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Sie interessieren sich für die Traditionelle Chinesische Medizin, Feng Shui oder Qi Gong und möchten nun wissen, auf welchen Gedanken all das beruht? Dann ist dieses Buch genau das richtige für Sie. Jonathan Herman, der in Harvard über chinesische Religionen promovierte, erläutert Ihnen, was es mit dem Tao, dem Weg, mit Chi, der Kraft, und dem Yin und Yang auf sich hat, das viel mehr ist als nur der Gegensatz zwischen männlichem und weiblichem Element. Zunächst einmal geht es um die Frage, ob Taoismus eine Philosophie oder eine Religion ist und dann erläutert der Autor die so wichtigen Ideen des Wu Wei, des Nicht-Eingreifens, Nicht-Handelns oder Nicht-Erzwingens, die viele Menschen im Westen in ihren Bann gezogen haben. Und schließlich erfahren Sie, wie durch den Taoismus im Dreiklang mit dem Buddhismus und dem Konfuzianismus all jene Ideen im Westen populär wurden, die für viele heute so anziehend sind. Lassen Sie sich ein auf diesen spannenden Weg.
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Seitenzahl: 617
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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1. Auflage 2015
© 2015 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Original English language edition Taoism for Dummies © 2013 by John Wiley & Sons Canada, Ltd. All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This translation published by arrangement with John Wiley and Sons, Inc.
Copyright der englischsprachigen Originalausgabe Taoism for Dummies © 2013 by John Wiley & Sons Canada, Ltd.
Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form. DieseÜbersetzung wird mit Genehmigung von John Wiley and Sons, Inc. publiziert.
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Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autor und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Print ISBN: 978-3-527-71128-4
ePub ISBN: 978-3-527-80056-8
mobi ISBN: 978-3-527-80057-5
Coverfoto: © iStock.com/roberthyrons; TungCheung/Shutterstock.com
Korrektur: Frauke Wilkens, München
Über den Autor
Jonathan R. Herman promovierte 1992 in Harvard über chinesische Religion und ist Direktor eines Bachelor-Studiengangs im Fachbereich Religionswissenschaften der Georgia State University (Atlanta), wo er Kursveranstaltungen zum Taoismus, Konfuzianismus, Buddhismus, Shinto, zu Weltreligionen, vergleichendem Mystizismus und kritischen Religionstheorien abhält. Unterrichtserfahrung hatte er zuvor bereits an der Harvard-Universität, am Boston College, an der Tufts University, der Universität von Vermont und dem Lewis & Clark College reichlich gesammelt und war zwölf Jahre lang leitendes Mitglied der Gesellschaft für chinesische Religionsstudien (Society for the Study of Chinese Religions) gewesen.
Seine Publikationsliste umfasst neben zahlreichen Aufsätzen zu Themen der chinesischen Religion, unter anderem amerikanische und europäische Vermittlung des Taoismus, taoistisches Umweltbewusstsein, konfuzianische Hermeneutik sowie neokonfuzianischer Mystizismus, auch die Monografie I and Tao: Martin Buber's Encounter with Chuang Tzu (State University of New York Press). Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Aufsätze zu gegenwärtigen Themen aus dem Bereich religionswissenschaftlicher Forschung, so beispielsweise über den religionsübergreifenden Dialog, Mystizismus und Postmodernismus, das Verhältnis zwischen Religion und Spiritualität, Religion und öffentlichen Diskurs und Charakterausbildung an öffentlichen Schulen.
Inhaltsverzeichnis
Über die Autoren
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Törichte Annahmen über den Leser
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Teil I: Durch die Welt des Taoismus steuern
Teil II: Die Entwicklung des Taoismus
Teil III: Die Welt aus taoistischer Sicht
Teil IV: Taoistische Praktiken erkunden
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Teil VI: Anhänge
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Wie es weitergeht
Teil I: Durch die Welt des Taoismus steuern
Kapitel 1: Der Taoismus – eine Einführung
Das Gebiet des Taoismus überblicken
Sich in das Werden des Taoismus vertiefen
Ursprung und Entwicklung des Taoismus
Taoismus heute – eine Bestandsaufnahme
Sich mit taoistischen Vorstellungen beschäftigen
Am Anfang steht das Tao
Die Ausbreitung des Tao
Sich den Praktiken im Taoismus zuwenden
Methoden der Selbstkultivierung
Die Rituale
Kapitel 2: Was ist Taoismus?
Ihre erste Begegnung mit dem Taoismus
Taoisten sind wie Preußen
Falsches Spiel mit Taoismus
Aus dem Chaos schlau werden Nützliche Abgrenzungen
Vom bibliothekarischen Ordnungsprinzip bis zur philosophischen Schule
Verwischte Grenzen zwischen Philosophie und Religion
Nicht jeder Einsiedler, Magier oder Exorzist ist ein Taoist
Kapitel 3: Glauben Sie nicht alles, was Sie denken
Den Hauptmythos über den Taoismus entlarven
Eine reine Lehre, verdorben durch Aberglauben und religiösen Opportunismus
Taoismus und chinesische Religion – eine viktorianische Sichtweise
Passt perfekt für spirituell Suchende
Sich in der chinesischen Religion zurechtfinden
Kreise, Dreiecke und konkretes Denken
Religiöser Synkretismus: Eines aus Topf A, ein anderes aus Topf B
Götter, Geister und die Sorge um konkrete Folgen
Divination und die praktische Seite von Religion
Glauben Sie's oder nicht, es geht nicht um den Glauben
Teil II: Die Entwicklung des Taoismus
Kapitel 4: Klassische taoistische Philosophie
Die Hundert Schulen
Sehnsucht nach der guten alten Zeit
Arbeitslose Intellektuelle auf der Suche nach Arbeit
Grundfragen und Schlagwörter der Epoche
Die Moralisten: Konfuzianer und Mohisten
Lao Tzu – legendärer Begründer des Taoismus
Der alte Weise, den es wahrscheinlich niemals gab
Das Tao Te Ching: Ein Klassiker in 5.000 Schriftzeichen
Chuang Tzu – Skeptiker, Geschichtenerzähler und Alleinunterhalter
Die einvernehmliche Wirklichkeit dekonstruieren
Er hatte den Traum, ein Schmetterling zu sein
Gelehrte demontieren und Außenseiter ehren
Auf dem Weg ins Tao-Gebiet
Zwei fast vergessene frühe Taoisten
Lieh Tzu: Der Mann, der fast Chuang Tzu gewesen wäre
Yang Chu: Helle Farben und schöne Frauen
Ein Platz an der Sonne für eine taoistische Regierung
Huang-Lao und die Schule des Tao
Synthese zwischen Taoismus und anderen philosophischen Richtungen
Kapitel 5: Die Entwicklung des institutionellen Taoismus
Der Weg der Himmelsmeister
Lao Tzus Vergöttlichung
Chang Tao-ling: »Wahrer« Begründer des »wahren« Taoismus?
Der Bund der Orthodoxen Einheit
Der Weg des Großen Friedens
Revolte und taoistische Theokratie
Die nächste Phase taoistischer Offenbarungen
Die Große Reinheit
Die Höchste Wahrheit
Der Schatz der göttlichen Wirkkraft
Das Aufkommen einer taoistischen Identität
Die Lehren des Tao
Buddhistische Einflüsse
Spätere taoistische Entwicklungslinien
Kapitel 6: Taoismus im modernen China
Das Eine (und das Viele) erzeugte die Zwei
Die liturgische Richtung: Cheng-i Tao
Die monastische Richtung: Chüan-chen Tao
Zwei moderne Zweigrichtungen des Taoismus – ein Vergleich
Die Chinesische Taoistische Vereinigung (CTV)
Teil III: Die Welt aus taoistischer Sicht
Kapitel 7: Was ist das Tao und was bedeutet es, dem Tao zu folgen?
Die paradoxe Sprache des Tao verstehen
Der Wissende redet nicht, der Redende weiß nicht
Das Unsagbare sagen
Das Tor zu allen Wundern
Das Tao als Ursprung der Existenz verstehen
Die Mutter der zehntausend Dinge
Spontane Selbsterzeugung und Selbstaufrechterhaltung
Die Versuchung, sich das Tao als Gottheit vorzustellen
Leere als Urquell der Kraft
Dreißig Speichen laufen in einer Nabe zusammen
Himmel und Erde sind nicht menschenfreundlich
Sonne und Mond laufen beständig auf ihrer Bahn
Dem Weg folgen, ihn erfahren und in Harmonie mit ihm sein
Das Motiv der Rückkehr
Die Nachahmung des Tao
Die Frage der Mystik
Kapitel 8: Alles tun, indem man nicht tut
Das wenig eingängige Konzept des wu-wei
Nichts bleibt ungetan
Das Spontane und das Natürliche
Die Metapher vom unbearbeiteten Holzblock
Die Rolle weiblicher Bildersprache
Herrschen durch Nicht-Tun
Der Ärger mit Gesetzen und dem Staat
Der ideale Herrscher als leeres Zentrum
Uneinheitliche Aussagen über militärische Angelegenheiten
Anpassung an die Lebensumstände
Der Angelpunkt des Wegs
Der Geist als Spiegel
Der Zusammenhang zwischen wu-wei und nährendem Leben
Bilder eines urtümlichen Utopia
Wagen, die niemand fährt, Waffen, die niemand schwingt
Das Bemühen um die Bewahrung seiner eigenen Natur
Kapitel 9: Jedes Yin besitzt ein gleichwertiges und gegensätzliches Yang
Das Konzept des ch'i: Psychophysisches zum Existenzgedanken
Was ch'i ist
Und was ch'i nicht ist
Ch'i und Atomtheorie – eine Gegenüberstellung
Yin-yang in taoistischen Schöpfungsgeschichten
Ordnung aus Chaos
Die chaotische Teigtasche
Die Ying-Yang-Schule
Tsou Yen: Architekt einer verschollenen Schule
Die Fünf-Elemente-Lehre
Ein Gesamtgefüge der Übereinstimmung und Zuordnung
Alles schwingt in allem mit
Kultivierung von Körper und Geist
Kapitel 10: Blauer Himmel, gelber Himmel: Der Glaube an ein neues Zeitalter
Religiöse Bewegungen des Millenarismus
Was ist Millenarismus?
Vertraute und weniger vertraute Millenniumsüberlieferungen im Westen
Mehr als Kristalle, Räucherstäbchen und Aromatherapie
Höhen und Tiefen des taoistischen Millenarismus
Merkmale des taoistischen Glaubens an ein neues Zeitalter
Spuren von taoistischem Messianismus
Das Vermächtnis des taoistischen Millenarismus
Von millenaristischen Bewegungen zur New-Age-Bewegung
Taoismus und taoistischer Millenarismus im New-Age-Denken
Zwei New-Age-Bewegungen ohne neues Zeitalter
Kapitel 11: Aufschreiben, was nicht ausgesprochen werden kann: Die vielen Schriften des Taoismus
Die verwickelte Welt des taoistischen Schrifttums
Ins rechte Licht gerückt: Lao Tzu und Chuang Tzu
Ein geheimnisvoller, sperriger Schriftkorpus
Die Entwicklung des taoistischen Kanons
Der Verlauf der Kanonisierung
Die Drei-Höhlen-Sammlung
Die Bedeutung des Ming-Kanons
Rückgewinnungsprojekte: Die Katalogisierung des Kanons
Was ist drin im taoistischen Kanon?
Weltansichten und Kommentare
Talismane und Register
Ritualschriften und Anleitungen der Alchemie
Moralbücher
Von Medizin bis Zahlenmystik
Teil IV: Taoistische Praktiken erkunden
Kapitel 12: Daran denken, weiterhin zu vergessen
Rückkehr, Umkehr und die Idee des Verlernens
Je weiter ihr geht, umso weniger kennt ihr
Lernen, nicht zu lernen
Das Ziel heißt Verlernen und die Aufgabe heißt Vergessen
Tugend vergessen und alles vergessen
Fasten des Geistes und des Herzens
Die Abhandlung über Sitzen und Vergessen
Die sieben Stufen des Vergessens
Vom Vergessen zur Befreiung des Geistes
Gegenwärtiges Vergessen
Der moderne Taoismus und die Praktik des Vergessens
Cyber-Vergessen
Kapitel 13: Auf der Suche nach Unsterblichkeit
Hinnahme von Leben und Tod im klassischen Taoismus
Den Tod als Teil des kosmischen Prozesses anerkennen
Die Furcht vor dem Tod infrage stellen
Weisheit, langes Leben und Unempfindlichkeit gegen Leid
Wie man sich den »Superweisen« vorstellt
Anzeichen von Kultivierungspraktiken im klassischen Taoismus
Auf den Spuren der inneren Kultivierung
Die Unsterblichkeitskulte
Sagenhafte Geschichten von Unsterblichen
Die Besessenheit des ersten Kaisers
Taoismus und die sogenannte Unsterblichkeit
Die Vorstellung von postmortaler Unsterblichkeit
Die (nicht nur) Acht Unsterblichen
Kapitel 14: Innere Kultivierung durch Alchemie
Ein weltweiter Blick auf die Alchemie
Was ist Alchemie?
Die westliche Alchemie
Frühe Alchemie in China
Die Verbindung vom Taoismus zur Alchemie
Der Meister, der die Einfachheit umschließt
Das Dreifache als Einheit
Die Eingliederung der Alchemie in den Taoismus
Die Rolle der Alchemie in den taoistischen Kultivierungsgruppierungen
Die Änderung der Kartografie des menschlichen Körpers
Der Stellenwert der Visualisierung
Von äußerer zu innerer Alchemie
Der Körper als Schmelztiegel
Umwandlung von Essenz zur Leere
Innere Alchemie für Frauen
Alchemistische Meditation
Kapitel 15: Kampf-, Gymnastik- und Heilkünste: T'ai-chi und Ch'i-kung
T'ai-chi ch'üan: Boxen des Großen Äußersten
Die Wurzeln des t'ai-chi
Die einzelnen Schritte beim t'ai-chi
Bei Sonnenaufgang morgens im Park
Der Stilmix taoistischer Kampfkünste
Ch'i-kung: Wirksamkeit des psycho-physischen Stoffs
Die Wurzeln des ch'i-kung
Die Ch'i-kung-Explosion
Festes und weiches ch'i-kung
Fa-lun Kung: Die Wirksamkeit des Gesetzesrads
Fa-lun Kung: Anfänge und Praktiken
Kontroversen und Verfolgung
Kapitel 16: Kosmische Erneuerung und weitere Rituale
Die Wahrheit über Taoismus und Ritual
Was ist ein Ritual?
Stellenwert des Rituals in den klassischen Schriften
Das taoistische Ritual: Die Fakten
Schwerter, Gedenktafeln und was es braucht zum Bittgesuch
Reinigungs- und Opferrituale
Fasten-, Reinigungs-, Läuterungs- und Bußrituale
Das Ritual der kosmischen Erneuerung
Das große Opfer für eine friedliche Welt
Taoistische Begräbnisrituale
Bewältigung einer trügerischen Reise
Das Überqueren der Himmelsbrücke
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 17: Die zehn häufigsten Irrtümer über den Taoismus
Taoismus ist eine Philosophie, keine Religion
Lao Tzu hat den Taoismus begründet
Beim Tao Te Ching handelt es sich um die taoistische »Bibel«
Taoisten glauben nicht an Götter
Im Taoismus werden religiöse Lehrmeinungen abgelehnt
Taoisten führen keine Rituale durch
Beim Taoismus geht es allein um Natur und die Anpassung an den Lauf der Dinge
Taoisten und Konfuzianer sind das genaue Gegenteil
Religiöser Taoismus ist nichts weiter als dümmlicher Aberglaube
Jeder kann Taoist sein
Kapitel 18: Zehn Ratschläge zur praktischen Anwendung taoistischer Weisheit
Sich schulen
Die Natur beachten
Lernen zu spielen
Den einfachsten Weg finden
Musik machen und Sport treiben
Frisches Bio-Obst und -gemüse essen
Fragen stellen
Die eigenen Einstellungen und Beweggründe erkennen
Abwägen, skeptisch oder nachsichtig sein
Nicht davon ausgehen, sich taoistische Weisheit in zehn einfachen Schritten aneignen zu können
Kapitel 19: Wo man Taoisten treffen kann
Der Tempel der Weißen Wolken
Drachen-und-Tiger-Berg
Eine Frage des Gleichgewichts
Reform Taoist Congregation (Reformierte Taoisten-Gemeinde)
Die Schriften von Ursula K. Le Guin
Teil VI: Anhänge
Anhäng A: Sekundärliteratur und andere Quellen
Deutschsprachige Literatur
Vertrauenswürdige Websites
Allgemeine Einführungen zum Taoismus
Übersetzungen klassischer taoistischer Schriften
Anthologien zum klassischen Taoismus
Themenbezogene Aufsätze zum Taoismus
Handbücher und Lexika
Anhäng B: Leitfaden zur Aussprache des Chinesischen
Stichwortverzeichnis
Wiley End User License Agreement
Einführung
Der Taoismus – zusammen mit Konfuzianismus und Buddhismus eine der »Drei Lehren« Chinas – lässt sich weit in die Vergangenheit bis auf die legendäre Gestalt eines Weisen namens Lao Tzu (Laozi) zurückverfolgen und ist heutzutage sowohl in China als auch in anderen Ländern Ostasiens weit verbreitet. Auch bei uns ist es keine Seltenheit mehr, damit in Berührung zu kommen, findet sich doch fast in jedem Buch, das sich mit den Grundzügen der Weltreligionen befasst, ein eigenes Kapitel zum Taoismus und es gibt nicht viele Buchläden, die kein Regal mit taoistischen Texten oder zumindest mit ein paar Abhandlungen über einzelne, ausgewählte Teilbereiche bestückt hätten.
Aber wenn Sie tatsächlich etwas über Taoismus erfahren möchten, stehen Sie gerade am Anfang ziemlich allein da, denn was hilft Ihnen ein knapper historischer Abriss, garniert mit dem ein oder anderen Zitat aus den klassischen Texten oder umgekehrt eine detailverliebte Analyse mit einer Unmenge an Fachvokabular? Manche Ratgeber empfehlen Ihnen, Ihr tägliches Leben nach taoistischen Prinzipien auszurichten, andere entdecken den Taoismus als die neueste Methode zur Selbstverwirklichung und machen so die Verwirrung komplett.
Seien Sie unbesorgt, denn es gibt einen Weg zu Ihrem Ziel.
Über dieses Buch
Dieses Buch macht Sie auf einfache und verständliche Weise mit dem Wesen des Taoismus bekannt und gibt Ihnen gleichzeitig einen unverstellten Blick auf diejenigen Bestandteile der Überlieferung, denen es zumeist zu verdanken ist, dass sich einige Dinge nur äußerst schwierig verstehen lassen. In diesem Sinne werden Sie die Entwicklung des Taoismus von seinen Ursprüngen im alten China über die Ausbildung der verschiedenen Sekten nachvollziehen, die sich in der schnelllebigen chinesischen Gesellschaft bis heute gehalten haben, und lernen die Ideen, Schriften und Praktiken des Taoismus kennen – von der Philosophie des »Nichthandelns« und des yin-yang bis hin zu ch'i-kung (Qigong) und den Ritualen der kosmischen Erneuerung.
Alles in allem geht es um eine über zweitausend Jahre alte religiöse Überlieferung, die sich mit der Zeit immer wieder gewandelt, mehrere Sekten und Strömungen hervorgebracht hat und im Leben von Milliarden von Menschen nicht wegzudenken ist, sodass nicht auf jede Einzelheit mit der entsprechenden Tiefe eingegangen werden kann. Und trotzdem lassen sich viele notwendige Grundlagen ansprechen, ohne dass Sie das Interesse am Taoismus verlieren: Dieses Buch ist umfassend (es informiert über ein weites Spektrum taoistischer Ideen), verlässlich (alle Aussagen sind nachprüfbar) und leicht verständlich (kein Versuch, Sie mit fantasiereichem Wortschwall zu betäuben oder mit hochphilosophischen Ausführungen zu benebeln). Seien Sie gespannt und freuen Sie sich auf eine interessante und unterhaltsame Lektüre!
Konventionen in diesem Buch
Weil es darauf ankommt, ohne Umwege möglichst schnell und unkompliziert die wichtigsten Punkte anzusprechen, sollen Sie natürlich nicht zuallererst auf ein ganzes Bündel mit Hinweisen zum Gebrauch dieses Buches stoßen, kaum haben Sie die erste Seite aufgeschlagen; es gibt jedoch manches, was von Anfang bis Ende gleich bleibt, und es deshalb ganz nützlich ist, diese wenigen Regeln schon jetzt einmal gehört zu haben:
Statt der Abkürzungen v.Chr. (vor Christus) beziehungsweise n.Chr. (nach Christus) finden Sie v.d.Z. (vor der Zeitrechnung) beziehungsweise n.d.Z. (nach der Zeitrechnung), da diese – ohne auf eine bestimmte Religion Bezug zu nehmen – neutraler klingen. Umrechnungstabellen sind indes nicht notwendig, denn die Jahreszahlen entsprechen sich und ob es v.Chr. oder v.d.Z. heißt, spielt für die eigentliche Zeitangabe keine Rolle.
Statt als »Religion« möchte ich für den Taoismus vielmehr Bezeichnungen wie »religiöse Überlieferung« oder einfach nur »Überlieferung« verwenden, sodass bereits diese Wortwahl dazu beiträgt, den Taoismus nicht als eine festgelegte, unveränderbare Einheit zu verstehen, die unabhängig davon existiert, wie sie von Menschen konstruiert, angewendet und verändert wird. Darüber hinaus entsteht bei einer »Überlieferung« eher der Eindruck von etwas Fließenderem und innerlich Verzweigterem als bei einer »Religion«.
Auf endlose Listen mit nicht gerade leicht zu lesenden chinesischen Wörtern können wir getrost verzichten, nicht jedoch auf ein paar grundlegende Kenntnisse darüber, wie beispielsweise die Namen einer Reihe von Persönlichkeiten in der Geschichte des Taoismus auszusprechen sind, die Sie in diesem Buch nicht mit chinesischen Schriftzeichen, sondern in einer an das chinesische Lautsystem angepassten Umschrift mit lateinischen Buchstaben vorfinden werden. Damit sind Sie natürlich auch dann auf der sicheren Seite, wann immer Sie auf eine solche Umschrift treffen, ganz unabhängig von Tao für Dummies. Es gibt indes nicht nur eine einzige Umschrift: Hier hat man sich entschieden, dem von den beiden britischen Sinologen Thomas Wade und Herbert Giles entwickelten sogenannten Wade-Giles-System zu folgen, das Sie in Anhang B nachschlagen können.
Scheuen Sie sich im Übrigen nicht, beim Lesen eines chinesischen Namens oder Begriffs diesen auch laut auszusprechen. So prägt sich dieser besser ein, als wenn Sie ihn nur still auf einer gedruckten Seite wahrnehmen – erschrecken Sie damit aber nicht Ihre Umgebung!
Das waren sie eigentlich auch schon, die Konventionen, und ganz zum Schluss nur noch zwei kurze technische Anmerkungen: neu eingeführte chinesischsprachige Fachbegriffe werden kursiv gesetzt und direkt danach erklärt, für Webadressen wird monofont verwendet.
Törichte Annahmen über den Leser
Was Sie bereits über den Taoismus zu wissen glauben oder was Sie über den Taoismus denken, ist im Folgenden nicht das Thema, vielmehr möchte ich Ihnen sagen, wie ich mir Sie, den Leser dieses Buches, vorstelle:
Sie sind wahrscheinlich kein Taoist, haben aber ein gewisses Interesse an dieser besonderen Überlieferung, möglicherweise auch ganz allgemein an China oder an jeder religiösen Überlieferung, die nicht Ihre eigene ist.
Sie respektieren den Glauben und die religiösen Praktiken anderer Menschen und wollen den Taoismus kennenlernen als einen Weg, Ihr Umfeld ein wenig besser zu verstehen.
Sie wissen nicht allzu viel über den Taoismus und bewegen sich auch eher auf dünnem Eis, wenn es um religiöse Fachwörter geht, aber Sie sind wissbegierig und bereit, all das Neue aufzunehmen, solange ich nicht oberlehrerhaft daherkomme, sondern die Dinge so erkläre, wie sie sind.
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Im Internet finden sich zwar genug Seiten, die im Taoismus nichts weiter als die Anwendung einfacher Prinzipien sehen, eines »Mit-dem-Strom-Schwimmens«, tatsächlich ist die religiöse Geschichte des Taoismus aber äußerst vielschichtig durch ihre unterschiedlichen Schullinien und Sekten, ihren dicht bewohnten Götterhimmel, ihre hierarchische Priesterschaft und ihre Schriften, welche nur für diejenigen durchschaubar werden, die in bestimmte Lehren eingewiesen worden sind.
Lassen Sie sich von dieser Komplexität aber nicht abschrecken, denn dieses Buch ist dazu da, Sie auf Ihrer Reise durch den Taoismus zu begleiten. Deshalb ist es in Kapitel mit jeweils einem großen Hauptthema unterteilt, deren Anordnung allein dem Ziel dient, für Sie einen verständlichen Zugang bereitzustellen, der es Ihnen ebenfalls ermöglicht, zu den für Sie interessantesten Themen zu springen, ohne hierbei eine wie auch immer vorgegebene Reihenfolge einhalten zu müssen.
Teil I: Durch die Welt des Taoismus steuern
In diesem Teil machen Sie Ihre ersten Schritte in die Welt des Taoismus, indem Sie dessen religiöse Wurzeln in China aufspüren und sich einen Überblick über die Anfänge verschaffen. Dabei rücken Sie einige der üblichen Missverständnisse gerade, erkennen die Vieldeutigkeit des Begriffs Taoismus und folgen wichtigen Wegweisern, um sich weiterhin zurechtzufinden.
Teil II: Die Entwicklung des Taoismus
Natürlich werden hier auch Namen und Daten genannt, aber Sie erhalten keine dröge Liste mit Persönlichkeiten und deren Wirkungsspanne. Stattdessen verfolgen Sie die Entwicklung der Überlieferung auf spannenden, sich immer wieder verzweigenden Pfaden. Sie starten mit ein paar wenigen klassischen Schriften, sehen, welch spezielle Strömungen daraus entstehen, und erleben die Gründung der Schulen und Sekten mit, die bis heute in China existieren, ebenso wie das klösterliche Leben und die dazugehörigen Rituale.
Teil III: Die Welt aus taoistischer Sicht
Hier erfahren Sie mehr über jene Vorstellungswelten, die untrennbar mit dem Taoismus verbunden sind, von der Philosophie des »Nichthandelns« bis zu yin und yang, aber auch über einige wenig bekannte Seiten wie den Glauben an ein »Neues Zeitalter« oder den mehr als tausend Schriften enthaltenen taoistischen Kanon.
Teil IV: Taoistische Praktiken erkunden
Religion geht weit über ein Sammelbecken von Glaubensansätzen, Lehrmeinungen und Schriften hinaus, Religion hat einen großen Einfluss darauf, wie Menschen »leben« und welche Praktiken sie ausüben. In diesem Teil befassen Sie sich mit taoistischen Praktiken wie Meditation, Alchemie, Selbstkultivierung, Kampfkünsten und Ritualen.
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Im Grunde haben Sie gar keine Zeit, das alles wirklich zu lesen? Sie brauchen eher einen schnellen Überblick? Auf den Punkt gebracht, ohne viel Schnörkel? Dann schauen Sie sich diese drei Kapitel an, die Ihnen in zehn Punkten einen Kurzeinstieg in die Grundlagen des Taoismus geben. Dort können Sie die ewig gleichen, nur schwer auszulöschenden Missverständnisse zügig zurechtrücken, rasch praktische Hinweise zum hautnahen Erleben des Taoismus erhalten und knapp erfahren, wie Sie mit taoistischen Weisheiten Ihren Alltag bereichern.
Teil VI: Anhänge
Gehören Sie zu denjenigen Lesern, die Anhänge in Büchern kaum beachten, weil Sie diese Seiten grundsätzlich für überflüssig halten? Dann sollten Sie Ihre Meinung nun ändern: Sie werden hier nicht nur eine Menge nützlicher Informationen vorfinden, sondern sich während der Lektüre der Hauptteile das ein oder andere Mal dabei ertappen, diese Anhänge nicht missen zu wollen.
Anhang A liefert einige weiterführende Empfehlungen, um sich intensiver mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen, und Anhang B zeigt Ihnen die korrekte Aussprache der vorkommenden chinesischen Namen und Begriffe, einschließlich einer Gegenüberstellung des in diesem Buch für die Umschrift angewandten Wade-Giles-Systems mit dem nicht weniger oft anzutreffenden pinyin-System, sodass Ihnen diese verschiedenen, nebeneinander existierenden Schreibvarianten keinerlei Probleme bereiten.
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Am Rand des Textes tauchen immer mal wieder Symbole auf, die Ihren gewohnten Leserhythmus unterbrechen und Ihre Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Punkte lenken, weil diese nachdrücklich hervorgehoben werden müssen. Die Symbole bedeuten im Einzelnen:
Behalten Sie das, was hier steht, stets im Hinterkopf, denn meistens handelt es sich um eine wichtige Information, die Sie so vielleicht nicht erwartet hätten, oder um die Klärung eines über Taoismus oder China weitverbreiteten Missverständnisses.
Berücksichtigen Sie diese Hinweise, um verwirrend anmutende Dinge schnell zu entwirren oder um einen Zugang zu einem schwierig erscheinenden Thema zu finden. Es geht bei diesem Symbol hauptsächlich darum, »wie« Sie an eine Sache herangehen sollten.
Seien Sie vorsichtig mit solchen Textstellen: Es könnte beispielsweise mehr Hintergrundwissen notwendig sein oder die Aussage ist nicht unumstritten.
Hier erhalten Sie weitere Hintergrundinformationen, ausführlichere Erläuterungen oder unterschiedliche Interpretationsansätze – alles zweifellos wichtige Ergänzungen, bei denen anfangs aber auch die Gefahr besteht, dass Sie sich dabei ein wenig verlieren. Also überspringen Sie sie einfach, wenn es Ihnen zu viel vorkommt, oder widmen Sie sich ihnen gerade deshalb besonders gründlich, das liegt ganz bei Ihnen.
Wie es weitergeht
Stellen Sie sich dieses Buch als ein reichhaltiges Büfett vor, das nur deswegen in solch großer Auswahl aufgebaut worden ist, um Ihnen den Taoismus verständlicher zu machen: Je nachdem, wo Sie zugreifen, welchen Deckel Sie heben oder von welcher Schale Sie sich etwas auf den Teller legen, treffen Sie auf altehrwürdige Philosophen, stehen neben mittelalterlichen Alchemisten, finden taoistische Übungsgruppen, stoßen auf äußerst schwer verdaubare Ideen wie die des »handlungslosen Handelns«, kommen dem »Sitzen und Vergessen« näher, blicken auf Unsterblichkeitskulte oder entdecken diejenigen Rituale taoistischer Priester, die der Weltenerneuerung dienen.
Lesen Sie Tao für Dummies Seite für Seite vom Anfang bis zum Ende oder suchen Sie sich im Inhaltsverzeichnis die Themen, Epochen oder Schriften, die Sie zuallererst interessieren – wie Sie auch immer vorgehen, ist allein Ihnen überlassen. Hauptsache, die Freude am Entdecken bleibt dabei nicht auf der Strecke, denn der Taoismus verspricht eine aufregende Welt des Lernens – oder um Ihnen gleich einen Vorgeschmack auf taoistische Sichtweisen mitzugeben, eine aufregende Welt des »Verlernens« – und was könnte mehr Spaß machen als das?
Teil I
Durch die Welt des Taoismus steuern
In diesem Teil…
Seien Sie auf einige grundlegende Fragen gefasst, die wolkenbruchartig über Sie hereinbrechen, kaum haben Sie Ihre ersten Schritte in Richtung Taoismus gewagt: Ist der Taoismus eine Philosophie oder eine Religion? Wie hängt der Taoismus mit anderen chinesischen Geistesströmungen wie Konfuzianismus, Buddhismus oder Volksreligion zusammen? Welche unterschiedlichen Auffassungen von Taoismus gibt es? Was sind die größten Irrtümer über den Taoismus? Wie unterscheidet sich der Taoismus von westlichen Traditionen?
Lehnen Sie sich zurück und machen Sie sich auf ein großes Abenteuer gefasst, bei dem Sie mit von der Partie sind. Oder noch besser: Gehen Sie in Startposition und bereiten Sie sich vor, jedes kommende Wort zu verschlingen, denn der Taoismus kann faszinierend, anspruchsvoll und ungemein inspirierend sein und wartet nicht selten gerade dann mit Überraschungen auf, wenn man es am wenigsten erwartet!
Kapitel 1
Der Taoismus – eine Einführung
In diesem Kapitel
Sich auf den Taoismus einstellen
Sich mit der historischen Entwicklung des Taoismus vertraut machen
Sich mit taoistischen Vorstellungen beschäftigen
Sich mit taoistischen Praktiken auseinandersetzen
Die Zeiten, in denen man bei uns nur durch ein paar Kung-Fu-Filme, den radebrechenden Koch Hop Sing aus der Fernsehserie Bonanza oder die ausgefallene Speisekarte des örtlichen Chinarestaurants mit China in Berührung kam, gehören längst der Vergangenheit an. China ist inzwischen auf wirtschaftlicher, politischer und kultureller Ebene überall präsent, und was könnte daher näherliegen, als den Blick nicht auch zu schärfen für eine der ältesten – und vielleicht sogar der spannendsten – ureigenen religiösen Überlieferungen Chinas: dem Taoismus?
Sie machen sich mit religiösen, philosophischen und kulturellen Sichtweisen vertraut, und obwohl der Taoismus viel zur Bildung einer chinesischen Identität beigetragen hat, werden Sie feststellen, dass Sie in Ihrer Umgebung kaum jemanden antreffen, der sich als Taoist bezeichnen würde. Auch taoistische Tempel oder Kulturzentren liegen nur höchst selten in der Nachbarschaft, sodass trotz einer schier unerschöpflichen Auswahl an Ratgeberliteratur für die meisten unter uns der Begriff Taoismus stets mit irgendetwas Geheimnisvollem verhaftet bleibt.
Taoismus oder Daoismus?
Bis jetzt haben Sie hier immer »Taoismus « gelesen, wahrscheinlich ist Ihnen anderswo aber auch schon einmal der Begriff »Daoismus« begegnet. Bevor Sie sich also auf Entdeckungsreise begeben, sollten Sie klären, wie das Ziel denn eigentlich heißt: Taoismus oder Daoismus?
Sicher sind Ihnen bereits einige unterschiedliche Schreibweisen für ein und denselben Namen aufgefallen, denken Sie nur an »Peking« und »Beijing« oder »Mao Tse-tung« und »Mao Zedong«. Hauptsächlich verantwortlich hierfür sind zwei verschiedene Transkriptionssysteme, die die chinesischen Schriftzeichen mit lateinischen Buchstaben wiedergeben und konkurrierend in Literatur, Fachzeitschriften und anderen Medien angewandt werden: das von den britischen Sinologen Thomas Wade und Herbert Giles Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sogenannte Wade-Giles-System (»Tao« mit »T«), das lange Zeit der vorherrschende Standard gewesen war, und das Mitte der 1950er-Jahre von der Volksrepublik China als offizielle Umschrift festgelegte sogenannte Hanyu Pinyin (»Dao« mit »D«), das seit Beginn der 1980er-Jahre eine immer größere internationale Anerkennung erfahren hat. Auch wenn Taiwan sich zunächst dem Hanyu Pinyin widersetzt hatte, viele Auslandschinesen es nur zögerlich übernahmen und in manchen Kreisen es sogar einer politischen Aussage gleichkommt, welche Transkription man benutzt, so haben diese Dinge bei der Entscheidung für Wade-Giles in Tao für Dummies keine Rolle gespielt. Vielmehr kam es dem Herausgeber darauf an, auch bei der Umschrift möglichst praxisorientiert zu bleiben und damit dem vermutlich höheren Wiedererkennungswert der meisten Leser gerecht zu werden.
Bleibt natürlich noch die Frage, warum Wade-Giles für einen Laut, der offenbar eher wie ein »D« ausgesprochen wird, den Buchstaben »T« vorsieht. Das hat mehrere Gründe:
Es gibt kein chinesisches Alphabet. Jedem einzelnen Schriftzeichen ist eine bestimmte Aussprache in einer bestimmten Tonhöhe eigen, die man nur durch Hören zuordnen kann. Allein vom Sehen eines Schriftzeichens lässt sich nicht auf dessen Aussprache und Tonhöhe schließen.
Es gibt viele Laute im Chinesischen, die keine genauen Entsprechungen im Englischen besitzen. Die Umschriften sind lediglich Annäherungen an die korrekte Aussprache, mehr nicht.
Es gibt auch ohne Alphabet den ein oder anderen lautlichen Hinweis im Aufbau eines Schriftzeichens wie die Aussprache lauten könnte, außerdem klingen etymologisch verwandte Wörter ähnlich. So gehören manche Zeichen, die tao (mit t-Laut) ausgesprochen werden, eng zu einer Gruppe von dao-Zeichen (dao mit d-Laut). Nur wie sollte man solch miteinander verbundene Zeichen in Englisch-Chinesisch-Wörterbüchern zusammenbringen, die ja nach dem Alphabet organisiert sind und deshalb d und t ziemlich weit auseinander stehen?
Die Lösung von Wade-Giles, dieses Problem durch die Anwendung eines Apostrophs zu umgehen, war einfach genial – oder vollkommen verrückt, je nach Sichtweise: Halten Sie Ihre Handfläche vor den Mund und sagen Sie das englische Verb tie (deutsch: festbinden; Verlaufsform: tying). Spüren Sie den Luftaushauch? Probieren Sie nun die (deutsch: sterben; Verlaufsform: dying). Lippen, Zähne und Zunge scheinen nichts anderes als vorher zu tun, ein Hauch jedoch ist nicht mehr zu spüren. Beide Wörter sind eigentlich gleich, nur dass tie behaucht und die unbehaucht gesprochen wird. Nun kommt der Apostroph ins Spiel: Die Umschrift t'ao (mit Apostroph) sollte für Wörter mit behauchtem t gelten, während tao (ohne Apostroph) auf das unbehauchte d verwies – das ist der Grund, warum hier »Tao« zwar mit t geschrieben, aber mit d gesprochen wird: »Dau« (wie englisch dow). Alles Weitere zur Aussprache nach Wade-Giles finden Sie in Anhang B.
Das Gebiet des Taoismus überblicken
Kaum sind Sie dabei, sich ein bisschen mehr mit dem Taoismus zu befassen, erkennen Sie zwar sehr schnell, dass nicht jeder unter Taoismus dasselbe versteht, aber Sie haben noch keinen blassen Schimmer, wie die unterschiedlichen Auffassungen denn miteinander verknüpft sein sollen. Das liegt durchaus auch an der in China recht freien Anwendung des Taoismus-Begriffs, was besonders auf die vielfältigen nicht konfessionsgebundenen örtlichen Bräuche zutrifft, die dann einfach als populärtaoistisch oder volkstaoistisch bezeichnet werden, nur weil sie eindeutig keine buddhistischen Rituale sind und sich nur schwer in ein Schema einordnen lassen. Eine wichtige Aufgabe wird es bleiben, all diese verschiedenen Ausformungen voneinander unterscheiden zu können.
Dem Taoismus ist es nicht anders als allen großen Überlieferungen ergangen, denn mit der Zeit haben die einzelnen Strömungen immer wieder Veränderungen erfahren, die nur in den seltensten Fällen geradlinig verlaufen sind. Stellen Sie sich den Taoismus am besten als einen Stammbaum mit lauter knorrigen Ästen vor, mit Zweigen, die verdorren und plötzlich an neuen Stellen wieder junge Triebe bilden, mit Wurzeln, die sich mit den Wurzeln anderer Bäume vollkommen verflechten, und mit Früchten, die sich geschmacklich und vom Aussehen her nur deshalb ganz und gar von den Früchten desselben Baumes unterscheiden, weil sie nicht an demselben Ast hängen – wohlwollend ausgedrückt, ein ziemlich verzwickter Stammbaum, den Sie vor sich haben.
Ohne sich mit einigen notwendigen Begriffen auszurüsten, die Ihnen bei der Einteilung der vielen Verästelungen hilfreich sind, werden Sie sich in diesem Gestrüpp nicht weiter zurechtfinden. Das betrifft Kapitel 2, in dem Sie zunächst die beiden großen Kategorien »philosophischer Taoismus« und »religiöser Taoismus« kennenlernen, bevor Sie sich mit den Feinheiten auseinandersetzen können.
Lassen Sie sich aber vor allem nichts vorgaukeln von dem, was Sie bereits über die Religion Chinas im Allgemeinen oder über den Taoismus im Besonderen zu wissen glauben. Nichts wird Ihre Lektüre mehr erschweren, als Aussagen im Buch, die überhaupt nicht zu Ihrer bewussten oder unbewussten Erwartungshaltung zu passen scheinen: Sollten Sie beispielsweise der Meinung sein, der Taoismus sei atheistisch oder agnostisch, werden Sie sicher bei solchen Kapiteln irritiert die Stirn runzeln, in denen es um eine große Anzahl taoistischer Gottheiten geht. Hat es Ihnen aber besonders das in vielen Übersetzungen vorliegende Tao Te Ching (Daodejing) angetan, so hoffen Sie dort vergebens, vor allem auf Abhandlungen taoistischer Praktiken zu treffen. Oder Sie stellen sich Lao Tzu und Chuang Tzu (Zhuangzi) als Lehrmeister des spirituellen Wegs vor, müssen jedoch später ernüchtert feststellen, dass »Spiritualität« eigentlich eine neuzeitliche, westliche Erfindung ist. Aber all das soll Sie nicht verunsichern, ganz im Gegenteil: Ist Ihnen erst einmal klar geworden, wie solche Missverständnisse überhaupt entstehen und sich in den Köpfen festsetzen konnten, werden Sie nicht nur einen unverstellten Blick auf »wahren« chinesischen Taoismus bekommen, sondern auch den im Westen populären Taoismus mit neuen Augen sehen und dadurch den Taoismus im Gesamtzusammenhang als einen Bestandteil der Religion und Kultur Chinas begreifen. Dabei stoßen Sie immer wieder auf recht unerwartete Dinge, denn die religiös geprägte chinesische Weltsicht ist meistens sehr pragmatisch ausgerichtet – historisch bedingt hat man in China der Lösung gerade aktueller Probleme weitaus mehr Aufmerksamkeit gewidmet, als sich mit abstrakten Spekulationen über das Wesen Gottes oder der menschlichen Seele aufzuhalten, was eine hohe Wertschätzung von Familie sowie lokaler Identität mit sich bringt und wo familiäre Beziehungen als Grundlagen ethischer Normen dienen. Für die religiösen Praktizierenden gibt es außerdem viele Götter und Geister – ungeachtet aus welcher Überlieferung sie stammen –, die mit unterschiedlichen Eigenschaften und Aufgaben ausgestattet als ihrer wichtigsten Fähigkeit in der Lage sind, das menschliche Leben zu beeinflussen und in bestimmte Bahnen zu lenken. Dazu gesellen sich bei vielfältigen Anlässen religiöse Spezialisten wie Priester, Wahrsager und Exorzisten, um bei der Kommunikation zwischen Menschen und Geistern behilflich zu sein. Dazu erfahren Sie mehr in Kapitel 3.
Sich in das Werden des Taoismus vertiefen
Vielleicht sind Sie nicht der Einzige, der sich Geschichte als ein ermüdendes Sammelsurium von schwer zu merkenden Namen, Daten und Fakten vorstellt, doch die Geschichte des Taoismus wird Sie nicht eindösen lassen. Schillernde Persönlichkeiten, spannende Neuerungen und unvermutete Weiterentwicklungen warten praktisch an jeder Ecke und je mehr Hintergrundwissen Sie besitzen, umso sinnvoller fügt sich eins zum anderen.
Ursprung und Entwicklung des Taoismus
Die zum Taoismus gehörenden Schriften, Praktiken und kulturellen Traditionen lassen sich fast 2.500 Jahre zurückverfolgen, auch wenn es letztlich noch ein paar Jahrhunderte bis zur Herausbildung einer eigenen, taoistischen Identität gedauert hat. Die Ursprünge der Überlieferung fallen in eine Zeit gewaltiger intellektueller Gärprozesse, als viele philosophische Schulen um die geistige Vorherrschaft und politische Macht in China stritten. Zwar zählen die Schriften aus jener Epoche, einschließlich Lao Tzus Tao Te Ching und das Chuang Tzu zum Faszinierendsten und Unterhaltsamsten, was die chinesische Literatur zu bieten hat, aber diese Autoren konnten die Streitgespräche der sogenannten Hundert-Schulen-Epoche nicht für sich entscheiden, das heißt, es war ihnen nicht gelungen, die politischen Machthaber zu überzeugen, ihre Lehren anzunehmen und die Regierungsgeschäfte dementsprechend auszurichten. Für eine kurze Zeit jedoch prägten sie die Staatsideologie der frühen Han-Dynastie (206 v.d.Z. bis 220 n.d.Z.) durch den Huang-Lao-Taoismus, dessen Spuren in Religion und Kultur Chinas nach wie vor vorhanden sind (vergleichen Sie hierzu Kapitel 4).
Die frühesten verbürgten Aufzeichnungen, die so etwas wie taoistische Institutionen erwähnen, setzten erst ein paar Jahrhunderte später ein und markieren damit einen ersten Wendepunkt in der Geschichte des Taoismus. Diese Entwicklung beginnt mit dem charismatischen Lehrer und Heilpraktiker Chang Tao-ling und dessen Gründung einer straff organisierten Gemeinde, die wahlweise als Himmelsmeister- oder Fünf-Scheffel-Reis-Bewegung bezeichnet wird und
Lao Tzu als ein göttliches Wesen (zusammen mit anderen Gottheiten) verehrte,
öffentlich das Tao Te Ching rezitierte,
an das Kommen eines neuen Zeitalters glaubte,
eine hierarchisch geprägte Priesterschaft formte und eine Reihe geheimnisvoller Rituale ausbildete, was den Taoismus bis heute prägt.
Auch wenn die Gemeinde keinen Bestand hatte, so verbreiteten sich ihre Strukturen und Anhänger und fügten sich mit anderen Traditionen mit dem Ergebnis wieder zusammen, dass die Überlieferung über mehrere Jahrhunderte hinweg zahlreiche neue heilige Texte wie die Offenbarungen der Höchsten Reinheit oder der Göttlichen Wirkkraft, Praktiken wie die Alchemie und Gottheiten wie den Himmelsehrwürdigen des Uranfangs hervorbrachte, während im 12. und 13. Jahrhundert viele der neu entstandenen Schulen wie die Wahre Lehre des Himmlischen Herzens oder der Reine Große Weg im Wettstreit miteinander lagen. Hierzu finden Sie mehr in Kapitel 5.
Taoismus heute – eine Bestandsaufnahme
In China stand der Taoismus im 20. Jahrhundert am Abgrund, als er Mitte der 1970er-Jahre durch Mao Tse-tung und die sogenannte Kulturrevolution fast ausgelöscht worden war, doch seitdem ist mit der Instandsetzung von Tempeln, der Wiederaufnahme priesterlicher Weihen und der Veranstaltung öffentlicher Zeremonien eine regelrechte Auferstehung im Gange, die hauptsächlich von zwei großen Glaubensrichtungen getragen wird:
Schule der Orthodoxen Einheit: eine Liturgie und Rituale betonende, vor allem im südlichen China und Taiwan verbreitete Seitenlinie
Schule der Vollständigen Wahrheit: eine das Mönchsein betonende, vor allem im nörd- lichen China verbreitete Seitenlinie
Selbst wenn diese beiden Schulen den Taoismus im heutigen China prägen, so ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dass die meisten Nichtchinesen – auch diejenigen, die auf der Grundlage jahrelanger Lektüre des Tao Te Ching sich selbst für begeisterte Anhänger taoistischer Philosophie halten – weder von der einen noch von der anderen Schule jemals etwas gehört haben. Das wird sich in Kapitel 6 ändern.
Sich mit taoistischen Vorstellungen beschäftigen
Wie in jeder anderen Tradition finden sich auch in vielen taoistischen Schriften höchst philosophische Betrachtungen, die sich nicht so sehr um starre Lehren drehen, zu denen man sich als gläubiger Taoist bekennen müsste, sondern eher um Beobachtungen und Deutungen des Lebens, die zu einem bestimmten Handeln hinführen sollen, das sich aus aufgeklärtem Eigeninteresse oder aus zwischenmenschlichen Verpflichtungen ergibt. Aber so wie sich der Taoismus mit der Zeit verändert und neue Seitenlinien hervorgebracht hat, so ist auch die Gedankenwelt nicht gleich geblieben und weicht je nach Schule mehr oder weniger deutlich voneinander ab. Deshalb sollten Sie nicht versuchen, alles in die eine »Essenz« zusammenfassen zu wollen, sondern die taoistische Vielfalt einfach akzeptieren.
Am Anfang steht das Tao
Vielleicht schwebt Ihnen vor, Taoismus und Tao stehen in derselben Beziehung zueinander wie Christentum und Christus oder Buddhismus und Buddha, aber es geht beim Taoismus nicht um einen wie auch immer gearteten Glauben an Tao, denn Tao bedeutet nichts weiter als »der Weg« und gehörte zur chinesischen Weltsicht, lange bevor es zur Ausbildung des Taoismus kam. Darüber hinaus beanspruchen auch nicht taoistische Überlieferungen in China den Begriff für sich: Chinesische Religion und Philosophie haben fast immer etwas damit zu tun, die »Wege« des Universums (einschließlich der Götter) herauszufinden und zu klären, welchen »Wegen« der Mensch folgen sollte – ganz zu schweigen von den vielen unterschiedlichen »Wegen«, die in China auch ohne religiös-philosophischen Hintergrund eine Rolle spielen. Der Begriff Tao umfasst also weit mehr als allein den Taoismus oder die chinesische Religion.
Dass es sich bei dem Tao im taoistischen Umfeld jedoch um einen ganz besonders besetzten, offenbar nicht leicht zu verstehenden Begriff handelt, darüber lassen Sie die Autoren des Tao Te Ching und Chuang Tzu nicht lange im Unklaren: Der gewohnten Sprache mangelten nämlich die Mittel, um es zu beschreiben, diejenigen, die von sich behaupten, es zu verstehen, könnten gar nicht richtig liegen und es wären sowieso nur Hohlköpfe in der Lage, sich darüber lustig zu machen. Erst nach dieser Einführung folgen ausdrucksvolle, mit oftmals paradox klingenden Formulierungen versehene Schilderungen des Tao, die Ihnen ständig vor Augen führen, wie schwierig es ist, in sein Mysterium vorzudringen. Und wenn Sie glauben, endlich einmal auf der richtigen Spur zu sein, scheint man Sie wieder in eine vollkommen andere Richtung zu lenken, als seien Sie der Lösung zu nahe gekommen. Und das kann ewig so weitergehen.
Trotz aller Widersprüche und Sackgassen geben die Schriften letztlich doch einige einigermaßen klar umrissene Kennzeichen der taoistischen Vorstellung des Tao preis:
Es stellt ein schöpferisches Prinzip dar, auf das sich die Verfasser oft mittels der Metapher einer fruchtbaren Mutter oder anderer weiblicher Sinnbilder beziehen.
Dem Umstand, leer zu sein, verdankt es irgendwie seine schöpferische Kraft, was erklärt, warum sich taoistische Philosophie so oft mit dem »Nichtsein« oder der Beziehung zwischen »Sein« und »Nichtsein« auseinandersetzt.
Immer wieder verlieren die Menschen ihre Bindung zum Tao und müssen diese durch einen Prozess der »Umkehr« wiederherstellen, ein Prozess, der für viele ohne die eine oder andere Form der Mystik nicht funktioniert.
Mit Ihrem eigenen Tao können Sie in Kapitel 7 weiterkommen.
Auf welche Weise Taoisten dem »Weg« folgen, lässt sich nicht auf ein paar wenige Möglichkeiten beschränken, vielmehr haben alle Schattierungen der taoistischen Überlieferung in gewissem Grad etwas damit zu tun, vom Beten zu den Göttern bis hin zur experimentellen Metallschmelze im Labor. Besonders Tao Te Ching und Chuang Tzu verknüpfen die Auffassung vom Tao jedoch mit einem überaus verwirrenden Grundsatz moralischen Handelns, dem des wu-wei, zumeist als »Nichthandeln«, »nicht handeln« oder »handlungsloses Handeln« übersetzt. Dahinter verbirgt sich der Gedanke, dass die schöpferische Kraft des Tao in dessen Leere begründet liegt, ein »Einstöpseln« dort aber nur durch die Übernahme der Eigenschaften dieser Leere möglich ist. Diese Anbindung ans Tao führt zu einem von persönlichen Wünschen oder Begierden befreiten Handeln infolge der Nachahmung der leeren, unabhängigen Natur des Tao, sodass man sich nicht als Ausführender oder Handelnder der eigenen Handlung fühlt. Nach »plug-in« und »Emulationsprogramm« erfolgt das erfolgreiche – um in der Computersprache zu bleiben – »Hochfahren« des Nichthandelns, wobei sowohl das Tao als auch diejenigen, die dem Tao korrekt folgen, »nichts tun, obwohl nichts ungetan bleibt«.
Um dieses angestrebte Nichthandeln anschaulich darzustellen, wird in den Texten auf einige einprägsame Metaphern zurückgegriffen: So bezieht sich das Bild vom »unbearbeiteten Holzblock« auf ein in seinem natürlichen Urzustand der Einfachheit und Vollkommenheit bestehendes Objekt, das noch nicht durch menschliche Hand gestaltet – und damit eingeschränkt – worden ist, während ein Entlanggehen an den »Angelpunkten des Wegs« auf die Fähigkeit zu Flexibilität und Geschmeidigkeit in einer sich ständig verändernden Welt verweist. Und der »Geist als Spiegel« (auch im Zenbuddhismus anzutreffen) spielt darauf an, sich auf die Wirklichkeit so einzustellen wie sie ist, ohne eigene Deutungen oder Absichten mit anzubringen. Um all das geht es in Kapitel 8.
Die Ausbreitung des Tao
Wie faszinierend und herausfordernd die Gedankenwelt des Tao und die Idee des Nichthandelns auch sein mögen, so ist es doch eher unwahrscheinlich, dass langlebige religiöse Organisationen sich ausschließlich auf diese beiden Vorstellungen berufen. Ein bisschen Ernüchterung ist bei der ersten Lektüre des Tao Te Ching sicher vorprogrammiert, wenn nicht nur klar wird, dass wu-wei für sich genommen kaum als allgemeingültiger Wertekonsens taugt, sondern der Text selbst auch keineswegs als taoistische »Bibel« anzusehen ist, die einen Leitfaden für den alltäglichen Tagesablauf liefert. Für einen Blick auf den über 2.000 Jahre in die Kultur Chinas eingebetteten Taoismus ist das Verständnis weiterer Ideen und Deutungsmuster notwendig.
In fast alle Spielarten des Taoismus fügen sich yin-yang und die Fünf Wandlungs-phasen-Lehre (oder Fünf-Elemente-Lehre) ein, die mit dem Grundgedanken des Tao und dem Nichthandeln hervorragend harmonieren. Indem sich die Taoisten die Wirkungsweise des Tao als Wechselbeziehung zwischen yin und yang – oder etwas vielschichtiger als Zyklen der fünf aktiven Kräfte Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser – veranschaulichten, haben sich ihnen alle möglichen Fragen von Geschichte bis zur Heilkunde dadurch erschlossen, dass sie es als vervollkommnete Systeme gegenseitiger Einwirkung und Beeinflussung erkannten. Über die Vielfalt der yin-yang-Lehre und ihre maßgebliche Rolle bei unterschiedlichen taoistischen Praktiken erfahren Sie mehr in Kapitel 9.
Die erste taoistische Gemeinde, die diesen Namen verdient, glaubte an ein bevorstehendes »neues Zeitalter« (mehr hierzu in Kapitel 10), und obwohl dieses Millennium nicht angebrochen sein dürfte, haben Taoisten in den folgenden Jahrhunderten immer wieder neue Schriften verfasst oder durch diese Offenbarungen erhalten. Das mag jetzt verwundern, vor allem wenn einem als einzig bemerkenswerte Tao-Schriften das Tao Te Ching, Chuang Tzu oder Benjamin HoffsThe Tao of Pooh mit dem Teddybär Winnie-the-Pooh als Hauptfigur in den Sinn kommt. Tatsächlich enthält der taoistische Kanon, diese umfassendste Sammlung taoistischer Bücher aus mehreren Jahrhunderten, annähernd 1.500 Werke, von denen die meisten bis heute nicht in einer westlichsprachigen Übersetzung vorliegen. Der überwiegende Teil des Kanons erörtert allerdings nicht philosophische Fragen wie nach dem Wesen des Tao – im Grunde erörtern sie überhaupt nichts, sondern geben Richtlinien für die Ausführung von Ritualen, formelhafte Wendungen zu Rezitation und Gesang, Meditationshilfen, Alchemiehandbücher und Dokumente, die sich mit Zahlenkunde, Geografie, Medizin und vielem anderen mehr befassen. Vom taoistischen Kanon, seiner Entstehung, seinem Inhalt und Zugang handelt Kapitel 11.
Sich den Praktiken im Taoismus zuwenden
Nachdem Sie nun gehört haben, wie viele unübersetzte Schriften es zu Praktiken im Taoismus gibt, liegen Sie mit der Annahme eigentlich ganz richtig, dass das Wissen darüber hierzulande nicht allzu groß sein kann. Tatsächlich sind viele Leute der Meinung, außer jenem obskuren »Nichthandeln« gäbe es im Taoismus weder religiöse Lehren noch Götter noch eine Priesterschaft, ganz zu schweigen von unterschiedlichen Praktiken. Aber gerade auf diesem Gebiet ist trotz neuer Forschungsexpeditionen der weiße Fleck auf der taoistischen Landkarte nach wie vor am größten und nichts bleibt schwieriger, als hier einen verständlichen Zugang zu finden.
Methoden der Selbstkultivierung
Es lässt sich zwar kein genaues Datum für die ersten, als taoistisch erkennbare Praktiken bestimmen, zweifellos dienten die frühesten Praktiken aber dem Erwerb von Techniken zu körperlicher und geistiger Selbstkultivierung. Dazu gehörten Meditationsübungen auf der Grundlage einer vorgeschriebenen Körperhaltung zur Entwicklung einer geistigen Disziplin wie auch die vom Buddhismus bekannte Konzentration auf den eigenen Atem. Zwei im Chuang Tzu knapp beschriebene Übungen betreffen besonders das systematische Zurückfahren der eigenen Denk- und Wahrnehmungsfähigkeiten, das Annullieren aller zerstörerischen geistigen Angewohnheiten, um dadurch zu dem Ur-Tao zurückzukehren. Die eine Übung, »Sitzen und Vergessen«, verlangt genau das, wonach es sich anhört: sein vorhandenes Wissen durch in sich hineinschauendes stilles Sitzen stufenweise abzustreifen. Zur gleichen Kategorie gehört »Fasten des Geistes und Herzens«, bei der die gewöhnliche Wahrnehmung so weit »ausgehungert« wird, bis sich die Fähigkeit zu einer unmittelbaren intuitiven, vollkommen anderen Art der Wahrnehmung entwickelt. Auf diese Übungen konzentriert sich Kapitel 12.
Viele Praktiken der taoistischen Selbstkultivierung haben mit der Schulung des eigenen Körpers zu tun, manche mit dem Ziel robuster Gesundheit und eines langen Lebens bis hin zur Erreichung eines Zustands der »Unsterblichkeit« nach dem Tod. Im Taoismus gibt es nicht immer einheitliche Aussagen über Leben und Tod, die frühesten Unsterblichkeitspraktiken sowie eine große Anzahl verwandter nicht taoistischer Bräuche gehen jedenfalls auf andere Quellen zurück, von denen Kapitel 13 handelt.
Als bedeutendste Unsterblichkeitspraktiken hatten sich mit der Zeit jedoch diejenigen herauskristallisiert, die sich mit der »Alchemie« befassen – dem experimentellen Zusammenbrauen und Verbinden unterschiedlicher Substanzen im Labor – mit denen man glaubte, Krankheiten heilen, Schutzgeister wecken und natürlich auch den Tod überlisten zu können. Grob gesagt lassen sich zwei Arten alchemistischer Praktiken unterscheiden:
Äußere Alchemie: die eigentliche Alchemie, bei der Substanzen zubereitet und eingenommen werden
Innere Alchemie: Praktiken, bei denen Formeln und Anweisungen als Metaphern für Techniken zum Kultivieren und Umwandeln körpereigener innerer Energien dienen
Sollten Sie sich vor allem für die taoistische Alchemie interessieren, ist Kapitel 14 für Sie das richtige.
Einige wenige der vielen körperbetonten Praktiken im Taoismus haben es geschafft, aus ihrem Schattendasein hervorzutreten und nun im Rampenlicht des Westens zu stehen: Nur lose mit dem Taoismus in China verbundene Praktiken wie t'ai-chi, ch'i-kung und weitere Kampfkünste und geistige Schulung kombinierende Techniken prägen inzwischen die westliche Vorstellung vom Taoismus – ein gewichtiger Grund, ihnen in diesem Buch mit Kapitel 15 einen eigenständigen Bereich zu reservieren.
Die Rituale
Falls Sie jemals von der Textstelle im Tao Te Ching gehört haben, in der Lao Tzu die Ausführung von Ritualen verwirft, dürfte es Ihnen jetzt einigermaßen merkwürdig vorkommen, ein solches Kapitel hier vorzufinden. Seit den Himmelsmeistern aber spielen Zeremonien wie Abbitte-, Reinigungs- oder Sterberiten eine enorm wichtige Rolle im Taoismus. Wer die Weihen erhält beziehungsweise in den Priesterrang aufsteigt, dem wird die Teilnahme an oder die Ausführung von bestimmten Ritualen erlaubt, was fast immer gleichzeitig auch den Zugang zu esoterischen Ritualgeheimnissen bedeutet. Viele Schriften im taoistischen Kanon dienen als spezielle, für Laien vollkommen unzugängliche Ritualhandbücher, die aber gerade deswegen einen wertvollen, bisher von der Forschung vernachlässigten Fundus zum Verständnis der Rituale im Taoismus beinhalten.
Zwar gehören esoterische Bestandteile zu den meisten Ritualen dazu, viele sind aber ebenso mitreißend wie spektakulär, selbst wenn man gar nicht weiß, um was es gerade geht. Das trifft besonders auf die Rituale der »kosmischen Erneuerung« zu, von denen manche mehrere Tage dauern und von Dutzenden oder gar Hunderten Priestern nur einmal alle paar Jahre aufgeführt werden. Kapitel 16 versucht, die Vorgänge bei dem einen oder anderen Ritual ein wenig verständlicher zu machen.
Kapitel 2
Was ist Taoismus?
In diesem Kapitel
Erste Begegnung mit dem Taoismus
Sich mit taoistischen Begriffen vertraut machen
Eigentlich lässt sich die Frage »Was ist Taoismus?« teilweise recht einfach beantworten: Taoismus ist eine in China beheimatete 2.000 Jahre alte religiöse Tradition. Früheste, die Entstehung des Taoismus fördernde Quellen liegen sogar noch einige Jahrhunderte weiter zurück, sodass man im Grunde auch 2.500 Jahre ansetzen kann. Von China ausgehend hat sich der Taoismus dann auf andere Regionen Asiens einschließlich Japan, Korea, Malaysia, der Philippinen, Singapur und Vietnam ausgeweitet und in den letzten Jahren seinen Weg auch nach Europa und Nordamerika gefunden.
Und trotzdem halten sich im Gegensatz zu allen anderen großen Weltreligionen gerade über den Taoismus die wahrscheinlich hartnäckigsten Irrtümer und Missverständnisse. Zwar findet sich heutzutage in den unterschiedlichen Medien ein wirklich breit gefächertes Informationsangebot, vieles davon bleibt jedoch leider nur verwirrendes, in falsche Richtungen führendes Stückwerk, das manchmal einfach nur zu kurz greift, ohne die notwendigen Hintergründe zu berücksichtigen. All die Unsicherheiten, was denn nun stimmt oder nicht, den vielen sich scheinbar widersprechenden Aussagen oder der Erkenntnis, dass das eigene vorhandene Wissen womöglich nur ein ziemlich verzerrtes Bild vom Taoismus zeichnet, lassen das Interesse am Taoismus vielleicht schnell erlahmen.
Seien Sie sich im Klaren, dass Sie durch die mediale Informationsflut auch einer großen Menge an ungenauen und widersprüchlichen Aussagen zum Taoismus ausgesetzt sind. Hier herauszufiltern, was glaubwürdig ist und Sie wirklich weiterbringt, das ist ein Teil Ihrer Aufgabe.
Lassen Sie sich nicht einschüchtern von Ihrer ersten Begegnung mit dem Taoismus, in diesem Kapitel erhalten Sie genügend Hilfestellung, um mit sicheren Schritten vorangehen zu können. Sie werden erfahren, warum taoistische Quellen zunächst tatsächlich verwirren und in falsche Richtungen führen können. Außerdem werden Sie mit wichtigen Fachbegriffen und Einordnungskategorien ausgerüstet, um in der Spur zu bleiben.
Ihre erste Begegnung mit dem Taoismus
Vielleicht haben Sie Ihre erste Begegnung ja schon hinter sich: Durch die Lektüre des Tao Te Ching, einen Glückskeks-Spruch »Der Wissende redet nicht, der Redende weiß nicht«, einiget'ai-chi-Übungen, das Umräumen der Wohnung nach den Richtlinien von feng-shui, Bruce Lee und Martial-Arts-Filme oder Bücher wie The Tao of Pooh.
Eventuell sind Sie im Internet aber auch auf Videos gestoßen, in denen zu sehen ist, wie Hunderte von taoistischen Priestern ein Ritual der »kosmischen Erneuerung« durchführen, haben in einem Buch über chinesische Kunst Abbildungen taoistischer Götter entdeckt oder einfach nur irgendwo aufgeschnappt, dass Taoismus mit Alchemie, Akupunktur, dem Streben nach Unsterblichkeit oder gar Quantenphysik zu tun habe. Aber wie kann es sein, dass das alles unter den einen Hut namens Taoismus passen soll? Oder passt hier gar nichts zusammen? Womöglich ist Taoismus nichts anderes als ein chaotisches Sammelsurium voneinander unabhängigen Glaubensvorstellungen und Praktiken?
Das, was die Sache so problematisch macht, sind die vielen übertriebenen Verallgemeinerungen, persönlichen Eindrücke und vorgefassten Meinungen, die überall oft anzutreffen sind, sobald man zum Taoismus, zur chinesischen Religion oder allgemein zur Religion etwas zu sagen oder zu schreiben hat. Daran trägt der Begriff »Taoismus« aber auch einen Teil eigene Schuld, denn er ist wirklich mehrdeutig, was dazu führt, ihn nicht immer sorgfältig genug zu verwenden, auch nicht in China selbst.
Im nächsten Abschnitt werden Sie für den Begriff »Taoismus« fit gemacht und bekommen aufgezeigt, was bei einer nachlässigen Anwendung alles schieflaufen kann. Sie haben dann ein Gespür für übertriebene Verallgemeinerungen und zweideutige Aussagen und können manch sogenannte Informationen viel besser einordnen.
Taoisten sind wie Preußen
Keine Angst, es soll Ihnen hier nicht weisgemacht werden, dass Taoisten wie die Preußen sind, aber eines gemeinsam haben sie doch: Die Begriffe »Taoist« beziehungsweise »Taoismus« teilen das gleiche Schicksal wie »Preußen«. Es kommt nämlich ganz darauf an, wen Sie fragen und je nach Wohnort oder Hobby erhalten Sie recht unterschiedliche Antworten:
Interessieren Sie sich für Geschichte, mögen Sie unabhängig von Ihrem Wohnort bei »Preußen« wohl entweder an die historische Landschaft Preußen, das Herzogtum Preußen, das Königreich Preußen oder den Freistaat Preußen denken.
Wohnen Sie in Bayern und fühlen sich auch als Urbayer, dann sprechen Sie »Preußen« bayrisch aus und meinen mit »Preißn« entweder Norddeutsche, nicht Bayrisch sprechende Bayern oder ganz einfach alle Nichtbayern.
Sind Sie Luxemburger und kennen sich auch im Großherzogtum des 19. Jahrhunderts aus, ist es nicht ganz ausgeschlossen, dass Ihnen »Preis« als Schimpfwort für Deutsche unter anderem wegen der preußischen Garnison in Luxemburg-Stadt einfällt.
Oder aber Ihr Herz hängt an einem Münsteraner Fußballverein, dann kennen Sie nur ein Preußen: »Preußen Münster«.
So unterschiedlich mit eher lose zusammenhängenden Bedeutungen wie der Begriff »Preußen« besetzt ist, bei dem je nach Umfeld zunächst eher die eine oder die andere Vorstellung in den Sinn kommt, so vielfältig sind auch die Missverständnisse, die daraus entstehen können. »Die Preußen greifen wieder an!« muss außer der gegnerischen Mannschaft niemand in Alarmbereitschaft versetzen …
Behalten Sie immer im Hinterkopf, dass es sich mit »Taoist« und »Taoismus« ähnlich verhält und deren Bedeutungsvarianten sich von Sprecher zu Sprecher oder Hörer zu Hörer unterscheiden können: Jemand wird sich Taoist nennen, weil er wegen der Nähe zur Natur aufs Land ziehen und aus Stein und unbearbeitetem Holz Kunstgegenstände fertigen will. Ein anderer wird sich Taoist nennen, weil er in ein Kloster eintritt, die Frisur zu einem Haarknoten zusammenbindet und dem Geschlechtsverkehr entsagt. Beide leben im Einklang mit dem Taoismus, aber es ist nicht der gleiche Taoismus.
Sie sehen, es bringt nicht allzu viel, krampfhaft irgendeinen »Wesenskern« des Taoismus aufspüren zu wollen oder unbedingt herauszufinden, was allen Taoisten gemeinsam sein könnte. Im Grunde erschöpfen sich solche Gemeinsamkeiten in einigen wenigen Dingen, die auch eher zufällig als absichtlich entstanden sein könnten.
Die Begriffe Taoist und Taoismus können sich manchmal auf vollkommen Verschiedenes beziehen. Seien Sie sich bewusst, dass viele unterschiedliche »Taoismen« nebeneinander existieren und dass das, was auf den einen Taoismus zutrifft, nicht zwangsläufig auch für alle anderen Taoismus-Arten gelten muss. Stellen Sie sich diese unterschiedlichen »Taoismen« nicht als Variationen eines einzigen Taoismus vor: Es gibt ihn nicht, »den« Taoismus.
Falsches Spiel mit Taoismus
Die Mehrdeutigkeit von Taoismus garantiert indes noch lange keinen besonders sorgfältigen Gebrauch, ganz im Gegenteil: Nur allzu oft finden sich in Büchern oder im Internet verallgemeinernde Aussagen, ohne dabei anzugeben, auf welche Art beziehungsweise Arten von Taoismus sich diese eigentlich beziehen. So ist es nicht verwunderlich, dass viele sich nur nach einfachen Sprüchen oder kurzen Clips anhören. Manche dieser Äußerungen mögen Ihnen sicher bekannt – und durchaus eingängig –vorkommen, aber bei genauerem Hinsehen werden Sie feststellen, dass im Grunde wenig Gehaltvolles dahintersteckt und kaum etwas damit anzufangen ist:
Taoismus ist eine Religion, die den natürlichen Weg lehrt.
Taoismus heißt spontan sein und mit dem Strom schwimmen.
Taoismus gewährt eine Erfahrung, die nicht durch Worte beschrieben werden kann.
Taoismus vermittelt universelles Wissen.
Taoismus betont das Gleichgewicht zwischen yin und yang.
Taoisten vermeiden religiöse Dogmen und Organisationen.
Taoisten sind friedfertig, ruhig und in Harmonie mit dem Universum.
Taoisten versuchen ein einfaches, unkompliziertes Leben zu führen.
In allen diesen Feststellungen steckt zumindest immer ein Körnchen Wahrheit und eine gewisse Nähe mit manchen taoistischen Schriften, Praktiken und historischen Personen wird zweifellos deutlich. Doch bleibt alles viel zu einseitig und liefert ein falsches Bild, denn nicht jede Aussage passt gleichzeitig auf jeden Taoismus. Natürlich ist es richtig, dass taoistische Schriften mahnen, sich nicht mit politischen und militärischen Angelegenheiten zu befassen, aber wie erklärt das die von Taoisten angeführten Rebellionen oder das Entstehen von Taoisten-Staaten? Auch spricht Chuang Tzu abfällig über Institutionen jedweder Art, aber wie passt das zu den organisierten taoistischen Tempeln mit ihrer hierarchisch geordneten Priesterschaft und ihren vorgeschriebenen alltäglichen Ritualen? Sie wissen allerdings inzwischen, dass viele unterschiedliche Ausformungen von Taoismus nebeneinander existieren und Sie können diese ganzen Floskeln nun mit der notwendigen kritischen Distanz betrachten.
So etwas wie Taoismus gibt es in China gar nicht?
Es mag vielleicht verwunderlich klingen, aber das Chinesische kennt im Grunde keinen eigenen Ausdruck für den Begriff »Taoismus«, genauso wenig wie für »Religion«, der mit tsung-chiao nur als Lehnübersetzung vorkommt. Das bedeutet natürlich nicht, in China keinen Taoismus beziehungsweise keine Religion vorzufinden, es sagt aber eine Menge darüber aus, wie unterschiedlich das Verständnis von Religion oder Religionen je nach Kulturkreis sein kann.
»Taoismus« ist nichts anderes als eine westliche Wortschöpfung, die sich nur bis Anfang des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, auch wenn das Wissen über die Religion Chinas viel weiter zurückgeht. Übrigens ist »Christentum« auch nicht so alt, wie man vielleicht glauben mag – das Gleiche gilt für »Hinduismus«, »Buddhismus«, »Shintoismus«, »Sikhismus«, »Jainismus« und all die anderen »-ismen«. Und noch ein Stück befremdlicher mag es klingen, dass fast alle großen Weltreligionen zunächst von Außenstehenden, das heißt nicht von den eigenen Anhängern, so betitelt worden sind und zwar in den meisten Fällen eher mit abwertender, negativer Konnotation.
Vielleicht fragen Sie sich, ob wir hier nicht zu viel Wortklauberei betreiben: Es gab den Taoismus, nur eben nie eine Bezeichnung dafür. Und: Wir wissen doch auch, dass das Christentum 2.000 Jahre alt ist, egal, wann der Begriff zum ersten Mal auftaucht. Ja, aber es geht hier nicht darum, ob eine Religion schon existierte und erst später ihren Namen bekam, sondern darum, wie eine Namensgebung unsere Denkweise über diese Religion beeinflussen kann. Im Westen hat man erst seit dem Zeitalter der Aufklärung – also etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts – Religionen mit Bezeichnungen ausgestattet, denn die Aufklärer gingen davon aus, durch den Einsatz von Verstand und wissenschaftliches Erfragen auf fast alles eine Antwort zu finden, das gesamte Wissen zu strukturieren und umfassend in Kategorien einzuteilen. Dadurch wurde das eigene religiöse Leben ebenso wie das Leben in anderen Religionen »abstrakt« betrachtet und man begann sich vorzustellen, was es bedeutet, einem »religiösen System« anzugehören. Religionen wurden »Dinge«, zusammenhängende und systematische »-ismen«. Vor der Aufklärung hatte man anerkannt, dass Hindus, Buddhisten oder Juden einen unterschiedlichen Glauben besaßen und unterschiedliche religiöse Praktiken ausübten, von Hinduismus, Buddhismus oder Judentum war jedoch nie die Rede. Seien Sie sich bewusst, dass Sätze wie »Der Islam schreibt vor, im Ramadan zu fasten«, »Im Judentum darf kein Schweinefleisch verzehrt werden« oder »Meine Religion verbietet mir, das zu tun« immer eine vorrangig westliche und moderne Denkweise widerspiegeln – unser Blickwinkel auf Religion ist durch die Aufklärung geprägt.
Und warum spielt das jetzt eine Rolle? Weil sich dadurch unser spontanes Gefühl erklären lässt, den »Wesenskern« einer Religion ergründen zu wollen. Und weil es deshalb manchmal nur schwer anzuerkennen oder hinzunehmen ist, dass religiöse Überlieferungen keineswegs gefestigt, systematisch oder (innerlich) beständig sind. Ungeachtet aller jüngsten Diskussionen in philosophischen Runden darüber, ob die Geisteshaltung der Aufklärung denn ausschließlich Vorteile mit sich bringt, reicht es völlig, die gewohnten Muster der »Wesenskernbestimmung« bei einem Zusammentreffen mit dem Taoismus einfach mal zu Hause zu lassen. Sobald Sie sich Fragen wie »Was sagt der Taoismus über dies und jenes?« abgewöhnt haben und stattdessen fragen: »Was sagt Lao Tzu über dies und jenes?«, »Was sagen mittelalterliche taoistische Schriften über dies und jenes?« oder »Was bedeuten die heutigen Praktiken der Vollständigen Wahrheit für dies und jenes?«, sind Sie auf dem richtigen Weg, Antworten zu finden, auf die Sie sich verlassen können.
»Um welchen Taoismus geht es denn eigentlich?« – wenn Sie sich das von nun an immer zuerst klarmachen, sobald Sie etwas über Taoismus lesen oder hören, werden Sie recht schnell erkennen, ob es sich dabei um eine übertriebene Verallgemeinerung oder um eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage handelt. Und ganz nebenbei bewahrt Sie diese Einstellung auch vor der Versuchung eigener Verallgemeinerungen.
Aus dem Chaos schlau werden Nützliche Abgrenzungen
Es wird Zeit, einige der »Taoismen« sowie die wichtigsten Anwendungen des Taoismus-Begriffs näher zu betrachten, was aber nicht damit getan ist, einfach nur einige verschiedene Ausprägungen aufzulisten. Das liegt vor allem daran, dass gleich mehrere Ausdrücke im Chinesischen, die alle aus unterschiedlichen Gründen und unter unterschiedlichen Bedingungen entstanden sind, in der Regel mit nur der einen Übersetzung »Taoismus« wiedergegeben werden. Und um die Sache noch ein wenig vertrackter zu machen, ist man in China mit diesen Ausdrücken manchmal selbst recht lax umgegangen, mal wurden sie durcheinandergebracht, untereinander ausgetauscht oder ganz einfach falsch angewandt. Hinzu kommen all die westlichen mehr oder weniger geglückten Übersetzungsversuche und das Chaos ist perfekt.
In diesem Abschnitt lernen Sie die wichtigsten Kriterien kennen, die Sie für eine Einteilung der verschiedenen »Taoismen« benötigen, und bekommen aufgezeigt, wie diese Kriterien entstanden sind und wie Sie sie richtig anwenden können – Ihr erster Einstieg in den sogenannten philosophischen und religiösen Taoismus, der Unterschied zwischen Taoismus und Volksreligion und den überstrapazierten Gebrauch der Bezeichnung »Taoist«.
Vom bibliothekarischen Ordnungsprinzip bis zur philosophischen Schule
»Philosophischer Taoismus« beziehungsweise »taoistische Philosophie« sind in der Diskussion über die verschiedenen Arten des Taoismus gängige Begriffe, aber was hat man sich eigentlich darunter vorzustellen? Die den taoistischen Praktiken zugrunde liegende Philosophie? Die systematisierte Lehre taoistischer Erkenntnisse? Oder einfach der taoistische Blick auf das Leben? Wäre es falsch, das alles als taoistische Philosophie anzusehen? Es ist nicht abwegig, davon auszugehen, dass die großen Denker des Taoismus ein beständiges geistiges Lehrgebäude errichtet haben, aus dem eine Reihe von Praktiken entstanden sind und in dem sich ein jeder von uns heimisch fühlen kann.
Leider haftet dem Begriff »philosophischer Taoismus« etwas Missverständliches an, was wiederum Anlass für weitere Fehlinterpretationen gibt. Im Grunde ist es nichts anderes als eine Erfindung aus der Übersetzerwerkstatt. In diesem Abschnitt erfahren Sie mehr über den Ursprung und die Bedeutung des Begriffs, lernen die bedeutendsten Vertreter dieser Gattung des Taoismus kennen und erhalten einen knappen Überblick über die wichtigsten Themen der philosophischen Schriften.
Philosophischer Taoismus – eine Standortbestimmung
Die Begriffe »taoistische Philosophie« und »philosophischer Taoismus« sind ziemlich vage Annäherungen an den chinesischen Ausdruck Tao-chia