Teppiche - Clemens von Alexandria - E-Book

Teppiche E-Book

Clemens von Alexandria

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Beschreibung

Die "Stromata" (deutsch: Teppiche") sind das dritte einer Trilogie von Werken über das christliche Leben. Die beiden anderen sind "Paidagogos" und "Protrepticus." Die ältesten erhaltenen Manuskripte stammen aus dem elften Jahrhundert. Das Werk trägt den Titel "Stromata" ("Flickwerk"), weil es eine Vielfalt von Themen behandelt. Es geht dabei weiter als seine beiden Vorgänger und zielt auf die Vervollkommnung des christlichen Lebens durch Einweihung in das vollständige Wissen. Es versucht, auf der Grundlage von Schrift und Tradition eine solche Darstellung des christlichen Glaubens zu geben, die allen Ansprüchen gelehrter Männer gerecht wird und den Schüler in die innersten Wahrheiten seines Glaubens führt. Der Platz des Werkes in der Trilogie ist umstritten - ursprünglich wollte Clemens den "Didascalus" schreiben, ein Werk, das die praktische Anleitung des Pädagogen durch eine eher intellektuelle Schulung in Theologie ergänzen sollte. Die "Stromata" ist weniger systematisch und geordnet als Clemens' andere Werke, und André Méhat hat die Theorie aufgestellt, dass sie für eine begrenzte, esoterische Leserschaft gedacht war. Dieser Band enthält die Bücher 1 - 3 des Gesamtwerkes.

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Seitenzahl: 535

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Teppiche, Band 1

 

Bücher 1 – 3

 

CLEMENS VON ALEXANDRIA

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Teppiche 1, Clemens von Alexandria

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660253

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Erstes Buch. 2

I. Kapitel2

II. Kapitel14

III. Kapitel16

IV. Kapitel18

V. Kapitel20

VI. Kapitel24

VII. Kapitel27

VIII. Kapitel29

IX. Kapitel32

X. Kapitel34

XI. Kapitel37

XII. Kapitel41

XIII. Kapitel42

XIV. Kapitel44

XV. Kapitel48

XVI. Kapitel53

XVII. Kapitel58

XVIII. Kapitel63

XIX. Kapitel66

XX. Kapitel71

XXI. Kapitel74

XXII. Kapitel100

XXIII. Kapitel102

XXIV. Kapitel107

XXV. Kapitel112

XXVI. Kapitel114

XXVII. Kapitel117

XXVIII. Kapitel120

XXIX. Kapitel122

Zweites Buch. 124

I. Kapitel124

II. Kapitel126

III. Kapitel130

IV. Kapitel131

V. Kapitel136

VI. Kapitel140

VII. Kapitel145

VIII. Kapitel148

IX. Kapitel152

X. Kapitel156

XI. Kapitel158

XII. Kapitel162

XIII. Kapitel165

XIV. Kapitel168

XV. Kapitel170

XVI. Kapitel175

XVII. Kapitel178

XVIII. Kapitel180

XIX. Kapitel191

XX. Kapitel195

XXI. Kapitel208

XXII. Kapitel212

XXIII. Kapitel217

Drittes Buch. 223

I. Kapitel223

II. Kapitel225

III. Kapitel230

IV. Kapitel236

V. Kapitel244

VI. Kapitel248

VII. Kapitel255

VIII. Kapitel258

IX. Kapitel259

X. Kapitel262

XI. Kapitel264

XII. Kapitel269

XIII. Kapitel277

XIV. Kapitel279

XV. Kapitel281

XVI. Kapitel283

XVII. Kapitel285

XVIII. Kapitel287

Fußnoten. 291

 

 

Teppiche

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Teppiche (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Teppiche (Stromateis). In: Clemens von Alexandrien, Teppiche: Wissenschaftliche Darlegungen entsprechend der wahren Philosophie (Stromateis). Aus dem Griechischen übersetzt von Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Otto Stählin. (Bibliothek der Kirchenväter, 2. Reihe, Band 17, 19, 20) München 1936-1938. Unter der Mitarbeit von: Jürgen Voos.

 

 

 

 

Erstes Buch

 

I. Kapitel

 

1.

 1. „…1 damit du sie immer wieder2 liesest und sie befolgen kannst.“3 Soll man aber überhaupt keine Schriften hinterlassen, oder sollen es nur bestimmte Leute tun? Und wenn das erstere, wozu ist dann die Schrift nütze? Wenn aber das andere, sollen es dann die Guten tun oder die, die nicht gut sind? Nun wäre es aber doch lächerlich, das Verfassen von Schriften durch die Guten zu verwerfen und bei denen zu billigen, die nicht gut sind.

2. Aber sollte man demnach dem Theopompos und dem Timaios,4 die unwahre Geschichten und Schmähschriften verfaßten, dazu auch Epikuros, dem Bahnbrecher der Gottlosigkeit,5 ferner dem Hipponax und dem Archilochos6 gestatten, so schamlose Bücher zu schreiben, dagegen den Verkündiger  der Wahrheit daran hindern, den nach ihm lebenden Menschen durch hinterlassene Schriften zu nützen? Es ist doch auch, wie ich meine, rühmlich, der Nachwelt wackere Kinder zu hinterlassen. Nun sind die Kinder Sprößlinge des Leibes, die Worte aber Sprößlinge der Seele.7

3. So nennen wir doch Väter diejenigen, die uns unterwiesen haben.8 Die Weisheit ist aber ihrem Wesen nach freigebig und gütig. Salomon wenigstens sagt: „Mein Sohn, wenn du das Wort meines Gebotes aufnimmst und bei dir birgst, so wird dein Ohr Weisheit vernehmen.“9

  

2.

1. Er deutet damit an, daß der ausgestreute Same des Wortes in der Seele des Lernenden wie in Erdreich geborgen werde, und dies ist geistige Aussaat. Deshalb fügt er auch hinzu: „Und du wirst dein Herz auf Einsicht hinwenden und wirst es hinwenden auf Ermahnung für deinen Sohn.“10 Denn wenn sich bei der Aussaat des Wortes eine Seele mit einer anderen Seele und ein Geist mit einem anderen Geist verbindet, so bringen sie, meine ich, den ausgestreuten Samen zum Wachstum und lassen ihn lebendig werden. Als Sohn aber gilt jeder, der sich dadurch erziehen läßt, daß er dem Erziehenden gehorcht. „Mein Sohn“, so heißt es, „vergiß meine Satzungen nicht!“11

2. Wenn aber die Erkenntnis nicht aller Sache ist,12 so sind die Schriften für die Masse das gleiche wie für einen Esel die Laute, um mit dem Sprichwort zu reden.13 Die Schweine freuen sich ja mehr am Schlamm als an reinem Wasser.14

3. „Deshalb“, so sagt der Herr, „rede ich in Gleichnissen zu ihnen, weil sie mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören und nicht verstehen“,15 womit nicht gesagt ist, daß der Herr das Nichtverstehen bei ihnen herbeiführt (denn solches zu denken, wäre nicht recht), sondern daß er das bei ihnen vorhandene Nichtverstehen in prophetischer Weise aufzeigte und kundtat, daß sie das Gesagte nicht verstehen würden.

  

3.

 1. Ferner sehen wir zum Überfluß noch, wie der Heiland selbst entsprechend der Fähigkeit jedes Empfängers, die es durch Übung zu steigern gilt, sein Vermögen unter seine Knechte verteilte und, nachdem er zurückgekommen war, mit ihnen abrechnete; da lobte er diejenigen, die sein Geld gemehrt hatten, „die im Geringen Treuen“, verhieß ihnen, „sie über viel zu setzen“, und gebot ihnen, „in die Freude ihres Herrn einzugehen“.

2. Dagegen zu dem, der das Geld, das ihm anvertraut worden war, damit er es auf Zinsen ausleihe, verborgen hatte und genau so viel, als er erhalten hatte, ungenützt zurückgab, sagte er: „Du schlechter und fauler Knecht, du hättest mein Geld bei den Bankhaltern anlegen sollen; dann hätte ich nach meiner Rückkehr das Meine16 abheben können.“ Zur Strafe dafür wird der unnütze Knecht „in die äußerste Finsternis“ geworfen werden.17

3. Auch Paulus sagt: „Du nun werde stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist, und was du von mir unter Bestätigung durch viele Zeugen gehört hast, das übergib zuverlässigen Menschen, die geeignet sein werden, auch andere zu lehren.“18

4. Und wiederum: „Sei eifrig bemüht, vor Gott bewährt hinzutreten als ein untadeliger Arbeiter, der das Wort der Wahrheit richtig verwaltet.“19

  

4.

1. Wenn nun beide das Wort verkünden, der eine mit der Schrift, der andere mit der Rede, wie sollten dann nicht beide Lob verdienen, da sie den Glauben durch die Liebe wirksam machen?20 Da die Schuld bei dem liegt, der nicht das Beste wählte, ist Gott ohne Schuld21 So ist es denn die Aufgabe der einen, das Wort auf Zinsen hinauszugeben, die Aufgabe der anderen, es zu prüfen und es entweder zu wählen oder zu verwerfen. Die Entscheidung darüber fällt bei ihnen selbst.

2. Aber die Tätigkeit des Verkündens (des göttlichen Wortes) hat es immer mit einer Botschaft zu tun, und sie ist heilsam, auf welche von den beiden Weisen sie auch wirken mag, sei es mit der Hand (bei der Schrift) sei es mit der Zunge (bei der Rede). „Denn wer auf den Geist sät, wird aus dem Geist ewiges Leben ernten; laßt uns aber nicht müde werden,  das Gute zu tun!“22

3. Wer dank der göttlichen Vorsehung mit der Botschaft bekannt wird, dem verleiht sie jedenfalls die höchsten Güter: den Anfang des Glaubens, den Vorsatz, einen richtigen Wandel zu führen, das Streben nach Wahrheit, den regen Eifer im Forschen, die Wegspur zur Erkenntnis; sie eröffnet ihm, um es kurz zu sagen, den Weg zum Heil. Wer aber rechtmäßig in den Lehren der Wahrheit aufgezogen wurde, erlangt die Wegzehrung für das ewige Leben und wird für die Fahrt zum Himmel beflügelt.23

4. In ganz bewundernswerter Weise sagt daher der Apostel: „Indem wir uns in jeder Hinsicht empfehlen als Gottes Diener, als Arme, die aber viele reich machen, als solche, die da nichts haben und doch alles besitzen. Unser Mund ist euch gegenüber aufgetan.“24 Und in einem Brief an Timotheus sagt er: „Ich beschwöre dich vor dem Angesicht Gottes und Christi Jesu und der auserwählten Engel, daß du solches ohne Vorurteil beobachtest und nichts nach Gunst tust.“25

  

5.

1. Diese beiden müssen sich also selbst prüfen, der eine, ob er würdig ist, zu reden und Schriften zu hinterlassen, der andere, ob er befugt ist, zu hören und zu lesen. So gestatten auch manche bei der üblichen Verteilung des Herrenmahles, daß sich jeder einzelne vom Volk selbst seinen Teil nimmt.

2. Denn die beste Hilfe für das richtige Wählen und Meiden ist das Gewissen; dessen sicherer Grundstein aber ist ein rechtschaffenes Leben zusammen mit der geziemenden Lehre; und ebenso ist der Anschluß an andere, die sich bereits bewährt und Treffliches geleistet haben, die beste Hilfe für die Erfassung der Wahrheit und für die Erfüllung der Gebote.

3. „Wer daher unwürdig das Brot ißt und den Becher des Herrn trinkt, wird sich an dem Leib und Blut des Herrn versündigen. Es prüfe sich aber ein Mensch selbst, und sodann esse er von dem Brot und trinke von dem Becher!“26

  

6.

1. Für den, der sich die Förderung seiner Nächsten vorgenommen hat, dürfte es nun folgerichtig sein, zu erwägen, ob er sich nicht vorschnell und in eifersüchtigem Streben, anderen zuvorzukommen, an das Unterrichten herangemacht hat, ob er nicht durch die Mitteilung des Wortes eigene Ehre erstrebt, ob er nur den einen Lohn  gewinnen will, die Rettung seiner Zuhörer. Wer27 aber durch Schriften spricht, ist von vorneherein nicht der Vermutung ausgesetzt, daß er nach Gunst rede,28 und ebenso wenig dem Verdacht der Bestechlichkeit.

2. „Denn wir haben es weder jemals auf Schmeicheleien abgesehen, wie ihr wißt“, sagt der Apostel, „noch ließen wir uns von Habgier leiten, Gott ist des Zeuge, noch suchten wir Ehre von seiten der Menschen, weder von euch noch von anderen; wir hätten als Christi Apostel Anspruch auf Ehre erheben können; wir traten aber unter euch so liebevoll auf wie eine Mutter, die ihre Kinder pflegt.“29

3. In gleicher Weise muß man auch bei denen, welche an den göttlichen Lehren Anteil nehmen wollen, sorgfältig darauf achtgeben, ob sie nicht aus Neugierde dazukommen, nur um sie kennenzulernen, so wie man die Gebäude einer Stadt anschaut; ob sie sich nicht heranmachen, um weltliche Vorteile dadurch zu erlangen, da sie wissen, daß diejenigen, die sich ganz Christus geweiht haben, freigebig von dem, was zum Leben nötig ist, austeilen. Aber solche Leute sind Heuchler, und wir wollen nicht weiter von ihnen reden. Wenn aber jemand „gerecht nicht scheinen, sondern sein will“,30 so muß er sich der edelsten Beweggründe bewußt sein.

  

7.

1. Wenn nun „die Ernte groß, der Arbeiter aber nur wenige sind“, dann muß man in der Tat darum bitten, daß uns das Glück möglichst zahlreicher Arbeiter zuteil werde.31 Die Arbeit aber auf diesem Ackerfeld ist doppelter Art: die eine geschieht ohne die Schrift, die andere mit der Schrift. Mag aber der Arbeiter des Herrn auf die eine oder die andere Weise die edlen Weizenkörner aussäen und das Wachsen der Ähren fördern und die Ernte einfahren, so wird er als wahrhaft göttlicher Ackersmann erfunden werden.

2. „Schaffet“, sagt der Herr, „nicht die Speise, die vergeht, sondern die Speise, die zu ewigem Leben bleibt!“32 Mit Speise ist sowohl die materielle (die  mit Brot) als auch die geistige (die mit Worten) gemeint.33 Und wahrhaft „selig sind die Friedensstifter“;34 sie belehren diejenigen, die hier in diesem Leben und auf ihrem Irrweg von ihrer Unwissenheit bekriegt werden, eines Besseren und führen sie zu dem Frieden, der in einem gottgemäßen Reden und Leben besteht,35 und speisen die nach Gerechtigkeit Hungernden36 durch die Verteilung des Brotes.

3. Denn auch Seelen haben ihre eigene Nahrung; die einen gedeihen durch Erkennen und Wissen, die anderen finden ihre Weide in der griechischen Philosophie, von der freilich wie von den Nüssen nicht alles eßbar ist.

4. „Der Pflanzende aber und der Begießende“ beides Gehilfen dessen, der wachsen läßt, „gehören zusammen“ entsprechend ihrer Dienstleistung, „aber jeder von ihnen wird seinen besonderen Lohn erhalten entsprechend seiner besonderen Arbeit. Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerfeld, Gottes Bauwerk“37 nach den Worten des Apostels.

  

8.

1. Man darf es daher den Hörern auch nicht gestatten, die Prüfung auf Grund von Vergleichung vorzunehmen; ebensowenig darf man die Lehre denen zur Musterung ausliefern, die in mannigfaltigen Redekünsten und in der machtvollen Wirkung großartiger rhetorischer Schlußfolgerungen aufgezogen sind, denen, deren Seele bereits in Vorurteilen befangen und nicht (für Aufnahme des Neuen) zuvor freigemacht ist.

2. Wenn sich aber jemand auf Grund seines Glaubens dazu entschließt, zum Gastmahl zu kommen, so ist er zuverlässig geeignet zur Aufnahme göttlicher Lehren, da er als vernünftigen Entscheidungsmaßstab den Glauben besitzt. Daraus folgt für ihn zum Überfluß noch die Überzeugung. Und dies ist füglich der Sinn jenes Prophetenwortes: „Wenn ihr nicht glaubet, so versteht ihr auch nicht.“38 „Da wir also noch Zeit und Gelegenheit haben, lasset uns das Gute an allen tun, am meisten aber an den Glaubensgenossen!“39

3. Ein jeder von diesen lasse mit den Worten des seligen David das Danklied erschallen: „Du wirst mich mit Ysop besprengen, und ich werde gereinigt werden; du wirst mich waschen, und ich werde weißer werden als Schnee. Du wirst mich  Freude und Wonne hören lassen; es werden die gedemütigten Gebeine frohlocken. Wende weg dein Antlitz von meinen Sünden und tilge meine Missetaten!

4. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir in meinem Innern einen neuen , festen Geist! Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen Heiligen Geist nicht von mir! Gib mir wieder das Frohlocken über dein Heil und mache mich stark durch den führenden Geist!“40

  

9.

1.41 Wer nun zu Anwesenden spricht, der nimmt bei der Prüfung (der Hörer) Rücksicht auf die Zeit und trifft seine Entscheidung auf Grund seiner Urteilskraft und sondert so von den übrigen den aus, der zu hören fähig ist, indem er dabei achtet auf die Worte, die Sitten, die Sinnesart, die Lebensweise, die Bewegungen, die Haltung, den Blick, die Stimme, den Kreuzweg, den Felsen, den Weg, auf dem alles zertreten wird, die fruchtbare Erde, die mit dichtem Gestrüpp bewachsene Gegend, das ergiebige und gute und wohlangebaute Land, das die Aussaat vielfältig wiedergeben kann.42

2. Wer dagegen in Schriftwerken spricht, der sucht sich ein reines Gewissen Gott gegenüber zu schaffen, indem er in seiner Schrift folgendes laut bezeugt, daß er nicht um Gewinnes willen, nicht eitler Ehre zuliebe schreibe,43 daß er sich nicht von leidenschaftlicher Liebe bestimmen, nicht von Furcht knechten, nicht von Freude betören lasse, daß er keinen anderen Genuß haben wolle als das Heil seiner Leser, einen Genuß, dessen er nicht einmal sogleich in der Gegenwart teilhaftig wird, sondern nur durch Hoffnung, indem er zuversichtlich auf die Vergeltung wartet, die ihm ohne Zweifel von dem zuteil werden wird, der den Arbeitern den Lohn nach ihrem Verdienst auszuzahlen versprochen hat.44

3. Aber wer in den Stand der Männer aufgenommen sein (wer als Mann gelten) will, der darf nicht nach Belohnung streben. Denn hat nicht der, der sich einer guten Tat rühmt, die Belohnung bereits durch die ihm zuteilgewordene Ehre erhalten,45 und ist nicht andererseits der, der eine Pflicht nur wegen der damit verbundenen Belohnung erfüllt (sei es, daß er als Rechtschaffener sie zu erhalten bestrebt ist,  sei es, daß er als Übeltäter die Strafe zu vermeiden sucht) in der weltlichen Gewohnheit befangen? Man muß aber soviel wie möglich den Herrn nachahmen.

4. Das wird aber bei dem der Fall sein, der den Willen Gottes zu erfüllen beflissen ist, der umsonst gibt, wie er umsonst empfangen hat46 und als ansehnlichen Lohn das Bürgerrecht selbst empfängt. „Nicht soll in das Heiligtum Hurenlohn kommen“47 heißt es.

  

10.

1. Verboten ist jedenfalls, „das für den Verkauf eines Hundes gewonnene Geld“ zum Altar herzuzubringen48 Wem aber durch schlechte Erziehung und Lehre „das Auge der Seele“49 gegen das ihr eigentümliche Licht stumpf geworden ist, der gehe zu der Wahrheit, die in Schriften das Ungeschriebene offenbart! „Ihr Dürstenden, geht zum Wasser“50 sagt Jesaias, und „Trinke das Wasser aus deinen eigenen Wasserbehältern!“51 mahnt Salomon.

2. Und in den Gesetzen z.B. befielt Platon, der von den Hebräern beeinflußte Philosoph, den Landleuten, kein Wasser von anderen zur Bewässerung herzuleiten oder zu nehmen, wenn sie nicht zuvor bei sich selbst bis zu der sogenannten jungfräulichen Erde nachgegraben und den Boden ohne Wasser gefunden haben52

3. „Denn dem Mangel abzuhelfen, ist billig, dagegen Faulheit zu unterstützen, ist nicht gut“53 So sagte auch Pythagoras, es sei vernünftig, beim Aufnehmen einer Last mitzuhelfen. dagegen gezieme es sich nicht, beim Ablegen der Last zu helfen54

4. Die Schrift facht aber den Funken der Seele an und lenkt das dieser eigentümliche Auge auf das Schauen hin, wobei sie vielleicht auch etwas einsetzt, so wie es der Landmann beim Pfropfen tut, und die in ihr vorhandene Anlage anregt.

5. „Denn unter uns sind“, nach dem Wort des göttlichen Apostels, „viele Schwache und Kranke, und viele sind schon entschlafen. Wenn wir uns selbst richtig beurteilen, würden wir nicht gestraft“55

  

11.

 1.56 Was nun dieses Werk betrifft, so ist es keine Schrift, die mit großer Kunst ausgearbeitet wurde, um damit zu prunken; sondern ich mache mir Aufzeichnungen und hebe sie für das Greisenalter auf, ein Hilfsmittel gegen das Vergessen57 geradezu ein Bild und Gemälde jener anschaulichen und lebensvollen Reden und jener seligen und wahrhaft bedeutenden Männer, die zu hören ich gewürdigt wurde.

2. Von ihnen war der eine in Griechenland, der Ionier, die anderen in Großgriechenland (von diesen beiden stammte der eine aus Kölesyrien, der andere aus Ägypten) andere aber im Osten; und hiervon war der eine aus dem Lande der Assyrer, der andere, in Palästina, war seiner Abstammung nach ein Hebräer. Als ich aber einen letzten angetroffen hatte, (seiner Wirkung nach war er jedoch der erste) da gab ich weiteres Suchen auf, nachdem ich ihn in Ägypten, wo er verborgen war, aufgespürt hatte. Er war58 in der Tat eine sizilische59 Biene, indem er aus den Blumen der prophetischen und apostolischen Wiese Honig sog und in den Seelen seiner Zuhörer ein lauteres Erkenntnisgut erzeugte.60

3. Jene Lehrer aber, die die wahre, unmittelbar von den heiligen Aposteln Petrus und Jakobus, Johannes und Paulus stammende Überlieferung der seligen Lehre61 unversehrt bewahrten, indem immer ein Sohn sie von seinem Vater übernahm (nur wenige sind es, die ihren Vätern ähnlich sind),62 kamen in der Tat mit Gottes Hilfe auch zu uns, um jene von den Vätern ererbten und apostolischen Samenkörner (in uns) niederzulegen.63

  

12.

1. Und ich weiß gewiß, daß sie frohlocken werden,  nicht, meine ich, weil sie über diese meine Darstellung erfreut wären, sondern nur weil die Überlieferung durch die Aufzeichnung erhalten wurde. Denn eine derartige Darstellung ist, wie ich glaube, das Werk einer Seele, die das Verlangen in sich trägt, die selige Überlieferung unverlierbar zu bewahren. „Wenn aber ein Mann Weisheit liebt, so wird sich sein Vater freuen.“64

2. Die Brunnen, aus denen man schöpft, geben klareres Wasser,65 dagegen wird das Wasser in denen schlecht, die niemand benützt. Auch das Eisen erhält der Gebrauch blank, der Nichtgebrauch dagegen läßt Rost an ihm entstehen. Denn überhaupt bewirkt Übung gesundes Befinden bei Geist und Körper.

3.„Niemand zündet ein Licht an und stellt es unter den Scheffel“,66 sondern vielmehr auf den Leuchter, damit es denen leuchtet, die des nämlichen Gastmahls gewürdigt sind.67 Denn was ist eine Weisheit wert, die den nicht weise machen kann, der fähig ist zu hören? Ferner bringt auch der Heiland immer Heil und wirkt immer, wie er es den Vater tun sieht;68 wenn man lehrt, so lernt man selbst dazu, und wenn man redet, so hört man oft zusammen mit seinen Zuhörern.69 „Denn einer ist der Lehrer“70 sowohl für den Redenden wie für den Hörenden, er, der das Verständnis und das Wort hinzuströmen läßt.

  

13.

1. Darum hat der Herr auch nicht davon abgehalten, mit Gutestun den Sabbat zu feiern,71 sondern erlaubt, an den göttlichen Geheimnissen und an jenem heiligen Licht denen Anteil zu geben, „die imstande sind, es zu fassen“.72

2. Er offenbarte ja nicht vielen, was nicht für viele bestimmt war, sondern nur wenigen, von denen er wußte, daß es ihnen zukam, denen, die es aufzunehmen und sich darnach gestalten zu lassen imstande waren. Die Geheimnisse aber wie (die Lehre von) Gott werden nur dem Worte anvertraut, nicht der Schrift.

3.Und wenn jemand sagt, es sei doch geschrieben: „nichts ist verborgen, was nicht wird  offenbart werden, und nichts verhüllt, was nicht wird enthüllt werden“,73 so möge er auch von uns hören, daß der Herr durch dieses Wort weissagte, das Verborgene werde dem im Verborgenen Hörenden offenbart werden, und daß das Verhüllte wie die Wahrheit dem kundgetan werden wird, der imstande ist, das ihm Übergebene in verhüllter Weise zu erfassen, und daß das der großen Masse Verborgene das ist, was den wenigen offenbar werden wird.

4. Denn warum kennen nicht alle die Wahrheit, wenn alle die Wahrheit erfassen können?74 Und warum wurde die Gerechtigkeit nicht (von allen) geliebt, wenn die Gerechtigkeit eine Sache aller ist? Aber die Geheimnisse werden ja im geheimen weitergegeben, damit sie nur im Munde des Sprechenden und dessen seien, zu dem gesprochen wird, vielmehr nicht in ihrer Sprache, sondern in ihrem Denken.75

5.„Gott hat aber“ der Kirche „die einen als Apostel gegeben, die andern als Propheten, wieder andere als Evangelisten oder als Hirten und Lehrer, um die Heiligen zur Dienstleistung auszurüsten, zur Auferbauung des Leibes des Christus.“76

  

14.

1. Nun ist freilich, wie ich wohl weiß, die schriftliche Aufzeichnung dieser meiner Erinnerungen kraftlos im Vergleich mit jenem begnadeten Geiste, den zu hören wir gewürdigt wurden; aber vielleicht ist sie doch ein Bild, das den an das Urbild erinnert, der vom Schlag des Thyrsos getroffen ist.77 Denn „sprich mit einem Weisen“, so heißt es, „und er wird noch weiser werden“,78 und „dem, der hat, wird noch dazu gegeben werden“.79

2. Meine Schrift macht sich nicht anheischig, die Geheimnisse vollständig zu verkünden, weit gefehlt, sondern nur zu erinnern, sei es sooft wir etwas vergaßen, sei es, damit wir gar nicht vergessen. Aber viel ist uns, wie ich wohl weiß, entfallen, da es infolge der langen Zeit, weil es nicht aufgeschrieben  wurde, verlorenging. Um daher mein schwaches Gedächtnis zu unterstützen, lege ich mir als eine nützliche Stärkung meines Gedächtnisses eine geordnete Zusammenstellung der Hauptgedanken an und bin somit gezwungen, diese Form der Darstellung zu verwenden.

3. Es gibt nun freilich manches, was wir nicht einmal in der Erinnerung festhalten konnten (denn vielseitig war die Begabung jener seligen Männer), manches, was, obwohl unaufgezeichnet, doch erhalten geblieben war, ist jetzt infolge der langen Zeit entschwunden; all das aber, was in meinen Gedanken allmählich einzutrocknen und zu erlöschen drohte (da ja eine solche Aufgabe für die darin nicht Bewährten nicht leicht ist), will ich durch Aufschreiben wieder lebendig machen. Dabei werde ich aber sorgfältig auswählen und manches mit Absicht übergehen, indem ich vermeide, Dinge niederzuschreiben, bei denen ich mich auch davor gehütet hätte, sie in mündlicher Rede zu erwähnen, durchaus nicht, weil ich es anderen nicht gönnte (das wäre ja nicht recht), sondern weil ich fürchte, meine Leser könnten vielleicht nach der anderen Seite hin80 in die Irre gehen, und es könnte sich erweisen, daß wir es machten wie Leute, die, um den sprichwörtlichen Vergleich81 zu bringen, dem Kinde ein Schwert geben.

4. „Denn es läßt sich nicht vermeiden, daß das Geschriebene unter die Leute kommt“,82 mag es auch von mir selbst unveröffentlicht geblieben sein; wenn aber eine Schrift aufgerollt wird, so kann sie doch stets nur mit einem Wort, nämlich dem niedergeschriebenen, auf die an sie gerichteten Fragen antworten und mit nichts anderem, als was in ihr geschrieben steht. Zu weiterer Erklärung hat sie ja unbedingt eine Hilfe nötig, sei es den Verfasser selbst oder irgendeinen anderen, der die gleiche Richtung eingeschlagen hat.

  

15.

1. Manches wird meine Schrift auch nur andeuten, und bei dem einen Punkt wird sie länger verweilen, den  anderen nur kurz erwähnen; sie wird auch versuchen, etwas verborgen zu sagen und verhüllt auszusprechen und schweigend deutlich zu machen.

2. Meine Schrift wird auch die Lehrmeinungen der hervorragendsten Sekten vortragen und wird ihnen all das entgegenhalten, was vor der durch das höchste unmittelbare83 Schauen vermittelten Erkenntnis sichergestellt sein muß. Deshalb wird sie „entsprechend der berühmten und erhabenen Richtschnur der Überlieferung“84 fortschreiten, wobei wir von der Entstehung der Welt ausgehen wollen; sie wird das vorausschicken, was vor der Naturlehre zuerst durchgenommen werden muß, und wird zuvor die Schwierigkeiten beseitigen, die der folgerichtigen Behandlung im Wege stehen, damit die Ohren für die Aufnahme der wissenschaftlichen Überlieferung bereit seien, indem gleichsam das Land in sachverständiger Weise zuvor von den Disteln und allem Unkraut für die Anlage des Weinberges gereinigt ist.

3. Denn ein Kampf ist auch die Vorübung zum Kampf, und Mysterien sind auch die vor den Mysterien vollzogenen Weihen, und unsere Aufzeichnungen werden auch keine Bedenken tragen, die schönsten Stücke der Philosophie und der übrigen Vorstufen der Bildung zu verwenden.85

4. Denn es ist nicht nur, wie der Apostel sagt, verständig, wegen der Hebräer und der unter dem Gesetz Stehenden ein Jude zu werden, sondern auch wegen der Griechen ein Grieche, auf daß wir alle gewännen.86

5. Und in dem Brief an die Kolosser schreibt er: „Ermahnend jedermann und ihn in aller Weisheit unterrichtend, um einen jeden in Christus zur Vollkommenheit zu führen.“87

  

16.

1. Aber auch sonst paßt für die Niederschrift unserer Denkwürdigkeiten der Schmuck der wissenschaftlichen Darstellung. So ist auch der Reichtum an ausgewählten Lesefrüchten den würzigen, der Speise eines Wettkämpfers beigemengten Zutaten zu vergleichen, der dadurch nicht Neigung zum Schwelgen, sondern die rechte Lust zum Essen88 bekommen soll. Beim Saitenspiel lassen wir doch auch die allzu starke Spannung des feierlichen Ernstes (wie zu stark gespannte Saiten) maßvoll nach.

2. Wie die,  die zum Volke reden wollen, dies oft durch einen Herold tun, damit das Gesagte besser vernehmbar werde, so müssen wir es auch hier machen; denn das Wort, das wir vor der eigentlichen Lehrüberlieferung sprechen, richtet sich an viele; wir müssen ihnen also die ihnen vertrauten Worte und Anschauungen vortragen, die ihnen immer wieder das laut zurufen, wodurch die Hörer leichter dazu gebracht werden, sich zu bekehren.

3. Und um es kurz zu sagen (denn unter den vielen kleinen Perlen ist „die eine“,89 und unter der Masse der gefangenen Fische ist der „Schönfisch“),90 mit der Zeit und mit Mühe wird die Wahrheit hervorleuchten,91 wenn sich ein guter Helfer findet; denn durch Menschen werden von Gott die meisten Wohltaten dargeboten.

  

17.

1. Nun sehen freilich wir alle, die wir unsere Augen gebrauchen können, das, was in ihr Gesichtsfeld rückt; aber die einen achten dabei auf dies, die anderen auf jenes.92 So sieht der Metzger und der Hirte das Schaf nicht unter dem gleichen Gesichtspunkt an; denn jener kümmert sich darum, ob es fett ist, dieser achtet darauf, ob es zur Zucht geeignet ist. Einer mag die Milch des Schafes melken, wenn er Nahrung braucht, und die Wolle mag er scheren, wenn er Kleidung nötig hat.

2. So soll mir auch die Frucht aus der Verwendung griechischer Weisheit erwachsen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand eine Schrift für so gar glücklich hält, der niemand widerspricht; aber jene Schrift muß man für vernünftig halten, der niemand mit vernünftigen Gründen widerspricht. So darf man auch nicht eine Handlung oder eine Entscheidung loben, die von niemand getadelt wird, sondern die, an der keiner etwas mit Recht auszusetzen hat.

3. Und wenn einer eine Tat nicht um ihrer selbst willen ausführt,93 so folgt noch nicht sofort, daß er sie unter dem Zwang von äußeren Umständen vollführt,94 vielmehr wird er handeln, indem er auf  Grund seiner Kenntnis göttlicher Dinge eine Sache in Angriff nimmt95 und sich den Verhältnissen anpaßt; denn wer die Tugend bereits besitzt, hat den Weg zur Tugend nicht mehr nötig, und ebensowenig braucht der Starke Erholung.

4. Aber ebenso wie die Landleute zuerst den Boden bewässern und dann den Samen hineinlegen,96 so bewässern auch wir mit dem, was von den Lehren der Griechen trinkbar ist, ihr Erdreich, so daß es den darauf gestreuten geistigen Samen aufnehmen und ihn leicht zum Wachstum bringen kann.

  

18.

1. Die „Teppiche“ werden aber die Wahrheit stets mit den Lehren der Philosophie vermischt enthalten, vielmehr in sie verhüllt und in ihnen verborgen, wie in der Schale der eßbare Kern der Nuß steckt. Denn wie ich meine, ziemt es sich, daß die Samenkörner der Wahrheit allein für die Ackersleute des Glaubens aufbewahrt werden.

2. Ich kenne freilich ganz gut das Gerede mancher Leute, die törichterweise vor jedem Geräusch erschrecken und behaupten, man müsse sich nur mit dem Nötigsten und nur mit dem beschäftigen, was für den Glauben unentbehrlich ist, dagegen müsse man das, was darüber hinausgehe, und alles Überflüssige übergehen, da es unsere Kraft unnütz aufreibe und uns bei dem festhalte, was für das Endziel nichts beitrage.

3.Andere glauben sogar, daß die Philosophie vom Übel sei und zum Verderben der Menschen durch irgendeinen bösen Erfinder in unser Leben eingedrungen sei.

4. Ich werde aber in meinen ganzen „Teppichen“ zeigen, daß das Schlechte von Natur schlecht ist und nie irgend etwas Gutes hervorbringen kann; dabei werde ich zugleich andeuten, daß auch die Philosophie in gewisser Hinsicht ein Werk göttlicher Vorsehung ist.

 

 

 

 

II. Kapitel

 

19.

1 Zur Verteidigung meiner Schrift, die da, wo es notwendig war, auch die griechischen Anschauungen  mitaufgenommen hat, sage ich den Tadelsüchtigen nur so viel: Zunächst auch angenommen, daß die Philosophie nutzlos ist, so ist sie doch nützlich, falls der sichere Nachweis ihrer Nutzlosigkeit nützlich ist.97

2. Ferner ist es auch nicht möglich, die Griechen zu verurteilen, wenn man nur den wörtlichen Bericht über ihre Lehrmeinungen verwendet, ohne sich in die Erklärung im einzelnen zu vertiefen und bis zur gründlichen Kenntnis fortzuschreiten.

3. Denn wirklich ganz sicher ist nur die auf eigener Erfahrung beruhende Widerlegung, weil ja auch als vollkommenster Beweis die Kenntnis dessen, was man verwirft, erfunden wird.98

4. Jedenfalls ziert den Fachmann auch vieles, was für den Hauptzweck nichts beiträgt, und überdies empfiehlt reiches Wissen den, der die hauptsächlichsten Lehren vorträgt, so daß sich die Hörer überzeugen lassen; denn es ruft bei den Unterwiesenen Bewunderung hervor und gewinnt sie dadurch für die Wahrheit.

  

20.

1. Vertrauenswürdig ist aber eine solche Beeinflussung der Seelen, durch die die Lernbegierigen veranlaßt werden, die Wahrheit, obwohl man Schlechtes von ihr sagt,99 anzunehmen. Die Folge wird eine doppelte sein: einerseits werden sie selbst nicht glauben, daß die Philosophie das Leben verderbe, indem sie die Urheberin trügerischer Verhältnisse und schlechter Taten sei, wie manche verleumderisch behauptet haben, während sie doch ein deutliches Abbild der Wahrheit, ein göttliches, den Griechen verliehenes Geschenk ist.

2. Andererseits werden auch wir nicht vom Glauben abgezogen werden, gleichsam von einer trügerischen Kunst verzaubert, vielmehr haben wir an ihr eine stärkere Wehr und verschaffen uns gewissermaßen eine Gelegenheit, uns darin zu üben, die Richtigkeit des Glaubens zu beweisen.

3. Ja auch die Verbindung der Lehren sucht die Wahrheit dadurch für sich zu gewinnen, daß sie die verschiedenen Lehren einander gegenüberstellt und miteinander vergleicht. Das Ergebnis davon ist dann die Erkenntnis, wobei die Philosophie nicht um ihrer selbst willen herangezogen wurde, sondern wegen der Frucht, die aus der Erkenntnis kommt, und wobei wir  eine feste Überzeugung von der Richtigkeit unserer Auffassung durch das Verstehen der verborgenen Gedanken erhalten.

4. Denn ich will davon schweigen, daß die „Teppiche“ durch die Aufnahme eines mannigfachen Wissensstoffes einen größeren Umfang gewonnen haben und so die Samen der Erkenntnis geschickt verbergen wollen.

  

21.

1. Wie also der Jagdliebhaber das Wild sucht, erspäht, aufspürt, mit Hunden jagt und so schließlich erlegt, so zeigt sich uns auch die Wahrheit nur, wenn sie mit Hilfe ihrer Süßigkeit aufgespürt und mit Anstrengung ausfindig gemacht ist.

2. Warum aber hat denn diese Schrift gerade diese Anordnung für gut gehalten? Weil es sehr gefährlich ist, die wirklich unaussprechlichen Lehren der wahren Philosophie denen auszuplaudern, die rücksichtslos und unbekümmert um das Recht100 alles mögliche einzuwenden entschlossen sind und dabei ohne eine Spur von Anstand alle möglichen Wörter und Ausdrücke aus ihrem Munde ausstoßen, wobei sie sich selbst betrügen und ihre Anhänger betören.

3. „Denn die Hebräer verlangen Zeichen“, wie der Apostel sagt, „die Griechen aber suchen Weisheit.“101

 

 

 

 

III. Kapitel

 

22.

1. Groß aber ist die Menge solcher Leute. Die einen von ihnen, von ihren Lüsten geknechtet, zum Unglauben entschlossen, verlachen die Wahrheit, die doch aller Verehrung würdig ist, und machen sich über ihre barbarische Herkunft lustig.

2. Die anderen blähen sich auf, bringen es mit Gewalt fertig, Verleumdungen gegen unsere Lehren ausfindig zu machen, und schaffen Streitfragen herbei; sie sind Phrasenjäger, Freunde von Künsteleien, „Zänker und Riemendreher“ (d.i. Freunde von Trugschlüssen) wie jener Mann aus Abdera sagt.102

3. Und bei dem Dichter heißt es: „Leicht ja bewegt sich die Zunge der Menschen, und viel sind die Reden; Hierhin und dorthin erstreckt sich das Feld für allerlei Worte.“  Und weiter: „Eben das Wort, das du selber gesagt, bekommst du zu hören.“103

4. Mit dieser Redefertigkeit brüsten sich die bemitleidenswerten Prunkredner (Sophisten) und reden entsprechend ihrer eigenen Torheit dummes Zeug. Ihr ganzes Leben mühen sie sich mit der Unterscheidung von Wortbedeutungen und der irgendwie beschaffenen Verbindung und Verknüpfung von Redensarten ab und erweisen sich geschwätziger als Turteltauben.104

5. In einer, wie mir scheint, eines Mannes unwürdigen Weise reizen und kitzeln sie die Ohren105 derer, die nach solchem Juckreiz Verlangen tragen, geradezu ein Strom von Worten, von Gedanken nur ein Tröpflein.106 So kommt es, daß bei ihnen wie an alten Schuhen alles andere schadhaft ist und zugrunde geht und nur die Zunge noch übrigbleibt.107

  

23.

1. Sehr gut spricht auch der Athener Solon seine unzweideutige Meinung aus, wenn er schreibt: „Seht ihr doch nur auf die Zung’ und die Worte des schmeichelnden Mannes. Einzeln geht jeder von euch in den listigen Bahnen des Fuchses; Allen zusammen jedoch steckt euch nur Torheit im Sinn.“108

2. Darauf spielt wohl jenes Wort des Heilands an: „Die Füchse haben Höhlen, des Menschen Sohn aber hat keine Stätte, wo er sein Haupt hinlegen kann.“109 Denn allein, meine ich, in dem Gläubigen, der völlig von den übrigen unterschieden ist, die von der Schrift als Tiere bezeichnet sind, findet das Haupt der Welt, der gute und sanfte Logos, Ruhe,

3. er, „der die Weisen in ihrer Schlauheit fängt; denn der Herr allein kennt die Gedanken der Weisen, daß sie töricht sind!“110 wobei die Schrift doch wohl „Weise“  die Sophisten nennt, die sich in der Wortwahl und in den Redekünsten hervortun.

  

24.

1. Daher haben die Griechen auch selbst Leute, die sich auf irgendeinem Gebiet hervortaten, zugleich Weise ((xxx) ) und mit dem davon abgeleiteten Wort Sophisten genannt.111

2. So sagte Kratinos in einem Stück „Archilochoi“, nachdem er Dichter hatte aufzählen lassen: „Welch ein Sophistenrudel habt ihr aufgespürt!“112

3. Und ähnlich wie der Lustspieldichter sagt auch Iophon in seinem Satyrspiel „Aulodoi“ (die zur Flöte Singenden) mit Bezug auf Rhapsoden und einige andere: „Und hereingekommen war Wohlausgerüstet der Sophisten große Schar.“113

4. Von diesen und von den ihnen Ähnlichen, von all denen, die sich mit eitlen Reden abgegeben haben, sagt die göttliche Schrift sehr schön: „Ich werde die Weisheit der Weisen zu schanden machen und den Verstand der Verständigen als wertlos erweisen.“114

 

 

 

 

IV. Kapitel

 

25.

1. Homer nennt aber auch einen Zimmermann weise,115 und über Margites, wenn dieses Gedicht wirklich von ihm stammt, sagt er etwa so: „Ihn ja machten die Götter nicht tüchtig im Graben und Pflügen Noch auch sonstwie weise ((xxx) sophos); es mangelt jegliche Kunst ihm.“116

2. Hesiodos ferner nennt den Kitharaspieler Linos „mannigfaltiger Weisheit kundig“117 und trägt kein Bedenken, einen Schiffer weise zu nennen, wenn er schreibt: „gar nicht weise geworden in Schiffahrt“118

3. Und der Prophet Daniel sagt: „Es steht nicht in der Macht von Weisen, Magiern, Beschwörern, Gazarenern, dem König das Geheimnis zu  verkünden, wonach der König fragt, sondern Gott im Himmel ist es, der es enthüllt.“119 Und so nennt er die Magier Babylons120 „Weise“.

4. Daß aber die Schrift mit dem gleichen Namen „Weisheit“ jede weltliche Wissenschaft oder Kunst bezeichnet und daß es deren viele gibt, die von dem menschlichen Verstand durch kluge Verknüpfung erfunden wurden, und daß die Erfindungsgabe des Künstlers und des Weisen (des Gelehrten) von Gott stammt, das wird uns deutlich werden, wenn wir folgende Stelle anführen:

5. „Und es redete der Herr mit Moses und sprach: Siehe, ich habe den Beseleel, den Sohn des Uri, den Enkel des Or, aus dem Stamm Juda, berufen und ihn mit dem göttlichen Geist der Weisheit und des Verstandes und der Geschicklichkeit in jedem Werk erfüllt, Pläne zu ersinnen und Bauten aufzuführen, das Gold und das Silber und das Erz und den Hyazinth und den Purpur und den Scharlach zu bearbeiten, und die Steinmetzkunst und die Kunst der Holzbearbeitung, damit er tätig sei in allerlei Arbeit.“121

  

26.

1. Dann fügt er den ganz allgemeinen Satz hinzu: „Und jedem, der in seinem Herzen verständig ist, habe ich Verstand gegeben“,122 das heißt jedem, der fähig ist, ihn mit Arbeit und Übung aufzunehmen. Und wiederum ist im Namen des Herrn ausdrücklich geschrieben: „Und du rede zu allen, die in ihrem Sinn weise sind, die ich mit dem Geiste des Verstandes erfüllt habe.“123

2. Es besitzen nämlich von Haus aus eine natürliche Begabung „die in ihrem Sinn Weisen“; sie erhalten aber „den Geist des Verstandes“ von der vollgültigsten Weisheit in doppelter Form, nachdem sie sich als geeignet dafür erwiesen haben.

3. Wer nämlich ein Handwerk oder eine Kunst betreibt, darf sich einer hervorragenden Schärfe der Sinne erfreuen, und zwar des Gehörs der gewöhnlich so genannte Musiker, des Tastsinns der Bildhauer, der Stimme der Sänger, des Geruchsinnes der Salbenbereiter, des Gesichts der Künstler, der auf den Siegelringen die Abbildungen eingraviert.

4. Wer sich aber mit der Wissenschaft befaßt, dem wird die geistige Begabung verliehen, vermittelst deren die Dichter  die Versmaße, die Prunkredner die Sprache, die Dialektiker die Schlüsse, die Philosophen ihr Lehrgebäude meistern können.

5. Denn die geistige Begabung zeigt ihre Stärke im Erfinden und Ersinnen, indem sie zu überzeugenden Versuchen anregt; den Versuch aber fördert die zum sicheren Wissen führende Übung.

  

27.

1. Mit Recht hat daher der Apostel die Weisheit Gottes „sehr mannigfaltig“124 genannt; denn sie erweist ihre Macht zu unserer Förderung „vielgestaltig und vielartig“125 durch Kunst, durch Wissenschaft, durch Glauben, durch Weissagung, weil „alle Weisheit vom Herrn stammt und bei ihm ist in Ewigkeit“,126 wie die Weisheit Jesu sagt.

2. „Denn wenn du die Weisheit und den Verstand mit lauter Stimme herbeirufst und nach ihr wie nach Schätzen Silbers suchst und ihr eifrig nachspürst, dann wirst du Gottesfurcht kennenlernen und göttlichen Verstand finden.“127 So hat der Prophet zum Unterschied von dem in der Philosophie zu gewinnenden Verstand gesagt, den zum Zweck des Fortschritts in der Gottesfurcht zu suchen er mit prächtigen und großartigen Ausdrücken lehrt.

3. Ihm hat er also den in der Gottesfurcht zu gewinnenden Verstand entgegengesetzt, wobei er auf die Erkenntnis hindeutete und folgendes sagte: „Denn Gott schenkt aus seinem Munde Weisheit und zugleich Verstand und Klugheit, und er speichert für die Gerechten Hilfe auf.“128 Denn für die von der Philosophie Gerechtfertigten wird als Hilfe auch der zur Gottesfurcht führende Verstand aufgespeichert.

 

 

 

 

V. Kapitel

 

28.

1. Nun war vor der Ankunft des Herrn die Philosophie für die Griechen zur Rechtfertigung notwendig; jetzt aber wird sie nützlich für die Gottesfurcht, indem sie eine Art Vorbildung für die ist, die den Glauben durch Beweise gewinnen wollen. „Denn dein Fuß“, so heißt es, „wird nicht anstoßen“,129 wenn du alles Gute, mag es sich bei den Griechen oder bei uns finden, auf die Vorsehung zurückführst.

2. Denn Urheber alles Guten ist Gott; aber bei dem einen wie dem Alten und dem Neuen Testament ist das unmittelbar um seiner selbst willen der Fall; bei  dem anderen wie der Philosophie ist es nur eine Folgeerscheinung.130

3. Vielleicht wurde die Philosophie aber auch um ihrer selbst willen den Griechen gegeben zu jener Zeit, bevor der Herr auch die Griechen berufen hatte; denn auch sie erzog das Griechenvolk für Christus wie das Gesetz die Hebräer.131 Demnach bahnt die Philosophie den Weg und bereitet den vor, der von Christus vollendet werden soll.

4. So sagt Salomon: „Schütze die Weisheit wie mit einem Wall, und sie wird dich erhöhen; mit einem prächtigen Kranze wird sie dich schützen wie mit einem Schilde“132 da ja auch du sie für die Sophisten unangreifbar machen wirst, wenn du sie durch die Philosophie und durch berechtigte Prunkentfaltung133 wie mit einem Wall befestigt hast.134

  

29.

1. Es gibt freilich nur einen einzigen Weg zur Wahrheit, aber in ihn münden wie in einen unversieglichen Strom die Gewässer von allen Seiten ein.

2. Mit göttlicher Weisheit ist daher gesagt: „Höre, mein Sohn, und nimm meine Worte auf“, so heißt es, „damit dir viele Lebenswege zuteil werden. Denn Weisheitswege will ich dich lehren, damit dir die Quellen nicht mangeln“,135 die aus der nämlichen Erde hervorsprudeln.

3. Jedoch hat er nicht nur bei einem einzigen Gerechten von mehreren Heilswegen geredet, er fährt vielmehr etwa folgendermaßen fort, wobei er auf viele andere Wege vieler Gerechter hinweist:136 „Die Wege der Gerechten leuchten gleich dem Licht.“137 Auch die Gebote und die Vorstufen der Bildung dürften ja Wege und Ausgangspunkte für das Leben sein.

4. „Jerusalem, Jerusalem, wie oft wollte ich deine Kinder sammeln wie eine Henne ihre Jungen!“138 Jerusalem wird aber mit „Gesicht des Friedens“ übersetzt. Der Herr gibt also in prophetischer Weise zu verstehen, daß die friedlich Schauenden auf  mancherlei Art für die Berufung erzogen worden sind.

5.Wie nun? Er wollte, aber er konnte nicht. Wie oft oder wo? Zweimal, durch die Propheten und durch sein Kommen. Als vielgestaltig erweist also die Weisheit der Ausdruck „wie oft“, und in jeder möglichen Gestalt sowohl hinsichtlich der Art und Weise als auch der Zahl der Wiederholungen rettet sie unter allen Umständen einige in der Zeit und in der Ewigkeit. „Denn der Geist des Herrn hat den Erdkreis erfüllt.“139

6. Und wenn jemand den Text vergewaltigt und behauptet, mit den Worten: „Merke nicht auf ein schlechtes Weib; denn Honig träufelt von den Lippen der Dirne“,140 sei die griechische Bildung gemeint, so höre er die folgenden Worte: „und eine Zeitlang ergötzt sie deinen Gaumen“,141 wie es heißt; die Philosophie aber schmeichelt nicht.

7. Wen meint nun die Schrift mit dem Weib, das zur Dirne wurde? Sie sagt es ausdrücklich in den folgenden Versen: „Denn die Füße der Torheit führen die, die sich mit ihr abgeben, mit dem Tode in die Unterwelt; ihre Fußspuren haben keinen festen Stand. Nimm also deinen Weg fern von der törichten Lust; tritt nicht an die Türen ihrer Wohnung, auf daß du nicht andern dein Leben preisgebest.“142

8. Und sie versichert noch dazu: „Dann wirst du es im Alter bereuen, wenn das Fleisch deines Körpers kraftlos geworden ist.“143 Denn dieses ist das Ende der törichten Lust.

9.Und so viel darüber. Wenn die Schrift aber sagt: „Verkehre nicht viel mit einem fremden Weibe!“144 so ermahnt sie damit, die weltliche Weisheit zwar zu verwenden, aber sich nicht anhaltend mit ihr zu beschäftigen und nicht andauernd bei ihr zu verweilen. Denn nur ein auf das Wort des Herrn vorbereitender Unterricht ist in dem enthalten, was zur rechten Zeit jedem Geschlecht zu seinem Nutzen gegeben worden ist.

10. „Denn schon manche haben, von den Reizen der Dienerinnen berückt, die Herrin, die Philosophie, vernachlässigt und sind alt geworden“145 teils in der Musik, teils in der Geometrie, teils in der Grammatik, die meisten aber in der Rhetorik.

  

30.

1. Wie aber die allgemeinen Wissenschaften Beiträge für ihre Herrin, die Philosophie, liefern, so hilft auch die  Philosophie selbst mit zum Erwerb der Weisheit. Denn die Philosophie ist eifrige Beschäftigung mit Weisheit; die Weisheit aber ist die Kenntnis göttlicher und menschlicher Dinge und ihrer Ursachen. Demnach ist die Weisheit Herrin über die Philosophie, so wie diese Herrin über die vorbereitenden Wissenschaften ist.

2. Denn wenn die Philosophie verspricht, die Beherrschung der Zunge, des Bauches und der Teile unter ihm zu lehren, und ihrer selbst wegen erstrebenswert ist, so wird sie noch erhabener und vorzüglicher erscheinen, wenn man sich der Ehre und der Erkenntnis Gottes wegen mit ihr beschäftigt.146

3. Für das Gesagte wird die Schrift mit folgendem ein Zeugnis geben: Sara war schon lange unfruchtbar und war Abrahams Weib. Da Sara kein Kind gebiert, überläßt sie ihre Magd, die Ägypterin Hagar, dem Abraham, um mit ihr Kinder zu zeugen.147

4. Die mit dem Gläubigen vermählte Weisheit (als gläubig aber und gerecht wurde Abraham erachten)148 war also zu jener Zeit noch unfruchtbar und kinderlos und hatte dem Abraham noch nichts Tugendhaftes geboren; da hielt sie es begreiflicherweise für richtig, daß er sich, da es für ihn bereits Zeit zum Fortschritt war, zuerst mit der weltlichen Bildung vermähle (mit dem allegorischen Ausdruck Ägypten ist die Welt gemeint)149 und erst später sich mit ihr selbst verbinde, um entsprechend der göttlichen Vorsehung den Isaak zu erzeugen.

  

31.

1. Philon übersetzt aber den Namen Hagar mit „Aufenthalt in der Fremde“150 (denn hier heißt es: „Verkehre nicht viel mit der Fremden!“),151 den Namen Sara aber mit „meine Herrschaft“152 Es ist also möglich, nach Vollendung der Vorbildung zu der Weisheit zu gelangen, die zur Herrschaft am fähigsten ist; aus ihr entsprossen, wächst das Geschlecht der Israeliten heran.

2. Damit ist bewiesen, daß die Weisheit, deren sich Abraham befleißigte, fähig  ist, zu lehren, da er von der Betrachtung der Himmelskörper zu dem gottgemäßen Glauben und zur Gerechtigkeit fortschritt.153

3. Isaak aber zeigt die Fähigkeit, etwas aus sich selbst zu lernen; deshalb wird er auch als Vorbild Christi erfunden. Dieser ist der Gatte einer einzigen Frau,154 der Rebekka, was man mit „Geduld“ übersetzt.155

4. Von Jakob aber wird erzählt, daß er mit mehreren Frauen verkehrt habe. Das entspricht dem, daß sein Name als „der Übende“ gedeutet wird (denn die Übungen finden an mehreren, verschiedenen Lehrmeinungen statt); deshalb erhält er auch den anderen Namen Israel, der in der Tat „zum Sehen Geschickte“,156 als ein Mann, der vielerfahren und fähig ist, sich zu üben.

5. Auch noch etwas anderes dürfte durch die drei Erzväter kundgetan sein, daß nämlich das Siegel der Erkenntnis echt ist, wenn es aus Naturanlage, Lernen und Übung besteht.157

6. Als ein anderes Gleichnis des Gesagten kannst du noch Thamar nehmen, die sich an einem Kreuzwege niedergesetzt und den Anschein, eine Dirne zu sein, erweckt hatte. Diese betrachtete der lernbegierige Judas (er wird mit „mächtig“ erklärt),158 der nichts ungeprüft und unerforscht ließ, und „bog zu ihr ab“; er blieb aber seinem Bekenntnis zu Gott treu.159

  

32.

1. Deshalb geschah auch folgendes. Als Sara auf Hagar, die sie an Glück übertraf, eifersüchtig war, da sagte Abraham zum Zeichen dafür, daß er von der weltlichen Philosophie nur das Nützliche ausgewählt hatte: „Siehe, das Mädchen ist in deiner Hand; tu mit ihr, was dir gefällt!“ Damit will er sagen: Ich weiß zwar die weltliche Bildung zu schätzen, jedoch ohne zu vergessen, daß  sie noch jung und nur deine Dienerin ist; deine Wissenschaft aber achte und verehre ich als die im reifen Alter stehende Herrin.160

2. „Und Sara bedrängte sie“,161 was gleichbedeutend ist mit: sie strafte und ermahnte sie.162 Es ist also trefflich gesagt: „Verachte, mein Sohn, die Zucht Gottes nicht und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, und er schlägt jeden Sohn, den er annimmt.“163

3. Wenn wir die soeben angeführten Schriftworte an anderen Stellen untersuchen, werden wir darlegen, daß sie andere Geheimnisse verkünden.

4. Wir sprechen es also von jetzt an ganz offen aus: Die Philosophie hat die Erforschung der Wahrheit und des Wesens der Dinge zur Aufgabe (es handelt sich aber um die Wahrheit, von der der Herr selbst sagte: „Ich bin die Wahrheit“164); andererseits schult die auf die Ruhe in Christus vorbereitende Bildung den Geist, weckt den Verstand und erzeugt Gewandtheit im Suchen nach der wahren Philosophie.165 Diese besitzen die Eingeweihten, nachdem sie sie gefunden oder vielmehr von der Wahrheit selbst erhalten haben.

 

 

 

 

VI. Kapitel

 

33.

1. Viel trägt aber die durch die Vorübung erlangte Fertigkeit dazu bei, daß man das Nötige sieht. Übungsfeld für den Geist kann aber nur das Geistige sein. Dessen Wesen ist dreifach und wird im Zählbaren und Meßbaren und Gedachten166 gesehen.

2. Denn die auf Beweise gestützte Lehre flößt der Seele dessen, der sich von ihr leiten läßt, unerschütterlichen Glauben ein, daß er nicht einmal an die Möglichkeit denkt, das Bewiesene könnte sich auch anders verhalten, und sie läßt ihn den Bedenken nicht unterliegen, die sich, um uns zu täuschen, heimlich bei uns einstellen.

3. Bei solcher Beschäftigung mit den Wissenschaften wird also die Seele von den Sinnendingen gereinigt und neubelebt, damit sie endlich die Wahrheit  sehen kann.167

4, „Wenn nämlich die gute Erziehung und die treffliche Bildung festgehalten werden, so bringen sie tüchtige Naturen hervor, und die trefflichen Naturen, die eine solche Bildung erhalten, werden noch besser als die früheren, sowohl im übrigen als auch hinsichtlich der Fortpflanzung des Geschlechts, wie das auch bei den anderen Lebewesen der Fall ist.“168

5, Deshalb sagt auch die Schrift: „Gehe zur Ameise hin, du Fauler, und werde weiser als sie“, die in der Erntezeit reichliche und mannigfache Speise für die drohende Winterzeit aufspeichert.

6. „Oder gehe zur Biene und lerne, wie tätig sie ist!“169 Denn auch sie holt Honig von der ganzen Wiese und stellt eine einzige Wabe her.

  

34.

1. Wenn du aber in deiner Vorratskammer zu Gott flehst, wie der Herr lehrte,170 und im Geiste anbetest,171 so soll deine Fürsorge nicht mehr nur deinem Hause gelten, sondern auch deiner Seele, auf welchen Gebieten du für sie Nahrung suchen sollst und auf welche Weise und wie viel, und was du in ihr aufbewahren und aufspeichern sollst,172 und wann du das hervorholen sollst und für wen.173 Denn nicht durch Geburt, sondern durch Lernen entstehen die tüchtigen und erfahrenen Männer, wie Ärzte und Steuerleute.174

2. Wir sehen zwar alle in gleicher Weise den Weinstock und das Pferd, aber nur der Weingärtner wird erkennen, ob der Weinstock gut oder schlecht im Fruchttragen ist, und nur der Pferdekenner wird leicht unterscheiden, ob das Pferd leidenschaftslos oder feurig ist.

3. Daß aber einige mehr Anlage zur Tugend haben als andere, das zeigt sich darin, daß die in dieser Hinsicht besser als die anderen Veranlagten die Neigung zu gewissen Tätigkeiten haben.

4. Damit ist aber noch in keiner Weise bewiesen, daß die besser Veranlagten irgendwie schon die Vollkommenheit in der Tugend erreicht hätten, da ja auch die zur Tugend schlecht Veranlagten, wenn sie nur die richtige Erziehung erhielten, in der Regel treffliche Leistungen vollbrachten und andererseits im Gegensatz dazu die vorzüglich Veranlagten durch  Vernachlässigung schlecht geworden sind. Gott hat uns aber mit der natürlichen Anlage für die Pflege der menschlichen Gemeinschaft und für die Gerechtigkeit geschaffen.

  

35.

1. Daher darf man auch nicht behaupten, daß, was gerecht ist, sich nur dadurch zeige, daß es festgesetzt wird; vielmehr muß man erkennen, daß durch das Gebot nur die von der Schöpfung herrührende Anlage zum Guten angeregt wird, indem die Seele durch den Unterricht zu dem Entschluß erzogen wird, das Edelste zu wählen.175

2. Wie wir es aber für möglich erklären, daß man ohne Kenntnis der Schreibkunst gläubig sein kann,176 so sind wir darüber einig, daß man die im Glauben enthaltenen Lehren unmöglich verstehen kann, ohne zu lernen. Denn die richtigen Lehren anzunehmen und die anderen zu verwerfen, dazu befähigt nicht einfach der Glaube, sondern nur der auf Wissen beruhende Glaube.

3. Und wenn Unwissenheit die Folge davon ist, daß man nicht unterrichtet wurde und nichts lernte,177 so gewährt der Unterricht die Kenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge.178

4. Wie man aber bei Armut an Lebensunterhalt ein rechtschaffenes Leben führen kann, so ist es auch bei Überfluß möglich, und nach unserer Ansicht kann man leichter und zugleich schneller mit Hilfe der Vorbildung die Tugend erjagen, die auch ohne sie nicht unerreichbar ist, freilich auch dann nur für die, die etwas gelernt haben und „geübte Sinne“179 besitzen.

5. „Denn der Haß“, sagt Salomon, „erregt Streit, dagegen die Wege des Lebens wahrt die Bildung“180 so daß wir nicht getäuscht, so daß wir nicht betrogen werden von denen, die zum Schaden ihrer Hörer Arglist ersonnen haben.

6. „Eine Bildung aber, die nicht mit zurechtweisender Widerlegung verbunden ist, geht in die Irre“, heißt es181 und man muß sich mit der Gattung (der Rhetorik), die das Widerlegen lehrt, beschäftigen,182 damit man die trügerischen Meinungen der Sophisten abweisen kann.

  

36.

 1. Trefflich schreibt gewiß auch der Vertreter der eudämonistischen Ethik Anaxarchos183 in seiner Schrift über das Königtum: „Vielwissen nützt zwar sehr, schadet aber auch sehr dem, der es besitzt. Es nützt dem, der geschickt ist, schadet aber dem, der leichtfertig jedes Wort und vor allem Volk ausspricht. Man muß die Grenzen der richtigen Zeit kennen, denn das ist der Markstein der Weisheit. Wer aber zur Unzeit einen Satz vorträgt, mag er auch an sich verständig sein, gilt nicht als weise, sondern wird für töricht gehalten“.184

2. Und Hesiodos sagt: „Musen, die ja den Sänger mit Reichtum an Worten beschenken, Göttlich begeistert ihn machen und kundig der Sprache.“185 Denn mit dem Ausdruck (xxx) polyphradmon meint er den, der reich an Worten ist, mit (xxx) audäeis den, der sie wirksam zu verwenden weiß, und mit (xxx) thespios den, der erfahren, weisheitsliebend und der Wahrheit kundig ist.

 

 

 

 

VII. Kapitel

 

37.

1. Es ist also klar, daß die als Vorbildung dienende Wissenschaft zusammen mit der Philosophie von Gott her zu den Menschen gekommen ist, nicht als Hauptsache und um ihrer selbst willen, sondern in der gleichen Weise, wie die Regengüsse auf das gute Land und auf die Dungstätte und auf die Häuser herabstürzen. Es sprießt aber in gleicher Weise Unkraut und Weizen hervor, und auch auf den Gräbern wachsen Feigenbäume und sonst Bäume, die keiner besonderen Pflege bedürfen, und was so wächst, übertrifft der äußeren Erscheinung nach die edlen Pflanzen, weil es die nämliche Wirkung des Regens erfuhr; aber es hat nicht die gleiche Anmut erlangt wie das auf fettem Boden Gewachsene, indem es entweder vertrocknete oder zerrupft wurde.

2. Und auch hier ist das Gleichnis vom Säen verwendbar, das der Herr auslegte. Denn nur einer ist der Ackersmann, der das menschliche Ackerfeld bestellt, er, der von Anfang an seit der Erschaffung  der Welt die Nahrung spendenden Samenkörner ausstreut und zu jeder Zeit den wirksamen Regen seines Wortes herabströmen läßt, während Zeit und Ort, je nachdem sie zur Aufnahme des Samens geeignet waren, die Unterschiede hervorriefen.186

3. Außerdem sät der Landmann nicht nur Weizen (freilich gibt es auch von ihm mehrere Arten), sondern auch die übrigen Samen, Gerste, Bohnen, Erbsen, andere Schotenfrüchte und die Samen für Gartengewächse und für Blumen.

4. Zu der gleichen Landwirtschaft gehört aber auch die Baumpflege, alle die Arbeiten, die es in den Baumschulen selbst und in den Parkanlagen und im Obstgarten und überhaupt beim Pflanzen und Pflegen mannigfacher Bäume zu verrichten gibt.

5. Ebenso sind nicht nur die Schafzucht, sondern alle die Tätigkeiten, die Rinderzucht, die Pferdezucht, die Hundezucht, die Bienenzucht, kurz alle Arten von Herdenhaltung und Tierzucht zwar voneinander dadurch verschieden, daß die einen mehr, die anderen weniger nützlich sind, jedoch nützlich fürs Leben sind alle.

6. Wenn ich aber von Philosophie rede, so meine ich damit nicht die stoische oder die platonische oder die epikureische und aristotelische, sondern alle die guten Gedanken, die bei jeder einzelnen von diesen Richtungen ausgesprochen wurden und Gerechtigkeit, verbunden mit frommem Wissen, lehren, diese ganze Auswahl187 nenne ich Philosophie. Was sie aber aus menschlichen Gedankengänge hergenommen und gleich gefälschten Münzen ausgegeben haben, das werde ich nie göttlich nennen.

  

38.

1. Jetzt wollen wir auch noch die Tatsache erwägen, daß Leute, die kein Wissen haben, auch wenn sie je ihr Leben rechtschaffen hinführen, noch nicht vollkommen werden allein durch ihr gutes Handeln.188 Denn ihr Gutestun beruht nur auf Zufall, ebenso wie manche zu der Lehre von der Wahrheit durch ihre natürliche Begabung glücklich gelangen; „Abraham aber wurde nicht infolge von Werken gerechtfertigt, sondern auf Grund seines Glaubens.“189

2. Es nützt ihnen also nach dem Ende des Lebens nichts, auch wenn sie jetzt gute Werke tun, wenn sie nicht  Glauben haben.

3. Denn deshalb wurde die Heilige Schrift in die Sprache der Griechen übersetzt, daß sie nie einen Vorwand für ihre Unwissenheit vorschützen könnten, da sie in der Lage waren, auch unsere Lehren zu hören, wenn sie nur wollten.

4. Anders spricht jemand über die Wahrheit, anders legt sich die Wahrheit selbst aus. Ein anderes ist das Vermuten der Wahrheit, ein anderes die Wahrheit selbst; etwas anderes ist das Abbild, etwas anderes das Seiende selbst; und das Abbild wird durch Lernen und Üben gewonnen, die Wahrheit selbst aber durch Kraft und Glauben.

5. Denn ein Geschenk ist der Unterricht in der Gottesfurcht, und Gnade ist der Glaube. Denn indem wir Gottes Willen tun, erkennen wir seinen Willen.190 „Öffnet also“, so sagt die Schrift, „die Tore der Gerechtigkeit, damit ich durch sie einziehe und den Herrn preise!“191

6. Da aber Gott in seiner Güte auf vielerlei Weise Rettung bringt, gibt es viele verschiedenartige Wege zur Gerechtigkeit, und sie münden in den Hauptweg und führen zu dem Haupttor. Wenn du aber nach dem königlichen und wirklich gültigen Eingang suchst, so wirst du hören: „Dieses ist das Tor des Herrn; Gerechte werden hier einziehen.“192

7.„Da nun viele Tore geöffnet waren, so war das Tor zur Gerechtigkeit das Tor in Christus, und selig sind alle, die hier hineinziehen und ihren Weg gerade gehen in Heiligkeit“193 der Erkenntnis.

8. Dementsprechend setzt Clemens in seinem Brief an die Korinther die Unterschiede der in der Kirche Bewährten auseinander und sagt wörtlich: „Mag einer gläubig sein, mag er fähig sein, Erkenntnis auszusprechen, mag er weise sein in Unterscheidung von Reden, mag er gewaltig in Werken sein.“194

 

 

 

VIII. Kapitel

 

39.

1. Die sophistische Kunst, auf die sich die Griechen mit Eifer gestürzt haben, ist die Gewandtheit in der Beeinflussung der Vorstellungen, geschickt darin, durch Reden falsche Meinungen als wahre der Seele einzuflößen. Sie bietet nämlich für die Überredung die Rhetorik, für den  Wortkampf die Eristik (Disputierkunst) dar. Wenn nun diese Künste nicht zusammen mit Philosophie verwendet werden, dürften sie für jedermann höchst schädlich sein.

2. Platon hat wenigstens die Sophistik geradezu eine Unglückskunst genannt,195 und im Anschluß an ihn bezeichnet Aristoteles sie als eine Art von Diebesfertigkeit,196 da sie sich die ganze Aufgabe der Weisheit in glaubhafter Weise heimlich aneignet und eine Weisheit zu lehren verheißt, um die sie sich nie gekümmert hat.

3. Um es kurz zu sagen: Wie bei der Rhetorik der Ausgangspunkt das Glaubhafte, der Hauptteil die Schlußfolgerung und das Endziel die Überzeugung ist, so ist bei der Eristik der Ausgangspunkt das Scheinbare, der Hauptteil der Kampf und das Endziel der Sieg.

4. In der gleichen Weise ist auch bei der Sophistik Ausgangspunkt der Schein, der Hauptteil doppelter Art, wobei aus der Rhetorik die ausführliche Darstellung, aus der Dialektik der fragende Teil stammt,197 und das Endziel ist die Verblüffung.

5. Und die in den Schulen vielgerühmte Dialektik erweist sich als eine Übung des Philosophen an dem Wahrscheinlichen um der Fähigkeit zu widerlegen willen.198 Aber in alldem ist nirgends die Wahrheit.

  

40.

1. Mit Recht sagt daher der edle Apostel, indem er diese überflüssigen Redekünste verächtlich macht: „Wenn jemand nicht gesunden Lehren zustimmt, sondern irgendeiner Lehre, so ist er aufgebläht, ohne etwas zu verstehen, vielmehr krankt er an Auseinandersetzungen und Wortgefechten, infolge deren Streit, Neid, Schmähung, böser Argwohn, fortwährendes Gezänk von Leuten entsteht, die den gesunden Verstand verloren haben und der Wahrheit beraubt sind.“199

2 Du siehst, wie er gegen sie aufgebracht ist und ihre Wortkunst eine Krankheit nennt, mit der sich diejenigen brüsten, denen diese geschwätzige Unglückskunst lieb ist, mag es sich dabei um Sophisten bei den  Griechen oder bei den Nichtgriechen handeln.

3. Sehr gut sagt daher der Tragiker Euripides in den Phönizierinnen: „Doch das ungerechte Wort, Krank in sich selbst, bedarf der weisen Arzenei’n.“200

4. Denn „gesund“201 ist die heilsame Lehre genannt, die selbst Wahrheit ist, und das, was immer gesund ist, bleibt unsterblich; dagegen bedeutet die Trennung von dem Gesunden und Göttlichen Gottlosigkeit und todbringende Krankheit.

5. Das sind reißende Wölfe, die in Schaffelle verhüllt sind,202 zungenfertige Sklavenhändler203 und Menschenräuber, die im geheimen stehlen, aber als Räuber überführt werden,204 die eifrig bemüht sind, mit List und Gewalt uns zu fangen, die sie für einfältig erklären, da wir ihnen im Reden nicht gewachsen sind.

  

41.

1. „Der Mann, dem Sprachgewandtheit fehlt, erliegt gar oft, Wenn auch gerecht sein Wort, dem sprachgewandten Mann.“205 „Mit Wortschall decken sie die klare Wahrheit zu, Daß gut nicht mehr erscheint, was so erscheinen soll.“206 So sagt die Tragödie.

2. Das sind diese zanksüchtigen Wortklauber (Eristiker), mögen sie sich nun bestimmten Richtungen anschließen oder nur ihre dialektischen Künsteleien treiben; das sind die, „die die Webebäume herabziehen und doch nichts weben“,207 wie die Schrift sagt, die sich mit nutzloser Arbeit abmühen, die der Apostel „Falschspiel der Menschen und Verschlagenheit“ genannt hat, nur „für die Arglist des Irrwahns“208 geeignet.

3. „Denn es gibt“, sagt der Apostel, „viele unbotmäßige Leute, hohle Schwätzer und Verführer.“209 Es ist also durchaus nicht zu allen gesagt: „Ihr seid das Salz der Erde.“210

4. Denn auch von denen, die das Wort gehört haben, sind manche den Meerfischen ähnlich, die, obwohl sie von Anfang an im  Salzwasser leben, doch noch Salz zur Zubereitung brauchen.

5. Ich stimme also für meinen Teil der Tragödie völlig bei, wenn sie sagt: „Mein Sohn, auch wohlgesprochene Reden können doch Auch falsch sein und besiegen durch der Worte Pracht Die Wahrheit; aber nicht dies hat den größten Wert, Vielmehr Natur und Recht. Wer durch Beredsamkeit Den Sieg erringt, ist weise zwar; mir aber scheint Die Wirklichkeit stets stärker als das Wort zu sein.“211

6. Man darf also nie darnach streben, der Masse zu gefallen. Denn mit dem, was jener Freude macht, beschäftigen wir uns nicht; was aber wir wissen, ist weit entlegen von der Geistesverfassung jener Leute.212 „Laßt uns nicht voll eitler Ruhmsucht sein“, sagt der Apostel, „indem wir einander herausfordern, einander beneiden!“213

  

42.

1. So sagt auch Platon, der Freund der Wahrheit, gleichsam von Gottes Geist beseelt: „Denn ich bin so eingestellt, daß ich nichts anderem gehorche als dem Grundsatz, der sich mir bei der Überlegung jedesmal als der beste zeigt.“214

2. Er macht ja auch denen Vorwürfe, die ohne Verstand und Wissen irgendwelchen Meinungen Glauben schenken215 in der Überzeugung, daß es sich nicht gezieme, die richtige und gesunde Lehre aufzugeben und dem zu glauben, der Anteil an der Lüge gibt. Denn um die Wahrheit betrogen zu sein, ist ein Übel; die Wahrheit dagegen zu besitzen und die richtige Meinung zu haben, das ist ein Gut.

3. Wenn aber Menschen eines Gutes beraubt werden, so geschieht das nicht mit ihrem Willen; aber sie werden doch beraubt, indem sie bestohlen oder betrogen werden oder indem man ihnen Gewalt antut oder indem sie einer unwahren Rede Glauben schenken.216

4. Wer nun einer Lüge Glauben schenkt, der erleidet schon mit eigenem Willen Schaden. Bestohlen wird nun der, der sich zu einer anderen Ansicht bereden läßt, und der, der vergißt; denn bei den einen ist es die Zeit, bei den andern die Rede, die ihnen unvermerkt etwas raubt; und mit Gewalt zwingt oft Schmerz und Kummer und Streit und Zorn dazu, die  Ansicht zu ändern, und schließlich werden diejenigen betrogen, die (ihre Meinung ändern, weil sie) sei es von einer Lust berückt, sei es von einer Furcht geängstigt sind.217 Doch in allen diesen Fällen handelt es sich um unfreiwillige Änderungen der Meinung, aber keine von diesen Ursachen könnte festes Wissen verdrängen.

 

 

 

 

IX. Kapitel

 

43.

1. Einige Leute aber, die sich für besonders begabt halten, erklären es für richtig, daß man sich weder mit Philosophie noch mit Dialektik beschäftigt, ja daß man nicht einmal die Naturwissenschaft erlernt, und fordern einzig und allein den Glauben. Das ist aber gerade so, wie wenn sie, ohne irgendwelche Mühe auf die Pflege des Weinstocks verwendet zu haben, gleich von Anfang an die Trauben ernten wollten.

2. Mit dem „Weinstock“218