Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ob Automobil-, Maschinenbau-, Schwer- oder Leichtindustrie, IT oder Pharmabranche, in dem Moment, in dem ein Unternehmen technische Produkte beschaffen muss, wird der technische Einkäufer tätig. Seine Aufgaben sind vielfältig und reichen von der Bedarfsermittlung bis hin zur tatsächlichen Beschaffung der Produkte, wobei Agilisierung, Digitalisierung, Globalisierung, Effizienzorientierung u.v.a. den Beschaffungsprozess unmittelbar betreffen. Diese Aspekte bilden die Grundlage für das Lehrbuch, das aus Veranstaltungen im Studiengang "Strategisches Beschaffungsmanagement" an der TH Ingolstadt heraus entstanden ist. Es zeigt übersichtlich strukturiert die einzelnen Prozessphasen des Beschaffungsmanagements, damit wird ein Grundlagenwerk für Studium oder Weiterbildung vorgelegt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2021
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
STRATEGISCHE BESCHAFFUNG
herausgegeben von Dirk Hecht und Günter Hofbauer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039957-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039958-7
epub: ISBN 978-3-17-039959-4
Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Das strategische Beschaffungsmanagement nimmt in modernen Industrien einen sehr hohen Stellenwert ein. War der Einkauf früher rein auf operative und dispositive Tätigkeiten ausgerichtet, hat sich das Aufgabenfeld im Laufe der Zeit stark erweitert. Es ist offensichtlich, dass das Beschaffungsmanagement die Transformation vom reaktiven Einkauf hin zum proaktiven Beschaffungsmanagement erfolgreich abgeschlossen hat. Strategische Überlegungen spielen eine übergeordnete Rolle und die Prozessorientierung ist unabdingbar für die Umsetzung der strategischen Vorgaben sowie mit der Effizienzsteigerung verbunden. Zudem unterstützt die Prozessorientierung die strategische Ausrichtung der Beschaffungsaktivitäten im Hinblick auf die Gesamtstrategie des Unternehmens.
Das integrierte Beschaffungsmanagement bildet hierbei Kernprozess, da das professionell durchgeführte Beschaffungsmanagement die Wertschöpfung im Unternehmen erhöht. Dieser Prozess sollte von den Beschaffungsmanagern beherrscht werden, damit sie systematisch und strukturiert ihre strategischen und operativen Aufgaben einordnen können.
Beschaffung ist nicht mehr »nur« der Einkauf von Vorprodukten zu günstigen Preisen. Der Beschaffungsprozess muss in einem breiteren, das ganze Unternehmen betreffenden, Kontext gesehen werden. Hier setzt der Integrationsgedanke dieses Buches an, denn der Leistungserstellungsprozess eines Unternehmens setzt sich aus vielen Beteiligten, vielen Einzeltätigkeiten und komplexen Abläufen zusammen. Ohne gezieltes Zusammenwirken wäre keine Wertsteigerung für das Unternehmen möglich. Damit diese Zielsetzung erreicht werden kann, ist ein Referenzmodell sehr hilfreich. Hier wird umfassend aufgezeigt, wie aus der Sicht eines beschaffenden Unternehmens die Prozessorientierung ausgestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang erfolgt auch ein Blick auf damit verbundene Tätigkeiten aus anderen Unternehmensbereichen und die daraus resultierenden Schnittstellen.
Diese prozessorientierte Betrachtung ermöglicht auch für Vertriebsmitarbeiter eines anbietenden Unternehmens einen Blick auf die Beschaffungsprozesse. Denn diese Prozesse laufen parallel zu den Vertriebsprozessen des anbietenden Unternehmens ab. Wichtig und zielführend ist zu wissen, wie aus Beschaffungssicht vorgegangen wird. Die hier vorgenommene Orientierung liefert dazu die entsprechenden Anhaltspunkte für das Anbieterverhalten während des Vertriebsprozesses.
Ingolstadt, im September 2021
Günter Hofbauer
Vorwort
A Einführung
1 Einleitung
2 Die Beschaffungsfunktion
2.1 Bedeutung und Ziele
2.2 Die Veränderung der Rolle der Beschaffung
2.3 Begriffe und Abgrenzungen Im Beschaffungsmanagement
3 Spezielle strategische Aufgaben der Beschaffung
3.1 Advanced Procurement
3.2 Cost Engineering
3.3 Risikomanagement
4 Strategische Bedeutung und Beschaffungsstrategien
4.1 Aufgaben und Herausforderungen
4.2 Bestimmungsfaktoren der strategischen Entscheidung in der Beschaffung
4.3 Strategische Funktionen im Integrierten Beschaffungsmanagement
5 Einführung in das Prozessmanagement
5.1 Grundlagen der Prozessorientierung
5.2 Integration der Erfolgsfaktoren
5.3 Orientierung am Prozessmanagement
B Prozessorientiertes Beschaffungsmanagement
1 Organisation
1.1 Aufbauorganisation, Ablauforganisation und Beschaffungsstruktur
1.1.1 Aufbauorganisation
1.1.2 Ablauforganisation
1.1.3 Beschaffungsstruktur
1.2 Beschaffungsobjekte
1.2.1 Produktionsmaterial
1.2.2 Gemeinkostenmaterial (Nicht-Produktionsmaterial)
1.2.3 Investitionen
1.3 Sourcing-Strategien – Klassifizierung
1.3.1 Unterscheidung nach geographischer Reichweite
1.3.2 Unterscheidung nach Anzahl der Lieferanten
1.3.3 Unterscheidung nach Umfang der gelieferten Leistung
1.4 IT-Systeme und Digitalisierung
1.4.1 Hard- und Software
1.4.2 Schnittstellenmanagement
1.5 Supply Chain Management
1.5.1 Elemente
1.5.2 Koordination der Supply Chain
1.6 Personal
1.6.1 Anforderungsprofil
1.6.2 Identifizierung geeigneter Mitarbeiter
1.6.3 Personalentwicklung
1.7 Phasencontrolling: Organisation
2 Bedarfserkennung
2.1 Absatzseitige Bedarfsanalyse
2.1.1 Initialphase
2.1.2 Marktanalyse
2.1.3 Produktanalyse
2.2 Produktentwicklung
2.2.1 Konzeption
2.2.2 Entwurf
2.2.3 Ausarbeitung
2.3 Klassifikation der zu verwendenden Bauteile
2.4 Definition des Bedarfs
2.5 Lastenheft
2.6 Phasencontrolling: Bedarfserkennung
3 Marktanalyse
3.1 Beschaffungsgüter
3.1.1 Beschaffungsseitige Daten
3.1.2 Verwendungsseitige Daten
3.2 Marktstrukturen
3.2.1 Anbieterunterscheidung
3.2.2 Nachfragerunterscheidung
3.3 Marktentwicklungen
3.3.1 Saisonale Marktschwankungen
3.3.2 Konjunkturelle Marktschwankungen
3.3.3 Trendbedingte Marktveränderungen
3.4 Lieferanten
3.4.1 Allgemeine Unternehmensdaten
3.4.2 Spezielle produktbezogene Daten
3.4.3 Konditionen und Service
3.4.4 Lieferanten- und Abnehmerbeziehungen
3.5 Preise
3.6 Instrumente
3.6.1 Target Costing
3.6.2 Make-or-Buy-Entscheidung
3.7 Phasencontrolling: Marktanalyse
4 Qualifizierung
4.1 Lieferantenzulassung
4.1.1 Produktqualifikation
4.1.2 Kommerzielle Überprüfung des Lieferanten
4.1.3 Managementsystem-Überprüfung
4.2 Beurteilungsmethoden
4.2.1 Selbsteinschätzung durch die Lieferanten
4.2.2 Auditierung
4.2.3 Assessment
4.3 Lieferanteneinstufung
4.4 Dokumentation
4.5 Phasencontrolling: Qualifizierung
5 Angebotsbearbeitung
5.1 Anfragengestaltung
5.2 Angebotseinholung
5.3 Angebotsprüfung
5.3.1 Formelle Angebotsprüfung
5.3.2 Materielle Angebotsprüfung
5.4 Angebotsvergleich
5.4.1 Einfaktorenvergleich
5.4.2 Mehrfaktorenvergleich
5.5 Instrumente zum Angebotsvergleich
5.5.1 Scoring-Modelle
5.5.2 Preisanalysen
5.6 Auswahl
5.7 Phasencontrolling: Angebotsbearbeitung
6 Vorklärung
6.1 Vorbereitung
6.1.1 Mentale Voraussetzungen
6.1.2 Mentale Vorbereitung
6.1.3 Sachliche Vorbereitung
6.1.4 Planung der Strategien
6.1.5 Organisatorische Vorbereitung
6.2 Gesprächsdurchführung
6.2.1 Einstimmungsphase
6.2.2 Begrüßung und Vorstellung
6.2.3 Überleitung zur Sache
6.2.4 Sachvortrag und Gegebenheiten
6.3 Typologien von Einkäufern und Verkäufern
6.3.1 Kundengitter und Verkaufsgitter
6.3.2 Zuordnung von Verkäufer- und Einkäufer-Profilen
6.4 Analyse/Nachbereitung
6.5 Entscheidung
6.6 Pflichtenheft
6.7 Phasencontrolling: Vorklärung
7 Verhandlung
7.1 Vertragsgestaltung
7.1.1 Vertragsarten
7.1.2 Grundbestandteile eines Vertrages
7.1.3 Weitergehende Bestandteile und Detaillierung
7.2 Fixierung wichtiger Vertragsbestandteile
7.2.1 Erfüllungsort
7.2.2 Verpackung und Transport
7.2.3 Abnahme
7.2.4 Kosten
7.3 Abwehrmuster gegen unfaire Verhandlungsführung
7.3.1 Unfaire Taktiken des Blockierens
7.3.2 Unfaire Taktiken des Angriffs und der Diskriminierung
7.3.3 Taktiken mit Finten
7.3.4 Nachteilige Situationen
7.4 Phasencontrolling: Verhandlung
8 Bestellmanagement
8.1 Bestellauslösung
8.1.1 Bestellmengen und -termine
8.1.2 Formen der Bestellung
8.1.3 Inhalt der Bestellung
8.2 Lieferüberwachung
8.2.1 Auftragsbestätigung
8.2.2 Order Tracking
8.3 Wareneingang
8.3.1 Qualitäts- und Quantitätskontrolle
8.3.2 Reklamationsverfahren
8.4 Zahlungsmanagement
8.5 Exkurs: Unterscheidung von Geschäftstypen
8.5.1 Produktgeschäft
8.5.2 Systemgeschäft
8.5.3 Anlagengeschäft
8.5.4 Zuliefergeschäft
8.6 Phasencontrolling: Bestellmanagement
9 Nutzung
9.1 Kriterienkatalog
9.1.1 Auswahl der Bewertungskriterien
9.1.2 Auswahl der Entscheidungsträger
9.1.3 Selektionsprinzipien
9.2 Messung der Lieferantenleistung
9.2.1 Bewertungsteam
9.2.2 Bewertungsverfahren
9.2.3 Durchführung der Leistungsmessung
9.3 Darstellung der Bewertungen
9.3.1 Lieferantenportfolio
9.3.2 Polaritätenprofil
9.3.3 Fieberkurven
9.4 Auswertung
9.5 Phasencontrolling: Nutzung
10 Lieferantenentwicklung
10.1 Lieferantenstrategien
10.1.1 Anforderungsprofile
10.1.2 Ableitung des Handlungsbedarfs
10.2 Maßnahmen
10.2.1 Schließung von Leistungslücken
10.2.2 Aufbau von System- und Modullieferanten
10.3 Lieferanten-Monitoring
10.4 Phasencontrolling: Lieferantenentwicklung
11 Beschaffungscontrolling
11.1 Kontrollinhalte
11.2 Bestimmung der Erfolgskennziffern
11.3 Vorgabe der Soll-Größen
11.3.1 Interne Vorgaben
11.3.2 Externe Vorgaben
11.4 Messung, Analyse und Steuerung
11.4.1 Steuerungssystem
11.4.2 Interdependenzen und Abweichungsanalyse
11.5 Phasencontrolling: Beschaffungscontrolling
C Vertragsmanagement
1 Vertragsplanung
2 Vertragsdesign
3 Vertragsverhandlung
4 Vertragsdurchführung
5 Vertragscontrolling
D Zusammenfassung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Die Inhalte und Aufgaben der Beschaffung haben sich von der operativen Unterstützungsfunktion hin zur strategischen Wertschöpfung gewandelt. Das moderne Beschaffungsmanagement strebt danach, Potenziale zu erschließen, Wettbewerbsvorteile zu erzielen und abzusichern und dadurch den langfristigen Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Die Beschaffung hat sich strategisch in Richtung Wertgestalter entwickelt und dadurch eine neue und umfangreichere Bedeutung gewonnen. In den einführenden Kapiteln im Abschnitt A werden wichtige Entwicklungen, Inhalte und Aufgabengebiete des modernen Beschaffungsmanagements vorgestellt.
Viele Unternehmen betrachten die Beziehung zu Lieferanten meist nur unter dem Aspekt der Kosten. Es erweist sich aber immer wieder, dass der billigste Lieferant nicht der günstigste sein muss. In einem ausgewogenen Beschaffungsmanagementsystem sind Qualitäts- und Terminaspekte sowie Flexibilität und Sicherheit bzw. Risikoaspekte ebenso zu berücksichtigen. Wenn im Unternehmen die Beschaffung als strategische Aufgabe erkannt wird, dann ist auch die Möglichkeit gegeben, die Qualität der eigenen Produkte zu steigern, Risiken zu reduzieren und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Im Rahmen der Risikoanalyse muss untersucht werden, welche Abhängigkeiten von welchen Lieferanten bestehen.1
Den größten Kostenblock eines Unternehmens bilden die Kosten für zugekaufte Waren und Dienstleistungen. Der Materialkostenanteil beträgt je nach Branche zwischen 50 und bis zu 90 Prozent.2 Dementsprechend bedeutsam ist die Betreuung bestehender und die Auswahl neuer Lieferanten, welche damit strategische Entscheidungen des Unternehmens darstellen.3
Durch den Ausfall eines Schlüssellieferanten kann ein Unternehmen in eine schwere Krise stürzen. Durch Lieferung von fehlerhaften Vorprodukten, können an anderer Stelle hohe Kosten für Nacharbeit, Reparatur und Gewährleistung entstehen.4 Einseitige Abhängigkeiten von Lieferanten stärken auch deren Verhandlungsposition und erlauben ihnen, höhere Preise durchzusetzen. Beschaffungsmarktrisiken bestehen im Wesentlichen in Form von Preisrisiken bei wesentlichen Zulieferprodukten oder in Form von Versorgungsrisiken einzelner Beschaffungsobjekte. Diesen Risiken kann man aus Unternehmenssicht durch systematisches Beschaffungsmanagement und durch gezieltes Lieferantenmanagement entgegenwirken.5
1 Hofbauer und Sangl 2018, S. 458
2 Statistisches Bundesamt 2018
3 Hofbauer, Glazunova und Hecht 2016
4 Hofbauer und Rau 2011
5 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016
Aufgrund knapper Ressourcen und permanentem Kostendruck muss auch im Beschaffungsmanagement die Generierung von Werten als Zielsetzung vorangestellt werden. Aufgrund der steigenden Anteile des zugekauften Materials, lässt sich hier die Bedeutung und die Zielsetzung der Beschaffung ersehen. Aufgabe der Entscheidungsträger in der Beschaffung ist es, das optimale Vorprodukt einzukaufen, um einen möglichst hohen Qualitätsstandard der Eigenfertigung zu günstigen Konditionen erreichen zu können.
Die Kosten für die Beschaffung der Vorprodukte müssen wertschaffend in die eigenen Endprodukte einfließen. An dieser Stelle kommt der Wirtschaftlichkeitsbedingung ein wichtiger Stellenwert zu: Verkauft werden kann nur das, was der Absatzmarkt mit der vorgegebenen Preisstellung auch aufnehmen kann. Zudem muss auch ein Wert für das eigene Unternehmen geschaffen werden. Spätestens seit dem Buchtitel »Milliardengrab Einkauf«6 wissen wir, dass im Beschaffungsbereich noch viele Potenziale nicht ausgeschöpft sind.
Damit ist auch der Rahmen für das Beschaffungsmanagement festgelegt: Es müssen Vorprodukte beschafft werden, die in ihrer Qualität vom Absatzmarkt akzeptiert werden und die auch zu marktfähigen Preisen und akzeptablen Terminen verfügbar sind. Strategisch motivierte Einflussnahme auf den Beschaffungsprozess unter Berücksichtigung der Beschaffungsmärkte soll weiterhin eine Nachhaltigkeit der Aktionen bzw. eine langfristige Optimierung der Beschaffungsfunktion gewährleisten. Daraus resultieren im Ergebnis die Sicherung und Erhaltung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit7.
Diese genannten Faktoren müssen unter Einbeziehung von strategischen Vorüberlegungen so verknüpft werden, dass ein dem Unternehmenszweck dienliches Ergebnis erreicht werden kann. Ferner sind dabei die Wechselwirkungen mit dem eigenen Vertrieb zu berücksichtigen. Dies lässt sich durch die Prozessintegration gewährleisten.
Die unternehmerische Beschaffungsfunktion gehört neben der Produktion und dem Absatz zu den drei unternehmerischen Grundfunktionen. Die Beschaffung umfasst »sämtliche unternehmens- und marktbezogenen Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, einem Unternehmen die benötigten, aber nicht selbst hergestellten Objekte verfügbar zu machen«.8
Die Beschaffung bildet eine Schnittstelle zwischen Unternehmen und den Beschaffungsmärkten. Ihre Ziele, werden aus den unternehmerischen Zielen abgeleitet:
• Kostenziel: Reduzierung der Einkaufskosten und Total Cost of Ownership (TCO)
• Qualitätsziel: Zusicherung der angemessenen Qualität der spezifizierten Beschaffungsteile
• Sicherheitsziel: Reduzierung des Beschaffungsrisikos
• Flexibilitätsziel: Erhöhung der Beschaffungsflexibilität
Die Materialkosten haben einen direkten Einfluss auf die Gesamtprofitabilität, deswegen wird dem Kostenziel eine sehr hohe Bedeutung zugemessen. Ein einfaches Rechenexempel zeigt: Schon eine Materialkostenreduktion um 3 Prozent bewirkt dieselbe Gewinnerhöhung wie bei einer 60-prozentigen Umsatzsteigerung.9 Um eine gegenseitige negative Beeinflussung zu vermeiden, muss das Kostenziel im Zusammenhang mit anderen Unternehmenszielen betrachtet werden.
Die angemessene Qualität der Zukaufsteile bildet das zweitwichtigste Beschaffungsziel. Das Qualitätsziel steht allerdings in einem gewissen Konflikt zu dem Kostenziel. Die Aufgabe der Beschaffung besteht darin, einen bestmöglichen Kompromiss zwischen den beiden Zielen zu finden. Weitere Zielobjekte finden sich bei Hofbauer.10 Eine sichere Materialversorgung ist die Voraussetzung für eine unterbrechungsfreie Produktion, deswegen stellt eine Reduzierung des Beschaffungsrisikos ebenfalls ein wichtiges Ziel dar.
Als weiteres Beschaffungsziel ist die Erhöhung der Beschaffungsflexibilität anzusehen. Sie dient einer Absicherung von Handlungsalternativen im Fall einer Produktions- oder Technologieänderung.
Die betriebswirtschaftliche Beschaffungsfunktion wurde in der Vergangenheit als eine Art Unterstützungsfunktion gesehen, die zur Erfüllung anderer Unternehmensfunktionen diente. Seit Ende der 1980er Jahren, als das Wettbewerbspotential der Beschaffung erkannt wurde, unterliegt sie einem ständigen Wandel. Diese Änderung ist insbesondere auf die zunehmende Fokussierung auf Kernkompetenzen und die daraus resultierende Reduktion der Fertigungs-, Forschungs- und Entwicklungstiefe zurückzuführen. Anstatt Komponenten selbst zu entwickeln und zu fertigen, werden diese zunehmend extern von Unternehmen bezogen, die sie am wirtschaftlichsten herstellen können. Damit nimmt die Beschaffung zunehmend die Rolle eines Wertgenerators und Innovationstreibers11 ein.
Abb. 1: Veränderung der Rolle der Beschaffungsfunktion im Zeitablauf
Die Abbildung 1 zeigt die Entwicklung der unternehmerischen Beschaffungsfunktion in den letzten 50 Jahren. War zunächst die Ausgangsfunktion die Sicherstellung der Versorgung der Produktion, so musste sich der operative Einkauf vorrangig darum kümmern. Mit dem Aufkommen von weiteren Anbietern ging es hauptsächlich um den günstigsten Preis. In der nächsten Stufe zwangen steigende Anforderungen und höhere Komplexität die Unternehmen dazu, intern rationeller zu arbeiten und straffer zu organisieren. Damit war der Schritt weg vom operativen Einkauf und hin zu einer umfassenderen Beschaffungsfunktion12 gemacht. Ein weiterer Schritt war dann folgerichtig, dass der Fokus auf das Lieferantenmanagement gerichtet wurde. Hier geht es um die systematische Suche, das Halten und den Ausbau von wertschöpfenden Lieferantenbeziehungen. Aktuell befindet sich die Beschaffung auf dem Sprung zum Netzwerkmanagement, in dem agile Partnerschaften13 im Netzwerk hocheffiziente Wertschöpfung in Sinne von Industrie 4.0 vorantreiben. Aus dieser Wertgestaltungsfunktion lässt sich auch die Forderung ableiten, die Beschaffung als Primäraktivität einzuordnen.14 Abbildung 2 stellt die Entwicklung der Inhalte der Beschaffung dar.15
Abb. 2: Die Entwicklung der Beschaffungsinhalte vom Kostenoptimierer zum Wertgestalter
Der Weg der Beschaffung über das Lieferantenmanagement hinaus in Richtung Netzwerkmanagement ist vorgezeichnet und eine logische Folge der Entwicklung.16 Mit zunehmender Einbindung in die Wertschöpfung werden Tier-Strukturen (Leistungsbündelung) und Outsourcing (Lösungsbündelung) immer mehr an Bedeutung gewinnen. In Folge dessen wird die Auswahl der einzubindenden Lieferanten im Lieferantenscouting, der ersten Phase des Lieferantenmanagements immer wichtiger. In Abbildung 3 ist diese Entwicklung dargestellt.
Der Trend bei Originalherstellern (OEM) und deren Zulieferern geht bereits in Richtung Leistungs- und Lösungsbündelung. Dadurch entstehen große, komplexe Liefernetzwerke, welche im großen Maße den Unternehmenserfolg beeinflussen und von der Beschaffung gesteuert werden.17 Entsprechend steigt der Stellenwert eines effektiven und strategisch ausgerichteten Lieferantenmanagements.
Die Bedeutung der betrieblichen Beschaffungsfunktion für die Wertschöpfung eines modernen Industrieunternehmens lässt sich quantitativ vor allem anhand des
Abb. 3: Entwicklung der Beschaffung zum Netzwerkmanager18
Kostenanteils des zugekauften Materials verdeutlichen. Der Materialaufwand ist mit 50-80 Prozent der bedeutendste Kostenfaktor eines Unternehmens und damit stellt die betriebliche Beschaffungsfunktion folglich einen ausschlaggebenden Faktor für den Unternehmenserfolg dar.
Das ursprünglich von Porter19 entwickelte Managementkonzept wurde überarbeitet, nachdem es 35 Jahre lang als Anhaltspunkt für strategische Entscheidungen gedient hat. Die Beschaffung wird nicht mehr nur als unterstützende Sekundäraktivität angesehen, sondern ist zusammen mit dem Innovationsmanagement20 dafür verantwortlich, dass das eigene Unternehmen mit den innovativsten und technologisch ausgereiftesten Vorprodukten und Materialien versorgt werden kann. Aus dieser Wertgestaltungsfunktion lässt sich auch die Forderung ableiten, die Beschaffung aufzuwerten und auch als Primäraktivität einzuordnen.21 In Abbildung 4 wird die Neuausrichtung der Wertkette dargestellt.22
Zusammenfassend kann die Entwicklung von der traditionellen Beschaffung hin zur zukunftsfähigen Beschaffung wie in Abbildung 5 zu ersehen, festgestellt werden.
Abb. 4: Neue Einordnung der Beschaffung in der Wertkette23
Abb. 5: Entwicklung zur zukunftsfähigen Beschaffung
Die Begriffe, die mit der Beschaffung im Allgemeinen verbunden sind, werden vielfach mehr oder weniger synonym verwendet. So ist häufig von Beschaffung die Rede, wenn das Tätigkeitsfeld des Einkaufs beschrieben werden soll. Die Verwendung des Begriffs Materialwirtschaft umschließt auch alle damit verknüpfbaren Tätigkeiten inklusive der Logistik.
Eine solche Verallgemeinerung mag durchaus Sinn machen, denn alle diese Funktionen beschäftigen sich mit der Bereitstellung von Waren, wobei sich jedoch die Aktivitäten und die Objekte zwischen den Bereichen teilweise überschneiden. Diese Überschneidungen und Abgrenzungen sollen anhand folgender Begriffe deutlich gemacht werden:
• Einkauf: Der Einkauf befasst sich vorwiegend mit operativen, abwickelnden Tätigkeiten wie der Anfragenerstellung, dem Bestellwesen, dem Angebotsvergleich und den Preisverhandlungen.
• Beschaffung: Die Aktivitäten in der Beschaffung gehen noch einen wesentlichen Schritt weiter als im Einkauf, da zusätzlich auch strategische Aspekte unter diesem Begriff mit einbezogen werden. Die Beschaffung bezieht sich unter Berücksichtigung der Beschaffungsmarktsituation auf die Erschließung von Potenzialen und Sicherstellung der Versorgungssicherheit des Unternehmens mit Produkten, die das eigene Unternehmen benötigt, aber nicht selbst herstellen kann.
• Materialwirtschaft: Die Materialwirtschaft beinhaltet den wirtschaftlichen Umgang mit den Waren und umspannt die Lagerbewirtschaftung, den innerbetrieblichen Transport und die Materialversorgung bis zur Bereitstellung in der Fertigung.
• Logistik: Die Logistik befasst sich mit dem physischen Materialfluss (der Warenverfügbarkeit) innerhalb eines Unternehmens sowie zwischen einem Unternehmen und dessen Umwelt, wobei die Funktionen der Raum- und der Zeitüberbrückung durch die Supply Chain im Mittelpunkt stehen.
Im Fokus der folgenden Ausführungen stehen die Tätigkeiten, die sich vornehmlich unter dem Begriff »Beschaffung« bzw. als Untermenge mit »Einkauf« subsumieren lassen, allerdings werden auch Verweise auf Prozesse und Schnittstellen gegeben, die mehr der Materialwirtschaft oder der Logistik zurechenbar sind. Die übergeordnete Zielsetzung ist, die benötigten und beschafften Materialien und Teile im Unternehmen zur Verfügung zu stellen und dazu gehört ein Zusammenwirken all dieser Funktionen24.
6 Kerkhoff 2011
7 Berkenhagen und Vrbica 2007, S. 1
8 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 13
9 Unter der Annahme, dass der Materialkostenanteil des Unternehmens bei 60 Prozent und die kalkulatorische Renditeerwartung bei 3 Prozent liegt.
10 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 17.
11 Körber 2019.
12 Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik 2008.
13 Engelhardt und Hofbauer 2017.
14 Hofbauer und Sangl 2018a.
15 Hofbauer, Mashhour und Fischer 2016, S. 3.
16 Berkenhagen und Vrbica 2007.
17 Engelhardt und Hofbauer 2017.
18 Hofbauer und Sangl 2016.
19 Porter 1985.
20 Hofbauer und Wilhelm 2015.
21 Hofbauer und Sangl 2019.
22 Vgl. Porter 2004.
23 Hofbauer und Sangl 2019.
24 Bräkling und Oidtmann 2019.
Die Beschaffung lässt sich bezüglich ihrer Aufgaben in operative und strategische Bereiche einteilen.25
Die operative Beschaffung dient der Umsetzung der strategischen Vorgaben. Sie befasst sich mit folgenden Tätigkeiten, welche aber stets in die Gesamtstrategie passen müssen:
• Bedarfsklärung
• Anfragen, operative Lieferantenauswahl, Bestellungen, Materialabrufe
• Überwachung von Termin-, Mengen- und Qualitätsvorgaben
• Wareneingang, Einlagerung und Rechnungsprüfung
• Disposition und Prognosen
• Datenpflege in Einkaufssystemen u. v. m.
Die strategische Beschaffung26 bildet den Rahmen für das operative Geschäft und bestimmt die Handlungsrichtung. Ihr Ziel ist, die Versorgungssicherheit eines Unternehmens zu gewährleisten. Diesem Ziel werden andere folgende Tätigkeiten zugeordnet:
• Entwicklung und Realisierung von Beschaffungsstrategien
• Aufdeckung und Nutzung von externen Potenzialen
• Bereitstellung von neuen Technologien und Innovationen
• Zielorientiertes Beziehungsmanagement zu Lieferanten
• Strategische und operative Bedarfs- und Beschaffungsprogrammanalyse
• Make-or-Buy-Entscheidungen
• Optimierung der Gesamtkosten und Risikoreduktion
• Denken und Handeln in durchgängigen Prozessketten
Spezielle Aktivitäten des strategischen Beschaffungsmanagements wie Advanced Procurement, Cost Engineering und Risikomanagement werden in den folgenden Unterpunkten etwas ausführlicher erläutert.
Im Sinne des Advanced Procurement werden die Lieferanten eng in die Serienentwicklung des OEM eingebunden.27 Die Produkte können nur dann optimal für die zukünftige Fertigung bei den Lieferanten ausgelegt werden, wenn deren Produktionswissen rechtzeitig im Produktentstehungsprozess (PEP) Berücksichtigung findet. Zu oft werden Produkte entwickelt und funktional getestet, ohne die anschließende Umsetzbarkeit in der Produktion zu bewerten. Unternehmen, welche die Möglichkeiten der frühzeitigen Material- und Lieferantentscheidungen nicht nutzen, können die strategischen Vorteile nicht nutzen. Es ist ein Umdenken vom reaktiven zum proaktiven Beschaffungsmanagement erforderlich. Die Beschaffung hat in dieser Phase die Aufgabe, eine enge Abstimmung mit dem Beschaffungsmarkt sicherzustellen. Neben dem Risiko unglückliche Weichenstellungen für die nachfolgende Produktion zu stellen, muss nun besonders auf das Änderungsmanagement geachtet werden. Technische Abweichungen vom ursprünglichen Lastenheft oder unklare Formulierungen können schnell zu unkontrollierbaren Mehrungen führen. Diese Mehrungen beeinflussen direkt die Produktrendite und schlagen maßgeblich auf das zukünftige Unternehmensergebnis durch. Die Beschaffung gewährleistet in dieser Phase nicht nur ein stringentes Lieferantenmanagement, sondern wirkt auch als internes Regulativ. Um die Produktrendite nicht zu gefährden, müssen also auch Optimierungen bzw. komplexitätsreduzierende Lösungen gefunden werden, die Kostenreduzierungen ermöglichen.
Eine Schlüsselmethode, Prozesse analytisch zu bewerten und Optimierungen abzuleiten sowie ein effizientes Änderungsmanagement zu betreiben, ist das Cost Engineering. Preise werden also nicht auf dem »Basar« verhandelt, sondern »Bottom-up« kostenanalytisch bewertet. Damit geht man den Kostentreibern und deren Ursachen auf den Grund. Cost Engineering soll Transparenz schaffen, Handlungsoptionen ermöglichen und eine Balance zwischen Funktionen und Werten sowie Kosten und Preisen ermöglichen.
Grundsätzlich lässt sich jedes komplexe Produkt durch die folgenden 3 M beschreiben: Mensch, Maschine und Material. Dabei ist eine Menge Erfahrung und technische Kompetenz erforderlich, um ein noch nicht existierendes Produkt allein aufgrund von Zeichnungen und Daten aus einem Lastenheft zu kalkulieren. Von besonderer Bedeutung sind die von Seiten des Lieferanten benötigten Maschinen und die damit verbunden Investitionen sowie die zukünftig benötigten Zykluszeiten. Nach dem Produktionsbeginn (Start of Production, SOP) lassen sich zwar die Zykluszeiten in der bestehenden Fertigung messen, allerdings wird eine Anpassung der Fertigung dann sehr aufwändig.
Die Maschinenbelegungszeiten und Fertigungszeiten müssen bereits in einer frühen Phase vor dem SOP ermittelt werden. Hierfür gibt es unterschiedliche Ansätze, die jedoch alle eine fundierte Fertigungskompetenz auch in der Beschaffung erfordern:
• Methods of Time Measurement (REFA MTM)
• Virtuelle Fabrik, Prozessoptimierungen
• Erfahrungswerte aus Vorgängerprodukten
• Physikalisch-technische Zusammenhänge
• Digitaler Zwilling28 u. v. m.
Cost Engineering-Projekte lassen sich in folgende drei Phasen unterteilen: Vorbereitung, Analyse und Verhandlung. Die Vorbereitung soll die geeigneten Projekte identifizieren, welche dann in einem übergreifenden Team durchgeführt werden sollen. Die folgende Analyse mit kostenanalytischen Bewertungen erfolgt von hochspezialisierten Ingenieuren, die in der Lage sind, technische Fragestellungen mit betriebswirtschaftlichen Methoden zu kombinieren. Die abschließende Verhandlung mit dem Lieferanten soll aufgedeckte Kostenreduktionspotenziale zur Umsetzung bringen und gefundene Erkenntnisse für neue Konzepte bereits in die frühe Phase transferieren.
Die bisherigen Ansätze, die Beschaffungsleistung nur an Preis- und Kostenreduzierungen in der Serie zu messen, sind überholt. Der Trend hin zu Kostenvermeidungsstrategien in der frühen Phase wird eine wesentliche Rolle im Lieferantenmanagement spielen.
Neben dem Änderungsmanagement nimmt in der Phase zwischen Nominierung und Start of Production das Riskmanagement29 an Bedeutung zu. Grundsätzlich lassen sich Risiken in kalkulierbare (meist auch versicherbare) und nicht kalkulierbare Risiken einteilen. Zu den kalkulierbaren Risiken gehören Schäden durch Umweltkatastrophen, Feuer etc. Die wesentlichen Schritte des Risikomanagements30 sind:
• Risikoidentifikation
• Risikomessung/-analyse/-bewertung
• Risikosteuerung
• Risikocontrolling
In der Phase der Risikoidentifikation geht es um die Identifizierung von Risiken entlang der Lieferkette mittels Überwachung von latenten Risiken und proaktiven Frühwarnsystemen. Für die Beschaffung gilt es, besonders im Rahmen des Global Sourcings und einer weltweiten Werkeversorgung ein breites Spektrum an Risiken zu identifizieren und abzuwenden. Diese können geografische Risiken (Überschwemmung, Erdbeben etc.) der Lieferantenstandorte, finanzielle Risiken, technische Risiken (neue Fertigungstechnologien) oder Supply Chain Risiken sein. Die Höhe des möglichen Risikos hängt im Beschaffungsmanagement u. a. auch von der Sourcing Strategie ab. Wurde aufgrund technologischer Abhängigkeit oder zur Ausnutzung von Skaleneffekten eine Single Sourcing Strategie (also der Bezug von nur einem Lieferanten) gewählt, so würde eine etwaige Überschwemmung an einem Produktionsstandort mit einer deutlich höheren Auswirkung bewertet, als es bei eine vergleichbaren Multi Sourcing Strategie der Fall wäre. Besonders bei großen Vergabevolumen und einer geplanten langjährigen Zusammenarbeit mit einem Lieferanten ist es elementar wichtig, die wirtschaftliche Situation des zukünftigen Partners zu durchleuchten ( Kap. B 4).
Idealerweise umfasst die Risikomessung, -analyse und -bewertung des Risikos und damit des potenziellen Schadensausmaßes alle Geschäftspartner entlang der Supply Chain. Dem Anspruch dieser gläsernen Supply Chain gerecht zu werden, ist auch in Zeiten von Big Data mit enormem Ressourcenaufwand verbunden. Dabei sollten alle Materialien vom strategischen Lieferanten mit großem Einkaufsvolumen bis hin zu C-Teilen einbezogen werden. Eine einzige Spezialschraube, kann eine Fertigung bei einem Hersteller stilllegen. Die realen Erfahrungen zeigen, dass für die Kritikalität der Lieferkette viele Dimensionen eingebunden werden müssen: Länderbewertungen, logistische Knotenpunkte, Lead Time und Substituierbarkeit.
Die nachfolgende Risikosteuerung beschäftigt sich mit der Risikovermeidung und Risikobegrenzung, Risikoverteilung und -verlagerung, sowie der Risikoüberwälzung und -kompensation. Die Risikovermeidung und -begrenzung haben das Ziel, das Gesamtrisiko des Unternehmens zu begrenzen oder sogar zu senken. Die Vermeidung und Begrenzung erfolgen zum größten Teil durch Setzung von Limits. Ein Beispiel dafür wäre das Preislimit bei Investitionen.
Bei der Risikoverteilung geht es um die Ausnutzung von Diversifikationseffekten, die dann auftreten, wenn die aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen entstehenden Risiken sich gegenseitig kompensieren. Dies wäre der Fall, wenn beispielweise das Unternehmen in mehreren Geschäftsfeldern tätig sein würde oder Währungsrisiken und -chancen aus verschiedenen Ländern kompensieren können.
Durch die Risikoüberwälzung wird per Vertragsabschluss und die Zahlung einer Prämie als Gegenleistung der potenzielle zukünftige Verlust von dem Vertragspartner übernommen. Für die Überwälzung wird meist eine Versicherung abgeschlossen.
Ein professionelles Risikomanagement31 umfasst auch ein stringentes Risikocontrolling. Die Einrichtung und den Betrieb von Risikoberichtssystemen sowie der Risikoaggregation und Auswertung sind unabdingbar, um nachhaltig Risiken zu vermeiden bzw. Risiken für neue Projekte fundiert bewerten und reduzieren zu können.
25 Bundesverband für Materialwirtschaft und Einkauf (BME), 2008, S. 116.
26 Large 2013 und Büsch 2012.
27 Engelhardt und Hofbauer 2017.
28 Hofbauer und Gandhi 2020.
29 Gandhi und Hofbauer, 2015, S. 147.
30 Risk Management Association 2015.
31 Hofbauer, Burghardt und Sangl 2019.
Der Begriff Beschaffungsstrategie steht für die Art und Weise wie Beschaffungsaufgaben durch bestimmte Handlungen – also während des Beschaffungsprozesses – zielorientiert erfüllt werden können. Diese Handlungen finden unter Berücksichtigung der externen und nicht änderbaren Umfeldzustände statt und sollen unter diesen Restriktionen zur optimalen Aktion führen. So umfassen Beschaffungsstrategien vor allem die strategischen Handlungsabsichten für den Bereich der Beschaffung und können daher als Ergebnis eines strategischen Informationsversorgungs- und Planungsprozesses für den Bereich der Beschaffung charakterisiert werden.
Aufgrund knapper Ressourcen und permanentem Kostendruck muss auch im Beschaffungsmanagement die Wertschaffung als Zielsetzung vorangestellt werden.32 Aufgrund der steigenden Anteile des zugekauften Materials, lässt sich hier die Bedeutung und die Zielsetzung der Beschaffung ersehen. Aufgabe der Entscheidungsträger in der Beschaffung ist es, das optimale Vorprodukt einzukaufen, um einen möglichst hohen Qualitätsstandard der Eigenfertigung zu günstigen Konditionen erreichen zu können. Die Kosten für die Beschaffung der Vorprodukte müssen also kostendeckend in die eigenen Endprodukte einfließen. An dieser Stelle kommt wieder die Wirtschaftlichkeitsbedingung ins Spiel. Es können nur Produkte profitabel verkauft werden, wenn die Summe aller produktspezifischen Kosten geringer als der Verkaufspreis ist. Die Differenz zwischen dem höheren Preis und den Kosten stellt den Gewinn dar. Dieser Gewinn sollte die Forderungen der Kapitalgeber erfüllen und deren Vorstellungen der Kapitalkosten erfüllen. Dies gilt sowohl für Konzerne als auch für klein- und mittelständische Unternehmen und stellt ein äußerst wichtiges Beurteilungskriterium für das Rating33 dar.
Diese Aufgaben müssen im Umfeld der in Abbildung 6 dargestellten Einflüsse erledigt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und die Wertgenerierung erreichen zu können.
Abb. 6: Herausforderungen für das strategische Beschaffungsmanagement
Die Faktoren aus der strategischen Analyse sowie die bereits erzielten Ergebnisse müssen unter Einbeziehung von strategischen Vorüberlegungen so verknüpft werden, dass ein dem Unternehmenszweck dienliches, effizientes Gesamtergebnis erreicht werden kann. Ferner sind dabei die Wechselwirkungen mit dem eigenen Vertrieb zu berücksichtigen. Dies lässt sich durch die Prozessintegration gewährleisten.
Das strategische Beschaffungsmanagement34 ist die Schnittmenge der Handlungen des Beschaffungsmanagements und des übergeordneten strategischen Managements. Dies bedeutet, dass die strategischen Überlegungen des Beschaffungsmanagements in Einklang mit den strategischen Unternehmenszielen stehen müssen, wobei logischerweise das Vorhandensein von Handlungsmöglichkeiten Voraussetzung ist. In Abbildung 7 wird dieser Zusammenhang dargestellt.
Beschaffungsstrategien enthalten auch Aussagen über die strategischen Beschaffungsziele und das Leitbild für die Beschaffung, daher sind Beschaffungsstrategien als Funktionsbereichsstrategien der Beschaffung zu verstehen. Diese werden aus der übergeordneten Unternehmensstrategie abgeleitet und sind in den Gesamtprozess des integrierten Beschaffungsmanagements (IBM) integriert. Die Wirkungen des strategischen Beschaffungsmanagements werden also in den relevanten Teilphasen des IBM, insbesondere den Sourcing-Strategien in Phase 1 ( Kap. B 1.3) durch entsprechende Beschaffungsstrategien erkennbar ( Abb. 8).
In einigen Phasen ist dabei eine klare Trennung zwischen operativen und strategischen Aspekten nicht immer möglich, bzw. die Übergänge an diesen Stellen können fließend verlaufen. So ist beispielsweise die Make-or-Buy-Entscheidung per Definition eine strategische Entscheidung. Durch die Einbettung in den Gesamtprozess muss eine Entscheidungsgrundlage jedoch durch die damit verbundenen operativen Tätigkeiten geschaffen werden, ähnlich verhält es sich auch mit der Lieferantenbewertung; die Messergebnisse der Lieferantenleistung werden nicht unmittelbar nach der Erhebung für Weichenstellungen benutzt, sondern erst in einer späteren Prozessphase.
Abb. 7: Aufgabengebiete des strategischen Beschaffungsmanagements
Abb. 8: Das strategische Beschaffungsmanagement liefert die Entscheidungsgrundlage für strategische Eckpunkte im Beschaffungsprozess
Die Ziele der einzelnen betrieblichen Funktionen35 (Vertrieb, Produktion, Beschaffung usw.) werden aus den erfolgsorientierten übergeordneten Unternehmenszielen abgeleitet. In diesem Zusammenhang ist es aber weniger relevant, was hierbei im Einzelnen definiert wurde, denn im Endeffekt lassen sich stets allgemeingültige Aussagen (z. B. Erhöhung der Profitabilität) herausfiltern, und dies führt in der Regel dazu, dass der betriebliche Leistungserstellungsprozess nach wirtschaftlichen Effizienzgesichtspunkten optimiert werden muss.
Je nach betrieblicher Funktion stehen dabei auch andere Überlegungen im Vordergrund, um diese Oberziele erreichen zu können. Für den Bereich der Beschaffung sind diese strategischen Bestimmungsfaktoren beispielsweise:
• die Erreichung langfristiger Ziele,
• die Erschließung von externen Potenzialen,
• der Aufbau von Wettbewerbsvorteilen,
• und die Minimierung von Unsicherheiten.
Im Zielbildungsprozess können diese Faktoren auf entsprechende Zielobjekte der Beschaffung übertragen werden. Tabelle 1 zeigt Beispiele dazu.
Tab. 1: Beispiele von Zielen für verschiedene Zielobjekte
ZielobjekteBeispiele
Wie diese abgeleiteten Zielobjekte im strategischen Beschaffungsmanagement implementiert bzw. umgesetzt werden, hängt maßgeblich von der angestrebten Wirkung und der definierten Verhaltensweise ab36. Dabei unterscheidet man einerseits nach der Verhaltensweise:
• Aktives Verhalten: Hiermit sollen eine Veränderung und Ausschöpfung des Bedingungsrahmens für beschaffungspolitische Entscheidungen erreicht werden.
• Passives Verhalten: Es wird lediglich das Ziel der Ausschöpfung eines gegebenen Bedingungsrahmens für beschaffungspolitische Entscheidungen angestrebt.
Die Unterscheidung der Wirkung hingegen wird nach der Reichweite vorgenommen:
• Interne Wirkung: Strategische Ziele für interne Erlös- und Kostenpotenziale; der Fokus liegt also auf direkt vom Unternehmen beeinflussbaren Aspekten (z. B. eigene Prozessoptimierung)
• Externe Wirkung: Strategische Ziele für externe Erlös- und Kostenpotenziale, wobei versucht wird durch (in der Regel aktives) eigenes Marktverhalten Änderungen herbeizuführen.
Abb. 9: Strategische Orientierung nach Verhaltensmuster und Wirkrichtung
Die in Abbildung 9 gezeigte Orientierung nach Verhaltensmuster und Wirkrichtung erlaubt eine Zuordnung einzelner strategischer Beschaffungsphasen bzw. darin enthaltener Aufgaben und Prozesse. In Ergänzung dazu können Überlegungen zu den einzelnen Beschaffungsobjekten und Marktverhältnissen zusätzlich Hinweise für die strategische Stoßrichtung liefern.
Tabelle 2 zeigt die in der strategischen Orientierung zugeordneten Aufgaben und Tätigkeiten, die im Beschaffungsprozess auch nebeneinander bzw. mit unmittelbarer Feedback-Wirkung ablaufen können oder unter Umständen eine Fortsetzung des Vorgangs erst erlauben, wenn entsprechende Ergebnisse vorliegen.
Tab. 2: Strategische Aufgaben im Beschaffungsmanagement
Um eine zweckdienliche Transparenz und Interdependenzen aufzeigen zu können, ist daher eine prozessorientierte Organisation des Beschaffungsvorgangs erforderlich. Im nächsten Kapitel werden die Zielsetzung und die Vorgehensweise einer Prozessorientierung aufgezeigt.
32 Bräkling et al. 2019.
33 Hofbauer und Bergmann 2008.
34 Large 2013.
35 Vgl. Hofbauer 2012.
36 Bräkling und Oidtmann 2019, S. 15 ff.
Das Prozessmanagement37 ist schon seit langem in der wissenschaftlichen Diskussion. Die meisten Unternehmen tun sich allerdings schwer mit der konsequenten Umsetzung. Aus diesem Grund wird dieses Phänomen in der englischsprachigen Literatur mit »calcified organization« bezeichnet. Dieses Kapitel bezieht sich auf die grundlegenden Veröffentlichungen zum Thema Prozessmanagement. Weder Ziele, Inhalte noch Vorgehensweisen des Prozessmanagements haben sich seit den frühen Publikationen geändert, jedoch halten sich sowohl Unternehmen als auch öffentliche Beschaffungsämter mit der Umsetzung sehr zurück.
Die nachhaltige Existenz eines Unternehmens sowie die Wettbewerbsfähigkeit sind mehr denn je von einer schnellen und kostengünstigen Abwicklung der auf den externen Kunden gerichteten Geschäftsprozesse38 abhängig. Die Effizienz in der Wertkette ( Kap. A 2.2) durch die Prozessorientierung rückt dadurch stärker in den Vordergrund. Unter einem Prozess versteht man im Allgemeinen eine in einem logischen Zusammenhang stehende Abfolge von Aufgaben. Ein definierter Beginn als Input und ein definiertes Ende in Form des Outputs begrenzen den Prozess. Ein Prozess ist somit durch folgende wesentliche Merkmale gekennzeichnet:
• definierte Prozessziele und daraus abgeleitete Aufgaben,
• Transformation eines Inputs in einen Output in einem definierten Zeitrahmen, der sogenannten Durchlaufzeit,
• Abfolge inhaltlich miteinander verknüpfter Aktivitäten (Teilprozesse), die den Vollzug vorgelagerter Aktivitäten voraussetzen; diese können sequentiell oder parallel ablaufen und sich wiederholen,
• verfügbare Ressourcen für eine optimale Prozessdurchführung.
Die Hauptziele der Prozessorientierung in der Beschaffung sind die Erhöhung der Wertschöpfung, die Verbesserung der Qualität und die Reduzierung von Risiko durch die Definition von Kriterien, die ein Lieferant in den einzelnen Phasen des Beschaffungsprozesses erfüllen muss. Die Markt- und Kundenorientierung muss während des ganzen Beschaffungsprozesses gewährleistet sein, um die Anforderungen des Beschaffungsobjektes sowie die Bedürfnisse Nachfrager zu erfüllen. Mit der Prozessorientierung werden vier generelle Ziele verfolgt39:
• Verkürzung der Durchlaufzeiten,
• Verbesserung der Qualität,
• Senkung der Kosten,
• Zunahme der Innovationsfähigkeit.
Als wesentliche Vorteile einer prozessorientierten Organisationsgestaltung lassen sich folgende Punkte nennen40:
• Die Konzentration auf wertschöpfende Aktivitäten wird durch interne und externe Kundenorientierung gefördert. Im Vordergrund stehen nicht mehr Bereichsegoismen, sondern die jeweiligen internen und externen Kunden.
• Da die Prozesse bereichsübergreifend definiert werden, wird eine Delegation von Verantwortung und Kompetenz für den Prozessablauf als Ganzes auf eine oder mehrere Personen möglich.
• Schnittstellenprobleme durch gegenseitige Abhängigkeiten werden durch die Ausrichtung der Organisation auf die relevanten Prozesse verringert und die Gefahr von Doppelarbeit und schnittstellenbedingten Fehlern nehmen ab.
• Auch lässt sich der erforderliche Koordinationsaufwand minimieren, wodurch den beteiligten Organisationseinheiten mehr Zeit für die eigentliche Problemlösung zur Verfügung steht.