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Als der Winterkönig Lucien Thorne um die Hand der 19-jährigen Madelynn aus dem Herbsthof anhält, ist sie alles andere als begeistert. Schließlich ist überall bekannt, dass er über Thorngate mit eiserner Faust und kaltem Herz herrscht. Doch als Prinzessin von Fall kann sie ihrem Schicksal nicht entgehen. Je mehr Zeit Madelynn mit Lucien verbringt, desto mehr fragt sie sich allerdings, ob all die Gerüchte über ihn wirklich wahr sind. Steckt vielleicht viel mehr hinter seinem rücksichtslosen Verhalten als gedacht? So sehr Madelynn Lucien auch hassen will, nach und nach blickt sie hinter seine Fassade - und auch ihr Herz erwärmt sich immer mehr für den Winterkönig ...
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Seitenzahl: 363
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Weitere Titel der Autorin
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DANKSAGUNG
Inhaltsinformation
Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 1
Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 2
Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 3
Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 3,5
Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 4
The Last Dragon King – Die Chroniken von Avalier 1
The Broken Elf King – Die Chroniken von Avalier 2
Shifter Island 1 – Die Akademie der Wölfe
Leia Stone
Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Michael Krug
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Titel der englischen Originalausgabe:
»The Ruthless Fae King – Kings of Avalier Book Three«
Für die Originalausgabe:
Copyright ® 2023 by Leia Stone
Published by arrangement with Bookcase Literary Agency
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright ® 2025 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Umschlagmotiv: © Fay Lane Book Cover Design
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 978-3-7517-5992-2
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Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des Buches.
ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer Team vom ONE-Verlag
»Das mache ich nicht, Vater!«, schrie ich.
»Soll das gesamte Reich in den Winter gestürzt werden? Oder unsere Ernte ausfallen?«, brüllte mein Vater zurück. »Wenn der Winterkönig um die Hand der Tochter anhält, sagt man nicht Nein!«
Vor lauter Zorn zitterte ich am ganzen Leib. Noch nie zuvor war ich derart wütend auf meinen Vater gewesen. Ich liebte ihn, vergötterte ihn, betete den Boden an, auf dem er lief. Doch auf keinen Fall würde ich nachgeben und dieses Ungeheuer heiraten.
»Tja, aber genau das werde ich sagen, wenn er hier eintrifft. NEIN!«, schrie ich. Im Haus kam ein Luftzug auf, der das Papier vom Schreibtisch meines Vaters in einem Strudel in die Luft wirbelte.
Er seufzte leidgeplagt, als wäre er an meine Ausbrüche längst gewöhnt. Was ich unfair fand. So oft hatte ich sie nicht. Nur, wenn ich gezwungen werden sollte, ein herzloses Arschloch zu heiraten!
»Vater ...«, begann ich mit sanfterer Stimme. Sofort flaute der Wind ab. Das Papier segelte langsam zu Boden. »Ich hab dich lieb. Und ich respektiere deine Entscheidungen. Trotzdem werde ich unter keinen Umständen Lucien Thorne heiraten. Niemals.«
Mit traurigem Blick schaute mein Vater zu mir auf, und in diesem Moment wusste ich, dass es bereits beschlossene Sache war. Arrangierte Ehen galten beim Hochadel als üblich. Mir war immer klar gewesen, dass mir als Prinzessin des Herbsthofes eines Tages ein königlicher Verehrer seine Aufwartung machen würde. Aber Lucien, der Winterkönig?
Undenkbar.
»Nein.« Das Wort drang als erstickter Schrei von meinen Lippen, und mein Vater wich beschämt meinem Blick aus.
»Es tut mir leid, Madelynn. Daran lässt sich nichts mehr ändern«, erklärte er mir. Und damit war das Thema beendet.
Mein Schicksal war besiegelt und an den abscheulichsten Mann in ganz Thorngate geknüpft. Lucien herrschte erst seit sechs Wintern als König, dennoch hatte ich bereits mehr als ein Dutzend Geschichten über seine Vergehen gehört. Einmal hatte er die gesamte Ernte des Sommerhofs eingefroren, als man dort gegen seine Steuererhöhung protestiert hatte. Außerdem war mir zu Ohren gekommen, er hätte seinem bevorzugten Koch die Zunge herausgeschnitten, weil er ihm fades Essen aufgetischt hatte. Blumen konnte er nicht ausstehen, also hatte er alle im Umkreis mehrerer Meilen von seinem Palast zerstören lassen. Innerlich war der Mann tot. Bösartig. Seit sein Vater an seinem sechzehnten Geburtstag den Thron an ihn abgetreten hatte, kursierten ausschließlich Gerüchte über seine Dunkelheit um ihn.
»Was, wenn er mich schlägt?«, versuchte ich, an die Vernunft meines Vaters zu appellieren. »Du hast die Gerüchte gehört, Vater. Der Mann ist grausam.«
Er schaute betroffen drein. »Seine Ehefrau würde er nicht schlagen.« Allzu überzeugt klang er nicht.
Schöpfer, steh mir bei.
Mein Vater war ein freundlicher Mann. Zu freundlich. Er versuchte immer, es allen recht zu machen. Also würde ich mich selbst damit auseinandersetzen müssen. Ich würde Stärke zeigen müssen, um König Thorne zu verdeutlichen, dass ich eine Frau war, die man besser nicht verärgerte.
»Wann trifft er ein?«, stieß ich zähneknirschend hervor.
»Später am Nachmittag.« Mein Vater klang kleinlaut.
»Heute?!«, entfuhr es mir. Prompt kehrte der Wind zurück, wehte durch das offene Fenster herein und wirbelte um mich herum. Meine Kräfte waren die stärksten seit Generationen, und ich wusste, dass der König mich deshalb auserwählt hatte. Ich war Lucien Thorne als Erwachsenem nie begegnet. Wir Fae vom Herbsthof blieben größtenteils unter uns. Ich hatte ihn kurz mal als Jungen gesehen, als seine Mutter noch gelebt hatte. Aber damals musste ich sechs Winter alt gewesen sein und er vielleicht acht. Ich konnte mich kaum daran erinnern. Er hatte mir eine Sonnenblume gereicht und gemeint, mein Kleid wäre hübsch. Ein netter Junge – bevor die Dunkelheit über ihn gekommen war.
Wütend stürmte ich aus dem Büro meines Vaters und nahm den Strudel aus Wind mit mir.
Wie konnte mein Vater es wagen, mir erst Stunden vor der Ankunft des Königs Bescheid zu geben? Das ließ mir keine Zeit, einen Ausweg aus dieser Vereinbarung zu finden. Vielleicht hatte er genau das damit bezweckt.
Die Palastbediensteten drückten sich an die Wände, als ich vorbeilief. Der Wind wehte ihre Kleider hin und her. Ich musste nach draußen und etwas von meiner Wut ablassen. Sonst würde ich noch das gesamte Gebäude zum Einsturz bringen.
Ich stürmte durch die Hintertür hinaus, vorbei an den Gärten und zu der Wiese, die ich oft aufsuchte, wenn ich meine Kraft nutzen wollte, ohne etwas zu zerstören.
Sobald ich mich in der Sicherheit der Natur befand, entfesselte ich sie. Tief atmete ich ein und sog meine Lungen voll Luft, während der Wind wie ein alter Freund heranwehte. Das Gras neigte sich, Staub stieg auf, und die Sonne verdunkelte sich, als mein kleiner Windkanal anschwoll.
Vielleicht befand sich der König bereits auf dem Weg. Es war früher Nachmittag, also hielt ich es durchaus für möglich. Wenn ich meinen kleinen Windsturm in seine Richtung schickte, würde es vielleicht seine Pferde vom Pfad abbringen. Er könnte verletzt werden, was die Verlobung hinauszögern würde ...
Ich schüttelte die düsteren Gedanken ab, denn ich wusste, man würde es zu mir zurückverfolgen.
Mit zu Fäusten geballten Händen schaute ich himmelwärts ins Auge des von mir erschaffenen Sturms, bevor ich einen gequälten Schrei in Richtung der Sonne ausstieß, als wäre alles ihre Schuld.
Schlagartig flaute der Wind ab, und ich wurde wieder ruhig. Meine Macht zu entfesseln, würde mir nicht helfen. Ich musste klaren Kopf bewahren, wenn ich einen Ausweg finden wollte.
»Dein Vater hat es dir also gesagt?« Die Stimme meiner Mutter ertönte hinter mir. Ich wirbelte zu ihr herum wie eine angriffsbereite Schlange.
»Mutter, wie konntest du nur?«, fragte ich kläglich. Als Oberhaupt unseres Hofs hatte mein Vater die Pflicht, solche Vereinbarungen zu treffen. Aber meine Mutter? Sie hatte mich nicht mal vorgewarnt.
Tränen traten ihr in die Augen. »Der Winterkönig kann sehr überzeugend sein«, erwiderte sie nur.
Mit einem abfälligen Schnauben trat ich näher zu ihr. Sie besaß dasselbe leuchtend rote Haar wie ich, und heute trugen wir sogar beide limettengrüne Kleider, ohne uns abgesprochen zu haben. Das kam oft vor, und es gefiel mir. Mein Leben lang hatte ich mich meiner Mutter verbunden gefühlt. Im Augenblick jedoch kam ich mir nur verraten vor.
»Mutter, er ist schrecklich«, flehte ich sie an.
Sie seufzte. »Sag so was nicht. Er hat als Junge seine Mutter verloren und ... dadurch über die Stränge geschlagen.«
Verteidigte sie ihn gerade?
»Er hat seine Mutter vor sechs Wintern verloren«, gab ich mit knurrendem Unterton zurück. »Welche Ausrede hat er jetzt?«
Seine Mutter war bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. Sie war zu einem Ausritt mit dem jungen Lucien Thorne unterwegs gewesen, als ihr Pferd sie abgeworfen hatte. Dabei war sie so unglücklich gefallen, dass sie sich das Genick gebrochen hatte. Sie war auf der Stelle tot gewesen. Weil es sich nur um einen harmlosen Ausflug gehandelt hatte, war kein Heilelf bei ihnen gewesen. Man konnte nichts mehr für sie tun. Natürlich tat es mir leid, dass ein kleiner Junge seine Mutter so hatte sterben sehen müssen. Aber es war keine Entschuldigung für all die grausamen Geschichten, die ich über ihn gehört hatte.
»Mutter, er isst rohes Fleisch. Er tötet mit bloßen Händen. Ganz zu schweigen davon, was er mit dem Großen Frost angerichtet hat. Er ist ein Monster.«
Wieder seufzte meine Mutter. »Wir wissen nicht, ob all diese Geschichten wahr sind.« Sehr überzeugt klang sie nicht.
»Geht es um die Mitgift, die er zahlt? Denn ich könnte selbst Geld aufbringen und dich und Vater entschädigen ...«
Meine Mutter unterbrach mich mit einem Kopfschütteln. »Nein, Schatz, es ist Gesetz. Wenn der herrschende König die Hand einer Hochadeligen zur Ehe verlangt, darf sie ihm nicht verweigert werden.«
Ich legte die Stirn in Falten.
Gesetz? Ein dämlicher kleiner Erlass stand zwischen mir und meiner Freiheit? Es war ja keineswegs so, dass ich grundsätzlich etwas gegen Pflichterfüllung oder die Ehe hatte. Die meiner Eltern war arrangiert, und sie führten ein glückliches Leben. Natürlich wusste ich, dass es für mich bald so weit sein würde. Mir widerstrebte lediglich die Vorstellung von ihm.
»Warum will er gerade mich?« Ich verschränkte die Arme vor der Brust und reckte trotzig das Kinn. »Ich komme vom Herbsthof. Herzogin Dunia von Winter würde viel besser zu ihm passen. Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Sie kennt ihn. Und sie würden geeignetere Nachkommen zeugen.«
Meine Mutter seufzte erneut, trat vor und ergriff meine Hände. »Er hat von deiner Macht und Schönheit gehört. Deshalb will er, dass du, Madelynn, seine Frau und die Mutter seiner Kinder wirst. Dein Sohn könnte der zukünftige König werden.«
Meine Hoffnung sank. Ich hätte nicht gedacht, dass mich ausgerechnet meine Macht und Schönheit eines Tages dauerhaft an einen bösartigen Mistkerl binden würden. Aber so konnte man sich irren.
»Tut mir leid, Mutter. Ich kann das nicht. Mir ist jeder außer ihm recht. Hilf mir dabei, abzulehnen. Sag ihm, ich bin mit einem anderen verlobt oder ...«
»Madelynn! Das würde deinen Vater und unseren gesamten Hof in Verlegenheit bringen. Du bist ihm bereits versprochen.« Sie sah mich an, als wäre mir ein zweiter Kopf gewachsen. Ihre perfekte älteste Tochter. Unheimlich mächtig mit Windmagie. Bestnoten in der Schule. Tanzte nie aus der Reihe. Gut, ich war vielleicht eigenständig und stur, aber ich hatte mich nie gegen meine Eltern oder einen königlichen Erlass aufgelehnt ... bis jetzt.
»Wir sehen uns später, Mutter«, sagte ich kryptisch, bevor ich zu den Stallungen losrannte, wo sich meine Stute befand.
Beim Hades, niemals würde ich Lucien Thorne heiraten.
⃰
Ich ritt allein in den Ort. Getarnt mit der Kapuze meines Mantels steuerte ich eines der Häuser meines Lieblingshöflings Maxwell Blane an. Er war gut aussehend, reich, witzig und der totale Frauenheld. Und er war der perfekte Kandidat für meinen Plan.
Hastig klopfte ich an seine Tür, denn auf der Straße davor herrschte reger Betrieb, und ich wollte keine Gerüchte aufkommen lassen. Ohne Begleitperson war ich noch nie allein in der Gegenwart eines Mannes gewesen. Aber für das, was mir vorschwebte, konnte ich keine Zeugen gebrauchen.
Als Maxwells Hausmagd öffnete, huschte ich unaufgefordert hinein.
Erschrocken gab sie einen spitzen Laut von sich und wich zurück. Ich zog den Mantel aus. »Entschuldige, dass ich so hereinplatze, Margaret.«
»Oh, Prinzessin Madelynn.« Sie verneigte sich und wirkte erleichtert darüber, wenigstens zu wissen, wer so unaufgefordert in ihr Haus gestürmt war.
Meine Zofe Piper und ich besuchten Maxwell einmal die Woche zu seinen berühmten Cocktailpartys. Er war der Höfling, den es zu kennen galt, und er veranstaltete die unterhaltsamsten Feiern, die ich je miterlebt hatte. Dabei wurde gesungen, gespielt und getrunken. Natürlich trank ich nicht, das hätte sich nicht geziemt, aber ich beteiligte mich an den Spielen, und wir hatten immer eine Menge Spaß.
»Ist Maxwell da? Ich habe ein dringendes Problem.«
Sie nickte. »Gleich hier entlang. Er ist im Arbeitszimmer.« Sie schaute an mir vorbei zur Tür, als wollte sie stumm fragen, wo meine Begleitperson blieb. Ich schwieg und ließ die Röte in meinen Wangen für mich sprechen. Wortlos verstand sie den Wink und nahm mir den Mantel ab.
Maxwells Eltern entstammten dem Adel des alten Geldes. Als sie bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen waren, hatten sie alles ihm hinterlassen. Er war ein verwöhnter Bengel und ein lieber Freund. Ich wusste, dass er mir helfen würde.
Sie führte mich den Flur hinunter, bis wir eine offene Tür erreichten. Die Dienstmagd klopfte an den Rahmen. »Herr, Prinzessin Madelynn ist hier.«
Seine Züge hellten sich auf, als er mich erblickte. »Was für eine Ehre. Komm rein, meine Liebe.«
Meine Liebe. Meine Schöne. Meine Süße. Er sprach nie eine Frau an, ohne ein Kosewort hinzuzufügen. Er hatte schon den halben Hof im Bett gehabt, davon war ich überzeugt.
Die Dienstmagd ließ uns allein. Normalerweise wäre sie geblieben, damit mein Ruf keinen Schaden nehmen könnte, aber vermutlich hatte sie sich bereits zusammengereimt, dass es sich um ein vertrauliches Gespräch handelte.
Ich schloss die Tür hinter mir, bevor ich mich Maxwell zudrehte.
Er trug ein Jackett aus roter Seide. In der einen Hand hielt er eine angezündete Zigarre, in der anderen eine Tasse Kaffee. An seinem kleinen Finger funkelte ein protziger Diamantring. Maxwell war dreiundzwanzig Winter alt. In der Stadt wurde allwöchentlich über sein Dasein als Junggeselle getratscht, doch er hatte mir einmal anvertraut, dass er nicht die Absicht hatte, zu heiraten. Nie.
Aus Höflichkeit dämpfte er die Zigarre aus, stand auf und küsste mich auf die Wange. Ich nahm die Geste an und erwiderte sie so wie bei einem Bruder oder lieben Onkel. Hingezogen hatte ich mich zu Maxwell nie gefühlt. So gut aussehend er auch sein mochte, seine lockere Art und seine Bettgeschichten hatten mich immer abgestoßen. Mittlerweile war mir klar, dass ich genau das brauchte.
»Welchem Umstand verdanke ich das heimliche Vergnügen?« Er strahlte mich an und schaute mit vielsagendem Blick zur geschlossenen Tür, bevor er sich wieder setzte.
Zittrig holte ich Luft und sah ihn an. »Mein Vater hat mich mit Lucien Thorne verlobt.«
Die Kaffeetasse erstarrte auf dem Weg zu seinen Lippen, ehe er sie beiseitestellte. »Oh Liebes, der Mann hat einen üblen Ruf. Andererseits wirst du Königin, das hat auch was für sich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Offensichtlich kann ich ihn nicht heiraten, Max. Du musst mir helfen.«
Maxwell hatte langes dunkelblondes Haar, eisblaue Augen und weichere Haut als ich. Manchmal, wenn ich ihm ins Gesicht sah, fragte ich mich unwillkürlich, wie er so ... wunderschön sein konnte. So wie in jenem Moment, während er über mein Schicksal nachdachte.
Schließlich nickte er. »Verstehe. Ich kann dir Geld geben. Damit kannst du deinem Vater die Mitgift erst...«
Ich hob die Hand und unterbrach ihn. »Meine Mutter sagt, er würde es nicht annehmen. Es geht nicht um Geld, sondern um den Ruf.«
Maxwell kaute auf der Unterlippe. »Na ja, du könntest Geld von mir annehmen und damit durchbrennen.«
Ich schnaubte. »Und meine Familie verlassen? Mein Zuhause?«
Er zuckte mit den Schultern. »Eine andere Möglichkeit fällt mir nicht ein, Madelynn. Er ist der Winterkönig«, erwiderte er und nippte an seinem Kaffee.
Nervös klopfte ich mit den Fingern auf meine Beine und spürte, wie sich meine Wangen vor Verlegenheit röteten. »Wie du weißt, wird vor der Vermählung mit dem König ein Reinheitstest durchgeführt. Ich habe mich gefragt, ob du mir helfen könntest ... dabei durchzufallen.«
Der Kaffee prustete aus seinem Mund in meine Richtung. Ich konnte mich gerade noch rechtzeitig wegducken, bevor die Flüssigkeit auf der Lehne hinter mir landete.
Sein Mund stand offen. Innerlich zog sich mir alles zusammen.
»Willst du, dass ich umgebracht werde?«, entfuhr es ihm. »Erst würde mir dein Vater den Garaus machen, dann deine Mutter und zuletzt der König. Und ich wäre dreifach tot!«
»Ich bin verzweifelt!«, stieß ich schluchzend hervor. »Er ist ein Monster. Das weißt du.«
Sein Blick wanderte meinen Körper hinab. Dann hob er die Hand und biss sich auf einen Knöchel, bevor er ihn wieder aus dem Mund zog. »Ich gestehe, dass ich mir schon ausgemalt habe, mich mit dir im Bett zu vergnügen, Madelynn. Aber du bist königlich, und von Dramen halte ich nichts.« Maxwell sah mich mitleidig an. »Ich kann dir Geld anbieten, das du mir nicht zurückzahlen musst. Mehr kann ich nicht tun.«
Das war nett gemeint, aber ich würde meine Familie und mein Zuhause nicht verlassen.
Ich legte die Stirn in Falten. »Max, ich will ihn nicht heiraten.«
Er streckte sich über den Schreibtisch und ergriff meine Hand. »Sei einfach die starke, verwegene, eigenständige Frau, die ich kenne. Dann weist er dich vielleicht ohnehin zurück.«
Ich lachte zunächst. Doch was, wenn es gar keine so schlechte Idee war? Wenn ich garstig genug zu ihm wäre, würde er feststellen, dass meine Schönheit und Macht nicht dagegen aufwiegen konnten, was für ein Albtraum ich als Ehefrau wäre.
»Das ist brillant. Danke, Max.«
Nach einem weiteren sehnsüchtigen Blick auf mich winkte er mich weg. »Geh jetzt, bevor ich’s mir anders überlege.«
Ich verabschiedete mich von ihm und nahm von der Hausmagd meinen Mantel entgegen. Als ich die Eingangstür erreichte und sie schwungvoll aufzog, erblickte ich meine Mutter, die an meinem Pferd lehnte.
Hades.
Die Frau kannte mich zu gut. Ich bemühte mich, so ruhig aufzutreten, als wäre ich nicht bei etwas erwischt worden, das ich nicht hätte tun sollen.
Meine Mutter bedachte mich mit einem finsteren Blick, als ich mich ihr näherte. »Ein Besuch beim örtlichen Herzensbrecher ohne Anstandsdame? Du versuchst doch nicht etwa, deinen Ruf zu besudeln, Tochter, oder?«
Ich schnaubte. »Er wollte mich nicht.«
»Madelynn!«, schimpfte meine Mutter. Zur Betonung streckte sie die Hand aus und versetzte mir einen Klaps auf den Hinterkopf. »Dein Vater hat dich mit dem Winterkönig verlobt, dem Herrscher aller Fae. Besser könntest du es gar nicht treffen.«
Meine Eltern schienen die Horrorgeschichten über Lucien Thorne völlig auszublenden.
»Ihr habt mir keine Zeit gelassen, mich darauf einzustellen«, gab ich mit knurrendem Unterton zurück und schämte mich plötzlich dafür, was ich gerade versucht hatte. Wenn sich herumspräche, dass ich ohne Begleitung in Maxwells Haus gewesen war, würde mich kein Mann mehr heiraten wollen.
Meine Mutter legte mir die Hand auf die Schulter und sah mir in die Augen. »Weil wir dich zu gut kennen.« Dabei warf sie einen vielsagenden Blick auf Maxwells Haus. »Weißt du, Schatz, wir haben dich zu einer Anführerin erzogen«, erklärte sie mir. »An der Seite von König Thorne kannst du etwas bewirken. Als seine Gemahlin und unsere Königin wirst du Einfluss auf Gesetze und seine Herrschaft haben. Du kannst deiner Gemeinde etwas zurückgeben und ihm sogar einen Krieg ausreden. Eine Frau nimmt einen wichtigen Platz neben einem König ein.«
Ihre Worte berührten mich und erreichten die Stelle in mir, die mein Glück für das meines Volks opfern wollte. Ich hatte naiv geglaubt, ich könnte sowohl glücklich werden als auch meine Pflicht erfüllen. Mittlerweile erkannte ich meinen Irrtum.
Resignierend seufzte ich. »Wenn er mir wehtut, bringe ich ihn um und pfeife auf die Konsequenzen.«
Meine Mutter zuckte zusammen, als hätte ich sie geohrfeigt. »Wenn er dir wehtut, bringe ich ihn um.«
Ihre Verblüffung über meine Äußerung weckte unverhoffte Zweifel in mir. Ging ich zu hart mit dem Winterkönig ins Gericht? Aber die Geschichten, die ich gehört hatte – zum Beispiel, dass er einmal einen Höfling hinter einem Pferd her durch die Stadt geschleift hatte –, waren allesamt düster und grausam. Sie beschrieben einen unbarmherzigen König, mit dem ich nicht das Geringste zu tun haben wollte.
Plötzlich ließen Tränen meine Sicht verschwimmen. Ein Luftzug strich über uns hinweg und wirbelte mein Haar auf. »Du wirst mir fehlen.«
Kaum hatte ich die Worte mühsam herausgebracht, zog meine Mutter mich in eine Umarmung.
⃰
Der Winterkönig würde jeden Moment eintreffen. Sobald meine Mitgift ausgehandelt wäre, würde er mich am Herbsthof vorführen wie eine preisgekrönte Stute. Wir würden unsere Verlobung öffentlich bekanntgeben, danach würden wir nacheinander die vier Höfe abklappern, um überall die Einladung zu unserer bevorstehenden Hochzeit auszusprechen. Und ich hatte den Mann noch nicht mal kennengelernt oder der Sache zugestimmt.
Am Ende kapitulierte ich vor dem Flehen meines Vaters und den Tränen meiner Mutter.
Ich galt als die mächtigste Prinzessin im gesamten Reich, und der König wollte mächtige Erben, also galt ich als die offensichtlichste Wahl.
Ein Teil von mir hatte es unterschwellig wohl geahnt. Nur hatte ich gehofft, er würde eine Frau königlicher Abstammung aus seinem eigenen Hof heiraten und mich in Ruhe lassen.
Ich wollte die Herbstlande nicht verlassen. Orangefarbene Blätter, frische kühle Luft, der Duft von Veränderung. Ich hatte mein gesamtes bisheriges Leben im Königreich meines Vaters verbracht. Wir gehörten zu den wohlhabendsten Regionen von Thorngate, bauten die Hälfte der Lebensmittel für das Reich an und verkauften sogar Überschüsse an Embergate.
Ich saß in meinem Zimmer, während meine geliebte Zofe Piper mir Locken ins Haar zauberte. Bei der plötzlichen Erkenntnis, dass ich sie verlieren würde, schnappte ich nach Luft. Ich war neunzehn Winter alt, sie zwanzig. Wir waren praktisch zusammen aufgewachsen. Ihre Mutter hatte meiner als Zofe gedient, und Piper war meine beste Freundin geworden.
Seit wir die Neuigkeit erfahren hatten, verhielten wir uns beide ungewöhnlich still. Vermutlich wusste sie nicht recht, was sie davon halten oder was sie zu mir sagen sollte. Den Winterkönig zu heiraten, war mehr Fluch als Segen, von daher wären Glückwünsche nicht angebracht.
»Was ist?«, fragte sie mich schließlich.
Mit wässrigen Augen schaute ich zu ihr auf. »Mir ist gerade klar geworden, dass ich auch dich verlieren werde. Ich könnte nie von dir verlangen, deine Familie zu verlassen und mir in den frostigen Hades des Winterhofs zu folgen.«
Piper lächelte. Wie ich dieses Lächeln liebte. Sie hatte zwei schiefe Vorderzähne, die wie kleine Fänge auf die Unterlippe drückten.
»Ach Maddie, ich würde dich doch nie allein zu dem Mistkerl lassen. Deshalb habe ich deinen Vater bereits gebeten, mich vom Herbsthof zu entlassen. Ich gehe mit dir in die Winterlande.«
Meine Tränen drohten überzuquellen, als ich sie in eine Umarmung zog. »Ich verdiene dich gar nicht«, sagte ich zu ihr.
Als ich sie losließ, nickte sie. Das lange braune Haar wippte um ihre Schultern. »Das stimmt. Außerdem habe ich gehört, der Winterkönig ist reicher als dein Vater. Also sollte ich ihn vielleicht um eine Lohnerhöhung ersuchen ...«
Ich grinste. Piper wusste immer, wie man mich aus einer betrübten Stimmung holte.
Als es an der Tür klopfte, stand ich auf, straffte die Schultern und reckte das Kinn vor.
Es war so weit. Er war eingetroffen.
Als ich zur Tür marschierte, fing Piper mein Handgelenk ab. Als ich den Kopf drehte und sie ansah, loderte Feuer in ihren Augen. »Denk an deinen Wert, Madelynn Windstrong. Du hast eine Menge zu bieten. Ist mir egal, ob er der König ist. Du bist mehr wert als ein Sack voll Gold.«
Mein Herz zog sich zusammen, und ich dankte dem Schöpfer für eine so loyale Freundin. Ich drückte ihre Hand und nickte, bevor ich die Tür öffnete. Draußen erwartete mich meine Mutter. Die Mitgiftverhandlungen fanden immer persönlich statt, nachdem der Bräutigam die mögliche Ehefrau kennengelernt hatte. Er würde sich vergewissern wollen, dass ich so hübsch und mächtig war, wie es die Gerüchte besagten. Je hübscher und mächtiger, desto mehr Geld und Land könnte mein Vater verlangen.
Ich würde ihm zusätzliche Macht für seine Herrschaft und seine künftigen Erben verschaffen, im Gegenzug würde er meinen Vater für das Recht bezahlen, mich zu heiraten. Eine Praxis, die in unserer Kultur als so alt wie die Zeit selbst galt. Bei genauerer Überlegung durchaus ein wenig anstößig, aber notwendig für die Mittelbeschaffung unseres Hofs. Mein Vater erhob vom Volk nicht viele Steuern, und fünfzig Prozent unserer Einnahmen mussten wir beim herrschenden Monarchen abliefern – dem Winterkönig.
»Du siehst wunderschön aus, Liebes«, sagte meine Mutter und bot mir den Arm an.
»Danke.« Als ich mich bei ihr einhakte, schaute ich zu Piper zurück, die mir den Daumen hoch zeigte.
Allein dafür, dass sie entschieden hatte, mit mir zu kommen, liebte ich sie. Wenn ich ehrlich sein wollte, war ich mir nicht sicher, ob ich am Winterhof ohne eine Freundin überleben könnte.
Während meine Mutter und ich durch die Flure unseres Familienanwesens gingen, spürte ich, wie die Realität näher und näher rückte. Der Mann, der angeblich einen Diener getötet hatte, weil er sein Bett nicht richtig gemacht hatte, sollte mein Gemahl werden.
Könnte ich wirklich jemanden heiraten, mit dem ich für den Rest meines Lebens unglücklich sein würde, nur um meine Pflicht zu erfüllen und meine Familie zu erfreuen? Stand Pflichterfüllung über Glück?
Zu meinem Leidwesen, ja.
»Maddie!« Als hinter mir die Stimme meiner kleinen Schwester ertönte, versteifte sich mein gesamter Körper. Mich überkam die Befürchtung, zu einer Tränenlache zu zerfließen. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, Libby zu verlassen.
»Sie weiß noch nichts«, flüsterte meine Mutter. Erleichterung durchströmte mich.
Ich drehte mich um, setzte ein gekünsteltes Lächeln auf und ließ sie in meine Arme stürmen.
»Ich habe Bestnoten im Bogenschießen gekriegt! Meister Bellman sagt, ich bin so gut wie die Elfen!«, rief sie aufgeregt.
Grinsend strich ich ihr das krause rote Haar mit den Händen glatt. Es hatte dieselbe Farbe wie das meiner Mutter und meines, aber die Struktur von dem meines Vaters. Meist sah sie wie ein wilder Löwe aus. »Glaub ich sofort.«
»Du siehst hübsch aus.« Sie betrachtete mein goldbesticktes Kleid, meine aufwendige Frisur und mein geschminktes Gesicht.
»Danke. Ich muss zu ... einer Besprechung. Nachher schaue ich bei dir vorbei, dann reden wir, ja?« Mich von ihr zu verabschieden, würde mich umbringen. Aber daran durfte ich vorerst nicht denken.
»Ja!«, rief sie, rannte zu unserer Mutter, umarmte sie kurz und machte sich dann hopsend den Flur hinunter davon, verfolgt von ihrem Kindermädchen.
Ich wechselte einen herzzerreißenden Blick mit meiner Mutter, schwieg aber.
Zwischen Libby und mir bestand eine besondere Verbindung. Ich hatte miterlebt, wie meine Mutter viele Kinder verloren hatte, bevor Libby vor acht Wintern auf die Welt gekommen war. Ihr Eintritt in unser Leben war wie ein frischer Wind, den wir alle gebraucht hatten. Durch sie herrschte im Palast stets eine fröhliche, unbeschwerte Atmosphäre. Sie verkörperte nach so viel Kummer die Freude im Herzen meiner Mutter.
Als wir die Tür erreichten, sah ich meine Mutter an, um ihr eine Entscheidung mitzuteilen, die ich getroffen hatte. Wenn ich schon einen Mann mit so abscheulichem Ruf heiraten sollte, dann wollte ich zumindest die Kontrolle über bestimmte Dinge.
»Ich möchte meine Mitgift selbst aushandeln«, sagte ich voller Überzeugung zu ihr.
Sie schaute verdattert drein, hüstelte und räusperte sich. »Schatz, so läuft das nicht. Das ist eine Sache zwischen König Thorne und deinem Vater.«
Ich reckte das Kinn vor. »Wenn ich schon an ein Monster verkauft werde, dann will ich den Preis für meinen Wert bestimmen, niemand sonst.«
Die Wangen meiner Mutter loderten vor Scham, und ich bedauerte sofort, es so ausgedrückt zu haben. Nach einem knappen Nicken ihrerseits öffnete ich die Tür.
Als mein Blick auf Lucien Thorne fiel, der mit meinem Vater in der Nähe des Kamins lachte, wusste ich auf Anhieb, dass ich in Schwierigkeiten steckte.
Ich hatte einen tief verwurzelten Hass gegen diesen Mann entwickelt. Für die Dinge, die er getan hatte, gab es keine Entschuldigung. Und doch konnte ich nicht verhindern, dass sich mein Magen zusammenzog und mich ein warmes Kribbeln durchströmte, als ich ihn musterte.
Mir war noch nie ein attraktiverer Mann vor die Augen gekommen. Als er den Kopf drehte und mich ansah, zögerte ich.
Oh Schöpfer, hab Erbarmen.
Lucien Thorne ähnelte in keiner Weise den jungenhaften Gemälden von ihm, die in den Versammlungshallen hingen. Der Mann vor mir wies die Perfektion einer meisterlich in Stein gemeißelten Statue auf – stahlgraue Augen, scharf geschnittene Nase, ausdrucksstarke Kieferpartie. Volle, geschürzte Lippen. Das Haar trug er wie die königlichen Krieger, an den Seiten rasiert, die langen schwarzen Strähnen zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und an den Enden geflochten. Sein anthrazitgrauer Waffenrock schmiegte sich an den muskulösen Körper und überließ wenig der Fantasie. Ich wusste nicht genau, womit ich gerechnet hatte, aber sicher nicht damit, dass ich mich zu dem Mann hingezogen fühlen würde, den ich eigentlich hasste. Das brachte mich für einen Moment aus dem Konzept. Der König und ich standen nur da und starrten uns gegenseitig an. Langsam wanderte sein Blick über mich, und mir stockte der Atem.
Er verkörperte die Ausgeburt des Bösen, allerdings in der verlockendsten Verpackung, die ich je gesehen hatte. Mich überkam die Befürchtung, dass ich einfach annehmen würde, was immer er als Mitgift anbieten mochte.
Ich kann diesen Mann nicht heiraten.
Mit dem Gedanken schüttelte ich den Bann ab, in den er mich gezogen hatte.
»Mein König ...« Ich knickste gerade so viel, wie es die Höflichkeit gebot, dann trat ich vor, um ihn zu begrüßen.
Der Knicks meiner Mutter fiel wesentlich tiefer und geradezu übermäßig respektvoll aus.
Er beobachtete mich wie ein Raubtier seine Beute, und ich schluckte schwer.
»Madelynn Windstrong, du bist weitaus schöner als in den über dich geschriebenen Liedern«, erklärte er, kam mir entgegen und griff nach meiner Hand. Als ich sie ihm nicht entzog, küsste er sie zart. Kälte breitete sich kribbelnd über meinen Arm aus.
Auch noch ein Charmeur. Na, großartig.
Ich bedachte ihn mit einem knappen Lächeln. Anschließend küsste er auch meiner Mutter die Hand. Ich nutzte die Zeit, um mir jede Horrorgeschichte, die ich über ihn gehört hatte, ins Gedächtnis zu rufen, bevor ich mich an meinen Vater wandte.
»Ich habe mit Mutter darüber gesprochen, dass ich meine Mitgift selbst aushandeln möchte, und sie ist damit einverstanden«, teilte ich ihm unmittelbar vor dem König mit.
Mein Vater gab einen erstickenden Laut von sich. Mein Blick schnellte zu Thorne, um zu sehen, wie er darauf reagieren würde. Er beobachtete mich nur belustigt. Mit seelenruhig hinter dem Rücken verschränkten Händen und kleinen Fältchen um die Augen musterte er mich.
»So geht das nicht. Das ist eine Angelegenheit für Männer«, kam von meinem Vater. Dazu stieß er ein nervöses Lachen aus, bevor er den König ansah. »Entschuldigt, Herr. Ich habe sie wohl zu ein wenig zu viel Eigenständigkeit und Sturheit erzogen.«
Der Blick der stahlgrauen Augen des Königs bohrte sich in mich. »Ich denke, für diese Eigenschaften lege ich noch etwas drauf.«
Seine Bemerkung verblüffte mich. Was zum Hades sollte das jetzt bedeuten? Scherzte er etwa? Falls ja, gefiel es mir nicht.
Auch mein Vater wusste nicht, was er davon halten sollte, also schwieg er.
»Ich verhandle gern mit dir über deine Mitgift, Madelynn«, wandte sich der König an mich, und ich schluckte. Zu verkünden, dass ich es so wollte, war eine Sache, es umzusetzen, eine völlig andere.
Tatsächlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass er zustimmen würde. Ich hatte gehofft, er würde es als zu forsch, zu gebieterisch empfinden und die ganze Sache abblasen.
Mein Blick wanderte zu meinen Eltern. Wenn ich zustimmen sollte, diesen Mann zu heiraten, musste ich mich erst unter vier Augen mit ihm unterhalten.
»Mutter, Vater, bitte entschuldigt uns. Ich muss allein mit König Thorne sprechen, bevor ich einwilligen kann, seine Frau zu werden.«
Über das Gesicht meines Vaters huschte ein panischer Ausdruck. Er kannte mich zu gut und malte sich wahrscheinlich aus, was ich alles Schreckliche sagen oder tun könnte.
»Du kannst nicht mit einem unverheirateten Mann allein sein. Es geziemt sich nicht«, erinnerte mich meine Mutter und wirkte ebenfalls nervös.
Ich nickte. »Geh und hol Piper. Sie kann meine Anstandsdame sein.«
Mein Vater war am Kamin erstarrt, als wäre er unsicher, ob er gegen das Protokoll verstoßen und es zulassen könnte. Wir alle schauten zum König, um seine Reaktion abzuwägen, doch er wirkte vollkommen ruhig und schien sich sogar zu amüsieren. Unbekümmert lehnte er sich an die Backsteinmauer des Salons.
»Ich freue mich auf unser vertrauliches Gespräch«, wandte er sich an mich.
Meine Mutter eilte davon, um Piper zu suchen, während mir das entgegenkommende Auftreten des Winterkönigs allmählich unheimlich wurde. Das Ungeheuer, von dem ich gehört hatte, würde etwas Derartiges doch sicher verbieten. Dass eine Frau über die eigene Mitgift verhandelte, war unerhört, dennoch wirkte er nur belustigt darüber, was mich zur Weißglut brachte.
Was für ein Spiel trieb er? Meine Rechnung, ihn mit einem solchen Verhalten abzuschrecken, ging eindeutig nicht auf.
Kurze Zeit später kehrte meine Mutter mit Piper zurück, die sich tief vor dem König verneigte, bevor sie sich als stumme Beobachterin in den hintersten Winkel des Raums stellte.
Mein Vater räusperte sich. Er fühlte sich eindeutig nicht in seinem Element.
»Du kannst jetzt gehen«, wandte ich mich an ihn. Meine Mutter wartete bereits an der Tür.
Er schaute zum König, und dieser nickte. Dann zogen sich meine Eltern widerwillig zurück. Sobald sich die Tür geschlossen hatte, trat ich näher zu Lucien Thorne. Ich beschloss, so ehrlich wie möglich zu sein, damit er wusste, worum es mir ging.
»Ich habe die Geschichten über Euch gehört«, begann ich. »Ihr seid ein grausamer Mann, unfreundlich zu seinen Bediensteten, und Ihr verhängt drastische Strafen selbst für kleinste Verfehlungen. Es wäre gelogen, wenn ich sage, dass ich mich darüber freue, mit Euch verlobt zu sein.«
So. Ich hatte es getan. Ich war vollkommen ehrlich zu ihm gewesen, damit nicht der falsche Eindruck entstünde, ich würde eine hingebungsvolle, in ihn verliebte Ehefrau sein. Dem König von Thorngate so etwas hinzuwerfen, war tollkühn. Deshalb rechnete ich mit einer zornigen Reaktion.
Stattdessen lächelte der Mistkerl nur.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust und heftete einen finsteren Blick auf ihn. »Außerdem«, fügte ich hinzu, »bin ich nicht bereit, Euch sofort Kinder zu schenken. Ihr werdet Euch also gedulden müssen, bis ich so weit bin.«
Seine Lider sanken auf halbmast. Dazu leckte er sich über die Lippen, als malte er sich gerade aus, Kinder mit mir zu zeugen.
Hitze kroch mir in die Wangen, als ich errötete. »Und ich werde nur dann das Bett mit Euch teilen, wenn wir ein Kind erschaffen. Ihr könnt Euch meinetwegen eine Geliebte oder eine Dirne nehmen. Ist mir egal.« Als ich dazu trotzig das Kinn vorstreckte, drang grölendes Gelächter aus seiner Kehle.
Der Laut erschreckte mich. Es war ein tiefes, raues Lachen, das durch den gesamten Raum dröhnte.
»Lacht Ihr mich gerade aus?« Ich ballte die Hände zu Fäusten. Ein leichter Windzug ging durch den Salon und fachte das Feuer im Kamin höher an.
Plötzlich rieselte ein Schneegestöber durch den Abzug herab auf die Flammen und brachte sie zum Zischen.
Veranschaulichte er etwa seine Macht, weil ich es getan hatte? Was zum Hades sollte das? Befanden wir uns in einer Art Duell?
Er beobachtete mich nur lächelnd und scheinbar belustigt, während ich mit meinem Chaos aus Gefühlsregungen zu kämpfen hatte.
Schließlich hob er die Hand und legte sie auf sein Herz. »Ich glaube, ich habe mich gerade verliebt.«
Ich verdrehte die Augen und stöhnte, als der Wind schlagartig verebbte. Wollte dieser Kerl die ganze Zeit so unerträglich charmant sein?
»Ich sage Euch, dass ich Euch für eine fürchterliche Person halte, und Ihr verliebt Euch in mich?«, fragte ich. »Ihr klingt unvernünftig.«
Mit schnellen Schritten kam er auf mich zu. Mein Herzschlag beschleunigte sich, als er schließlich nur wenige Zentimeter vor mir anhielt. »Ich bin nicht unbedingt für meine Vernunft bekannt, oder?«, flüsterte er. Sein warmer Atem prickelte auf meiner Haut.
Heiliger Schöpfer.
Ich wich einen Schritt zurück und schaute panisch zu Piper, doch sie rührte sich nicht, war nur eine stille Beobachterin. Bei Bedarf spielte sie die Rolle hervorragend, aber sobald wir wieder allein waren, würden wir zweifellos noch tagelang darüber reden, was sich hier gerade ereignete.
Mit einem weiteren Schritt vernichtete er den von mir geschaffenen Abstand und senkte die Stimme. »Ich muss etwas beichten«, murmelte er.
Mir schlug das Herz bis in den Hals. Ich schluckte schwer. »Was?«, hauchte ich.
Warum muss er so gut aussehen?
Er blickte erst auf meine Lippen hinab, dann auf meinen Hals und schließlich in meine Augen. »Letzten Vollmond habe ich dich auf der Wiese bei deinem Haus gesehen. Ich war mit einigen meiner Soldaten im Wald unterwegs. Wir haben nach einem vermissten Jagdhund gesucht. Du hast mit deiner Schwester im Garten getanzt und ...« Er holte tief Luft, streckte die Hand aus und ergriff eine Strähne meines roten Haars. »Du warst die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Da wusste ich, dass ich dich unbedingt haben muss.«
Es fühlte sich an, als wäre schlagartig alle Luft aus dem Raum gesaugt worden. Ich konnte nicht atmen. Was ging nur vor sich? Der bösartige König ... unterbreitete mir Komplimente?
»Nenn mir deinen Preis, Madelynn Windstrong. Es gibt kein Goldstück im Reich, das ich nicht dafür bezahlen würde, jeden Morgen neben dir aufzuwachen.« Als er dazu auch noch so bezaubernd lächelte, musste ich ein aufkommendes Wimmern hinunterschlucken. Etwas Süßeres hatte noch nie ein Mann zu mir gesagt – und es kam ausgerechnet von dem Mistkerl, der meiner Familie in der Vergangenheit so viel Kummer bereitet hatte. Ich wusste nicht, was ich sagen oder empfinden sollte. In mir tobten widersprüchliche Gefühle. Was ich anfangs für das Gesäusel eines Charmeurs gehalten hatte, war rasch zu einem ernsten Geständnis geworden.
»Als Ihr König geworden seid und das Land mit dem Großen Frost überzogen habt, ist meine Großmutter gestorben«, platzte ich heraus.
Dunkelheit fiel über sein Gesicht. Beinah bereute ich die Worte. Ich hatte bereits begonnen, mich an sein Lächeln zu gewöhnen.
Auf einmal jedoch starrte ich in eine völlig gefühllose Miene. Er hatte sich irgendwohin zurückgezogen, wohin ich ihm nicht folgen konnte – oder wollte.
»Tut mir leid, dass ich sie umgebracht habe«, erklärte er. »Und all die anderen. Am Sommerhof sind in jener Nacht siebenunddreißig gestorben. Am Frühlingshof zwölf. Sie waren nicht für eine solche Kälte gewappnet.«
Meine Brauen zogen sich zusammen, als er ohne jede Gefühlsregung über seine Grausamkeiten berichtete.
»Ihr gebt es zu?« Wir hatten nie eine Entschuldigung oder eine Erklärung erhalten. Nur eine grausame Kälte, die über das Land gefegt war, bevor sich am nächsten Tag wieder Normalität eingestellt hatte.
»Ja.« Aufrecht stand er da, die Schultern gestrafft, das Kinn erhoben, das Lächeln verschwunden. »Meine Kräfte sind an meine Emotionen gebunden. Genau wie deine. Ich konnte sie nicht kontrollieren.«
Welche Gefühle mochten bewirkt haben, dass dieser Mann das gesamte Reich für einen Tag und eine Nacht komplett eingefroren hatte? Ich war zu dem Zeitpunkt dreizehn Winter gewesen und hatte eine der beängstigendsten Nächte meines Lebens durchgemacht. Die Kälte schlich sich damals wie ein Schatten ins Haus und blieb beharrlich, ganz gleich, wie sehr wir die Feuer schürten. Da meine Zähne ununterbrochen klapperten, konnte ich nicht schlafen. Stattdessen stellte ich mich mit meiner Mutter nach draußen, und wir drängten den Frost mit unseren Windkräften zurück. Meine Großmutter schloss sich uns an, um uns zu helfen, aber sie war zu schwach. Am nächsten Tag verstarb sie. Ein schwaches Herz, hatte der Heiler gemeint, doch wir alle hatten gewusst, was sie geschwächt hatte.
Der Große Frost.
Da sich der König so offen zeigte, geriet ich in Versuchung, ihn danach zu fragen, was ihn in jener Nacht die Kontrolle hatte verlieren lassen. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte. Denn dadurch würde ich erfahren, was für einen Mann ich heiraten sollte. Einen Furcht einflößenden Mann, der mich einfrieren könnte, wenn ich ihn verärgerte.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich sollten wir eine Mitgiftverhandlung führen. Irgendwie hatte sich daraus etwas völlig anderes entwickelt.
Der König starrte mich an, und tief in seinen Augen sah ich etwas, das mir einen Stich im Herzen versetzte. Er wirkte ... traurig. Als steckte irgendwo in ihm ein verzweifelter kleiner Junge, der nur geliebt werden wollte.
»Mir ist klar, dass arrangierte Ehen nicht mehr ideal sind, aber sie haben Tradition«, ergriff König Thorne nun das Wort. »Ungeachtet dessen kann ich die Sache abblasen, wenn du dein Schicksal nicht an das meine binden möchtest. In dem Fall erkläre ich deinem Vater einfach, dass wir nicht zueinander passen. Dein Ruf wird keinen Schaden nehmen.«
Ich runzelte die Stirn. Er bot mir einen Ausweg an? In mir tobte ein Widerstreit zwischen dem, was ich vor unserem Kennenlernen gewollt hatte, meinen derzeitigen Empfindungen und dem, was meine Eltern von mir erwarteten.
»Eigentlich«, fügte der Winterkönig hinzu, »finde ich ja, ich sollte von dir eine Mitgift dafür verlangen, das hier heiraten zu dürfen.« Er deutete seinen Körper entlang, und mir entrang sich unwillkürlich Gelächter.
Er war lustig.
Witzig.
Charmant.
Reizend.
Leicht verrückt. Was könnte da schon schiefgehen?
Sein Angebot, mich aus der Vereinbarung aussteigen zu lassen, fand ich bemerkenswert. Allerdings hatte es mein Vater dem Ältestenrat des Herbsthofs schon verkündet. Ganz zu schweigen davon, dass der König mit einem vollen Kontingent Soldaten angeritten war. Vermutlich wusste bereits die halbe Stadt, was sich abspielte. Wenn wir die Vereinbarung absagten, würden sich Gerüchte verbreiten. Die Leute würden sagen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, ich unrein oder zu eigenständig wäre. Und das würde etwaige künftige Brautwerber abschrecken.
Nein, ich musste es tun. Der Ruf meiner Familie stand auf dem Spiel. Ich dachte an meine Schwester Lilly. Es ging auch um ihre Zukunft. Sosehr ich mir zuvor gewünscht hatte, er würde einen Rückzieher machen, mittlerweile erkannte ich, was für weitreichende Folgen es für meine Familie hätte.
»Wir können mit der Vereinbarung fortfahren.« Mit einer fahrigen Geste strich ich mein Kleid glatt. »Ich wollte Euch lediglich meinen Standpunkt darlegen.«
Er nickte und musterte mich nüchtern. »Du willst nicht sofort Kinder, teilst das Bett nur mit mir, um welche zu zeugen, und ich kann mir eine Dirne nehmen. Verstanden.«
Er brachte mich in Verlegenheit, indem er es so direkt zusammenfasste, und ich lachte unsicher. »Gut, die Äußerung mit der Dirne war ein wenig überzogen. Dafür entschuldige ich mich. Es ... ist alles ein bisschen viel auf einmal für mich. Man hat mir erst heute Bescheid gegeben.«
Grinsend betrachtete er mich. »Soll das heißen, du entziehst mir die versprochene Dirne wieder?«
Ich streckte die Hand aus und knuffte ihn in die Schulter wie einen alten Freund. Einen Moment lang vergaß ich völlig, dass ich den Winterkönig vor mir hatte. Er fing meine Hand ab und hielt zart meine Finger. Prompt überschlugen sich meine Gedanken.
»Das würde ich dir nie antun – mir eine Dirne, eine Geliebte oder irgendwas dazwischen zu nehmen«, versprach er, und mir wurde regelrecht schwummrig.
Er war wirklich so gar nicht, wie ich angenommen hatte.
»Wie viel Mitgift hat Euer Vater an die Familie Eurer Mutter bezahlt?«, fragte ich und zog die Finger aus seinen. Ich wollte ein Gefühl dafür bekommen, welcher Betrag angemessen sein könnte.
Bei der Erwähnung seiner verstorbenen Mutter fielen seine Züge leicht in sich zusammen, bevor er die Fassung zurückerlangte. »Hundert Goldmünzen, zehn Äcker Land und ein Dutzend Pferde. Aber das damals waren einfachere Tage.« Seine Stimme klang monoton. Ich fragte mich, ob es ihm selbst nach so langer Zeit noch schwerfiel, über seine Mutter zu sprechen.
Hundert Goldmünzen verdiente mein Vater in einem Winter, und König Thorne würde mich ihm auf ewig wegnehmen.
»Ich will tausend Goldmünzen«, verkündete ich, insgeheim bereit, mich auf fünfhundert herunterhandeln zu lassen.
»In Ordnung«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich erstarrte, bevor ich schwer schluckte. Er war fürchterlich entgegenkommend. »Und ich möchte, dass meine geschätzte Zofe mitkommt.« Ich deutete mit dem Kopf auf Piper, die steif und stramm in der Ecke stand.
»In Ordnung«, willigte er abermals ein.
Mein Herz hämmerte wild in der Brust. »Außerdem denke ich, hundert Äcker Land für mein Volk wären ein gerechter Preis für die zwei Erben, die ich Euch schenken werde.«