Ein ehemaliger CIA-Agent stirbt, und seine Frau behauptet, es
war Mord. Bei der Obduktion stellt sich eine Infektion mit Tollwut
heraus. Wer wählt eine so ungewöhnliche Mordmethode und hat die
Möglichkeit, an das Virus heranzukommen? Die beiden FBI Agenten
Trevellian und Tucker tauchen in die Geheimnisse der Spionage und
des Mordens auf Befehl ein.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER STEVE MAYER
nach einem Exposé von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Alles rund um Belletristik!
1
Es gibt Tage, die sollte es nicht geben.
Finden Sie nicht auch?
Mein Name ist Jesse Trevellian. Ich bin Special Agent des FBI.
Und zusammen mit meinem Dienstpartner Milo Tucker und all den
Kollegen im Innendienst, versuche ich dafür zu sorgen, dass unsere
Stadt nicht in die Hände von Verbrechern gerät.
Manche sagen, dieser Kampf sei sowieso aussichtslos.
Aber wahrscheinlich bin ich ein hoffnungsloser Optimist.
Die Welt ist schlecht.
Das weiß ich.
Aber in diesem einen Punkt bin ich wie die Zeugen Jehovas: Der
Umstand, dass die Welt schlecht ist, lässt mich meine Hoffnung
nicht aufgeben.
Okay: Manchmal bin ich nahe dran.
Aber nur manchmal.
Als ich an diesem Montagmorgen unser Büro in der 23. Etage des
Federal Building an der Federal Plaza in Manhattan betrat, war ich
eigentlich recht guter Dinge. Wir hatten am Wochenende einen
Gangster dingfest machen können, der über Jahre hinweg den
Drogenhandel in Little Italy kontrolliert hatte, und konnten uns
sicher sein, dass der zwielichtige Zeitgenosse eine ganze Weile auf
Rikers Island gesiebte Luft atmen würde. Das Beweismaterial, das
wir sichergestellt hatten, reichte für zwei Jahrzehnte. Außerdem
gab es Zeugen. Möglicherweise kam Mord dazu – der begründete
Verdacht bestand. Wenn er sich bestätigte, dann sah der Mafioso die
Freiheit wohl niemals mehr wieder.
Etwas Schreibarbeit war in diesem Fall noch zu erledigen. Nun
ja, es tat mal ganz gut, am Schreibtisch zu sitzen und Sätze zu
formulieren, die Staatsanwaltschaft, Gericht und Jury
beeindruckten.
Mein Partner Milo war schon anwesend. Er lehnte sich auf
seinem Stuhl zurück, schaute demonstrativ auf die Uhr und fragte:
"Auch schon ausgeschlafen?"
"Ha, ha", machte ich.
"Man darf ja wohl noch fragen!”
"Ich bin sogar fünf Minuten zu früh dran.”
"Ach, wirklich? Wahrscheinlich geht deine Uhr vor. Sei‘s
drum." Ich winkte ab. "Hast du etwa schon mit dem Schreibkram
angefangen?”
"Erinnere mich besser nicht dran.”
"Gibt es was Neues in Sachen Giuseppe Russo?"
Zum besseren Verständnis: Giuseppe Russo war der Mafioso, dem
wir am Wochenende das schmutzige Handwerk gelegt hatten.
"Wo denkst du hin?", fragte mich Milo, und es klang fast ein
wenig bissig. "Glaubst du etwa, ich habe hier im Field Office den
Rest des Wochenendes verbracht? Ich bin gerade mal fünf Minuten
anwesend und hab‘ eben erst das Terminal hochgefahren."
"Ein FBI-Agent ist vierundzwanzig Stunden im Dienst",
versetzte ich grinsend.
"Gehörst du nicht auch zu dieser Spezies?", fragte Milo mit
hochgezogenen Brauen. "Wenn du …"
Er brach ab, weil sein Telefon dudelte. Milo schaute auf das
Display und knurrte: "Der Chef. Auf den, denke ich, trifft deine
Aussage von eben zu …" Er schnappte sich den Hörer und nahm das
Gespräch an. "Guten Morgen, Mister McKee." Milo lauschte kurz, dann
sagte er: "In Ordnung. Wir sind schon auf dem Weg."
“Klang wie was Wichtiges.”
“War auch wichtig.”
“Na, dann…”
Er stellte das Telefon in die Station zurück und erhob sich
seufzend: "Zum Chef, Partner.”
“Was will er?”
“Zum einen will er wissen, was sich am Samstagabend in Little
Italy abgespielt hat, zum anderen hat er was Neues für uns.
“Was?”
“Er hat es als eine pikante Angelegenheit bezeichnet."
“Oh…”
“So hat er sich ausgedrückt.”
Ich brauchte mich also gar nicht erst an meinem Schreibtisch
zu setzen.
Milo fuhr den Computer herunter, dann machten wir uns auf den
Weg zum Büro des SAC. Er begrüßte uns per Handschlag und bot uns
Plätze am Besprechungstisch an, nahm ein dünnes Heft von seinem
Schreibtisch, kam ebenfalls zum Konferenztisch, ließ sich nieder
und legte die Mappe, die allenfalls zwei Blätter enthielt, vor sich
hin.
"Meinen Glückwunsch, Agents", begann er. "Es ist Ihnen
gelungen, diesem Wolf im Schafspelz endlich die Maske des
Biedermannes vom Gesicht zu reißen."
"Danke, Sir", erwiderte ich. "Ich denke, Russo hat uns lange
genug an der Nase herumgeführt. Aber jetzt dürfte er für die
nächsten Jahre, möglicherweise sogar bis an sein Lebensende, auf
Nummer sicher sein. Das Beweismaterial, das wir gegen ihn in Händen
haben, ist hieb- und stichfest. Den paukt kein Rechtsanwalt der
Welt mehr heraus."
"Berichten Sie", forderte der Chef.
Milo und ich spielten uns gewissermaßen die Bälle zu. Mal
sprach ich, dann mein Partner. Wir benötigten eine Viertelstunde,
dann war der SAC vollumfänglich im Bilde.
"Gute Arbeit", lobte er. "Aber etwas anderes habe ich von
Ihnen beiden nicht erwartet." Er lächelte in der ihm eigenen
Manier. Es verlieh ihm etwas Aristokratisches. "Leider können Sie
sich auf Ihren Lorbeeren nicht ausruhen, Gentlemen", fuhr er dann
fort und schlug die dünne Mappe auf. Ich hatte richtig geraten. Sie
enthielt gerade mal zwei Blätter; Formulare.
Sie sahen aus, wie ein formelles Vernehmungsprotokoll – oder
wie der Bericht eines Pathologen.
"Ein mysteriöser Fall", erklärte der Chef. "Es geht um einen
Mann namens Brad Glomsky. Er starb nach wochenlangem Siechtum. Da
seine Frau vermutet, dass er ermordet – um genau zu sein, vergiftet
worden ist, hat man eine Obduktion angeordnet."
"Und es hat sich herausgestellt, dass seine Frau recht hatte",
stieß Milo hervor, als der Chef Atem holte.
"Das ist noch die Frage", antwortete Mr. McKee. "Sicher ist
jedenfalls, dass er an Tollwut gestorben ist."
"Tollwut ist ein Virus", bemerkte ich. "Er wird in der Regel
durch den Biss eines tollwütigen Tieres übertragen. Wo soll da die
Verbindung zu einem Mord sein?"
"Glomsky war CIA-Agent", versetzte der Chef. "Das ist die
zweite gesicherte Erkenntnis neben jener, dass für seinen Tod die
Tollwut ursächlich war. Glomskys Job damals war es, Agenten im
Ostblock – da gab es noch die Sowjetunion und den Warschauer Pakt –
anzuwerben, auszubilden und zu betreuen. Er selbst war in den
achtziger Jahren im Außeneinsatz in Ost-Berlin und auch in Prag
tätig."
"Oha", machte ich, "damit stellt sich die Angelegenheit schon
in einem etwas anderem Licht dar. Wenn ich richtig informiert bin,
dann war die Infizierung mit dem Tollwutvirus als Mordmethode bei
einigen Ost-Block-Geheimdiensten sehr beliebt, insbesondere der
Staatssicherheitsdienst der DDR soll sie praktiziert haben."
"Sie sind richtig informiert", erklärte der SAC. "Einen
Zeitgenossen, der diesem oder jenem Geheimdienst ein Dorn im Auge
geworden war, auf diese niederträchtige Art vom Leben zum Tod zu
befördern, ist denkbar einfach. Jemand wird im Kaufhaus oder im
Gedränge vor der U-Bahn angerempelt, verspürt einen leichten Stich,
den er möglicherweise registriert, dem er aber keine Beachtung
schenkt, und schon ist er infiziert. Man kann jemandem den Erreger
auch ins Essen mischen. Aber das war die weniger gängige Methode. –
Die Symptome treten erst viel später auf. Das kann zwischen einigen
Tagen und mehr als einem Jahr variieren. Die Regel sind zwei bis
drei Monate, und zwar dann, wenn das Tollwutvirus das Gehirn oder
das Rückenmark erreicht hat. Doch dann ist es für den Infizierten
zu spät. Denn wenn die Krankheit erst einmal ausgebrochen ist, dann
endet sie in fast allen Fällen tödlich."
"Und wie will man nach dieser langen Zeit noch feststellen,
wer das Opfer mit dem Virus infiziert hat?", warf Milo ein.
"Das herauszufinden wird im Fall Glomsky Ihre Aufgabe sein",
gab der Chef mit hintergründigem Lächeln zu verstehen. "Ich denke,
bei Ihnen ist der Fall in den besten Händen."
"Aber wieso geht man von Mord aus?", fragte Milo. "Kann es
nicht sein, dass Glomsky Kontakt mit einem tollwutinfizierten Tier,
einem Hund eventuell oder einer Katze, hatte?"
"Das schließt seine Frau aus", erwiderte der Chef. "Sie hat,
als sie die Anzeige erstattete, erklärt, dass ihr Mann hochgradiger
Allergiker war; Pollen, Hausstaub, Hunde- und Katzenhaare … Er hat
es, so seine Frau, tunlichst vermieden, mit irgendwelchen Tieren in
Kontakt zu kommen. Wegen seiner Pollenallergie hat er sogar seine
Aufenthalte in der Natur auf ein Mindestmaß beschränkt."
"Außerdem müssten bei der Obduktion Bissspuren an seinem
Körper festgestellt worden sein", gab ich zu bedenken.
"Glomskys Gattin, ihr Name ist Ludmilla – es ist im Übrigen
seine vierte Frau und ganze dreißig Jahre jünger als er – weiß von
dem Job, den er früher ausübte", sagte der SAC. "Und sie weiß aus
einigen seiner Erzählungen, dass eine Tollwutinjektion bei den
Geheimdiensten eine beliebte Tötungsart war. Sie ist der
unumstößlichen Überzeugung, dass ihren Mann eine solche Injektion
umgebracht hat."
"Ludmilla …", kam es versonnen von Milo. "Der Name ist
russisch."
"Sie kommt aus der Ukraine. Aus erster Ehe hat Glomsky einen
Sohn namens Troy, doch hat zwischen den beiden kein Kontakt
bestanden. Troy Glomsky ist Prediger in einer evangelikalen
Gemeinde hier in Manhattan. Er lebt in Chelsea, zweiundzwanzigste
Straße." Der Chef schlug die Mappe wieder zu und reichte sie mir.
"Das ist der pathologische Bericht, Agents. Falls Sie Rückfragen
haben, ich meine medizinisch-fachlicher Art, dann wenden Sie sich
bitte an unseren Doc."
"Das wird nicht notwendig sein", erwiderte ich. "Wozu gibt es
denn ein Internet?" Ich hatte die dünne Mappe an mich genommen und
erhob mich. Milo folgte meinem Beispiel.
"Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Agents", erklärte der Chef.
"Tauchen Sie zur Abwechslung mal ein in den Sumpf von Spionage,
kaltem Krieg und staatlich angeordnetem Mord."
Wir verabschiedeten uns. Der Chef hatte nicht Unrecht. Dieser
Fall konnte der Schneeball sein, der vielleicht eine Lawine
auslöste.
2
Zurück in unserem Büro fertigten wir eine Kopie des
pathologischen Berichts an, damit ihn Milo und ich unabhängig
voneinander studieren konnten.
Der Bericht gab nichts her, was uns nicht schon der Chef in
geraffter Form verraten hätte, abgesehen davon, dass die
Tollwutviren, die für den möglichen Mord verwendet worden waren,
einem sehr seltenen nigerianischen Viren-Stamm angehörten, der
durch Fledermäuse übertragen wurde.
Wir beschlossen, der Gattin des Verstorbenen einen Besuch
abzustatten. Ihre Adresse war uns bekannt. Sie lebte auf der East
Side, genau gesagt in Murray Hill, 35th Street.
Wir fuhren den Broadway hinauf, benutzten schließlich die Park
Avenue und landeten in der 35th. Ich fand sogar ganz in der Nähe
des Hauses, in dem die Lady wohnte – es handelte sich um ein
renoviertes Brownstone-Haus – einen Parkplatz am Straßenrand. Zur
Haustür führten einige Stufen hinauf. Alles war gepflegt und
sauber. Wer sich hier die Miete leisten konnte, musste ziemlich gut
situiert sein. Und wer in dieser Gegend eine Wohnung gar käuflich
zu erwerben in der Lage war, musste sehr viel Geld auf der Bank
liegen haben.
Mrs. Glomsky wohnte in der dritten Etage. Da es keinen Aufzug
gab, mussten wir Schusters Rappen bemühen. Wir waren aber recht gut
in Form, und so machte uns der Aufstieg wenig aus. Schließlich
standen wir vor der Korridortür. "B. Glomsky" war in das Türschild
aus Messing eingestanzt. Milo läutete. Es dauerte nicht lange, dann
verdunkelte sich der Spion in der Tür, was mir verriet, dass wir
begutachtet wurden. Dann wurde auch schon die Tür einen Spaltbreit
geöffnet, gerade so weit, wie es eine Sicherungskette zuließ. Ich
sah die Hälfte eines schmalen, rassigen Frauengesichts, die andere
Hälfte wurde vom Türblatt verdeckt. "Sie wünschen?", erklang es.
Der Blick des einen Auges, das ich sah, war argwöhnisch.
"Ich bin Special Agent Trevellian vom FBI New York", stellte
ich mich vor und zeigte ihr meine ID-Card. "Das ist mein Kollege
Tucker, ebenfalls Special Agent. Sind Sie Mrs. Glomsky?"
Die Tür ging zu, ich hörte die Sicherungskette rasseln, dann
wurde sie aufgezogen, und jetzt sah ich Ludmilla Glomsky in ihrer
ganzen Pracht und Schönheit. Sie war in der Tat eine attraktive,
bemerkenswerte Frau, deren Faszination sich wahrscheinlich kein
Mann entziehen konnte.
"Hat das FBI den Fall übernommen?", fragte sie, ohne eine
weitere Erklärung meinerseits abzuwarten.
"Ja. Können wir mit Ihnen sprechen?" Ich musterte sie
erwartungsvoll, indes ich das Mäppchen mit meiner ID-Card wieder in
der Jackentasche verstaute.
"Bitte, treten Sie ein", antwortete sie und gab die Tür frei.
“Danke”, sagte ich.
Wir betraten das Wohnzimmer, von dem mehrere Türen abzweigten.
Die Einrichtung konnte man als luxuriös bezeichnen, und mein
Eindruck, dass bei Brad Glomsky Geld keine Rolle gespielt zu haben
schien, verstärkte sich. "Bitte, nehmen Sie Platz", forderte uns
die schöne Lady zum Sitzen auf. "Darf ich Ihnen irgendetwas
anbieten? Einen Drink vielleicht?"
"Danke, aber wir sind im Dienst", lehnte ich ab.
“Wir würden ja gerne, aber wir dürfen nicht”, ergänzte
Jilo.
“Sie Ärmste!”
“Ja, wem sagen Sie das”, meinte Milo.
Wir saßen und ich sagte: "Sie vermuten, dass Ihr Mann ermordet
worden ist."
"Ich bin mir sicher", erwiderte sie im Brustton der
Überzeugung. "In der Zwischenzeit hat man mich unterrichtet, dass
es ein Tollwutvirus war, der ihn tötete. Nach meiner Überzeugung
wurde er von einem Geheimdienstmitarbeiter mit dem Virus infiziert,
weil er zu viel wusste.”
Ich hob die Augenbrauen.
“Gibt es da etwas konkretere Hinweise?”
Sie sah mich an.
“Dass mein Mann mal bei der CIA als Agent tätig war, wissen
Sie gewiss.”
“Allerdings.”
“Er hat zwar nicht viel über seine damalige Tätigkeit erzählt,
doch hin und wieder konnte er es sich nicht verkneifen, einen
Kommentar abzugeben, vor allem, wenn wir uns Filme anschauten, in
denen Geheimdienstagenten als Protagonisten agierten. “
“Was hat er gesagt?”
“Das hat mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun, bemerkte er
meistens.
Ich lächelte kurz. “Verstehe…”
“Aus einigen seiner Hinweise konnte ich schließen, dass das
Morden mit Viren oder Gift in diesem Milieu gang und gäbe war.”
Ich sagte: “Das habe ich auch gehört.”
“Es sind ja auch mehrere Fälle bekannt geworden."
"Hatte Ihr Mann noch Verbindung zur CIA oder zu früheren
Kollegen, die mit ihm bei der Agency tätig waren?"
Ich sah sie an und registrierte jede Regung in ihrem
Gesicht.
Manchmal erfährt man dadurch mehr, als durch das, was
tatsächlich gesagt wird.
Ludmilla dachte kurz nach, dann schüttelte sie den Kopf.
"Nicht, dass ich wüsste. Mein Mann war nach seiner Zeit bei der
Agency Geschäftsmann. Er handelte mit Autoteilen und hatte
Verbindungen in den Nahen Osten. Geschäftliche Beziehungen – nichts
Politisches."
“Verstehe…”
“Wirklich!”
"Die Geschäfte Ihres Mannes scheinen sehr gut gegangen zu
sein", bemerkte Milo.
"Ja, in der Tat", bestätigte Ludmilla.
"Er war vor Ihnen bereits dreimal verheiratet", konstatierte
ich.
"Spielt das für den Fall eine Rolle?", fragte sie leicht
genervt.
Es beeindruckte mich nicht. "Er hat einen Sohn", sagte ich
unbeirrt.
"Troy.”
“Genau.”
“Er ist ungefähr Mitte dreißig und stammt aus der ersten Ehe
meines Mannes. Seine damalige Frau ist verstorben.”
“Davon wusste ich noch nichts”, gestand ich.
“Keine Ahnung, was die Todesursache war. Brad hat nur einmal
angedeutet, dass sie ziemlich leiden musste. Daher vermute ich,
dass sie ein Krebsleiden hatte. Mit Troy hatte mein Mann schon seit
ewigen Zeiten keinen Kontakt mehr. Er ist in irgendeiner
Kirchengemeinde Prediger. Ich kenne ihn gar nicht. Mein Mann hat
ihn enterbt. Er interessiert mich nicht."
"Bekam Ihr Mann Drohanrufe? Ist aufgefallen, dass er
vielleicht beobachtet wurde?" Ich dachte kurz nach. "Vielleicht
sogar Drohbriefe. Hat sich Ihr Mann in den letzten Wochen und
Monaten verändert? Ich meine sein Verhalten? War er angespannt,
unruhig, über die Maßen nervös?"
"Ich habe davon nichts bemerkt", antwortete die Frau. "Er war
wie immer. Vor einigen Wochen fing er dann an, über Kopf- und
Gliederschmerzen zu klagen, er bekam Fieber, und irgendwann
stellten sich Krämpfe ein. Er wurde in die Klinik eingeliefert,
aber der Kampf der Ärzte um sein Leben war vergebens."
"Machte er während der Zeit, in der es ihm immer schlechter
gegangen ist, nie eine Bemerkung, worauf das zurückzuführen sein
könnte?", fragte Milo. "Schließlich war er – hm, vom Fach, und
wusste wahrscheinlich sehr gut, wie sich die Tollwut im
menschlichen Körper entwickelt."
"Man nahm an, dass sein Leiden auf den Biss einer Zecke
zurückzuführen war", erwiderte Ludmilla. "Als ich aber nach seinem
Tod erfuhr, dass er an Tollwut gestorben ist, fiel es mir wie
Schuppen von den Augen." Sie brach ab.
"Bitte, Mrs. Glomsky", sagte ich, "lassen Sie uns an Ihren
Erkenntnissen teilhaben."
Es war, als musste sie ihre nächsten Worte erst im Kopf
formulieren. Schließlich begann sie: "Brad erzählte mir mal von
einem Spezialisten auf dem Gebiet der Verabreichung von tödlichen
Injektionen. Der Mann soll für den Geheimdienst der DDR gearbeitet
haben. Brad hat ihn in Berlin kennengelernt, sie freundeten sich
an, und es gelang Brad sogar, den Agenten zum Überlaufen zu
veranlassen. Einige Zeit arbeitete er als Doppelagent, doch dann
flog er auf. Ihm gelang mit Brads Hilfe die Flucht in die Staaten.
Natürlich bekam er eine andere Identität, und er durfte in den USA
bleiben." Ludmillas Blick schien sich nach innen zu verkehren. "Wie
war denn gleich wieder der Name?", sinnierte sie halblaut. "Dieter
… Dieter Albertz oder Albrecht", stieß sie schließlich hervor. Die
Lider mit den langen Wimpern zuckten in die Höhe, der Blick der
tiefblauen Augen Ludmillas war auf mein Gesicht geheftet. "Dieser
Stasi-Agent soll mehrere Morde mit Gift verübt haben, indem er es
den Opfern injizierte. Welcher Art die Gifte waren, kann ich
allerdings nicht sagen. Es wurden, so Brad, verschiedene
Chemikalien verwendet."
Milo holte ein Notizbüchlein und einen Kugelschreiber aus der
Jackentasche und notierte den Namen.
"Hat Ihr Mann außer Troy weitere Kinder?", erkundigte ich mich
noch.
"Nein."
"Gibt es Unterlagen über seine geschäftlichen Verbindungen?",
war meine nächste Frage.
"Natürlich. Ganze Ordner voll. Sie stehen im Büro in der
Spring Street."
"Gestatten Sie uns, sie einzusehen, oder brauchen wir einen
richterlichen Beschluss?", fragte ich.
"Schauen Sie sich von mir aus alles an", antwortete Ludmilla.
"Ich sage dem Geschäftsführer telefonisch Bescheid. Er wird keine
Probleme machen. Ich werde sowieso versuchen, die Firma zu
verkaufen, denn ich habe nicht die geringste Ahnung von dem
Geschäft. Mal schauen. Ich hab‘ mit dem Geschäftsführer noch nicht
gesprochen. Sein Name ist Jim Henders."
"Können Sie uns die Hausnummer in der Spring Street nennen?",
fragte Milo.
Ludmilla nannte sie, Milo schrieb sie auf, dann
verabschiedeten wir uns. Als wir wieder im Auto saßen und nach
Süden fuhren, sagte Milo: "Wir werden in dem Büro kaum was finden,
was eventuell illegal ist und auf Glomskys Vergangenheit hinweist.
Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir checken, mit wem Glomsky
in den Monaten vor seinem Tod besonders häufig telefoniert hat, und
denjenigen oder gegebenenfalls auch diejenigen etwas genauer unter
die Lupe nehmen."
"Eine gute Idee", lobte ich, denn ich war mir auch nicht
sicher, ob die Durchsuchung der Geschäftsunterlagen im Büro
Glomskys besonders hilfreich sein würde. "Wir müssen nur
herausfinden, bei welcher Telefongesellschaft die Telefone
angemeldet waren."
"Das erledigen wir vom Büro aus", erklärte Milo.
3
Bei der Telefongesellschaft handelte es sich um AT&T
Wireless. Bei ihr waren sowohl die privaten als auch die
Geschäftstelefone Brad Glomskys angemeldet. Natürlich rückte die
Gesellschaft die Daten, auf die wir es abgesehen hatten, nicht ohne
richterlichen Beschluss heraus. Der war formell zu beantragen. Aber
Mr. McKee ließ seine Beziehungen spielen, und so hatten wir den
Beschluss zwei Tage später.
“Manchmal muss man die Dinge etwas beschleunigen”, sagte er
dazu.
Und dabei hatte er die Hände in den tiefen Taschen seiner
Flanellhose vergraben.
Seit seine Familie durch Gangster ausgelöscht worden war,
hatte sich McKee voll und ganz dem Kampf gegen das Verbrechen
gewidmet. Er war morgens der Erste im Büro und abends der letzte,
der ging.
“Wir bleiben dran”, versprach ich ihm.
“Ich weiß.”
Wiederum zwei weitere Tage später lagen uns Listen der
Telefonate vor, die von Glomskys Geschäftstelefonen und von seinem
privaten Festnetzanschluss aus sowie mit seinem Mobiltelefon
geführt worden waren. Der Zeitraum umfasste ein halbes Jahr. Die
Verbindungen mit den Geschäftsanschlüssen vernachlässigten wir.
Priorität hatten für uns jene Gespräche, die er mit seinem
Privathandy geführt hatte.
Es gab einige Nummern, die von Glomsky des Öfteren angewählt
worden waren. Über die Telefongesellschaft fanden wir die Namen der
Teilnehmer heraus. Recherchen im Internet ergaben, dass es sich um
keine Geschäftsverbindungen handeln konnte. Fast keiner dieser
Männer – es waren ausschließlich männliche Gesprächsteilnehmer –
hatte einen Auftritt im World Wide Web. Einige waren bei Facebook
angemeldet, aber es waren nur persönliche Dinge, die sie der
Allgemeinheit zur Verfügung stellten.
Das half uns nicht weiter.
Einen Namen suchten wir vergeblich. Es war der Name Dieter
Albertz oder Albrecht, den uns Ludmilla Glomsky genannt hatte. Es
gab jedoch einen Mann mit dem Nachnamen Albert – Dee Albert.
"D wie Dieter, A wie Albertz oder Albrecht", murmelte Milo.
"Man hat ihm damals eine neue Identität gegeben, und er lebt
wahrscheinlich immer noch in den Staaten, wenn wir Glück haben,
sogar hier im Big Apple."
"Wir werden das überprüfen", sagte ich.
Von Dee Albert gab es weder im Internet noch bei Facebook oder
einem anderen Sozialen Netzwerk einen Eintrag. Sein Name stand
jedoch im digitalen Telefonbuch, und ich rief ihn einfach an, und
zwar mit meinem privaten Smartphone. Tatsächlich meldete sich eine
dunkle Männerstimme, die einen besonderen Akzent aufwies: "Albert.
Sie wünschen?"
Ich erwiderte: "Oh, entschuldigen Sie. Ich muss falsch gewählt
haben." Ohne eine Antwort abzuwarten unterbrach ich die Verbindung.
An Milo gewandt sagte ich: "Er sprach seinen Namen ziemlich deutsch
aus. Ich möchte das zumindest behaupten."
"Finden wir heraus, wo er wohnt, und dann werfen wir ihm einen
etwas intensiveren Blick unter den Haaransatz", schlug Milo
vor.
Die Adresse war 224 West 95th Street. Milo und ich fuhren hin.
Es handelte sich um ein Hochhaus. Beim Eingang saß ein Wachmann,
den ich nach dem Apartment von Dee Albert fragte. Er schaute in
einem Laptop nach. "Sechste Etage, linker Flur, Nummer
sechs-null-zwo-vier", erhielt ich zur Antwort.
Wir fuhren mit dem Aufzug nach oben und standen wenig später
vor der Tür des Apartments.
Wir waren richtig.
Ich legte den Daumen auf den Klingelknopf. Es knackte im
Lautsprecher der Gegensprechanlage, dann fragte eine weibliche
Stimme: "Wer ist da?"
"Die Special Agents Trevellian und Tucker vom FBI New York.
Wir haben einige Fragen an Mr. Albert."
Es dauerte kurze Zeit, dann wurde die Tür geöffnet. Es war
aber keine Frau, die vor uns stand, sondern ein mittelgroßer,
schmächtiger Mann mit Halbglatze und Brille. Ich schätzte ihn auf
Mitte sechzig. Er war mit einem dunkelblauen Trainingsanzug
bekleidet und wirkte wie der nette Nachbar von nebenan. "Was wollen
Sie denn von mir?"
Eindeutig – das war keiner, der mit der englischen Sprache
aufgewachsen war.
"Wir haben ein paar Fragen, Mr. Albert", antwortete ich. "Brad
Glomsky betreffend."
Er zeigte keinerlei Reaktion. "Glomsky?", stieß er hervor.
“So ist der Name.”
"Der ist verstorben."
"Er wurde möglicherweise ermordet", sagte mein Partner
Milo.
Alberts Augen flackerten unruhig. "Ermordet?"
"Ja, es sieht ganz so aus", sagte ich. "Ich weiß nicht, ob es
gut ist, wenn wir uns hier zwischen Tür und Angel unterhalten. Wir
können Sie natürlich auch bitten, ins Field Office an der Federal
Plaza zu kommen. Es liegt bei Ihnen."
"Kommen Sie herein", murmelte Albert.
Er gab die Tür frei, und wir betraten das Apartment. Nach der
Frau, die sich vorhin per Gegensprechanlage gemeldet hatte, hielt
ich vergeblich Ausschau. Aber von dem Wohnzimmer führten mehrere
Türen in andere Räume. Ich dachte auch gar nicht weiter darüber
nach.
"Bitte, setzen Sie sich", lud Albert uns ein, Platz zu nehmen.
Und als wir saßen, fragte er: "Wer sollte Interesse am Tod Glomskys
gehabt haben?"
"Wir dachten vielleicht, dass Sie uns einen Tipp geben
könnten", erwiderte ich.
"Ich?" Albert tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust.
“Ja.”
“Warum ausgerechnet ich?”
“Nun…”
"Ich habe hin und wieder mal ein Geschäft mit ihm gemacht.
Darauf beschränkt sich unsere Bekanntschaft.”
“Wirklich?”
“Er hat immer prompt geliefert, ich habe ihn genauso prompt
bezahlt, und das war‘s."
"Was waren das für Geschäfte?", fragte Milo.
"Ich habe bei ihm Autoteile gekauft.”
Ich fragte: “Wofür?”
“Er hatte einen Großhandel, und ich betreibe eine
Kfz-Reparatur-Werkstatt."
"Sie sind kein Amerikaner", sagte ich.
Diese Feststellung schien ihn nicht zu überraschen.
"Deutscher", sagte er. "Ich lebe aber schon seit mehr als dreißig
Jahren in den USA."
“Ah, ja…”
Er lächelte. "Obwohl ich schon so lange hier lebe, weist mein
Englisch immer noch einen Akzent auf."
"Als Sie noch in Deutschland lebten", sagte ich und schaute
ihn dabei an, "war Ihr Vorname doch nicht Dee."
Sein Blick irrte ab, er begann, seine Hände zu kneten. "Was
hat das mit dem Tod von Glomsky zu tun?", fragte er fast ein wenig
aggressiv.
"Glomsky wurde ein Tollwutvirus injiziert", erwiderte ich. "Er
war früher Agent bei der CIA. Seine Gattin nannte uns einen Namen,
den er irgendwann mal erwähnte: Dieter Albertz oder Albrecht. Der
Mann arbeitete für den Geheimdienst der DDR, ist aber auf Glomskys
Betreiben hin zur CIA übergelaufen. Kann es sein, dass Sie dieser
Mann sind?"
Albert atmete etwas schneller. Wahrscheinlich hatte meine
Äußerung seinen Puls beschleunigt. Mit einem Ruck erhob er sich und
nahm eine unruhige Wanderung auf. Milo und ich wechselten einen
bedeutungsvollen Blick. Er wirkte unvermittelt nicht mehr allzu
sehr gefasst.
Plötzlich blieb Albert stehen, schaute von Milo auf mich und
sagte: "Leugnen hätte wohl kaum noch einen Sinn.”
Ich sagte: “Die Wahrheit wäre mir am liebsten.”
“Ja, klar.”
“Als?”
“Ja, ich bin dieser Mann.”
“Welcher Mann?”
“Mein Name war Dieter Albertz.”
“Okay…”
“Ich habe für die Stasi gearbeitet und damals in Ostberlin
Brad kennengelernt.”
“Okay…?”
“Er hat mich dazu gebracht, zur CIA überzulaufen. Ich bin zwar
aufgeflogen, mit Hilfe von Brad ist mir jedoch die Flucht in die
Staaten gelungen." Er hob die Schultern und ließ sie wieder nach
unten sacken.
“Ich verstehe langsam”, sagte ich.
"Es war ein Fehler."
"Inwiefern?"
Albert winkte ab. "Darüber will ich nicht reden."
"Sie sollen beim DDR-Geheimdienst Spezialist für das Töten mit
Gift – unter anderem sicherlich auch Tollwutviren – gewesen sein",
sagte Milo unverhohlen.
"Wer behauptet das?", fuhr Albert meinen Partner an.
"Glomsky hat es seiner Frau erzählt."
"Das ist Unsinn!", fauchte Albert.
"Kann es sein, dass es – hm, eine Hand aus der Vergangenheit
war, die Brad Glomsky vom Leben zum Tod befördert hat?", fragte
ich.
Albert setzte sich wieder, starrte kurze Zeit versonnen vor
sich hin und erwiderte schließlich: "Kaum. Die DDR gibt es seit
mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr. Von der Stasi ist nichts mehr
übrig. Die Geheimnisse, die die Stasi hütete, sind entweder längst
offenbart worden oder der eine oder andere Verantwortliche hat sie
mit ins Grab genommen." Albert schüttelte den Kopf.
“Sie sehen da also keinen Zusammenhang?”, hakte ich
nach.
"Wenn Brad wirklich ermordet wurde, dann hat das mit seiner
oder meiner Agententätigkeit nichts zu tun."
"Sie haben auch für den amerikanischen Geheimdienst
gearbeitet", sagte ich.
“Ja.”
“Also…”
“Gelernt ist gelernt, verstehen Sie?”
“Sicher.”
“So war das eben. man tut das, was man schon kann…”
"Ich weiß natürlich nicht, wie tief Ihre Einblicke in die Welt
der CIA war. Halten Sie es für möglich, dass Glomsky zu viel wusste
und deshalb sterben musste?"
"Es ist gut und gerne zwanzig Jahre her, seit er aus dem
Verein ausgetreten ist", versetzte Albert. "Wenn er der CIA
gefährlich hätte werden können, hätte man wohl kaum zwei Jahrzehnte
verstreichen lassen, um ihm das Licht auszublasen.”
“Das ist in der Tat ein Argument!”, fand ich.
“Ich denke, dass hinter dem Mord jemand steckt, der eine
falsche Spur legen will.”
“Eine falsche Spur?”
“Wobei es überhaupt fraglich ist, ob es sich um Mord
handelt.”
“Wieso?”
“Warum sollte sich Brad nicht bei einem Tier mit Tollwut
infiziert haben?”
“Nun…”
“Die Tollwut ist nicht ausgestorben."
Wir gingen nicht darauf ein.
Aber natürlich hatte er in dem Punkt recht.
Eine ‘natürliche’ Ansteckung mit Tollwut durch irgendein
infiziertes Tier war keineswegs ausgeschlossen und immer noch eine
reale Möglichkeit.
So etwas kam immer wieder vor.
Ich hob die Augenbrauen, musterte ihn kurz.
"Kennen Sie einen Mann namens Ken Atkins?", fragte ich.
Ken Atkins war ein Name von unserer Liste, die wir von der
Telefongesellschaft erhalten hatten. Mit ihm hatte Glomsky auch
sehr oft telefoniert, fast ebenso oft wie mit Albert. "Ken
Atkins?", wiederholte er nachdenklich. "Nie gehört diesen
Namen."
"Na schön", sagte ich, "das war‘s dann auch schon." Während
ich gesprochen hatte, hatte ich mich erhoben. Milo folgte meinem
Beispiel.
"Tut mir leid", erklärte Albert, "aber ich kann Ihnen kaum
etwas sagen. Ich bin damals mit Brads Hilfe in die USA geflohen, da
man mir in der DDR die Hölle heiß gemacht hätte.
“Ist nachvollziehbar.”
“Nachdem es keine DDR mehr gab und ich die Stasi auch nicht
mehr fürchten musste, konnte ich hier ein freies Leben führen.”
“Ein Happy End für Sie also!”
“Brad hat mir geholfen, in die Automobilbranche einzusteigen,
und ich habe nur noch geschäftlich mit ihm in Verbindung gestanden.
Wie er ums Leben gekommen ist und wer eventuell dafür
verantwortlich ist", Albert zuckte mit den Achseln, "ich habe nicht
die geringste Ahnung."
"Kennen Sie seinen Sohn Troy?", fragte ich.
Albert nickte. "Als ich in die USA kam, war Brad noch mit
Aubrey verheiratet. Sie verstarb bald darauf. Troy war damals
dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Ich glaube, er hat, als er
volljährig war, mit seinem Vater gebrochen."
"Okay, Mr. Albert", sagte ich. "Sie können versichert sein,
dass wir mit niemandem über Ihre Vergangenheit sprechen. Wobei Sie
die Stasi wohl in der Tat nicht mehr fürchten müssen."
4
Wieder auf der Straße fragte ich meinen Freund und Partner:
"Was hältst du von ihm, Milo?"
"Durch ihn ist das Bild, das ich von einem Geheimdienstagenten
gehabt habe, deutlich erschüttert worden. Kaum vorstellbar, dass
dieses bleiche, schmalbrüstige Männlein im Geheimauftrag eines
Staates unterwegs gewesen sein soll."
"Hast du ihm mal in die Augen geschaut?", fragte ich.
"Du hast recht", gab Milo zu. "Sie waren kalt wie uraltes
Gletschereis. Nun, das Äußere ist auch nicht ausschlaggebend. Auf
die Einstellung kommt es an. Was hältst du von ihm?"
"Wir haben nichts in Händen gegen ihn. Seine Behauptung, dass
er für die Stasi nie gemordet hat, wird kaum zu widerlegen sein. Ob
er etwas mit dem Tod von Glomsky zu tun hat, wissen wir nicht. Aus
welchem Grund sollte er ihn ermordet haben? Wir werden uns aber
kundig machen. Vorher sollten wir uns Ken Atkins vorknöpfen. Auch
er scheint in einer ziemlich engen Beziehung mit Brad Glomsky
gestanden zu haben."
Milo hatte sich die Adresse von Atkins notiert. Er wohnte in
West 68th Street. Atkins ging auf die siebzig zu; ein großer, trotz
seines Alters immer noch durchtrainiert wirkender Mann mit grauen
Haaren und einem markanten Gesicht. Er ließ uns bereitwillig in die
Wohnung. Dort erfuhren wir, dass er früher – wie Glomsky – für die
CIA gearbeitet hat und sehr oft sogar gemeinsam mit Glomsky
Auslandseinsätze in der ehemaligen DDR sowie in der damaligen
Tschechoslowakei durchführte.
"Etwa anderthalb Monate vor seinem Tod telefonierte ich noch
mit Brad", erzählte Atkins. "Da klagte er über Kopf- und
Gliederschmerzen und zeitweises Fieber und war fest davon
überzeugt, dass er von einer Zecke gebissen worden war. Ich habe
ihm geraten, einen Arzt aufzusuchen. Ob er meinen Rat befolgt hat,
weiß ich nicht."
"Er ging zum Arzt", bestätigte ich. "Allerdings konnte man ihm
nicht helfen. Es war allerdings nicht der Biss einer Zecke, der ihn
tötete, sondern eine Injektion mit einem Tollwutvirus."
Atkins schaute mich an, als zweifelte er an meinem Verstand.
"Eine Injektion …", entrang es sich ihm. "Das wären ja Methoden,
wie sie der damalige DDR-Geheimdienst oder der KGB in Zeiten des
kalten Krieges und bis zu ihrer Auflösung angewandt haben."
"Glomskys Gattin ist überzeugt davon, dass ihr Mann ermordet
wurde", erklärte Milo.
Atkins starrte nachdenklich auf einen unbestimmten Punkt. "Es
gibt sicher einige Leute, die Interesse an seinem Tod haben
konnten", gab er schließlich zu verstehen.
"Können Sie uns das ein bisschen näher erklären?", hakte ich
nach.
Atkins verzog den Mund. "Es gab einige vermeintlich
ausgesprochen integre Mitbürger, die Brad gewissermaßen in der Hand
hatte. Leute, die Dreck am Stecken haben, die Verbrechen begangen
haben, für die sie selbst nach zwanzig oder dreißig Jahren noch ins
Gefängnis gehen würden, oder die illegal, mit falscher Identität,
in den Staaten leben. Glomsky hat sich während seiner Zeit bei der
CIA sozusagen eine Kartei mit Namen angelegt. Er hat auf diese
Leute zurückgegriffen, wenn er sie brauchte. Und sie fraßen ihm aus
der Hand, denn wenn er die Polizei auf sie gehetzt hätte, wäre es
mit ihrer Herrlichkeit vorbei gewesen."
Milo pfiff zwischen den Zähnen. Wahrscheinlich dachte er das
gleiche wie ich. Ich sprach es aus: "Er ließ sich von diesen Leuten
auch bezahlen, nicht wahr?"
"Das weiß ich nicht", erwiderte Atkins. "Ausschließen will ich
es aber nicht. Er hat mir, ohne jedoch Namen zu nennen, von diesen
Leuten erzählt, die ihm die eine oder andere Tür in die
Geschäftswelt geöffnet haben. Vielleicht hat er es bei einem dieser
Leute auf die Spitze getrieben, und der hat sich was einfallen
lassen."
"Kennen Sie einen Mann namens Dee Albert?", fragte ich.
Atkins linke Braue zuckte in die Höhe. "Der ist zwei oder drei
Jahre, ehe es mit der DDR zu Ende gegangen ist, übergelaufen. Ja,
ich kenne ihn. Er gehörte zu Glomskys Steigbügelhaltern. Ich habe
ihn nicht leiden können. In meinen Augen war er eine Ratte. Auf
irgendeine Art und Weise hat Glomsky ihn von sich abhängig gemacht.
Mir hat Brad erzählt, dass er Albert am ausgestreckten Arm
verhungern lassen kann, wenn er nicht spurt. Etwas Genaueres weiß
ich allerdings nicht."
"Ich finde, Sie wissen sehr viel, Mr. Atkins", gab ich zu
verstehen. Ja, ich war in der Tat erstaunt. Er schien über Glomskys
Aktivitäten ziemlich gut Bescheid zu wissen.
"Brad hat mir vertraut", erhielt ich zur Antwort. "Ich war ein
paar Jahre älter als er und schon einige Zeit bei der Agency, als
er kam und ich ihn unter meine Fittiche nahm. Er sah in mir eine
Art Idol. Nach unserer Zeit bei der Agency blieb ich sein Freund
und Vertrauter. Er sprach mit mir über Dinge, über die er nicht mal
mit seiner eigenen Frau gesprochen hätte. Ich habe ihn oft gewarnt.
Irgendwann beißen Hunde auch die Hand, die sie streicheln, habe ich
ihm immer wieder gepredigt. Aber er war sich seiner Sache sehr,
sehr sicher. Er habe vorgesorgt, erzählte er mir. Sollte ihm etwas
zustoßen, würde die eine oder andere Bombe platzen."
"Dergleichen ist allerdings bisher nicht geschehen", warf Milo
ein.
"Es war möglicherweise nur eine Behauptung, mit der er den
einen oder anderen seiner – hm, Steigbügelhalter in Schach gehalten
hat", gab Atkins zu bedenken.
"Warum erzählte er es dann Ihnen?", fragte ich.
"Möglicherweise, um mich zu beruhigen. Mir hat es ganz und gar
nicht gefallen, dass er eine ganze Reihe von Leuten – zum Teil
sogar recht einflussreiche Leute – an der kurzen Leine hielt. Und
das habe ich ihm auch unverhohlen zu verstehen gegeben. Ja, ich
denke, er wollte mit der Behauptung dafür sorgen, dass ich mich aus
seinen Aktivitäten heraushalte. Irgendwann habe ich es tatsächlich
aufgegeben, ihn zu warnen."
"Ist Ihnen bekannt, dass Dee Alberts richtiger Name Dieter
Albertz ist, und dass er bei der Stasi Spezialist für das Morden
mit Virusinjektionen war?"
"Von uns Agenten hatte jeder seinen Job zu erledigen",
antwortete Atkins ausweichend. "Dazu gehörte es oftmals auch,
jemanden, der in Ungnade gefallen war und gefährlich werden konnte,
zu eliminieren. Es war wie im Krieg, nur hat man nicht offen
aufeinander geschossen."
"Mord im Auftrag der Regierung", sagte ich, und es klang wohl
ziemlich geringschätzig, denn Atkins schoss mir einen sengenden
Blick zu. Doch er sagte nichts, und das war Antwort genug.
Ich gab ihm eine von meinen Visitenkarten und bat ihn, uns zu
informieren, sollte ihm vielleicht noch etwas einfallen, das für
unsere Ermittlungen von Bedeutung sein konnte, dann verabschiedeten
wir uns und kehrten ins Field Office zurück.
5
Was wir herausgefunden hatten, war nicht viel. Ich dachte nach
allem, was wir von Ken Atkins erfahren hatten, an Erpressung. Und
dem verlieh ich Ausdruck, indem ich zu meinem Partner sagte: "Wenn
Atkins sagt, dass Glomsky eine Reihe von Zeitgenossen in der Hand
hatte, dann lässt das meiner Meinung nach tief schließen.
Möglicherweise verdiente er sein Geld gar nicht mit dem Handel von
Autoersatzteilen, sondern mit Erpressung, und sein Geschäft diente
nur der Geldwäsche."
"Mrs. Glomsky hat von einem Geschäftsführer gesprochen",
erwiderte Milo. "Der müsste ja mit Brad Glomsky unter einer Decke
gesteckt haben."
"Warum nicht? Wie mir scheint, hat Glomsky über eine besondere
Gabe verfügt, sich Menschen gefügig zu machen. Er hat seine
Stellung bei der CIA ausgenutzt und Material gesammelt, das er
einsetzen konnte, damit ihm die Betroffenen aus der Hand fraßen.
Ich denke, wir nehmen uns morgen mal diesen Jim Henders – so war
doch der Name, den uns Ludmilla Glomsky genannt hat – vor. Und
Troy, den Sohn, der mit seinem alten Herren den Kontakt abgebrochen
hat, werden wir uns auch mal zur Brust nehmen."
"Ich frage mich, ob vielleicht Atkins nicht doch mehr weiß,
als er uns gegenüber heute preisgegeben hat", streute Milo seine
Zweifel aus. "Er war mir fast schon ein bisschen zu ehrlich. Das
kann auch ein Manöver sein, um von sich abzulenken."
"Dieser Frage werden wir uns auf jeden Fall widmen", versetzte
sich. "Zunächst aber werden wir uns beim NCIC (Abk. für National
Crime Information Center 2000) kundig machen, ob es Einträge über
Mr. Dee Albert alias Dieter Albertz gibt."
Meine Hoffnungen konnte ich jedoch schnell begraben. Dee
Albert war nie straffällig geworden. Wenn ich jedoch Ken Atkins
Hinweise richtig auslegte, dann musste es etwas in seiner
Vergangenheit geben, das sich Glomsky zunutze gemacht hatte. Oder
waren sie auf eine andere Art eng miteinander verbunden?
Wenn die Firma, die Glomsky betrieben hatte, nur dem einen
Zweck diente, nämlich Geld, das aus illegalen Geschäften stammte,
zu waschen, dann musste Jim Henders involviert sein. Also wollten
wir uns zuallererst an ihn halten.
Am folgenden Morgen erschien ein Artikel in der New York
Times, der mich regelrecht elektrisierte. "Mord im
Geheimdienstmilieu", lautete die Überschrift. Die Unterüberschrift
verriet mir, dass vom Tod Brad Glomskys die Rede war. Da hieß es
nämlich: "Ehemaliger Agent der CIA durch Tollwutinjektion
ermordet."
Zur Hölle damit!, durchfuhr es mich. Woher hat der Journalist
seine Weisheiten? Ich zeigte Milo den Artikel und mein Partner
sagte: "Kaum anzunehmen, dass jemand vom Police Department geredet
hat. Hier, im Field Office, wissen nur Mr. McKee, du und ich von
der Sache. Also kann nur Ludmilla Glomsky an die Times
herangetreten sein. So etwas ist natürlich ein gefundenes Fressen
für jeden Zeitungsfritzen. Allein schon die reißerischen
Überschriften garantieren eine große Nachfrage."
Wir hatten uns zwar vorgenommen, gleich am Morgen in die
Spring Street zu fahren, jetzt aber wollten wir zuerst noch einmal
Mrs. Glomsky einen Besuch abstatten.
Die schöne Lady öffnete uns, mit einem weißen Bademantel
bekleidet, die Tür. Wahrscheinlich hatten wir sie aus dem Bett
geholt. Sie wirkte ziemlich konsterniert, und so klang ihre Frage
nach unserem Begehr nicht gerade freundlich.
"Wir würden Sie gerne noch einmal sprechen", erklärte ich, und
ich verlieh meiner Stimme, Ludmillas Tonfall entsprechend, keinen
bittenden, sondern einen fordernden Klang.
"Ich habe Ihnen alles gesagt, was es zu sagen gab", versetzte
sie. "Außerdem finde ich es nicht in Ordnung, dass Sie einfach vor
meiner Wohnungstür erscheinen und mich aus dem Bett holen. Das
nächste Mal, wenn Sie mich sprechen wollen, bitte ich Sie, mich
telefonisch vorab zu informieren."
Ich glaubte in der Wohnung ein Geräusch zu vernehmen. "Ist
jemand bei Ihnen?", fragte ich.
"Wie kommen Sie darauf?", fuhr sie mich an. "Aber selbst wenn:
Es dürfte für Sie kaum von Interesse sein. Sehen Sie lieber zu,
dass Sie den Mörder meines Mannes überführen. Das sollten Sie sich
zum Ziel setzen. Mein Privatleben geht Sie nichts an."
"Ihr Privatleben interessiert uns nicht, Mrs. Glomsky",
erwiderte ich. "Von Interesse für uns ist aber die Frage, wie Sie
dazu kommen, einem Reporter der Times gegenüber zu behaupten, dass
Ihr Mann ermordet wurde."
"Ist er doch! Zweifeln Sie daran?"
"Wenn es Mord war, dann haben Sie den Mörder – wer immer es
auch ist – gewarnt. Publik war bisher nur, dass Ihr Gatte an
Tollwut verstorben ist. Von Mord haben nur Sie gesprochen."
"Dadurch, dass ich mich an die Zeitung gewandt habe, werden
Sie gezwungen, tätig zu werden", giftete sie.
"Wir sind tätig", versetzte ich. "Und zwar seit dem Moment, in
dem uns der Fall auf den Schreibtisch geflattert ist."
Plötzlich entspannte sich Ludmilla. "Dass ich den Mörder
warnen könnte, daran habe ich nicht gedacht, als ich den
Journalisten mit meinem Verdacht vertraut machte. Das tut mir leid.
Aber ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht."
Ich glaubte ihr plötzlich kein Wort mehr. Warum das so war,
entzog sich im Moment noch meinem Verstand. Vielleicht war es eine
unterbewusste Reaktion auf ihr unfreundliches, fast schon
ungezogenes Verhalten. Ein Bauchgefühl? Ich konnte es nicht
erklären, aber der Gedanke, dass sie nicht nur die trauernde Witwe
war, die den Tod ihres Mannes aufklären wollte, ließ sich nicht
mehr verdrängen.
Hier kamen wir nicht weiter.
"Wir haben noch einige Fragen an Sie", sagte ich deshalb. "Ich
bitte Sie daher, heute Nachmittag um drei Uhr im Field Office,
dreiundzwanzigste Etage, vorzusprechen. Das ist eine offizielle
Vorladung, Mrs. Glomsky. Ich kann sie Ihnen auch schriftlich geben,
wenn Sie Wert darauf legen."
Sie warf den Kopf in den Nacken. "Ich werde da sein!", stieß
sie hervor. "Sonst noch etwas?" Sie hatte sehr schnell wieder zu
ihrer garstigen Art und Weise zurückgefunden. So von der Rolle, wie
sie uns das eben einzureden versucht hatte, war sie nicht.
"Das ist alles", antwortete ich. "Fünfzehn Uhr, Mr.
Glomsky."
Sie drückte die Tür zu.
"Warum hast du ihr die Fragen nicht gleich gestellt?", fragte
Milo, als wir wieder im Auto saßen.
"Weil sie uns nicht in die Wohnung gelassen hätte", antwortete
ich. "Sie hat Besuch."
"Meinst du, dass sie …" Der Schimmer des Begreifens glitt über
das Gesicht meines Partners. "Natürlich! Wir sind der Lady ziemlich
ungelegen gekommen."
"Warten wir ein wenig. Vielleicht verlässt jemand das Gebäude,
der als – hm, guter Freund des Hauses Glomsky in Frage kommen
könnte."
"Du formulierst das sehr vorsichtig, Partner", sagte Milo
hintergründig grinsend.
"Wir wollen doch der guten Frau nichts unterstellen",
versetzte ich.
Wir warteten. Einige Leute verließen das Gebäude, aber sie
kamen wohl nicht in Frage. Entweder handelte es sich um weibliche
Personen oder um Männer, die einfach nicht zu einem Verhältnis mit
der schönen Ukrainerin passen wollten. Zu alt, zu dick, zu wenig
attraktiv …
Aber dann kam einer, der die vierzig noch nicht überschritten
haben dürfte, elegant gekleidet, groß, sportlich, gut aussehend,
irgendwie einen weltmännischen Eindruck vermittelnd. Die Art, wie
er, ehe er das Gebäude verließ, unter der Haustür stehend nach
allen Seiten sicherte, verriet, dass er vielleicht etwas zu
verbergen hatte.
"Das könnte unser Mann sein", knurrte Milo.
Ich nickte. Wir konnten uns allerdings auch täuschen. Es gibt
Menschen, die immer gestresst, um nicht zu sagen, gehetzt
wirkten.
Jetzt verließ der Bursche das Gebäude, wandte sich nach links,
also weg von uns, und stieg etwa fünfundsiebzig Yards entfernt in
einen Ford, der am Straßenrand parkte. Die 35th konnte nur in
westliche Richtung befahren werden. Wir standen also richtig.
Wir folgten dem Mister auf gut Glück in Richtung Westen.
Irgendwann bog der Ford nach Süden ab.
Um es kurz zu machen, wir landeten in der Spring Street, um
genau zu sein, vor einem Laden, über dem ein Schild mit der
Aufschrift Automobile Spare parts Business hing. Inhaber: Brad
Glomsky.
Der Ford war durch eine Einfahrt im Hinterhof des Gebäudes
verschwunden.
"Wie es scheint, sind wir dem richtigen Mann gefolgt", gab
Milo zum Besten.
Ich war rechts ran gefahren und wir warteten. Gleich darauf
ging die Tür des Ladens auf, und der Bursche, dem wir gefolgt
waren, zeigte sich. Er musste das Gebäude durch die Hintertür
betreten haben. Nun trat er einen Schritt vor den Laden, schwenkte
den Blick nach links und nach rechts, machte kehrt und ging in das
Geschäft zurück.
"Ich vermute, es handelt sich um Jim Henders", murmelte
ich.
"Davon bin ich überzeugt", erwiderte Milo. "Und wie es
aussieht, handelt es sich bei ihm nicht um einen Freund des Hauses
Glomsky, sondern um den Hausfreund der schönen Ukrainerin. Dreimal
darfst du raten, was mir jetzt durch den Kopf geht, Partner."
"Ich glaube es zu wissen, ohne raten zu müssen", versetzte
ich.
"Was tun wir?", fragte Milo. "Knöpfen wir ihn uns gleich vor,
oder warten wir erst mal ab, was uns die feine Dame heute
Nachmittag mitzuteilen hat? Wenn ihr Mann den
Kfz-Ersatzteile-Handel nur als Scheingeschäft betrieben und sein
Vermögen auf zwielichtige Art und Weise gemacht hat, dann kann das
nicht von ihr unbemerkt geblieben sein. Und Jim Henders, den sie
als Geschäftsführer bezeichnete, der hier aber lediglich die
Stellung gehalten zu haben schien, war ebenfalls in die dubiosen
Geschäfte eingeweiht. Ich denke, wir warten nicht. Ich schließe
nämlich nicht aus, dass Glomsky den beiden im Weg gestanden hat und
deswegen sterben musste."
"Ich gebe dir recht", sagte ich. "Es wäre ein Motiv. Die Art
und Weise, mit der sie ihn gegebenenfalls um die Ecke gebracht
haben, wäre allerdings schon recht außergewöhnlich. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass es besonders einfach ist, an Tollwutviren
heranzukommen."
"Reden wir mit Mr. Henders", kam es recht süffisant von
Milo.
6
Als wir den Laden betraten, blitzte es in Jim Henders‘ Augen
auf; es mutete an wie ein Signal. Er wusste, wer wir waren. Jähe
Rastlosigkeit prägte jeden Zug in seinem markanten Gesicht.
"Guten Tag", grüßte ich, zückte mein Etui mit der ID-Card,
klappte es auf und hielt es hoch. "Ich bin Special Agent Trevellian
vom FBI New York, das ist mein Kollege Special Agent Tucker. Gehe
ich richtig in der Annahme, dass Sie Mr. Henders sind?"
Er war in der Tat die personifizierte Unruhe. Mit fahriger
Geste strich er sich mit Daumen und Zeigefinger über den
Nasenrücken. "Ja, mein Name ist Henders." Er hatte Mühe, zu
sprechen. Seine Stimme klang belegt wie die Stimme eines Kranken.
Seine Mundwinkel zuckten leicht. Er wollte scheinbar noch etwas
sagen, zog es jedoch vor, zu schweigen.
"Mrs. Glomsky wollte Sie telefonisch darauf vorbereiten, dass
wir irgendwann vorbeikommen, um die Unterlagen bezüglich der
Geschäftsverbindungen Brad Glomskys mit dem Nahen Osten und anderen
Partnern einzusehen. Sie hat uns versichert, dass wir keine
richterliche Anordnung benötigen."
Er schien aufzuatmen. Noch hatten wir ja mit keinem Wort
verraten, dass wir ihm von der 35th hierher gefolgt waren. Er
schien davon auszugehen, dass wir nach unserer Vorsprache bei
Ludmilla Glomsky sofort in die Spring Street gefahren waren. "Die
Ordner stehen im Büro. Bitte, folgen Sie mir."
Er verließ den Laden, in dem es eine große Anzahl von Regalen
gab, in denen alle möglichen Ersatzteile gelagert waren, durch eine
Tür hinter der Verkaufstheke. Wir folgten ihm. In dem Büro, in das
er uns führte, standen zwei Schreibtische sowie zwei Schränke aus
Stahlblech, deren Türen aber geschlossen waren. Er öffnete sie, und
wir erblickten sauber beschriftete, weiße Ordnerrücken. Jeweils
fünf Regale, gefüllt bis auf den letzten Platz.
"Bitte", stieß Henders hervor. "Das sind die Unterlagen, die
wir für die Finanzbehörde führen und die ich Ihnen für Ihre
Ermittlungen gerne zur Verfügung stelle."
"Sind Sie der einzige Mitarbeiter hier im Betrieb?", fragte
Milo.
"Ja. Wir haben Selbstbedienung. Wobei das Ladengeschäft mehr
oder weniger nebenbei herläuft. Unser hauptsächliches Geschäft ist
der Großhandel, sind die Onlinebestellungen aus aller Welt."
Milo war bei der Tür stehengeblieben. Ich setzte mich auf die
Kante eines der Schreibtische und verschränkte die Arme vor der
Brust. "Wir haben einen Hinweis erhalten, Mr. Henders, dass es sich
bei diesem Laden nur um eine gut getarnte Scheinfirma handeln soll,
die der Geldwäsche dient."
Ich nahm jetzt kein Blatt mehr vor den Mund. Mein Blick hatte
sich regelrecht an seinem Gesicht verkrallt, mir sollte nicht die
geringste Reaktion in seinen Zügen entgehen.
"Wer behauptet das?", fuhr er mich an, doch er verriet
Unsicherheit.
"Das spielt keine Rolle", antwortete ich. "Ich vermute, dass
es die meisten Besteller und Geschäftspartner, deren Namen wir in
diesen Ordner zu lesen bekommen, gar nicht gibt."
Henders konnte meinem durchdringenden Blick nicht standhalten.
Er wandte sich halb ab, duckte sich ein wenig und wirkte wie
jemand, der im nächsten Moment die Flucht ergreifen wollte. Aber
die Tür blockierte Milo, und der signalisierte Entschlossenheit und
auch Bereitschaft, jedweden Fluchtversuch im Keim zu
ersticken.
Henders räusperte sich, schluckte und sagte heiser: "Bitte, da
stehen die Ordner. Sie können sie gerne beschlagnahmen und sichten.
Das Problem für Sie dürfte sein, dass sich unsere meisten
Geschäftspartner im Ausland befinden."
"Im Nahen Osten, wie?", fragte ich mit spöttisch angehauchter
Stimme.
"Unter anderem", erhielt ich Bescheid.
"Na schön", sagte ich. "Dann reden wir mal Tacheles
miteinander, Mr. Henders. Sie haben die Nacht bei Mrs. Ludmilla
Glomsky verbracht, und da deren verstorbener Gatte noch nicht mal
richtig kalt ist, vermuten wir, dass das Verhältnis schon zu seinen
Lebzeiten bestand."
Jetzt hätte Henders wohl keinen Tropfen Blut vergossen, wenn
man ihn angestochen hätte. Sein Gesicht hatte die Starre einer
Maske angenommen und sich sogar ein klein wenig entfärbt. Plötzlich
taumelte er zu einem Stuhl und ließ sich darauf fallen. "Jetzt
denken Sie sicher, dass wir – Ludmilla und ich – ihn aus dem Weg
geräumt haben", keuchte er. Das Sprechen schien ihm plötzlich Mühe
zu bereiten. Es war, als würden unsichtbare Hände seine Kehle
umklammern.
"Die Annahme liegt sehr nahe", versetzte ich ungerührt.
Henders ließ den Kopf sinken. Nach vorne gekrümmt saß er da,
seine Unterarme lagen auf den Oberschenkeln, seine Hände baumelten
zwischen den Knien. "Wir haben Brad nicht ermordet", ächzte
er.
"Aber Ihr Interesse, ihn aus dem Weg zu haben, war groß",
erklärte Milo. "Er war mal CIA-Agent, und dazu ausgebildet,
Menschen auf die eine oder andere Art vom Leben zum Tod zu
befördern. Wäre er Ihnen und seiner Gattin auf die Schliche
gekommen, hätte er sich ganz sicher etwas einfallen lassen für Sie,
möglicherweise auch für Ludmilla. Davor fürchteten Sie sich, und so
haben Sie beschlossen, ihm zuvorzukommen."
"Sie irren sich", keuchte Henders.
Wir hatten ihn an der Angel. Er konnte sich an fünf Fingern
abzählen, dass der Verdacht, er habe Brad Glomsky ermordet, nahe
lag und erdrückend war.
"Klären Sie uns auf", forderte ich nach einer Weile, in der
geradezu betretenes Schweigen herrschte. "Womit hat Glomsky
tatsächlich sein Geld verdient?"
"Er hat mit Autoersatzteilen …"
Ich ließ Henders nicht ausreden. "Das waren Scheingeschäfte!",
fuhr ich ihm in die Parade. "Und das festzustellen dürfte nicht
schwer sein. Ein Anruf im Field Office genügt, um ein halbes
Dutzend Kollegen anzufordern, die den Laden auf den Kopf stellen
und alles das hier", ich vollführte eine umfassende Armbewegung,
"mitnehmen, was meiner Meinung nach keiner Nachprüfung standhält.
Dann haben wir Sie aber auch am Haken, Mr. Henders. Wenn Sie sich
als kooperativ erweisen, wird dies jedes Gericht der Welt
honorieren."
"Sie verlangen von mir, dass ich mir mein eigenes Grab
schaufle?", knirschte Henders.
"Seit wann geht das schon mit seiner Frau?", fragte Milo, ohne
darauf einzugehen. Mein Partner hatte ebenso wie ich erkannt, dass
Henders "reif" war. Er brauchte sicherlich nicht mehr viel, um zu
singen wie ein Vogel.
"Seit einem halben Jahr", antwortete er.
"Von wem ist es ausgegangen? Von Ihnen oder von Mrs.
Glomsky?", erkundigte ich mich.
"Es hat sich so ergeben", murmelte Henders. Er griff sich an
den Kopf, taumelte hoch und begann erregt im Raum hin und her zu
laufen. "Weder Ludmilla noch ich haben irgendetwas mit Brads Tod zu
tun. Glauben Sie mir doch! Denken Sie, Ludmilla wäre an die Times
herangetreten und hätte es publik gemacht, dass ihrer Meinung nach
ihr Mann ermordet worden ist?"
Milo und ich wechselten einen schnellen Blick. Ludmilla war
auch an die Polizei mit der Mordversion herangetreten. Da war
allerdings schon bekannt gewesen, dass es kein Zeckenbiss gewesen
war, der den Tod ihres Mannes verursachte, sondern ein
Tollwutvirus. An Mord hatte außer ihr aber niemand gedacht. Ein
Indiz, dass sie nicht als Täterin in Frage kam.
Daran schien Jim Henders in dieser Stunde aber nicht zu
denken. Und wir wiesen ihn auch nicht darauf hin. Ich erwiderte
viel mehr: "Das kann ein Ablenkungsmanöver gewesen sein, Mister
Henders."
In der Liebe und im Krieg, sagt man, ist alles erlaubt. Um
einem fiesen Zeitgenossen auf die Spur zu kommen, durfte man ohne
Gewissensbisse auch mal mit Hinweisen oder Informationen hinter dem
Berg halten. Dass Glomsky nicht der integre Automobilhändler
gewesen war, den die Welt in ihm gesehen hatte, war mir seit dem
Gespräch mit Ken Atkins klar. Leider hatte auch Atkins, die
Aktivitäten Glomskys betreffend, viel zu wenig hinter die Kulissen
geblickt.
"Setzen Sie sich wieder, Mister Henders!", gebot ich.
Er sank wieder auf den Stuhl nieder. "Okay", stieß er hervor.
"Ich gestehe, dass ich Glomsky dabei unterstützt habe, diese
Scheinfirma aufzubauen. Ich bin gelernter Buchhalter und habe auch
einige Zeit in einem Steuerberatungsbüro gearbeitet. Glomsky zahlte
mir ein fürstliches Gehalt, und ich stand ihm zu Diensten."
Eine Äußerung Ken Atkins kam mir in den Sinn. Es gab einige
Leute, die Brad gewissermaßen in der Hand hatte. Leute, die Dreck
am Stecken haben …
Zählte Jim Henders zu diesen Leuten?
Nun, ich ließ diese Frage mal dahingestellt, denn ich wollte
Jim Henders‘ Redefluss nicht stören.
"Also hatte Glomsky eine andere Einnahmequelle", hörte ich
meinen Partner sagen. "Was war das für eine? Mit Arbeit scheint er
sich ja die Hände nicht schmutzig gemacht zu haben. Eher schon mit
zwielichtigen Geschäften. War er im Drogengeschäft tätig? In der
Cyberkriminalität? Was hat er getrieben, Mister Henders?"
Milos Stimme hatte den Klang zerspringenden Glases. Sie ließ
keine Ausflüchte mehr zu. Unsere zwingenden Blicke bannten Henders
regelrecht, er hielt ihnen nicht länger stand und schloss die
Augen. "Erpressung!", stieß er schließlich hervor.
Das Wort stand im Raum wie ein Manifest.
Wir hatten es geahnt. Ken Atkins‘ Erklärungen hatten diesen
Schluss zugelassen.
Henders hatte die Augen wieder geöffnet und schaute uns
abwechselnd an. Es war ein Blick voll Erwartung, aber auch voll
Angst. Ich fragte mich, wen er fürchtete. "Wusste seine Frau
davon?", wollte ich wissen. Es war der erste Gedanke, der mir durch
den Kopf zuckte.
"Nein. Ludmilla war der festen Überzeugung, dass Brad sein
Geld mit dem Handel von Kfz-Ersatzteilen verdiente. Ich ließ sie in
dem Glauben, auch nachdem wir das Verhältnis begonnen
hatten."
"Wen fürchten Sie dann noch?", fragte ich. Es war mehr oder
weniger ein Versuchsballon, den ich steigen ließ. Der Ausdruck von
Angst auf dem Grund seiner Augen, nachdem er Glomskys Geldquelle
verraten hatte, war zwar nicht zu übersehen gewesen, es war aber
auch möglich, dass ich ihn falsch interpretierte.
"Den Mann, der für Brad die Schmutzarbeit erledigte."
"Wer ist dieser Mann?", hakte Milo sofort nach.
"Ich kenne ihn nicht."
"Okay, okay", stieß ich hervor. "Der Reihe nach. Glomsky
erpresste also Leute. Es waren Menschen, die irgendwann einmal was
angestellt haben, was er während seiner Zeit als CIA-Agent
herausgefunden hat, die er jedoch nicht an den Pranger stellte,
sondern sich mit seinem Insiderwissen gefügig machte."
"Genauso war es. Unter ihnen waren Mafioso, Waffenhändler,
Barbesitzer, die illegales Glücksspiel oder Prostitution in den
Hinterzimmern ihrer Etablissements duldeten, Autoschieber, Männer,
die mit einer falschen Identität in den Staaten lebten und denen in
ihren Heimatländern hohe Strafen drohten. Beispielsweise
Kriegsverbrecher aus den Balkankriegen in den Neunzigern …"
"Donnerwetter!", entfuhr es mir. "Das ist ja eine feine Liste.
Hat sich denn nie einer dieser Leute gewehrt?"
"Wer nicht zahlte, starb", versetzte Henders. "Niemand von den
Betroffenen wusste, wer hinter den Erpressungen steckte. Brad ließ
ihnen Kopien des Materials zukommen, das er in Händen hatte, und
forderte diese oder jene Summe, die auf ein Offshore-Konto zu
überweisen war. Kam das Geld, erpresste er weiter. Kam das Geld
nicht, schickte Brad seinen Mann für die Schmutzarbeit."
"Meistens kam das Geld, wie?", fragte ich.
"Ja. Zum Teil riesige Summen."
"Womit hatte Brad Sie in der Hand, Mr. Henders?" Meine Frage
kam wie aus der Pistole geschossen und überraschte den geständigen
Gangster.
"Wie – wie kommen Sie darauf?", stammelte er, als er sich
gefasst hatte.
"Ich glaube nicht, dass Glomsky Ihnen einen derartigen
Einblick in seine verbrecherischen Transaktionen gestattet und Sie
gewissermaßen als Zuarbeitenden geduldet hätte, wenn er Ihnen die
Zügel nicht fest anlegen hätte können."
"Er – er hat mich gut bezahlt", bekannte Henders.
Ich änderte das Thema, indem ich sagte: "Können Sie uns Namen
nennen? Namen von Leuten, die an Glomsky gezahlt haben, die Namen
der Leute, die nicht an Glomsky gezahlt haben."
"Nein. So tief hat sich der Boss nicht in die Karten blicken
lassen", antwortete Henders.
"Hat Mrs. Glomsky mit Ihnen darüber gesprochen, dass sie sich
zum einen an die Polizei und zum anderen auch an die Times wenden
wolle?"
"Nein. Ich hätte es ihr ausgeredet." Henders atmete tief
durch. "Brad kann sich sonst wo infiziert haben. Wenn ihm das Virus
aber injiziert worden ist, dann ist ihm einer von denen, die er um
eine Menge Geld erleichtert hat, auf die Schliche gekommen. Ich
meine, er hat herausgefunden, wer der Erpresser ist."
"Ihnen ist sicher klar, dass wir Ihre Rolle in der
Inszenierung, die Glomsky mit diesem Laden aufgeführt hat, der
Anklagebehörde melden müssen. Der Staatsanwalt bekommt aber von uns
gleichzeitig mitgeteilt, dass Sie kooperativ waren. Ich rate Ihnen,
Mr. Henders, sich für die Polizei zur Verfügung zu halten. Und –
wenn sich in ihrem Keller irgendeine", ich malte zwei
Anführungszeichen in die Luft, "Leiche befindet, dann halten Sie
damit nicht hinter dem Berg. Ich will damit zum Ausdruck bringen,
dass, wenn es einen dunklen Punkt in Ihrer Vergangenheit gibt, den
sich Glomsky zunutze gemacht und Sie erpresst hat, Sie darüber
reden sollten."
Henders zog die Unterlippe zwischen seine Zähne und kaute
darauf herum.
Ich holte eine von meinen Visitenkarten aus der Brieftasche
und legte sie auf den Tisch. "Falls Ihnen noch etwas einfällt …",
sagte ich. "Eine Frage habe ich noch", fügte ich hinzu. Sie war mir
tatsächlich erst im allerletzten Moment eingefallen. "Sagt Ihnen
der Name Dee Albert etwas?"
Er schaute versonnen auf einen unbestimmten Punkt, schüttelte
schließlich den Kopf und sagte: "Nein. Den Namen kenne ich
nicht."
Wir ließen ihn alleine.
Wahrscheinlich erlebte er, nachdem wir gegangen waren, sein
ganz persönliches Waterloo. Man könnte es auch Fegefeuer
nennen.
7
"Jetzt wissen wir zumindest, wes Geisteskind Brad Glomsky
war", gab Milo zu verstehen, als wir auf dem Weg nach Chelsea
waren. Wir wollten noch mit Troy Glomsky sprechen, dem Sohn des
Verstorbenen, der sein feudales Leben mit Erpressung finanziert
hatte.
"So fügt sich ein Mosaikstein zum anderen", erwiderte ich. "Es
scheint gar nicht mehr so abwegig zu sein, dass Glomsky auf
gewaltsame Art vom Leben zum Tod befördert worden ist. Aber welcher
normale Sterbliche kommt an Tollwutviren heran, die er einem
gehassten Zeitgenossen in die Blutbahn spritzt?"
"Das ist die Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen",
sinnierte Milo laut. "Wenn man Henders glauben darf, dann hatte
Ludmilla keine Ahnung von den dubiosen Machenschaften ihres Mannes.
Henders hatte vielleicht ein Motiv, Glomsky zu seinen Ahnen zu
schicken. Ob er dazu Tollwutviren verwendet haben würde, ist
ausgesprochen fraglich. Wenn er Glomsky los sein wollte, hätte er
ihn sicherlich auf elegantere Weise abserviert."
"Das unterstelle ich aber auch seinen Opfern", versetzte ich.
"Einer, der sich solche Viren beschafft, um jemanden umzubringen,
der ihn erpresst, würde sich ja der Stimmung eines anderen
potentiellen Erpressers ausliefern. Solche Viren gibt es nur in
Laboratorien. Man kann da nicht einfach hingehen, und sich ein paar
Gramm Tollwutviren kaufen. Also muss man über Beziehungen verfügen,
um an das Zeug heranzukommen. Und man muss wahrscheinlich sehr,
sehr viel Geld dafür auf den Tisch blättern. Es gibt billigere
Möglichkeiten, jemand den Garaus zu machen."
"Vielleicht ist Hass mit im Spiel", gab Milo zu bedenken.
"Tödlicher Hass, der hohe Ausgaben und ein hohes Risiko nicht
scheut, um das Projekt seiner Leidenschaft über die Maßen zu
quälen. Dass Glomsky furchtbar litt, bis ihn der Tod erlöste,
dürfte unbestritten sein."
"Das sind alles Spekulationen, die uns nicht weiterbringen,
Partner", knurrte ich. "Wobei ich zugeben muss, dass sich mir im
Zusammenhang mit einem möglichen Mord unter Zuhilfenahme von
Tollwutviren immer wieder der Name Dee Albert aufdrängt. Wie wir
jetzt wissen, hatte Glomsky viele Leute in der Hand, die aufgrund
ihrer Vergangenheit sein feudales Leben finanzierten. Er und Albert
waren beim Geheimdienst, zuletzt sogar beim selben Verein.
Möglicherweise hatte er auch Albert in der Hand."
"Auch mir geistert der Name immer wieder durch den Kopf",
gestand Milo. "Die Frage ist, ob er zu jemandem Beziehungen hat,
der in einem Labor tätig ist, das mit Tollwutviren experimentiert.
Vielleicht sollten wir uns noch einmal mit Dee Albert alias Dieter
Albertz unterhalten."
Von nun hing jeder seinen eigenen Gedanken nach. Wir hatten
begonnen, in einem Sumpf des Verbrechens zu stochern. Eine
ausgesprochen niedrige Gesinnung, Skrupellosigkeit, Heimtücke,
Habgier und ein hohes Maß an Menschenverachtung waren für Glomsky
bestimmend gewesen.
Klar war aber immer noch nicht, ob er ermordet worden war oder
ob er sich bei einem Tier mit Tollwut infiziert hatte.
Ich tendierte schon fast dazu, an die Mordgeschichte zu
glauben.
Mir stellten sich tausend Fragen. Wer waren die Leute, die er
erpresste? Welche Morde hatte er auf dem Gewissen? Was spielte Dee
Albert für eine Rolle? Wo befanden sich die Unterlagen, auf die
Glomsky zurückgreifen konnte, mit denen er seine Opfer gefügig
machte?
Es gab noch eine Menge mehr Fragen. Ich sagte mir, dass es
vielleicht interessant sein würde, mit Ehefrau Nummer drei und vier
zu sprechen. Nummer eins war leider verstorben. An ihrer Stelle
konnten wir uns nur mit Troy, ihrem Sohn, den sie gemeinsam mit
Glomsky hatte, an einen Tisch setzen.
Über diesen Gedanken erreichten wir die 22nd Street. Es
handelte sich ab der 10. Avenue in Richtung Osten um eine
Einbahnstraße. Es hatte also einiger Umwege bedurft, um sie
befahren zu können. Langsam ließ ich den Wagen an den Gebäuden
entlang rollen, sodass Milo Gelegenheit hatte, die Schilder mit den
Hausnummern zu studieren.
Hinter mir hupte ein ungeduldiger Cabdriver, aber ich ließ
mich nicht aus der Ruhe bringen. Schließlich stieß Milo hervor:
"Das ist der Bau, dessen Nummer uns angegeben worden ist."
Es handelte sich um ein etwa zehnstöckiges Gebäude. Ich setzte
den Blinker und fuhr rechts ran. Sofort gab der Cabby Gas und
zischte an uns vorbei. Er hielt die rechte Hand in die Höhe und
zeigte mir den Mittelfinger. Zwei – drei weitere Fahrzeuge
überholten uns, aber keinem der Fahrer fiel es ein, mir ebenfalls
anzuzeigen, was er von meiner Fahrweise hielt. Die Kerle mit ihren
Yellow Cabs hatten es eben immer eilig. Zeit war für sie
Geld.
Ich parkte also unseren Wagen, wir stiegen aus und strebten
dem Eingang des Gebäudes zu. "Howdy", grüßte der Doorman lässig und
grinste. "Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?"
Ich sagte ihm, zu wem wir wollten, und da diese Burschen
oftmals Zicken machten, weil sie sich berufen fühlten, keine
ungebetenen Gäste zu den Hausbewohnern vordringen zu lassen, zeigte
ich ihm meine Dienstmarke. Sein Grinsen gerann wie Sauermilch. "Hat
unser guter Reverend was ausgefressen, das das FBI auf den Plan
ruft?", zeigte er sich geradezu entsetzt.
"Wir möchten ihn sprechen", versetzte ich. "Nicht mehr und
nicht weniger."
Der Portier kratzte sich am Hals. "Es ist fraglich, ob er zu
Hause ist." Er wies auf das Telefon. "Soll ich mal
nachfragen?"
"Wenn es nicht zu viel verlangt ist", knurrte mein Freund und
Partner Milo.
Der Bursche, er war höchstens zwanzig Jahre alt, griff nach
dem Hörer, tippte eine Kurzwahl und lauschte kurz. Dann sagte er:
"Entschuldigen Sie, Reverend. Da sind zwei Gentlemen, die Sie gerne
sprechen würden." Mit gesenkter Stimme fügte er hinzu: "Sie sind
vom FBI." Wieder lauschte er sekundenlang, dann bedankte er sich
und legte auf. "Vierte Etage, Apartment Nummer vier-null-zwei-drei.
Der Reverend erwartet Sie."
Wir nahmen den Fahrstuhl.
8
Wir mussten nicht lange suchen, denn Troy Glomsky erwartete
uns schon vor der Tür seiner Wohnung. Er war ein großer, hagerer
Mann Mitte dreißig, besaß ein knochiges Pferdegesicht, seine Haare
waren dunkel, die Augen braun. Er trug zivile Kleidung. Nichts an
ihm erinnerte an einen Priester.
"Mr. Glomsky?", sagte ich fragend.
Er nickte. "FBI-Agents kenne ich eigentlich nur aus Filmen",
spaßte er und grinste. Es erinnerte mich an das Zähnefletschen
eines Dobermanns. "Was führt Sie denn zu mir?"
Hatte er wirklich keine Ahnung?
"Haben Sie heute nicht die Times gelesen?", fragte ich.
"Nein. Ich bin kein Leser derart profaner Literatur",
antwortete Troy.
"Dann wissen Sie wohl noch gar nicht, dass Ihr Vater
verstorben ist?", kam meine nächste Frage.
Er war kein bisschen überrascht. "Sagen Sie bloß", war sein
Kommentar. "Bitte, kommen Sie herein. Wundern Sie sich aber nicht,
wenn es ein bisschen chaotisch zugeht bei mir. Ich führe einen
Junggesellenhaushalt, und Ordnung ist nicht meine Stärke."