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In diesem Buch führt uns Wolfgang Schierlitz ein weiteres Mal die Tücken des Weihnachtsfestes vor Augen. Auf amüsante Weise schildert er, wie man die richtige Geschenkauswahl für seine Lieben trifft. Schwierigkeiten ergeben sich dabei vor allem bei den Kleinsten, die in ihrer Neugier und Unbefangenheit den lieben Onkel als Nikolaus identifizieren. Ein Wettstreit über das schönste Krippenspiel endet in der friedlichen Zeit schon mal in lautem Chaos und Disharmonie. Dieses Buch ist der ideale Begleiter für die stressige Weihnachtszeit, in der man auch gerne einmal herzhaft lacht.
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Veröffentlichungsjahr: 2016
LESEPROBE zu
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2016
© 2016 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelillustration und Illustrationen im Innenteil: Sebastian Schrank, München
Worum geht es im Buch?
Wolfgang Schierlitz
TannenPannen
Lustige Weihnachtsgeschichten
In diesem Buch führt uns Wolfgang Schierlitz ein weiteres Mal die Tücken des Weihnachtsfestes vor Augen. Auf amüsante Weise schildert er, wie man die richtige Geschenkauswahl für seine Lieben trifft. Schwierigkeiten ergeben sich dabei vor allem bei den Kleinsten, die in ihrer Neugier und Unbefangenheit den lieben Onkel als Nikolaus identifizieren. Ein Wettstreit über das schönste Krippenspiel endet in der friedlichen Zeit schon mal in lautem Chaos und Disharmonie.
Dieses Buch ist der ideale Begleiter für die stressige Weihnachtszeit, in der man auch gerne einmal herzhaft lacht.
Inhalt
Vorwort (Dr. Hartmut Baltin)
Wie man geheimnisvoll günstig schenkt
Albtraum im Advent
Die guten und die bösen Mächte
Morgen, Kinder, wird’s was geben!
Dresdner Christstollen
Verführerische Pomeranzen
Von weit oben gerade noch heruntergekommen
Jahreskarussell und Jägerlatein
Alpin-musikalischer Naturgenuss im Advent
Die jugendlichen Tester
Friede sei mit euch
Das automatische Weihnachtsgeld
Der Mond, in mattem Gold gewälzt
Zauberhaft
Schnitzen in das Rinde
Scheinheilige Nacht
Die wichtigen Synapsen, akademisch gesehen
Der verschwundene Gewinn
Champagnerpowder
Der Autor
Vorwort
Auf das Weihnachtsfest projiziert der Mensch sein Wunschbild von Friede, Freude und Eierkuchen. So entstehen die vielen Fassaden, die unser Leben im schönsten Licht erscheinen lassen, obwohl es in der Regel sehr prosaisch ist.
Dieses Leben spielt sich im Kopf des Verfassers auf mehreren Ebenen ab. Der Leser mäandert mit ihm durch die realen Geschehnisse, die umrankt werden von farbenfrohen und erfrischenden Einfällen und Kommentaren, die dem Buch einen philosophischen Touch verleihen.
Die Vielschichtigkeit dieses Buches erfordert es, dass man sich näher mit dem Werdegang des Verfassers beschäftigt. Aus seinem Beruf heraus entwickelte sich logisch und geradlinig etwas, was schließlich seine Berufung wurde. Sonst würde er nicht so viele Bücher schreiben!
Als junger Mensch erlernte er das Setzer- und Druckhandwerk in einer für die heutige Jugend schwer vorstellbaren Form: Um einen Text gedruckt auf das Papier zu bringen, musste dieser vorher aus seitenverkehrten Buchstaben zusammengesetzt werden – praktisch hintenherum. Dies erforderte eine große Vorstellungskraft: Er war gezwungen, den Text aus vielen Perspektiven auf seine Richtigkeit zu beleuchten.
Vielleicht ist das die Erklärung für seinen teilweise filigran anmutenden Satzbau. Er wirkt, als wären einzelne Buchstaben noch etwas verkantet auf dem Papier gelandet.
Aber gerade darin liegen seine Genialität und Einmaligkeit, gerade damit vermittelt er Assoziationen so pointiert, dass der Leser plötzlich alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten beginnt.
Das ist es, was Lesen zu einem Vergnügen macht. Einem bajuwarischen Vergnügen.
Dr. Hartmut Baltin
Wie man geheimnisvoll günstig schenkt
Einfach ist das keinesfalls. Jedes Jahr werden die Erwartungen noch gewaltiger. Das sogenannte Preis-Leistungs-Verhältnis wird überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen oder nur noch notdürftig, oberflächlich weihnachtlich verbrämt. Im Laufe der vielen fetten Jahre ist es bereits so weit gekommen, dass schon die Kinder murren, wenn ihre Wünsche nicht genügend berücksichtigt werden. Der schnöde, aber teure Mammon wird immer seltener in den Vordergrund gerückt. Die Zufriedenheit hat sich still und leise einfach verabschiedet.
Dadurch schreckt der bewusst schenken Wollende schon im lauen Sommer des Nachts unverhofft aus dem Schlafe auf. Und das nicht nur, weil es ihm zu warm geworden ist. Die Symptomatik geht bis hin zu schweren Alpdrücken. Schuldbewusst erinnert er sich nämlich, dass er für das schnell nahende Weihnachten noch überhaupt nichts gebunkert hat. Wobei schon bald die verschmitzten Schokoladennikoläuse verstohlen in den Regalen lauern werden. Dabei weiß er doch aus Erfahrung, wie plötzlich und unverhofft der Heilige Abend vor der Türe steht. Gerade noch milder Sommerwind, gleich wieder bunter Herbst, und schon schneit es vielleicht anhaltend. Da staut sich dann alles auf die Feiertage zu.
Das günstige Einkaufen wird in dieser Zeit leider auch immer stärker behindert. Gerade vor Weihnachten, wenn eigentlich kontemplativ und entspannt die schönsten und geeignetsten Geschenke für die Lieben ausgewählt werden müssten, setzt direkt ein Run auf sämtliche Läden ein.
Ein langjähriger Kenner der Materie und kompetenter Vorsitzender des Gewerbeverbandes kommentiert die Situation folgendermaßen: »Sogar die immer zahlreicher werdenden Flohmärkte erleben eine Invasion nach der anderen mit massenhafter Stürmung. Gleich, was da angeboten wird: Die verkaufen doch zu jeder Jahreszeit alles, was nicht niet- und nagelfest ist.«
Aber hier sagt der vorausschauende Kunde und Stratege: »Das ist gut so.« Der sinnvoll Bevorratende sorgt nämlich schlau und überlegen zu jeder Jahreszeit für das Fest der Feste vor, bevor es zu spät sein könnte. Und auch wenn das Verkaufsvolumen im mittelständischen Bereich dadurch etwas lahmen sollte: Für den Einzelhandel bleibt ja trotzdem glücklicherweise, vielleicht etwas gestutzt, die Adventzeitspanne, um nachhaltig am gewinnbringenden Boom teilzunehmen.
Weit gefährlicher für diese Branche sind die lautlosen Wellen, mit denen immer häufiger über das Internet Bestellungen durch den Äther rasen, auch wenn dann der Kunde, der seine Ware nicht mehr rechtzeitig geliefert bekommt, nicht selten das Nachsehen hat.
Der vorausschauende, sachlich denkende Kopf weiß jedenfalls aus leidvoller Erfahrung: »Man wird in den wenigen Wochen vor Weihnachten durch die aufgewühlten Menschenmassen in den Geschäften stark behindert, ja beeinträchtigt. Rigorose Leute schnappen dir die günstigsten Schnäppchen einfach vor der Nase weg. Als entspannt Suchender, der mit kühlem Kopf nach Präsenten Ausschau hält, stürzt man sich ungern in die entfesselte Meute hinein.«
Es nützt auch überhaupt nichts, wenn man weiß, dass doch so manche Ware nach den Feiertagen zum herabgesetzten Preis zu erwerben wäre. Daraus resultiert ja der bezeichnende, höchst aufschlussreiche Name Ladenhüter.
Zum Glück hat man das anregende, fesselnde Prinzip des sogenannten Wühltisches nicht ganz abgeschafft. Immer wieder einmal schürft der gründliche Sonderpreisjäger bis zum Grund der lose geschichteten Textilien, auch wenn er dabei leider manchmal nicht so fündig wurde, wie er es erhofft hatte. Hauptsache, er hat den Haufen gründlich umgegraben und für die Nachfolger das Unterste zuoberst zurückgelassen.
Besondere Aufmerksamkeit, vom Preis her gesehen, erregten diese Fundgruben zweimal jährlich zum Sommer- oder Winterende. Aber selbst da hat eine unverständliche Regelung einen Riegel vorgeschoben.
Nehmen wir doch beispielsweise den sogenannten Winterschlussverkauf. Dieser wurde leider von anonymen, bösartigen Kräften leichtsinnig zu Grabe getragen. Wie eindrucksvoll prangten doch früher in den Geschäftszonen Transparente und überdimensionale Schilder in werbewirksamen Lettern und mit dem tröstlichen Versprechen von Schnäppchen. Die wohlklingenden Wortfügungen »Winterschlussverkauf« und das etwas allgemeinere »for sale« ließen den preisbewussten und hart kalkulierenden Kunden frohgemut aufhorchen. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Sommerschlussverkauf.
Aber noch sind wir ja in suchenden Gedanken über die Festlichkeiten und die zu erwerbenden Präsente versunken. Solche Art von Überlegungen eilten auch dem fleißigen Bediensteten Fridolin am Münchener Airport, mit dem Markennamen Franz-Josef-Strauß-Flughafen betitelt, durch den Kopf. Der eloquente Mann arbeitete nun bereits Jahrzehnte sozusagen als ein wichtiges Glied beim Bodenpersonal der Lufthansa. Ohne sein arbeitsames Zutun würde ein gut geöltes Rädchen in den komplizierten Abläufen dieses luftigen Weltdrehkreuzes fehlen.
Verantwortungsbewusst und großzügig brütete er schon länger und ausgiebig darüber nach, was er denn seiner kürzlich eroberten Geliebten zum hohen Fest präsentieren könnte. Noch war zwar etwas Zeit übrig, aber er sagte sich richtig: »So gut wie immer steht auch diesmal ein neues Weihnachten über kurz oder lang bevor.«
Doch die rettende Idee nahte in Form von einer recht überraschenden Mitteilung. Denn wieder einmal sollte die große Versteigerung stattfinden. Er wusste natürlich sofort, worum es ging, und kombinierte richtig. Das war die unverhofft eingetroffene Hilfe, die ihm die Möglichkeit eröffnete, geheimnisvoll, außergewöhnlich und als interessanter Schenkender aufzutreten. Insbesondere rechnete er still bei sich aus, für seine neue, größere Liebe bald wieder eine treffsichere, geschenkmäßig einmalige Investition tätigen zu können. Es müssen ja nicht immer teure Klunker sein, noch dazu von den schwindelnden Preisen her gesehen.
Dieser soeben eingetretene Tatbestand der Versteigerung hatte folgenden Hintergrund: nämlich weil das mit dem Fluggepäck so eine Sache ist, wenn nach getätigter Reise eine unangenehme Überraschung eintritt. Immer wieder einmal, wenn auch recht selten, wartet man vergeblich auf seine Siebensachen. Man steht erwartungsvoll am Transportband. Allmählich fragt man sich erschüttert: Wo bleibt der Koffer, wo bleibt der Seesack, wo bleibt die wohlgepackte, schmucke Reisetasche? Oder hat man selbst die Adressen verwechselt? – Nein, das kann nicht sein. Das weiß man bestimmt. – Hat ein schlampiger Bediensteter vom Bodenpersonal die Bestimmungszettel abgerissen oder so stark beschädigt, dass ein Entziffern unmöglich wurde?
So nach und nach holt jeder Mitgeflogene erleichtert sein Gepäck ab. Doch den Letzten beißen wieder einmal offenbar sozusagen die Hunde. Lange noch steht man versunken und nachdenklich da. Das schwarze Gummi-Förderband zeigt sich jetzt nach getaner Arbeit vollkommen statisch. Kein einziger Rucker findet mehr statt. Was ist denn da wohl passiert, was zu tun? Da müsste doch noch was eintreffen.
Doch die Klappe bleibt geschlossen. Der Flieger, mit dem man vor einer Stunde hereingeflogen war, hebt seelenruhig wieder ab und eilt ungerührt gen Himmel, sozusagen von dannen nach hinnen. Aber das Transportband bleibt unbeweglich, wie versteinert.
Und los geht’s wieder einmal. Der ganze Rattenschwanz mit Beschwerden, behördlichem Kram, das Formulareausfüllen und Formularebearbeiten nimmt seinen Lauf. In den meisten Fällen ist man aber seine mühsam eingepackten Utensilien los.
Irgendwo darf das nun herren- und frauenlose Gepäck unbeschwert herumfliegen, oft mehrmals um die ganze Welt. Das kann dauern. Und weil die unnötige, fremde Last allmählich stört, hat man ein Sammellager für all diese Dinge geschaffen. Die Besitzer sind längst nach allen Regeln der Kunst abgeschrieben. Kein Mensch kann sich mehr um die aufwendige Rückführung der Gepäcksachen zu ihren wahren Besitzern kümmern.
Oder es trifft ja auch ab und zu ein, dass das Gepäck wenigstens teilweise einen leichteren Flugzeugabsturz gut überdauert hat. Manchmal ist schließlich nicht alles im Eimer. Da geht es aber doch auch drunter und drüber. Die allgemeine Verwirrung erreicht einen gewissen Höhepunkt, und manches bleibt zunächst zurück, was später als vermisst gemeldet wird. Und wo soll der ganze Krempel hin? – Jawohl! Was übrig bleibt, kommt ins Sammellager. Immer wieder einmal, bevor die Lagerstätte überquillt, findet dann eine große Versteigerung all der angestauten Dinge statt.
Dadurch ergibt sich eine einmalige Gelegenheit. Da kann der Eingeweihte oder derjenige, der davon rechtzeitig erfahren hat, das geheimnisschwangere Reisegepäck zu Schnäppchenpreisen ersteigern. Alleine das Öffnen oder Erbrechen der rätselumwitterten Stücke ist ohne Weiteres dazu in der Lage, eine erwartungsvolle Gänsehaut zu erzeugen. Was kommt da alles an die Oberfläche? Meist Erstaunliches wie sündteure Schuhe, eine geschmackvolle Krawatte, Mundvorrat oder exotische Kleidung. Manchmal aber leider auch lediglich Banaleres wie frische Unterhosen oder gebrauchte Socken sowie dergleichen Hemden.
Vorausschauend war der schlaue Fuchs Fridolin sofort zur Stelle. Ein Gebot nach dem anderen konnte er locker übersteigern. Das Preis-Leistungs-Verhältnis schien immer noch erschwinglich, wo er doch ein beträchtliches Überraschungsmoment für sich verbuchen konnte. Zufrieden murmelte er nach abgeschlossenem Geschäft: »Schwein gehabt!«
Zum Schluss lag seine stattliche Ausbeute bei drei ansehnlichen Koffern, einem Seesack aus imprägniertem Linnen sowie einer umfangreichen tiefblauen Reisetasche mit kleinem Vorhängeschloss. Mit sich zufrieden und überglücklich transportierte er das erworbene Gut heimwärts. Alles in allem war der gesteckte Preisrahmen voll im Limit geblieben.
Folgerichtig dachte er still bei sich: »Was davon schenke ich nun meiner schmucken neuen Geliebten zu Weihnachten? Die würde ich nämlich gerne länger behalten.«
Eigentlich wurde er immer begieriger darauf, das geheimnisvolle Gut lediglich in Begleitung einer teuren Flasche Spätburgunder ausschließlich persönlich zu öffnen. Aber weil er im Grunde seines Herzens nicht nur kleinlich, sondern auch ziemlich großzügig sein konnte, traf er eine schwere Entscheidung: »Es soll die umfangreiche tiefblaue Reisetasche als tolles Geschenk unter dem Christbaum sein!«
Die Dekoration des Weihnachtsbaums nahm in seinen Gedanken auch schon Formen an, auch wenn draußen noch die Herbstsonne ungewöhnlich kräftig herabbrannte. Bei Föhnstimmung im November entschied er sich für Silber in Form von Lametta und matt glänzende tiefblaue Kugeln, was ja auch der Farbe der Tasche ziemlich genau entsprach.
Am gleichen Abend noch, und erwartungsvoll, nahm er sich die entsprechende Zeit. Zunächst widmete er sich, unter Begleitung eines süffigen Spätburgunders, den zwei aus stabilem Kunststoff in Mausgrau und Schwarz bestehenden Koffern. Einen nach dem anderen. Schon der erste, mausgraue, überpralle, leistete erbitterten Widerstand, bis das Schloss mit all seinen Tücken am Ende war. Schwer beschädigt musste er, der Mausgraue, schließlich der rohen Gewalt weichen. Widerwillig sprang er auf, und schon quoll der Inhalt hemmungslos hervor.
Es handelte sich um neun fabrikneue Hemden mit der Kragenweite 39 sowie reichlich T- und Sweatshirts, vier Boxershorts. Anschließend und darunter schaute ein großgeblümter Schlafanzug hervor. Badeschuhe, Badehose, Bademütze, Badehandtuch und starker Sonnenschutz sowie eine Taucherbrille nebst Schnorchel kamen der Reihe nach an das Tageslicht. Dazwischen warteten mehrere Bücher darauf, gelesen und gewürdigt zu werden: Wie tauche ich gefahrlos; Schnorcheln, aber richtig und Oswalt Kolle: Das Wunder der Liebe.
Beim Studium des letzteren begleitete ihn bereits die zweite Flasche Spätburgunder. Während er Das Wunder der Liebe inhalierte, klingelte das Smartphone. Es war die neue, schmucke Geliebte: »Ich komm noch auf einen Sprung vorbei. Ich habe Sehnsucht.« Und schwupp!, war sie weg, das heißt unterwegs.
Schnell verräumte er alle Spuren bezüglich Koffer und Tasche, zog eines der fabrikneuen Hemden an, und schon wurde die Klingel unten betätigt. Er öffnete überwiegend heiter im frischen Hemd und etwas angetrunken.
Seine Neue begrüßte ihn liebevoll: »Das Hemd ist ja viel zu klein. Und wieso liegt da ein Buch am Boden?« Neugierig hob sie es auf und vertiefte sich sofort in die schwach erotische Lektüre. Nach einer Weile: »Das ist ja Liebe aus dem bundesdeutschen Altertum. Da kannst du bei mir nicht punkten!«
Die dritte Flasche Spätburgunder wurde mühsam geöffnet und der Inhalt unsicher auf zwei Gläser anvisiert. Der gute Wein sprudelte leider etwas eilig heraus.
Die schmucke Geliebte heulte rückhaltlos auf: »Rotweinflecken! Die bring ich nie mehr aus dem neuen Kleid! Du bist doch ein Tölpel!«
Der gute Fridolin nahm aber diese Sache zum Glück nicht übermäßig ernst. Sein Selbstbewusstsein war nicht so leicht zu erschüttern. Ausführlich versuchte er ihr klarzumachen: »Da sind doch sowieso die großen roten Blumen drauf. Die kommen jetzt noch vielfältiger, abstrakter, stärker zur Geltung, oder! Außerdem hab ich auch schon ein einmaliges Geschenk für dein Weihnachten parat.«
Das genügte. Die schmucke Geliebte machte auf dem Absatz kehrt und war sozusagen wie der Blitz beim Tempel hinausgeeilt. Teilnahmsvoll rief er ihr noch nach: »Salz drauf, Salz drauf – und schon ist das weg, das bisschen Flecken!«
Doch wer für länger weg war, vielleicht sogar auf unbestimmte Zeit, war sie. Nun fand er wieder seine Ruhe, um sich weiter in die erworbenen Geheimnisse zu vertiefen.
Der zweite Koffer wurde aufgesprengt. Leider zeigte sich der Inhalt zunächst gar nicht nach seinem Geschmack. Enttäuscht musste er die vierte Flasche Rotwein öffnen. Dann entsorgte er ungefähr 500 großformatige Baupläne und ausgedruckte Grundrisszeichnungen sowie Texterläuterungen in kyrillischer Schrift für ein imaginäres Megacity-Vorhaben. Die ganze Angelegenheit musste sich offensichtlich auf russischem Hoheitsgebiet befinden. Darunter, genau wie darüber, befand sich Schaumstoff zur Polsterung der anscheinend oberwichtigen Sachen.
Aber als er schon beinahe zornig den Koffer einfach umdrehte, fiel noch ein weich umwickelter Gegenstand heraus. Der Inhalt: eine kleine, unscheinbare Nadel, jedoch – sensationell – aus purem Gold.
Am nächsten Tag – Fridolin war wieder vollständig nüchtern geworden – konnte er erfahren, dass es sich um eine Haarschmucknadel skythischen Ursprungs handelte. »Diese verwilderten Reiterleute aus Südrussland sind ja kaum erforscht. Man weiß bis heute noch nicht, wie sie an das Gold herangekommen sind. Die hatten keinerlei Goldbergwerke in der Steppe. Daher vermute ich als Fachmann, dass sie alles einfach zusammengestohlen haben.«
Das meinte der befragte Experte, ein befreundeter Hobbyarchäologe. So nach und nach reimte sich der glückliche neue Besitzer des raren Gegenstandes zusammen, dass da mit dem verschollenen Koffer höchstwahrscheinlich ein Bestechungsfall sein vorzeitiges Ende gefunden haben musste. Und er war der glückliche Nutznießer.
Am nächsten Tag wollte er sich neugierig dem ebenfalls günstig ersteigerten Seesack widmen. Doch als er sich näher damit befasste, kam etwas Überraschendes zutage: Schwer leserlich, aber doch entzifferbar entdeckte er eine Adresse in Hamburg-Blankenese. Nach einem Kampf, den er mit sich selbst ausfechten musste, war die Sache für ihn klar. Er schickte, wenn auch schweren Herzens, das ehrlich erworbene Stück wieder seinem tatsächlichen Besitzer entgegen. Nach neun Tagen erreichte ihn auf dem Postwege ein ausführliches Dankschreiben. Der Besitzer, ein ehemaliger Matrose, mühsam existierend als Hartz-IV-Empfänger, zeigte sich überglücklich angesichts seiner sämtlichen wiedergefundenen Habseligkeiten. Das beweist deutlich, wie auch ein abgehärteter, salzwassergetaufter Seemann im Herzen vollständig erweicht, sobald ihm echte Anteilnahme und Lebenshilfe entgegenschlägt.
Dann kam es, wie es wieder einmal jährlich genau kommen musste. Weihnachten stand unmittelbar, beinahe wie soeben aus dem Boden entsprungen, bevor. Allmählich, wenn auch mühsam, hatte der eifrige Fridolin den Kontakt zu seiner schmucken Geliebten wiederhergestellt. Fast wäre sie im Laufe der kurzzeitigen Trennung einem unverhofften Rivalen aus dem Flughafenpersonal als Beute anheimgefallen. Der scheinheilige Bursche, noch dazu ein Freund und ziemlich vertrauter Arbeitskamerad, brach aus verliebter Begehrlichkeit das ungeschriebene Gesetz: »Begehre niemals die schmucke Geliebte deines Kollegen!«
Der Heilige Abend war mit leichter Schneeauflage und glitzerndem Frost angekommen. Ein bereits früher sorgfältig und dekorativ geplanter Christbaum strahlte aus der gut gesäuberten Ecke, in welcher sonst der Staubsauger untätig lehnte. Nach einem einfachen, aber schmackhaften Menü, bestehend aus gebratenen Knoblauchshrimps in Olivenöl und gut warmen Maronikastanien sowie etwas Rucolasalat, hatte diesmal der schlaue Fuchs Fridolin auf Weißwein umgesattelt. Das Malheur von der letzten, nicht ganz unproblematischen Begegnung mit Flecken war noch nicht völlig aus seinem scharfen Gedächtnis entschwunden. Zufrieden und wohlig tastete er nach der schmalen rechten Hand seiner schmucken Geliebten, die sie ihm gerne und erwartungsvoll reichte. Denn nun sollte ja die fröhliche Bescherung losgehen. Die Geliebte legte noch schnell etwas unter den Weihnachtsbaum, als Fridolin kurz in der Küche werkelte. Schnell und festlich sang sie eine kurze Strophe von den Himmeln und dem bald herabtauenden Gerechten. Und schon war zwar nicht der Gerechte, aber der feierlich gepolte Freund Fridolin wieder im Raum.
Neben dieser neuerlich abgelegten Geschenksache warteten eine tiefblaue, größere Reisetasche und ein schweinslederner, weit gereister Koffer mittlerer Größe auf die feierliche Eröffnung. Und schon fand die weihnachlich-traditionelle Zeremonie statt. Zunächst durfte er sein aufwendig in Japanpapier verpacktes Präsent auswickeln. Es handelte sich um ein feines Seidenhemd mit der passenden Kragenweite 43 und nicht kleiner. Natürlich zeigte er sich dankbar und recht glücklich, denn sie strahlte dazu verheißungsvoll.
Jetzt kam sein großer Auftritt. In blumigen Worten vermittelte er ihr das erstaunliche Geheimnis der tiefblauen Reisetasche. Erst skeptisch, aber dann recht neugierig durfte sie ran an dieses rätselhafte Präsent. Fridolin erbrach für sie das kleine Vorhängeschloss, und schon – ritsch, ratsch, klang der Reißverschluss in die gespannte Atmosphäre – kam sie dem Inhalt näher. Und der war ja nun wirklich und überraschend beinahe prächtig. Ganz oben fand sich ein goldpaillettenbesetztes Kostüm in Tiefblau. Fridolin rief beinahe leicht nervös, aber begierig: »Das musst du augenblicklich anprobieren!« Und schon streifte sie etwas mehr Kleidung ab, schlüpfte in das verheißungsvolle Stück, und siehe da: Es passte wie angegossen. Zum Dank fiel sie ihm spontan und herzlich um seinen Hals, welcher versehen war mit dem neuen, bläulich gemusterten Seidenhemd der Kragenweite Größe 43.
Wie sich durch das weitere Auspacken der Utensilien herausstellte, musste es sich um eine sündteure Modekleiderkollektion für eine Art Mannequin handeln, vielleicht sogar für ein besonders teuer bezahltes, berühmtes. Und das Frappierende, nachhaltig kommentiert von seiner Geliebten: »Das passt ja alles wie maßgeschneidert!« Es fügte und schmiegte sich auch tatsächlich wie eine zweite Haut um den edlen Körper der schmucken, umgehend immer mehr und über alles Geliebten.
Nun blieb noch eine beidseitig zu lösende frohe Handlung. Der Schweinslederkoffer wurde gemeinsam sorgfältig erbrochen. Die große Überraschung fand zwar dadurch nicht mehr statt. Sichtlich, aber nicht allzu sehr betroffen bemerkte der Verliebte: »Gerade von dem weit gereisten Schweinslederkoffer hätte ich mir wesentlich mehr erwartet.«
Jedoch war das auch kaum mehr nötig, denn es herrschte trotzdem eitel Wonne. Der unscheinbare Inhalt: überwiegend verschiedenste benutzte Ober- und Unterwäsche, gerade recht für den Altkleidercontainer, vielleicht auch als Futter für die Waschmaschine. Trotzdem flötete sie (natürlich keineswegs die Waschmaschine) ergriffen: »Das ist Weihnachten, wie es singt und klingt, und tatsächlich so wirklich unwirklich wie aus einem wahr gewordenen Märchen.«
Ganz nüchtern war die schmucke Geliebte offensichtlich auch nicht mehr. Weißwein hat auch seine Promille.
Albtraum im Advent
So ein Supermarkt muss ja ständig auf dem neuesten Level sein. Vor allem wenn der Umsatz sang- und klanglos etwas einbricht, müssen umgehend größere Überlegungen angestellt werden. Noch dazu weil wieder einmal der Advent als besonderer Einkaufsmagnet unausweichlich herannaht. Gleich ist es wieder so weit. Da steht man dann als Kunde vor dem umfangreichen Laden und, vielleicht sogar verzweifelt, vor dem Hinweis: »Geschlossen. Wir bauen für Sie um.«
Das musste ein guter Bekannter, ein Frühpensionär, kürzlich an seinem eigenen Leib erfahren. Als ehemaliger Ministerialrat heimste er monatlich und pünktlich eine erkleckliche Auszahlung ein. Trotzdem fand sich, erwerbsmäßig gesehen, immer nur das Billigste in seinem Einkaufswagen. Kurz und knapp gesagt: Er war von Haus aus ziemlich geizig. Täglich prüfte er intensiv die Werbezettel, die aus seinem Postkasten unzählig hervorquollen. Diese nehmen ja an Umfang und Zahl lange schon vor den hohen Festtagen gewaltig zu.
Doch vorläufig leider vergeblich. Erst an einem Nachmittag Ende November sollte laut Ankündigung der Eröffnungsevent stattfinden.
Etwa zwei Stunden vor dem großen Ereignis traf ich ihn, den Privatier, auf einer Parkbank lauernd, in allernächster Nähe der Einkaufsquelle. Er machte einen ziemlich fertigen, blassen Eindruck. Hatte er schlecht geschlafen, und das selbst als ehemaliger höherer Staatsdiener? Ich fragte ihn unumwunden nach dem Grund.
Das hätte ich lieber bleiben lassen sollen. Wie immer als gelernter Beamter, holte er nicht nur sehr weit aus, sondern verzettelte sich mit seinen Erläuterungen vom Hundertsten bis ins Tausendste.
Umständlich versuchte er am Anfang zu beginnen, fand ihn aber nur sehr schwer: »Also, die Sache ist die: Gestern um sieben Uhr, nein, es war doch schon sieben Uhr und zehn Minuten, also 19.10 Uhr am Abend. Ich wollte eigentlich Spaghetti mit Tomatensoße kochen. Doch da stellte ich fest, dass ich gar keine Spaghetti mehr zu Hause hatte.«
Ich unterbrach ihn noch nicht, weil ich genau wusste: Wenn er dadurch völlig aus seinem Konzept herauskäme, würde ich morgen noch dasitzen.
Er fuhr auch ziemlich bald wieder fort: »Also, keine Spaghetti. Da isst man dann notgedrungen das, was man noch so da hat. Oder das von gestern. Ich habe dann anschließend noch den Teller und die Gabel, also auch ein Messer, abgespült. Sowie eine benutzte Tasse.«
Gleich dachte ich wieder daran, dass er ja von Jugendbeinen an ein eingefleischter Junggeselle war. Er musste solche schwerwiegenden Dinge immer alle selbst machen. Da ist man ständig ganz auf sich allein gestellt.
Und schon nach gar nicht langer Zeit setzte er fort: »Als ich dann den Fernseher eingeschaltet hatte, so gegen acht Uhr, und fünfzehn Minuten später nach den Tagesnachrichten noch der Wetterbericht durchgegeben wurde, sagte der Wetterfrosch ungerührt: ›Schon wieder Föhn.‹ Dadurch bin ich umgehend recht müde geworden. Das war schon den ganzen Tag, weil ich noch dazu den Föhn überhaupt nicht vertrage. Vor den Nachrichten ist ja immer Werbung. Aber nicht lange. Ich bin dann glatt eingeschlafen. Und kaum später, also das muss nur ganz kurz danach gewesen sein, so gegen neun Uhr, ging es los.«
Schon beinahe nur noch mit Mühe gefasst, aber zunehmend ungeduldiger, unterbrach ich das Gelaber: »Was war denn nun endlich? Sag es mir doch bitte heute noch!«
Ernst und sichtlich beleidigt sammelte er sich: »Ganz schwerer Traum. Böser Horror. Ich musste in den Supermarkt. Nichts mehr daheim. Noch dazu bald Weihnachten.« An dieser Stelle versuchte er sämtliche Dinge aufzuzählen, welche er einkaufen wollte.
Es ging nicht mehr anders. Ich musste ihn erneut abrupt unterbrechen: »Bitte, was war denn los, dass du so fertig bist? Sag es mir doch endlich! Das ist ja eine regelrechte Folter, was du mit mir machst!«
Seelenruhig wartete er etwas. Er besann sich zunächst, wie er das wahrscheinlich auch früher auf seinem Beamtensessel tat. Dann brach es langsam aus ihm heraus: »Du kannst dir wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie sehr so ein Albtraum zuschlagen kann. Ich bin immer noch fix und fertig. Und das kam so: Ich werfe einen Euro ein. Ich will mir wie immer einen Einkaufswagen ordern. Und siehe da, so ein Gerät ist dreimal so groß wie früher. Sozusagen ein überdimensionales Fahrzeug. Der Wagen ist mit drehbaren Schalt- und Gasgriffen versehen. Dass die Bremse fehlt, fällt mir zunächst nicht auf. Auch eine richtige, große Gummihupe wie ganz früher bei den Motorrädern ist vorhanden. Und jetzt sehe ich: Da ist ja sogar ein Motor zwischen den Rädern aufgehängt. Ich drehe vorsichtig am Gas. Schon rattert das Ding ziemlich schnell los, und ich muss wie mit daran gefesselten Händen mitsausen. Ich glaube, da war ein richtiger, starker Menschenmagnet dran, der dich nicht mehr freigibt. Wir brettern durch zwei Schwingtürflügel, die wie in einer Wildwestbar hinter mir hin und her schlagen.«
Er musste eine Pause einschalten. Das verstand ich. Allmählich konnte er mühsam weitererzählen.
»Aber jetzt kam erst so richtig Angst in mir auf. Während ja der Einkaufswagen dreimal voluminöser als früher war, hatte man die Gassen so verengt, dass eine Kollision mit den Waren rechts und links fast nicht verhindert werden konnte. Und schon flogen die Konserven und die Käseschachteln durch die Gegend, ebenso auch eine große Plastiktube Mayonnaise, die aufplatzte und sich von oben bis unten über mich ergoss. Die Regale türmten sich noch dazu wolkenkratzermäßig in die Höhe und verjüngten sich nach oben. Dabei schwankten sie so bedenklich, als ob sie jederzeit über mir zusammenstürzen wollten.
Doch nun sollte es erst richtig beginnen mit den Albdrücken. Immer mehr Kunden waren durch die Schwingtürflügel eingedrungen. Alle in rasantem Tempo. Und wie es nicht anders sein konnte, um den Horror noch zu beflügeln: Es kam Gegenverkehr! Kalter Schweiß durchbrach mein Hemd. Der Zusammenstoß mit höherer Geschwindigkeit schien nicht mehr abwendbar. Ich hupte wie ein Verrückter. Doch ganz kurz vor der Kollision bog der Kontrahent plötzlich links in eine andere Gasse ab.
Kaum war diese Gefahr glimpflich vorüber, raste erneut ein völlig überfüllter Wagen auf mich zu. Der Fahrer blieb hinter den aufgehäuften Sachen unsichtbar. Wahrscheinlich ein Rambo. Gerade überlegte ich, in welchem Krankenhaus ich wohl aufwachen würde. Doch, erstaunlich: Wie von Geisterhand gestoppt, standen beide Wagen plötzlich wie angewurzelt auf der Stelle. Das Unangenehme an der Sache war nur, dass durch die entstandene Fliehkraft ungefähr so etwa hundert Gegenstände wie Klopapier, Bananen, Zigarettenschachteln, eine große Packung Waschpulver und vieles mehr auf mich herabprasselten. Ab sofort wollte ich nur noch hinaus.
Doch was stellte sich heraus? Der gesamte Supermarkt hatte sich in einen furchtbaren Irrgarten verwandelt. Unentrinnbar! Ich hupte ununterbrochen und schrie so laut wie möglich um Hilfe. Wie in einer Geisterbahn durchsauste ich dabei immer neue Gassen, und zahlreiche Beinahe-Kollisionen zermürbten mich durch und durch. Die Hupe heulte klagend. Ich selbst konnte nur noch heiser krächzen. Der absolute Zusammenbruch war greifbar.
Aber wie durch ein Wunder war ich durch meinen anhaltenden Lärm glücklicherweise plötzlich wieder erwacht. Nach Atem ringend lag ich am Boden vor dem Fernseher. Der Wetterbericht war längst vorüber, und ein Horrorfilm lief gerade auf den Höhepunkt zu. In einem menschenleeren Supermarkt sauste, nach vorn gebeugt auf einem herrenlosen Einkaufswagen sitzend, eine übel zugerichtete Leiche durch die dunklen Gassen. Die rechte Hand hatte sie mahnend und geisterhaft erhoben. Dabei sang die untote Leiche ein schauriges Lied, betreffend Doktor Frankenstein. Ich sammelte meine ganzen Kräfte. Mit einem Hausschuh traf ich die Austaste vom Fernseher. Jetzt sitzt mir noch heute das eiskalte Grauen in den Gliedern.«
Inzwischen spielte drüben vor dem Supermarkteingang eine flotte Blasmusik in echt oberbayerischer Trachtenverkleidung, und eine Schwadron Luftballone wurde in Richtung Himmel entlassen. Ein Kinderchor sang frisch. Gutscheine und Flyer wurden verteilt. Es war zwar erst November, aber schon agierte ein rauschebärtiger Nikolaus mit goldenem Bischofsstab und hoher, heiliger Mütze zwischen den Leuten und rief ungefragt ungefähr alle zwei Minuten aus tiefer Brust sein dreifaches »Ho, ho, ho«. Mehr fiel ihm so lange vor seinem tatsächlichen Auftrittstermin noch nicht ein.
Mein lieber Exbeamter war wie von einer Tarantel gestochen aufgesprungen. Er holte einen Einkaufszettel aus der Hosentasche und eilte hinüber. Die Sonderangebote verfolgten ihn wahrscheinlich schon länger.
Ich kam etwas später nach, ohne Eile. Der Unterstand, wo sonst die Shopping-Trolleys waagerecht gestapelt sein mussten, zeigte sich leer. Ungefähr ein paar Hundert Leute, oder noch mehr, mussten den Eingang gestürmt haben. Als ich endlich, ohne das obligate Fahrzeug, auch eingedrungen war, machte ich eine Feststellung, die mich unangenehm an den soeben gehörten Horror-Albtraum erinnerte. Die Gassen waren tatsächlich enger geworden, die Angebote beträchtlich mehr, und die pausenlos ein- und ausfahrenden Einkaufswägen erschienen mir mindestens doppelt so groß wie früher. Selbst der gewaltige Verkehr in den Gassen zeigte sich schneller und gefährlicher als vor der Modernisierung. Platzangst breitete sich in mir aus.
Und da schepperte es bereits durchdringend. Mein lieber Beamtenfreund war mit seinem hoch aufgeladenen Wagen wie mit einem Rennauto viel zu schnell um eine unübersichtliche Ecke gebogen. Zwar gab es keinerlei Verletzte, aber viele schöne Sonderpreissachen flogen ungehemmt durch die Gegend. Beispielsweise wurde ich von einer Schachtel Christbaumschmuck unverhofft getroffen. Die Fliehkraft hatte sich wieder einmal, wenn auch mit gutem Recht, aber doch unangenehm bemerkbar gemacht.
Gerade konnte ich dem verdutzten Exbeamten noch zurufen: »Der nächste Albtraum heute Abend nach dem Wetterfrosch im Fernsehen wird unausweichlich eintreffen. Und der Föhn wird dich auch weiter verfolgen.«
Er sammelte seine Siebensachen hastig ein. Und schon war er in die nächste Gasse abgebogen.
Aber sofort ertönte ein unangenehmes Geräusch. Eine hohe, aufgebracht klingende Stimme folgte auf dem Fuße: »Passen Sie doch auf! Sie sind ja schließlich hier mit Ihrem Rennwagen nicht alleine unterwegs. Nehmen Sie lieber einen Rollator!«
Die guten und die bösen Mächte
Weil im Dorf meiner Kindheit das regelmäßig im Advent aufgeführte Krippenspiel so erfolgreich über die Bühne gelaufen war und sogar viele Jahre immer wieder ziemlich positives Aufsehen erregt hatte, entstand im weit größeren und reicheren Nachbardorf eine kaum verhohlene Eifersucht. Man wollte unbedingt auch eine wuchtige Veranstaltung mit vorweihnachtlichem Flair auf die Beine stellen.
Der Notenwart des Kirchenchores war überzeugt: »Was die können, das können wir schon lange.«
Das war jedoch bei denen da drüben zunächst überhaupt nicht so einfach, wie es klang, weil es offensichtlich an der nötigen Autoritätsperson fehlte. Sie hatten weder einen tatkräftigen Herrn Hauptlehrer noch eine ehrgeizige Frau Religionslehrerin, um so etwas Gigantisches wie bei uns zu gestalten. Und plötzlich, als es ernst wurde, schob auch der Notenwart die gesamte Verantwortung für so einen Event weit von sich. Er stellte sich als sogenannter Sprüchemacher heraus. Außerdem bezweifelte man bei uns die schöpferische Kraft dieser aufstrebenden Nachbarn in puncto Schauspiel. Irgendwann fand sich aber dann doch ein pensionierter Musiklehrer, der sowohl mit hochprozentigen Getränken als auch mit Posaune, Basstuba und Alphorn recht gut umgehen konnte. Auf die vorsichtige Anfrage, ob er seine Kompetenz und Kapazität für die Sache zur Verfügung stellen könnte, meinte er zwar etwas beschwipst, aber unumwunden: »Jawohl.«
Und so entstand unter ausgedehnten Mühen und Plagen sowie reichlich schwierigen Proben das gar nicht so schlechte Sing- und Adventspiel als konkurrierende Veranstaltung zu unserem hervorragenden Krippenspiel. Leider war bei diesen Dilettanten anfangs sogar ein größerer Zulauf zu verzeichnen, der dann bei unserer Besucherzahl abging. Noch dazu weil diese Proleten überhaupt nicht davor zurückschreckten, eine Überschneidung der jeweiligen Aufführungstermine mit den unseren zu riskieren.
Von Anfang an dabei waren natürlich auch einige unserer Spione, die unsere Spielleitung zur Information und zur Auslotung des kulturellen Wertes dieser unverfrorenen Konkurrenz abwechselnd zu diesen Veranstaltungen hinschicken musste. Dies geschah bereits bei den Proben, um rechtzeitig ein vollständiges Bild des Spektakels entstehen zu lassen.
Schon bei diesen Proben ergaben sich interessante Erkenntnisse: Die Struktur dieses Theaters war eine völlig andere als bei uns. Da fragte man sich schon, ob bei denen nicht etwas zu viel Wert auf die heidnische Seite gelegt wurde, weil auf die bösen Mächte ein Riesenanteil an dem Stück entfiel. Inwieweit das kirchenrechtlich zu vertreten war, blieb dahingestellt. Unsere Seite wollte da keineswegs als Ankläger in Erscheinung treten. »Das klingt doch immer gleich nach Judas und Verrat«, verlautete aus unserer Spielleitung.
Das Stück handelte im Grundkonzept, wie schon angedeutet, von zwei unterschiedlichen Gruppierungen, die sich überhaupt nicht grün waren. Die einen verkörperten die guten, die anderen die bösen Mächte. Das Ganze war offensichtlich durch den hinteren Teil der Bibel inspiriert. Es klang stark nach der geheimnisvollen Offenbarung. Diese gegensätzlichen Mächte hatten zusammen über zwei Stunden sowohl musikalisch als auch sprachlich schwer miteinander zu ringen. Das ging, wie sich schnell herausstellte, nicht ohne Ärger und Rangeleien ab. Die Interessen waren einfach viel zu verschieden.
Einer unserer Spione, ein verlässlicher Berichterstatter, vermittelte uns ein genaues Bild der ganzen Sache. Natürlich fühlte er sich nicht so recht wohl als geheimer Spion. Andererseits musste er zugeben, dass so ein Spezialauftrag auch seine spannenden Seiten besitzt. Es war ziemlich kalt geworden, und bei den Proben sparten diese Pfennigfuchser sogar an der Heizung. Deshalb verkündete er stolz: »Ich glaub, ich bin genau so einer wie ›der Spion, der aus der Kälte kam‹, in dem damaligen nervenzerfetzenden Film.« Zum Glück schöpfte niemand Verdacht, und er war auch nicht als Beauftragter unserer Seite aufgeflogen. Das wäre besonders peinlich geworden, weil er sowieso nicht der Hellste ist.
Das Ganze begann mit einem furchterregenden Getöse der bösen Mächte mittels Trommeln und Gebrüll. Noch dazu blies der pensionierte Musiklehrer aus voller Lunge disharmonische Töne abwechselnd durch das Alphorn und die Basstuba, ja sogar die Posaune heraus. Anschließend lief der Anführer dieser teuflischen Freunde als Chef einer unangenehmen Schar auf die Bühne. Es war der furiose Luzifer persönlich. Er fuchtelte mit einem hölzernen Mehrzack umher, hatte einen geschickt angebrachten Pferdefuß und verbreitete schon, zumindest bei den jüngeren Besuchern, etwas Schauder und sogar einen Anflug von Ängstlichkeit. Er verkündete kühn und frech: »Mir reicht es jetzt. Ich will endlich aus der Opposition heraus. Ich werde mit meinen gefallenen Engeln endlich die Macht an mich reißen!« Alle seine Anhänger, mehrere Erwachsene, aber auch ziemlich viele mittelgroße Schüler bis herab zu Kindergartenknirpsen, waren bösartig und unheimlich anzuschauen mit schwarz getönten, rußigen Gesichtern und fetzenhafter Bekleidung. Sie sahen aus, als ob sie durch einen Wolf gedreht worden wären.
Der Luzifer schrie markerschütternd und aus vollem Halse: »Auf geht’s! Wir besetzen zuerst sämtliche christlichen Einrichtungen wie Kirchen, Pfarrhäuser und alle Vereine und Zentralen, die ein C vornedran im Schilde führen.«
Hier rief ein renitenter Besucher, wahrscheinlich ein Anhänger aus linkeren, auch etwas bösen Kreisen: »Da seids ihr aber z’ spät dro! Die habn des C ja scho lang verschlampt!«
Darauf ging aber schon ein kräftiges Murren und Grollen durch die betroffenen Kreise. Glücklicherweise donnerte es als postwendende Antwort plötzlich ganz gewaltig, weil der Xare, ein gutmütiger Behinderter, hinter der Bühne auf ein beachtliches Stück Blech hauen durfte. Und wer erschien strahlend und umgehend? Es war der Erzengel Gabriel himself mit einem grell bemalten, riesigen hölzernen sowie gezackten Flammenschwert und in einem knöchellangen Nachthemd aus schwerem, gebleichtem Linnen. Und sowohl rechts und links als auch hinter ihm erschien dazu ein einigermaßen friedliches Bild. Bis auf die Bewaffnung. Es waren ein muskulöser Cherub mit Kurzschwert und ein auch recht kräftiger Seraph, mit Lanze ausgerüstet, an den Seiten ihres Anführers. Damit konnte auch die maskuline Dominanz des heroischen Auftritts sichergestellt werden, wo doch so ein Nachthemd so gut wie nix über die Geschlechtszugehörigkeit aussagt. Beeindruckend klapperten die zwei Vertreter der guten Sache von Fall zu Fall mit ihren Flügeln. Leider löste sich schon nach kurzer Zeit der linke vom Seraph. Er wurde aber schnell wieder gut angehängt.
Der pensionierte Musiklehrer wollte dann auch noch den Erzengel Uriel einfügen, weil ihm nach einer Flasche Weißwein, einem süffigen »Kröver Nacktarsch«, dessen Name so gut gefiel. Doch da war man übereinstimmend der Meinung, dass nicht alle bedeutenden Kämpfer des Lichts auftreten konnten. Es herrschte ja so schon offensichtlich hoffnungsloser Platzmangel. Damit wurde wohlweislich auch einer Verzettelung Einhalt geboten. Schließlich hatte man ja auch schon auf den wichtigsten Vertreter dieser Gattung, den Metatron, verzichtet, weil er sich einfach als zu unbekannt erwiesen hatte, sogar in den zuständigen, kompetenten Kreisen.
Beruhigend wirkte sich auch der von den guten Mächten stolz getragene goldene Heiligenschein auf die Szene aus. Dahinter dehnte sich auf ein paar Metern die unterschiedlich hohe Engelschar, ebenfalls mit strahlend weißen Nachthemden und dem obligaten Heiligenschein versehen. Als wichtige Nachhut, wenn auch etwas verspätet, trabte noch der Michael, seines Zeichens ebenfalls Erzengel, herein. Er trug einen beachtlichen Schild mit sich. Auf dem stand laut und deutlich: »O, du mein Schutz und mein Schild«. Gemeint war natürlich die allerhöchste Macht, die beim Sieg behilflich sein sollte. Obwohl ja jeder sowieso von vornherein genau Bescheid wusste, wie das Ganze auszugehen hatte.
Dann ging es aber erst so richtig los.
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Der Autor
Wolfgang Schierlitz ist damals geboren und allmählich aufgewachsen. Es folgten Schriftsetzerlehre und Ausbildung zum »Schweizerdegen«. Danach Tätigkeit als Fahrkartendrucker bei der Deutschen Bundesbahn, Verlagshersteller, Typograf, Grafiker und Texter für internationale Firmen. Die Gründung einer eigenen Offizin folgte. Kürzlich erhielt er von der Handwerkskammer Ulm die Auszeichnung »Deutscher Meister«. Mehrere Seh-Mester und Studien auf Allgemeinplätzen und in Bierzelten. Nebenwirkungen: bisher zehn satirische Bücher, Kabarettist mit »H2-O2« und »Die mit den Wölfen heult« sowie Soloauftritte. Er ist Preisträger bei Radio Regenbogen mit dem Verband deutscher Schriftsteller (VS Bayern) – mit einer Sommergeschichte.
Im Rosenheimer Verlagshaus sind von ihm bereits Wenn überhaupt, dann höchstens kaum erschienen, eine Sammlung von skurrilen Geschichten, Wie frau mit einem Bayern überleben kann, ein herrlich unernstes und dabei praxisnahes Buch über Beziehungsprobleme von Bajuwaren, ebenso die etwas anderen Weihnachtsbücher Pleiten, Pech und Tannen sowie O Pannenbaum!
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O Pannenbaum!
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