Thriller Quartett 4038 - 4 Krimis in einem Band - Alfred Bekker - E-Book

Thriller Quartett 4038 - 4 Krimis in einem Band E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis YYY Alfred Bekker: Erwürgt! Earl Warren: Bount Reiniger und die Killer in Kanada Earl Warren: Bount Reiniger oder Töte keine Porno-Queen Earl Warren: Bount Reiniger oder Keine Leiche, keine Mörder »Leider sehe ich mich gezwungen, Sie zu killen, Mister Reiniger.« Der Gangster in Jeans und Turnschuhen tänzelte auf Bount zu. Er trug ein T-Shirt, das sich über einem muskulösen Oberkörper spannte, und, hatte weißblondes, kurz geschnittenes Haar und glasblaue Augen. Seine Pupillen waren verengt, der Blick starr wie der eines Süchtigen nach einer hohen Dosis. In der Rechten hielt der Bursche ein Kampfmesser mit geschliffener Klinge und Sägezacken an der Rückseite. Bount stand waffenlos in dem Lagerhaus vor ihm und hielt die Hände im Genick verschränkt, wie man es ihm befohlen hatte. Rechts und links hinter sich wusste er je einen bewaffneten Schlagetot. Der Gangster links hielt einen klobigen Revolver. Der Mann grinste stereotyp. Sein Komplize rechts hinter Bount hatte eine 16schüssige Beretta. Er kaute Chewinggum und sah manchmal nervös auf die Uhr, als sei er in dieser Nacht noch verabredet – vielleicht zu einem Stelldichein. Er wollte Bount möglichst schnell beseitigt haben. »Mach schon, Mac«, sagte er ... Der Weißblonde wandte sich ihm zu. »Klappe! Noch ein Wort, und du liegst neben ihm. Stör mich nicht. Nun, Bount Reiniger, haben Sie mir noch etwas zu sagen? Vielleicht kann ich es der Nachwelt überliefern. Letzte Worte berühmter Männer sind immer gefragt.« Nichts als Hohn klang aus diesen Worten. Bount behielt die Nerven. Es galt, Zeit zu gewinnen. Zeit, um sich eine Möglichkeit zu überlegen, doch noch der tödlichen Falle zu entrinnen.

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Earl Warren, Alfred Bekker

Thriller Quartett 3038 - 4 Krimis in einem Band

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 3038 - 4 Krimis in einem Band

Copyright

Erwürgt!

Bount Reiniger und die Killer in Kanada

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Bount Reiniger oder Töte nicht die Porno-Queen

1.

2.

3.

4.

5.

Bount Reiniger oder Keine Leiche, keine Mörder

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Thriller Quartett 3038 - 4 Krimis in einem Band

von Alfred Bekker, Earl Warren

Dieser Band enthält folgende Krimis

Alfred Bekker: Erwürgt!

Earl Warren: Bount Reiniger und die Killer in Kanada

Earl Warren: Bount Reiniger oder Töte keine Porno-Queen

Earl Warren: Bount Reiniger oder Keine Leiche, keine Mörder

»Leider sehe ich mich gezwungen, Sie zu killen, Mister Reiniger.« Der Gangster in Jeans und Turnschuhen tänzelte auf Bount zu. Er trug ein T-Shirt, das sich über einem muskulösen Oberkörper spannte, und, hatte weißblondes, kurz geschnittenes Haar und glasblaue Augen. Seine Pupillen waren verengt, der Blick starr wie der eines Süchtigen nach einer hohen Dosis.

In der Rechten hielt der Bursche ein Kampfmesser mit geschliffener Klinge und Sägezacken an der Rückseite. Bount stand waffenlos in dem Lagerhaus vor ihm und hielt die Hände im Genick verschränkt, wie man es ihm befohlen hatte. Rechts und links hinter sich wusste er je einen bewaffneten Schlagetot.

Der Gangster links hielt einen klobigen Revolver. Der Mann grinste stereotyp. Sein Komplize rechts hinter Bount hatte eine 16schüssige Beretta. Er kaute Chewinggum und sah manchmal nervös auf die Uhr, als sei er in dieser Nacht noch verabredet – vielleicht zu einem Stelldichein. Er wollte Bount möglichst schnell beseitigt haben. »Mach schon, Mac«, sagte er ...

Der Weißblonde wandte sich ihm zu.

»Klappe! Noch ein Wort, und du liegst neben ihm. Stör mich nicht. Nun, Bount Reiniger, haben Sie mir noch etwas zu sagen? Vielleicht kann ich es der Nachwelt überliefern. Letzte Worte berühmter Männer sind immer gefragt.«

Nichts als Hohn klang aus diesen Worten. Bount behielt die Nerven. Es galt, Zeit zu gewinnen. Zeit, um sich eine Möglichkeit zu überlegen, doch noch der tödlichen Falle zu entrinnen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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COVER: A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Erwürgt!

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 140 Taschenbuchseiten.

Drei Männer werden ermordet – und immer wird ein Springseil um ihren Hals zu einer Schlinge drapiert. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel...

Ein packender Thriller von Alfred Bekker.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2016 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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1

George Rizzo stellte sein Cabriolet an den Straßenrand und stieg aus. Er nahm die Sonnenbrille ab und blickte sich um. Eine Rolex blitzte am Handgelenk auf. Der dunkle Ledermantel reichte bis zum Boden. Die Häuserzeile mit den Brownstone-Bauten wirkte wie ausgestorben. Eine Mülltonne war umgeworfen worden. Der Inhalt lag zur Hälfte auf der Straße. Einige Fahrzeuge standen am Straßenrand. Bei manchen fehlten Reifen. Rizzo blickte auf die Uhr. Komm schon, lass dir nicht so viel Zeit!, dachte er. Plötzlich hörte Rizzo ein Stöhnen. Augenblicklich war er alarmiert und hatte die Hand an der Waffe, die er im Hosenbund trug.

Ein Mann taumelte aus einem der Hauseingänge hervor. Sein Gesicht war blutüberströmt. Er wollte etwas sagen, brachte aber nur unverständliche Laute hervor und strauchelte zu Boden. George Rizzo riss die die Waffe hervor.

Von allen Seiten tauchten nun plötzlich in Leder gekleidete, bewaffnete Gestalten auf. Automatische Pistolen, Baseballschläger, Schlagringe und sogar MPis gab es bei ihnen. Das ratschende Geräusch eines durchgeladenen Pump Action Gewehrs ließ Rizzo herumwirbeln. Ein Mann mit gelockten Haaren und kantigem Gesicht grinste schief.

„Wer nicht hören will, muss fühlen, George!“

„Monty!“, stieß Rizzo hervor. Seine Augen waren schreckgeweitet. Er riss die Waffe hoch, aber noch ehe er abdrücken konnte, hatte sein Gegenüber gefeuert. Rizzo machte drei taumelnde Schritte zurück und rutschte am Kotflügel seines Cabriolets zu Boden.

2

Die in Leder Gekleideten kamen näher heran.

„Schön, dass du mich noch wieder erkennst!“, sagte Monty und verzog dabei das Gesicht.

Er war zweifellos der Anführer der Gruppe.

Rizzos rechter Arm, mit dem er die Waffe hielt, gehorchte ihm nicht mehr. Mit der Linken versuchte er die Blutung an der Schulter zu stoppen. Aber das war aussichtslos. Rot rann es ihm zwischen den Fingern hindurch.

Rizzo atmete flach. Sein Gesicht war zu einer Maske des Schmerzes geworden.

Monty nahm ihm die Waffe ab.

„Kaliber .45 – eine viel zu wuchtige Waffe für ein Spielkind wie dich!“

„Monty, ich…“

„Halt ja das Maul!“ Monty erhob sich und warf einem seiner Leute die .45er zu. „Stellt ihn auf die Füße!“, befahl er anschließend. Zwei seiner Männer packten George Rizzo grob und rissen ihn hoch.

Monty spuckte verächtlich aus.

Dann stieß mit dem Lauf seines Pump Action-Gewehres gegen Rizzos verletzte Schulter, sodass dieser vor Schmerzen aufstöhnte.

Monty grinste. „Wieso plötzlich so sensibel, George?“ Er tätschelte Rizzo in gespielter Gönnerhaftigkeit die Wange. „Weißt du, George, du hast mich auch verletzt. Nicht körperlich, aber…“ Er zog die Hand zurück, ballte sie zu Faust und drückte sie auf die linke Brust. „Hier drinnen, verstehst du? Ich habe gedacht, du würdest mein Wort respektieren! Ich dachte, du hättest begriffen, dass du hier nicht mehr zu suchen hast und ausschließlich wir in diesen Blocks die Geschäfte abwickeln. Aber du scheinst mich nicht ernst genommen zu haben und das trifft mich tief.“

Rizzo schluckte. Er zitterte leicht.

„Monty, wir können doch reden!“

Montys Faust sauste George Rizzo mitten ins Gesicht. Er musste festgehalten werden, um nicht zu Boden zu rutschen. Rizzos Mund wurde zu einer blutigen Höhle, der sich ein schmerzvolles Stöhnen entrang.

Monty grinste zynisch.

„Reden?“ Er lachte heiser. „Du wohl kaum noch, George!“

Die Anderen lachten heiser.

3

Inzwischen hatten zwei von Montys Leuten den verletzten Mann, der George Rizzo aus einem der Hauseingänge entgegen getaumelt war, grob an den Schultern gepackt. Der Mann trug einen Parka mit der Aufschrift ADVENTURER an Brust und Schulter. Die Aufschrift in Brusthöhe konnte man kaum noch lesen, denn der Parka über und über mit Blut besudelt. Das Gesicht war eine einzige Wunde, die Augen so stark angeschwollen, dass er kaum noch sehen konnte. Mit dem rechten Bein konnte er offenbar nicht mehr auftreten und der linke Arm hing schlaff von der Schulter. Er zitterte. Die blauen Augen flackerten unruhig.

Es war offenkundig, dass er äußerst brutal verprügelt worden war.

„Was sollen wir mit dem Kerl machen?“, fragte einer der Männer, die ihn an den Armen hielten.

Monty grinste schief.

„Du bist doch hier gewesen, um deinen Stoff zu kaufen, nicht wahr?“, sprach er den Mann mit der Adventurer-Jacke an. Dieser war jedoch unfähig, etwas sagen.

Monty deutete auf Rizzo. „Durchsucht ihn nach Stoff – und dann stopft das Zeug seinem Kunden ins Maul. Der Munde ist dich König und sollte bekommen, was er wollte!“

Gelächter brandete auf.

Ziemlich grob durchsuchten Montys Männer George Rizzo und förderten einiges an Crack zu Tage. Das mit Backpulver verkochte Kokain lag in würfelförmigen Stücken vor – ‚Steine’ genannt. Rizzo hatte jeweils fünf davon in Cellophan eingepackt. Vier solcher Päckchen trug er in den Taschen. Daneben tauchten noch einige Briefchen reines Kokain auf.

Der Mann mit der Adventurer-Jacke wurde festgehalten. Jemand hielt ihm die Nase zu, damit er den Mund öffnete, aus dem Blut rann. Monty stopfte dem Kerl eigenhändig einen Crack-Würfel nach dem anderen in den Mund, bis nichts mehr hineinpasste. Der Adventurer musste würgen, röchelte, spuckte die Würfel wieder aus.

„Lasst ihn los!“, befahl Monty. Dann wandte er sich an den Adventurer-Mann. „Du weißt in Zukunft, wo du die Steine kaufst, klar?“

Der Angesprochene stieß nur einen unartikulierten Laut hervor.

„Betrachte alles, was du noch im Mund hast als Probelieferung und verschwinde. Aber sollten wir dich je wieder dabei erwischen, wie du dein Crack bei jemand anderem als bei uns kaufst, dann kommst du nicht mehr so preiswert davon. Verstanden?“

„Er kann doch nichts sagen, Monty! Schließlich hat er die Schnauze voll!“, lachte eines der Gangmitglieder, die Rizzo festhielten.

„Verschwinde!“, zischte Monty.

Seine Leute ließen den Mann mit der Adventurer-Jacke los. Er wankte davon, zog das Bein dabei nach.

Wenig später verschwand er in einem Hauseingang.

Jetzt wandte sich Monty an George Rizzo. „Du kommst allerdings nicht so leicht davon!“ Er machte seinen Leuten ein Zeichen, woraufhin sie Rizzo losließen. Monty lud die Pump Gun durch. „Hör zu, ich gebe dir fünf Minuten Vorsprung. Lauf, so schnell du kannst – und falls wir dich einholen und noch in unserem Distrikt erwischen, hast du heute zum letzten Mal deine Steine angeboten!“

4

George Rizzo hetzte die Straße entlang, bog in eine enge Gasse, die zwischen zwei Brownstone-Häusern geblieben war und gelangte in einen Hinterhof. Ein Stapel alter Autoreifen und mehrere ausgeschlachtete Pkw-Wracks waren hier zu finden. Viele der Fenster in den umliegenden Häusern waren zerschlagen. Manche mit Brettern vernagelt. Ein paar Obdachlose wärmten sich an einem Feuer.

„Hey, was ist denn mit dem da?“, rief einer von ihnen.

Rizzo nahm die heisere Stimme nur wie aus weiter Ferne war. Ihm war schwindelig. Der Puls raste.

Schweißperlen glänzten auf George Rizzos Stirn. Er hetzte weiter. Er wusste in der South Bronx Bescheid. Rizzo war hier aufgewachsen und kannte jeden Schleichweg.

Seine Schulter schmerzte höllisch – ebenso wie sein Unterkiefer.

George Rizzo war kaum noch in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder hinterließ er Blutspuren auf dem Asphalt. Schließlich erreichte er die Ausfahrt des Hinterhofs und gelangte in eine Seitenstraße. Er überquerte sie. Auf der anderen Seite befand sich eine stillgelegte Lagerhalle. Das Gründstück war mit einem hohen Maschendrahtzaun umgeben. Es gab jedoch mehrere Stellen, an denen der Draht aufgeschnitten und zur Seite gebogen worden war.

Rizzo zwängte sich durch eines der Löcher. Er verfing sich mit seiner Kleidung im Draht.

Den Wagen, der am Straßenrand hielt, bemerkte er zunächst nicht. Die Tür wurde geöffnet, jemand stieg aus.

Die Schritte auf dem Asphalt waren fast lautlos.

Rizzo drehte sich herum und zuckte förmlich zusammen.

Zweimal ertönte ein Geräusch, das wie ein heftiges Niesen klang. Eine Pistole mit Schalldämpfer. Die Projektile trafen George Rizzo in der Brust und im Kopf.

Mit starren, toten Augen sackte in sich zusammen.

5

Der Tatort war mit Flatterband abgesperrt worden. Kein Mensch konnte genau sagen, wie die Straße hieß, denn irgendwelche Witzbolde hatten sich einen Spaß daraus gemacht, die Schilder abzumontieren. Laut der letzten Version des Stadtplans handelte sich um die George Washington Lane.

Mein Kollege Milo Tucker und ich befanden uns in einer der übelsten Gegenden der South Bronx. Die City Police traute sich nur in Mannschaftsstärke und mit angelegten Kevlar-Westen hier her. Dementsprechend waren diesmal auch ungewöhnlich viele Sicherheitskräfte an dem Einsatz beteiligt, bei dem es eigentlich nur darum ging, den Tatort vor dem Betreten Unbefugter zu schützen.

Ich parkte den Sportwagen bei den anderen Einsatzfahrzeugen. Abgesehen von den Einsatzkräften der City Police waren auch bereits die Kollegen der Scientific Research Division und der Homicide Squad des zuständigen Polizeireviers vor Ort.

Dr. Brent Claus von der Gerichtsmedizin traf gerade ein.

Wir warteten auf ihn und er begrüßte uns freundlich.

„Haben Sie schon eine Ahnung, was uns hier erwartet, Agent Trevellian?“, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Wir kommen von einer Zeugenvernehmung auf Rikers Island und waren gerade in der Nähe, als uns der Anruf aus der Zentrale erreichte“, berichtete ich. „Das Opfer ist ein Drogendealer und hat einen Strick um den Hals. Damit gehört er vermutlich in die Serie, mit der wir gerade zu tun haben.“

„Drei ähnliche Fälle in vier Wochen“, ergänzte Milo. „Da will einer die Szene ganz gehörig aufräumen.“

Ein uniformierter Kollege hielt uns an. Wir zeigten ihm unsere Dienstausweise.

„Lieutenant Alexander wartet schon auf Sie!“, sagte der Officer.

Wir erreichten schließlich den Tatort.

Ein Toter lag auf dem Bürgersteig. Zwei Schusswunden in Kopf und auf der Brust waren unübersehbar. Außerdem gab es noch eine Wunde an der Schulter, die sehr viel größer war und sehr stark geblutet haben musste. Darüber hinaus hatte der Tote allerdings noch weitere Verletzungen. Man hatte ihm brutal die Zähne eingeschlagen.

Lieutenant Barry Alexander von der Homicide Squad des zuständigen NYPD-Reviers war gerade in ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Scientific Research Division verwickelt, die sofort durch die weißen Schutzoveralls auffielen.

„Zwei Hülsen lagen hier herum“, sagte die SRD-Kollegin. Sie hieß Sandra Dominguez. Ich kannte sie flüchtig von anderen Tatorten. „Alles spricht dafür, dass der Mord mit einer Waffe verübt wurde, mit der Projektile vom Kaliber 9 mm verschossen werden.“

Lieutenant Alexander drehte sich zu uns herum. Wir grüßten knapp.

„Ich habe Sie sofort rufen lassen, denn ich nehme an, dass dieser Mord etwa mit Ihrer Serie zu tun hat.“

Ich blickte auf den Toten. Er trug einen bis zu den Knöcheln reichenden Ledermantel. Die Augen starrten ins Nichts.

Ein fingerdickes Seil hing ihm locker um den Hals. Es war zur Schlinge geknüpft – wie bei einem Galgen.

„Der Mann hieß George Nelson Rizzo“, berichtete Lieutenant Alexander. „Er trug einen Führerschein bei sich. Laut Computer ist er mehrfach wegen Drogendelikten, Körperverletzung, Hehlerei und ähnlichem verurteilt worden und hat ein paar Jahre auf Rikers Island verbracht.“

„Ein Drogendealer, dem symbolisch ein Strick um den Hals gelegt wurde“, sagte Milo. „Da scheint es jemand auf die kleinen Crack-Verteiler abgesehen zu haben.“

Lieutenant Alexander deutete auf die Straße. „Hier soll angeblich die Grenze zum Gebiet der ‚Spiders’ sein. Zumindest, wenn man unseren Informanten Glauben schenkt.“

Die ‚Spiders’ waren eine Drogengang, die sowohl uns, als auch den Kollegen der örtlichen Polizeireviere und der DEA zunehmend Sorgen bereitete. Sie hatten ihr Gebiet innerhalb eines Jahres verdreifacht und wir vermuteten, dass sie von einem der großen Syndikate als Verteiler eingesetzt wurden.

„Ich nehme an, dass da irgend eine große Nummer im Hintergrund das Verteilersystem für Drogen unter seine Kontrolle bringen will“, glaubte Lieutenant Alexander. „Aber das herauszufinden ist Gott sei Dank nicht mein Job, sondern Ihrer.“

„Hatte Rizzo Drogen bei sich?“, fragte ich.

„Nein“, sagte Alexander.

Inzwischen nahm Dr. Brent Claus seine Erstuntersuchung des Toten vor. „Drei Schusswunden“, erklärte er. „Tödlich war der Treffer im Kopf, vielleicht auch der Schuss in die Brust. Das kann ich aber erst nach der Obduktion sagen.“

Nur das Projektil im Kopf befand sich noch im Körper, da es keine Austrittswunde gab. Das Projektil, das durch die Brust gegangen war, steckte im Asphalt und wurde von Sandra Dominguez eingesammelt.

Aber die Kugel, die George Rizzo durch die Schulter gefahren war, fehlte.

So sehr die Kollegen der SRD auch in unmittelbarer Nähe danach suchten, sie tauchte einfach nicht auf.

„Eigentlich ist das nur so zu erklären, dass diese Verletzung nicht hier erfolgte“, stellte Sandra Dominguez klar. „Außerdem bin ich mir ganz sicher, dass es ein größeres Kaliber gewesen ist!“

„Dann wurde Rizzo angeschossen, flüchtete hier her und wurde kurz bevor er das Gebiet der ‚Spiders’ verlassen konnte von zwei weiteren Kugeln aus einer anderen Waffe niedergestreckt“, fasst Milo den vermuteten Tathergang zusammen.

Lieutenant Alexander zeigte uns noch, was man bei dem Toten gefunden hatte: Ein Handy, ein Notizbuch und eine Brieftasche mit insgesamt 5000 Dollar, mehreren Kreditkarten und einem Führerschein.

Daneben gab es auch eine Visitenkarte einer Hilfsorganisation für Drogenabhängige. HELP nannte sich die.

„War Rizzo selbst süchtig?“, fragte ich an Dr. Claus gewandt.

„Definitiv kann ich das erst nach der Obduktion sagen“, lautete die Antwort des Gerichtsmediziners. „Allerdings muss er zumindest gekokst haben. Die Nasenschleimhäute sind völlig ruiniert.“

„Die meisten Kleindealer sind selbst mehr oder minder schwer abhängig“, meinte Lieutenant Alexander. „Auf diese Weise fangen die meisten mit diesem Teufelsbusiness an. Ein bisschen Stoff für einen Kumpel kaufen und etwas mehr nehmen, als man selbst bezahlt hat…“

Außerdem fand sich noch ein Schlüsselbund in seiner Hosentasche.

Das Notizbuch enthielt Abkürzungen und Zahlen.

„Vielleicht die Telefonnummern seiner Kunden?“, vermutete Milo.

„Mit etwas Glück vielleicht die seines Lieferanten.“

Ein Handy klingelte mit der Melodie von ‚Take Five’. Es war Lieutenant Alexanders Apparat. Er sagte dreimal knapp: „Ja!“ Dann beendete er das Gespräch und wandte sich an mich. „Auf Mister Rizzos Namen ist ein Cabriolet zugelassen. Kollegen haben den Wagen ein paar Straßen weiter gefunden.“

„Ich schlage vor, wir sehen uns den auch mal an“, sagte Milo.

Ich hatte nichts dagegen einzuwenden.

6

Die Straße, in der das Cabriolet gefunden war, hatten wir schnell erreicht. Uns fiel gleich der Einsatzwagen der Police auf. Er stand mit blinkenden Rotlichtern am Straßenrand.

Zwei Uniformierte durchsuchten gerade einen jungen Mann, höchstens Mitte zwanzig.

Ich fuhr den Sportwagen an den Straßenrand.

Wir stiegen aus.

Milo deutete auf die Reihe der auf der gegenüberliegenden Straße abgestellten Fahrzeuge, denen zum Teil die Reifen abmontiert worden waren. „Hier lässt man besser seinen Wagen nicht länger stehen, als unbedingt nötig, was?“

„Selbst, wenn die Polizei daneben steht“, nickte ich.

„Wenn George Nelson Rizzo seinen Wagen hier stehen ließ, hat die Tragödie, die zu seinem Tod führte, vermutlich auch hier begonnen!“

„Er bekam einen Schuss ab, flüchtete, wurde verfolgt und bekam dort, wo er gefunden wurde, den Rest.“

„Es sind zwei gewesen, Jesse. Zwei Waffen – und daher wohl vermutlich auch zwei Personen.“

Wir erreichten das Cabriolet. Unsere Vermutung bestätigte sich. Einer der Kotflügel war Blut besudelt. Der Wagen musste unbedingt von den Kollegen der SRD unter die Lupe genommen werden.

„Hey, nichts anrühren!“, rief uns einer der Cops entgegen. Ich ging auf ihn zu und hielt ihm meinen Ausweis entgegen. „Jesse Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Milo Tucker.“

„Entschuldigen Sie“, erwiderte der Polizist, ein groß gewachsener, breitschultriger Mann mit rötlichem Haar. „Ich bin Sergeant McGhee und mein Kollege ist Sergeant O’Leary. Lieutenant Alexander hat uns gebeten, in der Gegend nach dem Wagen von diesem Rizzo zu suchen. Hier ist er! Und der Kerl hier hat sich daran zu schaffen gemacht!“

Der junge, lockenköpfige Mann stand breitbeinig an Wand, während Sergeant O’Leary ihn abtastete.

Ein Schlagring, ein Springmesser und ein langläufiger Revolver vom Kaliber .45 kamen zum Vorschein. Der Revolver glänzte metallisch und war offenbar auf Hochglanz poliert. Der Griff war aus Perlmutt und wies ein paar charakteristische Verzierungen auf. Unter anderem war der Kopf eines Cowboys zu sehen.

„Sehr geschmackvoll“, meinte Milo.

Er nahm Sergeant O’Leary die Waffe ab und tütete sie in Cellophan ein.

„Das könnte die Waffe sein, aus der Rizzo zum ersten Mal getroffen wurde“, schloss ich.

Inzwischen war auch ein Führerschein sichergestellt worden. Ich sah mir das Dokument an. Das Gültigkeitsdatum war ziemlich plump gefälscht. Der junge Mann hieß Wayne Smith und er wohnte nur ein paar Blocks weiter.

Handschellen klickten.

Ich trat näher an ihn heran. „Wissen Sie, wessen Cabriolet das ist?“

„Keine Ahnung.“

„Sie brauchen nichts zu sagen, aber wenn Sie sich dazu entschließen, auszusagen, kann alles vor Gericht gegen Sie verwendet werden“, belehrte Milo ihn.

Sergeant O’Leary packte den Gefangenen bei den Schultern und drehte ihn herum. Er lehnte gegen die Wand. „Ich hatte ihn bereits belehrt, Agent Tucker. Aber einmal mehr kann ja kaum schaden.“

„Für meine Begriffe sah das so aus, als wollte er den Wagen kurz schließen“, sagte Sergeant McGhee.

„Ihr Cops könnt mich mal kreuzweise!“, rief er.

„Wir suchen den Schützen, der auf den Besitzer des Cabriolets geschossen hat“, erklärte ich ihm. „Aus Ihrer Waffe wurde vor kurzem noch geschossen, das kann man riechen. Wenn wir Sie mit zur Federal Plaza nehmen, kann man an Ihren Händen nach Schmauchspuren suchen und einwandfrei feststellen, ob Sie innerhalb der letzten Tage eine Waffe benutzt haben.“

„Ja, ich habe mit der Waffe geschossen und ich weiß auch, dass das öffentliche Tragen von Schusswaffen in New York nicht gestattet ist! Aber verdammt noch mal mit dem Mord an diesem Typen habe ich nichts zu tun!“

„Wahrscheinlich haben Sie ihn nur verletzt, aber ein paar Straßen weiter hat ihm jemand den Rest gegeben“, sagte ich. „Der Kerl hieß George Nelson Rizzo. Er hat mit Drogen gedealt. Kennen Sie ihn?“

„Nein.“

„Jetzt machen Sie schon den Mund auf. Kooperation kann man das bis jetzt wirklich nicht nennen!“

„Verdammt!“

„Na los!“

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

„Was interessiert mich dieser Mist, ich wollte nur den Wagen haben. Aber das verdammte Ding hat irgend so eine Sicherheitssperre oder etwas in der Art. Das kann man nicht einfach kurzschließen.“ Er atmete tief durch.

„Rizzo hatte ein Buch mit vielen Nummern darin. Wenn Sie sein Kunde waren, dann sagen Sie uns das besser jetzt!“, verlangte ich.

„Ich war nicht sein Kunde!“

Ich ließ nicht locker. „Was war los? Hat es Streit gegeben wegen einer Lieferung? Enthielten die Crack-Steine nur noch Backpulver und kaum noch Kokain?“

„Das ist doch Unsinn, Mann!“

„Oder ist Rizzo einfach nur in ein Gebiet eingedrungen, in dem er keinen Zutritt hatte?“

„Verdammt, hast du keine Ohren, G-man? Ich habe den Typen nicht gekillt! So wahr ich hier stehe!“

„Haben Sie irgendetwas gesehen?“

Auf einmal starrte der Lockenkopf mit vor Schreck geweiteten Augen an mir vorbei. Die Pupillen waren ziemlich stark vergrößert. Ein Indiz dafür, dass er irgendetwas genommen hatte.

„Nein!“, schrie er.

Im nächsten Moment peitschten Schüsse. Der erste traf Wayne Smith mitten in den Kopf. Er taumelte zurück, schwankte kurz und ging dann wie ein gefällter Baum zu Boden.

Sergeant O’Leary griff zur Waffe an der Hüfte, aber er kam nicht mehr dazu, die Dienstwaffe aus dem Holster zu reißen. Eine Kugel traf ihn in die Brust, riss das Hemd auf und blieb in der, in dieser Gegend für alle Cops, obligatorischen Kevlar-Weste hängen. Er wurde zu Boden gerissen. Der zweite Schuss traf ihn am Hals. Blut trat aus. Er versuchte, die Blutung mit der Hand zu stoppen. Vergeblich. Das Blut rann ihm zwischen den Fingern hindurch. Er sank zu Boden. Milo und ich gingen in Deckung, während wir unsere Dienstwaffen zogen und auf jenes Fenster im fünften Stock schossen, aus dem man auf uns angelegt hatte. Ein Schattenriss war dort an einem offenen Fenster zu sehen. Der Gewehrlauf mit dem aufgesetzten Schalldämpfer reichte ziemlich weit hinaus.

„Kümmern Sie sich um O’Leary!“, wandte ich mich an McGhee.

Milo und ich schnellten aus unsere Deckung. Wir rannten schräg über die Straße und näherten uns jenem Gebäude, aus dem die Schüsse abgegeben worden waren.

Die Haustür war ausgehängt.

Der Flur mit Graffiti besprüht. Ein Mann saß in sich zusammengesunken in einer Ecke. Seine Augen waren geschlossen. Ein Spritzbesteck lag auf dem Boden verstreut. Er atmete ruhig und regelmäßig. In der Lunge rasselte es dabei erschreckend geräuschvoll.

„Haben Sie hier jemanden gesehen?“, fragte Milo. Er musste seine Frage noch einmal wiederholen, damit sein Gegenüber sie überhaupt zur Kenntnis nahm.

Der Mann riss die Augen auf, sah meinen Kollegen an und schloss sie sofort wieder. Es hatte keinen Sinn, ihn anzusprechen.

Wir erreichten den Lift, aber dort gab es nichts weiter als leere Schächte. Außerdem stellten wir fest, dass zumindest im Erdgeschoss sämtliche Türen ausgehängt worden waren. Ich bezweifelte, ob hier überhaupt noch jemand wohnte – von den Ratten, die ab und zu über den Flur huschten mal ganz abgesehen.

Wir nahmen das Treppenhaus, pirschten uns Absatz für Absatz nach oben. Dabei hielten wir uns immer schön außen, weil man nur von dort einigermaßen die Übersicht behalten kann. Mit der Waffe im Anschlag arbeiteten wir uns voran. Wenn der Schütze, der den jungen Mann namens Wayne Smith auf dem Gewissen hatte, sich noch im Haus befand und verschwinden wollte, musste er uns eigentlich entgegen kommen.

Beinahe lautlos brachten wir die Treppen bis zum fünften Stock hinter uns.

Ein Luftzug wehte durch das gesamte Gebäude. Es musste Dutzende von Fenstern hier geben, die seit einem Jahr oder länger ohne Glas waren.

Die Wände waren kahl, der Putz blätterte ab.

Wir schlichen durch einen langen, breiten Korridor. Rechts und links schlossen sich die Wohnungen an. Auch hier waren überall die Türen ausgehängt worden. Offenbar hatte man alles dem Haus geholt, was noch irgendwie Wert besaß.

Ein Geräusch ließ uns aufhorchen. Ich rannte diesem Geräusch nach, bis ans Ende des Korridors. Milo folgte mir. Ein großer Raum von mindestens zwanzig Quadratmetern lag vor uns. Ich war mit ein paar Sätzen bei der Fensterfront. In etwa der Hälfte der Fenster war noch Glas.

Ein Schuss zischte in eines der Fenster hinein und zerstörte es vollkommen.

Ich duckte mich, als ich draußen Schritte hörte. Mit beiden Händen fasste ich die Waffe und tauchte aus meiner Deckung hervor.

Ein Mann mit Lederjacke und Piratentuch rannte über das Flachdach des angrenzenden Nachbarhauses davon. THE HELL’s FINEST stand in verschnörkelten Fraktur-Lettern auf seiner Jacke.

Er drehte sich um, riss sein Gewehr in meine Richtung und feuerte sofort, ohne zu zielen. Es handelte sich um ein Sturmgewehr, wie es bei der Army Standard war. Der Mann mit dem Piratentuch hatte es auf Dauerfeuer geschaltet. Ich duckte mich. Die Schüsse fraßen sich überall im Raum in den Beton der gegenüberliegenden Wände. Die wenigen noch intakten Fensterscheiben zersprangen.

Milo blieb bei der Tür und sprang zur Seite, um nichts abzubekommen.

Ich tauchte aus der Deckung hervor, nachdem der Geschosshagel verebbt war.

Der Kerl lief weiter über das Flachdach.

Ich kletterte durch eines der Fenster und folgte ihm.

„Stehen bleiben! FBI!“, rief ich und gab einen Warnschuss ab. Er reagierte darauf nicht. Schließlich erreichte er das Ende des Flachdachs. Zum Nachbargebäude gähnte ein Abgrund von zweieinhalb Yards. Er sprang, rollte sich auf der anderen Seite auf dem Boden ab und feuerte anschließend in meine Richtung. Die Kugeln zischten an mir vorbei. Ich duckte mich und schoss zurück.

Der Kerl rappelte sich auf und lief weiter.

Ich gab erneut einen Warnschuss ab. Dann zielte ich auf seine Beine und erwischte ihn an der Wade.

Er schrie auf und verlangsamte das Tempo etwas.

Ich sprang unterdessen über den zweieinhalb Yards breiten Abgrund und holte auf.

Der Kerl mit dem Piratentuch hatte inzwischen den Dachausstieg erreicht und war wenig später verschwunden. Ich hetzte ihm hinterher.

Am Boden war etwas Blut. Also hatten wir auf jeden Fall einen genetischen Fingerabdruck von ihm, wenn er uns durch die Lappen ging.

Der Dachausstieg bestand aus einem kleinen Gebäudeaufbau von ungefähr drei mal vier Yards.

Die feuerfeste Stahltür musste irgendwann einmal gewaltsam geöffnet worden sein und ließ sich nicht mehr schließen. In Höhe des Schlosses war sie stark verbogen.

Milo holte mich ein.

Ich riss die Tür vollends auf, Milo hob die Dienstwaffe. Aber es war natürlich niemand mehr dort.

Eine Treppe führte hinab.

Milo nahm sein Handy ans Ohr und rief Verstärkung. Auf dem Boden waren erneut Blutspuren. Wir gelangten über die Dachtreppe ins Treppenhaus. In der Tiefe waren Schritte zu hören. Jemand lief eilig nach unten.

Wir folgten Absatz für Absatz und sicherten uns gegenseitig dabei. Schließlich gelangten wir ins Erdgeschoss, das offenbar bewohnt wurde. Immerhin standen an den meisten Briefkästen der unteren Reihe Namen. Der Aufzug war allerdings stillgelegt.

Wir hörten Schritte.

Eine junge Frau trat aus dem Korridor und erstarrte, als sie unsere Waffen sah.

„Trevellian, FBI!“, stellte ich mich vor und hielt ihr meine ID-Card entgegen. „Hier muss gerade ein Mann mit Piratentuch und Lederjacke hergelaufen sein.“

„Ich habe niemanden gesehen!“, behauptete sie.

„Er trägt eine Jacke mit der Aufschrift ‚Hell’s Finest’!“

„Wie ich schon sagte, hier war niemand.“

„Wie ist Ihr Name?“

„Susan Cabanez, Apartment 1.08.“

„Sie muss jemanden gesehen haben“, stellte Milo klar. „Hier ist nämlich Blut.“ Er stand ein paar Schritte weiter im Korridor und deutete auf den Boden.

Von draußen war jetzt das Geräusch eines startenden Motorrads zu hören.

„Gibt es hier einen Hinterausgang?“, fragte Milo.

„Ja, den Korridor entlang und dann gleich links.“

„Danke.“

7

Wir erreichten einen Hinterhof.

Ein Motorrad heulte auf.

Die Maschine war aufgebockt. Zwei junge Männer standen daneben. Einer betätigte das Gas, der andere schraubte am Motor herum.

Die beiden erstarrten, als sie uns sahen. Der Motor wurde abgestellt.

„Fehlanzeige, Milo. Das sind die Falschen“, murmelte ich.

Milo suchte auf dem Boden nach Blutspuren. Es lag eigentlich nahe, dass der Flüchtige diesen Weg genommen hatte.

Wir gingen auf die beiden jungen Männer zu und zogen unsere Ausweise.

„FBI“, konnte ich gerade noch sagen, bevor der Größere der beiden die Hände hob und damit begann, sich zu verteidigen, noch bevor ihm etwas vorgeworfen worden war.

„Wir sind sauber, Mann! Keine Drogen! Gar nichts!“

„Wir haben Sie gar nicht verdächtigt“, erklärte ich. „Wir suchen einen Kerl mit einer Schusswunde am Bein.“ Ich gab ihnen eine kurze Beschreibung. Die äußere Erscheinung des Flüchtigen Killers war eigentlich so prägnant, dass jede Verwechslung ausgeschlossen war.

„Wir haben hier niemanden gesehen“, versicherten beide unisono.

„Und von den Schüssen haben Sie wahrscheinlich auch nichts gehört?“

„Hier in der Gegend haben alle schon mal ein paar Schüsse gehört“, meinte der Größere.

Und der Andere ergänzte: „Meistens ist das harmlos.“

„Wieso ist es harmlos, wenn geschossen wird?“, fragte ich.

„Oft schießt ja doch nur jemand auf ein paar Blechdosen.“

„Verboten ist es trotzdem.“

„Wenn Sie hier leben würden, dann würden Sie auch zusehen, nur gut bewaffnet durch die Straßen zu gehen.“

„Gut bewaffnet oder unter dem Schutz guter Freunde“, ergänzte der Andere.

Ich verstand, was er meinte. Den Schutz einer Gang.

Blut konnten wir nirgends entdecken – aber dazu war angesichts des fleckigen, mit Öllachen übersäten Bodens wahrscheinlich ohnehin nur ein Spurensicherer in der Lage.

Milo ließ den Blick schweifen. „Der Kerl ist auf und davon“, glaubte er.

Ich wandte mich noch einmal an die beiden jungen Männer. „Sagt Ihnen der Name George Nelson Rizzo etwas? Er handelte mit Crack.“

„Nein.“

„Ein Typ mit einem Ledermantel bis zu den Knöcheln.“

Jetzt klingelte es bei den beiden.

„Ach, Sie meinen Neo George!“, meinte der Größere.

„Neo George?“, echote ich.

„Ja, Sie erwähnten dich gerade seinen Ledermantel. Er sah aus wie Neo aus den Matrix-Filmen. Fand er wohl cool.“

„Er wurde hier in der Nähe angeschossen, flüchtete anschließend und bekam dann noch mal zwei Kugeln ab.“

„Kein Wunder“, sagte der Kleinere.

„Wieso?“, wollte ich wissen.

„Weil er ein mieses Arschloch war. Er hat gepanschten Stoff verkauft und in seinem Crack war kaum noch Kokain, sondern irgend ein anderes Zeug, dass ziemlich ungesund sein muss!“

„Quatsch nicht so viel, Ricky!“, wies ihn der Größere zurecht.

Ricky verzog das Gesicht „Wieso, es weiß doch sowieso jeder, was mit Neo George los war! Die mieseste Ratte der South Bronx! Und Carla würde noch leben, wenn diesem Dreckskerl früher jemand gezeigt hätte, wo die Grenze ist!“

„Meinen Sie die Grenze des Gang-Territoriums der ‚Spiders’?“, fragte ich.

Das verschlug beiden erstmal die Sprache. „Jedenfalls dürfte es hier in der Gegend nicht viele geben, die den Tod von Neo George bedauern!“, fuhr er schließlich fort.

„Wer ist diese Carla?“, hakte ich nach.

„Carla McGray, starb vor vier Wochen. Ich mochte sie ganz gerne und hatte auch mal was mit ihr, aber wenn sie auf Crack war, hatte sie nichts anderes als den Stoff im Hirn. Dann war sie ungenießbar.“

„Und ihr nehmt nichts?“, fragte Milo.

Der Größere grinste. „Unsere Droge heißt Benzin!“

8

Wir nahmen die Personalien der beiden jungen Männer auf. Sie hießen Ricky Spalding und Jay Beltran.

„Die Sache mit Carla McGray sollen wir überprüfen“, fand Milo. „Am Ende haben wir es nur mit einem einfachen Rachedrama zu tun - und nicht mit den Ausläufern eines Drogenkriegs um Verteilernetze für Crack.“

„Du vergisst das Seil, das man Rizzo um den Hals gehängt hat“, gab ich zu bedenken.

„Das war ein Allerweltsseil, Jesse. Es könnte sich jemand an diese Serie als Trittbrettfahrer drangehängt haben.“

„Dazu passt Rizzo wiederum zu perfekt ins bisherige Opfer-Profil!“

„Eben deshalb!“

„Aber vorher befragen wir noch einmal die Lady, die uns auf den Hof geschickt hat.“

„Wieso?“

„Sie hat uns angelogen, Milo und ich möchte wissen, was bei ihr zu Tage kommt, wenn wir etwas nachbohren.“

„Vielleicht nur, dass sie vor der herrschenden Gang so viel Respekt hat, dass sie lieber mit niemandem spricht, der von der Polizei oder dem FBI kommt!“

„Und wenn schon! Dann sagt das auch etwas.“

Wir kehrten in das Haus zurück und suchten im Erdgeschoss nach Apartment 1.01. Der Name Susan Cabanez stand in verblassten Buchstaben auf dem Klingelschild.

Milo klingelte.

Zunächst erfolgte keine Reaktion.

„Mrs Cabanez, hier ist noch mal das FBI. Wir haben noch ein paar Fragen!“

Erneut warteten wir. Auf der anderen Seite der Tür waren jetzt Geräusche zu hören. Etwas, das wie Schritte klang.

In diesem Moment tauchte Susan Cabanez im Korridor auf. Offenbar hatte sie in der Zwischenzeit das Haus verlassen und kehrte nun zurück. Sie hielt ein Verbandskissen vor den Bauch gepresst.

Ihre Augen waren schreckgeweitet.

„Bitte nicht…“, sagte sie.

Milo und ich entfernten uns von der Wohnungstür. Milo postierte sich rechts davon mit der Waffe in der Hand. Ich zog ebenfalls die Dienstwaffe und trat ihr entgegen. „Der Kerl mit dem verletzen Bein ist in Ihrer Wohnung, nicht wahr?“ Ich sprach mit gedämpfter Stimme.

„Er hat mein Baby!“, flüsterte sie. Draußen waren Sirenen zu hören. Das musste die Verstärkung sein, die Milo gerufen hatte. Aber die kam jetzt in einem ungünstigen Augenblick. Der Krach durch die Sirenen war bestens dazu geeignet, den Täter in Panik zu versetzen und eine Kurzschlusshandlung auszulösen.

„Keine Sorge, wir werden nichts tun, was Ihr Baby gefährdet“, versprach ich, während Susan Cabanez bereits die Tränen über das Gesicht liefen.

Ihr Make-up wurde zu einem Aquarell.

„Er wartet auf mich“, flüsterte sie zitternd. „Ich sollte ihm Verbandszeug holen – wegen seinem Bein. Da habe ich das Erste Hilfe Kissen aus meinem Wagen geholt. Er steht um die Ecke.“

„Okay.“

Ich griff zum Handy.

Über das zuständige Revier ließ ich mich mit Einsatzleiter der NYPD-Beamten verbinden, die sich gerade näherten.

„Wir haben einen Entführungsfall in dem ein Kleinkind betroffen ist“, fasste ich die Lage zusammen und gab die genaue Adresse und Apartmentnummer durch.

„Am besten gehe ich zu ihm herein und verbinde ihm seine Schusswunde“, schlug Susan Cabanez vor.

„Dann hat der Kerl eine zweite Geisel!“

„Aber er wird denken, dass ich die Polizei gerufen habe, wenn ich nicht mehr bei ihm auftauche!“

Die Sirenen verstummten. Die Kollegen von der City Police würden jetzt dafür sorgen, dass der Block weiträumig abgesperrt wurde.

Aus der Wohnung drangen jetzt polternde Geräusche, so als ob etwas umgestürzt wäre.

Dass Baby schrie.

Uns blieb keine andere Wahl, als zu handeln, auch wenn das Risiko hoch war.

Für uns und das Baby.

Milo und ich wechselten einen Blick. Er nickte. Auf die Verstärkung zu warten wäre jetzt fahrlässig gewesen.

Milo trat die Tür ein. Sie flog zur Seite. Ich stürzte mit der Waffe in der Hand in das Apartment. Das Baby lag in seiner Wiege und schrie noch immer. Der Flüchtige hatte sich zum Fenster geschleppt. Sein verletztes Bein war dunkelrot. Die Wunde blutete stark und war längst durch den hellblauen Stoff seiner Jeans gedrungen.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht stand er da, wollte offenbar aus dem Fenster klettern und riss jetzt das Sturmgewehr hoch.

Anschließend erstarrte er.

Wie gefroren wirkte er.

„Das Spiel ist aus!“, rief ich. „Bevor Sie geschossen haben, drücke ich ab!“

Einen Augenblick lang verharrte er regungslos. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Dann ließ er das Gewehr sinken. Es glitt zu Boden. An der Mauer ließ er sich zu Boden rutschen. Das Gesicht war schmerzverzerrt.

Milo war sofort bei ihm und nahm die Waffe an sich.

„Sie sind verhaftet“, stellte ich klar und klärte ihn über seine Rechte auf.

„Ihre verdammten Sprüche können Sie sich sparen!“, presste der Kerl zwischen den Zähnen hindurch. Die Wunde am Bein schien ihm ziemlich zuzusetzen.

9

Der Kerl mit der ‚Hell’s Finest’-Lederjacke weigerte sich, irgendeine Aussage zu machen. Aber er verlangte lautstark nach einem Arzt.

Wir riefen den Emergency Service.

Danach durchsuchten wir ihn und förderten dabei noch eine Automatik, ein Springmesser und einen Elektroschocker zu Tage. Der Führerschein war schlecht gefälscht und außerdem inzwischen abgelaufen. Er war auf den Namen James Myer ausgestellt, aber wir waren uns ziemlich sicher, dass der Name nicht stimmte.

„Ich weiß nicht, weshalb Sie so herumeiern“, sagte Milo an seine Adresse gerichtet. „Wenigstens Ihren richtigen Namen könnten Sie uns schon sagen. Wir bekommen ihn ohnehin heraus, nachdem Ihre Fingerabdrücke durch den Computer gegangen sind. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass jemand, der mit einer Militärwaffe kaltblütig auf einen Mann anlegt, der Justiz vorher noch nie aufgefallen ist!“

„Ihr könnt mich alle mal!“, knurrte er.

Die Kollegen der City Police trafen schließlich ein. Etwas später auch der Emergency Service. Der Mann, der sich James Myer nannte, wurde erstversorgt und anschließend in die Gefängnisklinik von Rikers Island gebracht.

Anschließend befragen wir noch einmal Susan Cabanez, die jetzt unseren Fragen gegenüber sehr viel aufgeschlossener war. Sie hielt erleichtert ihr Kind auf dem Arm und drückte es an sich.

Die Erleichterung war ihr überdeutlich anzumerken. Aber Milo und mir fiel ein mindestens ebenso großer Stein vom Herzen. Kidnapping mit einem Kleinkind ist grundsätzlich eine sehr heikle Sache. Gleichgültig was man tut oder lässt, man ist immer nahe daran, zu einer Katastrophe beizutragen.

„Ich danke Ihnen beiden“, sagte sie.

„Kannten Sie George Nelson Rizzo, genannt Neo George?“, fragte ich. „Der Mann mit dem langen Ledermantel.“

Susan Cabanez nickte.

„Ein Crack Dealer, glaube ich. Aber mehr weiß ich auch nicht.“

Ich ließ noch nicht locker. „Wissen Sie, wer ihn erschossen haben könnte?“

„Keine Ahnung. Ich nehme nichts und hatte deswegen mit dem Typ nichts zu tun. Der kam immer wieder als einer der größten Angeber daher. Was aus den Leuten wurde, denen er sein Zeug verkauft hat, war im wohl völlig gleichgültig. Ein Typ, der für ein paar Dollar über Leichen geht und wahrscheinlich seiner eigenen Großmutter noch Crack andrehen würde!“ Sie seufzte. „Ja, sehen Sie mich nicht so an! Wenn ich die Cops gerufen hätte, hätte der Kerl dafür gesorgt, dass mir jemand den Hals umdreht. Er hatte schließlich mächtige Freunde hier in der Gegend.“

„Was für Freunde?“

„Na, die, die ihm den Stoff lieferten. Aber mehr weiß ich darüber auch nicht.“

„Was ist mit Wayne Smith? Unsere Kollegen haben ihn erwischt als er sich Rizzos Cabriolet unter den Nagel reißen wollte.“

„Wayne ist ein Typ hier aus der Gegend. Wohnt nur einen Block weiter. Eine Freundin von mir hat ein Kind von ihm, aber er hat sie sitzen lassen. Autos knacken sieht ihm ähnlich. Der ist einfach zu dämlich, um mehr aus sich zu machen.“

„Gehört er zu den Spiders?“, fragte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

„Glaube ich nicht.“

„Weshalb?“

„Na, die greifen doch genug Geld in der Gegend ab. Dann bräuchte Wayne keine Autos mehr zu knacken, sondern könnte sie bar bezahlen! Aber genau weiß ich das natürlich nicht.“

Von den Schießereien auf der Straße wollte sie nichts mitbekommen haben. Weder von dem Schuss auf Rizzo noch von Wayne Smith’ Ermordung. Schließlich sei ihre Wohnung zur anderen Seite des Hauses ausgerichtet. Ich ließ ihr zum Schluss noch meine Karte da.

Vielleicht viel ihr ja noch irgend etwas ein, das uns weiter bringen konnte.

10

Wir kehrten zu Rizzos Wagen zurück.

Um unseren toten Kollegen Sergeant O’Leary kümmerte sich inzwischen der Gerichtsmediziner Dr. Claus, während sich Sandra Dominguez von der SRD den Wagen vornahm und zusammen mit zwei Kollegen Spuren sicherte.

Der Verdacht, dass Rizzo hier angeschossen worden war, schien sich zu bestätigen, als Sandra Dominguez ein Projektil fand.

Wir hörten uns in der Nachbarschaft um. Aber niemand wollte etwas gesehen oder gehört haben.

Pure Angst regierte hier.

In einem Hauseingang nur wenige Meter vom Standort des Cabriolets entfernt, fanden wir in einer Ecke einen Mann, der einen mit Blut besudelten Parka mit der Aufschrift Adventurer trug. Er zitterte. Am Kopf klaffte eine Wunde, die dringend genäht werden musste. Es war offensichtlich, dass man ihn brutal verprügelt hatte.

„Jesse Trevellian, FBI“, sagte ich. „Ich denke, Sie brauchen ärztliche Hilfe, Mister.“

Er blickte auf und sah mich mit einem leeren Blick an.

„Alles in Ordnung, danke“, murmelte er. So als müsste er sich selbst auch noch davon überzeugen, bekräftigte er seine absurde Aussage auch noch. „Ich brauche nichts! Wirklich!“

„Gar nichts ist in Ordnung!“, widersprach ich. „Wir haben einen Arzt in der Nähe, der sich Ihre Verletzung mal ansehen könnte.“

Der Mann lachte heiser. Er spuckte Blut dabei. Offenbar hatte er mehrere Zähne verloren.

„Wie heißen Sie?“, fragte ich.

Er brauchte einige Augenblicke, bis er wieder sprechen konnte und sein zerstörter Mund dazu in der Lage war, einen Namen hervorzubringen.

„Jason Shaw.“

„Haben Sie irgendetwas bei sich, womit sich das belegen lässt?“

„Nein.“

„Kein Führerschein?“

„Der Letzte ist schon drei Jahre abgelaufen. Liegt in meiner Wohnung, dritter Stock Apartment 3.01. Ich hatte eine kurze Schwächephase und bin deswegen nicht bis dorthin gekommen.“

Milo holte Dr. Claus, während ich bei Shaw blieb.

Ich nahm an, dass er cracksüchtig war, aber mir fehlte eine Handhabe, seine Sachen danach zu durchsuchen.

„George Nelson Rizzo oder Neo George, wie er auch genannt wird, wurde draußen auf der Straße angeschossen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?“

Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.

Eine Antwort blieb er schuldig.

Der Gerichtsmediziner war wenig später bei uns. Er untersuchte den Verletzten kurz und führte eine Erstversorgung durch. „Er ist auf Crack und hat mehrere Knochenbrüche“, wandte er sich an mich und bestätigte meinen Verdacht. „Dieser Mann gehört sofort in eine Klinik.“

„Sie haben das Crack von Neo George, nicht wahr?“, sagte ich in Shaws Richtung. „Aber jemand hat was dagegen, dass George Rizzo sich hier herumtreibt und dealt. Wahrscheinlich die Konkurrenz und da dies das Gebiet der ‚Spiders’ ist, werden die wohl alles getan haben, um Rizzos Kundschaft klar zu machen, dass sie ihren Stoff woanders kaufen soll! Deswegen haben die Sie verprügelt und Rizzo erschossen. Und jetzt sagen Sie schon, was Sie wissen, Shaw! Sonst wird alles nur noch schlimmer!“

„Sind Sie auch da, um mich zu schützen, wenn ich diesen Leuten das nächste Mal begegne?“, fragte Shaw.

„Wir können diese Kerle aus dem Verkehr ziehen, wenn Sie uns Namen und Adressen nennen“, mischte sich Milo ein.

„Damit dann irgendein findiger Anwalt dafür sorgt, dass sie auf Kaution wieder laufen gelassen werden und nachher vielleicht eine Bewährungsstrafe bekommen?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, danke, G-man! Darauf kann ich verzichten.“

„Jesse, sich schlage vor, wir nehmen Mister Shaw vorläufig fest. Verdacht auf Drogenhandel. Schließlich könnte er auch ein Geschäftspartner von George Rizzo gewesen sein.“

„Mal sehen, was wir in seiner Wohnung so finden“, stimmte ich zu. „Außerdem bekommt er dann in der Gefängnisklinik auf Rikers Island eine angemessene ärztliche Versorgung.“

„Das können Sie nicht machen!“, rief Shaw. „Wenn Sie mich festnehmen wird jeder denken, dass ich mit Ihnen geredet habe!“

„Aber so können wir Sie auch nicht hier zurücklassen, Mister Shaw!“, hielt ich ihm entgegen. „Also entweder lassen Sie sich vom Emergency Service mitnehmen oder die Gefängnisklinik wird Sie versorgen!“

Milo beugte sich zu ihm herunter.

Shaw hustete Blut.

„Lassen Sie die Kerle damit nicht durchkommen und sagen Sie uns was passiert ist!“, forderte mein Kollege. „Das meiste wissen wir doch sowieso schon! Ich verspreche Ihnen, dass wir damit nicht hausieren gehen.“

Shaw zögerte. „Okay“, gab er schließlich nach. „Ich gehe auf Ihre Bedingungen ein.“

„Es ist besser, so glauben Sie mir“, bestärkte ihn Milo.

Shaw brauchte erneut einige Augenblicke, um sprechen zu können. „Ich wartete auf Rizzo. Er hatte Verspätung. Da kamen diese Schweine und haben mich halbtot geschlagen.“

„Namen, Mister Shaw!“, forderte ich.

„Sie hatten schon Recht!“

„Womit?“

„Es waren die ‚Spiders’. Der Anführer heißt Monty Gordon. Der ist ziemlich ehrgeizig und geht rücksichtslos gegen jeden vor, der in seinem Bezirk, wie er das nennt, Stoff auf den Markt bringt.“

„Wo finden wir den?“

„Es gibt ein Billard-Lokal ein paar Straßen weiter. Das heißt ‚The Trap’. Dort soll er angeblich häufiger sein.“

„Und wie war das mit Rizzo?“, hakte Milo nach.

Shaw zögerte. Dann gab er sich einen Ruck und sprach doch weiter. „Als Rizzo auftauchte, haben die mich auf die Straße getrieben, mir den Mund mit Crack-Steinen voll gestopft und mich davongejagt wie einen Hund. Rizzo war umringt von Monty Gordons Leuten. Ich habe alles gesehen.“

„Dann sagen Sie es!“, fordere ich. „Je mehr Sie uns sagen, desto leichter können wir diesen Gordon und seine Bande aus dem Verkehr ziehen.“

„Es gab einen Schuss. Rizzo wurde getroffen. Und dann habe ich gehört, wie Monty Gordon sagte, dass Rizzo fünf Minuten Vorsprung bekäme.“

„Vorsprung?“, echote ich.

„Ich nehme an, sie wollten eine Jagd auf ihn veranstalten. Das ist nicht das erste Mal, dass die ‚Spiders’ so etwas mit jemanden machen, den sie einschüchtern wollen.“

„Und am Ende dieser Jagd war Rizzo tot“, murmelte Milo.

„Was wissen Sie über Wayne Smith?“, fragte ich.

„Ich habe schon mehr als genug geredet“, fand Shaw. „Und wenn Sie glauben, dass ich irgend etwas von dem, was ich Ihnen gesagt habe, vor Gericht wiederholen würde, dann liegen Sie falsch. Da können Sie sich auf den Kopf stellen, aber ich werde nicht ein Sterbenswörtchen von mir geben.“

11

Ein Wagen des Emergency Service holte Jason Shaw ab. Inzwischen hatte Lieutenant Alexander seine Arbeit am ersten Tatort beendet und traf nun bei uns ein. Ich bat ihn darum, Beamten zu Shaws Bewachung abzustellen.

Barry Alexander seufzte. „George Rizzo und Wayne Smith - zwei Morde innerhalb so kurzer Zeit und so nahe beieinander. Das hat man selbst in meinem Revier selten - und hier in der Bronx sind wir schon einiges gewohnt.“

„Wir müssen abwarten, ob beide Fälle wirklich zusammenhängen“, sagte Milo.

„Gehen wir den bisher ermittelten Tathergang doch mal durch“, schlug ich vor. „Jason Shaw wartet auf seinen Crack Dealer und wird von den ‚Spiders’ verprügelt. Der Dealer – Rizzo – taucht auf, bekommt von Monty Gordon persönlich einer Kugel durch die Schulter.“

„Wahrscheinlich hat er noch ein paar nette Worte zu hören bekommen - so nach der Devise: Lass dich hier mit deinem Stoff nie wieder blicken. Das Gebiet gehört uns!“, ergänzte Milo.

„Dann haben sie diese Jagd veranstaltet, von der Shaw sprach.“

„Damit er sich das Ganze gut merkt.“

„Aber wieso ihn dann noch erschießen?“, fragte ich.

„Das werden wir genauer wissen, wenn wir diese ‚Spiders’ verhaftet und ihre Waffen überprüft haben, Jesse. Wenn erst feststeht, wer geschossen hat, ist vielleicht auch bald die nötige Gesprächsbereitschaft vorhanden.“

„Wie passt Wayne Smith da hinein?“, fragte ich.

„Ganz einfach, der hat den Wagen gesehen, große Augen gekriegt und dachte, dass er sich so eine Gelegenheit nicht entgehen lassen darf“, schlug Milo zur Erklärung vor.

„Trotzdem bleibt die Frage: Wieso bekommt er dann gleich darauf eine Kugel in den Kopf, Milo?“

„Leider spricht der Killer nicht mit uns. Aber das kann sich ja noch ändern.“

Lieutenant Alexander mischte sich nun in das Gespräch ein. „Eines steht jedenfalls fest“, sagte er. „Der Mann, der Smith und unseren Kollegen erschossen hat, hätte das niemals getan, wenn er dazu nicht die Erlaubnis der ‚Spiders’ gehabt hätte.“

„Dann ist diese Gang der Schlüssel zu allem“, meinte Milo.

Lieutenant Alexander nickte.

„Das sehe ich genauso.“

Wir gingen zum Wagen und gingen mit dem eingebauten Rechner Online. Unter dem Namen Monty Gordon war über das Datenverbundsystem NYSIS eine ganze Palette von Einträgen abrufbar. Er hatte einiges an Vorstrafen auf dem Kerbholz. Körperverletzung und Drogendelikte. Außerdem kamen bei ihm einige Jahre auf Rikers Island zusammen. Aber in den letzten fünf Jahren war es stiller um ihn geworden. Er hatte sich offenbar nicht mehr so leicht erwischen lassen. Jetzt war er fünfunddreißig. Die letzte Adresse war vier Jahre alt und lag in der 142. Straße, wo damals seine Mutter gewohnt hatte.

Auch Wayne Smith und Jason Shaw überprüften wir. Shaw hatte noch eine Bewährung wegen Diebstahl laufen. Es handelte sich wohl um Beschaffungskriminalität zur Finanzierung seiner Crack-Sucht.

„Darum wollte der partout in nichts hineingezogen werden“, stellte Milo fest.

Außerdem überprüften wir noch den Killer, der Wayne Smith und unseren NYPD-Kollegen Sergeant O’Leary abgeschossen hatte. Aber die Suche gestaltete sich nicht so leicht. Es gab zweiundzwanzig straffällig gewordene Männer im Big Apple, die James Myer hießen und in der Vorstrafenkartei zu finden waren. Leider stimmte keines der Bilder, die wir über NYSIS anwählen konnten, mit dem Mann überrein, den wir verhaftet hatten.

„Ich hab’s dich gewusst“, stieß ich hervor. „Der Name im Führerschein stimmte nicht.“

„Oder unser Miste Myer war bisher ein Unschuldslamm und ist hier deswegen nicht registriert“, gab Milo zu bedenken.

„Glaubst du das wirklich?“

„Es wäre schon sehr unwahrscheinlich“, gab Milo zu. „Dann sollten Max und unsere Kollegen vom Innendienst die Sache übernehmen. Wir verzetteln uns doch hier nur!“

Sandra Dominguez kam an unseren Sportwagen. Die Mitarbeiterin der SRD klopfte gegen meine Scheibe, woraufhin ich sie hinunterließ.

„Ich habe noch zwei Dinge, die ich Ihnen gerne über Wayne Smith sagen würde, Agent Trevellian.“

„Bitte!“

„Erstens war er selbst wohl auch cracksüchtig. Die Autoknackerei finanzierte ihm vielleicht die Sucht. Wir haben Spezialwerkzeug in seinen Jackentaschen gefunden, die einem beim Kurzschließen helfen könnten. Und zweitens…“

„Machen Sie es nicht so spannend!“

Sie reichte mir eine Visitenkarte. Sie war in Cellophan eingepackt. „HELP“, murmelte ich. „Das kommt mir bekannt vor. Rizzo hatte auch so eine Karte bei sich.“

„Ja, aber drehen Sie diese mal um!“

Auf der anderen Seite war handschriftlich eine Handynummer notiert, dazu ein Name: James.

„Dieser James könnte einer der Mitarbeiter von HELP sein“, glaubte Milo.

„Fragen war dort einfach mal nach, ob jemand bei HELP unsere Fragen beantworten kann.“

12

Nachdem die Arbeiten am Tatort beendet waren, fuhren Milo und ich zu Monty Gordons letzter Adresse.

Eine Frau in den Sechzigern öffnete uns ihre Apartmentwohnung im fünften Stock eines Mietshauses. ‚Jennifer Gordon’ stand am Klingelschild.

„Sie lebt also noch immer hier!“, meinte Milo.

„Allerdings glaube ich kaum, dass sie uns viel über Ihren Sohn verraten wird!“

„Abwarten, Jesse.“

Sie öffnete die Tür nur einen Spalt. Milo hielt ihr den Ausweis entgegen. „Milo Tucker, FBI. Mrs Gordon, wir suchen Ihren Sohn Monty.“

„Er ist nicht hier!“, behauptete Mrs Gordon.

„Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn wir uns davon überzeugen“, ergriff ich das Wort. „Außerdem würden wir Ihnen bei der Gelegenheit gerne ein paar Fragen stellen.“

„Wer ist da?“, rief eine Männerstimme aus einem Nachbarraum.

„Das FBI!“, rief Mrs Gordon zurück und öffnete uns die Tür.

Wir traten ein und wurden in ein Wohnzimmer geführt, das mit Polstermöbeln völlig überladen war. Auf der Couch saß ein Mann im gleichen Alter wie Mrs Gordon. In der Rechten hielt er eine Flasche Budweiser. Im Fernsehen lief ein Football-Spiel.

„Das ist mein Lebensgefährte, Mister Eric Robertson.“

Wir stellten uns vor, aber Mr Robertson schien sich nicht sehr für uns zu interessieren. Seine Aufmerksamkeit galt in erster Linie den Touchdown.

„Kommen die wegen deinem Sohn?“, fragte er schließlich ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.

„Ja“, sagte Mrs Gordon.

„Jetzt hast du ihn schon jahrelang nicht mehr gesehen und es gibt trotzdem nichts als Ärger mit ihm.“

Mrs Gordon wandte sich an mich. „Wir gehen am Besten in die Küche“, sagte sie.

Wenig später bot sie uns in der Küche einen Platz an.

„Was hat er angestellt?“, fragte sie. „Monty meine ich.“

„Jemand hat gesehen, wie er auf einen Mann geschossen hat.“

Sie seufzte. „Er ist kein schlechter Junge, er hat nur schlechten Umgang.“

„Ihr Sohn ist 35 – und nun wirklich kein ‚Junge’ mehr“, gab ich zu bedenken.

„Mag sein. Für mich wird er das aber immer bleiben.“

„Was wissen Sie über seinen Umgang?“, mischte sich Milo ein. „Er soll eine Gang namens ‚Spiders’ anführen…“

„Wie Eric gerade schon sagte: Wir haben seit Jahren keinen Kontakt mehr. Ich weiß, dass bei Montys Geschäften nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann – so, wie der mit dem Geld um sich wirft! Aber ich bete trotzdem dafür, dass er…“ Sie sprach nicht weiter. Einen Augenblick später versuchte sie fortzufahren, brach aber erneut ab und fragte schließlich: „Ist der Mann, auf den er geschossen hat, tot?“

„Ja“, gab ich Auskunft. „Er hat ihn zuerst angeschossen, dann eine Jagd mit seinen Gangmitgliedern auf ihn veranstaltet und schließlich war er tot – wenige Meter bevor er das Gebiet der ‚Spiders’ verlassen konnte! Allerdings wissen wir nicht, ob er die tödlichen Schüsse abgefeuert hat, oder einer seiner Leute.“

„Oh, mein Gott, das klingt ja furchtbar!“

Tränen glitzerten in Mrs Gordons Augen.

„Ich habe dir immer gesagt, der taugt nichts!“, rief Eric Robertson aus dem Wohnzimmer. Offenbar hatte er mit einem Ohr unsere Unterhaltung verfolgt.

„Vor zwei Jahren war mein Sohn zum letzten mal hier“, berichtete Mrs Gordon in gedämpftem Tonfall. „Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass ich mich von seinem Vater getrennt und mit Eric ein neues Leben angefangen habe. Es kam zum Streit zwischen Eric und Monty. Monty hat meinen Lebensgefährten krankenhausreif geschlagen und ich konnte Eric nur mit Mühe davon abhalten, Anzeige zu erstatten, denn dann wäre Montys Bewährung widerrufen worden. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr.“

„Als Sie noch Kontakt hatten – mit wem war er da zusammen? Freunde, Bekannte, vielleicht hatte er ja auch eine Freundin?“

„Er hatte eine Freundin. Sie hieß Linda Curtiz. Soweit ich das beurteilen konnte, war sie in Ordnung. Monty war eine Weile unter ihrer Adresse erreichbar.“

„Wie lautet die?“

„Das weiß ich nicht mehr. Sie werden Monty dort auch kaum antreffen. Er hat mit ihr Schluss gemacht.“ Sie schluckte. „Eines müssen Sie mir versprechen!“

„Das kommt darauf an“ erwiderte ich.

„Wenn Sie meinen Sohn festnehmen, dann sorgen Sie dafür, dass ihm nichts geschieht. Ich weiß, dass er wahrscheinlich schreckliche Dinge getan hat, aber mir ist auch klar, dass er nicht mehr lange leben wird, wenn er so weitermacht. Entweder wird ihn eine Polizeikugel treffen oder irgendjemand aus einer anderen Gang rammt ihm ein Messer in den Rücken. Und das will ich beides nicht.“

„Wir werden tun, was wir können“, versprach ich.

13

Wir kehrten zum Sportwagen zurück und setzten uns in den Wagen. Milo fuhr den eingebauten Rechner hoch. Wir ließen den Namen Linda Curtiz online überprüfen. Es gab Dutzende von Einträgen unter diesem Namen. Wir grenzten das Alter ein und suchten nach einer jungen Frau, die mit Drogen in Kontakt gekommen war und in der South Bronx lebte.

Es gab nur einen Treffer.

Und da die Betreffende auch noch zusammen mit Monty Gordon bei einer Razzia wegen Drogenbesitzes vorläufig festgenommen und überprüft worden war, musste das die Frau sein, die wir suchten.

„Glaubst du wirklich, dass das etwas bringt, Jesse?“, zweifelte Milo.

„Abwarten.“

„Wahrscheinlich ist es effektiver, wenn wir uns dieses Billard Lokal namens ‚The Trap’ vornehmen, von dem Jason Shaw sprach.“

„Wenn ich Gordon wäre und gerade jemanden umgebracht hätte, würde ich mich dort für eine Weile nicht zeigen, wo mich jeder vermutet!“, hielt ich ihm entgegen. „Außerdem dürfte dort um diese Zeit auch noch nicht viel los sein. Davon abgesehen brauchen wir Verstärkung, um dort etwas ausrichten zu können.“

„Dann werde ich mal unser Field Office anrufen, um die anzufordern!“

„Okay. Aber vorher haben wir Zeit genug, Linda Curtiz aufzusuchen.“

Ihre letzte Bewährung lief noch. Daher war auch die Adresse noch aktuell. Ihr Vorstrafenregister zeigte neben Drogendelikten auch Verurteilungen, die im Zusammenhang mit Beschaffungskriminalität standen. Zweimal war sie als Prostituierte erwischt worden.

14

Linda Curtiz wohnte im dritten Stock eines heruntergekommenen Mietshauses.

Wir stellten den Sportwagen in der Nähe ab.

Die Haustür war offen. Sicherheitstechnik gab es hier natürlich nicht, aber immerhin funktionierte der Aufzug. Wenig später standen wir vor Linda Curtiz’ Apartment. Die Tür war nur angelehnt. Die Klingel funktionierte nicht.

„Miss Curtiz?“, fragte ich.

Keine Antwort.

Milo nahm seine Dienstwaffe in die Rechte. Ich öffnete die Tür vollends. Das Einzimmer-Apartment machte einen chaotischen Eindruck. Kleidungsstücke lagen überall herum. Auf dem Wohnzimmertisch standen Dutzende von Flaschen. Außerdem ein Spritzbesteck.

Ein Mann stand mitten im Raum.

Er trug einen dunklen Bart und hatte schwarzes, dichtes Haar. Vor ihm auf der Couch lag eine junge Frau. Man musste zweimal hinsehen, um Linda Curtiz von den über NYSIS zugängliche Fotos wieder zu erkennen. Sie trug nur Slip und T-Shirt. Ihre Arme waren zerstochen.

Die Augen wirkten starr.

Und tot.

„Jesse Trevellian, FBI“, sagte ich und trat näher. „Was tun Sie hier?“

Der Man hob die Hände. „Nicht schießen, ich bin unbewaffnet! James Allison, Mitarbeiter von HELP.“

Milo senkte seine Waffe. „Sie gehören dieser Organisation an, die Drogensüchtigen hilft?“

„Ja, ganz genau.“ Er holte einen Ausweis aus der Tasche, der ihn als Mitarbeiter dieser Organisation auswies. Außerdem hatte er einen Führerschein bei sich, der in Ordnung war und dessen Angaben mit den Angaben auf dem HELP-Ausweis übereinstimmten. Ich sah mir beide Dokumente eingehend an und gab sie Allison anschließend zurück. „In diesem Fall bin ich zu spät gekommen…“

„Sie kannten Miss Curtiz gut?“, fragte ich.

„Wie man es nimmt. Sie hat an einem unserer Entziehungsprogramme teilgenommen. Ich habe sie ab und zu besucht, um zu sehen, wie sie zurechtkommt. Crack, Heroin, Speed… Linda gehörte zu denjenigen, die alles Mögliche durcheinander nehmen. Da ist die Entgiftung besonders schwierig. Aber sie war seit einem halben Jahr clean und hatte sogar einen Job hier in der Nähe in einem Supermarkt. Aber offenbar war das nicht genug Halt für sie. Jedenfalls hat sie wieder angefangen, was zu nehmen und sich einen goldenen Schuss gesetzt.“ Er sah mich prüfend an. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und auf der Stirn bildete sich eine tiefe Furche. „Seit wann interessiert sich das FBI für eine einfache Drogentote?“

„Sie soll die Freundin von Monty Gordon gewesen sein.“

„Ja, aber das ist lange her“, sagte Allison.

„Der Name Monty Gordon scheint Ihnen auch etwas zu sagen“, stelle ich fest.

Allison lachte heiser. „Wem nicht? Schließlich soll er die mächtigste Gang der Gegend anführen.“

„Die ‚Spiders’.“

„Widerliche Typen. Handeln mit Drogen und brechen jedem die Knochen, der ihnen nicht passt.“

„So wie George Nelson Rizzo, genannt Neo George.“

„Was ist mit dem?“, fragte Allison ziemlich unwirsch. „Hat ihm jemand sein mieses Crack in den Rachen gesteckt?“

„Er hat ein paar Kugeln und einen Strick um den Hals verpasst bekommen. Wir glauben, dass Monty Gordon und seine ‚Spiders’ etwas damit zu tun haben und hofften eigentlich, durch Linda an Gordon heranzukommen.“

Allison zupfte sich unruhig am Bart und nickte schließlich. „Hier in der Bronx herrscht ewiger Krieg“, erklärte er nach einer kurzen Pause. „Und der Auslöser sind die Drogen. Jeder will das Geschäft für sich haben. Das gilt für Gordons Leute genauso wie für Rizzos Lieferanten, zu denen die Puertoricaner unter Paco Moreno gehören.“

Paco Moreno war der Anführer eines der größten Drogensyndikate an der Ostküste. „Woher wollen Sie so genau wissen, dass Rizzo durch Paco Morenos Organisation beliefert wurde?“, fragte ich.

„Man hört so einiges, wenn man die Ohren immer offen lässt!“, meinte Allison und kicherte daraufhin etwas seltsam. Dann wurde er plötzlich sehr viel ruhiger. „Brauchen Sie mich noch?“

Ich schüttelte den Kopf. „Nein, aber vielleicht haben wir später noch ein paar Fragen an Sie.“

„Kein Problem. Aber dann spenden Sie doch auch etwas für unser Therapiezentrum“, gab James Allison zurück und reichte mir eine seiner Karten. „Sie sind nicht zu beneiden, schließlich müssen die Drecksarbeit verrichten – nicht, dass Sie das falsch verstehen, aber so ist es nun einmal.“ Allison schluckte.

Milo telefonierte in der Zwischenzeit bereits mit Lieutenant Alexander vom zuständigen City Police Revier.

„Verstärkung ist unterwegs, außerdem ein SRD-Team“, berichtete er.

15

Am frühen Abend trafen wir uns mit einigen unserer Kollegen in der Nähe eines Billard-Lokals, das den Namen ‚The Trap’ trug. Unter den Kollegen, die an diesem Einsatz teilnahmen, waren auch Clive Caravaggio und unser indianischer Kollege Orry Medina sowie die Special Agents Fred LaRocca und Josy O'Leary.

„Wir haben die Wohnung von George Rizzo durchsucht“, wandte sich Clive an mich. Der flachsblonde Italoamerikaner war nach unserem Chef Jonathan D. McKee der zweite Mann in unserem New Yorker Field Office. „Der Computer wird noch untersucht und dasselbe gilt für die Telefonverbindungen.“

„Er hatte ein wahres Waffenlager zu Hause“, ergänzte Orry. „Er hat mit allem gedealt, was verboten ist. Heroin, Kokain oder synthetische Drogen. Wir fanden auch eine Apparatur, mit deren Hilfe er Kokain mit Backpulver aufgekocht und verlängert hat.“

„Crack“, murmelte ich.

„Damit ist der größte Profit zu erzielen, weil in die ‚Steine’ natürlich immer nur ein Bruchteil des eigentlichen Kokains hineingestreut wird!“

„Von wem wurde er beliefert?“, fragte ich.

„Die Kollegen der DEA zählen ihn zum Verteilernetz von Big Paco Moreno, dem aufstrebenden Stern des puertoricanischen Drogensyndikats.“

In diesem Punkt deckte sich die Ansicht unserer DEA-Kollegen offenbar mit Allisons Annahme.

„Und die ‚Spiders’? Ich wette, die bekommen ihren Stoff aus anderer Quelle“, nahm ich an.

Clive nickte. „Big Paco würde die ‚Spiders’ am liebsten aus der Bronx fegen und durch seine eigenen Dealer ersetzen. Das tun er auch – und zwar durch Niedrigpreise. Umgekehrt hat sich das Territorium der Gang innerhalb eines halben Jahres verdoppelt. Zwischen Gordon und Moreno herrscht eine Art Krieg. Wer die Spiders beliefert ist unbekannt, aber es mehren sich die Anzeichen, dass sie nicht in irgendeine feste Syndikatsstruktur eingegliedert sind, sondern sich ihren Stoff nach Marktlage besorgen.“

„Das ist ein riskantes Spiel!“

„Aber es erklärt zumindest teilweise ihre Brutalität.“

„Wurden die beiden anderen Opfer, die wir mit einem Strick aufgefunden haben, nicht auch mit Paco Moreno in Verbindung gebracht?“, fragte ich.

„Ja“, bestätigte Clive. „Und das erhärtet den Verdacht gegen Gordon und die Spiders.“

Damit hatte unser Kollege natürlich Recht. Hinter Paco Moreno stand ein mächtiges Syndikat, das es sich leisten konnte, die Konkurrenz durch Dumping-Preise aus dem Markt zu drängen. Für Gang Leader wie Monty Gordon blieb nur die blanke Gewalt, um sich dagegen zu wehren, wenn sie sich gegen Morenos Organisation behaupten wollten.

Fred LaRocca und Josy O'Learys beobachteten ‚The Trap von außen. Die mit etwas Verspätung eintreffenden Kollegen Jay Kronburg und Leslie Morell postierten sich in der Nachbarstraße so, dass sie den Hintereingang im Blick hatten, während Milo und ich zusammen mit Orry und Clive das Lokal betraten.

Ein breitschultriger Mann mit Ledermütze und Bodybuilderfigur wollte uns bereits am Eingang wieder hinausweisen, aber die ID-Card, die Clive Caravaggio ihm unter die Nase hielt, belehrte ihn eines Besseren. „Dies ist ein sauberer Laden“, behauptete er.

„Wie heißen Sie?

„Knowle Callaghan.“

„Wenn Sie hier bestimmen können, wer ein und aus geht, dann sagt Ihnen sicher der Name Monty Gordon etwas.“

Der Kerl grinste. „Im Gegensatz zu Ihnen frage ich nicht jeden nach seinem Namen, der hier auftaucht!“

Clive hielt ihm den Zeigefinger wie eine Waffe entgegen. „Jetzt hören Sie mir gut zu, Mister Callaghan! Wir können Sie auch mit zur Federal Plaza nehmen, Sie erkennungsdienstlich behandeln und Ihren Namen und Ihr Gesicht durch den Computer laufen lassen. Wenn dieser Abgleich nur irgendeinen Zusammenhang mit Monty Gordon ergibt, dann werden Sie eine Menge Probleme bekommen, denn Gordon sitzt bis zum Hals im Dreck.“

„Sie suchen Gordon?“, fragte er sichtlich beeindruckt. Seine Frage diente einzig und allein dem Zweck etwas Zeit zu gewinnen. „Die Mühe, hier zu suchen, können Sie sich getrost sparen. Monty ist nicht hier.“

„Reden wir drinnen weiter. Wir würden uns nämlich gerne selbst davon überzeugen“, verlangte ich.

Knowle Callaghan knurrte irgendetwas vor sich hin. Dass er plötzlich so handzahm war, musste damit zusammenhängen, dass er auf keinen Fall mit der Justiz in Konflikt kommen wollte. Vielleicht hatte er noch eine Bewährung laufen oder war zu einem Gerichtstermin nicht erschienen.

Im Inneren von ‚The Trap’ herrschte gedämpftes Licht. Heavy Metal Musik lief im Hintergrund. Höchstens ein Dutzend Billardspieler waren an den Tischen und ließen die Kugeln über den grünen Filz schnellen.

Callaghan führte uns zum Schanktisch.

Ein hagerer Mann mit hoher Stirn stand dahinter. Er hatte die Arme verschränkt, die mit Tätowierungen übersät waren.

„Das sind FBI-Agenten, die suchen Monty“, berichtete Callaghan.

Ich hielt dem Hageren meinen Ausweis hin.

„Wollen Sie mir hier das Geschäft ruinieren oder was soll das?“, rief der Mann empört.

„Ganz ruhig!“, versuchte ihn Clive zu beschwichtigen. „Und was Ihr Geschäft angeht, so kommt es ganz darauf an, welches Geschäft Sie meinen. Gegen Billard und Bier hat bei uns niemand etwas.“

Ich ließ unterdessen den Blick durch den Schankraum schweifen. Mir fiel ein junger Mann auf. Er wirkte ziemlich schmächtig und trug eine Baseballmütze mit der Aufschrift ‚Brand New’. Er drückte sich in Richtung einer Tür, die wohl zum Hinterausgang führte. Seine Jacke glitt zur Seite und gab für einen kurzen Moment den Blick auf den Griff einer Automatik frei.