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Taufpraxis befindet sich im Umbruch. Viele Jahrhunderte von der Obrigkeit erzwungen, verliert sie heute zunehmend ihre soziale Absicherung. Taufe wird von einem selbstverständlichen Vollzug zu einer Option. Aus dieser Situation heraus liefert das Buch theologische Grundlagen der Taufe. Es werden neue Ansätze und Aufbrüche präsentiert, die die Bedeutung der Taufe für heutige Menschen verständlich machen. Konkrete Anregungen und Beispiele inspirieren für die eigene Taufpraxis. Auch werden Taufen erörtert, die besondere Anforderungen an Kirche stellen, so etwa im Umfeld schwieriger Geburten oder bei Taufbegehren von Menschen aus islamischen Herkunftsländern. Materialien zu den fünf Taufsymbolen Kreuz, Name, Wasser, Hand und Licht schließen den Band ab.
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Seitenzahl: 202
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Praktische Theologie konkret
Band 1
Herausgegeben vonHans-Martin Lübking und Bernd Schröder
Christian Grethlein
Mit 4 Tabellen
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.
© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Umschlagabbildung: © mese.berg/Shutterstock
Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com
ISBN 978-3-647-99952-4
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
1Die Situation: Kontinuität und Wandel – Herausforderungen
1.1Historische Reminiszenzen
1.2Empirische Befunde
1.3Gesellschaftliche Herausforderungen
2Theologische Grundlagen
2.1Evangelium als kommunikatives Geschehen
2.2Konstitutive Merkmale der Taufe
2.3Mannigfaltige Ausgestaltungen
2.4Reduktionen
2.5Taufe als Prozess
2.6Taufe als Zeichen der Einheit
2.7Zusammenfassung und Ausblick
3Praktisch-theologisches Update – neue Ansätze und Aufbrüche
3.1Berliner Taufthesen
3.2Taufmotive
3.3Tauforientierter Gemeindeaufbau
3.4Liturgisch gestufter Erwachsenenkatechumenat
3.5Alternative Taufen
3.6Milieubezogene Taufpraxis
3.7Stationen auf dem Taufweg
3.8Zusammenfassung und Ausblick
4Anregungen für die Praxis
4.1Ort und Zeit
4.2Symbole
4.3Mit Kindern neu anfangen
4.4Tauffeste
4.5Taufgespräche
4.6Tauferinnerungen zu Hause und in der Kirche
4.7Zusammenfassung und Ausblick
5»Goldene Regeln«
6Besondere Fälle
6.1Taufe von kleinen Kindern
6.2Taufe von Konfirmand*innen
6.3Taufe im Umfeld schwieriger Geburt
6.4Taufe von Geflüchteten aus islamischen Herkunftsländern 109
6.5Pat*innen ohne Kirchenmitgliedschaft?
6.6Taufe und Kirchenmitgliedschaft
6.7Zusammenfassung und Ausblick
7Literatur
8Materialien zu den fünf Taufsymbolen
8.1Kreuz
8.2Name
8.3Wasser
8.4Hand
8.5Licht
Vorwort der Herausgeber
Die Reihe »Praktische Theologie konkret« will Pfarrer*innen sowie Mitarbeitende in Kirche und Gemeinde mit interessanten und innovativen Ansätzen in kirchlich-gemeindlichen Handlungsfeldern bekannt machen und konkrete Anregungen zu guter Alltagspraxis geben.
Die Bedingungen kirchlicher Arbeit haben sich in den letzten Jahren zum Teil erheblich verändert. Auf viele heutige Herausforderungen ist man in Studium und Vikariat nicht vorbereitet worden und in einer oft belastenden Arbeitssituation fehlt meist die Zeit zum Studium neuerer Veröffentlichungen. So sind interessante neuere Ansätze und Diskussionen in der Praktischen Theologie in der kirchlichen Praxis oft kaum bekannt.
Der Schwerpunkt der Reihe liegt nicht auf der Reflexion und Diskussion von Grundlagen und Konzepten, sondern auf konkreten Impulsen zur Gestaltung pastoraler Praxis:
–praktisch-theologisch auf dem neuesten Stand,
–mit Informationen zu wichtigen neueren Fragestellungen,
–Vergewisserung über bewährte »Basics«
–und einem deutlichen Akzent auf der Praxisorientierung.
Die einzelnen Bände sind von Fachleuten geschrieben, die praktisch-theologische Expertise mit gegenwärtiger Erfahrung von konkreter kirchlicher Praxis verbinden. Wir erhoffen uns von der Reihe einen hilfreichen Beitrag zu einem wirksamen Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis kirchlicher Arbeit.
Dortmund/GöttingenHans-Martin Lübking und Bernd Schröder
1Die Situation: Kontinuität und Wandel – Herausforderungen
1.1Historische Reminiszenzen
Drei Schlaglichter markieren im Laufe der Christentumsgeschichte tief greifende Veränderungen in der Taufpraxis: ein längeres Zitat zur Taufe aus der ersten uns überlieferten Kirchenordnung, eine fiktive Rekonstruktion mittelalterlichen Taufens und ein knapper Blick auf heutiges Taufen.
Die ersten genauen Nachrichten über die Taufpraxis der frühen Christen finden sich in der dem Hippolyt zugeschriebenen »Traditio Apostolica«, die inhaltlich wohl ins Ende des 2. Jahrhunderts zurückreicht. Es wird ein reich ausgestaltetes Ritualgefüge präsentiert, das in der Regel drei Jahre in Anspruch nahm:1
»Kapitel XVII: 1. Die Katechumenen sollen drei Jahre lang das Wort hören (oder: unterrichtet werden). 2. Wenn aber einer eifrig ist und recht bei der Sache ausharrt, so soll man nicht die Zeit, sondern das Verhalten beurteilen.«
Die letzte, direkt in die Wasserhandlung mündende Sequenz umfasst drei Tage:
»Kapitel XX: 1. Nachdem man diejenigen ausgewählt hat, die bestimmt sind, die Taufe zu empfangen, soll ihr Lebenswandel geprüft werden: ob sie als Katechumenen ehrenwert lebten, ob sie die Kranken besuchten, ob sie von guten Werken erfüllt waren. 2. Und wenn diejenigen, von denen sie eingeführt wurden, bezeugen, dass sie so gehandelt haben, dann sollen sie das Evangelium hören. 3. Von der Zeit an aber, da sie abgesondert werden sollen, soll ihnen täglich die Hand aufgelegt werden, während sie exorzisiert werden. Wenn nun der Tag herannaht, an dem sie getauft werden sollen, soll der Bischof jeden Einzelnen von ihnen exorzisieren, damit er erkennt, ob sie rein sind. 4. Wenn aber einer da ist, der nicht rein ist, soll er beiseite gestellt werden, weil er das Wort nicht gläubig gehört hat. Denn es ist unmöglich, dass sich der Fremde immer verbirgt.
5. Dann sollen die, welche bestimmt sind, getauft zu werden, belehrt werden, sich am Donnerstag der Woche zu waschen und zu reinigen.
6. Wenn es aber eine Frau ist, die menstruiert, so soll man sie beiseitelassen, und sie soll an einem anderen Tag getauft werden. 7. Die Täuflinge sollen am Freitag und Samstag der Woche fasten. Am Samstag soll der Bischof die Täuflinge an einem Ort versammeln und ihnen allen befehlen, zu beten und niederzuknien. 8. Und wenn er seine Hand auf sie legt, soll er alle fremden Geister exorzisieren, dass sie aus ihnen entfliehen und von da an nicht mehr in sie zurückkehren. Wenn er mit dem Exorzisieren fertig ist, soll er ihnen ins Gesicht blasen, und wenn er ihre Stirn, ihre Ohren und ihre Nase gesiegelt hat, soll er sie aufstehen lassen.
9. Die ganze Nacht sollen sie wach zubringen, indem man ihnen vorliest und sie belehrt. 10. Die Täuflinge sollen nichts anderes mit sich nehmen als das, was jeder für die Eucharistiefeiern mit sich nimmt. Denn für den, der würdig geworden ist, ziemt es sich, sein Opfer zur gleichen Stunde darzubringen.
Kapitel XXI: 1. Wenn der Hahn kräht, soll zunächst über dem Wasser gebetet werden. 2. Es soll reines und fließendes Wasser sein. Oder: Das Wasser soll ›in das Becken einfließen‹ oder: ›sich von oben hinein ergießen‹. Wenn aber eine dauernde und dringende Notlage besteht, so benutzt das Wasser, das ihr findet. 3. Dann sollen sie sich entkleiden.
4. Zuerst sollt ihr die Kinder taufen. Alle, die für sich sprechen können, sollen sprechen. Für die aber, die nicht sprechen können, sollen die Eltern sprechen oder ein anderer, der zu ihrer Familie gehört.
5. Danach tauft die Männer. Schließlich die Frauen, nachdem sie ihre Haare vollständig aufgelöst und die Schmucksachen aus Gold, die sie trugen, abgelegt haben. Niemand soll einen fremden Gegenstand mit sich ins Wasser hinunter nehmen.
6. Zu der für das Taufen festgesetzten Zeit soll der Bischof über dem Öl danksagen und es in ein Gefäß gießen. Man nennt es ›Öl der Danksagung‹. 7. Dann nimmt er wieder ein anderes Öl, das er exorzisieren soll. Man nennt es ›Öl des Exorzismus‹. 8. Ein Diakon bringt das Öl des Exorzismus und stellt sich links vom Presbyter auf, während ein anderer Diakon das Öl der Danksagung nimmt und sich rechts vom Presbyter aufstellt. 9. Wenn dann der Presbyter jeden Einzelnen von den Täuflingen fasst, soll er ihm befehlen, mit folgenden Worten abzuschwören: ›Ich sage mich los von dir, Satan, von deinem Dienst und allen deinen Werken.‹ 10. Wenn er alles abgeschworen hat, soll er ihn mit dem Öl des Exorzismus salben und dabei sprechen. ›Möge jeder (unreine) Geist sich von dir entfernen.‹
11. Und so soll er ihn dem Bischof nackt übergeben oder dem Presbyter, der am Wasser steht und tauft. Der Diakon soll mit ihm hinabsteigen. 12. Wenn derjenige, der getauft werden soll, ins Wasser hinabgestiegen ist, soll der Täufer ihm die Hand auflegen und fragen: ›Glaubst du an Gott, den allmächtigen Vater?‹ 13. Und der, der getauft wird, sagt: ›Ich glaube.‹ 14. (Während er weiterhin die Hand auf den Kopf gelegt hält), tauft er ihn zum ersten Mal. 15. Danach soll er fragen: ›Glaubst du an Jesus Christus, Gottes Sohn, der durch den Heiligen Geist aus der Jungfrau Maria geboren ist und gekreuzigt unter Pontius Pilatus und gestorben und am dritten Tag lebend von den Toten auferstanden ist und in den Himmel hinaufgestiegen ist und zur Rechten des Vaters sitzt, der kommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten.‹ 16. Und wenn dieser spricht: ›Ich glaube‹, wird er zum zweiten Mal getauft. 17. Und wiederum soll er sprechen: ›Glaubst du an den Heiligen Geist und die (oder: in der) Heilige Kirche (und die Auferstehung des Fleisches)‹? 18. Der, der getauft wird, sagt: ›Ich glaube‹ und wird dann zum dritten Mal getauft. 19. Und nachdem er herausgestiegen ist, wird er von dem Presbyter mit den Worten: ›Ich salbe dich mit dem (heiligen) Öl im Namen Jesu Christi‹ mit dem Öl der Danksagung gesalbt. 20. Dann zieht sich jeder an, nachdem er sich abgetrocknet hat.
Kapitel XXII: 1. Nun sind sie in der Kirche versammelt. Der Bischof legt ihnen die Hand auf und spricht die Anrufung. ›Herr, Gott, der du sie hast würdig werden lassen, die Vergebung der Sünden durch das Bad der Wiedergeburt des Heiligen Geistes zu erlangen, (Rest umstritten) mache die würdig, die vom Heiligen Geist erfüllt werden sollen, sende auf sie deine Gnade, damit sie dir nach deinem Willen dienen. Dir gebührt Ehre, Vater und Sohn mit dem Heiligen Geist in der Heiligen Kirche, jetzt und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.‹
2. Dann sagt er, indem er das (geheiligte) Öl aus seiner Hand ausgießt und sie auf seinen Kopf legt: ›Ich salbe dich mit dem Heiligen Öl in Gott, dem allmächtigen Vater, und in Jesus Christus und dem Heiligen Geist.‹ 3. Und nachdem er ihn an der Stirn gesiegelt hat, gibt er ihm einen Kuss und sagt: ›Der Herr sei mit Dir.‹ Und der, der gesiegelt worden ist, sagt: ›Und mit deinem Geist.‹ 4. So wird er es mit jedem machen. 5. Und von da an beten sie gemeinsam mit dem ganzen Volk. Sie beten nämlich nicht mit den Gläubigen, bevor sie das alles erhalten haben. 6. Und wenn sie gebetet haben, dann geben sie den Friedenskuss. […]
Kapitel XXIII: 1. Dann wird dem Bischof von den Diakonen die Opfergabe gereicht. Er sagt Dank über dem Brot, denn es ist der Antitypos des Fleisches Christi und über dem Kelch mit dem Wein, denn er ist dem Blut Christi ähnlich, das für alle, die an ihn glauben, vergossen worden ist. 2. Über der Milch und dem vermischten Honig, um die Erfüllung der Verheißung anzuzeigen, die an die Väter erging: in der er von dem Land, in dem Milch und Honig fließen, gesprochen hat; der Christus sein Fleisch gegeben hat; von dem sich die Gläubigen wie kleine Kinder ernähren; der durch die Lieblichkeit des Wortes die Bitterkeit der Herzen süß macht. 3. Über dem Wasser als Kennzeichen der Taufe, damit der innere Mensch, d. h. die Seele, das Gleiche gewinnt wie der Körper. 4. Von all diesen Dingen legt der Bischof denen, die empfangen, Rechenschaft ab.«
Tag und Nacht sind also die Taufbewerber*innen mit Bischof, Presbytern und Diakonen zusammen. Sie hören Lesungen aus der Heiligen Schrift, beten, fasten, wachen, bevor sie im Morgengrauen des Sonntags ans fließende Wasser geführt und durch dreimaliges Untertauchen Jesus Christus als ihrem neuen Herren übergeben werden. Kein Wunder, dass dieses Ereignis für die so Getauften lebensbestimmend blieb. Übernächtigt, nüchtern, seit drei Tagen ungewaschen, voller tiefer Eindrücke durch Gebete, Exorzismen und Segenshandlungen erlebten sie den Gang ins Wasser als umfassende Reinigung und die anschließende Eucharistiefeier mit Wasser, Milch, Honig, Brot und Wein als Stärkung auf dem Weg zum ewigen Leben.
Wir springen aus dem antiken Rom in eine spätmittelalterliche Kirche. Da hätte ein Ethnologe etwa Folgendes beobachten können:
»Zuerst pustet der Medizinmann dem Säugling über die Augen und murmelt ein paar rituelle Worte; dies geschieht, so notiert sich der Ethnologe im Kopf, drei Mal. Welche besondere Bedeutung das haben mag? Nun nimmt der Priester Berührungen vor, dann murmelt er wieder rituelle Worte und nimmt etwas Salz, das er dem Säugling auf die Zunge streicht. Das Kind schluckt und fängt an zu plärren. Weiß, denkt der Ethnologe, die Farbe der Reinheit und Wahrheit, und Salz, wofür steht bei dieser Ethnie wohl Salz? Doch weiter geht es, der Medizinmann-Priester bückt sich, spuckt auf den Boden, der natürlich leicht staubig ist, ansonsten aber festgetretener Lehm, wie überall in dieser Gegend. Das Gemisch aus Spucke und Erde entsteht durch kreisende Bewegungen mit dem Finger. Nun bringt der Medizinmann ein wenig von diesem Gemisch auf Ohren und Nase des Säuglings auf. Jetzt dämmert es dem Ethnologen, denn er weiß, dass die Menschen hier große Angst vor bösen Geistern haben, oder Angst vor der Ungnade von missgestimmten Ahnengeistern. Hier wurden bisher die Augen, der Mund, die Ohren und die Nase rituell behandelt. Bei den letzten dreien handelt es sich um Körperöffnungen, durch die Geister in den Menschen einfahren können: Es handelt sich also um einen Schutzritus. Weiter geht es: Nun behandelt der Medizinmann den Körper des Kindes, er streicht ein Öl auf Brust und Schulter. Dann wird das Kind rituell gewaschen, es wird ihm ein Öl auf dem Scheitel verteilt, dann bekommt es einen Umhang übergelegt. Der Ritus geht seinem Ende entgegen.« (Wroggemann 2013, 13 f.)
Und jetzt geht es noch etliche Jahrhunderte weiter in eine heutige unierte Landeskirche (in Deutschland). Dort wird in einer Evangelischen Kirchengemeinde ein Kind getauft. Die Pfarrerin hält sich an die im »Taufbuch. Agende für die Evangelische Kirche der Union, Band 2« stehende gültige Liturgie. Die Taufe wird demnach in den sogenannten Gemeindegottesdienst »eingefügt«, entweder am Anfang oder kurz vor der Predigt. Wie auch immer: Taufbefehl und Gebet sind schnell gesprochen; es folgt ein sogenannter »Zuspruch«, dann der »Vollzug« mit Glaubensbekenntnis, Taufhandlung, Votum mit Handauflegung und Taufspruch; ein kurzes Willkommen zur »Eingliederung« beendet die Passage, der »normale« Gottesdienst geht weiter. In zehn Minuten ist das leicht zu schaffen. Dass dabei soeben die Grundlage christlicher Existenz und Gemeinde begangen – dogmatisch formuliert: ein Sakrament gefeiert – wurde, erschließt sich nur theologisch und liturgisch Hochgebildeten. Die Taufe scheint in dieser christentumsgeschichtlich einmaligen Schrumpfform an ihr Ende gekommen.
Zugleich ist aber Taufe in der deutschen Umgangssprache verankert (Beispiel: Schiffs»taufe«) und tief in unserem Kulturraum verwurzelt. Bis heute ist die Mehrheit der Deutschen getauft. Dies ist allerdings in historischer Perspektive nicht zuletzt das Resultat von Gewalt. So stellte Karl der Große im Zuge der Sachsenmission ganze Stämme und Sippen vor die Alternative Tod oder Taufe. Erst 1876, also über tausend Jahre später, wurde in Preußen der Taufzwang für Kinder aufgehoben, von dem lediglich jüdische Familien ausgenommen waren. Dabei hielt sich – bei aller rituellen Vielgestaltigkeit im Einzelnen – bis heute ein fester Grundbestand durch: Verwendung von Wasser, Nennung des Namens des dreieinigen Gottes, Einmaligkeit der Handlung.
Theologisch spiegelt sich in der Taufpraxis die jeweilige Situation des Christentums wider. Peter Cornehl weist hier, souverän systematisierend, auf einen mehrfachen Umbruch hin, wobei wir uns gegenwärtig am Beginn der dritten Phase befinden:
»Der erste epochale Umbruch war eine Folge der konstantinischen Wende. Im Urchristentum und in der Alten Kirche war die Taufe ein Sakrament der Erwachsenen, sie basierte auf radikaler Lebensumkehr und bewusster Entscheidung und war verbunden mit einem mehrjährigen Prozess der Einführung und Unterweisung (Katechumenat). Nachdem die Kirche Reichskirche geworden war (bzw. spätestens nach Abschluss der Germanenmission im Mittelalter), wurde die Taufe ein Sakrament, das in der Regel an Säuglingen unmittelbar nach der Geburt vollzogen wurde. Das Sakrament der Initiation rückte an den Anfang des Lebens. Das ist auch in der Zeit der Reformation von den lutherischen und reformierten Kirchen beibehalten worden (während auf dem ›linken Flügel‹ Täufer, Mennoniten und später die Baptisten die Kindertaufe als unbiblisch bekämpft und allein die Gläubigentaufe anerkannt haben). In mancher Hinsicht ist die religiöse und soziale Funktion der Taufe als Kindersakrament erst in der Neuzeit begriffen worden. Die Taufe wurde in den Zyklus der Amtshandlungen eingegliedert, Ritus und Verkündigung wurden familiarisiert und individualisiert. In den Taufagenden und Taufpredigten der Aufklärungszeit (auf evangelischer, mit Einschränkungen auch auf katholischer Seite) und in der neuprotestantischen liberalen Theologie wurde die Taufe aus dem Sakrament der Grenze und des Kampfes zur freundlichen Feier des Lebensbeginns. Nicht mehr (nur) die Aufnahme in die christliche Gemeinde stand fortan im Mittelpunkt, sondern vor allem das Fest der christlichen Familie (sichtbarer Ausdruck: Haustaufen). Mit der Ausbildung der modernen Familie und der bürgerlichen Subjektivität wurde die lebenszyklische Funktion der Taufe biographisch fixiert. […] Heute steht die Taufpraxis erneut im Umbruch. Für das neuzeitliche Christentum war bisher das Bündnis zwischen Volkskirche und Familie auf der Basis der Begleitung des Lebensweges von Anfang an durch die Kasualien charakteristisch. Dieses Paradigma wird mehr und mehr abgelöst durch eine Vielfalt verschiedener Zugänge zum Glauben, die untereinander ›ungleichzeitig‹ sind. Im 21. Jahrhundert wird ein neues Nebeneinander unterschiedlicher biographischer Orte für die Taufe ›normal‹ sein. Neben der Säuglingstaufe bzw. der Taufe im ersten Lebensjahr tritt vermehrt die Taufe im Vorschul- oder Grundschulalter, in der Konfirmandenzeit, die Taufe Jugendlicher und Erwachsener. Dadurch verschieben sich auch Bedeutungen. Die Taufe wird aus dem Sakrament am Anfang des Lebensweges wieder stärker zu einem Sakrament der Grenze, an der die Frage nach der Identität des Christlichen sich neu stellt.« (Cornehl 2011, 31 f.; Kursivsetzung durch C.G.)
Trifft diese Analyse zu, dann geht es beim Taufen um mehr als einen Ritus. In ihr kommt das Christsein als Lebensform und damit das Evangelium im jeweiligen Kontext zum Ausdruck.
1.2Empirische Befunde
Vor diesem knapp skizzierten historischen Hintergrund wandelt sich in den letzten Jahrzehnten die Taufpraxis in Deutschland tief greifend. Die damit gegebenen Veränderungen fordern Kirche und pastorales Handeln heraus. Einige seien stichpunktartig genannt (Tab. 1).
Tab. 1: Geburten und Taufen in Deutschland 1964 bis 2018 (gerundet in Tausend)
Schon ein erster Blick auf die absoluten Zahlen von Tabelle 1 zeigt: Die Zahl der Taufen – in der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche – sank in Deutschland in den letzten fünfzig Jahren um etwa zwei Drittel!
Dies ist zum einen – und größeren – Teil durch den starken Rückgang der Geburten begründet. Berücksichtigt man die Ausweitung des statistisch erfassten Untersuchungsgebiets durch die Vereinigung Deutschlands, handelt es sich in etwa um eine Halbierung der Geburtszahlen. Zum anderen besteht in Deutschland seit Längerem – wie die Prozentzahlen in Tabelle 1 zeigen – keine allgemeine Selbstverständlichkeit der Taufe im Zusammenhang mit der Geburt mehr. 1964 betrug der Prozentsatz der Taufen – bezogen auf die Geburten – noch 74 %. Dabei wurden diese weitgehend in den ersten Monaten nach der Geburt vollzogen. Inzwischen ist ein Rückgang dieser Relation auf 43 % (2018) zu konstatieren. Dazu tritt – auch – ein Wandel im Tauftermin. Das Alter der Täuflinge steigt, nicht wenige können bereits selbst zum Taufstein laufen. 2018 wurden von 176.239 Taufen in evangelischen Landeskirchen 17.481 an Menschen vollzogen, die 14 Jahre oder älter waren (9,9 %). Demnach werden heute in Deutschland etwa vier von zehn Menschen in ihrer Kindheit getauft.
Von dieser Entwicklung ist beispielsweise die Konfirmandenarbeit (s. 6.2) betroffen. In vielen Gegenden Deutschlands nehmen an Konfirmandengruppen regelmäßig mehrere nichtgetaufte Heranwachsende teil. Früher eher als Katechismuswissen (»Die Taufe«) zu Lernendes bekommt so auf einmal eine pragmatische Bedeutung: Die Taufe von Jugendlichen ist zu feiern – vielleicht erlebnispädagogisch vorbereitet auf einem KonfiCamp.
Die Taufe wandelt sich also in Deutschland: von einem selbstverständlichen Ritus am Beginn des Lebens zu einer Option, die in unterschiedlichem Lebensalter gewählt wird. Das entspricht dem allgemeinen Wandel in der Einstellung der Menschen gegenüber der Kirche.
Gegenwärtig dominiert rechtlich in den Landeskirchen (und in den römisch-katholischen Diözesen) in Deutschland die Organisationsform der staatsanalogen Institution – mit Kirchensteuer, öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen und vielfacher staatlicher Förderung. Sie setzt eine – allerdings seit fünfzig Jahren nachlassende – Allgemeinheit der Kirchenmitgliedschaft voraus. Diese bestand noch 1950 – beide großen Kirchen zusammengenommen – mit über 95 %, ging aber mittlerweile (2018) auf unter 55 % zurück, mit weiter fallender Tendenz. Demgegenüber gewinnt die persönliche Überzeugung jenseits institutioneller Bindungen an Gewicht. Im Internet bilden sich z. B. Netzwerke, in denen Fragen der Daseins- und Wertorientierung diskutiert werden und sich auch mannigfaltige Formen der gegenseitigen Fürsorge (nicht nur Mobbing) finden. Sie werden kirchenamtlich und -statistisch (noch) nicht erfasst, haben aber für die Einstellung vor allem jüngerer Menschen wachsende Bedeutung.
Dabei ergibt die genauere Auswertung der kirchenamtlichen Statistiken noch weitere interessante Einblicke. Vor allem: Alleinstehende Mütter5 begehren sehr viel seltener die Taufe für ihre Kinder als verheiratete Paare. Diese Tendenz ist bereits seit einigen Jahrzehnten zu beobachten. Verstärkte Bedeutung für die kirchliche Praxis bekommt sie dadurch, dass die Zahl nicht ehelicher Geburten in den letzten zwanzig Jahren deutlich zunahm, wie Tabelle 2 zeigt.
Tab. 2: Anteil der Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern 1959 bis 2018 (gerundet in Tausend; nach: Statistisches Bundesamt)
Jahr
Geburten
darunter nicht ehelich
1959
1.244
99 (8 %)
1964
1.357
81 (6 %)
1969
1.142
75 (7 %)
1974
806
68 (8 %)
1979
817
88 (11 %)
1984
812
130 (16 %)
1989
880
137 (16 %)
1994
770
118 (16 %)
1999
771
171 (23 %)
2004
706
197 (28 %)
2009
665
218 (33 %)
2014
715
237 (35 %)
2018
788
267 (34 %)
Dafür, dass solche Kinder erheblich seltener zur Taufe gebracht werden, dürfte es mancherlei Gründe geben: Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein mussten mancherorts Frauen für die Taufe ihres unehelich geborenen Kindes dem Pfarrer eine erhöhte Gebühr zahlen. Begründung: Dieser müsse neben der Taufpredigt zu Beginn des Gottesdienstes noch eine Bußpredigt wegen der Unzucht halten, deren diese Frauen sich schuldig gemacht hatten und der das Kind entsprang. Angesichts der damals geltenden restriktiven Bestimmungen zur Heiratserlaubnis – wie Nachweis eines gewissen Besitzes – trafen diese Strafmaßnahmen viele Frauen. Hat sich diese jahrhundertelange Ächtung nicht ehelicher Geburten ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben?
Weiterhin gilt bei vielen Menschen bis heute Taufe als Familienfeier, was andere Lebensformen exkludiert. Nicht selten dürfte auch der erwartete Aufwand für die Tauffeier ein Hinderungsgrund sein, der einem Taufbegehren evangelischer Mütter in solch einer Lebenssituation entgegensteht. Schon ein gemeinsames Kaffeetrinken mit Verwandten und einigen Freund*innen in einem Lokal kann für Alleinerziehende als finanziell unüberwindliche Hürde erscheinen. Denn diese bilden die materiell ärmste Gruppe in Deutschland; etwa 40 % von ihnen sind auf staatliche Unterstützung angewiesen. Schnell gewinnt das Feiern der Taufe so über die liturgische Perspektive hinaus eine diakonische Dimension (s. 4.4).
Ein wiederum anderes Bild ergibt bisweilen ein Blick in Flüchtlingsunterkünfte. In manchen Kirchengemeinden begehren Migrant*innen aus islamischen Herkunftsländern vermehrt für sich und auch ihre Kinder die Taufe (s. 6.4). Vielleicht schon seit Längerem in innerer Distanz zum Islam ihres Heimatlandes stehend erlebten sie bei ihrer Ankunft in Deutschland Gastfreundschaft in einer christlichen Gemeinde. Manche haben auch bereits – etwa über das Internet – vom Christentum gehört und wollen sich taufen lassen. Der kulturüberschreitende, im wörtlichen Sinn ökumenische, also den ganz bevölkerten Erdkreis umfassende Charakter der Taufe tritt hier direkt zutage.
Schon diese wenigen Schlaglichter genügen, um wichtige Herausforderungen heutiger Taufpraxis wahrzunehmen: Individualisierung und Pluralisierung bestimmen zunehmend auch das Taufen in den deutschen evangelischen Landeskirchen (und den römisch-katholischen Diözesen). Die in vielen Gemeinden praktizierte Uniformierung, etwa durch den sogenannten Einschub der Taufe in den Sonntagsgottesdienst, wird dem meist nicht gerecht. Zugleich bietet die Vielgestaltigkeit der Taufbegehren und Taufen neue Chancen, um die Attraktivität der Taufe jenseits einer selbstverständlichen Familienfeier im Umfeld der Geburt zu erfahren. Die im 3. Kapitel vorgestellten praktisch-theologischen Neuansätze wollen dafür konzeptionell Räume eröffnen.
1.3Gesellschaftliche Herausforderungen
Zu den eben skizzierten Veränderungen treten allgemeine gesellschaftliche Herausforderungen, die auch in Zukunft das Leben bestimmen werden und zugleich neue Profilierungen der Taufpraxis nahelegen. Es handelt sich dabei um
–die ökologische Krise,
–die gesellschaftliche Desintegration vor allem formal ungebildeter und armer Menschen
–sowie den kulturellen Wandel durch die zunehmende Digitalisierung der Kommunikation.
Anschaulich stellt der Bericht des Club of Rome zu seinem 50-jährigen Bestehen unter der Überschrift »Die Große Beschleunigung« zwölf sozioökonomische und zwölf erdsystembezogene Entwicklungstrends seit 1950 dar (vgl. Weizsäcker/Wijkman 2017). Sie führen zum Anthropozän als einer wesentlich vom Menschen geprägten Epoche der Erde und gefährden mancherorts schon heute das Leben – auch von Menschen – auf der Erde:
–das Anwachsen
•der Weltbevölkerung,
•des realen Bruttoinlandsprodukts,
•der ausländischen Direktinvestitionen,
•des Primärenergieverbrauchs,
•des Baus großer Staudämme,
•des Wasser- und
•des Düngerverbrauchs,
•der Papierproduktion,
•der städtischen Bevölkerung,
•des Transportwesens,
•der Telekommunikation,
•des internationalen Tourismus sowie
–die Zunahme von
•CO2,
•Stickoxid,
•Methan,
–die Abnahme der Ozonschicht,
–die Zunahme der Oberflächentemperatur,
–die Versauerung der Meere,
–die Zunahme
•des Seefischfangs,
•der Garnelen- und Aquakulturen und
•der Nitratbelastung der Küstengewässer,
–der Verlust des tropischen Regenwalds,
–das Anwachsen von Zivilisationsland und
–die terrestrische Biosphärenverschlechterung
(nach v. Weizsäcker/Wijkman 2017, 48).
In dieser, mittlerweile besonders von jungen Menschen in seiner Dramatik wahrgenommenen Situation (»Fridays for Future«) gewinnt die