Tauchgang ins Glück? - Friederike von Buchner - E-Book

Tauchgang ins Glück? E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Der junge Polizist Gewolf Irminger hatte in dieser Nacht Bereitschaftsdienst. Auf Anregung seiner Kollegin Chris hatten Doktor Martin Engler und seine Frau Katja, sowie Tonis Eltern, Meta und Xaver Baumberger, das Gerücht gestreut, für die Telefonnummer der Polizeistation Waldkogel sei eine Fangschaltung eingerichtet worden. In Windeseile hatte sich das Gerücht verbreitet. Seitdem gab es keine nächtlichen anonymen Anrufe mehr, wenn Wolfi Bereitschaftsdienst hatte. Damit war bewiesen, dass die Anruferin, die Wolfi nachts bis zu zwanzig Mal aus dem Tiefschlaf riss und sich nicht meldete, aus Waldkogel war. Irminger und seine Kollegin Christine Danzer, die alle Chris nannten, waren sich einig, dass eine Frau hinter den seltsamen Anrufen stecken musste. Ein paar Mal hatte eine weibliche Stimme sich entschuldigt, sie habe sich verwählt. Dass sich so oft jemand verwählte, war unwahrscheinlich, bestimmt war es die Person, die Wolfi so zusetzte. Jedenfalls musste sie es mit der Angst bekommen haben. Sie rief nicht mehr an und weckte Wolfi nicht mehr. Sie fürchtete wohl, dass über die Fangschaltung ihre Telefonnummer ermittelt und sie überführt werden könnte. So waren viele Nächte vergangen, in denen Wolfi endlich wieder schlafen konnte. Das Bereitschaftstelefon auf dem Nachttisch klingelte. Wolfi schreckte auf. Er nahm ab und meldete sich: »Polizeistation Waldkogel, Irminger hier!« »Wolfi, ich bin es, Mira! Kannst du schnell kommen? Ich glaube, bei mir waren Einbrecher. Wolfi, ich habe solche Angst! Was soll ich machen?

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Toni der Hüttenwirt – 220–

Tauchgang ins Glück?

Schatzsuche mit Hindernissen

Friederike von Buchner

Der junge Polizist Gewolf Irminger hatte in dieser Nacht Bereitschaftsdienst.

Auf Anregung seiner Kollegin Chris hatten Doktor Martin Engler und seine Frau Katja, sowie Tonis Eltern, Meta und Xaver Baumberger, das Gerücht gestreut, für die Telefonnummer der Polizeistation Waldkogel sei eine Fangschaltung eingerichtet worden. In Windeseile hatte sich das Gerücht verbreitet. Seitdem gab es keine nächtlichen anonymen Anrufe mehr, wenn Wolfi Bereitschaftsdienst hatte. Damit war bewiesen, dass die Anruferin, die Wolfi nachts bis zu zwanzig Mal aus dem Tiefschlaf riss und sich nicht meldete, aus Waldkogel war. Irminger und seine Kollegin Christine Danzer, die alle Chris nannten, waren sich einig, dass eine Frau hinter den seltsamen Anrufen stecken musste. Ein paar Mal hatte eine weibliche Stimme sich entschuldigt, sie habe sich verwählt. Dass sich so oft jemand verwählte, war unwahrscheinlich, bestimmt war es die Person, die Wolfi so zusetzte. Jedenfalls musste sie es mit der Angst bekommen haben. Sie rief nicht mehr an und weckte Wolfi nicht mehr. Sie fürchtete wohl, dass über die Fangschaltung ihre Telefonnummer ermittelt und sie überführt werden könnte.

So waren viele Nächte vergangen, in denen Wolfi endlich wieder schlafen konnte.

Das Bereitschaftstelefon auf dem Nachttisch klingelte. Wolfi schreckte auf. Er nahm ab und meldete sich: »Polizeistation Waldkogel, Irminger hier!«

»Wolfi, ich bin es, Mira! Kannst du schnell kommen? Ich glaube, bei mir waren Einbrecher. Wolfi, ich habe solche Angst! Was soll ich machen? Es ist alles durchwühlt.« Die Stimme der jungen Frau klang sehr verzweifelt.

»Ich bin gleich bei dir. Wo bist du jetzt?«

»Als ich es gesehen habe, dass alles durchwühlt wurde, bin ich weggelaufen. Ich bin in dem Wäldchen, auf dem Hochsitz, unterhalb der Almwiesen.«

»Ganz ruhig, Mira! Rühre dich nicht von der Stelle! Bleibe dort, bis ich da bin! Ich schalte das Blaulicht an. Wenn du das Polizeiauto siehst, kommst du mir entgegen.«

»Wolfi, beeile dich bitte! Ich habe solche Angst.«

»Ich bin schon unterwegs.«

Gewolf Irminger legte auf und zog sich schnell an. Er rannte zum Polizeiauto, das er vor dem Haus geparkt hatte. Als Erstes schaltete er das Blaulicht ein, dann brauste er los, aber ohne Sirenengeheul, denn er wollte niemanden in Waldkogel wecken.

Wolfi wusste, welche alte Almhütte Mira den Sommer über gemietet hatte. Sie schrieb an einer wissenschaftlichen Arbeit und hatte sich deshalb in die Berge zurückgezogen, um ungestört zu sein.

Es dauerte nicht lange, bis er die Almhütte erreichte. Er parkte das Auto und ließ das Blaulicht an. Das Flackern sah gespenstisch aus in der pechschwarzen Nacht, denn der Himmel war bedeckt, weder Mond noch Sterne leuchteten. Überdies lag leichter Nebel über dem Wald und den Almwiesen.

Wolfi stieg aus. Er leuchtete mit einer starken Stablampe in Richtung Wäldchen. Da lief auch schon Mira über die Wiese auf ihn zu. Sie fiel ihm einfach in die Arme und klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. Wolfi konnte nicht anders, als sie schützend in den Arm zu nehmen.

»Wolfi, ich habe Angst«, jammerte Mira. »Drinnen ist alles durcheinander. Es sieht schrecklich aus. Das müssen Einbrecher gewesen sein.«

»Ich gehe rein und schaue mir das an. Du wartest vorläufig draußen. Ich will zuerst prüfen, ob niemand mehr darin ist. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber es ist sicherer.«

»Und wenn jemand drin ist und dir etwas über den Kopf haut?« Mira sah ihn aus weit aufgerissenen Augen an. »Wolfi, ich habe Angst.«

Wolfi rührte so viel Besorgnis, er schmunzelte. »Keine Angst, Mira, ich bin vorbereitet.« Er nahm die Polizeipistole aus der Tasche an seinem Gürtel und entsicherte sie. Dann ging er zur Tür und schob sie weit auf. Sie war nur angelehnt.

Der junge Beamte machte Licht. Eine schwache Deckenlampe erleuchtete den Raum. Das Bild, das sich ihm bot, war typisch für einen Einbruch. Miras Sachen waren durchwühlt und lagen kreuz und quer auf dem Boden. Die Schubladen der Kommode waren herausgerissen und durchwühlt. Die Kissen waren aufgeschnitten, die Federn lagen überall herum wie Schnee. Bücher und Notizen waren vom Schreibtisch gefegt worden und lagen überall verstreut.

Die Almhütte hatte kleine Räume. In den Wohnraum gelangte man direkt durch die Außentür, dahinter lag eine kleine Schlafkammer. Seitlich des Wohnraums gab es eine weitere Kammer, die war als Küche hergerichtet. Dahinter lag das winzige Badezimmer.

Der Polizist durchsuchte alle Räume. Schlafzimmer, Küche und Badezimmer waren nicht verwüstet worden, nur das Wohnzimmer.

Er ging hinaus zu Mira. »Du kannst reinkommen. Es ist niemand drin.«

Mira folgte ihm.

»Nur hier sieht es schrecklich aus. Das Schlafzimmer, die Küche und das Badezimmer wurden anscheinend nicht durchwühlt«, sagte Wolfi. Er schaute Mira an. Wie ein Häufchen Elend stand sie mitten im Raum. »Kannst du dir denken, was da einer gesucht hat? Vermisst du etwas Wertvolles? Schmuck? Geld?«

Mira reagierte nicht. Sie stand nur steif und stumm da. Sie steht unter Schock, dachte Wolfi. Er legte den Arm um ihre Schultern und schob sie sanft durch den Raum in die Küche. Dort drückte er sie auf einen Stuhl.

Er schaltete den Tauchsieder ein und machte Wasser heiß. Dabei flackerte das Licht. Das war in abgelegenen Almhütten oft so. Im ehemaligen Stall standen ein Generator und eine Batterie, die nur begrenzt Energie speichern konnte. Wenn gleichzeitig Licht und weitere Geräte eingeschaltet wurden, dann flackerte das Licht. Die Batterie war wohl schon schwach.

»Ich muss morgen den Generator anwerfen«, sagte Mira.

»Für einen Becher heißen Kaffee wird es noch reichen, hoffe ich«, bemerkte Wolfi. Er bereitete zwei Becher Kaffee aus Pulverkaffe zu. »So, das wird dich ein bisserl stärken.«

Mira trank den Kaffee schluckweise.

Aber er brachte nicht die von Gewolf erhoffte Wirkung. Mira stand immer noch unter Schock. Sie war unfähig, seine Fragen zu beantworten. Teilnahmslos saß sie da, wirkte wie gelähmt.

»Mira, bitte versuche, dich zu erinnern! War dir heute oder in den letzten Tagen etwas aufgefallen? Sind Leute vorbeigekommen? Hast du mit jemandem gesprochen? Wer hat dich besucht?«

Jedes Mal zuckte Mira mit den Schultern.

Wolfi seufzte. »Du kannst dich an nichts erinnern. Dann machen wir mit dem heutigen Abend weiter. Wo bist du gewesen? Wann hast du die Almhütte verlassen?«

Das konnte Mira beantworten. Sie erzählte, dass sie nach dem Angelusläuten hinauf zur Berghütte gewandert war. Dort hatte sie etwas gegessen. Sie war bei Anna in der Küche gewesen.

»Wir haben über Hamburg geredet, wo Anna herkommt. Anna hat Geschirr gespült und ich habe abgetrocknet. Als die Hüttengäste schlafen gegangen waren, saß ich mit Toni, Anna und dem alten Alois bis Mitternacht am Kamin. Wir tranken Kräutertee und unterhielten uns über die verwüsteten Schutzhütten, und wer so was wohl macht. Es war kurz nach Mitternacht, als ich mich verabschiedete.«

»Bist du auf kürzestem Weg hierhergewandert oder hast du einen Umweg gemacht?«

Mira beschrieb, welchen Weg sie genommen hatte.

»Als ich die Tür öffnete, sah ich, dass alles durchwühlt war. Da habe ich es mit der Angst bekommen und bin schnell weggerannt. Ich verkroch mich auf dem Hochsitz und rief dich an.«

»Du musst prüfen, was fehlt. Du musst eine Liste machen, Mira. Ich werde den Zustand der Hütte dokumentieren. Morgen kommst du auf die Polizeistation und unterschreibst die Anzeige. Ich kann dir aber keine Hoffnung machen, Mira, dass du die fehlenden Sachen wiederbekommst. Der Dieb oder die Diebe sind längst über alle Berge. Du bist mehr als sechs Stunden auf der Berghütte gewesen, rechne den Hin- und Rückweg dazu. Das ergibt ein großes Zeitfenster, in dem das hier passiert ist.«

Gewolf Irminger ging zum Auto und holte eine Filmkamera. Damit filmte er den Wohnraum und hielt den Schaden fest. Er kam wieder in die Küche, setzte sich aber nicht mehr hin. Er trank den Rest Kaffee im Stehen aus.

»So, Mira, das war es. Ich habe mir Notizen gemacht und werde die Anzeige aufsetzen. Wenn du es einrichten kannst, dann komm morgen auf die Dienststelle, dann kannst du sie unterschrieben. Es ist mir klar, dass du viel Arbeit mit dem Aufräumen haben wirst. Du hast die Almhütte von den Weidlers gemietet. Ich werde sie informieren, damit sie den Schaden am Mobiliar ihrer Versicherung melden können. Du stellst fest, was dir fehlt. Vielleicht wollte jemand den Weidlers schaden und es hat dich getroffen, weil du zufällig deren alte Almhütte gemietet hast. Meine Kollegin Chris und ich werden ermitteln. Du schaust derweil gründlich nach, was dir fehlt, hörst du!«

Mira starrte ihn an. Sie hatte seine letzten Sätze nicht gehört. Sie waren an ihren Ohren vorbeigerauscht. Mit großen ängstlichen Augen schaute sie ihn an. Gewolf erkannte die aufsteigende Panik.

Mira rang nach Atem.

»Heißt das …, willst du damit sagen …? Du willst doch jetzt nicht gehen, oder?«, stotterte sie.

»Doch, das werde ich. Ich habe dich befragt und Bilder gemacht. Ich bin fertig.«

»Wolfi, ich habe solche Angst.«

»Das kann ich verstehen. Du musst ganz schön erschrocken sein, bei dem Chaos hier. Aber du musst keine Angst haben. Die Einbrecher kommen mit Sicherheit nicht mehr zurück. Lege dich hin und schlafe! Morgen räumst du auf.«

»Ich will nicht allein bleiben, Wolfi. Bitte, bitte, lass mich nicht allein, bitte!«, flehte Mira.

Ihn überkam Mitleid. Sie schaute ihn so flehentlich an. Er seufzte. »Mira, es geht wirklich nicht.«

Aber Mira ließ nicht locker. »Ich habe doch solche Angst.«

»Mira, das ist unnötig. Dir wird nichts passieren.«

»Es ist dunkel. Wenn ich doch wenigstens die Batterie aufgeladen hätte! Das Licht wird bald erlöschen.«

Wolfi seufzte. »Ich werfe den Generator an und lade die Batterie auf. Dann kannst du das Licht anlassen.«

»Ich habe trotzdem Angst.«

Wolfi sagte nichts mehr. Er ging hinaus, um die Almhütte herum, in den ehemaligen Stall. Dort warf er den Generator an. Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann war die Batterie geladen. Er schaltete den Generator aus und ging wieder hinein.

»Siehst du, so ist es viel besser. Es ist hell. Du kannst überall das Licht anlassen.«

Mira fing jetzt an zu weinen. Stumm rollten ihr die Tränen über die Wangen.

Tränen konnte Wolfi nicht sehen. Er ging hinaus und stieg ins Polizeiauto. Mira stand in der Tür und wischte sich mit dem Handrücken immer wieder die Tränen ab.

Gewolf Irminger überlegte, was er tun sollte. Dann rief er seine Kollegin an. Sie meldete sich mit verschlafener Stimme.

»Chris, ich bin es, Wolfi! Entschuldige, dass ich dich störe. Ich bin im Einsatz. Es kann hier länger dauern, wahrscheinlich bis morgen früh. Bei Mira ist eingebrochen worden. Ich wollte dir nur sagen, dass ich die Bereitschaftsleitung solange auf dein Handy lege. Bist du einverstanden?«

Christine war sofort hellwach. »Mach das! Wenn du Hilfe brauchst, komme ich mit dem Motorrad schnell rauf.«

»Na, das wird nicht nötig sein. Kannst du ganz früh bei Marie vorbeifahren? Sag ihr, sie soll herkommen und Mira beistehen oder eine Dorfhelferin schicken. Doch es wäre besser, wenn sie sich selbst um Mira kümmert. Sie hat das nötige Fingerspitzengefühl. Mira steht unter Schock.«

»Wäre es dann nicht das Beste, Martin anzurufen?«

»So schlimm ist es nicht. Einen Doktor braucht sie nicht. Sie hat nur schreckliche Angst und bittet mich, zu bleiben. Dem Madl geht es wirklich nicht gut. Was auch verständlich ist. Ich bleibe, bis die Marie kommt.«

»Ich werde gleich um sechs Uhr zu ihr fahren. Im Sommer arbeitet das Sägewerk ab sechs Uhr. Sie wird schon auf sein, weil ihr Mann früh im Betrieb sein muss. Wir sehen uns dann morgen früh auf der Dienststelle, Wolfi. Du musst mir dann alles ausführlich erzählen.«

»Das mache ich. Du wirst staunen, wenn du den Film siehst.«

»Wolfi, sage Mira bitte ganz liebe Grüße von mir!«

»Das mache ich. Bis später, Chris!«

»Bis später, Wolfi!«

Sie legten auf.

Wolfi ging zu Mira. »Du legst dich jetzt schlafen. Ich habe mit Chris telefoniert. Sie übernimmt das Bereitschaftstelefon. Ich bleibe im Auto, falls Chris mich zu einem Einsatz ruft.«

»Dann fährst du fort?«

»Ja, dann kann ich nicht bleiben. Aber das müsste schon etwas ganz Schlimmes sein, wenn Chris mich als Verstärkung benötigt. Das ist eher unwahrscheinlich. Gehe schlafen! Chris wird ganz früh zur Marie fahren und ihr sagen, dass sie raufkommen soll. Sie wird dir beistehen und dir sicher auch beim Aufräumen helfen. Aber bis dahin bleibe ich hier.«

Mira ging zurück in die Almhütte. Wolfi setzte sich ins Auto.

Es dauerte nicht lange, dann ging die Sonne auf.

*

Es war früher Abend. Emilie, die Emmi gerufen wurde, saß im Liegestuhl auf dem Balkon und las.

Es klingelte, gleich darauf klopfte es leicht an der Wohnungstür. Emilie ging hin und öffnete. Draußen stand Frau Schmied. Sie hatte ein Schraubglas in der Hand.

»Guten Abend!«, lächelte Emilie die alte Dame an.

»Schön, dass du da bist! Kannst du mir helfen? Ich bekomme den Schraubverschluss nicht auf. Na ja, der Behälter ist ja auch schon so lange verschlossen. Ich bin dabei, meinen Keller aufzuräumen. Versuche du bitte mal, ob du das Ding aufschrauben kannst. Ich schaffe es nicht.«

»Das mache ich doch gern.«

Emilie versuchte, das Schraubglas zu öffnen. »Das geht wirklich schwer.«

»Der Gummi ist wohl verklebt, Emmi.«

»Das wird es sein. Komm herein, Berta!«

Die beiden Frauen waren, trotz des großen Altersunterschieds gute Freundinnen. Sie gingen in die Küche. Emilie schüttelte das Glas.

»Da drin klappert etwas«, sagte Emilie. Sie hielt die Flasche gegen das Licht.

»Das Glas ist nicht durchsichtig«, sagte Berta. »Etwas muss drin sein. Ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, was es ist.«

Emilie schlug vor, das Gefäß in heißes Wasser zu legen.

»Das ist eine gute Idee«, sagte Berta. »Vielleicht lässt sich der Deckel dann bewegen.«

Emilie fragte Berta, ob sie einen Tee mittrinken würde. Bald saßen sie am Küchentisch und tranken Tee.

In der Spüle lag das Gefäß. Emilie hatte es in heißes Wasser gelegt und gegen den Auftrieb mit ihrem gusseisernen Bratentopf beschwert.

Emilie lächelte still vor sich hin.

»Du siehst verträumt aus, Emmi«, bemerkte Berta und schmunzelte.

Emilie errötete leicht. »Mir ist nur gerade etwas eingefallen. Eine schöne Erinnerung. Ich habe viele Jahre nicht mehr daran gedacht.«

»So viele Jahre können es nicht gewesen sein, bei deinem jugendlichen Alter«, lachte Berta, da sie um so viele Jahrzehnte älter war.

»Lass mich rechnen!«, sagte Emilie. Sie legte den Kopf zurück und schloss die Augen. »Nun immerhin liegt die Sache mein halbes Leben zurück. Sicher ist das nicht sehr lange für dich. Aber für mich sind fünfzehn Jahre eine lange Zeit.«

»Erzähle!«, sagte Berta.

»Ich habe als Fünfzehnjährige einmal etwas vergraben. Daran musste ich gerade denken.«

»Spanne eine alte Frau nicht so auf die Folter! Erzähl endlich!«

Emilie lachte auf. »Ich war fünfzehn und mit meiner Tante Vera in Urlaub gefahren. Wir waren in den Bergen.«

»Wo genau?«

»Der Ort hieß Waldkogel. Wir wohnten in einer kleinen Pension. Außer dem Zimmer, das ich mit meiner Patentante teilte, gab es noch weitere vermietete Zimmer. Tante Vera ist bis heute nicht verheiratet. Sie ist die jüngste Schwester meines Vaters. Damals schon war sie etwas verbittert. Sie war als junges Mädchen kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen worden. Von dem Schock hat sie sich nie erholt.« Emilie grinste. »Berta, ich sage dir, ich kann den jungen Mann verstehen. Tante Vera ist sehr rechthaberisch. Das war sie schon immer. Das kann mein Vater bestätigen. Jedenfalls hatte der Bräutigam wohl noch einmal nachgedacht und war davongelaufen. Hinter vorgehaltener Hand sagen alle in meiner Familie, dass sie den Mann verstehen können. Mit Tante Vera war und ist wirklich nicht gut Kirschen essen. Jedenfalls war für mich der Urlaub damals nicht einfach. Ich durfte nicht allein sein. Sie bewachte mich wie ein Wachhund. Erst später begriff ich, dass sie wirklich Angst hatte, ein Junge könnte mich verführen. Es hat ihr aber nichts genutzt. Ich schaffte es trotzdem, mich heimlich mit dem Jungen zu treffen, der mit seiner Familie ebenfalls in der Pension Urlaub machte.«

»Aha, jetzt verstehe ich! Das war deine erste Liebe«, schmunzelte Berta.