurt am Main, als alles begann. Als ich ein Junge war, der später nur ein Ziel hatte: einen neuen und eigenen Sound zu finden, um sein Publikum zu begeistern und in Ekstase zu versetzen.

Warum habe ich es geschrieben?

Ich könnte jetzt einfach schreiben: Weil meine Frau Wafa es unbedingt wollte. Es war ihr großer Wunsch gewesen, meine Erinnerungen und Erlebnisse festzuhalten. Sie hat mich immer wieder gedrängt, endlich damit anzufangen. Das stimmt zwar, aber diese Erklärung greift natürlich zu kurz. Denn es gab eine weitere große Motivation für mich. Über die heiße Phase in Frankfurt, insbesondere die 80er und 90er Jahre, die beiden Jahrzehnte, in denen sich in der elektronischen Musik so viel gewandelt und sich die Technobewegung formiert hat, gibt es kaum etwas zu lesen. Mein Antrieb war es, eine Zeit zu beleuchten, die mich geformt hat – und die ich mit geformt habe. Dieses Buch versteht sich demnach als eine Art persönliche und subjektive Chronik der damaligen Ereignisse, die inzwischen historisch genannt werden dürfen, rund um die Entstehung einer Party- und Tanzbewegung, die Leute auf der ganzen Welt bewegt hat. Und immer noch bewegt.

Es ist mein persönlicher Blick auf eine – sehr intensive – Phase, die viel Energie freisetzte und ein Gemeinschaftsgefühl entstehen ließ. Nicht wenige trauern dieser Zeit nach, weil sie den Spirit von damals vermissen.

Techno hat mein Leben bereichert. Techno ist mein Leben. Ich habe es aufgeschrieben.

2010 – Odyssee in den Römer

Frankfurt, Römerberg. Im Rathaus der Stadt, dem Römer, nahm ein außer­gewöhnliches Ereignis seinen Lauf. Etliche Honoratioren, Politiker diverser Gremien und 100 geladene Gäste waren im Limpurg-Saal versammelt, um eine hohe Auszeichnung zu verleihen: die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt.

Es war der 20. April 2010. Draußen schien die Sonne, drinnen im vollen Saal waren alle Augen gebannt auf Professor Semmelroth, Kulturdezernent der Stadt, gerichtet, der hinter dem Pult seinen Platz eingenommen hatte, um die Laudatio zu halten. Hier in diesem altehrwürdigen Gebäude mit dem Respekt einflößenden Ambiente hätte man eine Stecknadel fallen hören können. So gespannt war das Publikum. Nur hin und wieder erklang das Klicken eines Fotoapparates. Journalisten von Presse und Fernsehen hatten Stellung bezogen, blitzten und hielten den denkwürdigen Tag auf Bildern fest.

Ich stand ehrfürchtig und im schwarzen Anzug neben meiner Frau Wafa und unserem Sohn Ilias, der im Kinderwagen lag, und lauschte gebannt Semmelroths Rede.

„... Sie haben das Profil Frankfurts als Musikstadt entscheidend mit geschärft ...“, sprach Professor Semmelroth andächtig ins Mikrofon.

Ich lächelte.

„... Sie haben der Techno-Musik eine ganz eigene Prägung gegeben ...“

Ich schluckte.

„... und diese Musik einem großen Publikum geöffnet ...“

Ich bekam weiche Knie. „... Sie sind einer der Protagonisten der elektronischen Musik und haben sie von Frankfurt aus in die ganze Welt getragen. Der Frankfurt-Sound eroberte spätestens in den 90er Jahren die Clubs dieser Welt.“

Die Zuhörer und Gäste neben mir stimmten mit leichtem Kopfnicken zu. Gänsehautfeeling kam auf. Spätestens jetzt war ich gerührt.

„... Sie haben sich im Wortsinne für Frankfurt verdient gemacht“, ging es mit der Rede weiter. „Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zur Verleihung der Ehrenplakette“, schloss der Kulturdezernent seine Rede ab.

Das konnte eigentlich nicht sein, dachte ich. Eine solche Auszeichnung für einen knapp 50 Jahre alten DJ? Noch dazu einen Techno-DJ? Feinste Subkultur. Eine solche Anerkennung bekamen normalerweise ganz andere Leute verliehen, aber bestimmt keine Techno-DJs.

Ich war der Erste. Ein Unikum.

Der Kulturdezernent kam hinter seinem Pult hervor, eine Mitarbeiterin reichte ihm die Urkunde und die Medaille. Er schritt auf mich zu, schüttelte mir die Hand und überreichte mir die Auszeichnungen. Ein Blitzlichtgewitter brach über uns herein. Beifall brandete auf.

Rückblende:

Einige Monate zuvor hatte ich ein offizielles Schreiben der Stadt Frankfurt bekommen. Ich dachte sofort an einen Strafzettel. Warum sollte mir die Stadt sonst schreiben?

Ich öffnete den Brief und las die ersten Zeilen:

„... Der Magistrat der Stadt Frankfurt hat beschlossen, Herrn Andreas Tomalla mit der Ehrenplakette auszuzeichnen ... Die Überreichung der Auszeichnung wird im Limpurg-Saal des Römers stattfinden. Der Termin wird mit Herrn Tomalla abgestimmt ...“

Ich musste mich erst einmal sammeln, legte den Brief weg und starrte ungläubig die Wand an. Das war eine faustdicke Überraschung. Ich war mehr als erstaunt. Wie um alles in der Welt kamen die auf mich? Bei der Stadt kannte ich bis zu diesem Zeitpunkt niemanden. Und eine weitere Frage stellte sich mir sofort: Was war denn eigentlich eine Ehrenplakette? Ich googelte, um mich zu informieren:

Die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt am Main wird seit 1952 jährlich an Persönlichkeiten verliehen, die sich auf kommunalpolitischem, kulturellem, wirtschaftlichem, sozialem oder städtebaulichem Gebiet um die Stadt Frankfurt am Main verdient gemacht haben.

Die Namen der aufgeführten Preisträger der letzten Jahrzehnte trieben mir Schweißperlen auf die Stirn.

Wow!

Sie lasen sich wie das Who is Who der Frankfurter Wirtschaft, Kultur und Politik. Allesamt Banker, Politiker, Uni-Professoren oder Verleger.

Und jetzt ich!

Da war ich ja in eine illustre Gesellschaft geraten. In diese Riege passte ich überhaupt nicht rein. Und genau in diesem Moment setzte der Stolz ein, denn mir wurde die Dimension der ganzen Sache bewusst. Ich realisierte langsam, was es bedeutete, diese Ehrung zu erhalten. Für mich. Für mein Leben. Für mein Lebenswerk. Ich wurde nicht nur einfach ausgezeichnet, ich wurde geadelt. Und damit nicht nur ich, sondern auch der Techno, meine Musik. Wir wurden in den Rang von anderen Künsten erhoben, die schon immer zu den populären Kulturen zählten.

Ich fühlte mich plötzlich fast so gut wie auf einem Gig vor Tausenden von Leuten, die feierten und richtig abgingen und deren Energie mich anspornte, sie mit meiner Musik weiter anzutreiben.

Mich ergriff ein Gefühl von Dankbarkeit.

Ich nahm das Telefon und wählte die Nummer meiner Frau Wafa, um ihr die frohe Kunde mitzuteilen. Wir waren beide total aus dem Häuschen, als uns klar wurde, was das bedeutete.

Und dann gestand Wafa mir, dass sie schon seit längerer Zeit mit der Stadt Frankfurt in Kontakt stand. 9 Monate zuvor hatte sie ein offizielles Schreiben erhalten, in dem angekündigt wurde, dass ich für die Ehrenplakette empfohlen worden war und dies nun überprüft werden würde. Sie benötigten dazu einige Informationen und Daten, die ihnen Wafa übermittelte, ohne mich von der Sache zu informieren. Sie wollte es als Überraschung für mich gestalten. Wenn es mit der Verleihung klappen würde, wäre die Freude umso größer, wenn nicht, würde ich mich nicht ärgern müssen. Recht hatte sie. Umso schöner war das Gefühl, als feststand, dass ich die Ehrenplakette bekommen sollte.

Zeitsprung zurück in den Römer. Professor Semmelroth las nach der Überreichung der Plakette den offiziellen Text der Urkunde vor:

„Die Stadt Frankfurt am Main verleiht Andreas Tomalla, DJ Talla 2XLC, die Ehrenplakette. Die Stadt Frankfurt am Main ehrt Andreas Tomalla für seine herausragenden Verdienste um die Entstehung und Verbreitung der neuen elektronischen Musik in Frankfurt am Main ...“

Worte, die mich elektrisierten – wie ein guter Sound.

Nach der Verleihung trat ich ans Pult, um meinerseits einige Worte zu sagen. Eine kleine Dankesrede.

Mit etwas wackligen Knien begann ich und bemühte mich dabei um eine selbstbewusst klingende Stimme: „... Ich gratuliere der Stadt Frankfurt zu dieser mutigen und mit der Tradition brechenden Entscheidung, eine Person außerhalb des wirtschaftlichen und kulturellen Mainstreams zu ehren ... Nämlich mich!“

Einige Lacher aus dem Publikum kamen mir zu Ohren. Ich vernahm Applaus und musste selbst schmunzeln. Die Stimmung wurde lockerer. Es freute mich sehr, dass die Stadt Frankfurt mit dieser Auszeichnung zum Techno stand, der ja ein großer Bestandteil ihrer Historie darstellte. Und mein Stolz rührte nicht zuletzt daher, da ich in dieser Stadt geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und ihr bis heute immer treu geblieben war – anders ausgedrückt: Ich bin ein Ur-Frankfurter. Zumal ich mich auch im Ausland bei meinen Gigs als Botschafter der Frankfurter Musik sehe und weltweit den Spirit der fantastischen Zeit der 90er Jahre, zum Beispiel im Dorian Gray, propagiere. Frankfurt hat mir viel gegeben, unter anderem die Möglichkeit, meinen Traum von der Musik und meine Visionen zu leben, und ich konnte in den letzten Jahrzehnten Frankfurt viel zurückgegeben, nämlich Musik-Renommee und Beachtung in der ganzen Welt.

Ich versuchte, mich wieder auf meine Dankesrede zu konzentrieren. Nach einigen Worten zur Entwicklung und weltweiten Bedeutung der elektronischen Musik ging ich zu den Danksagungen für meine Familie, meine Freunde, meine Wegbegleiter und meine Technoclub-Family – so nannte ich sie gerne – über, ohne die ich diesen Weg niemals hätte gehen können.

„Ich danke für diese Ehre.“ Mit diesem Satz schloss ich meine Dankesworte ab.

Erleichtert und voller Freude trat ich hinter dem Pult hervor. Ich schaute in begeisterte Gesichter. Viele Arme empfingen mich. Ich schüttelte Hunderte Hände. Der Smalltalk-Marathon begann. Die Glückwunschworte überschlugen sich. Die meisten Gäste waren zutiefst beeindruckt, hatten sie doch gerade einem wirklich nicht alltäglichen Event beigewohnt.

Ein Tag, der mir ewig im Gedächtnis bleiben wird.

Mit der Gründung des ‚Technoclub‘ 1984 legte ich den Grundstein für die Entwicklung der elektronischen Musik und des Techno in Frankfurt. Die Verleihung der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt 2010 war ein Meilenstein meiner Karriere. Ich habe viel erlebt, aber dieser Tag war etwas ganz Besonderes, weil er die zurückliegenden drei Jahrzehnte meiner Arbeit gewürdigt hat. Für mich war er auch eine Art Verpflichtung für die Zukunft. Er hat mich motiviert, weiterzumachen. Und es geht immer weiter. Zum Beispiel mit dem MOMEM (Museum Of Modern Electronic Music), das bald seine Pforten unterhalb der Hauptwache eröffnen wird.

Doch bevor wir uns mit der Zukunft und meinen Visionen beschäftigen, begeben wir uns auf eine Reise. Eine Reise in eine Zeit, die lange zurückliegt, doch für viele lebendig geblieben ist.

Zeitreise in die 70er

Ein Außerirdischer rockt die Tanzschule oder „Born to be Alive“ (Patrick Hernandez)

Die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren noch andere Zeiten. Es gab drei Fernsehprogramme, Kassettenrekorder und Singles mit 45 Umdrehungen pro Minute. Kaum jemand kannte den Begriff DJ. Aber schon damals begann meine Techno-Mission. In einer Tanzschule in einem Hinterhof der Kaiserstraße im berüchtigten Frankfurter Bahnhofsviertel.

Thomas Bäppler, ein Klassenkamerad, der später unter seinem Künstlernamen Bäppi La Belle in Frankfurt als Travestie- und Comedystar bekannt werden sollte, hatte im Jahr 1978 nach Beendigung der Schule eine Ausbildung zum Tanzlehrer in der Tanzschule Kiel-Blell in eben jenem Hinterhof auf der Kaiserstraße begonnen. Er bat die gesamte Klasse, dort einen Tanzkurs zu absolvieren, Standard-Tänze. Er drängelte uns regelrecht. Wir fühlten uns verpflichtet und nicht wenige folgten seiner Aufforderung. Ich war auch dabei.

Sonntagsmittags fand bei Kiel-Blell immer eine Art Disco-Party statt. Das Ganze lief auf zwei Stockwerken ab. Im ersten ließen die Leute beim Standard-Tanz ihre Hüften über die Tanzfläche schweben und im Keller liefen Disco-Songs. Dort habe ich zum ersten Mal bewusst einen Plattenaufleger in Aktion gesehen. Meistens legte einer der Tanzlehrer auf Lenco-Plattenspielern ohne Pitch-Control auf. Nur die unterschiedlichen Geschwindigkeiten 33-45-78 konnte man mittels einer Art Hebel einstellen, bis er einrastete. Später experimentierten wir immer mehr mit den Zwischenräumen, um mixen zu können.

Es liefen tanzbare Nummern, bunt gemischte Hits meist aus den aktuellen Charts. Von Rock über Pop bis Disco und Reggae war alles dabei. Hauptsache einige Leute tanzten und hatten Spaß.

Jedes halbe Jahr gab es in der Tanzschule einen DJ-Contest. Es waren Motto-Partys und alle Teilnehmer mussten drei Lieder auflegen. Das faszinierte mich auf Anhieb und ich entschloss mich, einmal mitzumachen.

Im Juni 1979 nahm ich zum ersten Mal teil und belegte den dritten Platz. Ein halbes Jahr später war es wieder der dritte Platz. Und beim dritten Wettbewerb – das muss irgendwann im Herbst 1980 gewesen sein – war ich sehr motiviert, weil ich mehr wollte. Ich präparierte und verkleidete mich vor meinem Auftritt. Ich trug einen Strohhut, den ich mit Alufolie umwickelt hatte und auf den ich oben ein Stroboskop klebte. Ich spielte die Songs „Paranoid“ von Black Sabbath und „Born to be Alive“ von Patrick Hernandez. Als das Licht ausging, beleuchtete ich mit meinem Strobo die Tanzfläche und die Leute rasteten aus. Ich war mit Herzblut bei der Sache, tanzte hinterm Plattenteller mit und feuerte die Tanzenden vehement an, alles zu geben. Das schien auch so rüberzukommen. Ich legte mich richtig ins Zeug, was mir nicht nur Platz 1 des Wettbewerbs einbrachte, sondern auch mein erstes DJ-Engagement. Dem Tanzschul-Inhaber gefiel meine Performance so gut, dass er mir anbot, künftig öfter in der Tanzschule auflegen zu dürfen, weil einer der Tanzlehrer die Schule verließ, um sich selbstständig zu machen. Also stand ich von diesem Tag an jeden Sonntagnachmittag von 15 bis 19 Uhr am DJ-Tisch, spielte Musik und brachte die Leute zum Tanzen. 30 Mark erhielt ich pro Auflegen. Im Laufe der Zeit durfte ich in Plattenläden Singles für die Tanzschule kaufen, ließ mir eine Quittung geben und holte mir das Geld zurück. Die Platten und Singles wurden abends nach der Veranstaltung in einem Schrank eingeschlossen.

In den 70er und frühen 80er Jahren war der DJ in Discos und Clubs noch reiner Dienstleister, also Plattenaufleger, wenn man es etwas despektierlich ausdrücken wollte. Sie waren angestellt oder wurden für einen Abend engagiert, an dem sie die gesamte Nacht, von der Öffnung bis zur Schließung des Ladens, am Pult standen und eine Platte nach der anderen abspielten. Der DJ war gewissermaßen Inventar des Clubs. Die Platten gehörten nicht ihm, sondern wurden speziell für den Club gekauft.

Und dann kam es für mich zu einem Schlüsselmoment. Im Buch- und Musik­laden Montanus im Hauptbahnhof kaufte ich die erste Platte der elektronischen Musikpioniere Kraftwerk (die Platte mit dem Baustellenhütchen) und ich stieß auch auf die erste Platte von Yellow Magic Orchestra gleichen namens aus Japan, die ich sofort erwarb. Sie enthielt die Singles „Computer Game“ und „Firecracker“. Letztere fängt mit Flippergeräuschen an, Kracher, die explodieren, undefinierbaren Tönen und anderen synthetisch erzeugten Klängen.

Das war für mich das ultimative Erlebnis. Ich realisierte zum ersten Mal, dass man nicht unbedingt Instrumente brauchte, um Musik zu machen, sondern sie konnte mittels eines Synthesizers elektronisch erzeugt werden. Und wenn man kreativ genug war, konnte man Musik erschaffen, die es bis dahin noch nicht gab.

Das war etwas ganz Neues, es zog mich völlig in den Bann und eröffnete mir eine ganz neue Welt.

Die Platte hörte ich ununterbrochen und der Sound ging mir so in Fleisch und Blut über, dass es viele Glücksmomente in mir auslöste. Ich wollte andere auch daran teilhaben lassen. Also entschied ich, sie mit in die Tanzschule zu nehmen und sie einem Tanzlehrer, der auch als DJ fungierte, zu geben, damit er sie auflegen konnte. Es war eine Art Experiment. Wie würden die Leute auf diese neuartige Musik reagieren?

Er spielte zunächst den Song „Firecracker“ während eines Sonntagnachmittags-Sets. Während der ersten Geräuschsequenz, die über eine Minute dauerte, schaute er mich an wie ein Auto und fragte mich sofort, was ich da angeschleppt habe. Nach dem Lied machte er große Augen. Er blickte mich immer noch komisch an, als sei ich ein Außerirdischer, der von einem anderen Stern hinterm DJ-Pult zu landen drohte. Ich glaube, seit diesem Tag schien ich in seinen Augen sehr suspekt zu sein.

Den Gästen an diesem Nachmittag erging es ähnlich. Anfangs schienen sie skeptisch, aber als der Beat einsetzte, fingen einige Leute an zu tanzen.

Der Song und das ganze Album von Yellow Magic Orchestra hatte mich in eine neue Musikwelt katapultiert. Ich war wie infiziert von diesen – für mich nagelneuen – elektronischen Klängen. Es war nicht nur, dass YMO andere Musik machten, es waren die vielfältigen und unterschiedlichen Sounds, die zu hören waren, die Experimentierfreude, die rüberkam, der pumpende Beat, der mir ins Blut ging. Alles hörte sich an, als sei es eben gerade erfunden worden. Der synthetische Klang begeisterte mich. Ich erkannte zum ersten Mal, welche unendlichen Möglichkeiten Synthesizer und Drum-Computer boten und merkte, dass elektronisch erzeugte Musik mein Ding der Zukunft sein würde, wobei ich mich damals natürlich fragte, wie die Töne und Sounds überhaupt entstanden waren. Genau dieser Frage wollte ich unbedingt nachgehen und Antworten darauf finden. Es beeindruckte mich zutiefst, was man aus Technologie alles rausholen konnte. Wie viel mehr Töne man erzeugen konnte im Vergleich zu herkömmlichen Instrumenten – wie beispielsweise einer Gitarre –, um daraus neue Musikstücke kreieren zu können.

Für mich war Yellow Magic Orchestra nicht einfach nur ein Album, es war wie eine Art Manifest und neben Kraftwerk, die mich sogar noch mehr faszinierten, eine Art Heiligtum elektronischer Musik.

Im Montanus hatte ich mich zwischenzeitlich mit dem Personal angefreundet, weil ich dort einen Großteil meiner Freizeit verbracht und sehr viel Geld für die Platten der Tanzschule gelassen habe. Irgendwann jobbte ich in dem Laden während meiner Lehrzeit in den Abendstunden. Im Bahnhof waren die Geschäfte damals bis 21 Uhr geöffnet und gerade in den späteren Stunden ging es dort richtig rund. Platten sortieren, Platten verkaufen, Platten selbst kaufen. Stöbern, anhören, Neues entdecken. Wie ein Süchtiger kramte ich im Laden in den Platten herum, sog alles auf wie ein Schwamm und fühlte mich dabei wie ein Entdecker auf seinem ganz persönlichen Musikerforschungsprojekt.

Aber der Sonntagnachmittag war natürlich weiterhin der Tanzschule und dem DJ-Pult vorbehalten. So fing ich an, immer mehr elektronische Sachen in mein Set einzustreuen. Da kam mir die Neue Deutsche Welle gerade recht, die Anfang der 80er Jahre Anlauf nahm und später über ganz Deutschland schwappte. Es war auch die Zeit, als die Neue Deutsche Welle anfing im Radio rauf und runter zu laufen und die Hitparaden flutete. Nicht wenige jener Bands setzten auf elektronische Sounds. „Eisbär“ von Grauzone, „Goldener Reiter“ von Joachim Witt oder auch „Major Tom“ von Peter Schilling. Bei mir in der Tanzschule lief zum Beispiel oft „Der Kommissar“ von Falco. Es gab jedoch schon vorher eine Single der Band Wirtschaftswunder mit dem Titel „Der Kommissar“. Darin gab es einige original Liedzeilen aus der gleichnamigen Krimi-Fernsehserie mit Eric Rohde: „Es hat sich herumgesprochen, Herr Kommissar, dass ein Hippiemädchen ermordet worden ist.“ Solche Zitate und andere Einsprengsel in Songs lagen genau auf meiner Wellenlänge. Ich suchte immer das Besondere, Außergewöhnliche.

Später, das muss schon 1985 gewesen sein, stieß ich in einem der Plattenläden auf eine Vorabpressung von Falcos „Rock me Amadeus“. Ich spielte das bis dahin unbekannte Stück meinen Kumpels vor und prophezeite, dass es ein riesiger Hit werden würde. Ein halbes Jahr später stürmte er die Charts und blieb 23 Wochen auf Platz 1 in Deutschland und in sieben weiteren Ländern eroberte er auch Platz 1.

Der nächste Schritt für mich persönlich kam, als ich gerade einmal 16 Jahre alt war. Mein erstes richtiges DJ-Engagement in einer Discothek stand an. Der Besitzer des Clubs Nouvelle in der Frankfurter Gallusanlage am Willy-Brandt-Platz, der zu dieser Zeit noch Theaterplatz hieß, hatte mich in der Tanzschule gehört und schien begeistert zu sein. Er buchte mich. Ich legte dort an zwei Samstagen hintereinander auf, bis der Besitzer herausfand, dass ich noch minderjährig war. Er lobte zwar meine Musik, warf mich jedoch dennoch raus, weil er keinen Ärger haben wollte. Das war mein erstes kurzes DJ-Gastspiel im Club Nouvelle.

Mir blieb natürlich immer noch das Auflegen in der Tanzschule Kiel-Blell. In der gesamten Phase dort hatte ich allerdings immer wieder mal Stress mit dem Junior-Chef, weil er über mein Set motzte. Er mäkelte an der Auswahl meiner Platten herum, mischte sich permanent ein, wollte, dass ich seine Song-Vorschläge berücksichtigte und manchmal wollte er mir sogar vorschreiben, was ich zu spielen habe und was nicht.

Ich musste mich unentwegt verteidigen. Das passte mir überhaupt nicht in den Kram. Ich beharrte darauf, meine eigenen Sachen spielen und meine Vorstellungen von Musik und vom Auflegen umsetzen zu können. Doch er ließ nicht locker und nervte weiter. So ging das die ganze Zeit. Deshalb habe ich zeitweise bei Kiel-Blell aufgehört und bin in die Tanzschule Wernecke in der Bockenheimer Landstraße gegangen, allerdings ohne dort aufzulegen. Dort gab es einige Stücke, die mich durchaus beeindruckten, denn im Wernecke wurden nicht nur die Charts rauf und runter gespielt, sondern auch Songs, die man heute vielleicht nicht mehr in Erinnerung hat wie „Crazy Girl“ von Fischer Z. Die Zeit im Wernecke war jedoch nur recht kurz, weil mich die Tanzschule Kiel-Blell wieder als DJ zurückholte.

Die Liebe zur Musik oder „I feel LOVE“ (Donna Summer)

Mein Weg zur Musik war nicht der klassische. Ich habe in der Kindheit keine Instrumente gelernt. Den Musikunterricht empfand ich immer als langweilig. Singen konnte ich auch nicht, wollte ich auch nicht. Es gab auch keinen Musiklehrer, der mich inspiriert hätte. Mein Zugang zur Musik war ein ganz anderer. Ich eroberte sie für mich. Song für Song. Stil für Stil. Ich hörte alles, querbeet, vor allem was mir gefiel und das prägte ich mir ein.

Meine richtige Liebe zur Musik habe ich erst nach der Grundschule entdeckt und angefangen, mir selbst Singles zu kaufen. Sie waren vergleichsweise günstig und überall zu haben. Später nahm ich Songs oder ganze Musik-Sendungen aus dem Radio auf einem Kassettenrekorder auf. Meistens die neusten Hits, die bei Werner Reinke in der HR3-Hitparade liefen. Ich war großer Fan der Sendung. Oft hörte ich auch AFN, den europäischen Amisender, der in den 60er und 70er Jahren aus Frankfurt sendete. Die Sendung von Wolfman Jack, der zwischen den Songs manchmal heulte wie ein Wolf und dessen unnachahmliche Stimme mir noch heute gegenwärtig ist, gefiel mir am besten.

Den Kassettenrekorder schleppte ich mit in die Schule. In den Pausen stellten sich meine Kumpels im Halbkreis um mich herum auf und ich spielte meine neusten Aufnahmen vor. Damals lief bei mir viel Bay City Rollers, The Rubettes, Middle of the Road, Suzi Quattro, The Osmonds, Gary Glitter. Es war meine rockige Phase, aber ich hörte auch Abba und ich war ein großer Fan von Showwaddywaddy, die heute kaum mehr jemand kennt, die damals jedoch in England und auch in Deutschland mit mehreren Top Ten-Platzierungen sehr erfolgreich waren und Aufmerksamkeit erregten, denn sie hoben sich schon rein äußerlich von allen anderen ab. Es war eine Rock’n Roll-Combo, die immer bunte Klamotten trug. „Under the moon of love“ war einer ihrer größten Hits, Fifties-mäßig, mir gefiel der Gesang, und ihre Auftritte in den schrillen Jacketts hatten was Kultiges.

Das Aufnehmen aus dem Radio entwickelte sich tatsächlich zu meinem Hobby. Ich wollte immer die neusten Songs haben und vorspielen.

Als ich dann in die Georg-August-Zinn-Gesamtschule kam, hatte mir meine Mutter einen Ghettoblaster von Sharp gekauft. Eines der ersten größeren Geräte, mit denen man schon ziemlichen Krawall machen konnte. Ich beschallte damit vor der Schule und in den Pausen den gesamten Schulhof, sowas wie mein erster Rave. Irgendwann wurde es den Lehrern zu laut. Wie nicht anders zu erwarten, zog ich mir deren Unmut zu und es folgten sogar mehrere Verweise vom Schulhof. Davon ließ ich mich jedoch – wenn überhaupt – nur kurz beeindrucken.

Der Vater meines Klassenkameraden Thomas Bäppler, der mich in die Tanzschule Kiel-Blell gebracht hatte, arbeitete beim Hessischen Rundfunk und brachte uns jede Menge Promo-Singles mit, die ich mit Begeisterung anhörte. Er war auch der Erste, der Maxi-Singles hatte und sie uns vorstellte. Das muss etwa 1977 oder 1978 gewesen sein. Die 12-Inch-Single war so groß wie eine normale Langspielplatte und man konnte sie nur in 45er Geschwindigkeit abspielen. Der Klang war im Vergleich zur kleineren Single wesentlich besser und man konnte sie auch lauter abspielen, ohne dass es rauschte. Das war eine coole Sache, fast wie eine kleine Revolution im Plattenmarkt, und es war insbesondere für Disconummern wichtig. Am Anfang wurde sie als sogenannte „Super-Sound-Single“ vertrieben. Ein beschriftetes Feld auf der Rückseite informierte darüber, warum das so war. Das Djing war damals schon im Aufwind und die Maxis ermöglichten erstmals, auch Songs zu spielen, die länger als 3 Minuten waren. Durch die längeren Anfang- und End-Percussion-Parts konnte man auch die Übergänge zwischen den einzelnen Songs besser gestalten und mischen.

Parallel dazu habe ich mir einen besseren Plattenspieler besorgt und eine neue Hifi-Anlage, war also nicht mehr auf die Anlage meiner Eltern angewiesen. Es begann die Discozeit mit Giorgio Moroder und Donna Summer. ‚I feel Love‘ fand ich toll und gilt heute noch als Pionierstück elektronischer Tanzmusik. Die ARD nutzte den Titel in den 80er Jahren als Intro für Science-Fiction-Filme mit Raketenstart-Bildern hinterlegt. Auch die Fernsehsendung Disco mit Ilja Richter, die ab 1971 im ZDF lief, entwickelte sich zum Pflichtprogramm. Sie war aber nie ganz mein Ding, weil ich unter anderem die Sketche zum ... naja, das lasse ich lieber, bevor es unappetitlich wird. Natürlich gab es viel später auch Musiksendungen, die mich in ihren Bann zogen, Formel Eins in der ARD und auch auf VIVA einige Formate.

Die Discozeit brachte eine Neuerung für mich, denn beispielsweise kamen die Songs von Giorgio Moroder allesamt als Maxi heraus, und da wurde mir zum ersten Mal elektronische Musik auf eine einfache Art und Weise zugänglich, denn sämtliche Plattenläden hatten sie im Programm. Moroder benutzte für seine ersten Produktionen Moog-Synthesizer und erzeugte damit einen rhythmischen Disco-Sound. Er gilt heute noch als Erfinder der Synthesizer-Loops und des Bass-Drum-Sounds.

Für Donna Summer komponierte und produzierte er den ersten Hit „Love to love you, Baby“. Wow!, dachte ich, das klingt ja ganz anders als der übliche Gitarrensound.

1978 komponierte er den Soundtrack für den Film „12 Uhr nachts – Midnight Express“ von Alan Parker, der zwei Oscars erhielt. Oliver Stone für das beste Drehbuch und eben Giorgio Moroder für die beste Filmmusik. Der aus dem Film stammende Song „Chase“ war ein Instrumental-Stück mit rein elektronisch erzeugter Musik, der mir in gewisser Weise die Augen öffnete, weil es etwas ganz Neues war und anders klang, als alles, was ich vorher gehört hatte. Später faszinierten mich auch die Filmmusiken von John Carpenter, die auch sehr cool mit analogen Synthesizern produziert waren.

Die Disco-Ära brachte mich also schon als Teenager mit elektronisch erzeugten Klängen in Berührung, ich war aber noch zu jung, um in Frankfurt selbst in eine Disco oder einen Club gehen zu können. Mein erstes Disco-Erlebnis fand daher als Teenie im Urlaub statt, genaugenommen an der Ostsee im Ferienzentrum Holm, wohin wir mit unseren Eltern jedes Jahr in den Osterferien fuhren. Dort gab es eine Club- oder Jugenddisco mit bunten Strahlern und Discoblitzen. Und dort war es auch, wo ich an einem Nachmittag selbst mal ein paar Singles auflegen durfte, die ich übrigens selbst mitgebracht hatte. Offensichtlich hatte ich eine gewisse Vorahnung gehabt. Das war in meiner frühen Jugendzeit, ich war etwa 11, maximal 12 Jahre alt. Der DJ des Ferienclubs stand neben mir und gab mir Anweisungen und Tipps. Ich fand es cool und es freute mich, dass die Leute tanzten, teilweise auf den Tischen. Vielleicht habe ich damals schon gespürt, dass mir das Auflegen liegt.

Die ersten Partys in Frankfurt, die wir selbst organisierten, fanden im Jugendraum im Stadtteil Griesheim oder im Saal eines Nebengebäudes der St. Hedwigs-Kirche statt. Wir luden sämtliche Klassen der Schule ein, zu denen wir Kontakt hatten. Bei diesen Schulpartys habe ich auch zum ersten Mal richtig und selbständig gedeejayed, ohne dass mir jemand über die Schulter geschaut hat. Ich stand hinter den Turntables, habe Cassetten abspielen lassen, aber auch schon Platten aufgelegt. Zum größten Teil Singles. Die Lieder liefen einfach hintereinander weg. Gemischt wurde damals noch nicht, das fing erst in der späten Phase in der Tanzschule Kiel-Blell an. Ich achtete weder auf die Übergänge noch auf die Geschwindigkeit oder sonst etwas. Mir hat es einfach Spaß gemacht, wenn die Leute begeistert waren.

Am Ende der Phase als DJ in der Tanzschule Kiel-Blell war ich schon von Kopf bis Fuß auf Musik eingestellt. Das Auflegen hatte mich total gefangengenommen. Es war zwar nur mein Hobby und doch schon viel mehr: Ich wollte unbedingt Musik machen. Nur noch Musik machen. Nichts anderes. Daran führte kein Weg vorbei. Das Problem war: Ich hatte keinen Schimmer, wie ich das anstellen sollte oder konnte.

Also spielte sich Musik weiterhin in meiner Freizeit ab. In meiner freien Zeit bin ich permanent in diverse Plattenläden gegangen und habe sie nach den neusten Scheiben durchstöbert. Es gab damals Schallplatten Knie in Wiesbaden, Eisele in Offenbach und Marions Schallplattenboutique am Frankfurter Goetheplatz. Das Geld, das ich in meiner Ausbildung zum Industriekaufmann, die ich zwischenzeitlich begonnen hatte, verdient habe, setzte ich in Musik um.

Zu meiner Kiel-Blell Zeit gab es am Baseler Platz am Hauptbahnhof einen Plattenladen, in dem DJs einkauften. Sie hatten dort einen Mini-Plattenspieler auf der Theke stehen zum Vorhören und daneben eine Box mit den neusten Singles. Dort habe ich mein erstes Beatles-Album gekauft.

Ganz neue Bands sorgten mit einem Mal für Schlagzeilen, die ich als Vorreiter auf meiner elektronischen Musik-Mission empfand. Die Ära des Electronic-Pop begann. Depeche Mode, Yazoo, Heaven 17, O.M.D., Human League schwappten aus England nach Deutschland rüber und eroberten auch hierzulande die Charts. Tanzbare Synthie-Pop-Rhythmen, die ich schnell für mich entdeckte und auch in der Tanzschule auflegte. „Don’t you want me“ von Human League war der Smash-Hit weltweit und quasi die Hymne an den Tanzboden, an der niemand vorbeikam.

Die sogenannte New Romantic-Zeit hatte begonnen, für die Visage, Spandau Ballet, Duran Duran und Adam Ant, aber auch der Culture Club standen. In Frankfurt gab es damals als Jugendlicher genau zwei Möglichkeiten: Entweder du wirst Punker oder Popper. Ich wurde Popper mit Fönwelle und Seitenscheitel, später New Romantic mit Rüschenhemden, Piratenjacken und Pumphosen. So gingen wir auch in die Clubs und auf viele Konzerte. In der Batschkapp sahen wir beispielsweise Aztek Camera, ABC und Kid Creole and the Coconuts in der Alten Oper, in der Wartburg in Wiesbaden bewunderten wir Duran Duran. Wir trugen lange, bunte Tücher und tanzten mit ihnen. Wir waren die Hingucker in dem Laden. Unvergesslich war die Zugabe: eine 10-minütige Version von „Girls on Film“ mit vielen Percussions. Es war genial, intergalaktisch. Ich fühlte mich wie auf einem fremden Planeten.

Nach meiner Rückkehr in die Tanzschule Kiel-Blell änderte sich leider nicht wirklich etwas. Das ständige Reinreden des Inhabers in mein Musik-Konzept hörte nie auf, bis es mir irgendwann zu viel wurde. Ich wollte mein eigenes Ding machen, meinen eigenen Sound spielen und nicht auf irgendjemanden hören müssen. Also quittierte ich dort endgültig meinen DJ-Job und verließ die Tanzschule. Im Rückblick verdanke ich es Thomas Bäppler, dass er mich in die Tanzschule gelotst hat, sonst wäre ich vielleicht niemals DJ geworden, zumindest hätte sich meine Musikbegeisterung auf ganz anderen Wegen entwickeln müssen. Thomas gab die Initialzündung und ich habe mein Leben in die Richtung ausgerichtet, die es für die kommenden Jahrzehnte einnehmen sollte. Es drehte sich alles nur um eins: Musik, Musik, Musik. Musik in der Freizeit, Musik im Alltag, Musik als Job. Musik tagsüber und nachts. Es gab nur noch Musik für mich.

„Verbrennt alle Gitarren“– Roots of Techno oder Unit (Logic)

Wenn ich zurückdenke an die vielen hundert Konzerte, auf denen ich war, fällt mir ein ganz Besonderes ein. Es war wie ein Urknall für mich und es trug wesentlich zu meiner weiteren musikalischen Entwicklung und zur Ausbildung meines eigenen Musikgeschmackes bei. Es war 1982 bei einem Konzert in der imposanten und eleganten Alten Oper in Frankfurt. Dort sah ich Kraftwerk erstmals live. Die Elektronik-Pioniere und -Götter machten auf ihrer bundesweiten „Computer­welt“-Tour in Frankfurt Station.

Kraftwerk waren die ersten, die elektronische Musik tanzbar gemacht haben, indem sie Synthesizer, Sequenzer und Rhythmusgeräte kombinierten. Vorher gab es zwar auch schon rein elektronische Musik, aber die war sehr experimentell angelegt.

Während des Konzerts durchflutete mich eine Art elektronischer Rausch. Die Songs „Trans Europa Express“ und „Die Roboter“ waren meine Favoriten. Ein absoluter Megaflash. Die abgefahrenen technologischen Geräte, die Aufbauten auf der Bühne, die Roboter, die flachen Drums, die damals niemand anderes benutzte. Teilweise hielten sie die Drums sogar in der Hand und spielten sie. Die Darbietung glich einer Art Vereinigung von Mensch und Maschine. Es war anders, so futuristisch. Das alles ergab eine neue Welt der Musik und eine Spielwiese für mich. Ich empfand es als galaktisch, wie aus einer anderen Zeit entsprungen, hinein in eine neue Dimension.

Stupide Gitarrensoli? Nee! Das konnte es nicht mehr sein! Auf keinen Fall. Es gab mehr und es musste darüber hinaus noch viel mehr geben.

Nach dem Konzert hatte es mich vollends gepackt. Als wir wieder draußen auf dem Opernplatz standen, stellte ich mich auf den Rand des Opernplatz-Brunnens, der in der Nacht hell erleuchtet war, reckte die Arme hoch zu den Sternen und schrie begeistert in den Himmel: „Verbrennt alle Gitarren!“

Das sollte gleichzeitig mein künftiges Motto werden – der Konzertabend war wie ein Erweckungserlebnis für mich.

Obwohl ich weiterhin im Montanus Plattenladen jobbte, war ich mit ziemlich vielen Leuten aus den anderen Läden der Stadt befreundet, weil ich ständig tingelte, nur um ja nichts Gutes oder Neues zu verpassen. Ich war Platten verfallen, stöberte und stöberte. Das hielt mindestens ein Jahrzehnt an. Anfang der 90er hatte ich bei Boy Records einmal einen Deckel von 4.000 DM – und zwar nur für Platten, die ich dort gekauft hatte.

Die Plattenläden in der Stadt waren mein zweites Zuhause geworden, wie mein Wohnzimmer. Am liebsten hätte ich auch dort übernachtet. Das war eine eigene Welt, eine ganz spezielle Sub-Kultur, die sich dort entwickelte.