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Stolz und Vorurteil meets New Adult: Der Auftakt der neuen Romance-Reihe von Jella Benks Die Geschichte zwischen uns. Vier Jahre ist es her, dass Ella von ihrem besten Freund Darce aus seinem Leben verbannt wurde. Jetzt ist er für einen weiteren Sommer zurück in Juniper Falls und stellt Ellas Leben auf den Kopf. Denn Darce sollte nicht hier sein – weder in Juniper Falls noch in der Villa, in der Ella diesen Sommer einen Job angenommen hat. Notgedrungen muss sie sich den Veränderungen stellen: Dass sich der Junge, den Ella einst geliebt hat, in einen arroganten Snob verwandelt hat. Dass für Darce nur noch die Arbeit zählt. Aber am schlimmsten: Dass er es noch immer schafft, die kribbelnden Erinnerungen an Sonnentage und Küsse, die nach Kirschen schmecken, zurückzuholen. #StolzundVorurteil-Retelling #FirstLovebutForbidden #Poorvs.Rich/Trailerpark #SunnyxGrumpy #SecondChance #EmotionalScars
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Seitenzahl: 501
Jella Benks
Ausführliche Informationen über unsere
Autorinnen und Autoren und ihre Bücher
www.leaf-verlag.de
1. Auflage 2024
Originalausgabe:
Copyright © 2024 by LEAF Verlag, Bücherbüchse OHG, Siebenbürger Straße 15a, 82538 Geretsried, Deutschland Copyright © 2024 by Jella Benks
Textredaktion: Janina Roesberg, Yvonne Lübben
Covergestaltung: > FAVORITBUERO, München unter Verwendung von Motiven von © black moon; © loveshiba; © -strizh-; © Olena Vyshynska / Shutterstock Gesetzt aus der Adobe Caslon
Satz: LEAF Verlag
ISBN 978-3-911244-15-2
Für all diejenigen,
denen es manchmal schwerfällt,
Licht in der Dunkelheit zu finden
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte, deshalb befindet
sich auf der letzten Seite eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.
2002 – Anne-Marie
Consequences – Camila Cabello
Fingers Crossed – Lauren Spencer Smith
Rescue Me – OneRepublic
It Ain’t Me – Kygo
Little Bit of Love – Tom Grennan
Rockabye – The Mayries
Clouds – Zach Sobiech
Black Horse And The Cherry Tree – KT Tunstall
In My Blood – Shawn Mendes
1950 – King Princess
Ruin My Life – Dan Berk
Iris – Goo Goo Dolls
No Promises (feat. Demi Lovato) – Cheat Codes
Your Song – Rita Ora
The Middle – Zedd
Big Girls Don’t Cry (Personal) – Fergie
Anywhere – Rita Ora
We loved with a love
that was more than love …
Edgar Allan Poe
Es gab diesen Spruch, der behauptete, das Leben sei wie eine Pralinenschachtel. Süß, zartschmelzend, aromatisch – für mich galt nichts davon.
Mein Leben war wie der Griff in diesen Spalt zwischen den Sofapolstern. Dorthin, wo sich all das sammelte, was niemand vermisste. Kleingeld, Haarbänder, Schnipsel und Ohrringe, die sich im Staub wälzten. Jeder Griff war eine Überraschung, doch die wenigsten davon waren gut.
Und manche widerlich.
Wie das benutzte Kondom in meiner behandschuhten Hand.
Dort, wo vor einem Jahr noch Ekel gesessen hatte, machte sich längst Resignation in mir breit, durchmischt mit dieser feinen Prise Selbsthass.
Ich suchte nach einem Mülleimer und fand keinen.
Natürlich.
Hier im Kaminzimmer hatte es nie einen gegeben. Wahrscheinlich, damit niemand auf die abstruse Idee kam, dass die Bewohner in diesem Prachtbau etwas Unanständiges taten – wie leben.
Der weinrote BH schwankte weit über meinem Kopf am Kristallleuchter und rief mir in Erinnerung, dass hier zumindest letzte Nacht jemand gelebt hatte.
Keine Ahnung, wie ich ihn vom Kristall bekommen soll.
Damit würde ich mich später beschäftigen. Erst musste ich das Problem in meiner Hand loswerden.
Und sie im Anschluss waschen – bis übermorgen.
Darce’ Zimmer ist nebenan.
Eine verbotene Idee.
Der Raum war für mich tabu.
Aber Bentley hatte mir gestern geschworen, dass Darce nicht nach Juniper Falls zurückkehren würde, sondern den ganzen Sommer über auf seinem Protz-Campus in Chicago blieb – seine Worte, nicht meine.
Er wird es also nie merken.
Sonnenstrahlen brachen sich im Kristall und zauberten Farben und Muster auf die dunklen Eichendielen, während ich mit mir rang. Ich fand die Macke, die Bentley vor Ewigkeiten hineingeschlagen hatte, als er hier heimlich Inliner gefahren war, und dieser bittersüße Schmerz schlich sich so verlässlich an wie immer.
Ich hätte nicht zurückkommen sollen.
Und ich hätte Bentley fragen sollen, was er unter ein wenig After-Party-Chaosbeseitigung verstand. So wie die Villa aussah, würde ich den ganzen Tag putzen. Das Kaminzimmer war noch harmlos verglichen mit den Räumen unten. Allein aus den Flaschen, die dort standen, könnte ich mir ein eigenes Gebirge bauen.
Reizvoll.
Überall wäre ich lieber als hier.
Ich starrte erneut auf das Kondom in meiner Hand.
Wohin damit?
Ins Gästebad?
Dafür musste ich die Treppe hinunter, auf der ein Komiker Dutzende gefüllte Wasserbecher aufgestellt hatte. Nein. Ich wollte es loswerden. Jetzt. Ohne zuvor einen Parcours zu absolvieren.
Also zu Darce.
In der Villa roch es genauso wie früher, nach Holzpolitur und Lavendel. Überall fanden sich die eleganten, geschwungenen Holzmöbel, die schon damals gewirkt hatten, als wären sie aus einer längst vergangenen Epoche gefallen. Der Konsolentisch, den wir beim Fangen umgeworfen hatten, die goldene Kommode mit den aufgesetzten Rosenranken, die ich früher regelmäßig mit dem Finger nachgezeichnet hatte – alles war so vertraut, als wäre ich nie fort gewesen. Hier drinnen schien die Zeit stehengeblieben zu sein.
Langsam öffnete ich die Tür zu Darce’Zimmer. Früher hatte ich nie darüber nachgedacht, warum ich diesen Raum nicht betreten durfte, weil es immer so gewesen war. Und dann hatte es plötzlich keinen Grund mehr gegeben, darüber nachzudenken.
Wie können schon vier Jahre vergangen sein?
Wie erst vier Jahre?
Warum rast die Zeit dahin und scheint gleichzeitig stillzustehen?
Vom Flur aus hatte ich oft hineingeschaut. Damals fühlte es sich so an, als wartete jenseits dieser Schwelle etwas auf mich.
Der Zugang zu einer fantastischen Welt.
Mindestens Narnia.
Jahre später trat ich nun ein, doch statt Narnia bekam ich ein Zimmer, das dringend gesaugt werden musste.
Von hier aus fühlte es sich kleiner an. Das lag wohl nicht allein an der veränderten Perspektive, sondern auch an den ausladenden, massiven Holzmöbeln. Sie wirkten so majestätisch, als stünden sie schon immer hier und würden dies noch die nächsten Jahrhunderte tun. Dabei hätten sie sich gut in einem Museum gemacht – oder in einem Königshaus.
Ich setzte einen weiteren Schritt hinein, bemüht, keinen Ton zu machen, obwohl Bentley und James im Erdgeschoss sicher noch tief und fest schliefen. Doch das hier fühlte sich so verboten an, dass ich nicht anders konnte. Wie sehr sich diese Erinnerungen aus der Kindheit in uns festkrallten, dass sie noch Schatten auf die Gegenwart warfen, obwohl wir längst erwachsen waren.
Das ganze Anwesen war ein einziger Schatten und dieses Zimmer gehörte dem größten und tiefsten von allen.
Zeit, sie zu verscheuchen.
Gerade wollte ich den nächsten Schritt machen, da sah ich aus den Augenwinkeln, wie sich die Bettdecke bewegte.
Jemand lag dort!
Eine schreckliche Sekunde fürchtete ich, er wäre es.
Aber schon fand ich lange blonde Haarsträhnen und etwas tiefer ein schwarzes Glitzertop, das knapp genug geschnitten war, um mir deutlich zu machen, dass nicht Darce dort lag.
Eine von Bentleys Freundinnen hatte sich offenbar den ungünstigsten Schlafplatz überhaupt gesucht.
Darce würde durchdrehen.
Ich musste sie hier rausholen.
Oder nicht?
Sollte ich Bentley wecken?
Sie schlafen lassen – in Darce’ Bett?
Unter all den Möglichkeiten suchte ich diejenige, die sich am wenigsten mies anfühlte.
»Was machst du hier?«, ertönte es hinter mir.
Drohend.
Dunkel.
Shit!
Unzählige Male hatte ich darüber nachgedacht, was mir mehr Angst machte: Darce wiederzusehen oder ihn niemals wiederzusehen? Jetzt fand ich die Antwort. Ich würde alles dafür geben, wenn dort hinter mir jemand anderes stünde.
Irgendjemand.
Nur nicht er.
»Hey! Ich rede mit dir.«
Flucht war unmöglich. Die nächsten Jahre stehen bleiben und vorspielen, ich wäre eine verblüffend realitätsnahe Statue, ebenfalls. Oder? Jetzt wäre die perfekte Gelegenheit, dass dieser antike Holzboden unter mir aufbrach und mich mit einem Happs verschlang. Aber obwohl die Welt zu schwanken schien, blieb dieses verfluchte Holz unerschütterlich – im Gegensatz zu mir.
»Hey?«
Was hat mich geritten, diesen Job anzunehmen?
Schlechteste.
Idee.
Aller.
Zeiten!
Seine Hand legte sich an meine Schulter und rüttelte daran. Nicht rabiat genug, um unangenehm zu sein, aber zu energisch, um als sanft durchzugehen. Der Boden hielt und so blieb ich hier – in seinem Schlafzimmer.
Keine Ahnung, wie er reagieren würde.
Mich anschreien?
Mich umarmen?
Beides war gleich wahrscheinlich.
Beides gleich erschreckend.
Ich war nicht bereit.
Der Druck seiner Finger fühlte sich an wie früher, war so vertraut, dass es schmerzte.
»Was soll das?«, fragte er, nachdem ich keine Anstalten unternahm, mich zu rühren. Oder zu atmen.
Das hier war der peinlichste Moment meines Lebens und mit jeder Sekunde, die verging, wurde er schlimmer. Ein tiefer Atemzug, ein letztes Mal Mut sammeln, dann drehte ich mich um. Kastanienbraune Augen weiteten sich überrascht.
Die Zeit war doch nicht überall stehengeblieben.
Seine Schultern waren breiter geworden und er trug nun einen dieser Dreitagebärte, die anscheinend niemals aus der Mode kamen. Dieser hier war so akkurat geschnitten, dass Grandpa daran Freude gehabt hätte. Nichts hatte ihn mehr begeistert als ein perfekt gestutzter Rasen. An Grandpa hatte ich zu lange nicht gedacht. Nur ein Blick in Darce’ helles Gesicht und die Erinnerungen an ihn kehrten zurück. Brachten weitere mit sich.
Von tiefblauen Sommerhimmeln.
Kinderlachen.
Unbeschwertheit.
Dem Geschmack von Kirschen.
Sie hüllten mich ein wie eine vertraute Decke …
»Eklig.« Mit nur einem Wort zerrte Darce die Decke fort und scheuchte die Erinnerungen davon.
Wahrscheinlich sah ich ähnlich fassungslos drein, wie ich mich fühlte, denn sein Kinn zuckte erklärend in Richtung meiner linken Hand. Irritiert folgte ich seinem Blick und fand das Kondom.
Ich hatte mich geirrt.
Das gerade war nicht der peinlichste Augenblick meines Lebens gewesen.
Dieser hier war es.
»Ich wollte es in deinen Mülleimer werfen.«
Wow.
Was für poetische Worte nach vier Jahren Funkstille.
Vier verfluchte Jahre.
Wieder erwischte ich mich dabei, dass ich ihn anstarrte. Noch schlimmer war, dass er mich ebenfalls erwischte. Seine honigblonden Augenbrauen zogen sich irritiert zusammen.
»Geh.« Immerhin war seine Erwiderung auch nicht poetischer.
Dafür verwirrend.
Wohin? Bad oder Flur?
Seinem Blick nach sollte ich das wissen.
Flur?
Offenbar die richtige Entscheidung, denn er ließ mich schweigend passieren.
Ganz ohne Umarmung.
Und ohne Wut.
Seltsam.
Ich atmete durch, kratzte das zusammen, was sich wie die kümmerlichen Überreste meines Muts anfühlte.
»Du bist zurück.« Großartiger Gesprächseinstieg, Ella. Offenbar ist er das.
»Offenbar bin ich das«, kam es wie ein Echo meiner Gedanken von ihm.
Gut, versuchen wir es anders. »Wie lange bleibst du?«
»Das Zimmer kann heute Nachmittag gemacht werden.« Er wandte sich ab. »Sorg für neue Bettwäsche und saug hier durch.« Mit diesen Abschiedsworten schloss er die Tür hinter sich.
Darce.
Den ich mein Leben lang kannte.
Mein bester Freund.
Der Junge, der meinen ersten Kuss bekommen hatte.
Meine erste Liebe.
Er hat mich nicht einmal erkannt.
»Du hättest dabei sein müssen, Ella-Bella«, stellte Bentley zum hundertsten Mal fest, während ich versuchte, die hartnäckigen Wasserflecken von der gigantischen Marmorkücheninsel zu reiben. Der Rest des Anwesens wirkte zwar wie aus der Zeit gefallen, doch die offen geschnittene Küche bildete eine Art moderne Insel. Die weißen Hochglanzfronten und der helle Marmortresen brachen die antike Eleganz auf. Früher hatten wir oft hier gesessen und Limo getrunken, bis uns ein Erwachsener erwischt und wieder nach draußen geschickt hatte.
»Ella?«, setzte Bentley erneut an und erinnerte mich daran, dass ich ihm eine Antwort schuldig geblieben war. Er mochte älter geworden sein, aber sein hellbraunes Haar bildete das gleiche wirre Chaos wie zu Kinderzeiten und sein Gesicht besaß noch denselben zarten Rosaton. Doch am meisten verband ich mit Bentley dieses strahlende Lächeln, das er mir gerade zuwarf und das sich jedes Mal anfühlte wie ein warmer Sonnenaufgang.
»Aus Partys mache ich mir nichts.«
»Sie macht sich nichts aus Partys«, erwiderte er so entrüstet in Richtung seines Freundes, dass ich lachen musste.
»Du weißt, was das heißt?«, fragte James und schob sich eine seiner schwarzen Locken aus der Stirn. Das einfallende Sonnenlicht verstärkte den goldenen Hauch seiner braunen Haut und in seinen dunklen Augen glitzerte es verdächtig. »Wir müssen sie überzeugen.«
»Das schaffen wir.« Bentley hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, bevor er sich an ihn lehnte. »Warte ab, die Partys werden legendär. Noch in Jahrzehnten wird ganz Juniper Falls über unseren Partysommer reden.«
»Wenn ihr wieder vorhabt, ein Labyrinth aus Wasserbechern auf der Treppe aufzubauen – bestimmt. Denn dann wird sich jemand das Genick brechen«, gab ich zurück und erkannte die Überlegenheit des Marmors an. Diese Wasserflecken bekam nichts und niemand weg. Egal, die fielen eh nicht auf.
»Das war ein Sicherheitssystem, damit keiner nach oben geht«, protestierte Bentley. »Stell dir vor, jemand hätte in Darce’ Zimmer gekotzt. Der würde es fertigbringen, uns alle zu verklagen.« Er schwankte beim Lachen so heftig, dass ich kurzzeitig fürchtete, er würde vom Barhocker fallen.
James dachte wohl Ähnliches, denn er krallte sich vorsorglich am Küchentresen fest, um sie beide zu halten.
»Was das angeht … Er ist zurück?«
»Ja.« Bentleys Lachen verklang abrupt und damit auch die Gefahr, dass er im nächsten Augenblick vom Hocker fiel. »Er stand gestern Nacht einfach vor mir. Schwer zu sagen, wer von uns beiden begeisterter war.«
»Darce.« James kicherte. »Er sah aus, als wäre er eine überreife Tomate kurz vorm Platzen. Boom.« Seine Faust sprang demonstrativ auf. »Aber er scheint sich doch amüsiert zu haben. Ich habe Annie heute Morgen aus seinem Zimmer kommen sehen.«
Großartig.
Vier Jahre und trotzdem nagte es bei dem Gedanken hinter meiner Brust.
»Setz dich endlich zu uns, Ella-Bella«, Bentley nickte in Richtung des leeren Hockers neben sich,»und iss.Ich bekomme schon Hunger davon, dir bei der Arbeit zuzusehen. Das ist nicht gesund.« Er deutete auf die übergroße Pizzaschachtel mit den Reststücken, die vor ihm auf der Arbeitsplatte stand.
»Ich habe keinen Hunger.« Hätte ich für diese Lüge jedes Mal einen Dollar bekommen, müsste ich jetzt nicht benutzte Kondome wegräumen.
»Aber sie ist mit Extrakäse.« So schnell gab Bentley nicht auf. Er hob den Karton an, hielt ihn in meine Richtung und ließ den Deckel auf- und zuschnappen, als wollte er den Geruch zu mir herüberschicken. Konnte er nicht mehr, denn der hing bereits überall. Vor einer Stunde war es härter gewesen abzulehnen, als der Duft nach geschmolzenem Käse sogar den des blumigen Reinigungsmittels überlagert hatte.
Sie meinen es nur gut. Das meinten alle. Aber die wenigsten hatten eine Ahnung, was es bedeutete, arm zu sein. Richtig arm. Wie es sich anfühlte, etwas anzunehmen, obwohl man wusste, dass man nie in der Lage wäre, es auszugleichen.
Mit jedem Gefallen, jedem Pizzastück, jedem spendierten Getränk blieb ein Stück Schuld auf der einen Seite zurück.
Meiner Seite.
Dort fühlte es sich mies an. Keine Ahnung, wie es auf der anderen aussah, dahin hatte ich es nie geschafft. Ich war diejenige, deren Taschen mit Supermarktcoupons gefüllt waren, nicht die, die Pizza für alle bestellen konnte.
Arm zu sein, war scheiße, aber zumindest Stolz konnte ich mir leisten. Deshalb hatte ich zwei Regeln aufgestellt. Die erste lautete: nur das annehmen, was mir zusteht.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte ich daher, stoppte Bentley und schloss die Packung. »Kannst du mir den Lohn für heute geben? Ich seh gleich noch kurz bei George vorbei, wenn seine Pflegerin fort ist, anschließend muss ich los.«
»Klar.« Er hob sich gerade so weit vom Stuhl, dass er seine Geldbörse aus der Hosentasche ziehen konnte. Dann legte er sie vor sich auf die Arbeitsplatte und öffnete sie. Das Bündel Scheine darin hätte locker ausgereicht, um unsere Miete für den nächsten Monat zu sichern. Zwei davon zog er heraus, warf sie auf die Arbeitsfläche und legte einen dritten dazu, gerade als das Geräusch von Schritten erklang.
Verdammt.
Hätte ich mich heute nicht bereits komplett lächerlich gemacht, hätte ich mich hinter die Kücheninsel geworfen und gebetet, dass mich Darce dort nicht fand. Leider war mein tägliches Maß an Peinlichkeiten übervoll.
»Du«, sagte er, kaum dass er mich erblickte, und deutete auf mich.
Also doch.
Wahrscheinlich war er heute Morgen noch halb betrunken und schläfrig gewesen. Deshalb hatte er mich nicht erkannt. Es war schlicht unmöglich, dass er mich aus seinem Kopf gelöscht hatte.
»Du hast meine Bettwäsche nicht gewechselt!«
Oder doch nicht.
…
Wie hat er mich vergessen können?
Bentley brach in Gelächter aus und erinnerte mich daran, dass wir nun zu allem Überfluss Zuschauer hatten.Hitze kroch meine Wangen entlang. Nicht mehr lange und sie würden spielend mit dem Rot der Tomatensoße auf der Pizza konkurrieren.
»Stimmt«, gab ich zurück, weil Darce mich ansah, als erwartete er eine Antwort. »Mach es selbst!«
Nun klang Bentley, als bekäme er vor lauter Lachen keine Luft mehr. Darce starrte kurz verwirrt zu ihm, dann zu mir und wieder schoben sich seine Augenbrauen zusammen. »Ist das nicht dein Job?« Zumindest schien ihm zu dämmern, dass ich vielleicht nicht zum regulären Putzteam gehörte, aber damit machte er es nur noch schlimmer.
»Gott«, stieß Bentley aus und japste. »Das ist Ella.«
Ella.
Darce’ Lippen formten meinen Namen.
Wenn er jetzt sagt, er weiß nicht, von wem Bentley spricht, schnappe ich mir das Geld und gehe.
Und komme nie wieder.
Vielleicht.
Zumindest nicht bis morgen.
Shit, ich hasste es, wie dringend ich den Job brauchte.
Doch kastanienbraune Augen weiteten sich bereits entgeistert. Mein Name kam anscheinend in Darce’ Gedächtnis an und öffnete einige der verstaubten Schubladen darin. Für einen langen Augenblick fühlte es sich an, als dachten wir an das Gleiche.
An Küsse, die nach Kirschen schmecken.
»Ella.« Verspätet wich er nach hinten aus, stieß gegen die Marmorplatte. »Warum sagst du das nicht?«
»Warum schaust du nicht hin?«
»Du siehst anders aus!« Sein Finger wies vorwurfsvoll an mir hoch und runter und nichts daran fühlte sich an, als fände er, dass es eine Verbesserung wäre.
»Dafür haben deine Manieren gelitten.«
»Haben sie das?« Es klang nicht wie eine Frage, dennoch bekam er ein energisches Nicken. »Was soll das?« Darce wandte sich an seinen Bruder. »Warum lässt du ausgerechnet sie hierherkommen?«
»Kannst du weniger schreien? Kopfschmerzen.« Bentley streckte sich, strich durch sein Haar, das die gleiche Farbe wie das von Darce besaß. »Der Putzdienst konnte nicht auf heute wechseln und Ella war sowieso hier, also …«
»Warum war sie hier?« Eine unheilvoll herausgepresste Frage.
»Sie kocht für George.«
»Nein!« Darce stieß einen Ton aus, der wie ein Fahrradreifen klang, in den ein Nagel gerammt wurde. »Es gab diese eine Sache, um die du dich kümmern solltest und du schleppst ausgerechnet sie an?«
Ich hasste es, wenn andere über mich statt mit mir sprachen. Aber dass ausgerechnet Darce dieser Jemand war, ließ die Wut in meinem Magen köcheln.
»Was ist dein Problem?«, brach es aus mir heraus. Die Frage war der Ersatz für all die anderen, die seit Jahren mal lauter, mal leiser in mir tobten.
Warum hast du dich nie gemeldet?
Wieso hast du auf keinen meiner Briefe geantwortet?
Weshalb hast du mich aus deinem Leben gesperrt?
»Ich habe kein Problem.« Er sah wieder zu mir. »Aber gerne ein professionelles Verhältnis zu den Angestellten. Keine Freundschaften.«
Ob er noch so gelassen aussah, wenn ich den Schwamm über ihm auspresste?
»Zum Glück sind wir keine Freunde mehr. Darf ich eurem Großvater jetzt sein Abendessen machen?« Ich trat an ihm vorbei, nahm die Milch aus dem Kühlschrank.
»Du willst doch nicht jeden Tag hier herumhängen und für den alten Griesgram kochen?«, setzte er erneut an. Offenbar war die Diskussion für ihn noch lange nicht erledigt.
Großartig.
Nicht.
Ich öffnete die Milch, drehte mich um und knallte gegen Darce, der mir ungerührt hinterhergekommen war.
»Kannst du nicht aufpassen!«, fuhren wir uns gleichzeitig an und von der anderen Seite des Tresens drang erneut Gekicher zu uns.
»Wolltet ihr nicht ins Kino?« Darce schnappte sich ein Küchentuch und rieb über die nassen Flecken auf seinem Hemd.
Von mir würde er nicht erfahren, dass er es so noch schlimmer machte.
»Das hier ist besser.« Bentley grinste wie früher, wenn er Darce mit seinen Wasserbomben abgeworfen hatte. Und der wirkte ähnlich wütend wie damals.
Ich wollte lieber nicht darüber nachdenken, dass ich für Darce offenbar eine Wasserbombe geworden war.
»Aber wir brauchen unbedingt Popcorn«, mischte sich James begeistert ein. »Machst du uns welches, Ella?«
»Nein!«, rief Darce. »Wollt ihr mich alle verarschen?« Er deutete auf mich. »Du machst niemandem Popcorn!« Sein Finger fand die anderen beiden, schwenkte zwischen ihnen hin und her. »Und ihr verschwindet von hier!«
»Und lassen euch allein?« Bentleys Grinsen veränderte sich und bekam einen verschwörerischen Anstrich. Er sah aus, als wüsste er, was wir damals im Kirschbaum getan hatten.
»Nein!«, riefen Darce und ich – erneut zeitgleich.
Wenn das ein Running Gag werden sollte, war es eindeutig ein mieser und er fühlte sich an, als ginge er auf meine Kosten.
»Nehmt sie mit«, forderte Darce. Gerade noch war ich eine Wasserbombe gewesen, nun wohl ein Sack Wäsche, den er nicht schnell genug loswerden konnte.
Vielleicht hätte ich ihn längst wiedersehen sollen. Dann hätte die Erinnerung von damals der Realität Platz gemacht. Könnte ich bitte all die Tränen zurückbekommen, die ich um ihn geweint habe?
»Klar mache ich Popcorn.« Ich versuchte, wie die überglücklichen Hausfrauen in den 60er-Jahre-Werbejingles zu klingen. Es klappte wohl nicht, denn Darce starrte mich an, als fürchtete er, ich hätte jetzt auch noch irgendeine Art von Anfall. Also weniger gruselige Stepford-Wife? Kann er haben. »Dir mache ich keins und das ist ein Jammer, weil mein Popcorn das Beste ist.«
»Tss«, erwiderte Darce. »Ich mag das Zeug eh nicht. Werde erwachsen, Ella.«
»Früher hast du es geliebt.« Mein Triumph währte nur kurz, Darce’ Blick verhieß wenig Gutes.
»Mein Geschmack hat sich verändert«, gab er grausam kühl zurück und es brauchte keine weiteren Worte, um deutlich zu machen, dass er damit nicht das Popcorn meinte. Er gab seine Versuche, das Hemd zu trocknen, auf und warf das zerknüllte Tuch zu dem Geld auf dem Küchentresen. »Da sind übrigens noch Wasserflecken auf dem Marmor.«
Wow.
Darce, der mich regelmäßig beim Kirschkernweitspucken hatte gewinnen lassen, war der König aller Arschlöcher geworden.
Das kam schmerzhaft unerwartet.
Er schien nicht mit einer Antwort zu rechnen, war längst an mir vorbei und begutachtete den Inhalt des Kühlschranks. »Hör auf, meinen Joghurt zu essen, Bings!«
Bings. Ein Stich mitten in mein Herz. So hatte er Bentley früher auch genannt, wenn er wütend auf ihn gewesen war. Der war daraufhin regelmäßig zur Sirene geworden, hatte Darce dafür um die Ohren geschleudert, was wir damals für die wildesten Flüche hielten. Heute lag sein Kopf auf James’ Schulter und er zuckte nicht einmal mehr zusammen.
»Ich habe keine Ahnung, was du von mir willst«, erwiderte er. »Was soll ich mit Joghurt? Ich hab Pizza.«
Darce’ Blick blieb an James hängen, aber der schüttelte den Kopf. »Vergiss es, ich vergreife mich nicht an deinem heiligen Joghurt.« Sein glaubwürdiger Protest führte dazu, dass Darce nun seinen Bruder wieder mit finsteren Blicken aufspießte.
Ich wandte mich ab und meine Aufmerksamkeit den Töpfen zu. Das war sie, die zweite Regel: niemals zugeben, wenn man sich doch heimlich etwas nimmt, was einem nicht zusteht. Heute fühlte es sich an, als benötigte diese Regel noch eine Erweiterung: Besonders nicht, wenn es der Lieblingsjoghurt deiner ersten Liebe ist, die zum arroganten Widerling mutiert ist.
»Ich weiß, dass du es warst, Bings!«, fuhr dieser Widerling gerade seinen Bruder an.
»Wo habt ihr den Mais?«, rief ich dazwischen und stellte einen der größeren Töpfe lautstark auf den Herd.
»Geh nach Hause, Ella!«
Darce hatte keine Vorstellung davon, wie gern ich das würde. Dieser Tag besaß das Potenzial, mein neuer ultimativer Hass-Tag zu werden. Dennoch setzte ich etwas auf, was sich wie ein Lächeln anfühlte, griff nach einem dieser Minifläschchen Öl, die wahrscheinlich mehr kosteten als mein Wocheneinkauf, und goss es provokant in den Topf.
»Zeig es ihm, Ella-Bella«, rief Bentley und kurz war es wie früher.
»Das ist albern.« Darce beendete den Moment, schüttelte den Kopf und sein Blick blieb an meinem Gesicht hängen. »Wieso hast du dein Haar abgeschnitten?«
War er noch in der Lage, Sätze herauszubringen, die nicht wie ein Vorwurf klangen? Und warum stellte er erst jetzt fest, dass meine damals hüftlangen Haare mir nur noch bis zu den Schultern reichten?
Wie kann er mich so aus seinem Gedächtnis gelöscht haben?
»Auch mein Geschmack hat sich verändert«, gab ich zurück und marschierte an ihm vorbei in Richtung Speisekammer.
»Wie läuft es bei denen?«
Denen – das war von jeher die Familie von Bentley und Darce. Es war kompliziert mit Mom und denen. Ihr Reichtum faszinierte sie ähnlich, wie er sie abstieß. Seit ich dort arbeitete, saugte sie jede Winzigkeit aus mir heraus, verlangte alle Details, um sich im Anschluss darüber auszulassen, wie armselig deren Leben doch war. Genau wie früher.
Ich legte Bentleys Pizzakarton mit den Resten auf unseren zerkratzten Tisch. Beim Abschied hatte ich gefragt, ob ich ihn entsorgen sollte, und dafür von Bentley einen Luftkuss zugeworfen bekommen. Jetzt standen die Reste hier und waren unser Abendessen. Wer ist hier erbärmlich?
»Pizza!« Ein hoher Schrei drohte, mir das Trommelfell zu zerfetzen. Kitty machte ihrem Spitznamen alle Ehre, war mit einem Satz auf der Bank und angelte sich den Karton wie ein Kätzchen, das einen Fisch fing.
»Hast du dir die Hände gewaschen, Kitty-Cat?«
Sie blies die blassen Wangen auf und wirkte nun wie ein niedlicher Kugelfisch. Seit sie ihre Haare auf der gleichen Länge trug wie ich, waren die Ähnlichkeiten zwischen uns nicht mehr zu übersehen. Manchmal sah ich mich selbst in ihr. Damals, als die Welt ein Abenteuer gewesen war und meine Träume so groß, dass sie nicht in diesen Trailer gepasst hatten. In diesen Momenten wünschte ich mir, mich noch einmal so zu fühlen. So unerschrocken und frei.
»Los, Hände waschen!«
Sie verdrehte die Augen, stand aber auf und verschwand.
»Du bist zu streng mit ihr!«
»Eine von uns beiden muss das sein«, gab ich zurück, nahm drei Teller aus dem Schrank und stellte sie zu der Pizza. Das solltest du sein, Mom. Ich behielt den Gedanken für mich. Heute war ich zu müde für die Diskussionen und Vorwürfe, die er mit sich bringen würde.
»Hast du mit Bentley gesprochen?« Sie lehnte sich an die Spüle und sah mir dabei zu, wie ich Pizza auf die Teller legte. Ein Stück für mich, eines für Mom, zwei für Kitty.
»Natürlich.«
»Und lädt er dich auf ein Date ein?« In ihren Augen glitzerte es voller Begeisterung und einmal mehr fragte ich mich, wer von uns beiden hier die Tochter war.
»Er steht auf Männer.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Bist du dir sicher?«
Ich drückte Mom ihren Teller in die Hand. Mit einem Mund voller Pizza ließ sich weniger Unsinn reden.
»Er hat einen Freund!«
»Das ist kein Hindernis.« Offenbar dachte sie nicht daran, ihre Pizza zu essen, bevor sie mich verkuppelt hatte. »Dann nimm Darce«, erklärte sie mit ihrer eigenen Logik. »Der hat schon seinen ersten Anteil vom Erbe. Er ist reich und Abigail aus dem Diner sagt, er wäre für den Sommer zurückgekommen.«
Den ganzen Sommer?
Ich wollte schlafen.
Jetzt.
Und einfach im Herbst wieder aufstehen.
»Perfekt«, sagte ich grimmig. »Dann heirate ich Darce, gut, dass wir das besprochen haben.« Ich legte Kitty mein Pizzastück ebenfalls auf den Teller. Mir war der Hunger vergangen.
»Wie wäre es mit weniger Sarkasmus?«
Wie wäre es mit mehr Stolz? Noch einer dieser Gedanken, den ich lieber in mir einschloss. Kitty freute sich zu sehr auf die Pizza. Wir sollten den Abend nicht mit Streit ruinieren.
»Darce ist vermögend, also braucht er eine Frau«, setzte Mom nach. »Das ist ein Fakt.«
Ich griff mein Handy und hielt es ans Ohr. »Das letzte Jahrhundert ruft an, Mom«, flötete ich. »Sie wollen ihre Rollenklischees zurück.«
Sie verdrehte die Augen. »Du kannst dir deinen Stolz nicht erlauben, dafür bist du zu arm.«
»Mein Stolz ist alles, was ich besitze«, erwiderte ich kühl und warf das Handy auf die Arbeitsplatte. »Den lass ich mir nicht nehmen.«
»Du bist alt!«
Jetzt war ich diejenige, die schnaubte. »Ich werde neunzehn!«
»Ganz genau. Du hast nur noch ein paar Jahre, um dir einen reichen Mann zu suchen. Deine Tante Tessa war zwanzig, als sie sich diesen Immobilientypen geangelt hat.«
»Und was hat es ihr gebracht? Eine unschöne Scheidung und eine öffentliche Schlammschlacht.«
»Eine viertel Million und ein Haus«, erwiderte Mom, ohne eine Miene zu verziehen. »Wann hast du sie das letzte Mal gesehen?« Nun zuckte ich mit den Schultern. »Genau«, fuhr sie fort. »Weil sie hier raus ist.Sie hat es geschafft, uns hinter sich zu lassen. Deshalb gibt sie sich nicht mehr mit uns ab.Darce ist unsere Fahrkarte. Dafür musst du deine Reize richtig ausspielen.« Mit der freien Hand griff sie mir in die Haare und knetete darin herum.
»Mom!« Ich machte einen Satz zurück und wich ihr aus. »Das kannst du dir schenken. Er hasst meine Frisur.«
»Kein Wunder bei diesem Gestrüpp. Ich habe bei Dorie noch einen Gefallen gut, sie kann da ein wenig Schwung reinbringen. Wie wäre es mit Strähnchen? Oder du lässt sie wieder wachsen, wenn ihm das besser gefällt.«
»Will ich aber nicht!« Ich wehrte ihre Hände ab, die erneut in meine Richtung griffen. »Keine neue Frisur, keinen Darce. Ich komme hier allein raus.«
»Wie?« Ihre Augenbrauen hoben sich und Teile des pinken Lidschattens wanderten mit. »Deine hochtrabenden Unipläne? Wie willst du die bezahlen? Du hast nicht einmal ein Stipendium.«
Worte wie Schläge. Es war schwer, ein Stipendium zu bekommen, wenn man nach dem Unterricht ständig im Diner aushelfen musste, weil Mom nicht zu ihrer Schicht auftauchte. Danach hatte ich mich um Kitty gekümmert, meine Schulsachen gemacht, während sie schlief, und an den Wochenenden hatte ich, statt zu lernen, Häuser geputzt, nachdem uns ohne Grandpas Zuschuss zu wenig zum Leben blieb. Ein Stipendium war ein unerreichbarer Wunschtraum geblieben, aber immerhin hatte ich einen Abschluss und eine Zusage.
»Ich weiß, dass du Geld abzweigst.«
Verflucht.
Ich spannte mich an, wartete auf die Wutwelle, die über mich hereinbrechen würde, aber alles blieb still. Stattdessen beugte sie sich zu mir und strich mir sanft eine Strähne hinters Ohr. »Weißt du, was ich mir für dich wünsche?«
»Einen vermögenden Mann?«
»Auch«, sagte sie, »aber noch mehr wünschte ich mir, dass du mir nicht so verdammt ähnlich wärst.«
Was?
Wir sind unterschiedlicher als Tag und Nacht.
Als Feuer und Eis.
Sie lächelte, schien zu ahnen, was ich dachte. »Ich war auch mal wie du.« Tränen glitzerten in ihren Augen – so weit, so normal. Mom weinte oft.
Ein angebranntes Abendessen: Tränen.
Ein zu vorwurfsvoller Kommentar: Tränen.
Ein süßer Hundewelpe: Tränen.
Ihr Weinen ertrug ich mit stoischer Gelassenheit, aber ihre Worte brannten in mir.
Nein.
Wir sind grundverschieden.
»Pizza!« Unbemerkt von uns hatte Kitty wieder Platz genommen. Sie biss so verzückt ins erste Stück, dass ich den Gedanken, woher es stammte, zur Seite schob. »Ich habe Nachtisch für dich, Kitty-Cat.«
Darce’ Joghurt, den ich aus meiner Tasche zog, brachte mir einen weiteren Freudenschrei ein.
»Es gibt einen Weg, wie wir beide den Sommer überstehen.« Ich bemühte mich, ruhig zu bleiben und durchzuatmen. »Aber das schaffe ich nicht ohne deine Hilfe. Lass uns Frieden schließen.«
Keine Reaktion.
»Überheblichkeit ist hier nicht angebracht!«
Erneut erntete ich Schweigen.
»Ich hasse dich.«
Tiefes Schweigen.
Ein frustriertes Stöhnen brach sich seinen Weg aus mir heraus. Ich war von einer anstrengenden Schicht im Diner hierhergeeilt, weil George Wert auf seine Essenszeiten legte. Alles, worum ich bat, war diese winzig kleine Sache.
»Erwartest du, dass ich flehe? Soll ich vor dir auf die Knie gehen? Ernsthaft, was willst du?« Ich pustete mir eine Haarsträhne aus der Stirn, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. »Gibt es für dich irgendwo eine Gebrauchsanleitung?«
»Reib mehr an den Knöpfen, dann verwandelt sich die Kaffeemaschine in eine Wunderlampe und du hast drei Wünsche frei.«
Darce.
Hinter mir.
Schon wieder!
Ich fuhr herum.
Fand ihn und diese Gewitterwolken in seinem Blick.
Gottverdammt.
»Wie lange stehst du schon da?«
»Lange genug.« Er verzog keine Miene, nur in seinen Augen blitzte es. »Flehst du immer die Küchengeräte an?«
»Ja. Du hast das Gebet zum Toaster verpasst.«
»Spannend. Was wolltest du von dem?«
»Bessere Manieren für dich, aber er nimmt keine hoffnungslosen Fälle an.«
Gedanklich schickte ich der Hightech-Kaffeemaschine in meinem Rücken einen weiteren – diesmal stillen – Fluch. In den letzten Tagen war ich an allen der gefühlt zweihundert Funktionen verzweifelt.
Ich wollte doch nur Kaffee!
»Willst du Kaffee?«
»Nein.«
Nicht von ihm.
Darce starrte mich an und ich starrte zurück.
Nur nicht blinzeln, das könnte er als Erfolg werten.
»Ich wollte sie nur entkalken.«
Nicht.
Blinzeln.
»Klar«, erwiderte Darce mit diesem Ton, der deutlich machte, dass er mir kein Wort glaubte. »Ertränkst du deinen Kaffee immer noch in Milchschaum?«
Ernsthaft?
Er konnte sich nicht mehr an mich erinnern, aber daran, wie ich meinen Kaffee trank?
»Und? Du trinkst ihn wahrscheinlich pechschwarz wie die Nacht? Passend zu deinem Humor?« Ich ergriff mein Handy, begann Mom zu schreiben, dass sie die Schicht im Diner heute nicht vergessen durfte, und stoppte mittendrin, als ich die Uhrzeit sah. Mit einem Fluch landete das Handy wieder neben der Kaffeemaschine. Offenbar hatte ich eine Viertelstunde lang versucht, an Koffein zu kommen. Ich musste mit dem Kochen anfangen. Jetzt.
In Rekordgeschwindigkeit setzte ich Wasser auf.
»Pasta?« Darce schien sich nur mit Mühe ein Lachen verkneifen zu können. »George wird begeistert sein.«
»Hast du nichts Besseres zu tun, als hier herumzustehen?« Ohne die Antwort abzuwarten, machte ich mich auf den Weg zur Speisekammer und hoffte, er würde verschwinden. Doch als ich zurück in die Küche kam, stand Darce mit dem Rücken zu mir gewandt noch immer dort. Zumindest kommentierte er so die Zutaten in meinem Arm nicht.
Gerade als ich die Zwiebeln ablegte, tauchte er bei mir auf und knallte ein Glas neben mich. So heftig und unerwartet, dass ich zusammenfuhr.
»Glaub bloß nicht, dass das etwas ändert.« Die Härte in seiner Stimme hätte jeden Felsen zertrümmern können. Er wandte sich ab und verließ mit schnellen Schritten die Küche.
Ich sah auf das Glas, das er neben mir abgestellt hatte – fand Espresso ertränkt in Milchschaum.
Er hat mir einen Kaffee gemacht.
Und mich anschließend angeschrien.
Ist das jetzt gut?
Schlecht?
Beides?
Ich starrte auf das Glas.
Trinken oder nicht?
Mein Stolz und meine Erschöpfung kämpften gegeneinander.
Während die beiden miteinander rangen, schnappte ich mir mein Handy, um die Erinnerung an Mom zu beenden. Noch bevor ich es in die Hand nahm, sprang mir ihre neu eingegangene Nachrichtenflut entgegen. Irgendwann werde ich Mom sagen, dass nicht jeder Satz eine neue Nachricht braucht.
Rasch schickte ich ihr den knappen Befehl, zur Arbeit zu gehen, ohne ihre Nachrichten zu lesen. Es waren ohnehin nur Ermahnungen, am besten heute noch vermögend zu heiraten.
Wieder meldete sich meine Erschöpfung und forderte Koffein ein. Ich legte das Handy zurück und sah zum Glas, das auf der Marmorplatte ein fantastisches Stillleben abgab. Wahrscheinlich ist nie ein Kaffee perfekter gewesen, selbst die verdammte Schaumkrone ist makellos.
Seufzend griff ich nach dem Glas.
Und kippte den Inhalt in die Spüle.
Mein Stolz gewann gegen die Müdigkeit.
Er würde immer gewinnen.
»Wie läuft es mit meinen Enkelsöhnen? Benehmen die sich?« George schob den Teller zur Seite, auf dem sich beängstigend viele Reste fanden. Genau wie an den Tagen zuvor. Das, was ich unter Kochen verstand, war wohl nicht, was er darunter verstand. Gestern hatte ich mir ein paar Kochbücher von unserer Nachbarin geliehen. Ob die Rezepte darin ansatzweise ausreichen, um nicht rausgeworfen zu werden?
Ich brauchte den Job. Er war viel besser bezahlt als das Housekeeping und das Kellnern, sodass ich einiges in meine eigene Spardose packen konnte. Jeden Tag arbeitete ich von früh bis spät und dennoch fehlte mir ein vierstelliger Betrag bis zum Ende des Sommers. Aber es würde reichen. Ich hatte es genau ausgerechnet. Bis zum Herbst konnte ich die Semestergebühr aufbringen und wenn alles gut lief, sogar die Miete für die ersten drei Monate. Bis dahin sollte ich vor Ort einen Job gefunden haben. Aber damit die Rechnung aufging, musste ich diesen hier unbedingt behalten.
»Ella?«
»Ja, sie sind großartig.«
Seine weißen Augenbrauen schoben sich zusammen und kurz erinnerte mich sein Blick an Darce’. »Du redest anscheinend nicht von meinen Enkelsöhnen.« Noch eine Gemeinsamkeit von den beiden, manchmal war es schwer zu erkennen, wann sie scherzten.
Bei Darce hatte ich das zumindest früher gewusst.
»Nein, wirklich, alles in Ordnung.«
»Also grummelt Darce vor sich hin und Bentley verwüstet das Anwesen.« Das kam der Wahrheit erschreckend nah. »Ich wohne zwar im Nebengebäude, aber ich bekomme das eine oder andere mit. Wie viele Feiern kommen noch?«
»Ich habe den Überblick verloren. Die an Bentleys Geburtstag ist wohl das Finale.«
»Früher gab es das nicht.« Seine Lippen verschmälerten sich, als hätte er an einer Zitrone geknabbert. »Ein Dutzend Feiern zur Vorbereitung auf eine einzige. Der Junge hat nur Flausen im Kopf.«
»Es geht um mehr.« Zwar konnte ich Partys wenig abgewinnen, Bentley dafür viel. »Er und James wollen nach ihrem Abschluss Feiern für andere planen.«
»Unsinn. Der Junge wird erst achtzehn, das verwächst sich.« Erneut schüttelte er den Kopf, als wäre damit alles gesagt. »Was hast du jetzt nach deinem Abschluss vor?«
»Im Herbst gehe ich nach Nevada an die Uni und mache dort meinen BBA.« Immerhin bekam ich eine Art Nicken, das mit viel Fantasie so etwas wie wohlwollend wirkte.
»Dann interessierst du dich für Zahlen?«
Nein.
Nicht besonders.
»Lukratives Studium. Du strebst also eine Verbesserung an, gut für dich. Bentley sollte sich ein Beispiel an deinem Ehrgeiz nehmen.«
»Er ist großartig, so wie er ist.« Zwar brauchte ich diesen Job, aber ich konnte nicht hier stehen und mir anhören, wie jemand schlecht über Bentley sprach. Auch wenn dieser jemand sein Großvater war, der mir schon seit meiner Kindheit gehörig Respekt eingeflößt hatte.
»Ist er das?« Dunkelbraune Augen musterten mich nun prüfender. »Na los, bring das Essen weg, die Pflegerin kommt gleich«, sagte er nun unerwartet ruppig und winkte mich fort.
Trotz des harschen Abschieds war ich erleichtert.
Für heute behielt ich meinen Job.
Immerhin.
»Es wird die Partysaison«, schallte es mir auf dem Weg zur Küche lautstark entgegen.
Unter diesem Dach gab es nur eine Person, die so viel Begeisterung in so wenig Worte packen konnte. Ich fand Bentley am Küchentresen lehnend, die Arme in die Höhe gestreckt, als dirigierte er ein Musikstück, das nur für seine Ohren bestimmt war. So war er schon immer gewesen. Lebendiger und bunter als der Rest von uns. Wilder. Freier. Vielleicht sollten wir alle mehr sein wie er.
Darce, der vor ihm stand, schien das anders zu sehen. Seine Miene erinnerte mich an diese dunkelgrauen Gewitterwolken, die so dicht waren, dass sie alles verschluckten. Doch an Bentleys Euphorie scheiterten sie, die war unerschütterlich wie eh und je.
»Nach dem Sommer redet jeder von uns. Wir werden überhäuft mit Aufträgen – du wirst sehen.«
»Habt ihr einen Businessplan?« Darce verschränkte die Arme. »Wer von euch macht die Kalkulationen? Wer die Buchhaltung?«
»Das ergibt sich.«
»Tut es nicht.« Nun atmete Darce betont aus. »Das sind Themen, über die ihr vorher nachdenken müsst.«
»Du hast keine Ahnung von Kunst!«
»Partys ausrichten ist keine Kunst! Willst du echt deinen Erbanteil für diesen Unsinn verschwenden? Es ist dein Verlust, wenn ihr scheitert.«
»Ernsthaft. Geht es wieder darum, dass er dir zu arm ist?«
Zu arm?
James Eltern besaßen einen Laden mit Handarbeitsartikeln, ein paar Straßen entfernt. Nichts Großes, aber mich und James trennten Welten. Offenbar waren selbst die nicht genug, um in Darce’ Augen zu bestehen.
»Ich sag nur, dass du nachdenken sollst, bevor du übereilte Entscheidungen triffst.«
»Es ist mein Leben!«
Ich war stehen geblieben, um nicht in den Streit zu geraten, aber Bentley bemerkte mich dennoch.
»Ella glaubt an uns!« Er deutete auf mich und dem vernichtenden Blick nach, mit dem mich Darce bedachte, fand ich mich nun zwischen den Fronten wieder.
Super.
Nicht.
»Du findest es also klug, Unsummen in eine lächerliche Idee zu versenken?«
»Vielleicht erscheint sie dir weniger lächerlich, wenn du dich mehr mit ihr beschäftigst.« Die diplomatischste Antwort, die mir einfiel. Jetzt nur noch Georges Teller loswerden, dann unauffällig Richtung Tür gehen und das Kampffeld verlassen. In einer Stunde ging die Sonne unter. Bis dahin musste ich zu Hause sein.
»Ella macht unsere Buchhaltung«, warf Bentley ein und zerrte mich überraschend zurück aufs Kampffeld. Er tauchte an meiner Seite auf und legte den Arm um mich.
Um Darce zu provozieren?
Um mich dazu zu bringen mitzuspielen?
Wir waren zu alt für so etwas.
Ich wollte mich gerade losmachen, da lachte Darce.
»Ella hat keine Ahnung von Geld.«
Wow.
Arschlochalarm.
»Sie macht ihren BBA.« Bentley klang hochzufrieden und Darce’ Lachen endete abrupt.
»Du machst was?« Er musterte mich verständnislos. »Warum?«
»Ich mag Zahlen«, gab ich zurück und knallte den Teller eine Spur zu heftig auf die Küchentheke. »Und ich liebe Businesspläne, deswegen freu ich mich darauf, die beiden zu unterstützen.«
Bäm!
Zumindest für den Moment hatte ich ihn sprachlos gemacht. Er starrte mich an.
Dann Bentley.
Dann wieder mich. »Ihr werdet scheitern!«
»Familiäre Unterstützung ist so wichtig«, höhnte ich. Das war es mit der Diplomatie.
»Du musst es ja wissen.«
Warum habe ich nur so viel Zeit damit vergeudet, ihm hinterherzutrauern?
Er öffnete die Kühlschranktür, fluchte lautstark – wahrscheinlich vermisste er seinen Joghurt, der sich in meiner Tasche befand. Vorhin hatte ich deswegen noch ein schlechtes Gewissen gehabt, das war nun fort. Kitty verdiente ihn so viel mehr als er.
»Und weil sie uns unterstützt, kommt Ella heute Nacht natürlich auf unsere Party.«
Ich tue bitte was?
»Was soll das?«, konnte ich Bentley gerade noch zuraunen, schon knallte die Kühlschranktür zu.
»Sie tut was?«
Dafür, dass wir uns nicht mehr ausstehen können, sind unsere Gedanken oft erschreckend ähnlich.
Die Frage hatte er zwar an Bentley gerichtet, aber ich war es, die diesen Blick voller unbändiger Wut abbekam. Wut, die meine eigene weiter anfeuerte.
So verflucht viel vergeudete Zeit.
So viele Tränen.
»Mitfeiern«, hörte ich mich sagen, bevor mein Verstand mich daran hindern konnte. Jetzt lag das Wort in diesem Raum zwischen uns und füllte ihn aus.
»Gut«, sagte Darce, aber es klang nicht so, als könnte er das auch nur ansatzweise ernst meinen. »Vergiss nicht, vorher den Teller in die Spülmaschine zu stellen. Nicht dass du vor lauter Arbeit deine Pflichten vergisst.«
Die Türklingel gab ihr noch viel zu vertrautes Geläut ab und Bentley ließ mich los. »Kann ich euch zwei allein lassen?« Für den Moment schien er tatsächlich nicht sicher zu sein.
»Geh ruhig. Wenn er noch was sagt, presse ich den Schwamm über seinem Kopf aus«, erwiderte ich so unschuldig, wie es meine Wut zuließ.
»Das hätte er sich verdient.« Bentley hauchte mir einen Kuss auf die Wange. »Warte damit, das will ich nicht verpassen.« Er rannte förmlich in Richtung Tür.
»Was soll das Anbiedern bei ihm?« Diese eisige Kälte in Darce’ Stimme könnte wohl Flammen einfrieren lassen. »Er ist mein Bruder.«
»Und mein Freund.«
»Ist er das? Wie lange bist du wieder hier? Eine Woche? Für wie lange – einen Sommer, wie immer?« Da schwang etwas mit, das ich nicht zu fassen bekam.
»Genau wie du.« Ich wandte mich ab, um die Reste auf dem Teller mit dem Messer in den Müll zu schieben. Zu rabiat, das Porzellan quietschte unter dem Metall.
»Kannst du nicht vorsichtiger sein?«, kam es grimmig von Darce.
»Kannst du nicht höflicher sein?« Ich übernahm seinen Ton, richtete mich auf und fand James an Bentleys Seite, der mich begeistert angrinste.
»Die beiden sind echt Zucker zusammen«, raunte er Bentley zu – nicht leise genug.
»Was?«, kam es gleichzeitig und ähnlich entgeistert von Darce und mir.
Geht das schon wieder los?
»Hör auf zu sagen, was ich denke!«, fuhr mich Darce an.
»Wenn du dafür aufhörst zu denken, was ich sage!«
»Zucker«, bestätigte Bentley die Einschätzung seines Freundes. »Gott, hoffentlich werden wir nie so.«
Irgendwann war dieser Tag falsch abgebogen.
Ich war mir nur nicht sicher, wann.
»Wir waren kein Paar!«, stellte Darce klar. Dieses drohende Vibrieren seiner Stimme hätte es nicht gebraucht, um deutlich zu machen, dass er niemals so tief sinken könnte.
Ich zog das Messer erneut über den Teller – fest und absichtlich. Das schrille Quietschen ließ ihn zusammenfahren, bevor er mich mit einem vorwurfsvollen Blick bedachte.
»Natürlich nicht.« Ich hob den Schwamm und ertränkte ihn im Spülmittel. »Außerdem steh ich auf Männer, die sich nicht aufführen, als wäre der Lotus-Effekt nach ihnen benannt.«
»Lotus-Effekt?«
»Ja, Darce, Lotus-Effekt.« Lächelnd gab ich Wasser auf den Schwamm. »Müsste dir bekannt vorkommen, Mr Alles-perlt-an-mir-ab-und-ich-bin-zu-gut-für-die-Welt.« Ich hob den Schwamm und winkte damit demonstrativ in seine Richtung. »Versuch, mehr wie der zu sein. Vielleicht überraschst du uns und wir finden so etwas wie einen weichen Kern in dir. Mach uns den Schwamm, Darce.«
James und Bentley lachten, während es in Darce’ Augen funkelte. Früher hätte ich gedacht, er wäre amüsiert, jetzt tippte ich auf Wut.
»Ernsthaft? Das ist kindisch.« Mit einem Schnauben stoppte er vor mir und forderte den Schwamm ein.
Mich nannte er kindisch und selbst ertrug er nicht mal diese klitzekleine Provokation? Zur Strafe ignorierte ich seine ausgestreckte Hand und ließ den Schwamm unter dem Gelächter von Bentley und James erneut tanzen. Darce versuchte, sich den Schwamm zu schnappen. Konnte er vergessen. Ich hielt ihn fest, wollte ihm sagen, er sollte sich verziehen, doch dann wurde mir bewusst, wie nah wir beieinanderstanden. So nah, dass ich all die vertrauten Winzigkeiten an ihm wiederfand.
Den Schwung seiner Lippen und seiner Nase.
Die honigfarbenen Augenbrauen, die sich überrascht hoben.
Die kastanienbraunen Augen, in denen ich mich in unserem letzten Sommer andauernd verloren hatte.
Und dann spürte ich es.
Mein Herz flatterte.
Mein dummes, verräterisches Herz flatterte noch immer wegen Darce.
Scheiße.
Darce’ Zerren endete so abrupt wie meines.
Für einen Augenblick schienen wir beide unfähig, uns zu bewegen.
Zu reden.
Zu atmen.
Meine eigene Fassungslosigkeit spiegelte sich in seinem Blick. Dann endlich eine Bewegung. Darce’ Hand drückte behutsam meine. Jede Faser an mir kribbelte begeistert unter seiner Berührung. Weicher Schaum presste sich sanft hindurch und intensivierte dieses verdammte Lodern.
Was geschieht hier?
Mit mir?
Mit uns?
»Früher hattest du eine bessere Meinung von mir«, raunte er mir zu. Zum ersten Mal seit dem Wiedersehen schwang keine Wut in seinen Worten mit. Diese hier waren so weich wie der Schaum, der unsere Hände einhüllte, sich schützend um sie legte.
In meinem Kopf war nur noch Morast. Bei jedem Versuch, eine Erwiderung zu finden, sank ich tiefer ein. Ich spürte die Wärme seines Armes. Es brauchte alles an Selbstbeherrschung, um mich nicht dagegenzulehnen, als ich mir einbildete, seinen Daumen auf meinem Handrücken zu spüren. Genau an der Stelle, auf die er vor Jahren ein Herz gemalt hatte. Tagelang hatte ich darauf geachtet, dass es kein Wasser abbekam, damit es für immer dortblieb.
Damals hatte ich gewartet, dass er sich meldete. Ein Anruf. Ein Brief. Irgendwas.
Und dann hatte ich erfahren, was geschehen war …
Schmerz flackerte hinter meiner Brust auf. Als wären unsere Gedanken wieder sonderbar verknüpft, legte sich der gleiche Schmerz wie ein Schatten über Darce’ Gesicht. Er ließ meine Hand so schnell los, als hätte er sich daran verbrannt.
Bevor ich ansatzweise dazu kam, meine Entgeisterung in etwas Schnödes wie Worte zu packen, verschwand Darce.
»Was zur Hölle war das?«, hauchte James.
»Keine Ahnung, aber das war heiß.« Bentley fächelte sich Luft zu. »Wow, ich nehm es zurück, lass uns doch werden wie die zwei.« Er strich über James’ Kinn. »Außerdem sollten wir Schaumpartys anbieten. Ich dachte ja, die wären nicht mehr angesagt, aber das war davor.« Das letzte Wort betonte er bedeutungsvoll, deutete auf mich und erst da registrierte ich, dass ich weiterhin den Schwamm umklammerte, während meine Hand im Schaum versank.
Entsetzt warf ich ihn Richtung Spüle und er landete mit einem empörten Platschen darin. Ich drehte hastig das Wasser an, um den Schaum loszuwerden. Es galt, alle Spuren zu beseitigen – von diesem Was-auch-immer-es-gewesen-war.
Hellbraunes Haar, in dem Ton von Haselnuss, auf das Sonnenlicht fiel.
Tiefgrüne Augen wie das schattige Moos im Wald.
Und ein Lachen, das den ganzen Raum einnahm und mich zwang mitzulachen – immer schon.
Musik, die man bis zum Anschlag aufdrehte, um von ihr mitgetragen zu werden.
Sonnenstrahlen, die jeden düsteren Winkel mit Wärme und Licht erfüllten.
Meine beste Freundin.
Meine erste Liebe.
All das war Ella gewesen.
Ich starrte auf das Foto von uns beiden. Damals konnte ich nicht älter als acht gewesen sein.Wir standen im Garten, dessen sattes Grün im Sonnenlicht leuchtete. Die Augen hielten wir geschlossen, dafür waren die Münder begeistert aufgerissen. Es war eines dieser Fotos, bei denen man förmlich das Lachen von damals im Ohr hatte. Irgendjemand – vermutlich Bentley – hatte einen Gartenschlauch auf uns gerichtet und spritzte uns nass. Aber er war nur eine Randerscheinung, Ella und ich hingegen wirkten wie diese Einheit, die wir schon immer gewesen waren.
Ich erinnerte mich nicht mehr an diesen Tag.
Oder daran, wer das Foto aufgenommen hatte.
Aber dafür erinnerte ich mich daran, wie es sich angefühlt hatte, Ellas bester Freund zu sein. Wahrscheinlich hatte ich es deshalb nicht übers Herz gebracht, es wegzuwerfen, als ich es unter den Familienbildern in Dads Schreibtisch gefunden hatte.
Wieder starrte ich auf das Bild – auf diese Zeit, in der noch alles einfach gewesen war. Bevor der Sommer begonnen hatte, in dem ich auf jedes Papier Herzen gemalt hatte, um sie sofort wieder zu überkritzeln. Damals war ich sechzehn gewesen, alt genug, um zu wissen, dass gemalte Herzen mich wochenlang um mein Taschengeld bringen würden, falls Bentley eines davon fand.
Dabei hatte der Sommer wie jeder andere begonnen: mit dem dröhnenden Rattern des alten Pick-ups, der auf den Parkplatz fuhr.
Mom hatte es schon immer gehasst, wenn er dort wie selbstverständlich zwischen den anderen teuren Autos stand. Sie fand, es ließ uns sonderbar wirken. Doch das hatte sie nur gesagt, wenn George nicht im Raum war, denn der duldete keine Kritik an Henry. Einmal hatte sie sich bei ihm darüber beschwert, dass Henry die Rosen zu knapp gekürzt hatte. Daraufhin hatte er ihr harsch gesagt, dass Henry den Garten länger kannte als sie, und damit jeden Anflug einer Diskussion vom Tisch gewischt. Es war Georges Anwesen und es waren seine Regeln. Er war nie ein geselliger Mensch gewesen, aber hatte man sich seine Loyalität verdient, gab es wohl keinen besseren Freund.
Sie waren ein komisches Paar – der Gärtner mit den geflickten, immer schmutzigen Hosen und mein Großvater in seinem tadellosen Anzug. Manchmal begutachteten sie den Garten, tranken Tee zusammen oder spielten Schach. Diese Dinge, die alte Menschen taten. Genau das waren sie damals für mich. Uralt.
Das einzige Interessante an Henry war Ella gewesen. Ich wusste nicht mehr, wann er begonnen hatte, sie mitzubringen, weil selbst meine ersten Erinnerungen mit ihr verbunden waren. Der Sommer und die Wochenenden gehörten früher allein uns, bis Mom beschloss, mich mit neun Jahren auf ein Internat wechseln zu lassen. Angeblich, weil ich schlecht darin war, Freundschaften zu schließen. Damals hatte ich nicht begriffen, was sie damit meinte, schließlich hatte ich Ella gehabt. Doch Mom zeigte sich unerbittlich und selbst Dad hatte gemeint, es könne helfen, meinen Horizont zu erweitern.
Ich weinte.
Ich schrie.
Ich schwieg beide an.
Nichts half.
Am Tag vor meinem Abschied beschlossen Ella und ich, gemeinsam zu flüchten. Heimlich schmierten wir uns Brote mit Erdnussbutter und Marmelade. Wir kamen nicht weit. Die Welt hinter dem Tor machte mir zu viel Angst. So kletterten wir in den Kirschbaum, aßen die Brote und schworen, dass uns nichts und niemand trennen konnte. Doch Dad und Henry fanden uns. Ella wurde in den alten Pick-up verfrachtet und ich einen Tag später in unseren Mercedes, um mein Leben im Internat zu beginnen.
Wochenlang weinte ich jede Nacht vor Heimweh.
Im Sommer darauf kehrte ich zurück nach Juniper Falls – für drei Monate. Am ersten Tag der Ferien stand ich noch im Dunkeln auf, um mich auf den Parkplatz zu setzen. Dort wartete ich auf das Rattern des Pick-ups. Irgendwann, nachdem die Sonne aufgegangen war, rollte das alte Auto den Weg entlang. Bevor es ganz stoppte, sprang Ella schon heraus. Ein gutes Stück größer, die Haare länger. Einen Herzschlag lang hatten wir uns angeschaut und dann waren wir einander in die Arme gefallen.
So war es seitdem jeden Sommer gegangen.
Jedes Mal bekam ich eine andere Version von Ella, älter, größer und dennoch brauchte es nur wenige Herzschläge und unsere Vertrautheit war zurück.
Bis zu diesem Sommer mit sechzehn, als Ella mir um den Hals gefallen war und es sich in mir angefühlt hatte wie ein Flug durch Dutzende von Luftlöchern. Plötzlich bekam ich diese Aussetzer, in denen ich heimlich Herzen kritzelte. Oder in Ellas Gegenwart stammelte, was Bentley zum Anlass nahm, mich regelmäßig nachzuäffen. Wenn Ella damals nach meiner Hand griff, kribbelte die Haut darunter und war sie abends fort, verbrachte ich beunruhigend viel Zeit damit, zu versuchen, mir ihr Gesicht in Erinnerung zu rufen. Das Schlimmste aber war, dass ich plötzlich ständig darüber nachdachte, wie es sich wohl anfühlte, sie zu küssen. Er war anstrengend gewesen, großartig und gleichzeitig zutiefst verwirrend – dieser Sommer, in dem ich mich in Ella verliebte.
Und dann registrierte ich, dass auch sie anders war als sonst. Bentley machte sich nun auch über sie lustig, wenn sie ihre Worte vergaß – dabei fand sie sonst immer welche. Oft liefen ihre Wangen rosa an und sie wich meinem Blick aus. Ungefähr da realisierte ich, dass auch Ella verliebt war – in mich. Die nächsten Tage waren ein einziges Schweben und ein behutsames Abstecken unserer neuen Grenzen. In der Vergangenheit hatten wir so oft nach der Hand des anderen gegriffen, ohne darüber nachzudenken. Nun sonderten wir uns ab und hielten sie heimlich.
Mom schien die Veränderungen dennoch zu bemerken, wie Eltern alles mitbekamen – zumindest die, die sich nicht unaufhörlich in ihren Arbeitszimmern verbarrikadierten wie Dad. Ständig zwang sie uns Bentley auf. An einem der Tage bestand er auf Eisshakes aus dem Einkaufszentrum. Ich stimmte zu, denn er neigte zum Übertreiben – besonders bei Shakes.
Henry fuhr uns in seiner Pause zur Mall und ich hasste es. Von Ellas Grandpa gefahren zu werden, fühlte sich an, als wären wir Kinder.
Ella stupste mich an, ein Blick reichte aus, um sie ebenfalls grinsen zu lassen. Ich war so schlecht darin, Worte zu finden, wie Ella gut darin war, in meinen Augen zu lesen. Ihre Fingerspitzen legten sich wie zufällig an meine und blieben die restliche Fahrt über dort.
Trotz Bentley wurde es ein guter Nachmittag. Wir liefen durch die Läden und ich kaufte ein paar Kleinigkeiten für die Zeit im Internat. In dem Schreibwarengeschäft malte ich Ella ein Herz unter das Muttermal auf ihrer Hand und ihr Lächeln setzte eine Horde weiterer Luftlöcher in meinem Bauch frei. Natürlich tauchte Bentley auf, forderte einen neuen Shake ein und zerriss den Moment.
Für ihn gab es einen Vanille-Jumboshake und anschließend zog Ella uns in ein Schmuckgeschäft. Sie probierte sich durch ein halbes Dutzend farbiger Metallarmreifen. Ich verstand nicht viel von Schmuck, aber mir gefiel das Geräusch, dass die Armreifen machten, wenn sie an ihrem Handgelenk aufeinanderschlugen. Doch sie kaufte keinen und streifte stattdessen weiter durch die Gänge. Sie probierte sich durch ein Dutzend Sonnenbrillen, wobei ich sie anfeuerte und uns zum Lachen brachte.
Mein Plan ging auf, kaum saßen wir im Taxi, erklärte Bentley, ihm sei schlecht – drei Jumboshakes waren zu viel. Von Ella bekam ich dafür einen strafenden Blick. Schon beim zweiten hatte sie versucht, ihn davon abzuhalten, mehr zu trinken. Sie war ein Einzelkind und hatte keine Ahnung, wie nervtötend kleine Brüder sein konnten. Besonders, wenn man endlich mit seiner Freundin allein sein wollte.
Sobald der Sommer endete, würden uns nur noch Briefe übrig bleiben, denn Ella besaß kein Handy. Eine Vorstellung, die sich noch mieser anfühlte als die Jahre zuvor.
Kaum stoppte das Taxi, rannte Bentley ins Haus. Mein schlechtes Gewissen ihm gegenüber hielt sich in Grenzen.
Ella stand auf dem weißen Kies, sah sich zu mir um und ihre Augen strahlten mit der Sonne um die Wette.
»Was machen wir jetzt?« Unsere Möglichkeiten waren begrenzt. Ella durfte nicht einmal in mein Zimmer.
»Kirschbaum?« Sie wartete die Antwort nicht ab, rannte los und ich ihr hinterher. Wir kletterten hoch in die Spitze. Es war Ende Juli und der Baum zeigte sich von seiner ganzen Pracht. Wir aßen Kirschen und der Saft der Früchte färbte unsere Finger rot und irgendwo da fanden sich erst unsere Blicke und dann unsere Lippen. Ich konnte nicht sagen, wer wen zuerst geküsst hatte. Es fühlte sich an, als hätten wir die gleiche Entscheidung zum gleichen Zeitpunkt getroffen.
Mein erster Kuss.
Damals hatte ich gedacht, alle Küsse würden sich so anfühlen. Spoiler: taten sie nicht.
Dieser eine war magisch …
Bis Mom uns fand.
Niemals hatte ich sie so wütend gesehen. Sie schrie uns an, ließ uns hinunterklettern, als wären wir Kinder. Dabei war es nur ein Kuss gewesen.
Nichts ergab Sinn.
Dann hob Mom die Hand und die bunten Metallreifen daran klirrten aneinander. Preisschilder hingen dran – die gleichen wie im Laden. Ihr Blick spießte Ella auf. »Hast du die gestohlen?«
Moms Worte zogen alles an Farbe aus Ellas Wangen, so blass wie jetzt hatte ich sie nie zuvor gesehen. Ich wollte Mom sagen, dass sie niemals etwas stehlen würde … aber da fanden sich einmal mehr keine Worte in mir.
Ella nickte langsam. »Es tut mir leid.« Ihre Erwiderung fühlte sich an wie ein Schlag in meinen Magen. Nicht nur, dass sie es getan hatte.
Auch dass sie mir nichts gesagt hatte.
Ich hätte ihr die Armreifen gekauft, wenn ich gewusst hätte, dass Ella sie wollte.
Ich hätte ihr alles gekauft.
Wusste sie das nicht?
»Du bleibst hier«, befahl mir Mom und griff ihren Arm. »Und du kommst mit. Das endet jetzt.«
So wie sie das sagte, klang es nicht, als meinte sie damit nur diesen Tag.
Ella sah zu mir, wurde aber unerbittlich weitergezerrt.
Raus aus meinem Blickfeld.
Und aus meinem Leben.
»Ist das nicht wunderbar?« Eine Wand aus pfefferminzgeschwängertem Atem knallte mir entgegen.
Nein.
Nichts ist hier wunderbar.
Es war ein Fehler, nach Juniper Falls zurückzukehren. Im Sommer war die Stadt voller Touristen, die im Zentrum malerische Spots suchten. Oder sich auf ausgedehnten Wandertouren vor bizarren Sandsteinfelsen und uralten Wachholderbäumen fotografierten. Ich konnte sie nicht ausstehen – vielleicht weil es sich für mich auch von Jahr zu Jahr mehr danach anfühlte, als wäre ich ebenfalls einer. Hier gehörte ich längst nicht mehr dazu. Diesen Sommer war es besonders schlimm. Kaum war ich da, schon nagte die Enge der Kleinstadt an meinen Nerven.
Und Bentley zerrte an den Überresten.
Mein Blick wanderte über die Wände, an denen Dutzende Poster von Cartoonfiguren hingen, hin zu dem Büffet, das aus Snacks und Süßigkeiten bestand. Es war, als hätte ein Dreizehnjähriger diese Party organisiert. Immerhin passte das zum Motto: Kindheitserinnerungen.
Ich hasste alles daran.
Zutiefst.
»Solltet ihr als Partyplaner nicht zusehen?«
Bentley lachte und der Wolke nach zu urteilen, die mich umnebelte, hatte er zu tief in sein Glas mit Pfefferminzbrause geschaut – oder darin gebadet. »Die Party ist geplant«, erklärte er, »jetzt haben wir frei.« Er hob das Glas und spritzte dabei etwas von der smaragdgrünen Flüssigkeit auf mein Hemd. Gottverdammt. Das war schon das zweite, das nun zur Reinigung musste. Auf dem anderen hatte Ella die Milch verteilt.
Ella.
Ich besaß eine Kiste für sie in meinem Kopf – und darin wohnten all unsere Erinnerungen. Um diese Kiste hatte ich eine neue gebaut und noch eine und das ein Dutzend Mal. Im Anschluss hatte ich sie alle genommen und sie irgendwo in die Tiefen meines Verstandes verbannt. So tief, dass ich selbst nicht mehr wusste, wo sie sich befanden. Manchmal schlichen sich die Erinnerungen dennoch an. Dann setzte ich mir Kopfhörer auf und drehte die Musik bis zum Anschlag. Ella war meine Musik gewesen. Nun übertönte ich sie mit anderer, bis ich sie wieder vergaß.
Jetzt war Ella zurück und seitdem stürmte es in mir.
»Wo ist sie?«
»Wer?«, fragte Bentley und sah dabei so provokant unschuldig drein, wie nur kleinere Brüder schauen konnten, wenn sie einen zur Weißglut treiben wollten. Meiner war darin Experte.
»Eure Buchhalterin.« Ein Gedanke so lächerlich wie gefühlt alles, was in diesem Sommer geschah. Ella hasste Zahlen.
Bentley deutete direkt vor mich, wo sie keine drei Meter entfernt saß und mit einem Typen sprach, den ich – seiner Kleidung nach zu urteilen – nicht kannte. »Merk dir endlich mal, wie sie aussieht.«
»Es ist dunkel und voll.«
»Sie sitzt quasi vor deiner Nase. Schwache Leistung, Darce, so gewinnst du sie nie zurück.«
Ich würde was nicht?
Wollen mich heute alle provozieren?
Erst die Nachricht von Ellas Mom auf ihrem Handy, die sich anfühlte, als würde sie meinen Magen verätzen, jedes Mal, wenn ich daran dachte.
Und jetzt Bentley?
»Was soll das mit Ella?«, fuhr ich ihn an. »Falls das ein zutiefst abstruser Versuch ist, uns zu verkuppeln, reiße ich dir den Kopf ab und vergrabe ihn unter den Rosensträuchern.«
»Lernt man das in deinen Rechtsseminaren?« Er genehmigte sich einen weiteren Schluck.
»Nein, da lernt man, wie man damit durchkommt«, gab ich zurück. »Ernsthaft, ich ertrag das nicht. Ich bin hier, weil ich Ruhe brauche.«
»Komisch. Ich finde, du siehst aus, als hättest du in letzter Zeit zu viel Ruhe gehabt. Ein wenig Leben täte dir gut. Das wäre die Schaumkrone auf deinen Ferien. Verstehst du? Schaum wegen dieser Schwamm-Sache zwischen euch.«
So lustig.
Nicht.