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Adrik, der mächtigste aller Wächter, wurde unter dem Deckmantel eines erfolgreichen Musikers wiedergeboren. Leben, das ist alles, was er will, und sein Ziel ist es, Rache an denen zu nehmen, die ihn über Jahrtausende hinweg daran gehindert haben. Sie sollten alle dasselbe Schicksal erleiden. Das ist zumindest das, was das Herz des Schlangenträgers am meisten begehrt. Doch als er eines Nachts nach einem Konzert auf einen seiner Gegner aus der Vergangenheit trifft, ahnt er nicht, dass sie ihm Verständnis entgegenbringen würde. Warum hegt sie solch eine Abneigung gegen ihre Verbündeten, wenn diese genauso wie sie für sein Schicksal verantwortlich sind? Könnte sie möglicherweise zu einer Komplizin werden, die ihm dabei helfen würde, die restlichen Puzzleteile der Erinnerungen seines früheren Ichs wiederzufinden? Er muss endlich herausfinden, warum es ihn so sehr nach Rache gelüstet und wer diese fremde und zugleich doch bekannte Dame ist. Ob sie bereit wäre, Adrik bei seinem blutigen Racheplan zu unterstützen? Jemandem, der einst zu seinen Feinden gehörte, zu vertrauen wäre riskant und was ist, wenn sie ihn von Neuem ins Verderben stürzt?
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Seitenzahl: 326
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The Return of the Ophiuchus
Darien Blum
© 2023 Darien Blum
Lektorat: Susanna Schober (https://www.lektorat-detailteufel.at)
ISBN Softcover: 978-3-347-99351-8
ISBN E-Book: 978-3-347-99353-2
Druck und Distribution im Auftrag :
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Dreizehn Sternzeichen bedeutet, dass es dementsprechend viele Figuren gibt. Damit du dir als Leser nicht wie beim Vokabeln-Auswendiglernen im Englischunterricht vorkommst, was bei der Menge an Charakteren durchaus passieren kann, findest du hinten im Buch eine Liste, in der du jederzeit nachschlagen kannst, welche Figur welches Sternzeichen verkörpert.
Prolog
♊ DIE TIERKREISWÄCHTER ♊
Die Tierkreiswächter weilen schon seit der Existenz der Menschheit auf der Erde. Sie sorgen mit ihren einzigartigen Fähigkeiten für ein gesundes Gleichgewicht und eine Menge Vielfalt auf unserem blauen Planeten. Sie wachen über die Erde und schützen diese mit allem, was in ihrer Macht steht. Erinnerst du dich an den Komet, der zuletzt auf die Erde zugerast ist und sie am Ende doch verfehlt hat? Du glaubst, es war Zufall? Nein, es waren die Wächter, welche ihn davon abgehalten haben, auf der Erde einzuschlagen.
Element Wasser:
Skorpion, Fische, Krebs
Sie beschützen die Gewässer vor schrecklichen Verschmutzungen der Menschen und halten die Meeresbewohner am Leben. Schätze ihre Arbeit und achte auf eine saubere Umgebung, denn sie sind sensibel und zeigen ihre Trauer mit schlimmen Fluten, zerstörerischen Überschwemmungen und pausenlosem Regen.
Element Feuer:
Schütze, Widder, Löwe
Sie versorgen uns und die wunderschöne Natur mit Sonnenstrahlen, Wärme und Vitamin D. Damit können die Bäume, welche wir so sehr zum Leben brauchen, wachsen. Doch verärgern wir Menschen die stolzen Feuerbändiger, werden sie uns mit unerträglicher Hitze, Vulkanausbrüchen und dem Austrocknen der Natur bestrafen.
Element Erde:
Steinbock, Stier, Jungfrau
Die Erdbändiger sorgen für reine und fruchtbare Böden, aus denen mit Hilfe der Feuer und Wasserkrieger kräftige Bäume, schöne Blumen sowie Nahrung wachsen können. Sei immer dankbar für dein täglich Brot, welches sie dir geben, sonst werden sie uns mit Erdbeben und unfruchtbarem Boden bestrafen.
Element Luft:
Wassermann, Zwilling, Waage
Die Luftbändiger brauchen wir Menschen wie die Luft zum Atmen. Denn sie sorgen für eine reine, saubere Luft und filtern sie von allen Schadstoffen und schlechten Umwelteinflüssen, die uns krank machen würden. Verletze niemals ihren Stolz oder mache dich über sie lustig, denn sie sind eiskalt und werden dich sofort ersticken lassen.
Element Geist und Verstand:
Der Schlangenträger
Und jedes Mal, wenn es Zeit für sie ist, das Zeitliche zu segnen, werden sie unter den Menschen wiedergeboren. Immer und immer wieder. Du würdest sie niemals erkennen, da sie in ihrer menschlichen Gestalt aussehen wie du und ich.
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Prolog
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Der Schlangenträger
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Eine schicksalhafte Begegnung
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Offenbarung
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Steinbock
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Taten haben Konsequenzen
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Alte Bekannte
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Konfrontation
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Jungfrau
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Löwe
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Das Geheimnis um den schwarzen Kristall
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Eine traurige Botschaft
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Die Hüter seiner Macht
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Eine erschütternde Erkenntnis
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Veränderung
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Große Verluste
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Ungleichgewicht
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Wiedergeburt
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Der Untergang
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Der Anfang vom Ende
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Krieg
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Ein Ende und ein Anfang
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Der Schlangenträger
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Ein Ende und ein Anfang
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✰ Der Schlangenträger ✰
Es war Freitagabend, als sich Violet von ihren Freundinnen verabschiedete, mit denen sie gemeinsam auf einem Konzert gewesen war. Normalerweise hätte sie an diesem Tag darauf verzichtet, immerhin hatte sie die kommende Nacht zu schuften. Doch da sie die Tickets bereits letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, machte sie dieses Mal eine Ausnahme. Und gelohnt hatte es sich allemal. Violet hatte schon viele Musiker live gesehen und obwohl sie die Texte der Band „Insane Anarchy“ so sehr liebte, hatte sie diese Gruppe an diesem Abend zum ersten Mal live gesehen. Schließlich konnte sie sich mit dieser sehr gut identifizieren. In ihren Texten ging es nämlich oft um gesellschaftliche Kritik oder andere wichtige Themen, die es nicht zu ignorieren galt. Dies versuchten die Jungs der fünfköpfigen Rockband auf eine sehr provokante Weise, die der ein oder andere wohl eher als linksradikal bezeichnen würde, der Welt mit großem Erfolg mitzuteilen. Denn auch Violet war Teil einer Randgruppe, in welcher sie sich unterdrückt und unverstanden fühlte. Aber dank der großen Fangemeinde wusste sie, dass sie damit nicht allein war. „Wir sehen uns“, sagte sie mit einem Lächeln an ihre Freunde gewandt und setzte ihren Gang in die entgegengesetzte Richtung fort. In Richtung desselben beschissenen Schuppens, wie beinahe jeden Abend, der sich ihr Arbeitsplatz nannte. Unwissend, was ihr diese Nacht geschehen würde.
Und da war er wieder. Derselbe leere Blick, den sie immer hatte, sobald sie für sich allein war. Der Gesichtsausdruck, den niemand außer ihr eigenes Spiegelbild je zu Gesicht bekam. Da war ihr Stolz doch zu groß, jemandem zu zeigen, wie allein sie sich in Wirklichkeit fühlte. Falls man es so nennen konnte. Innere Leere traf es wohl eher. Wie sollte man sich auch anders fühlen, wenn man noch nie jemanden hatte, der zu Hause saß und auf einen wartete? Wenn sich kein Ort wie ein zu Hause anfühlte? Kein Ort, an dem man ankommen und sich fallen lassen konnte. Keine Arme, die einen auffingen, wenn man fiel. Niemand, der einem das Gefühl von Sicher- und Geborgenheit schenken konnte oder wollte. Natürlich hatte sie Freunde, doch konnte man diese höchstens als Partybekanntschaften bezeichnen. Aber wen wunderte das? Wer konnte und wollte all dies einer Ex-Inhaftierten geben? Einer Ex-Inhaftierten, die sich lediglich wehren wollte. Gegen diese ekelhaften Männer, welche Violet so sehr hasste.
„Beeil dich, Violet!“, sprach eine dunkle und verrauchte Stimme, als sie den Schuppen „Private Club For Gentlemen“ betrat, die von niemand anderem als von ihrem Vorgesetzten Francis Snyder war. Ein großer, breiter Mann mit bereits leicht ergrautem Haar, dessen Weste mittlerweile mehr als dreckig sein musste. Da war Violet sich sicher. Ein Mann mit großem Einfluss in den schmutzigen Geschäften Amerikas.
„Entschuldige. Ich werde mich beeilen“, murmelte sie und verdrehte die Augen, als sie aus seinem Sichtfeld verschwunden war.
„Hi Sabrina“, begrüßte sie eine ihrer Kolleginnen in der Umkleidekabine, entkleidete sich und zog sich ein schwarzes Lederdessous mit Harnessdetails an. Anschließend setzte sie sich an den Schminktisch und frischte ihren schwarzen Lippenstift auf. Mit einer Bürste ging sie noch einmal durch ihre schulterlangen, lavendelfarbenen Haare, ehe sie sich erhob und den Raum wieder mit einem genervten Seufzer verließ.
Gerade rechtzeitig betrat sie die Bühne und begann langsam mit aufreizenden Bewegungen an der Stange zu tanzen. Der Club leuchtete abwechselnd in roten und violetten Tönen, wobei alles andere in Schwarz gehalten wurde. Die Gäste tranken, unterhielten sich und sahen nebenbei den Tänzerinnen zu. Während Violet sich auf der Bühne rekelte, flirtete sie über Blicke mit den Gästen, welche ihr bereits den einen oder anderen Schein vor die Füße warfen. Violet hasste sie. Die lüsternen Blicke der Männer, gegen die sie einen unermesslichen Hass hegte. Doch war sie so gut in dem, was sie machte, dass keiner je bemerken würde, dass sie das hier niemals freiwillig tat.
Ihr Blick glitt kurzzeitig zum Eingang, als fünf junge Leute, deren Gesichter ihr bekannt vorkamen, den Club betraten. Drei Männer und zwei Frauen in Begleitung eines großen, in schwarz gekleideten Herren, der so aussah, als wäre er dazu verpflichtet, für deren Sicherheit zu sorgen. Es war Tyrone. Tyrone Villar und seine Band Insane Anarchy. Warum sollte ausgerechnet er sich in einem Schuppen wie diesem aufhalten? War das nicht widersprüchlich zu dem, was er unter anderem kritisierte? Vielleicht doch nur ein Heuchler, welcher Profit aus gespielter Gutmenschlichkeit schlug?
Violet war angewidert und wusste nicht, wie das Ganze nun zu deuten war. Für einen kurzen Moment dachte sie sogar, dass er ihr die Show stehlen würde. Doch die meisten hier schienen sich zu seinem Glück nicht für ihn zu interessieren. Wieso auch? Die Leute hier waren absolut nicht die, die das, was er machte, unterstützten. Ein Ort wie dieser wimmelte nur so vom menschlichen Abfall der Gesellschaft. Die fünf platzierten sich in eine Sitzecke, direkt vor der Bühne und bestellten sich etwas zu trinken.
Tyrone war sicher nicht zum Spaß hier, sondern aus einem ganz bestimmten Grund. Nachdem der besagte junge Mann und seine Gruppe die Getränke erhalten hatten, musterte er die zierliche Tänzerin auf der Bühne ganz genau. Es schien beinahe so, als würde er sie analysieren wollen. Dies blieb nicht unbemerkt, allerdings versuchte er auch nicht, es zu verstecken. Violet spürte seine prüfenden Blicke, doch sie wandte sich ab und machte so weiter wie zuvor. Eine kurze Weile später würdigte sie ihm dann doch noch des ein oder anderen Blickes, um des Geldes Willen mit ihm zu flirten. Vor allem, weil er zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich das meiste Geld in den Taschen hatte.
Tyrone versuchte sich so gut es ging zu konzentrieren, doch waren die Stimmen der Menschen um ihn herum einfach viel zu laut. Somit spielte er Violets Spiel mit und schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln. Als sie fertig war und von einem Tisch zum Nächsten ging, wartete er nur darauf, dass sie endlich zu ihm kommen würde, und das tat sie auch.
„Heeey! Ich hoffe, ihr habt die Show genossen?“, sprach sie in einer deutlich höheren Stimmlage als üblich und sah jedem nacheinander freudig in die Augen. Mit ihren Blicken verrieten sie bereits die Antwort auf ihre Suggestivfrage und nippten weiterhin an ihren Getränken. Doch als sie Tyrone, den Anführer der fünfköpfigen Gruppe ansah, holte er seinen Geldbeutel hervor. Mit gespielter Euphorie sprang Violet auf und ab und ließ sich von ihm einen Haufen Geld in den Slip stecken.
„Danke!“, sagte sie, drehte sich um und musste sich schon fast selbst an Ort und Stelle wegen ihres aufgesetzten Verhaltens übergeben. Als Tyrone aber zum ersten Mal seine Stimme erhob, sah sie über ihre Schulter hinweg zu ihm und nickte, als er sie um einen privaten Tanz bat.
„Sicher! Folge mir.“ Violet nahm den Rockstar an die Hand und zog ihn hinter sich her, die Treppen hoch in einen kleinen, modern eingerichteten Raum, der ausschließlich für private Tänze vorgesehen war. Die Tänzerin schloss die Tür, durch die Tyrone nur in geduckter Haltung kam, hinter ihnen ab und deutete auf die schwarze Ledercouch, welche auf der rechten Seite des nur schwach rot beleuchteten Raumes stand. Sie war schon verblichen und durchgesessen, aber dies war den meisten Gästen egal, und so ließ sich auch Tyrone entspannt nach hinten auf seinen Platz fallen.
Er ließ seinen Blick zunächst nur flüchtig durch den Raum schweifen, als ihm sofort der große Spiegel hinter der Dame auffiel, der wohl dazu dienen sollte, seine für den Moment auserwählte Tänzerin gleich von beiden Seiten begutachten zu können. Normalerweise würde er ein abfälliges Zischen von sich geben, doch stattdessen legte er die Arme auf der Rückenlehne ab und widmete seine Aufmerksamkeit der nun tanzenden Violet. Der intensive Augenkontakt, den sie dabei hielt, spielte Tyrone bei dem, was er vorhatte, ganz gut in die Karten.
Nach einer kurzen Weile öffnete sie mit einer lockeren Handbewegung ihren BH und ließ diesen neben sich zu Boden fallen. Immer und immer wieder machte sie Andeutungen, ihren Slip ausziehen zu wollen. Doch war dies nur eine Masche, um die Männer gieriger zu machen, um so viel Zeit wie möglich zu verschwenden und ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Denn so ein privater Tanz war natürlich mit Extrakosten verbunden. Als Violet ihm dann den Rücken zudrehte, zog sie doch den Slip aus, ohne aufzuhören, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen. Jetzt, wo auch dieser am Boden lag, drehte sie sich zu dem Größeren um, legte ihre Hände auf seine Schultern und setzte sich auf seinen Schoß. Tyrone war ihr nun ganz nah und während sie sich auf ihm rekelte, drang er in ihre Gedanken ein, blätterte durch diese wie in einem Buch. Er war sich sicher. Mehr als sicher, dass ihn seine Vision beim Konzert nicht getäuscht hatte. Sie war einer der Wächter. Er brauchte nur noch diesen einen entscheidenden Hinweis, welcher seine Vermutung bestätigen würde.
Tyrone starrte ihr wortwörtlich in die Seele und fand kurz darauf wonach er die ganze Zeit über gesucht hatte. Violet grinste ihn verspielt an und er erwiderte es. Denn er war sich sicher, dass ihr ihres gleich wieder vergehen würde. Der doch recht großgeratene Mann manifestierte in ihrem Kopf eine seiner Albtraumvisionen. Wie er es bereits geahnt hatte, dauerte es nicht lange, bis sich etwas an der Mimik der deutlich Kleineren veränderte. Sie fühlte sich immer mehr wie in Trance und desto länger sie in die tiefblauen Augen ihres Gegenübers sah, umso mehr nahm der Zustand an Intensität zu.
„Die fünf Minuten sind bereits um.“ Violet wollte sich gerade von seinem Schoß erheben, als er weitere hundert Dollar neben ihr achtlos auf den Boden warf und sie grob an den Beinen auf sich drückte, um sie am Gehen zu hindern.
„Ich nehme gerne weitere fünf Minuten. Immerhin habe ich dafür bezahlt.“ Obwohl er sie recht ruhig darum bat, dem Service, für den er bezahlt hatte, nachzukommen, hatte er irgendwas Bedrohliches in seiner Stimme. Doch sie konnte nicht. Es ging nicht. Denn derjenige, auf dem Violet saß, war nicht länger Tyrone, sondern ihr Peiniger. Der Mann, der sie vor ziemlich genau einem Jahr vergewaltigt hatte. Der Mann, wegen dem sie in der Vollzugsanstalt saß, da sie ihm aus Notwehr die Augen ausgestochen hatte. Genau wie am Tag der Tat sah das Ebenbild des Täters auch aus. „Und hiermit verurteile ich die Angeklagte, Violet Jennifer Taylor, zu zwölf Monaten Haftstrafe. Mit frühzeitiger Entlassung bei guter Führung“, ging ihr die Stimme des Richters nochmal durch den Kopf, während sie wortwörtlich das siegessichere Grinsen ihres Peinigers vor Augen hatte.
Violet saß wie gelähmt auf dem Schoß des vermeintlichen Mannes, als sie sich, von der Panik getrieben, versuchte, von ihm loszureißen. Auf einmal fühlte sie sich wieder wie die damals vorgeblich hilflose Violet, die sich wie wild unter ihm wandte und nach Hilfe schrie. Doch ihre Schreie blieben stumm. Ungehört. Der Mann über ihr war zu stark. Also ließ sie es einfach über sich ergehen. In der Hoffnung, dass er schnell fertig werden würde mit dem, was er ihr antat. Bis die Macht in ihr von der Starre nicht mehr unterdrückt wurde. Mit der Hilfe zweier Luftklingen stach sie ihm die Augen aus, trat ihn von sich weg, richtete sich auf und rannte mit nur halb hochgezogener Hose schluchzend davon.
Tyrone sah sie nur ausdruckslos an, während sie immer wieder versuchte, sich von ihm wegzudrücken. Ihre Tränen, gemischt mit schwarzem Mascara, tropften allmählich auf seine dunkelblaue Jeanshose, als er im nächsten Moment von einem festen Schlag auf die Nase überwältigt wurde. Violet nutzte die Gelegenheit sofort aus, um sich von ihm zu lösen, zog sich einen Bademantel aus Seide über und lief durch den Notausgang hinunter in den Hinterhof.
Mit zittrigen Händen holte sie eine Packung Marlboro aus ihrer Manteltasche hervor und zündete sich mühsam eine Zigarette an. „Ich glaub, ich muss die Therapie doch in Anspruch nehmen. Ansonsten wird das hier noch meinen Job kosten und mich zurück in die Obdachlosigkeit bringen“, murmelte sie zu sich selbst. Doch Violet sollte gar nicht erst die Möglichkeit bekommen, sich zu erholen. Denn kurz darauf stand neben den großen Mülltonnen des Ladens, das Ebenbild des Mannes, welcher ihr Leben ruiniert hatte.
„Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dir nach deiner kurzen Haftstrafe einfach so vergebe, oder? Du kleine Schlampe wirst für das, was du mir angetan hast, bezahlen. So wie ich mit meinem Augenlicht bezahlt habe!“
Erschrocken stolperte sie ein paar Schritte zurück und ließ dabei die noch immer glühende Zigarette hinter sich zu Boden fallen. Violet verharrte nicht lange an Ort und Stelle und ergriff sofort über die Dächer hinweg die Flucht. Somit war klar, dass sie einer der Luftbändiger war.
Dies bewahrheitete sich auch durch ihre rasche Verwandlung in eine Wächterin, die ihre wahre Identität zum Vorschein brachte. Ob sie nun Wassermann, Zwilling oder Waage war, spielte dabei keine Rolle. Denn sie sollten alle dasselbe Schicksal erleiden. Das war zumindest das, was das Herz des Schlangenträgers am meisten begehrte. Das Ende derjenigen, die all die Millionen Jahre für sein Leiden verantwortlich gewesen waren.
Als Violet gerade über die Dächer hinwegfliegen wollte, sprang Tyrone ihr nach und hielt sie am Zipfel des schwarzen, leicht durchsichtigen Umhangs ihrer Wächterrobe fest. Anschließend zog er sie am Bein zu sich aufs Dach und stach ihr mit einem giftigen Dolch in die linke Wade, woraufhin ein lauter Schmerzenslaut zu hören war. Mit ihren letzten Kraftreserven stützte Violet sich auf den Händen ab, sah kurz hinter sich und trat Tyrone, so fest sie konnte, ins Gesicht. Sofort richtete sie sich auf und sprang ein paar Meter nach hinten, um zwischen ihm und ihr für ein wenig Abstand zu sorgen. Ihr Verfolger gab einen zischenden Laut von sich, wischte sich grob das Blut von der Nase und stürmte auf Violet zu. Verzweifelt versuchte sie ihn mit einer Orkanböe von sich zu stoßen, doch sie war mittlerweile so sehr in seiner Vision gefangen, dass ihre Konzentration und somit ihre Fähigkeiten, den Wind willig zu machen, nachließen. Die Böe, welche sie vergeblich versucht hatte gegen ihn zu verwenden, war nichts weiter als ein kleiner Luftzug für Tyrone gewesen. Was war noch real? Und was nicht? So langsam begann das Gift in ihr seine Wirkung zu entfalten, weshalb es ihr kaum noch möglich war, sich auf den Beinen zu halten. Dies nutzte Tyrone aus, um sich auf sie zu stürzen. Mit seinem Körper drückte er die offensichtlich Schwächere zu Boden. Das Gesicht des Mannes ohne Augen löste sich allmählich auf und auf ihr kniete nun ein maskierter mit Kapuze, einem langen robusten Mantel, an dem einige Dolche und Schwerter befestigt waren. Sie erkannte Tyrone nicht. Denn bis auf seine Augen war er komplett verhüllt.
„Über zwei Millionen Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet. Der Moment, an dem ich euch wieder gegenübertreten und ein für alle Mal vernichten kann. So wie ihr es damals mit mir gemacht habt.“ Der Maskierte zögerte nicht lange und stach Violet mit einem seiner Dolche mit voller Wucht in die rechte Schulter. Immer und immer wieder bohrte sich die kalte Klinge seines Messers in ihr Fleisch. Erneut war ein lauter Schmerzenslaut von Violet zu hören.
„Scheiße …“, brachte sie mühsam hervor und atmete schwer. „Du bist der Verstoßene, nicht wahr?“ Sie hustete kurz auf, ehe sie weitersprach. „Der Schlangenträger, den wir alle so sehr fürchten, habe ich recht?“
Seine Augen spiegelten genau denselben Hass wie vor all den Jahren wider. Das erkannte Violet selbst nach so langer Zeit sofort. Doch er hörte nicht auf, immer wieder auf sie einzustechen.
Erschöpft fielen ihr die Augen zu, die sie vergeblich versuchte, aufzuhalten, während ihre Atmung merklich schwächer wurde.
„Dann bring es jetzt zu Ende. Erlöse mich von diesem erbärmlichen Leben, welches mir das Universum dieses Mal gegeben hat. Ich möchte diese Person nicht mehr sein müssen.“
Der Schlangenträger sah sie nur wortlos an, als sie ihn bat, sie einfach von ihrem Elend zu erlösen. Wie konnte ein Mensch nur so etwas denken? Nachdem ihm Millionen von Jahren das Leben immer wieder verwehrt wurde, genoss er es nun mehr als alles andere auf der Welt. Umso verwirrter war er über ihren Willen zu sterben.
„Auch ich musste in diesem Leben erfahren, wie es ist, sein Leben lang unterdrückt zu werden und wie es sich anfühlt, wenn jeder sich gegen dich stellt. Da will ich mir nicht einmal ausmalen müssen, wie es dir die letzten Jahrtausende ergangen ist, Adrik.“ Dann wurde es ruhig zwischen ihnen. Nur noch das Gelächter der Leute und die vorbeifahrenden Autos unterbrachen die Stille der beiden Beteiligten. Zum ersten Mal nach so langer Zeit fühlte Violet so etwas wie Ruhe und Geborgenheit, woraufhin sich ein kleines, zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen legte. Denn sie war dankbar dafür, dass ihr nun endlich jemand die Ehre erwies, sie von ihrem erbärmlichen Leben zu erlösen.
Tyrone, oder wie sie ihn gerade genannt hatte, Adrik, zitterte noch immer, doch hielt er nun die Füße still. Ihre Worte lösten etwas in ihm aus, was ihn zögern ließ. Ein stechender Schmerz durchzog sein scheinbar eiskaltes und zugleich doch so reines Herz, als das von Violet drohte aufzuhören zu schlagen. Das Symbol des umgedrehten Zwillings auf ihrer Stirn war trotz des grellen Mondlichts nur noch schwer zu erkennen und als ihm dies auffiel, riss Tyrone die Augen auf. Sämtliche verschwommene Erinnerungen gingen ihm durch den Kopf. Wie ein Film, der sich vor seinem inneren Auge abspielte.
„Orphea!“, rief er ihr völlig überwältigt entgegen. Doch Orphea regte sich nicht mehr. Sofort zog er sich die Maske vom Gesicht und versuchte ihr das Gift aus den Wunden zu saugen. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Folglich verschwand er mit ihr über die Schulter geworfen, über die Dächer hinweg zu ihrem Apartment.
Dort angekommen, schloss er mit dem Schlüssel, der immer unter der Fußmatte lag, auf, und legte sie behutsam auf das Bett in ihrem großen Schlafzimmer ab. Er setzte sich kurzweilig neben sie. Ihre doch eher knappe Wächteruniform erlaubte ihm bis auf vereinzelte schwarze Bänder, die sich um ihre Beine schlängelten, gute Sicht auf die vielen Blutergüsse, Stichverletzungen und Schürfwunden, die sie sich bei dem Kampf zugezogen hatte.
„Verzeih mir, Orphea“, murmelte er mehr oder weniger zu sich selbst, ehe er aufstand und die Deckung der Verwandlung fallen ließ. Nun stand er wieder so da, wie er ihr in dem Drecksschuppen begegnet war. Tyrone krempelte den rechten Ärmel seiner Lederjacke hoch, um einen Blick auf die Armbanduhr zu werfen. 2:02 in der Nacht. Mit ein paar Stofffetzen seines Shirts und einem Desinfektionsmittel, welches er in dem kleinen, schwarzen Beistelltisch neben ihrem Bett fand, versorgte er grob ihre Einstichwunden, bemüht, ja nichts falsch zu machen. Ich sollte gehen. Er drehte sich noch ein letztes Mal zu ihr um und legte vorsichtig eine Decke über ihren kalten Körper, da sie nur in dem dünnen Bademantel, in dem sie aus dem Hintereingang geflohen war, dort lag.
Anschließend verließ er leise ihr Apartment und ging zurück zu dem Hotel, in dem er noch die nächsten zwei Nächte mit seiner Band verbringen würde.
✰ Eine schicksalhafte Begegnung✰
Es war Samstagabend, als Eric und seine Freunde durch die Straßen der Metropole Las Vegas liefen. Eigentlich war er kein Freund von solch belebten Städten, wie es Las Vegas nun mal war, doch wollte er sich den Junggesellenabschied seines alten Schulfreundes Cameron nur ungern entgehen lassen. Die letzte Station des heutigen Tages sollte die Stratosphäre und ihre Attraktionen sein.
„Okay, auch wenn ich vermutlich davon kotzen werde, bestehe ich auf eine Fahrt“, gab einer seiner Freunde von sich und die anderen willigten ein. Auch Eric. Also stellte sich die zwölfköpfige Gruppe von Männern in die Warteschlange und unterhielt sich dort weiter. Nur der Rothaarige unter ihnen schien ein wenig geistesabwesend zu sein. Etwas abseits von ihnen stand Eric am Geländer des Wartebereichs und sah hoch in den sternenklaren Himmel, an dem man zu dieser Zeit das Sternbild des Schlangenträgers besonders gut betrachten konnte. Auch wenn dieser im Vergleich zu den anderen Sternbildern recht groß und dadurch schwerer zu erkennen war, war es für ihn ein Leichtes. Seine Zeit war gekommen und er hatte es immer noch nicht geschafft, auch nur einen seiner Verbündeten wiederzufinden. Obwohl er jeden Abend zum Universum betete, dass das Schicksal sie noch rechtzeitig zusammenführen möge. Denn sollte er es schaffen, seine Drohung von vor 2,3 Millionen Jahren wahrzumachen, sollte er jemals aus dem schwarzen Loch entkommen, wird es zu Katastrophen kommen, die ich mir nicht einmal ausmalen möchte. Doch wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als ihm einer seiner Kumpels auf die Schulter schlug und mit einem breiten Grinsen ansah.
„Nicht wahr, Rotschopf?“, sagte er belustigt an Eric gewandt, welcher ihm nur schmunzelnd zunickte. Denn zugegebenermaßen hatte Eric ihnen überhaupt nicht zugehört.
Die Männer näherten sich den Waggons, als ihm ein starker Windstoß die Haare ins Gesicht wirbelte. Diese band er sich mit einem Haargummi, das er immer am rechten Handgelenk trug, zu einem lockeren Dutt zusammen, wobei ihm die vorderen Strähnen immer wieder ins Gesicht fielen. „Was für eine tolle Aussicht.“ Eric stützte sich gerade auf dem Geländer ab, als er von den wartenden Leuten hinter sich nach vorne gedrängt wurde. Aber das schien ihn gerade absolut kalt zu lassen, denn während er sich von der Menge treiben ließ, machte er eine beunruhigende Entdeckung. Mehrere Schrauben der Attraktion schienen sich nach und nach von den Schienen zu lösen. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis diese dem Druck des Zuges nicht mehr standhalten konnten und somit zusammenbrechen würden. „Hey! Da stimmt etwas nicht! Etwas scheint mit den Schienen nicht in Ordnung zu sein! Niemand sollte mehr einsteigen, bis sie wieder angezogen wurden!“ Niemand hörte ihm zu und seine Freunde? Die machten sich nur über ihn lustig.
„Boah, Eric, entspann dich mal. Das bildest du dir ein, weil du auf einmal weiche Knie bekommst. Sei nicht so eine Memme.“
Niemand nahm ihn und seine Warnung für voll, während die Schienen an einer ganz bestimmten Stelle immer instabiler wurden und drohten, sich bei der nächsten Fahrt zu teilen. „Wieso glaubt mir denn keiner?!“, gab er hektisch von sich. Diese dummen Idioten! Die sind so betrunken, dass sie nicht einmal den Ernst der Lage erkennen können!
Doch dann stiegen bereits die nächsten Passagiere ein, welche diese Fahrt mit Sicherheit nicht überleben würden.
„1, 2, 3 …“, sprach eine Computerstimme, bevor die Lautsprecher ein markantes Startsignal von sich gaben und der Zug den ersten Streckenabschnitt hinauffuhr. Die Geräusche um ihn herum nahm Eric nur noch gedämpft wahr. Das Leben dieser Menschen lag nun in seinen Händen und das wiederum gab dem sonst so selbstbewussten Schützen ein Gefühl der Unsicherheit. War er in der Lage, ohne seine Mitstreiter den kommenden Unfall zu verhindern?
Mit einer unauffälligen Handbewegung versuchte er, die beiden Teile zusammenzuschmelzen, als der Wagen bereits mit hoher Geschwindigkeit auf die besagte Stelle zurollte. Bitte! Völlig konzentriert darauf, das zu reparieren, was kein anderer tat, hörte er nur flüchtig, wie seine Freunde ihn weiterhin schikanierten.
„Ey, Eric! Haste Schiss, dass wir abstürzen?!“, scherzten sie vor sich hin.
Doch Eric war gerade absolut nicht zum Scherzen zumute. Es knirschte und quietschte unter den Waggons und kurz bevor der Zug über die defekte Stelle fuhr, kniff der Rothaarige bangend die Augen zusammen, aus Angst, etwas zu sehen, was er nie mehr wieder vergessen würde. Doch das Gelächter der Fahrgäste wandte sich nicht, wie er es bereits befürchtet hatte, in panische und grausame Hilfeschreie, sondern es blieb alles so, wie er es sich erhofft hatte. Langsam öffnete Eric wieder seine Augen und spürte, dass es nicht allein er war, der für die Sicherheit der Passagiere gesorgt hatte. Er schaute zuerst runter auf seine glühenden Hände, danach um sich herum. Durch die drängelnde Menge sah er in der Ferne ein offenbar junges Mädchen, das völlig irritiert am Straßenrand stand und immer wieder kleine Tornados über ihre Finger kreisen ließ. Ohne seiner Gruppe Bescheid zu geben, verschwand er durch die Menge, die Treppen runter zu dem mysteriösen Mädchen und sprach sie direkt an.
„Guten Abend, junge Frau. Du siehst ein wenig fertig aus. Geht es dir gut?“, fragte er und drückte ihr seine kleine Wasserflasche in die Hand. „Hier trink etwas."
Nach genauer Prüfung der Flasche, welche noch originalverschlossen war, nahm das fremde Mädchen einen großzügigen Schluck und hielt ihm das Getränk im Anschluss wieder entgegen.
„O nein, behalte es ruhig. Du brauchst es dringender als ich.“ Ein warmes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als die Kleinere sich schüchtern durch die dunkelbraunen Locken fuhr.
„Vielen Dank“, murmelte sie noch sichtlich verwirrt und sah wieder runter auf ihre leicht zitternden Hände.
Eric ahnte bereits, was der Auslöser für ihr Verhalten war.
„Du solltest nicht allein in diesem Zustand umherlaufen.“
„Oh, aber ich bin doch gar nicht allein. Ich bin mit meinen Freunden hier-“ Welche sie wohl aus den Augen verloren hatte. „Sie müssen wieder reingegangen sein“, sagte sie und deutete auf eine Kneipe auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
„Du stehst auf Jazzmusik?“, fragte er mit einem Schmunzeln.
„Ja, unter anderem. Du auch?“
„Ja, total!“
„Dann komm doch einfach mit!“, schlug sie ihm begeistert vor und sah ihn erwartungsvoll an.
Etwas zögerlich sah er hinter sich zu seinen Freunden, welche gerade in den Waggon stiegen und dann zurück zu der jungen Frau. „Das wird schon in Ordnung gehen.“
Also ging er gemeinsam mit ihr los und sah sich um, als ihm die bereits spürbar gute Stimmung der anwesenden Gäste entgegenkam.
„Möchtest du etwas trinken? Die Cocktails sind echt gut“, fragte sie ihn.
„Nein, ich lehne für den Rest des Abends ab.“ Eric hatte bereits genug Alkohol für die nächste Zeit. Nicht, weil er selbst betrunken war, sondern wegen seiner idiotischen Freunde, die sich wie eine Horde Kinder aufführten. Das war nicht mehr sein Ding. Er war über die Jahre ruhiger geworden. Ob ihn bald die Midlife-Crisis treffen würde? Nein, dafür war er mit seinen sechsunddreißig Jahren doch noch zu jung.
„Okay! Ich bin auch schon bedient!“
Im nächsten Augenblick verbeugte sich der Rothaarige vor der jungen Dame und streckte ihr die Hand entgegen. „Darf ich um einen Tanz bitten?“
Die junge Frau nickte, nahm seine Hand und mischte sich mit ihm unter die tanzende Menge. Eng aneinander, unfähig, sich zu trennen, mit seinen Händen an ihren Hüften, tanzten sie langsam zum Rhythmus der Musik. Mit einem warmen und zufriedenen Lächeln schaute ihm die Dunkelhaarige entgegen, während in ihnen langsam das warme Gefühl der Verbundenheit aufstieg. Mittels einer flüssigen Bewegung nahm Eric die rechte Hand der dunkelhäutigen Dame in seine, ließ sie sich einmal um sich selbst drehen, ehe sie sich elegant nach hinten lehnte und er sie mit der Hand am Rücken stützte. Anschließend drückte er sie wieder an sich und schwang mit ihr in gleichmäßig rotierenden Drehbewegungen über die Tanzfläche. Die junge Frau, deren Name ihm bisher unbekannt blieb, machte gerade den Mund auf und deutete an, etwas zu sagen. Doch noch bevor es dazu kam, legte ihr Eric seinen Zeigefinger auf den Mund, um ihr zu symbolisieren, einfach den Moment zu genießen. Er fühlte sich, als würde die gesamte Tanzfläche nur ihnen gehören, ihre ganz persönliche Bühne, so wie es immer in ganz alten Zeiten der Fall gewesen war. Als die Dame dann mit dem Rücken zu ihm gerichtet war, legte Eric seinen Kopf auf ihren, schloss die Augen und umfasste ihre Taille. Sofort errötete die Kleinere, doch nicht aus Scham oder dergleichen. Sie fühlte sich wohl und geschmeichelt in den starken Armen des Größeren, was für sie doch recht ungewöhnlich war. Denn normalerweise pflegte sie zu anderen Männern und Frauen nur oberflächlichen Kontakt. Aber aus irgendeinem Grund war das zwischen ihnen eine andere Art von Verbundenheit, die sie sich, wie es schien, nicht erklären konnte. Aber Eric konnte es. Die Frau, welcher er gerade so nah war, war niemand anderes als die Verkörperung des Sternzeichens Zwilling, Anica. Anica, die Geliebte des Anführers Torin, welcher im Namen des Schützen erschaffen wurde. Das Schicksal hatte die beiden wieder zusammengeführt und auch wenn die sogenannte Anica noch nicht zu wissen schien, wen sie da vor sich hatte, würde sich auch ihre Seele Stück für Stück an ihn erinnern und von Neuem lieben lernen.
„Mein Name ist übrigens Rose“, offenbarte sie nun, drehte sich wieder um und schaute ihm direkt in die himmelblauen Augen.
„Schön dich kennenzulernen, Rose. Der Name passt zu dir. Mein Name ist Eric.“
Rose lächelte sanft.
„Erzähl mir … Das, was du da vorhin an der Stratosphäre gemacht hast, war dir bewusst, was du da tust?“
Mit einer nachdenklichen Miene ließ sie ihren Blick kurzweilig durch den Raum schweifen, ehe sie ihn wieder ansah und zögernd nickte. „Du hast es gesehen, nicht wahr? Also brauche ich es auch nicht zu verleugnen. Aber um ehrlich zu sein, war es mehr Glück als Können. Ich trage diese Fähigkeit, den Wind zu bändigen, schon seit Kindheitstagen in mir. Doch richtig anwenden und deuten konnte ich sie nie. Aber warum fragst du mich das? Hat das einen bestimmten Grund?“
Eric nickte. „Auch ich besitze solche Fähigkeiten, die dem Element Feuer zugeordnet sind. Geboren im Namen des Schützen. Dein Körper und auch deine Seele werden sich schon sehr bald daran zurückerinnern, wer du wirklich bist und wieso du solche einzigartigen Fähigkeiten besitzt.“
Rose runzelte die Stirn. „Du sprichst in Rätseln. Was meinst du mit: mich zurückerinnern, wer ich wirklich bin?“
Doch Eric antwortete vorerst nicht. Denn als sich das Lied dem Ende näherte, lösten sich ihre Körper wieder voneinander und Eric deutete mit einer Handbewegung auf den Ausgang. Still lief sie hinter ihm her, bis sie draußen vor der Tür standen. Dort zeigte er hoch auf den sternenklaren Himmel, um sie auf das Sternbild des Schlangenträgers hinzuweisen.
„Siehst du ihn? Seine Zeit ist bereits gekommen. Du musst mir helfen, das bevorstehende Chaos zu verhindern.“
Rose sah nach oben und verharrte für einen Augenblick so.
„Was? Welches Chaos? Geht es dir gut?“
Eric merkte, dass weitere Erklärungen nicht zum Erfolg führen würden. Also schrieb er rasch seine Telefonnummer auf einen alten Kassenzettel, welcher sich schon ewig in seiner Hosentasche befand, und drückte ihr diesen in die Hand. „Wenn du den Grund für deine besonderen Fähigkeiten wissen willst, melde dich.“ Dann zupfte er sich sein rotes Hemd zurecht und ging davon.
Seine Gebete wurden vom Universum erhört. Da war Eric sich nun mehr als sicher und er war dankbar dafür. Gerade noch rechtzeitig. Oder doch zu spät? Immerhin war nicht sicher, dass sie sich wirklich bei ihm melden würde. Es war wie ein Kampf gegen die Zeit. Doch sein eigentlicher Rivale war Adrik – der Schlangenträger. Mit dem er aus der Ferne konkurrierte, wer sein Ziel als erstes erreichen würde. Aber jetzt, wo Eric einen der Luftbändiger ausfindig machen konnte, war er zuversichtlich, dass die anderen zum Greifen nah waren. Zumindest die Älteren unter ihnen mussten über die Gefahr und die Wiedergeburt des Schlangenträgers Bescheid wissen und sich somit auf die Suche nach ihrem Anführer gemacht haben.
Ohne sich nochmal zu seinen Freunden zu gesellen, ging er bereits gegen 11 Uhr abends zurück in das Hotelzimmer des Stratosphäre Towers, schloss die Tür mit der Zimmerkarte auf und zog seine Lederschuhe aus. Direkt ging er auf das Fenster zu und schob vorsichtig den roten Wildledersessel zur Seite, welcher schräg zwischen Fensterbank und Fernsehtisch stand. Von dort aus schaute er hinunter auf die belebte Stadt, dann nach oben in den Himmel, um sich noch einmal richtig zu bedanken.