Commissaire Marquanteur und die Juwelen von Marseille: Frankreich
Krimi
von Alfred Bekker
Eine Serie von raffinierten Juwelendiebstählen hält die
Polizei von Marseille in Atem. Als ein Juwelier beim Überfall
erschossen wird, machen sich Commissisaire Marquanteur und seine
Kollegen von der Sonderabteilung FoPoCri ans Werk und müssen
feststellen, dass alle möglichen Zeugen getötet werden. Der
Verdacht richtet sich auf den Paten von Pointe-Rouge, Monsieur
Xian, aber es gibt keine Beweise.
Marquanteur muss sich etwas einfallen lassen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen,
Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb
er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry
Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica
Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick,
Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Copyright
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Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
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Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
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lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
Ich schlenderte am Hafen entlang und genoss die Sonne und die
schöne Aussicht. Das Mittelmeer glitzerte auf eine eigentümliche
Weise, die mich immer an Juwelen erinnerte.
Ja, richtig gehört.
An das Funkeln von Juwelen, wenn man sie auf die richtige Art
und Weise ins Sonnenlicht hielt.
Mein Blick wanderte über die vielen Yachten, die im Hafen von
Marseille vor Anker liegen. Eine schöner als die andere. Es war
immer mein Traum, auch so ein Ding zu besitzen. Aber ich glaube, es
hätte gar keinen Sinn, wenn ich mir tatsächlich so etwas anschaffen
würde.
Und da geht es gar nicht in erster Linie ums Geld.
Nein, es geht um eine viel knappere Währung als Geld.
Es geht um Zeit.
Ich hätte gar nicht die Zeit, oft genug auf seiner Yacht zu
sein, als dass sich die Anschaffung lohnen würde.
Das hängt natürlich mit meinem Job zusammen.
Ich bin Commissaire Pierre Marquanteur und arbeite in einer
Sonderabteilung der Kriminalpolizei, die sich FoPoCri nennt. Wir
bekämpfen vor allem das Organisierte Verbrechen, aber man ruft uns
auch zu Hilfe, wenn es um Terrorismusbekämpfung oder die Fahndung
nach Serientätern geht. Die großen Fälle benötigen manchmal eben
Spezialisten. Und wir sind Spezialisten. Wir kennen uns aus.
Leider ist das manchmal ein Full Time-Job.
Die kriminellen Netzwerke nehmen selten auf die Bürozeiten von
Behörden oder die Arbeitszeitverordnungen, die Gewerkschaften
durchsetzen. Diese kriminellen Netzwerke haben nämlich ihre ganz
eigenen Regeln. Und es bleibt uns leider nichts anderes übrig, als
dass wir uns der anderen Seite in mancher Hinsicht anpassen.
“Monsieur Marquanteur?”
Der Mann, der mich ansprach, hatte einen dunklen Teint.
Er trug einen braunen Kamelhaarmantel. Der war viel zu warm.
Hier in Marseille hben wir das ganze Jahr ein mildes Klima. Da
braucht kein Mensch so einen Mantel.
Er sah mich an.
“Was wollen Sie von mir?”, fragte ich.
Der Mann griff unter seine Jacke.
Ich griff zur Hüfte.
Dorthin, wo meine Dienstwaffe unter der Jacke steckte.
Seine Bewegung erstarrte sofort.
Sein Mund formte zuerst einen dünnen Strich.
Dann ein Lächeln.
Ein Lächeln, so kalt wie der Tod.
“Sie sind ein misstrauischer Mann, Monsieur
Marquanteur.”
“”Mag sein.”
“Gestatten Sie, dass ich in aller Ruhe das aus meiner
Manteltasche nehme, was ich hervorholen wollte? Es ist keine
Waffe.”
“Okay… Aber vorsichtig.”
“Ich bin unbewaffnet.”
“Gut.”
Er holte einen Umschlag hervor. Und den reichte er mir
dann.
“Das das ist für Sie, Monsieur Marquanteur.”
“Was ist das?”
“Schauen Sie einfach rein. Oder denken Sie, dass es eine
Briefbombe sein könnte. Möchten Sie, dass ich es öffne?”
“Nein.”
“Bitteschön, Monsieur.”
Ich nahm den Umschlag und ließ die Waffe stecken.
Dann schaute ich hinein.
Es war ein Bündel mit Geldscheinen darin.
“Was soll das?”, fragte ich.
“Das ist für Sie.
“Wer sind Sie?”
“Das werde ich Ihnen nicht sagen. Ich könnte mich dann
vielleicht strafbar machen, da der Eindruck entstehen könnte, dass
ich einen Vorteil gewährt bekommen möchte.”
“Und? Das wollen Sie nicht?”
Er schwieg einen Moment.
“Wenn Sie nicht wissen, von wem das Geld kommt, können Sie
auch nicht annehmen, dass jemand dadurch einen Vorteil gewährt
bekommen möchte.”
“Ihren Ausweis bitte. Ich bin Polizist, wie Sie vermutlich
wissen.”
Der Mann holte seinen Ausweis hervor. Es war ein schwedischer
Pass. Er lautete auf den Namen Ahmad Ben-Zenoussi.
“Monsieur?”
Ich gab ihm den Pass zurück. Er kam aus Schweden. Das erklärte
zumindest den dicken Mantel.
“Nehmen Sie Ihr Geld zurück.”
“Es gehört Ihnen.”
“Niemand gibt jemand anderem einfach so Geld.”
“Sie leben in einer harten Welt mit harten Menschen, Monsieur.
Wer sagt Ihnen, dass die Regeln, die dort gelten, überall gültig
sind.”
“Nehmen Sie es zurück.”
“Au revoir, Monsieur.”
Und dann ging er einfach davon.
*
Am nächsten Tag saß ich bei meinem Vorgesetzten im Büro.
Monsieur Marteau runzelte die Stirn, als er sich meine Ausführungen
anhörte. Der Umschlag mit dem Geld lag auf dem Tisch.
“Er hat nichts Strafbares getan”, sagte Monsieur
Marteau.
Ich sagte: "Und deswegen hatte ich auch keine Handhabe, ihn
festzuhalten. Geld verschenken ist ja kein Verbrechen.”
“Dieser Mann stammt aus Marseille, auch wenn er heute in
Schweden lebt. Das hat im übrigen auch seinen guten Grund. Er
meidet den Kontakt zu uns, Pierre…"
“Ach, so ist das…”
“Man nennt diesen Mann ‘den Algerier’. Von Malmö aus arbeitet
er für ein großes kriminelles Netzwerk, das halb Europa umspannt.
Dises Netzwerk hat auch seine Interessen hier in Marseille.”
“Und warum schenkt er mir Geld?”
“Er verschenkt es nicht.”
“Dachte ich mir.”
“Er wird irgendwann eine Gegenleistung verlangen.”
“So etwas ahnte ich bereits.”
“Und wenn Sie die verweigern, sind Sie ein toter Mann.”
“Hm.”
“Das muss nicht gleich morgen oder übermorgen sein. Aber
Tatsache ist, dass er Sie aus dem Verkehr ziehen will.”
“Mit Geld.”
“Kennen Sie ein effektives Mittel?”
Ich schüttelte den Kopf. “Nein, Sie haben natürlich Recht,
Monsieur Marteau.”
“Wie soll ich mich jetzt verhalten?”, fragte ich.
Monsieur Marteau zuckte mit den Schultern.
“Sie werden einfach abwarten müssen. Vielleicht wird sich der
Algerier erst wieder in einigen Jahren bei Ihnen melden.”
“Und wenn ich dann nicht tue, was er sagt, wird er mich
erschießen.”
“Erschießen lassen.”
“Ah, so einer ist das.”
“Vielleicht gibt er Ihnen aber auch einfach noch mehr Geld.
Und noch mehr. Und noch mehr. Bis Sie aufgeben und auf seine Seite
wechseln. Es gibt andere vor Ihnen, mit denen das genauso geschehen
ist, Pierre."
“Ich verstehe”, murmelte ich.
Monsieur Marteau hob die Augenbrauen.
Sein Blick war ruhig und ernst.
“Das gehört zu unserem Berufsrisiko", sagte er.
“Ich wusste, dass es zum Berufsrisiko gehört, eine Kugel
zwischen die Ohren zu bekommen. Aber über das Risiko von
Geldgeschenken hat mich niemand informiert.”
Monsieur Marteau lächelte verhalten.
“Man lernt immer noch dazu”, sagte er.
*
Michel Beaumer schreckte auf, als er das Geräusch hörte. Sein
Blick glitt hoch. Er sah zur Uhr. Halb vier morgens.
Die Nacht war fast vorbei, und es war nicht die erste, die
Beaumer in dem kleinen, schmucklos eingerichteten Büro
durchgearbeitet hatte.
Er griff zu der Schublade seines Schreibtisches. Langsam zog
er sie heraus. Dann fühlte er den kalten Griff eines 38er
Revolvers. Er lauschte angestrengt.
Glas klirrte.
Schritte.
Dann öffnete jemand die Tür des Büros.
Beaumer hob die Waffe, spannte den Hahn.
Angstschweiß rann ihm in dicken Perlen die hohe Stirn
hinunter. Sein Gesicht war zu einer grimmigen Maske verzerrt.
Seine Knöchel wurden weiß, als er den Druck auf den Abzug der
Waffe verstärkte.
Draußen im Flur herrschte Dunkelheit. Das kurze Aufblitzen
eines Mündungsfeuers sah Beaumer noch. Es folgte ein Geräusch, das
wie ein schwaches Niesen oder der Schlag mit einer Zeitung klang.
Plopp machte es zweimal kurz hintereinander. Die erste Kugel traf
Beaumer mitten in die Stirn und riss ihn nach hinten, die zweite in
den Hals und zerfetzte ihm die Schlagader. Das Blut floss in
Strömen. Seine Hand krallte sich um die Waffe. Ein Schuss löste
sich aus dem 38er Revolver und ging ungezielt in die Decke.
Die Wucht der beiden Projektile, die ihn getroffen hatten,
schleuderte Beaumer rückwärts. Er schlug mit starren Augen der
Länge nach hin und und schrammte mit einem knarrenden Geräusch den
Stuhl über den Parkettboden. Beaumers Kopf schlug hinten gegen den
Aktenschrank, und der Hals wirkte seltsam verrenkt, als er
schließlich reglos auf dem Boden lag. Die weißen Etiketten auf den
schwarzen Aktendeckeln wurden dunkelrot.
Einen Augenblick lang herrschte Stille.
Die Stille des Todes.
Eine maskierte, schwarz gekleidete Gestalt schälte sich aus
dem Dunkel des Flures heraus und betrat den Raum. Dort draußen war
sie fast nicht zu sehen gewesen.
Der Maskierte ließ den Blick durch den Raum schweifen. In der
Rechten hielt er eine Pistole mit langgezogenem Schalldämpfer. Die
Hände waren von Handschuhen bedeckt.
Der Blick des Maskierten blieb auf der rechten Seite des Büros
hängen.
»Hier sind die Safes«, knurrte er. Seine Stimme klang unter
der Sturmhaube dumpf. Seine Worte waren kaum verständlich.
Er wandte sich herum. Ein zweiter und ein dritter Maskierter
betraten den Raum.
Einer von ihnen trug eine Uzi-Maschinenpistole, der dritte
eine Sporttasche.
»War das wirklich nötig?«, fragte der Mann mit der Uzi, an den
Kerl mit der Pistole gewandt, nachdem er einen Blick auf Beaumers
Leiche geworfen hatte. Der Frager umrundete dabei den Schreibtisch.
Das Blut war so hoch gespritzt, dass die Unterlagen, über denen
Beaumer gebrütet hatte, jetzt rot gesprenkelt waren.
»Was sollte ich machen?«, verteidigte sich der Kerl mit der
Schalldämpfer-Waffe. »Er hat geschossen!«
»Ich spreche nicht von der Sauerei hier.«
»Ach, nein?«
»… sondern davon, dass du früher hättest abdrücken müssen, du
Idiot! Bevor er noch den Finger krümmen und diesen Krach
veranstalten konnte.«
»Haltet die Klappe!«, brummte indessen der dritte
Gangster.
Er hatte sich an einem der Safes zu schaffen gemacht. Er holte
aus den Taschen seiner Lederjacke feines Spezialwerkzeug hervor. Er
hatte geschickte Hände, die sich mit atemberaubender
Geschwindigkeit und Präzision zu bewegen wussten.
»Wegen dem verdammten Schuss wird sicher jemand die Polizei
rufen. Lass uns auf die Safes verzichten«, meinte der Uzi-Träger.
Seine Stimme klang nervös.
»Sei still!«, erwiderte der Safe-Spezialist. Er arbeitete in
aller Seelenruhe weiter. Wie ein Uhrwerk. »Ihr wisst genau, dass
Beaumer seine besten Stücke nachts im Safe aufbewahrt und nicht im
Geschäft!«
»Aber.«
»Wegen den paar Glitzersteinen aus den Auslagen bin ich nicht
hierhergekommen.«
Der Safe sprang auf. Und dann wurde alles zusammengerafft, was
der Stahlschrank enthielt. Es war keine Zeit, um wählerisch zu
sein. Juwelen, Goldschmuck und Diamantringe landeten Dutzendweise
in der Sporttasche.
»Jetzt den zweiten Schrank.«
»Bist du verrückt? Lass es gut sein!«
»Hör mal zu, wenn du die Hosen jetzt schon voll hast, dann
kannst du ja gehen!«
Die Arbeit am zweiten Safe ging mit derselben Präzision vor
sich, wie es beim ersten der Fall gewesen war. Der Gangster ließ
sich nicht in seiner Ruhe stören. Nicht die Spur von Nervosität war
ihm anzumerken. Er schien eiskalt zu sein.
Und dann war aus der Ferne ein Geräusch zu hören.
Ein durchdringender Laut, der sich mehr und mehr aus dem
Straßenlärm der Riesenstadt Marseille heraushob.
Eine Polizeisirene!
»Verflucht!«, brummte der Mann mit der Uzi. »Worauf wartet ihr
noch? Die Bullen.«
»Einen Augenblick«, sagte der Mann am Safe. Er arbeitete in
aller Seelenruhe weiter.
»Wir haben genug bekommen!«
Der Safe sprang auf.
»Los, jetzt! Die Tasche!«
Der Mann, der den Safe geöffnet hatte, raffte alles zusammen,
was im Safe zu finden war.
Dann sprang er auf.
Sie verließen das Büro, gingen durch den dunklen Flur. Am Ende
war eine Tür, die in den Verkaufsraum des Juweliergeschäftes
führte. Die Auslagen waren zum Teil leer.
Die beste Stücke hatten sich im Safe befunden. Mit dem
Kleinkram, der hier im Verkaufsraum zu finden war, gaben sich die
Gangster nicht ab.
Sie gingen zur Tür.
Vor den Schaufenstern befand sich ein Stahlgitter. Das Gleiche
galt normalerweise für die Tür, doch dort war das Gitter
hochgezogen. Für Profis wie sie war es keine Schwierigkeit gewesen,
die Schlösser zu knacken. Und Alarmanlagen ließen sich außer
Gefecht setzen.
Im Licht der Straßenbeleuchtung war eine um diese Zeit
ziemlich einsame Seitenstraße zu sehen, auf der sich tagsüber aber
die Passanten drängten. In dichter Folge gab es hier exklusive
Geschäfte. Juweliere, Uhrmacher, Boutiquen, Herrenausstatter.
Eine feine Gegend.
Der Mann mit der Uzi öffnete die Tür und zögerte.
In diesem Moment schwoll die Polizeisirene geradezu
ohrenbetäubend an. Ein Dienstwagen fuhr mit Blaulicht die Straße
entlang. In der Ferne hörte man weitere Sirenen. Offenbar rückte
die Polizei mit einem großen Aufgebot an.
Zwei Beamte in den dunkelblauen Uniformen der Marseiller
Polizei sprangen aus dem Wagen. Der eine hielt seine Dienstpistole
beidhändig im Anschlag, der andere ging mit einem Pump Action
Gewehr in Deckung.
»Gehen wir hinten raus«, meinte einer der Gangster.
»Zu spät!«
»Was schlägst du vor?«
»Augen zu und durch!«
Auf ein Klingelzeichen hin griff der Mann mit der Uzi in seine
Jackentasche und holte ein Handy hervor. Er setzte das Gerät ans
Ohr.
»Was gibt's?«, fragte einer der anderen, nachdem das Gespräch
beendet war.
»Es geht los! Ferdinand holt uns raus!«
2
Ein dunkler Lieferwagen brauste die Straße entlang. Die
Beamten blickten sich kurz an, während ihre Kollegen bereits um die
Ecke bogen. Im selben Moment brachen die Männer, die an der Tür des
Juweliergeschäfts gewartet hatten, aus.
Es blitzte hell auf, als mit der Uzi in Richtung der
Polizisten gefeuert wurde.
Ein wahrer Geschosshagel, dem die beiden Beamten nichts
entgegenzusetzen hatten. Sie duckten sich und feuerten zurück. Ein
Schrei gellte durch die Nacht. Einen der Polizisten hatte es an der
Schulter erwischt. Er wurde herumgerissen und kam einen Moment lang
hinter seiner Deckung zum Vorschein. Lange genug, um noch ein
zweites Projektil abzubekommen, das ihm mitten in die Brust
fuhr.
Der Lieferwagen hielt mit quietschenden Reifen. Eine Tür ging
auf, die Maskierten sprangen hinein.
Der Mann mit der Uzi sprang als Letzter. Er schoss sein
Magazin leer und sorgte dafür, dass sich die gerade eintreffenden
Einsatzkräfte der Polizei erst einmal hinter ihren Wagen ducken
mussten. Die Reifen der heranbrausenden Polizeifahrzeuge platzten
gleich im halben Dutzend. Mit Mühe nur konnten die Fahrer die Wagen
unter Kontrolle bringen und anhalten. Blechschaden blieb nicht aus.
Stoßstangen wurde eingedrückt, Scheinwerfer splitterten.
Dann ging ein Ruck durch den Mann mit der Uzi. Er stöhnte auf.
Die Waffe entfiel seinen Händen und landete auf dem Asphalt,
während der Lieferwagen losfuhr. Der Verletzte stöhnte auf. Er
wurde in den Wagen gezogen. Und bevor sich die Tür schloss, wurde
etwas herausgeschleudert, das etwa die Größe eines Straußeneis
hatte.
Eine Handgranate!
Die Schüsse der Polizisten kratzten nur an der Außenhaut des
Lieferwagens, der offenbar gepanzert war.
Eine Sekunde später erhellte eine gewaltige Explosion die
Nacht. Todesschreie gellten. Es wurde hell und heiß, während
Dutzende von Fensterscheiben in den umliegenden Gebäuden zu Bruch
gingen.
Der Lieferwagen fuhr mit aufbrausendem Motor davon.
3
»Commissaire Pierre Marquanteur, FoPoCri«, murmelte ich,
während ich dem uniformierten Polizisten meinen Dienstausweis vor
die Nase hielt. Ich deutete neben mich. »Dies ist mein Kollege
François Leroc.«
François hob ebenfalls seinen Ausweis etwas an.
Wir hatten uns durch die Schaulustigen hindurchgedrängelt, die
im Morgengrauen um den Eingang von Beaumers Juweliergeschäft
herumstanden und den Polizeikräften bei der Arbeit zusahen. Die
wildesten Spekulationen schnappte ich unter den Passanten auf. Kein
Wunder. Schließlich stand ein ausgebrannter Polizeiwagen am
Straßenrand. Kreidemarkierungen zeigten an, dass es einen Beamten
tödlich erwischt hatte.
Die meisten waren wohl Angestellte der zahlreichen Geschäfte
hier in der Gegend.
Als wir das Geschäft betraten, packten die Kollegen vom
Erkennungsdienst gerade ihre Sachen ein. Sie hatten bereits ein
paar Stunden intensiver Arbeit hinter sich. Und man konnte nur
hoffen, dass etwas dabei herauskam.
Commissaire Lettice von der zuständigen Mordkommission kam
durch eine Nebentür herein und begrüßte uns knapp.
»Hallo, Pierre, wie geht's?«
»Ich kann nicht klagen«, erwiderte ich. »Und selber?«
Lettice machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Es ging mir gut, bis ich den Toten gesehen hatte … Er lag
dort hinten in seinem Büro. Inzwischen hat ihn die Gerichtsmedizin
abgeholt.« Lettice schüttelte den Kopf. »Mein Gott, ich habe nun
wirklich genug Dienstjahre auf dem Buckel, aber daran kann ich mich
immer noch nicht gewöhnen.«
»Das geht mir genauso«, erwiderte ich.
Und François fragte: »Wer ist der Tote?«
»Michel Beaumer.«
»Der Inhaber?«, vergewisserte sich François.
Lettice nickte.
»Ja. Die Täter sind äußerst brutal und kompromisslos
vorgegangen.«
»Ich habe draußen den Dienstwagen gesehen.«
»Pierre, die haben sich mit unseren Leuten eine regelrechte
Schlacht geliefert. Der Lieferwagen, mit dem sie geflohen sind, war
vermutlich gepanzert.«
Ich nickte düster.
Dieser Einbruch gehörte aller Wahrscheinlichkeit zu einer
ganzen Serie solcher Taten. Die Täter mussten ausgebuffte Profis
sein, die sich auf Juweliergeschäfte in Marseille und Okzitanien
spezialisiert hatten. Es gab Fälle in Toulouse, Cannes, und
Vitrolles. Aber auch in Paris hatten sie zugeschlagen.
Wir vermuteten, dass eine schlagkräftige kriminelle
Organisation dahinterstand. Anders war es nicht vorstellbar, dass
diese Mengen an gestohlenem Schmuck auch zu Geld gemacht werden
konnten. Hehler waren dafür genauso vonnöten wie Finanzjongleure
und Geldwäscher, die dafür sorgten, dass die Gewinne, die damit
erzielt wurden, unauffällig in legale Anlagen flossen. Diese
Umstände und die Tatsache, dass die Bande in verschiedenen Städten
aktiv war, brachte uns, die FoPoCri ins Spiel.
»Die Alarmanlage haben die Kerle kurzgeschlossen. Die kannten
sich damit aus«, erläuterte Lettice. Er deutete auf die Auslagen.
»Hier dürfte kaum etwas mitgenommen worden sein. Die wussten genau,
was gut und teuer ist – und diese Stücke bewahrte Michel Beaumer
immer in seinem Safe auf. Allerdings haben sie wohl nicht damit
gerechnet, dass Beaumer hier die Nacht über arbeitete.«
Wir folgten Lettice durch den dunklen Flur. Dann erreichten
wir das Büro. Ein schmuckloser Raum. Kein Fenster. Auf dem
Schreibtisch lagen blutbespritzte Bilanzen, Quittungen, Belege. Es
schien so, als wäre Michel Beaumer gerade dabei gewesen, seine
Steuerunterlagen für das Finanzamt zu sortieren, als die Bande
zuschlug.
»Was ist mit dem Wagen, mit dem die Gangster geflohen sind?«,
fragte ich.
Lettice zuckte die Schultern.
»Zwei Straßen weiter haben die Gangster eine Straßensperre
durchbrochen und sich mit unseren Leuten eine Verfolgungsjagd
geliefert. Leider sind sie entkommen. Der Wagen hatte kein
Nummernschild. Wir wissen noch nicht einmal sicher das
Fabrikat.«
»Ist er umgebaut worden?«
»Vermutlich.«
»Vielleicht lässt sich dadurch etwas herausfinden. Schließlich
muss das ja irgendwer gemacht haben.«
»Wenn wirklich eine große Organisation dahintersteckt, dann
haben die ihre eigenen Leute dafür, Pierre«, raunte François mir
zu. »Was das betrifft, würde ich mir also nicht allzu viele
Hoffnungen machen.«
Ich befürchtete, dass er recht hatte.
Lettice sah mich an und hob dabei die Augenbrauen.
»Ihr stochert ganz schön im Nebel, was?«
»Kann man wohl sagen«, brummte ich.
Ein Klingelgeräusch ertönte. Lettice griff zum Handy, das er
in der Innentasche seines Jacketts trug.
»Hier Commissaire Lettice. Was gibt es?«
Ich registrierte den Ausdruck der Überraschung, der auf dem
Gesicht des Commissaire erschien, während er seinem
Gesprächspartner zuhörte. Dann klappte er das Gerät ein und sagte:
»Es ist ein Wagen gefunden worden, der der Fluchtwagen sein könnte.
Ein dunkler Transporter, an dem sich Kratzer befinden, die
vielleicht von der Schießerei stammen könnten.«
»Wo?«, fragte ich nur.
»Avenue Valloire, auf dem Parkplatz hinter dem großen
Einkaufscenter.«
»Ich weiß, wo das ist«, sagte François.
4
Zwanzig Minuten später hatten wir den Parkplatz erreicht. Ein
Dutzend Polizisten riegelten das Gefährt ab. Und ein Team des
Erkennungsdienstes machte sich bereits daran zu schaffen. Dieser
Zentrale Erkennungsdienst wird überwiegend von allen Marseiller
Polizeieinheiten angefordert, gleichgültig, ob sie zur Polizei, zur
Drogenfahndung oder zur FoPoCri gehören. Vor allem unser
Kriminalkommissariat zieht die Spezialisten des Erkennungsdienstes
zu Rate. Ein Beamter der Spurensicherung namens Gerard gab uns
bereitwillig Auskunft.
»Zu hundert Prozent sind wir noch nicht sicher, dass das der
Wagen ist, den Sie suchen«, meinte er. »Einige Projektile sind im
Panzerglas der Rückfront steckengeblieben. Wenn die Ballistiker
herausfinden, ob diese Projektile aus den Waffen der Polizisten
stammen, die heute Nacht vor Beaumers Juwelierladen im Einsatz
waren, hätten wir den Beweis.«
»Ich hoffe, dass das einigermaßen schnell geht«, meinte
François. »Es brennt uns nämlich sehr unter den Nägeln.
»Wir tun unser Bestes«, erwiderte Gerard. »Aber das Kaliber
kommt jedenfalls hin. Die Kugeln stammen aus polizeiüblichen
Waffen.«
»Na, das wäre schon mal was«, meinte ich, während ich die
Kratzspuren im Blech betrachtete, die gut und gerne von der
Schießerei in der letzten Nacht stammen mochten.
»Im Innenraum haben wir Blutspuren gefunden«, erklärte Gerard
dann. »Und zwar ziemlich viel Blut. Wir können natürlich noch nicht
sagen, ob es von einem oder von mehreren Menschen stammt. Aber
diese Spuren sind noch nicht sehr alt.«
»Sie könnten von letzter Nacht sein?«, fragte ich.
Gerard nickte. »Ja.«
»Dann hat es einen der Gangster bei der Schießerei erwischt«,
stellte François fest. »Sämtliche Krankenhäuser und Ärzte müssen
gewarnt werden.«
Ich sah François zweifelnd an.
»Der wird uns nicht den Gefallen tun, ein öffentliches
Krankenhaus aufzusuchen.«
Wir sahen uns das Innere des Lieferwagens an. Es war viel Blut
dort. Also musste es um den Gangster nicht zum Besten stehen.
Gerard schätzte das auch so ein.
»Der hält keinen halben Tag ohne Arzt durch!«
Ich fragte: »Haben Sie irgendwelche Spuren gefunden, die
darauf hindeuten, wie die Kerle von hier verschwanden, nachdem sie
den Wagen zurückließen?«
»Einen blutigen Fußabdruck, zwanzig Meter vom Wagen entfernt.
Das ist alles. Entweder wurden sie abgeholt oder sie haben sich ein
Taxi gerufen oder sind einfach in die U-Bahnstation da hinten
abgestiegen.«
»An die beiden letzten Möglichkeiten glaube ich nicht«,
erklärte ich.
»Wieso?«, fragte François.
»Zu auffällig.«
»Aber sie waren auf der Flucht, sie hatten kaum die
Möglichkeit, jemanden telefonisch hierher zu bestellen.«
»Warum nicht?«
»Die Polizei war ihnen auf den Fersen. Hältst du es für
wahrscheinlicher, dass sie mit dem Verletzten noch die U-Bahn
benutzt haben?«
»Ich weiß nicht.«
»Ein Taxifahrer hätte sich jedenfalls an sie erinnert.«
»Sicherheitshalber sollten wir uns um die Aufzeichnungen der
Video-Überwachungsanlage in der U-Bahn kümmern. Möglich, dass auf
den Bändern jemand zu sehen ist, den wir auch in unserer Kartei
haben.«
Oder ein paar Männer, die einen weiteren stützen mussten,
damit er nicht zusammenbrach.
5
Michel Beaumers Wohnung lag in der Rue Chaumier. Eine
traumhafte Etage, von der aus man fast bis zum Seepark blicken
konnte und die beeindruckende Skyline von Marseille Mitte vor sich
hatte.
Madame Janine Beaumer war von den Kollegen der
uniformiertenPolizei natürlich längst über die Geschehnisse der
vergangenen Nacht informiert worden. Ich war froh, dass sie
Bescheid wusste und nicht wir die unangenehme Aufgabe zu erledigen
hatten.
Janine schätze ich auf unter dreißig. Sie war damit um einiges
jünger als ihr ermordeter Mann. Als sie uns die Tür öffnete,
schaute sie uns mit tränenverschmiertem Make-up an.
Es ist immer schwer, in so einer Situation die richtigen Worte
zu finden.
Sie bat uns herein, nachdem sie sich unsere Ausweise flüchtig
angesehen hatte. Sie wirkte wie jemand, der noch völlig unter dem
Schock stand, den die Nachricht vom Tod ihres Mannes in ihr
ausgelöst haben musste.
»Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen, Madame
Beaumer.«
»Tun Sie das! Ich würde Ihnen gerne helfen, wenn ich
kann.«
»Das ist gut«, sagte ich.
»Wollen Sie einen Kaffee?«
»Nein, danke.« François schüttelte ebenfalls den Kopf. Ich
fuhr fort: »Der Einbruch fand so gegen halb vier in der Nacht
statt.«
»Ja, so sagte man mir.«
»Ihr Mann war noch bei der Arbeit.«
Sie atmete tief durch.
»Das Finanzamt ist unerbittlich, Monsieur.«
»Marquanteur«, erinnerte ich sie, obwohl ich mich natürlich
vorgestellt hatte. Aber im Moment hatte sie den Kopf offenbar mit
anderen Dingen voll. Dingen, die ihr wesentlicher erscheinen
mussten, als der Name eines Commissaire der FoPoCri.
»Es kam öfter vor, dass Michel die Nacht im Büro verbracht
hat. Er sagte immer, dass er dann die nötige Ruhe hätte, um sich
auf die Bücher zu konzentrieren … Ich habe dann tagsüber den Laden
geführt.«
»Sie kennen sich also in der Branche aus«, stellte ich
fest.
»Ja.«
»Ich nehme an, es existiert eine Inventarliste, anhand der
festgestellt werden kann, was fehlt.«
»Natürlich.«
»Gibt es Fotos von allen Stücken?«
»Ja. Ich weiß, dass im Safe einige sehr auffällige Unikate
waren. Natürlich kann man die Steine herausbrechen und neu
verwenden, aber selbst dann müssten sie auffallen, wenn etwas davon
irgendwo verkauft wird.«
Ich fragte: »Madame Beaumer, ist Ihnen in letzter Zeit
irgendetwas Verdächtiges aufgefallen? Etwas, das Ihnen ungewöhnlich
erschien.«
Sie schluckte und ließ sich in einen der tiefen Sessel
sinken.
»Was meinen Sie damit?«
»Es scheint, als ob die Täter sehr gut informiert waren. Über
das Geschäft, über die Sicherheitsmaßnahmen, die Alarmanlage …
Möglicherweise ist das Geschäft beobachtet worden.«
»Mir ist nichts aufgefallen.«
»Vielleicht ein Kunde, der sich seltsam verhielt.«
»Nein.«
»Wer wusste – außer Ihnen – dass die wertvollsten Stücke im
Büro lagerten?«
»Das ist nichts Besonderes. Das machen viele Juweliere so.«
Sie zuckte die Achseln. »Außer meinem Mann und mir wussten
natürlich alle Angestellten davon.« Sie atmete tief durch und sah
mich dann sehr ernst an. »Ich habe meinen Mann sehr geliebt«, sagte
sie dann mit leiser, brüchiger Stimme. »Ich hoffe nur, dass Sie die
Mörder kriegen.«
»Ich kann Ihnen nur versprechen, da wir alles versuchen
werden«, erklärte ich nach einer kurzen Pause.
6
Es war Nachmittag, als wir im Büro von Monsieur Jean-Claude
Marteau, Commissaire général de police, saßen, unserem Chef.
Außer François und mir waren noch die Kollegen Stéphane Caron
und Boubou Ndonga anwesend, sowie Marc Detroux, den uns die
Zentrale in Paris geschickt hatte. Detroux war der Bande schon seit
längerem auf der Spur.
Bislang erfolglos.
Aber natürlich waren seine bisherigen Ermittlungen für uns
sehr wertvoll.
Der Raum war abgedunkelt. Mit einem Projektor wurden
Abbildungen und Dokumente an eine Leinwand projiziert. Detroux
erläuterte uns seine bisherigen Erkenntnisse zu dem Fall.
»Die Überfälle hier fanden in einem Radius von etwa hundert
Kilometer um Marseille herum statt.«
»Das muss nicht notwendigerweise heißen, dass diese
Organisation von Marseille aus operiert«, gab Monsieur Marteau zu
bedenken. Im Schein des Projektors sah ich, wie Boubou Ndonga
nickte.
»Das ist richtig«, meinte auch Detroux. »Allerdings
funktioniert so etwas nur, wenn man die nötigen Hehler im
Hintergrund hat, um den Schmuck zu Geld zu machen. Und das ist
nicht so einfach. Da müssen Leute mit Verbindungen dahinterstecken,
die dafür sorgen, dass nicht gleich Alarm geschrien wird, wenn so
ein Stück irgendwo auftaucht … Leute, die es sich leisten können,
Juwelen einfach ein paar Jahre im Tresor liegenzulassen, bis
genügend Gras darüber gewachsen ist … Das müssen die Abnehmer
sein!«
»Bis jetzt halten sich unsere Informanten in der Hehler-Szene
äußerst bedeckt«, stellte Stéphane Caron klar. »Unsere Ermittlungen
in dieser Hinsicht laufen auf Hochtouren, aber entweder liegen wir
völlig falsch mit unseren Vermutungen oder es ist eine Methode
erfunden worden, solche Transaktionen völlig geräuschlos über die
Bühne gehen zu lassen.«
»Ich schlage vor, wir arbeiten uns erst einmal durch die
zahlreichen Aussagen, die die Polizei aufgenommen hat. Zeugen aus
benachbarten Wohnungen, die Angestellten von Beaumer und so weiter.
Nicht zu vergessen die Video-Bänder aus der U-Bahnstation.«
»Listen mit Beschreibungen und Fotos der gestohlenen Stücke
liegen bereits vor«, erklärte François. »Monsieur Beaumer scheint
in diesem Punkt gut für den Fall der Fälle vorgesorgt zu
haben.«
Monsieur Marteau nickte zufrieden.
»Gut«, meinte er. »Dann kann auch, was das angeht, die
Fahndung beginnen.« Monsieur Marteau wandte sich an Detroux. »Wenn
Sie jetzt bitte fortfahren würden.«
»Natürlich.«
Detroux legte eine Folie auf, die eine Landkarte zeigte. Auf
dem Ausschnitt war der Süden von Frankreich zu sehen.
»Hier sehen Sie … In den markierten Orten haben die Gangster
bereits zugeschlagen. In manchen sogar mehrfach. Es muss ein
ausgesprochener Spezialist für Safes unter diesen Leuten sein.
Entweder sie heuern immer wieder verschiedene Spezialisten dafür
an, oder es gibt tatsächlich jemanden, der sich mit sehr
unterschiedlichen Safes hervorragend auszukennen scheint. Die Safes
wurden stets sauber geknackt. Kein Sprengstoff, nichts, was Krach
macht.«
»Solche Spezialisten dürften nicht allzu häufig zu finden
sein«, meinte ich. »Vielleicht jemand, der mal bei einem
Schlüsseldienst beschäftigt war.«
»Unsere Innendienstler haben uns eine Liste von Personen
vorbereitet, die infrage kommen und einschlägig vorbestraft sind«,
warf Monsieur Marteau ein.
In diesem Moment öffnete sich die Tür. Melanie kam mit einem
Tablett herein, auf dem sich einige dampfende Pappbecher befanden.
Melanie war Monsieur Marteaus Sekretärin, und ihr Kaffee war im
gesamten Büro berühmt.
Detroux zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen, aber alle
anderen waren ganz froh über die kleine Unterbrechung.
7
Der Raum war kahl und schmucklos. Die Wände aus nacktem Beton.
Auf dem Tisch lagen fein säuberlich sortiert Juwelen,
diamantbesetzte Ringe, Colliers … Sie glitzerten im Licht der
einzigen Glühbirne, die für etwas Helligkeit sorgte.
Die drei Männer im Raum schwiegen, während aus dem
Nachbarzimmer ein Stöhnen drang.
»Was machen wir mit ihm?«, fragte der Mann, der hinter dem
Tisch saß. Er hatte ein kantiges Gesicht und große Hände. Die
Pistole trug er in einem Schulterholster. Den Schalldämpfer hatte
er abgeschraubt.
»Wir müssen zum Arzt«, sagte einer der beiden anderen. Ein
dunkler Lockenkopf.
»Red keinen Unsinn, Ferdinand!«, erwiderte der Mann mit der
Pistole.
»Was sollen wir denn sonst tun, Tim? Er hat Schmerzen.«
»Ich weiß«, sagte Tim.
»Und wenn wir nicht bald etwas tun, dann stirbt er. Mein Gott,
das sieht doch ein Blinder!« Ferdinand machte ein verzweifeltes
Gesicht.
Der dritte Mann im Raum hatte noch gar nichts gesagt. Er
lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und rieb sich die
Augen.
»Jetzt sag du mal was, Yves! Schließlich ist das alles nur
passiert, weil du unbedingt noch den Safe ausräumen
musstest.«
»Ach, hätten wir besser abziehen sollen, ohne etwas
Vernünftiges in der Tasche zu haben?«, erwiderte Yves. Seine Stimme
klirrte wie Eis. Er war ruhig und beherrscht.
»Schlimmer als es jetzt ist, konnte es doch kaum noch kommen«,
erwiderte Ferdinand.
Yves öffnete seine dunkle Lederjacke. Eine Automatik kam zum
Vorschein. Er trug sie in einem Futteral am Gürtel. Er zog die
Waffe heraus, wog sie kurz in der Hand und holte dann einen
Schalldämpfer aus der Seitentasche. Sorgfältig schraubte er ihn
auf.
»Was hast du vor, Yves?«
»Wir sollten Robert nicht länger leiden lassen. Das ist meine
Meinung«, sagte er dann so kalt und sachlich, dass die anderen
einen Augenblick wie erstarrt wirkten.
»Du willst ihn umbringen?«, stellte Ferdinand fest.
Yves trat auf ihn zu und hielt ihm die Waffe hin.
»Einer muss es tun!«
»Aber nicht ich!«
Yves grinste schief.
»Wir können ihn nicht mehr retten. Zumindest nicht, ohne in
Gefahr zu geraten. » Dann ging er an ihnen vorbei, musterte sie
noch einmal kurz und ließ ein wölfisches Grinsen um seine
Mundwinkel herum erscheinen. Dann betrat er den Nebenraum.
An den kahlen Betonwänden gab es einige Schmierereien.
Der Verletzte lag auf einer Pritsche. Mit glasigen Augen
blickte er Yves an.
»Was hast du vor, Yves … Habt ihr einen Arzt gefunden?«
»Nein.«
»Aber … Ihr habt doch versprochen, dass …«
»Tut mir leid, Robert. Es geht nicht anders.«
Yves hob die Waffe, zielte aus nächster Nähe. Er drückte ab
und traf direkt in das rechte Auge. Robert war sofort tot, als ihn
das Projektil förmlich auf die Pritsche nagelte. Das Projektil trat
auf der andere Seite des Schädels wieder aus.
Yves wandte das Gesicht ab.
Friede seiner Seele!, dachte er und dann bekreuzigte er sich,
so wie er es vor unendlich langer Zeit einmal gelernt hatte.
Inzwischen war nichts weiter als eine Marotte von ihm.
Yves drehte sich herum.
»Das Problem existiert nicht mehr«, erklärte er in Richtung
der anderen.
8
Büroarbeit ist heute vornehmlich Computerarbeit. François und
ich saßen in unserem gemeinsamen Dienstzimmer und sahen uns die
Dutzenden von Zeugenaussagen an, die die Polizei zu Protokoll
genommen hatte. Aufgrund der Umstände waren die Angaben natürlich
nicht sehr aufschlussreich. Die Täter waren maskiert und hatten
Handschuhe getragen. Das bedeutete, dass es auch keine
Fingerabdrücke gab.
Immerhin gab es Blutspuren, die für einen DNA-Test verwendet
werden würden. Aber die Wahrscheinlichkeit war sehr gering, dass
wir jemanden in unseren Dateien hatten, der bei einem ähnlichen
Delikt schon einmal irgendeine Körperflüssigkeit hinterlassen
hatte. Speichelreste in einer Zigarettenkippe genügten. Aber dazu
waren die Täter, mit denen wir es gegenwärtig zu tun hatten,
einfach zu professionell.
Immerhin ließ sich jetzt auf Grund der Erkenntnisse der
Spurensicherer einigermaßen rekonstruieren, was am Tatort geschehen
war.
Die Täter waren in den Laden gelangt, hatten sich aber gar
nicht erst mit den Auslagen beschäftigt, da ihnen klar war, dass
die wirklich guten Stücke im Büro zu finden waren. Dort hatte
Beaumer zur Pistole gegriffen. Mit seinen eiskalten Gegnern hatte
er es natürlich nicht aufnehmen können. Sie hatten geräuschlos
getötet, wie man es von Profis erwartet. Die Tatsache, dass sie
eine Waffe mit Schalldämpfer mitgeführt hatten, belegte, dass sie
eine derartige Entwicklung durchaus einkalkuliert hatten.
Aber Beaumer war noch zu einem Schuss gekommen. Ein Schuss,
der zwar nicht getroffen, aber eine Menge Lärm gemacht hatte. Das
hatte den Gangstern einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Beinahe jedenfalls.
»Was müssen das für abgebrühte Kerle gewesen sein«, meinte
François. »Beaumer wurde hinter dem Schreibtisch gefunden. Er saß
also dort, als die Gangster den Raum betraten. Daher ist
anzunehmen, dass Beaumer getötet wurde, bevor sie sich an den Safe
heranmachten.«
Ich nickte.
»Das sehe ich auch so.«
»Verstehst du, worauf ich hinaus will, Pierre? Denen muss doch
klar gewesen sein, dass bald die Hölle für sie losbricht, nachdem
Beaumer geschossen hatte. Irgendjemand unter den Nachbarn würde die
Polizei verständigen. Und dennoch haben sie an aller Ruhe die Safes
ausgeräumt.«
»Eine bemerkenswerte Kaltblütigkeit!«
François hob die Augenbrauen.
»Inzwischen dürfte sie ja auch genug Routine haben.«
»Wie viel Zeit ist zwischen dem Schuss und dem Eintreffen dem
Polizei vergangen?«, fragte ich.
»Minuten«, erwiderte François.
»Und in dieser Zeit haben sie zwei Safes geknackt, die
immerhin der mittleren bis gehobenen Preisklasse angehören. Zwei
Stahlschränke, die darüber hinaus noch unterschiedlicher Bauart
waren!« Ich schüttelte den Kopf und lehnte mich in meinem Drehstuhl
etwas zurück. Ich starrte nachdenklich auf den flimmernden
Bildschirm, auf dem gerade das Logo von SIS zu sehen war, dem
zentralen Datenverarbeitungssystem, über das wir mit den Dateien
aller anderen Marseiller Polizeieinheiten verbunden waren.
Informationen konnten so innerhalb von Sekunden abgefragt und
ausgetauscht werden.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein Anfänger war«,
meinte ich. »Dieser Safe-Spezialist muss es schon vorher einmal
probiert haben. Ich kann mir das einfach nicht anders
vorstellen.«
Wir gingen die Namensliste durch, die man uns gegeben hatte
und ließen uns die entsprechenden Daten über SIS auf den Schirm
holen. Alle diejenigen, die gegenwärtig die Gefängnisse in
Marseille und Umgebung bevölkerten, schieden natürlich aus.
Andere schienen untergetaucht oder verzogen zu sein. Es blieb
ein Rest von Männern, deren Alibi zu kontrollieren sich vielleicht
lohnen konnte. Das war unsere Aufgabe, während Caron und Ndonga
sich um die Hehler-Szene kümmerten. Irgendjemand musste die Beute
ja ankaufen.
Und es war einfach schwer vorstellbar, dass sich so ein Deal
nicht irgendwie herumsprach.
Dass niemand mit uns darüber reden wollte, konnte natürlich
einleuchtende Gründe haben. Wenn wirklich ein großer Hai
dahintersteckte und die Fäden im Hintergrund zog, war es vielleicht
pure Angst, einfach zerquetscht zu werden wie ein lästiges
Insekt.
Was waren dagegen schon die paar lumpigen Euros, die wir
unseren Informanten zahlen konnten? Im Zweifelsfall war denen das
Hemd auch näher als die Hose.
9
Am Abend machten François und ich einen Abstecher in Carlo's
Restaurant in der Nähe des Boulevard d'Anglais. Wir waren nicht des
guten italienischen Essens wegen gekommen, sondern weil der
Besitzer auf unserer Safeknacker-Liste stand.
Yves Primo war in seinen besten Zeiten Magic Primo genannt
worden. Oder auch “Le Magicien”. Darin klang der ganze Respekt der
Branche für das mit, was dieser Mann vollbracht hatte. Bei einem
Einbruch in eine kleine Privatbank war er allerdings gefasst
worden, kurz nachdem er es geschafft hatte, den Haupttresor zu
öffnen. Dafür hatte er gesessen. Schließlich hatte man ihn wegen
guter Führung vorzeitig entlassen. Wer die Geldgeber für das
Restaurant gewesen waren, wusste niemand.
Vermutlich dubiose Mafiakreise, die sich hin und wieder Magic
Primos besonderer Fähigkeiten bedienten, was das Öffnen von Safes
anging. Aber man konnte Primo nichts mehr nachweisen. Er hatte es
in die Kreise der Gentleman-Gangster geschafft. Seine Strafe hatte
er abgesessen, und nun war er ein ehrenwerter Bürger der Stadt.
Die gepfefferten Preise in seinem Restaurant sorgten dafür,
dass sich hier nur die Gutbetuchten trafen. Natürlich herrschte
Krawattenzwang, aber im Grunde galt hier jeder, der keinen
dreiteiligen Anzug trug, als unzureichend angezogen.
Wir betraten Carlo's Restaurant und sahen uns um. In einem
großen Aquarium tummelten sich riesige Hummer, die man frisch
zubereitet auf dem Teller wiedersehen konnte, wenn man Appetit
darauf hatte – und die Fähigkeit, sie richtig zu essen.
Yves Magic Primo trug einen grauen Zweireiher und musterte uns
mit Stirnrunzeln. Ich erkannte ihn sofort von den Fahndungsfotos
her, die in unseren Computerdateien zu finden gewesen waren. Primo
hatte uns jedoch garantiert noch nie gesehen. Aber irgendwie schien
er einen sechsten Sinn für Polizisten zu haben.
Unterhalb seines linken Auges zuckte nervös ein Muskel. Er
kratzte sich an seinem kantigen Kinn.
Wir traten auf ihn zu und hielten ihm unsere Ausweise unter
die Nase.
»Ich bin Commissaire Pierre Marquanteur, dies ist mein Kollege
François Leroc.«
»Nein, ich habe es geahnt! Immer, wenn was passiert, kommt ihr
Brüder wieder bei mir vorbei«, schimpfte Primo.
»Monsieur Primo, wir wollen kein Aufsehen. Wir wollen uns
einfach nur ein bisschen mit Ihnen unterhalten«, sagte François
sachlich. »Haben Sie hier einen Raum, wo das möglich ist?«
Primo nickte. »Folgen Sie mir!«
Der Restaurantbesitzer blickte sich um. Noch waren nicht sehr
viele Gäste in Carlo's Restaurant.
Dann führte Primo uns in ein großzügig angelegtes Büro und bot
uns einen Platz an.
»Ich hoffe, Sie haben nicht vor, meinen guten Ruf zu
ruinieren.«
»Nein, das beabsichtigt niemand von uns«, erwiderte ich.
»Warum heißt Ihr Laden eigentlich Carlo's Restaurant? Sie
heißen doch Yves.«
Primo zuckte die Schultern.
»Es hieß schon so, als ich es kaufte«, erwiderte er. »Warum
einen guten Namen ändern? Aber deswegen sind Sie nicht hier.«
»Nein, das ist wahr.«
»Es geht um die Beaumer-Sache, oder?«
Ich hob die Augenbrauen.
»Sie sind gut informiert!«
»Sehen Sie nicht fern?«
»Selten. Dazu machen wir zu viele Überstunden!«
»Was Sie nicht sagen! Jedenfalls haben alle lokalen Sender
ausführlich darüber berichtet.«
»Nun, Monsieur Primo, dann können Sie sich unsere Frage an Sie
sicher denken.«
»Sie wollen ein Alibi!«
»Es wäre nicht schlecht, wenn Sie eins hätten.«
Primo lachte heiser.
»Es ist doch immer dasselbe. Da hat man seine Strafe abgebüßt
und trotzdem kommt die Polizei stets als Erstes zu mir, wenn
irgendwo ein Schloss geknackt wird. Das ist doch verrückt!«
»In Beaumers Laden ist ein Spezialist am Werk gewesen, der
innerhalb weniger Minuten zwei Safes öffnen konnte, die nicht
gerade zu den rückständigsten Modellen gehören.«
»Nun, dann können Sie mich ja gleich wieder von Ihrer Liste
streichen.«
»Wieso?«
»Ich bin seit Jahren aus der Übung. Und so gut war ich selbst
zu meiner aktiven Zeit nicht.«
»Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Monsieur
Primo!«
»Ach, Sie können das beurteilen, ja?«
»Wo waren Sie heute Nacht, so gegen halb vier?«
Yves Primos Züge versteinerten.
»In meinem Bett. Ich habe geschlafen.«
»Das kann nicht zufällig jemand bezeugen?«
»Nein, zufällig nicht«, erwiderte Primo. Seine Stimme klirrte
wie Eis. »Aber ist das allein schon strafbar? Dass man wie
Millionen anderer Marseiller nachts in seinem Bett liegt und
schläft?«
»Natürlich nicht.«
»Freut mich zu hören!«
Ich sah Primo scharf an. Er versuchte, meinem Blick
auszuweichen.
Vielleicht war es die Wahrheit, was er sagte. Vielleicht auch
nicht. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Aber für den Fall,
dass er doch etwas mit der Sache zu tun hatte, wollte ich ihm eine
Brücke bauen.
»Hören Sie mir gut zu, Monsieur Primo! Bei dem Überfall ist
ein Polizist getötet worden. Außerdem Michel Beaumer, der Besitzer
des Juwelierladens. Einige weitere Kollegen von der Polizei haben
Verletzungen davongetragen. Für Mord bekommt man auch in Marseille
lebenslänglich.«
Primo verzog das Gesicht. Er entblößte die Zähne wie ein
Wolf.
»Warum erzählen Sie mir das? Wenn ich juristische Nachhilfe
brauche, hole ich sie mir lieber von einem Fachmann, Monsieur
Marquanteur!«
»Ich wollte damit sagen, dass der, der die Safes geknackt hat,
ja möglicherweise nicht derselbe ist, der die Morde beging.«
Primo lachte heiser.
»Sie suchen einen Kronzeugen?«
»Warum nicht?«
»Sie sind bei mir leider an der falsche Adresse, Monsieur
Marquanteur.«
Ich legte ihm meine Karte auf den Schreibtisch.
»Falls Sie Ihre Meinung ändern …«
»Keine Chance!«
»Schlafen Sie mal darüber!«
»Leben Sie wohl! Ich habe zu tun! Falls Sie heute italienisch
essen wollen, so füllen Sie Ihren Magen doch bitte in der nächsten
Snack Bar. Für Carlo's Restaurant sind Ihre Kaufhaus-Anzüge einfach
nicht fein genug.«
In diesem Moment klingelte François' Handy. Er griff in die
Jackentasche und nahm den Apparat ans Ohr.
»Hier Leroc, was gibt es?« François hörte angestrengt zu und
sagte dreimal hintereinander ein knappes »Ja!«, bevor er das Gerät
wieder zuklappte. Dann wandte er sich an mich.
»Lass uns gehen, Pierre!«
Ich sah Yves Primo an, dass er mindestens so sehr wie ich
darauf brannte, den Inhalt des Gesprächs zu erfahren.
10
Mein Dienstwagen stand ein paar Minuten von Carlo's Restaurant
entfernt. Dämmerung hatte sich über Marseille gelegt. François und
ich gingen die Straße in nördliche Richtung.
»Wohin geht die Reise jetzt, François?«, fragte ich.
François grinste.
»In die Avenue du Port – hier in Pointe-Rouge.«
»Keine feine Gegend.«
»In einem leerstehenden Haus wurde eine Leiche gefunden, die
vielleicht unser Mann ist.«
»Der verletzte Einbrecher?«
»Sicher wissen wir das erst, wenn wir die Ergebnisse des
DNA-Tests bei den Blutspuren haben. Aber die Kollegen von der
dortigen Mordkommission meinen, dass das vermutlich unser Mann ist.
Wahrscheinlichkeit sechzig zu vierzig.«
»Na, immerhin. Im Moment ist uns doch jeder Strohhalm
recht.«
Wir erreichten den Dienstwagen. Ich setzte mich ans Steuer,
François nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Ich griff nach dem Blaulicht und setzte es auf das Dach. Es
konnte nicht schaden, wenn wir etwas schneller in der Avenue du
Port ankamen.
11
Ein Pulk von Einsatzfahrzeugen stand vor dem kahlen
Betonklotz, der ursprünglich mal einer Kaufhauskette gehört hatte.
Aber das war in besseren Zeiten gewesen. Jetzt war es eine Ruine,
die langsam vor sich hin schimmelte. Selbst die Abrisskosten
schienen den Eigentümern zu hoch zu sein.
Die uniformierten Beamten, die den Tatort abschirmten, ließen
uns passieren. Wir folgten zwei Männern von der Gerichtsmedizin,
die einen Zinksarg schleppten. Ihr Ziel war auch das unsere.
Commissaire Collard von der zuständigen Mordkommission
begrüßte uns und führte uns zu einem Mann, der ausgestreckt auf
einer Pritsche lag. Ein Arzt machte sich an dem Toten zu schaffen.
Erkennungsdienstler waren überall mit Latexhandschuhen bei der
Arbeit, und bemühten sich noch um die kleinsten Spuren.
Die Leiche sah furchtbar aus.
Der Arzt hieß Vendrian. Ich kannte ihn. Er arbeitete für die
Gerichtsmedizin, und ich war ihm schon an verschiedenen Tatorten
begegnet.
Er grüßte nur knapp.
»Hallo, Pierre. Dieser Mann hat eine Kugel im Oberkörper und
eine im Kopf. Die Kugel unterhalb der Schulter habe ich
herausgeholt. Es ist ein polizeiübliches Kaliber.«
Ich nickte.
»Unsere Ballistiker werde schon herausfinden, ob es aus einer
der Waffen stammt, die in der letzten Nacht benutzt wurden.«
Dr. Vendrian fuhr fort: »Die Wunde hat sich offenbar
entzündet, und nach den äußeren Anzeichen könnte sie tatsächlich
letzte Nacht entstanden sein.«
»Was ist mit der zweiten Wunde?«
»Die muss ihm später beigebracht worden sein. Und zwar hier in
diesem Raum. Das Projektil steckte im Fußboden. Es durchschlug
Auge, Gehirn und hintere Schädeldecke. Die Verbrennungen im Gesicht
lassen darauf schließen, dass der Schuss aus nächster Nähe
abgegeben wurde.«
»Eine Hinrichtung«, meinte Commissaire Collard.
»Oder ein Gnadenschuss«, warf ich ein. »Vorausgesetzt, er ist
unser Mann.«
»Hat er Papiere bei sich?«, fragte François.
Collard schüttelte den Kopf.
»Nein. So schlau sind die Täter gewesen, dass sie die
mitgenommen haben.«
Ich deutete auf die Füße.
»Haben Sie was dagegen, wenn ich den linken Schuh
mitnehme?«
»Natürlich nicht. Wieso?«
»Wir haben einen Fußabdruck.«
»Verstehe.«
Ich warf einen letzten Blick auf das zerstörte Gesicht des
Toten. Vermutlich würde es der Gerichtsmediziner erst
rekonstruieren müssen, bevor wir ein Fahndungsfoto davon machen
konnten. Ich war mir ziemlich sicher, dass das einer unserer Männer
war. Mein Instinkt sagte es mir – und der irrte sich selten.
Wer solche Komplizen hat, braucht keine Feinde mehr, dachte
ich angewidert. Die Täter, mit denen wir es zu tun hatten, gingen
rücksichtslos über Leichen. Selbst dann, wenn es die ihrer eigenen
Leute waren. Mit der fast sympathischen Sorte des
Gentleman-Juwelendiebs, wie sie Cary Grant in Hitchcocks Über den
Dächern von Nizza verkörperte, hatte diese Bande nicht das
Geringste gemein.
12
Derselbe Abend, eine andere Straße.
Unser Kollege Stéphane Caron fuhr den Dienstwagen langsam die
Rue Elizabeth entlang. Es handelte sich um einen nicht mehr ganz
taufrischen Peugeot aus dem Fuhrpark unserer Fahrbereitschaft. Ein
unauffälliger Wagen, der kein Aufsehen erregte. Boubou Ndonga, sein
Partner, saß auf dem Beifahrersitz und blickte angestrengt
hinaus.
»Da ist es!«, sagte er dann plötzlich und deutete auf eine
Reihe von insgesamt drei noch funktionierenden Telefonzellen.
Boubou blickte auf die Uhr.
»Gerade noch geschafft. Du hast noch zwei Minuten, bis es da
an einem der Fernsprecher klingelt.«
Ein anonymer Anrufer hatte sich in der Zentrale der FoPoCri
Marseille gemeldet. Ein Sprecher mit verstellter Stimme wollte
unbedingt Stéphane Caron sprechen. Es ginge um Juwelen, die in
jüngster Zeit verschwunden seien – Beaumers Juwelen.
Wichtigtuer oder brandheiße Spur, das war in solchen Fällen
immer die Frage. Im Zweifel gingen wir dann jeder noch so vagen
Spur nach.
Der Anrufer hatte das Gespräch schnell beendet und gefordert,
Caron sollte zu einer bestimmten Telefonzelle in der Rue Elizabeth
kommen. Dort werde er angerufen.
»Und du hast wirklich keine Ahnung, wer das war?«, fragte
Boubou, der als bestangezogener Kollege galt.
Stéphane schüttelte den Kopf.
»Nein.«
»Aber er kennt dich vermutlich.«
»Kann sein, Boubou.«
»Ich frage mich, was das ganze Affentheater soll. Warum
bestellt er uns hierher?«
»Weil er nicht will, dass das Gespräch aufgezeichnet wird«,
erwiderte Caron.
»Und woher weiß er, dass wir das hier nicht tun?«
»Die Zeit ist zu kurz, der Aufwand zu groß. Er kennt sich
offenbar aus, Boubou.«
Caron schaute auf die Uhr. Dann stieg er aus. Boubou
ebenfalls. Aber Caron schüttelte den Kopf.
»Er will mit mir sprechen, Boubou. Und vermutlich ist er
irgendwo in der Nähe und beobachtet, was wir tun.«
Boubou zuckte die Achseln.
»Wie du meinst.«
Ein kurzer Griff ging unwillkürlich zu der SIG Sauer P 226,
die er im Gürtelholster stecken hatte.
Caron ging zu den Telefonen. Dann klingelte es. Caron nahm
ab.
»Ich bin's, Caron.«
»Sie suchen Juwelen, nicht wahr?«
»Wir sprachen schon darüber.«
»Ich weiß, wo welche aufgetaucht sind.«
»Ach, ja?«
»Sie sind mir zum Kauf angeboten worden.«
»Nennen Sie Ross und Reiter!«, forderte Caron. »Woher soll ich
wissen, ob Sie nicht nur ein Schwätzer sind.«
»Können Sie für meine Sicherheit garantieren?«
»Wer sind Sie?«
Eine Pause entstand. »Ich riskiere mein Leben.«
»Sie werden einen guten Grund dafür haben«, erwiderte Caron
kühl. In Gedanken ging er die in der Hehler-Szene bekannten Figuren
durch und fragte sich, wen er an der anderen Seite der Leitung
hatte.
»Sie müssen mir garantieren, dass der Mann, um den es geht,
hopsgenommen wird!«
»Hören Sie.«
»Ich muss jetzt Schluss machen, Monsieur Caron. Schicken Sie
morgen einen Mann in den Coffeeshop in der Avenue Hoyer. Zehn Uhr.
Aber kommen Sie nicht selbst. Und auch nicht Ihren Kollege
Ndonga.«
»Warum nicht?«
»Wir haben gemeinsame Bekannte.«
»Verstehe!«
Das Gespräch brach ab.
13
Am nächsten Morgen hatten wir eine kurze Unterredung in
Monsieur Marteaus Büro. Inzwischen stand fest, dass der Tote einer
der Gangster war. Die Kugel im Oberkörper stammte aus einer der
Waffen, die von den Beamten der Polizei benutzt worden waren. Der
Schuhabdruck passte zu dem, den wir gefunden hatten. Der DNA-Test
würde noch einige Zeit auf sich warten lassen, aber der konnte
unsere Ergebnisse eigentlich nur noch bestätigen.
Wer der Kerl allerdings war, wussten wir durch eine
Fingerprint-Abfrage. Er hieß Robert Bouttier und hatte eine ganze
Latte von Vorstrafen aufzuweisen.
Das der Beaumer-Überfall zu unserer Serie gehörte, stand nun
auch zweifelsfrei fest. Mit der Maschinenpistole, mit der der
Polizist ermordet worden war, war bereits bei zwei anderen
Überfällen geschossen worden. In einem Fall hatte es dabei einen
toten Wachmann gegeben.
Robert Bouttier – die Identität eines der Gangster war
immerhin ein Anhaltspunkt.
Maxime Valois, ein Innendienstler aus unserer
Fahndungsabteilung, legte uns gleich ein kleines Dossier über
Bouttier vor. Alles, was sich per Datenfernleitung auf die Schirme
unserer Computer holen und ausdrucken ließ.
Ich überflog das Dossier kurz. Und dann blieb ich an einer
bestimmten Stelle mit den Augen hängen. Ich stutzte.
»Vor fünf Jahren war Bouttier inhaftiert«, stellte ich fest.
»Das gilt auch für Yves Magic Primo, der auf unserer
Safeknacker-Liste steht.«
Monsieur Marteau nickte nachdenklich.
»Möglich, dass die sich da getroffen haben.«
»Zumindest könnte man dort mal anfragen«, meldete sich Kollege
Marc Detroux zu Wort. »Es wäre nicht das erste Mal, dass sich neue
Gangsterbanden im Knast zusammenfinden. Außerdem sollte Primo ab
sofort beschattet werden.«
»Ein sinnvoller Vorschlag«, stimmte Monsieur Marteau zu.
Schaden konnte eine Überwachung von Magic Primo nicht, aber
ich glaubte auf der anderen Seite auch nicht, dass sonderlich viel
dabei herauskam. Primo war kein Dummkopf.
Als er das letzte Mal unvorsichtig war, hatte er dafür mit
einigen Jahren Gefängnis zahlen müssen. Er würde sich jetzt
vorsehen und jeden Schritt zweimal überlegen – ganz gleich, ob er
nun etwas mit dem Fall zu tun hatte oder nicht.
Später berichtete Stéphane Caron von dem anonymen Anrufer.
François und ich wurden von Monsieur Marteau dazu ausersehen, den
Unbekannten im Coffeeshop zu treffen.
»Ich glaube, dass wir mit dem Kerl unsere Zeit verschwenden«,
meinte Detroux. »Es geht um die Gangster! Und denen sind wir ohne
die Hilfe dieses Unbekannten jetzt dicht auf der Spur. Bouttier
hatte immerhin zuletzt eine Adresse in der Stadt. Wenn wir in
seinem Dunstkreis nachforschen, werden wir bald etwas finden.«
»Tun Sie das, Monsieur Detroux«, ermutigte ihn Monsieur
Marteau. »Aber wenn Sie denken, dass es nur um die Einbrecher geht,
dann irren Sie. Für mindestens ebenso wichtig halte ich, dass wir
die Hintermänner erwischen. Nicht nur die untersten Chargen dieser
Organisation. Für die ist es doch ein Leichtes, sich ein neues
Einbrecher-Team zusammenzustellen. Vermutlich haben sie
Verbindungen bis in die Gefängnisse und besitzen damit fast so
etwas wie eine freie Auswahl an kriminellen Spezialisten.«
14
Für den Ausflug in die Avenue Hoyer benutzten François und ich
nicht meinen Dienstwagen, sondern ließen uns einen unauffälligen
Wagen von der Fahrbereitschaft geben. Es war ein schnelles
Allerweltscoupé. Wir durften auf keinen Fall auffallen. Der Mann,
mit dem wir uns treffen sollten, schien scheu wie ein Reh zu
sein.
Und wenn er kein Wichtigtuer war, mit denen wir leider auch
immer wieder zu tun haben, dann hatte er allen Grund, vorsichtig zu
sein.
Wir parkten das Coupé am Straßenrand. Ein weiteres
FoPoCri-Fahrzeug folgte uns. Es handelte sich um einen Lieferwagen.
Außen mit dem Aufdruck eines stadtbekannten Pizza-Services. Innen
angefüllt mit modernster Abhörtechnik.
François und ich trugen Sender. Caron und Boubou würden im
Inneren des Lieferwagens alles mithören können. Wir wollten auf
Nummer Sicher gehen.
François und ich gingen nicht gleichzeitig in den
Coffeeshop.
François ging zuerst, ein paar Augenblicke später würde ich
ihm folgen.
Als ich den Raum betrat, saß François bereits vor einer Tasse
Kaffee in einer Ecke.
Ein alter Mann hatte sich über eine Zeitung gebeugt und
schielte über die flaschendicke Brille. Ein großer
Zwei-Zentner-Mann stand hinter dem Tresen und brummte mir eine
undeutliche Begrüßung entgegen.
Der alte Mann stand auf und ging, nachdem er geräuschvoll das
Geld auf den Tisch gelegt und sich geräuspert hatte.
Ich wechselte einen unauffälligen Blick mit François, der so
tat, als würde er sich gerade nach ein paar anstrengenden
Bürostunden bei einer Tasse Kaffee erholen.
Ich blickte auf die Uhr.
Der Kerl war spät. Genau genommen, bereits zu spät. Ich hoffte
nur, dass er es sich nicht einfach anders überlegt hatte und wir
hier die Zeit verplemperten. So toll war dieser Coffeeshop nun auch
wieder nicht.
Aus einer der Türen, die in die hinteren Räume führten, kam
ein schlaksiger Kerl in mittleren Jahren. Der Haaransatz war hoch,
sein Blick nervös und misstrauisch. Er ließ sich von dem Mann
hinter dem Tresen einen Zitronentee machen. Ein exklusiver
Geschmack.
Dann ging er direkt auf mich zu und setzte sich zu mir.
»Sind Sie ein Freund von Caron?«, fragte er.
Ich nickte.
»Und Sie sind der Mann, der sich nicht mit ihm treffen
wollte.«
»Muss er verstehen. Ist schon so gefährlich genug für
mich!«
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
Er grinste. »Nicht so schnell.«
Ich legte ihm meinen Ausweis hin. Er sah ihn sich ganz genau
an, so, als wüsste er bestens zu beurteilen, ob das Ding echt war.
Schließlich nahm ich ihm den Ausweis wieder aus der Hand.
»Wenn Sie meine Zeit verschwenden wollen, ist das Treffen hier
und jetzt beendet«, sagte ich kühl.
Er hob die Hände.
»Schon gut. Sagen Sie übrigens Ihrem Kollegen dahinten am
Tisch, dass er sich ruhig zu uns setzen kann.« Sein Grinsen war
triumphierend »Ich habe Sie beide beobachtet, schon bevor Sie
diesen Laden betraten.«
»Na, fein. Nun legen Sie mal langsam Ihre Karten auf den
Tisch!«
»Okay. Ich bin Alex Rigieux. Wenn Sie mich in Ihren Dateien
suchen, dann sollten Sie unter Informanten nachschauen.«
»Vielen Dank für den Tipp.«
»Der Überfall auf Beaumer hat hohe Wellen geschlagen, Monsieur
Marquanteur.«
»Kann man wohl sagen.«
»Und wenn einem kurze Zeit später ein Haufen Klunker für einen
sensationell günstigen Preis angeboten wird, ist man natürlich
misstrauisch.«
Ich zuckte die Schultern.
»Leider gilt das nicht für jeden«, kommentierte ich die
Aussage meines Gegenübers.
Alex Rigieux lachte kurz und heiser auf.
»Da mögen Sie leider recht haben. Darum hat unsere Branche
einen so schlechten Ruf.«
»Wer hat Ihnen das Zeug angeboten?«
Ich wollte, dass er endlich die Katze aus dem Sack ließ und
ich feststellen konnte, ob ich nur einen Schwätzer vor mir
hatte.
»Der Kontakt ging natürlich über ein paar Ecken, Sie
verstehen.«
»Wer?«, beharrte ich.
Er sah mich an.
»Guillaume Xian. Der dürfte Ihnen kaum ein Unbekannter sein,
Monsieur Commissaire!«
Damit hatte Rigieux zweifellos recht. Xian war bekannt als
sogenannter Pate von Pointe-Rouge. Ein ehrbarer Geschäftsmann, was
die äußere Fassade anging. Viel zu gerissen und mächtig, um sich
noch irgendein konkretes Verbrechen nachweisen zu lassen. Es war
ein offenes Geheimnis, dass Xian das illegale Glücksspiel
kontrollierte. Außerdem nahm er Schutzgelder von den chinesischen
Restaurants und Geschäften. Es gab niemanden, der ohne seinen Segen
einen Laden eröffnen konnte. Da er die Geschäftswelt beherrschte,
lag es eigentlich nahe, anzunehmen, dass er seine Hände auch in
Hehlergeschäften hatte.
Rigieuxs Aussage machte also Sinn. Fragte sich nur, inwieweit
sie auch auf Fakten beruhte.
»Haben Sie den Schmuck selbst gesehen?«
»Nur auf Fotos«, sagte Rigieux. »Aber mal vorausgesetzt, die
Sachen sind echt, dann lag der Preis so weit unter dem, was man
normalerweise dafür verlangen kann, dass etwas damit faul sein
musste.«
»Hat man Ihnen von diesen Fotos welche überlassen?«
»Nein. Die sind ja nicht wahnsinnig.«
Ich holte eine Fotomappe aus der Innentasche meines Jacketts
und legte sie vor ihm auf den Tisch. Auf den Bildern waren einige
markante Schmuckstücke abgelichtet, die sich in Beaumers Safe
befunden hatten.
»Erkennen Sie irgendetwas von diesen Sachen wieder?«
Es dauerte nicht lange, bis Rigieux fündig wurde.
»Der Brillantring da. Ganz bestimmt, da irre ich mich nicht.
Und die Broschen waren auch dabei. Ich nehme an, dass Beaumers
Witwe für das Auffinden des Schmucks einen angemessenen Finderlohn
zahlt.«
»Davon gehe ich auch aus, aber da sind Sie bei mir an der
falschen Adresse. Ich verhandele nur für die FoPoCri.«
»Verstehe!« Er atmete tief durch. »Ich kann für Sie
herausfinden, wo genau sich der Schmuck befindet.«
»Dann tun Sie das«, erwiderte ich.
Er erhob sich.
»Wir treffen uns morgen um dieselbe Zeit.«
»Hier?«, fragte ich.
»Sind Sie wahnsinnig? Ich rufe Sie kurz vorher an … Sie
persönlich, Monsieur Marquanteur! Ich bräuchte allerdings Ihre
Handynummer.«
»Sicher.«
Ich griff in die Jackentasche und holte eine der Karten
heraus, die das FoPoCri für seine Kollegen drucken lässt, und schob
sie ihm hin. Alex Rigieux steckte sie ein, ohne einen Blick darauf
zu werfen.
Er blickte nervös auf die Uhr, ging dann zum Tresen und legte
noch einen Geldschein darauf. Der Mann hinter dem Tresen nickte.
Dann ging er mit schnellen Schritten durch eine Tür, die in den
hinteren, wohl eher privaten Teil des Coffeeshops führte.
15
Später saßen wir alle zusammen in Monsieur Marteaus Büro. Der
Kriminaldirektor hatte sich die Aufzeichnung des Gesprächs mit
unbewegtem Gesicht angehört. Zunächst enthielt unser Chef sich
eines Kommentars.
»Ich glaube nicht, dass uns diese Spur weiterbringt«, meinte
Marc Detroux. »Was glaubt ihr, wie viele solcher Aufschneider ich
schon erlebt habe. Der will sich nur in den Vordergrund spielen
oder ist scharf darauf, ein paar Euros zu verdienen.«
»Das kann er aber nur, wenn er uns wirklich die Hehler ans
Messer liefert und die Beute wieder auftaucht«, gab ich zu
bedenken.
Detroux sah mich an.
»Vielleicht ist er ja auch mit dem mickrigen Informanten-Lohn
zufrieden, Pierre – und hat es gar nicht auf eine Belohnung
abgesehen.«
»Für mich stellt sich die Frage, wie wir jetzt weiter
vorgehen«, sagte François Leroc sachlich. »Xians Läden im
Schnellverfahren durchsuchen, könnte den Durchbruch oder ein
völliges Fiasko bringen, wenn auch nur eine Kleinigkeit daneben
geht.«
»Vor allem kämen wir dann wohl kaum an den großen Mann im
Hintergrund heran«, gab ich zu bedenken. »Denn, so wie wir den
bisher kennen, pflegt der sich erstklassig abzusichern.«
»Und wie soll es dann weitergehen?«, mischte sich nun Stéphane
Caron ein. »Abwarten, was dieser Kerl morgen anzubieten hat?«
»Warum nicht?«, erwiderte François. »Ich halte das für das
Vernünftigste. Besser, als wenn wir jetzt wie ein Elefant im
Porzellanladen herumstampfen und dafür sorgen, dass die ganze Szene
erst einmal in der Versenkung abtaucht.«
Monsieur Marteau sah jetzt in Boubous Richtung.
»Monsieur Ndonga, was wissen wir eigentlich über diesen
Rigieux?«
»Wir vermuten, dass er selbst hin und wieder mit heißer Ware
handelt, aber das konnte ihm nie nachgewiesen werden. Er unterhält
ein Wettbüro und eine Handelsagentur … Und ab und zu liefert er uns
Informationen.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum er das tut?«, erkundigte sich
Monsieur Marteau.
Ndonga zuckte die Achseln.
»Für Geld tut der Kerl alles. Das ist meine
Einschätzung.«
»Wissen wir, ob er zu Xians Leuten gehört?«
»Halte ich für ausgeschlossen.«
»Und wer ist dann sein Beschützer?«
»Bislang scheint er zu glauben, ohne auszukommen«, erklärte
Ndonga.
Monsieur Marteau blickte in die Runde.
»Überlegen Sie mal – könnte es nicht sein, dass diesmal sein
Motiv darin besteht, Xian zu schaden?«
»Warum sollte er das tun?«, fragte Caron.
»Wer weiß? Vielleicht ist der Pate von Pointe-Rouge ihm
einfach zu sehr auf den Pelz gerückt oder er hatte Streit mit einem
von Xians Leuten.« Monsieur Marteau strich sich mit einer fahrigen
Geste über das Kinn. »Ich will damit nur sagen, dass wir auf der
Hut sein müssen. Nach allem, was wir über diesen Rigieux auf dem
Tisch haben, traue ich ihm zu, dass er glaubt, die FoPoCri für sich
arbeiten lassen zu können.«