Tanzen wir die Liebe aus - Matthias Henke - E-Book

Tanzen wir die Liebe aus E-Book

Matthias Henke

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Beschreibung

Die erste und bislang einzige Biografie der Entertainerin und großen Schauspielerin – mit exklusivem Bildteil Geboren mitten im Zweiten Weltkrieg, ist Cornelia Froboess wohl diejenige Künstlerin, in deren Leben und Wirken sich die Geschichte der Bundesrepublik wie nirgends sonst spiegelt. Mit gerade einmal acht Jahren schickten ihre Eltern sie auf die großen Bühnen des Landes, von wo sich Conny mit "Pack die Badehose ein" in die Herzen der wiederaufbauenden Deutschen berlinerte. Sie war der erste Kinderstar der jungen Republik und trat später als gerade Erwachsene für die BRD beim Eurovision Songcontest an. Das Lied "Zwei kleine Italiener" gewann zwar nicht den Wettbewerb, wurde aber international zum Erfolg und verkaufte sich europaweit über eine Million mal. Connys Karriere als Entertainerin hätte immer so weiter gehen können, zusammen mit Peter Kraus tanzte und sang sie sich durchs westdeutsche Unterhaltungsfernsehen. Doch eines Tages entschied sie sich für eine radikale Kehrtwende. Ab den 1980er Jahren etablierte sich Cornelia Froboess als Charakterdarstellerin. Sie ließ sich von Rainer Werner Fassbinder, August Everding und Dieter Dorn inszenieren, heiratete den österreichischen Theaterregisseur Hellmuth Matiasek und zählte viele Jahre zum Ensemble der Münchner Kammerspiele. Sie ist Trägerin des Bundesverdienstkreuzes am Bande und wurde zuletzt für ihr Lebenswerk mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet. Für dieses Buch hat Cornelia Froboess dem Musikhistoriker Matthias Henke Zugang zu ihrem Privatarchiv gewährt und in vertrauten Gesprächen ihre Erinnerung wieder aufleben lassen. 

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Seitenzahl: 320

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Matthias Henke

»Tanzen wir die Liebe aus!«

Cornelia Froboess teilt ihre Erinnerungen Autorisierte Biografie

Knaur eBooks

Über dieses Buch

Fürs Leben nicht zu jung

 

Im Wirken der Cornelia Froboess spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik in einzigartiger Weise wider. Als achtjähriger Kinderstar berlinert sie sich mit Pack die Badehose ein in die Herzen der mit dem Wiederaufbau beschäftigten Deutschen. Später tritt sie für das Land beim Grand Prix de la Chanson an. Doch auf der Höhe ihres Erfolgs als Entertainerin entscheidet sich »Conny« für eine Kehrtwende: Im Lauf der Jahre etabliert sie sich als Charakterdarstellerin in Theater, Film und Fernsehen.

Cornelia Froboess hat dem Musikwissenschaftler Matthias Henke Zugang zu ihrem Privatarchiv gewährt und gemeinsam mit ihm ihre Erinnerungen wiederaufleben lassen.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de

Inhaltsübersicht

Motto

Auftakt

Vorspiel

Der Star aus dem Hinterhof

Wannsee-Tsunami

Brückenjahre

Spurwechsel

Zeitenwenden

Rollenwechsel, mehrfach

Gebunden und frei

Vererdet und gelandet

Ihr Geist sitzt im Herzen

Ohne Netz und doppelten Boden

»Die Conny ist ein Soldat«

»Besser in wilder Ehe leben«

»Jahre kommen, Jahre gehen« (Anatevka)

Am Ziel?

»Sich nicht zu verlieren, ist das Wichtigste«

Filme: Unerfülltes und Erfülltes

Ostwind – »Was bringt er? Schnee oder Blumen?«

Spätlese: Auslese

Nachspiel

Bildteil

Dank

Literatur

Text- und Bildnachweis

Macht kein Theater!

George Tabori

Auftakt

Es gibt einen Zaubertrick, liebe Leserinnen und Leser, den Sie bestimmt kennen. Ein Magier zieht aus dem Ärmel seines Jacketts ein Tuch hervor, ein zweites und drittes folgen, in wachsender Geschwindigkeit dann weitere Tücher, sodass man schließlich nicht mehr mitzählen kann und ungläubig zu staunen beginnt, wie der Artist diese vielen Textilien in seinem Anzug untergebracht hat. Ein ähnliches Gefühl ergriff mich in der Zusammenarbeit mit Matthias Henke, meinem Biografen. Immer wieder und immer schneller »zauberte« er Fundstücke aus meinem Archiv und meinem Leben hervor – in einer von mir nicht für möglich gehaltenen Fülle. Der häufigste Satz, den ich bei unseren Treffen verwendete, lautete denn auch: »Das ist nicht zu fassen!« So lapidar der Satz anmutet, so wahr ist er. Wenn der Autor mein Leben vor mir ausbreitet, kann ich dessen Ereignisdichte kaum begreifen. Sie erklärt sich einerseits aus einem nicht geringen Maß an Fortune, die mir zuteilwurde: die »richtige Zeit«, die »richtigen Menschen«, der »richtige Ort« und dergleichen. Andererseits half mir mein Naturell auf die Sprünge: der Mut zur Veränderung (für meinen Beruf unverzichtbar), die Abenteuerlust oder die Gabe, nach vorn zu blicken. Nachdem also die Vor-Schau mein Leben wesentlich geprägt hat, darf ich mich jetzt, als über Achtzigjährige, auch einmal im Rück–Blick üben und eine Art Resümee ziehen. Die Vor-Schau von einst und der Rück-Blick von heute geben mir die Zuver-Sicht für morgen.

Zur Fortune und zum Naturell gesellt sich aber noch eine dritte Stütze: meine Familie, der ich das »Buch meiner Wandlungen« mit großer Freude überreiche – nicht ohne meines 2022 verstorbenen Ehemanns Hellmuth Matiasek innig zu gedenken.

 

Cornelia Froboess-Matiasek,

im Sommer 2024

Vorspiel

Anfang März 2015. Es ist ein lausig kalter Wintertag. Der Wind pfeift uns um die Ohren. Wir erkunden zu Fuß die Umgebung von Dessau, gelangen dorthin, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Wir unterhalten uns über Gott und die Welt. Nach einigen Stunden bekommen wir Hunger. Aber kein Café oder Lokal in Sicht, nicht einmal ein Supermarkt oder Ähnliches. Und keine Menschen auf der Straße, die man fragen könnte.

Doch dann ein Lichtblick: in einem winzigen Dorf ein kleines Fleischereifachgeschäft. Wir gehen hinein. Und wir sorgen, genauer gesagt, »sie« sorgt beinahe für einen Ohnmachtsanfall. »Erich, Erich«, ruft die Metzgersfrau nach hinten, »Cornelia Froboess ist bei uns im Laden.« Die aufgeregte Dame verfällt in Schnappatmung. Man hat regelrecht Angst um sie. Aber sie beruhigt sich wieder und bereitet uns mit zitternder Hand die georderten Mettbrötchen zu. Gerettet! Donnerwetter, denke ich bei mir, die Froboess ist wirklich ein echter Star: Geht übers flache Land, kehrt dick eingemummelt in ein Geschäft ein, und gleich erkennt man sie – und das in Deutschlands Osten, wobei sie doch eigentlich ein Kind des Westens ist.

Wie kam es dazu, dass sie, die ständig in der Öffentlichkeit stehende Künstlerin, und ich, ein meist in seiner »Studierstube« hockender Musikwissenschaftler und Schriftsteller, gemeinsam querfeldein im Nirgendwo marschieren? Die Antwort erfordert einen kurzen Blick zurück.

Wenige Jahre nach dem Mauerfall, im September 1993, gründet sich in Dessau die Kurt-Weill-Gesellschaft. Sie folgt dem Ziel, das Gedenken an den Komponisten »in seiner Geburtsstadt auf jede geeignete Weise zu erhalten«. Zur erfolgreichen Bilanz des Vereins gehört es, den Neubau einer Synagoge vorangetrieben zu haben, die im Oktober 2023 eröffnet wird – in der Nähe ihrer Vorgängerin, an der Weills Vater bis 1920 als Kantor gewirkt hat.

Ein weiteres Verdienst der Gesellschaft ist es, das alljährliche Kurt-Weill-Fest auf den Weg gebracht zu haben und es jedes Jahr neu zu erfinden. Als im Jahr 2009 der Kulturmanager Professor Michael Kaufmann die Intendanz des Festivals übernimmt, sorgt er für einen Modernisierungsschub. Die Programmhefte erhalten ein neues Gesicht. Auch entwickelt er ein ergänzendes Format, Entdeckungen genannt, Brückenkopfveranstaltungen, die auf die kommenden Konzerte, Filmvorführungen, Theaterabende und Lesungen vorbereiten sollen. Schließlich bittet er mich, das Schreiben der Programmhefttexte zu übernehmen – eine Aufgabe, der ich mich gemeinsam mit meiner Frau Carola und ausgesuchten Studierenden stelle. Zudem organisiere ich die Entdeckungen, die aus Kurzvorträgen und Konzerten bestehen.

Überhaupt tauschen Kaufmann und ich uns damals intensiv über die Möglichkeiten des Kurt-Weill-Festes aus. Im Spätsommer 2014 erhalte ich einen Anruf von ihm. Nicht ohne Stolz berichtet er, Cornelia Froboess für 2015 als Artist in Residence gewonnen zu haben. Ob ich ihr nicht für eines der vier angedachten Programme eine Art Drehbuch schreiben wolle.

Da ich dergleichen immer gern gemacht habe, etwa für Paul Kuhn oder Katharina Thalbach, sage ich spontan zu. Das »Drehbuch«, so Kaufmanns Wunsch, muss Texte von zwei Dessauer Künstlern umfassen: von Kurt Weill natürlich und von Wilhelm Müller, dem Dichter der Winterreise. Beiträge von Ernst Krenek sollen das Programm ergänzen – einerseits, weil der österreichische Komponist einen Liederzyklus geschrieben hat, das Reisebuch, in dem man ein Nachfolgemodell der Müller-Schubert’schen Winterreise sehen kann; andererseits, weil Kaufmann den Zeitgenossen Krenek und Weill das Dessauer Fest 2016 widmen will. Die ausgewählten Texte und die entsprechenden Moderationen sollen musikalisch durch den renommierten Jazzbassisten Dieter Ilg grundiert werden.

Mit einem derartigen Programm entspreche Cornelia Froboess nicht nur dem Generalthema des aktuellen Kurt-Weill-Festes Vom Lied zum Song, äußert sich Michael Kaufmann bei einer Pressekonferenz, vielmehr fungiere sie auch als ideale Botschafterin für den Komponisten: Wie Weill habe sie die Verbindung, das Neben- und Miteinander von U und E immer geliebt und gelebt.

Ende Februar 2015 ist es dann so weit. Cornelia Froboess und ich treffen uns zu Beginn des Kurt-Weill-Festes zum ersten Mal persönlich, wohnen im selben Hotel. Das »Drehbuch«, es heißt nun nach Wilhelm Müller Je weiter meine Stimme dringt, je heller sie mir wieder klingt, ist akzeptiert.

Rasch merken wir, dass die Chemie stimmt, und verabreden, die Tage mit einem gemeinsamen Frühstück zu beginnen. Mit von der Partie: meine Frau sowie unser vierjähriger Mischling Momo, mit dem wir bei der Hundenärrin Froboess natürlich Extrapunkte einfahren. Nach einer Weile stoßen auch einer ihrer Begleiter, der Gitarrist Sigi Schwab, und seine patente Gattin zu uns (beide sind inzwischen leider verstorben). Auch mit ihnen komme ich bestens ins Gespräch.

Gut gelaunt treffen wir uns an einem der folgenden Tage beim sogenannten Festivalcafé wieder, in dem Cornelia Froboess als Artist in Residence einem Redakteursduo des MDR Rede und Antwort steht. Es wird ein erstaunliches und für uns beide weichenstellendes Interview.

Zunächst bekennt Cornelia Froboess, vor ihrer Einladung nach Dessau vom »amerikanischen« Weill nur wenig gewusst zu haben. Auch Wilhelm Müller hat sie bislang nur als Dichter der Winterreise wahrgenommen. Aber sie konnte sich Gott sei Dank die letzten Wochen ziemlich gut freischaufeln, um sich, so Froboess wörtlich, »wie eine Schülerin« auf das Fest vorzubereiten. »Die Beschäftigung mit diesen wunderbaren Komponisten und Dichtern gehörte für mich zu der reichsten Zeit der letzten Jahre.« Dann kommt das Gespräch auf ihre vier Programme. Cornelia Froboess erwähnt die Kunstfigur der Frau Wernicke, der ihr Schöpfer, der jüdische Emigrant Bruno Adler, satirische Beiträge in den Mund legte, um sie von der BBC »heim ins Reich« zu senden. Die Botschaften der »Volksjenossin« Wernicke seien im Berliner Dialekt geschrieben: »Und ich glaub, den kann ich.« Das Publikum lacht. (Ergänzen darf man, dass sie die Wernicke schon im Jahr 2000 in einem Film verkörpert hat.) Als Partnerin steht ihr hier die Jazzpianistin Julia Hülsmann zur Seite.

Dann bitten die Moderatoren Cornelia Froboess, einen oder mehrere Texte von Kurt Weill zu lesen. Sie entscheidet sich unter anderem für das spöttische Porträt seiner Frau Lotte Lenya. »Meine Frau, 1929. Sie ist eine miserable Hausfrau. Aber eine sehr gute Schauspielerin. Sie kann keine Noten lesen, aber wenn sie singt, dann hören die Leute zu wie bei Caruso. […] Sie kümmert sich nicht um meine Arbeit (das ist einer ihrer größten Vorzüge). Aber sie wäre sehr böse, wenn ich mich nicht für ihre Arbeit interessieren würde. […] Sie hat mich geheiratet, weil sie gern das Gruseln lernen wollte, und sie behauptet, dieser Wunsch sei ihr in ausreichendem Maße in Erfüllung gegangen.«

Und jetzt geht’s an den nächsten Einspieler: an die unvermeidbare Badehose, Cornelias Hit aus Kindertagen. Es kommt zu einer Überraschung. »Das ist nicht das Original«, ruft die Froboess. Sie habe das Lied ursprünglich mit den Schöneberger Sängerknaben aufgenommen, nicht mit Männerstimmen. Man habe hier die Version für die DDR eingespielt, mit dem veränderten Text. Aus dem westlichen Wannsee sei das neutrale Strandbad geworden.

In diesem Augenblick funkt es bei mir. Nie hätte ich gedacht, dass man an einem so harmlosen Lied Politisches festmachen, ja, anschaulich erzählen kann. In meinen Schädel nistet sich die fixe Idee ein, das Leben der Sängerin-Schauspielerin entlang der BRD-Geschichte aufzufächern.

Als ich ein paar Tage später das Programm Liederliches höre, das Cornelia und Sigi Schwab in der Dessauer Marienkirche geben, ist es um mich geschehen. Jetzt will ich den Gedanken einer Froboess-Biografie in die Tat umsetzen, so mein fester Entschluss. Besonders hat es mir und dem Publikum der Vortrag des Leonard-Cohen-Songs Dance Me to the End of Love angetan, den Cornelias Ehemann Hellmuth Matiasek ins Deutsche übertragen hat: »Tanzen wir die Liebe aus!« Ich gestehe, dass ich ihre intime Deutung gegenüber Cohens Originalversion, die mir wegen der Hintergrundchöre allzu schwülstig erscheint, eindeutig bevorzuge.

Liederliches, das Programm des Duos, ist keine Kleinkunst, wie man gern sagt, sondern die Auslotung der Möglichkeit, im Kleinen das Große zu erblicken, also die Glasscherbe von der Straße aufzuheben, sie gegen die Sonne zu halten und es funkeln zu sehen.

Es dauert ein paar Wochen, bis ich meine »biografischen Gedanken« zu Papier bringe und an die Schauspielerin schicke. Sie sagt nicht Ja und nicht Nein. Vielleicht ist sie noch nicht bereit, denke ich mir. Wir bleiben in Kontakt, wenn auch zunächst ohne Ergebnisse.

Als der Bayerische Rundfunk meine Hörfunksendung über die Musikmäzenin Emmy Rubensohn produzieren will, frage ich Cornelia Froboess, ob sie bereit sei, deren Briefe zu lesen. Sie sagt zu. Aber ihre Dreharbeiten und die freien Zeiten in den BR-Studios passen nicht zusammen. Ihre geschätzte Kollegin Sibylle Canonica springt dankenswerterweise ein. Als ich mit dem Dirigenten Martin Haselböck übereingekommen bin, Joseph Haydns Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze in einer neuen, von mir eingerichteten Textfassung zur Aufführung zu bringen, 2019 im Wiener Stephansdom, frage ich sie, ob sie bereit sei, die Worte und Kommentare zu sprechen. Sie bejaht. Aber die Verantwortlichen haben Bedenken, Jesu Part von einer Frau sprechen zu lassen. So übernimmt Sebastian Koch diese Aufgabe.

Und wie es so geht, andere Projekte überlagern unseren Plan, der auf der Liste tiefer und tiefer rutscht. Sie hat ihre Filme, ich meine Bücher. Dann aber, im Frühjahr 2023, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, falle ich aus allen Wolken. Cornelia Froboess ruft bei mir an, sie will, dass ich ihre Biografie schreibe. Wir stimmen rasch überein, ihr Leben und ihre Karriere nicht in Ich-Form zu erzählen, sondern in das gesellschaftliche und künstlerische Geschehen der Zeit einzubetten. Achtzigjährig lässt sich die Schauspielerin zum x-ten Mal auf ein Abenteuer ein, übt sie den Sprung ins Ungewisse.

Bei einem unserer zahlreichen Arbeitstreffen, die dann folgen, zeigt mir Cornelia Froboess ein Selfie. Wenige Wochen zuvor ist sie auf einem regennassen Balkon ausgeglitten und heftig gestürzt. Jetzt soll ich die Unfallfolgen auf ihrem Smartphone begutachten. Als ich mich erschreckt abwende, fordert sie mich energisch auf, genau hinzuschauen.

Nun sehe ich ihr fotografiertes Gesicht, das einer von Hämatomen geprägten Landschaft gleicht: mit Farbinseln, die vom tiefen Violett bis zum zarten Gelb reichen. Ich schlucke. Wieso das? Weshalb soll ich mir ihre Verletzungen so genau anschauen? Die Antwort kann ich mir nach ein paar Tagen Bedenkzeit selbst geben. Die Künstlerin hat eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen. Sie teilt ihn nicht in schön oder hässlich auf, grenzt ihn nicht auf entweder böse oder gut ein, auf heldenhaft oder wankelmütig, sondern sieht ihn als ein Gesamtes. Alle Facetten zusammen machen für sie Leben aus: das Leben schlechthin, aber auch ihr eigenes Leben. Und sie fühlt sich hierin von einem Theatergiganten wie George Tabori bestätigt. Als sie ihm einmal gesteht, sie habe Angst, auf die Bühne zu gehen, weil sie an einer Bronchitis erkrankt sei und einen Hustenanfall befürchte, zerstreut er ihre Bedenken. »Benutze es«, sagte er ihr, »mach was daraus, auch das Husten gehört zum Leben.« Anders gesagt: Sei wahrhaftig, steh auch auf der Bühne zu deinem Menschsein. Diese Einstellung gehört zu den tragenden Säulen ihrer Darstellungskunst.

Ihr Bekenntnis zu einem ganzheitlichen Menschenbild, ihre Ablehnung eines Entweder-oder, lässt die Charakterdarstellerin auch entspannt mit ihrer Vergangenheit als die »kleine Cornelia« und als Teenager-Idol Conny umgehen. Sie habe Gott sei Dank kein Sissy-Syndrom, bekannte sie einmal mit Blick auf Romy Schneider, die unter ihren frühen Filmen litt. Selbst im Umfeld anspruchsvollster Premieren bleibt Cornelia Froboess locker, wenn man sie auf Pack die Badehose ein anspricht. Im Gegenteil, sie zögert nie, ihren ersten und sicherlich populärsten Hit »entzückend« zu nennen. Ja, sie hält es sogar für gefährlich, sich von sogenannten Jugendsünden zu distanzieren. Warum denn auch, schiebt sie in einem Gespräch nach. Die Rolle der zersägten Dame, die sich in ein Damals und ein Heute spaltet, will Cornelia Froboess jedenfalls nicht übernehmen.

1943–1951

Der Star aus dem Hinterhof

Auch wenn viele Deutsche es noch leugnen: Der Krieg ist für sie nicht mehr zu gewinnen. Im Oktober 1943 zerstört ein Luftangriff der Alliierten das Stadtzentrum der westfälischen Metropole Münster. Am Vortag prasseln Bomben auf Hannover nieder, 450 Wohnhäuser gehen in Flammen auf, rund 250000 EinwohnerInnen sind obdachlos. Am 22. des Monats erlebt Kassel ein Inferno. Weil sie das nordhessische Rüstungszentrum zerstören wollen, überziehen alliierte Flugverbände den Ort mit einem Teppich aus Brandbomben, der Abertausenden das Leben raubt. Noch am 4. Oktober tönte Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, beim Posener Gruppenführertag von den deutschen »Herrenmenschen«, die den »slawischen Untermenschen« haushoch überlegen seien. Und er scheute sich nicht, in seiner Rede den Holocaust zu einem »Ruhmesblatt« seiner Organisation zu erklären.

An den Fronten, im Westen wie im Osten, versuchen KünstlerInnen, die deutschen Soldaten zu trösten, sie wenigstens für einen Augenblick die Katastrophe vergessen zu lassen. »Sing, Nachtigall«, fleht die Sängerin Evelyn Künneke, »sing ein Lied aus alten Zeiten, sing, Nachtigall, sing, bring mein Glück zurück.«

Der Reichshauptstadt stehen die schwersten Luftangriffe, die den Untergang Berlins besiegeln, noch bevor. Schon zu Beginn des Jahres versinken zentrale Gebäude in Schutt und Asche: die Universität, das Opernhaus oder die Deutschlandhalle. Und zwischen dem 23. August und dem 4. September 1943 vernichten feindliche Fliegerstaffeln fast den gesamten Ortsteil Lankwitz. Die Zerstörungen belasten die EinwohnerInnen, zumindest jene, die weder stramme Nazis sind noch an den Endsieg glauben. Luftalarm, nachts in die Schutzkeller hetzen, dort stundenlang die Beben ertragen – all das zermürbt die Nerven der Mütter, der Kinder, der Alten.

In dieser Lage folgt die schwangere, immerhin schon dreißig Jahre alte Margaretha Froboess dem Rat ihres Gatten, ihr Kind nicht in Berlin auf die Welt zu bringen. Die beiden entscheiden sich für Wriezen, nicht zuletzt, weil die brandenburgische Kleinstadt verkehrstechnisch gut an die Reichshauptstadt angebunden ist: Vom Wriezener Bahnhof aus kann man den kleinen Ort im Oderbruch ohne Umsteigen erreichen. Am 28. Oktober 1943 kommt hier im Städtischen Krankenhaus ein gesundes Kind zur Welt, dem die Eltern den Namen Cornelia geben. Wenige Monate später gerät die Familie in eine Art Zangengriff. Mitte November beginnt die verheerende Luftschlacht um Berlin. Von Osten wiederum rückt die Sowjetarmee vor. Im Januar überquert eine Armada aus Panzern die zugefrorene Oder. Und am 19. April 1945, wenige Tage vor der Selbsttötung Hitlers, ziehen russische Soldaten in Wriezen ein.

An die Gräuel jener Tage kann sich Cornelia Froboess heute nicht mehr konkret erinnern. Aber es ist bekannt, dass Kleinkinder ihre Umwelt sehr wohl wahrnehmen und sie das Erlebte verinnerlichen können. Ihre Eltern müssen in der unübersichtlichen Gemengelage eine Entscheidung treffen. Nach Abwägen des Für und Wider kehrt Margaretha samt Töchterlein zu ihrem Ehemann zurück, in den Wedding, Gottschalkstraße 27, in ein noch heute stehendes Haus. Hier, in einem proletarisch geprägten Viertel, dessen Hymne Der rote Wedding lautet, wächst das Mädchen auf.

Von den zuvor fast 1,6 Millionen Wohnungen in Berlin ist rund ein Viertel zerstört, zahllose weitere sind einsturzgefährdet. Familie Froboess muss es als Geschenk betrachten, ein Dach über dem Kopf zu haben, auch wenn die Gottschalkstraße fast die Grenze zum sowjetischen Sektor berührt.

Für Vater Gerhard läuft es auch beruflich gut, nicht zuletzt wegen seiner Vielseitigkeit. Schon als junger Mann hat der 1906 Geborene zwei professionelle Standbeine: die Musik und die Tontechnik. Ende der 1920er-Jahre gastiert er, ein gelernter Pianist, in Hamburg. Seinen Lebensunterhalt verdient er sich dort im Carl-Schultze-Theater, als Mitglied einer Band, die eine damals häufig gespielte Operette begleitet: Miss Chocolate. Der Gelegenheitsjob kann seine Passion für die US-amerikanische Tanzmusik allerdings nicht stillen. Er will auf dem Laufenden bleiben, die neuesten Shimmys oder Charlestons hören, deren Popularität seit den Auftritten der Tänzerin Josephine Baker enorm gestiegen ist. Entsprechende Schallplatten gelangen nur selten oder aber spät nach Deutschland. Wie seiner maschinenschriftlich überlieferten Kurzbiografie zu entnehmen ist, liest Gerhard in der Fachzeitschrift Der Deutsche Rundfunk »von Leuten, die mit ihren selbstgebastelten Kurzwellenempfängern nachts von zwölf bis zwei Uhr Amerika hörten«.

Der Tanzmusikfan folgt der Spur und kann sich nach einigen Startschwierigkeiten ein derartiges Gerät selbst bauen. Die Jagd nach Novitäten ist eröffnet! Gerhards Coup ist zugleich der Grundstein für seine zweite Karriere, die eines Tontechnikers. Während der 1930er-Jahre studiert er in Köthen Hochfrequenztechnik und Elektroakustik. Wenige Jahre später arbeitet er als Tontechniker bei etlichen Filmproduktionen mit: etwa bei der Komödie Kohlhiesels Töchter, die 1943 in die deutschen Kinos kommt. Ein Highlight für den Familienvater dürfte aber seine Mitwirkung an der Liebesgeschichte Das Mädchen Juanita (Frau über Bord) gewesen sein – in einem prominenten Team unter der Regie von Wolfgang Staudte und Schauspielern wie Heinrich George und Axel von Ambesser. 1944/45 produziert, gelangt der Film erst 1952 zur Uraufführung.

Das eine zu tun, heißt für Gerhard Froboess nicht, das andere zu lassen. Nach wie vor tritt er als Musiker auf, als gewandter Klavierspieler, der eigene Nummern sowie moderne Tänze mit Verve zu präsentieren weiß. Mit namhaften Pianokollegen wie Peter Kreuder oder Paul Kuhn darf er sich durchaus vergleichen. Nicht zuletzt ist er ein geschickter Komponist mit einem besonderen Gespür für Schlager, die er seinen Stars auf den Leib schreibt. Zu ihnen zählt Bully Buhlan, ein Publikumsliebling der Nachkriegszeit. Er gehört dem Radio-Berlin-Tanzorchester an, einer Bigband. Der gefragte Filmkomponist Michael Jary gründet sie gleich nach Kriegsende, um den deutschen Nachholbedarf an swingorientierter Tanzmusik zu befriedigen. Als Jary entdeckt, dass Buhlan nicht nur ein versierter Jazzpianist ist, sondern auch über stimmliche Qualitäten verfügt, befördert er den knapp Zwanzigjährigen zum Frontsänger des RBT-Orchesters. Jetzt liegt der Ball bei Gerhard Froboess. Er soll mithelfen, das nötige Repertoire für Buhlan zu schaffen. Und er kommt der Aufgabe rasch nach. Er schreibt für ihn das Lied Ja, wenn ich ein Tänzer wär, das 1947 bei dem Label Amiga erscheint. Ein Jahr später lässt er den Schlager Ein Mann mit knarrenden Schuhen folgen. Buhlan nimmt ihn erneut bei Amiga auf, allerdings nicht mit den Berliner Kollegen, sondern mit Kurt Henkels und seinem 1947 ins Leben gerufenen Rundfunk-Tanzorchester Leipzig.

Das Team Froboess/Buhlan ist nicht nur erfolgreich, seine Zusammenarbeit spiegelt auch Zeitgeschichtliches. So ist die Schallplattenfirma Amiga eine Sparte des Verlags Lied der Zeit, den der kommunistische Arbeitersänger und Schauspieler Ernst Busch am 3. Februar 1947 in Berlin gründet. In den 1920er-Jahren als »Barrikaden-Tauber« bejubelt (in Anspielung auf den Tenor Richard Tauber) und mit Hanns Eisler wie Bertolt Brecht befreundet, genießt er jetzt das Ansehen der sowjetischen Besatzer. Sie erteilen ihm 1946 die nötige Verlagslizenz. Dass Froboess/Buhlan in Berlin und Leipzig produzieren, deutet im Übrigen auf den ungeklärten Zustand Deutschlands hin: Noch hat sich das Ost-West-Denken nicht vollends etabliert.

In den ersten Nachkriegsjahren haben die BerlinerInnen allerdings andere Sorgen. Die Beschaffung von Nahrungsmitteln steht an erster Stelle. Die ausgeteilten Lebensmittelkarten reichen nicht aus. Also blüht der Schwarzhandel. Das Heizen ist ein weiteres Problem. Bedürftige können sich in extra eingerichteten Wärmestuben vor dem Erfrieren schützen. Millionen deutscher Männer befinden sich in Kriegsgefangenschaft. Die Berlinerinnen müssen den Schutt wegräumen. Als Trümmerfrauen schreiben sie Geschichte.

Selbst die Angehörigen der Siegermächte sind angesichts des Elends erschüttert. Betroffen zeigt sich ein Journalist der britischen Wochenzeitung The Economist, der im Herbst 1945 Berlin besucht: »Die Gesichter der Babys in den Kinderwägen sind leichenfahl; die Gesichter der wenigen Alten sind genauso totenblass wie die der Babys und Kleinkinder.«

Die kleine Cornelia scheint dank der elterlichen Fürsorge und des professionellen Geschicks ihres Vaters gut durch die Zeiten zu kommen. Ein frühes Foto zeigt sie auf dem Schoß ihrer Mutter im Alter von zwölf oder mehr Monaten. Man sieht kein »leichenfahles Gesicht«, sondern einen Wonneproppen, der freundlich in die Kamera schaut. Im Hintergrund steht der Kinderwagen, ein vollwertiges Gefährt, und nicht etwa ein Bollerwagen, der damals oft als Ersatz dienen muss.

Das Foto zeigt obendrein den Ort, der in den kommenden Jahren zu Cornelias Lebensraum wird: den Hinterhof der Gottschalkstraße 27. Hier trifft sie ihre Freundinnen Hannelore und Helga, die eine Tochter einer Beamtenwitwe, die andere das Kind von Hausmeister Lessow. Hier rauft das zierliche und zugleich burschikose Mädchen aber auch mit Jungen wie Peter. Conne, wie sie alle nennen, juchzt, wenn sie das Holzgeländer runterrutschen kann. Sie spielt auch gern Verstecken. Ruinen gibt’s genug. Unter ihnen sind Keller. Einer geht in den anderen über. Tolle Verstecke, in denen es einen so schön gruselt. Angst vor Prellungen oder Schürfwunden hat Conne nicht. Mit ihrem Roller saust sie nur so durch die Gegend. In der Nachbarschaft brennt eine Papierfabrik aus. Hanne und Conne steigen in das Trümmerwerk ein, mopsen Blöcke und Formulare, mit denen sie »Auf der Post« spielen. Ein besonderes Fest ist es aber für die Hinterhofkinder, wenn Vater Froboess auf dem verdämmernden Hinterhof Zeichentrickfilme zeigt. Mit Ton!!

Den knabenhaften Habitus muss Conne allerdings schon bald gegen ein mädchenhaftes Äußeres eintauschen. Außerhalb des Hinterhofs sind Kleider und die obligatorische Haarschleife angesagt, bevor sie wieder in ihr Reich zurückkehren kann, zu Hanne und Peter.

Von der politischen Großwetterlage habe sie zunächst wenig mitbekommen, sagt Cornelia Froboess. Das Dröhnen der sogenannten Rosinenbomber ist ihr allerdings nicht entgangen. Anfang 1948 beginnen die Sowjets, den Waren- und Personenverkehr in den Westsektor Berlins zu behindern. Die westlichen Alliierten, die USA, Großbritannien und Frankreich, reagieren auf die Blockadepolitik mit der Einrichtung einer Luftbrücke. Zwischen Juni 1948 und September 1949 versorgen ihre Transportflugzeuge die notleidende Bevölkerung mit Lebensmitteln, Kohle oder Benzin. Den Kindern gilt die besondere Aufmerksamkeit der Helfer. Aus ihren Fliegern werfen sie kleine, selbst gebastelte Fallschirme ab, die Päckchen mit Schokolade und anderen Süßigkeiten sicher zu Boden bringen. Insgesamt transportieren die »Rosinenbomber« 23 Tonnen der heiß begehrten Ware.

Das Jahr 1949 stellt im Großen wie im Kleinen einen Schnittpunkt dar, jetzt gibt es ein Vorher und ein Nachher. Mit der Unterzeichnung des Grundgesetzes kommt es im Mai zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Als ihr erster Kanzler tritt der westlich orientierte Konrad Adenauer an. Im Oktober wandelt sich die sowjetische Zone zur Deutschen Demokratischen Republik, die im Westen meist das relativierende Etikett »DDR« erhält, weil man sie nicht als souveränen Staat betrachtet. Ihr erster Ministerpräsident heißt Otto Grotewohl. Die sich schon länger abzeichnende Aufteilung in West- und Ostdeutschland ist somit zementiert. Und Cornelia muss die Heimat ihrer frühen Kindheit verlassen. Es beginnt jene Zeit, in der ein Äußeres den Takt im Innenhof vorgibt. Fortan besucht das Mädchen die Grundschule in der Kattegatstraße, deren Gebäude den Zweiten Weltkrieg überstanden hat, wenn auch erheblich beschädigt.

1951–1955

Wannsee-Tsunami

Kalkutta liegt am Ganges, Pigalle, Weiße Rosen aus Athen, Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett, Das bisschen Haushalt … sagt mein Mann – ob Schlagerfan oder nicht: Es dürfte nur wenige Deutsche geben, in deren Gehörgängen sich der eine oder andere Titel nicht eingenistet hat. Umgekehrt wird der Mann »dahinter« den meisten unbekannt sein, obwohl der Textautor Hans Bradtke, ein gelernter Architekt, mit namhaften Schlagergrößen zusammengearbeitet hat: mit Bill Ramsey etwa, Vico Torriani, Nana Mouskouri, Johanna von Koczian, Peter Kraus oder Peggy March. Seine Erfolge ruhen auf drei Säulen: erstens dem Gefühl für einprägsame Sprachrhythmen, die den Komponisten eine melodische Struktur vorgeben; zweitens auf der Gabe, nein, nicht dem Volk aufs Maul zu schauen, wohl aber in dessen Herzen, denn Bradtke weiß um die Sehnsüchte der Nachkriegsdeutschen; drittens seiner schöpferischen Spontanität – er drechselt seine Verse nicht wie ein Kunsthandwerker, sondern lässt sie sprudeln, sodass sie ungekünstelt und frisch daherkommen.

1951 gelingt ihm ein besonderer Coup, mit dem er sich in das kulturelle Gedächtnis Deutschlands einschreibt. Innerhalb von einer Viertelstunde, so munkelt man später, vollendet er ein Lied über ein banales Kleidungsstück. Er zeigt die Zeilen seinem Kollegen Gerhard Froboess, der sie in einen schmissigen Marsch verpackt. Mit noch feuchtem Notenpapier und seiner Tochter an der Hand geht er zum RIAS, dem Rundfunk im amerikanischen Sektor, um sich mit dem Abteilungsleiter und Dirigenten Hans Carste zu treffen. Der schenkt Conne eine Tafel Schokolade. Ihr Vater bittet sie, sich mit einem Liedchen zu bedanken.

Ohne Zögern, ganz Berliner Hinterhofjöre, trällert die Siebenjährige daraufhin den Schlager von der Badehose, entwaffnend natürlich und fehlerfrei – hat sie ihn doch in den letzten Wochen, als ihr Vater an dem Werk feilte, wieder und wieder gehört. Carste, selbst ein erfolgreicher Komponist und wenig später Urheber der Tagesschau-Melodie, ist begeistert von dem witzigen Charme der kleinen Sängerin. Er vermittelt sie an den aufstrebenden Moderator Hans Rosenthal, der Cornelia und ihren Vater in ein Rundfunkquiz einlädt.

Am nächsten Morgen steht Berlin Kopf, Pack die Badehose ein wird zum Sommerhit 1951. Und als die Electrola, die in Köln ansässige Schallplattenfirma der Millionenseller, bei Vater Froboess anklopft, sind die Weichen gestellt. Nicht ein, sondern der Kinderstar des Jahrzehnts macht sich auf den Weg. Am 21. Juni 1951 nimmt die »kleine Cornelia«, so ihr künftiges Label, Pack die Badehose ein für die Schallplatte auf, in einer Westberliner Kirche, unterstützt vom Chor der Schöneberger Sängerknaben.

»Wenn man in der Schule sitzt, über seinen Büchern schwitzt

Und es lacht der Sonnenschein, dann möcht man draußen sein

Ist die Schule endlich aus, geh’n die Kinder froh nach Haus,

Und der kleine Klaus ruft dem Hänschen hinterher:

Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein

Und dann nischt wie raus nach Wannsee

Ja, wir radeln wie der Wind durch den Grunewald geschwind

Und dann sind wir bald am Wannsee

Hei, wir tummeln uns im Wasser wie die Fischlein, das ist fein

Und nur deine kleine Schwester, nee, die traut sich nicht hinein

Pack die Badehose ein, nimm dein kleines Schwesterlein

Denn um acht müssen wir zu Hause sein.

›Woll’n wir heut ins Kino geh’n und uns mal Tom Mix anseh’n?‹

Fragte mich der kleine Fritz, ich sprach ›Du machst ’n Witz!

Schau dir mal den Himmel an, blau soweit man sehen kann.

Ich fahre an den Wannsee und pfeife auf Tom Mix.‹«

Vater Froboess ist professionell genug, nun die Rolle von Cornelias Manager zu übernehmen. Es ist ein Fulltime-Job, denn der Erfolg seiner Tochter überrollt das Land wie ein Tsunami. Immer wieder stehen längere Konzertreisen mit ihr und den Schöneberger Sängerknaben an. Vorab heißt es, so manche gesetzliche Klippe zu überwinden. Wenn Kinder abends auf die Bühne sollen, brauchen sie für jeden Einzelfall eine amtliche Genehmigung. Fehlt sie, zieht das eine saftige Geldstrafe nach sich.

»Natürlich bin ich vermarktet worden«, erinnert sich Cornelia Froboess später in einem Gespräch mit Jörg Werner Gronius, »und dadurch, dass mein Vater nicht nur Vater, sondern gleichzeitig auch mein Manager war, hat er natürlich zu der Vermarktung ordentlich beigetragen und auch Imagepflege betrieben mit allem, was dazugehört, mit dem kurzen Haarschnitt, der überall bei den Friseuren dann als originaler Conny-Haarschnitt nachgefragt wurde – das fand er ganz toll. Nein, aber er hat mich nicht vermarktet, in dem Sinne, dass das Kind jetzt losgeschickt wird und weinend lieber zu Hause spielen möchte – daran kann ich mich nicht erinnern. Sicher, ich habe mich im Bürgerpark, wir wohnten damals im Wedding, oft versteckt, und dann hat man mich gesucht, weil ich nachmittags in Schöneberg mit Hänschen Rosenthal irgendeine Quizsendung machen musste. Das war auch alles, das einzige Wehren in dem Sinne.«

Trotz ihrer Bekanntheit, ja, ihres Ruhms bleibt sie im Innern immer noch die Conne, die sich auf dem Hinterhof mit ihren Kumpels herumtreibt. Und der es überhaupt nicht gefällt, wenn ihre Mutter sie vom Spielen abruft, um sie abzuschrubben und ihr ein adrettes Äußeres zu verleihen, »nur« weil sie später einen Auftritt hat. Ihr umsichtiger Vater engagiert derweil einen Ausschnittdienst, also einen Medienpartner, der sämtliche deutsche Tageszeitungen nach Artikeln über Gerhard und Cornelia durchforstet. Ende 1952 füllen die Kritiken zu dem Vater-Tochter-Team bereits einen breiten Ordner. Der Schlagerkomponist bürdet sich noch mehr auf: Er gründet und leitet den Musikverlag Melodie Froboess und Budde KG, in dem fortan seine Lieder erscheinen – geschäftlich gesehen ein kluger Zug, fließen die üblichen Verlagstantiemen doch nun in die eigene Kasse.

Pack die Badehose ein – das Lied katapultiert Familie Froboess in ungeahnte Höhen der Popularität und des Business. »Mit 200 bis 300DM Abendgage«, meldet der Spiegel am 6. August 1952, »ist Cornelia Froboess heute ebenso gestellt wie mancher erwachsene Spitzenstar. Dazu kommen Film-, Funk- und Schallplatten-Einkünfte. Ihre Gage verwaltet der Herr Papa. Cornelia bekommt lediglich eine symbolische Abschlagszahlung: eine DM für jeden Auftritt. Dazu zehn Pfennig zum Vernaschen.« Der Geldsegen ermöglicht es der Familie, am wirtschaftlichen Aufschwung der BRD teilzuhaben. Man legt sich einen Ford Taunus zu. Und die bewegungsfreudige Cornelia bekommt ihr lang ersehntes Fahrrad.

Die Badehose zieht aber auch Kreise, die weit über das familiäre Glück hinausgehen. Der Schlager entwickelt sich dank seiner Massenwirksamkeit zu einem Politikum, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zunächst verpasst man ihm in der DDR ein systemkonformes Gewand. Der in Westberlin gelegene Wannsee wird zum »Strandbad« umgedichtet, der Grunewald zum »grünen Wald«. Und die Anspielung auf Tom Mix (1880–1940), den amerikanischen Cowboy-Darsteller, tilgt man, um nicht länger an die verachtete Hollywoodkultur zu erinnern. Im Juli 1952 kommt es zu einem Schießvorfall am Wannsee. Auf dem nahe gelegenen Übungsplatz der US Army löst sich ein Schuss, der in den Hals der siebenjährigen Karla eindringt. Wie durch ein Wunder überlebt das Mädchen. Die Presse berichtet, während die Kabarettistin Gina Presgott in ein Leipziger Tonstudio geht, um das Badehosen-Lied ebenso geschickt wie tendenziös in einen Beitrag zum Kalten Krieg zu verwandeln: »Schließ die Badehose ein, lass das Baden lieber sein, denn der Ami schießt am Wannsee.«

Etwa zur selben Zeit folgen Gerhard und Cornelia einer Einladung des Hessischen Rundfunks nach Frankfurt. Am 20. Juni 1952 stehen sie in einem Interview Rede und Antwort. Die achtjährige Sängerin erzählt so locker, als sei es eine Selbstverständlichkeit, sie wirke jetzt in ihrem dritten Film mit.

Wer kann damals ahnen, dass ihre Rollen auf der Leinwand und in Fernsehspielen eines Tages die Hundert übersteigen würden? In Die sündige Grenze, ihrem ersten Film, der Ende 1951 in die Kinos kommt, wenige Tage nach ihrem achten Geburtstag, spielt Cornelia die kleine Bertha. Wie andere Kinder muss sie sich von einem Gauner drangsalieren lassen, der die Kleinen benutzt, um sie, beladen mit Schmuggelware, illegal über die Grenze zu schicken. Dem Regisseur Robert A. Stemmle ist es in diesem Film ein Anliegen, auf die Not vieler Nachkriegskinder hinzuweisen: hier, indem er den Schwarzhandel thematisiert, der damals für viele Menschen die einzige Möglichkeit ist, sich ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. Im Übrigen beweist Stemmle ein gutes Gespür für Talente: So hat er neben anderen später Prominenten den Berliner Horst Buchholz engagiert, der die Schauspielschule von Marlise Ludwig besucht, jener legendären Lehrerin, unter deren Fittiche sich Ende der 1950er-Jahre auch Cornelia begibt.

Unter dem Titel »Die kleine Cornelia wird Filmstar« schreibt die Neue Post am 8. September 1952: »Seit über einem Jahr hat man nicht nur in Deutschland ihre Stimme liebgewonnen: Cornelia Froboess, die ihr Komponist und Vater Gerhard (›Ich nenn ihn einfach Dicker‹) groß beim Funk herausstellte. In ›Sündige Grenze‹ und ›Drei Tage Angst‹ stand Cornelia zum ersten Male vor der Kamera. Sie spielte ohne Scheu, wie ein alter Star.«

Ideale Frau gesucht, der dritte Film des Mädchens, gilt allerdings als wenig raffinierte Verwechslungskomödie. »Den Dolchstoß in den Rücken des Filmes«, witzelt der Spiegel Ende Oktober 1952, »führt (unbewusst) die kleine Cornelia (›Pack die Badehose ein‹) mit den Textworten: Warum reden Erwachsene denn immer so blöd daher…?«

Hier die Tourneen mit den Schöneberger Sängerknaben (sie sei ein »Schöneberger Sängerknaben-Mädchen«, so der Kinderstar), dort das Filmgeschäft – bald weitet sich Cornelias Tätigkeitsfeld erneut. Vater Gerhard kommt in Kontakt zu Heinz Hoffmeister, dem Veranstalter, mit dem er und seine Tochter lange Jahre zusammenarbeiten. Hoffmeister ist ein Kaiser im Reich der Unterhaltungsevents, der so gut wie alle, die hier von Rang und Namen sind, umsichtig managt. Und er ist ein Hansdampf in allen Gassen, der mit seinen Stars Betriebsfeiern, Klubabende, Verbandstreffen oder Jubiläumsveranstaltungen jeglicher Couleur bespielt. Die Reihe seiner KünstlerInnen reicht von Lale Andersen über Caterina Valente, Marika Rökk, Heinz Erhardt, Peter Alexander bis hin zu Hans-Joachim Kulenkampff, Kurt Edelhagen samt seinem Orchester und vielen anderen.

Die von der Gastspieldirektion Hoffmeister durchgeführten Konzertabende gehören der Kategorie »Bunter Abend« an. Sie haben einen lockeren Aufbau. Ein Ensemble, eine Combo eröffnet. Dann sorgt ein Komiker im Saal für gelöste Stimmung. Ein Instrumentalvirtuose lässt die Hörerschaft staunen. Es folgen Schlager aus alter Zeit. Das gleiche Strickmuster bestimmt den zweiten Teil. Es gibt also eigentlich keine Dramaturgie, die auf einen Höhepunkt zustrebt. Es sei denn, und die Kritiken scheinen das zu bestätigen, man betrachtet die kleine Cornelia als Highlight des Programms. Begleitet von ihrem Vater, tritt sie nämlich immer unmittelbar vor der Pause auf. Einerseits können die BesucherInnen das eben Erlebte so ins Foyer mitnehmen; andererseits gibt es auch einen pragmatischen Grund, dürfen Kinder in der Regel doch nur bis 21 Uhr auf der Bühne agieren.

Die Saarbrücker Zeitung schwärmt am 1. September 1952: »Zwei Hauptanziehungspunkte hatte das neue Unterhaltungsprogramm, das am Freitag und Samstag, von der Konzertdirektion Heinz Hoffmeister zusammengestellt, auf der Bühne der Saarbrücker Wartburg ablief: der eine war die kleine, acht Jahre alte Cornelia, derzeit Deutschlands beliebtester Kinderstar. Sie machte, auf dem Stuhl vor den Mikrofonen stehend, auf die Masche der ›kessen Berliner Jöre‹ und sang mit ihrer hellen Kinderstimme die bekannten Schlager ›Pack die Badehose ein‹ und ›Ich wünsch mir ein Kleidchen aus rosa Batist‹. Ganz reizend ein neues Liedchen: ›Lausbub!‹ Am Flügel saß der Papa und Komponist Gerhard Froboess, während hinter der Bühne die Mutti die Daumen drückte und die Kleine gleich nach dem Auftritt in Empfang nahm, um sie ins Bett zu bringen. Ein anmutiges, burschikoses Mädchen, die kleine Cornelia, die rasch die Liebe des Saarbrücker Publikums gewann.«

Gewiss, die Schlagzahl für das Kind ist hoch: abends auf der Bühne sich vor Hunderten Menschen präsentieren, oft Tag für Tag an einem anderen Ort, und zwischen den Proben mit der Privatlehrerin pauken, einer Frau Morchel, die Hoffmeister eigens für den Kinderstar engagiert hat. Wie sorgfältig und fantasievoll die Pädagogin mit ihrem kleinen Schützling arbeitet, belegen die Übungshefte, die sie eigens für Cornelia zusammenstellt. Wundersamerweise sind einige von ihnen erhalten. Hervorzuheben ist die »Lehrkladde« Biologie. Deren handgeschriebener Text fällt bereits durch sein Äußeres auf: die makellose, fast durchgängige Druckschrift. Inhaltlich ist bemerkenswert, dass Frau Morchel zunächst den Vorgang der Bestäubung erklärt, um dann am Beispiel der Birke mit der Erläuterung von weiblichen und männlichen Blüten zu beginnen. Es folgen Porträts von allerhand Kleingetier: von Spinnen, Skorpionen, Würmern, später auch von Schlangen, Schildkröten und Krokodilen. Fast sensationell darf man die Illustrationen nennen: winzige, akkurat ausgeführte Blei- und Buntstiftzeichnungen, die den Text ergänzen – die Tat einer ambitionierten Lehrerin, an deren lebendigen Unterricht ihre Schülerin noch heute gern zurückdenkt: »Sie hat begriffen, wenn man etwas nicht begriffen hat.«

Der Spiegel gibt in seiner Ausgabe vom 4. August 1952 Einblick in die Unterrichtsstunden: »Frau Morchel, 60, mit dreißigjähriger Praxis als Lehrerin, gibt ihr zwei bis drei Stunden Unterricht, in der Regel in ihrem Hotelzimmer. Das geht so vor sich, daß Cornelia morgens, ihre Schulsachen unterm Arm und eine Butterstulle in der Hand, in das Zimmer der Lehrerin hüpft: ›Morjen, Frau Morchel, wat machen wir heute?‹ Auf dem Stundenplan stehen Deutsch, Rechnen und Naturkunde. Wenn die Lehrerin in einem von Cornelias Schulheften verbessert, radiert es Cornelia sofort wieder aus. Rote Striche in ihren Heften kann die Schülerin gleich gar nicht vertragen. In einem solchen Falle ist sie fähig, die ganze Seite herauszureißen.«

 

Langsam beginnt Cornelia ihre Hinterhoffreundschaften zu vermissen. Zumal sie Einzelkind und fast immer mit Leuten zusammen ist, die ihre Eltern oder Großeltern sein könnten. Doch das Schicksal meint es gut mit ihr und schenkt ihr eine große Schwester – eine, die ganz anders ist als sie. Sie heißt Leila, mit Nachnamen Negra, aber das ist nur ihr Künstlername. In Wirklichkeit heißt sie Marie Nejar. Im Gegensatz zur hellhäutigen Cornelia hat Leila schwarze Haut, schwarze Haare und riesige Augen. Anders als die Berliner »Jöre« wächst Leila auch nicht in einem behütet-sorglosen Elternhaus auf.

Marie Nejar kommt 1930 in Mülheim an der Ruhr zur Welt, in einem Waisenhaus, da ihre Mutter die Geburt verheimlichen will. Als Maries Großmutter schließlich von der Existenz ihrer Enkelin erfährt, holt sie das Mädchen zu sich, zumal der Vater, ein Kapitänsstewart aus Ghana, sich in England niederlässt. 1933