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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen
haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun.
Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Der Fall mit dem Stadtpark-Killer
von Alfred Bekker
1
Ich machte mit dem Mann, den man auf dem Kiez nur den
Libanesen nennt, mal wieder eine Segeltour auf der Außenalster. Ab
und zu treffen wir uns zu einer einer Art informellen Austausch:
Er, die Halbweltgröße von St. Pauli und ich, Kriminalhauptkommissar
Uwe Jörgensen von einer Spezialabteilung der Kripo und des BKA, die
sich vorrangig mit den großen Fällen und der organisierten
Kriminalität beschäftigt.
Wir sind schon ein einmaliges Paar, der Libanese und
ich.
Seit ich ihm mal bei einer Schießerei das Leben gerettet habe,
ist er mir was schuldig. Aber das ist eine andere Geschichte. Die
will ich jetzt nicht erzählen.
Er gibt mir hin und wieder Tipps, an die ich sonst nicht
herankommen würde. Inoffizielle Informationen. Dinge, die man in
der Szene so hört. Sachen, die herumerzählt werden - nur Leuten wie
mir eben nicht, die mit einer Polizeimarke herumlaufen und
wahrscheinlich ohne Marke und ohne irgendwelche offiziellen
Insignien immer ein bisschen staatstragend und beamtenähnlich
wirken, sodass man ihnen misstraut.
Manchmal lädt mich der Libanese in eines seiner
Striptease-Lokale auf St. Pauli ein. Das ist ja okay. Etwas
anstrengender wird es, wenn ich ihn in seiner Shisha-Bar treffe.
Dieses Gedampfe und Geblubber ist schwer erträglich. Ich atme
lieber frei. Insofern ist es schon das Beste, wenn wir uns auf
seinem Jollenkreuzer treffen und damit auf der Außenalster
unterwegs sind. Außerdem hört uns da garantiert niemand zu.
»Wallah, ich habe gehört, dass jemand nach Hamburg kommt, von
dem ihr wissen solltet«, sagte der Libanese.
»Wer?«, fragte ich.
»Jaffar as-Zadik.«
»Aha…»
»Der Name ist arabisch.«
»Habe ich mir schon gedacht.«
»Er sollte dir was sagen.«
»Man kann nicht alles im Kopf haben. Aber er kommt mir bekannt
vor.«
»Wallah, ich erspare dir die Datenabfrage. Der Mann ist ein
internationaler Top-Terrorist.«
»Hast du eine Ahnung, was er in Hamburg will?«
»Nein. Aber ich dachte, es ist besser, ihr wisst Bescheid.
Vielleicht irre ich mich ja auch. Vielleicht hat der, von dem ich
es gehört habe, auch nur Unsinn geredet. Aber das glaube ich nicht.
Der weiß im Allgemeinen sehr gut Bescheid.«
»Ist wahrscheinlich sinnlos, dich danach zu fragen, von wem du
das weißt.«
»Wallah.«
»Ich weiß, das gehört zu unseren Abmachungen.«
»Keine Fragen nach den Quellen.«
»Musst du verstehen! Die Quellen versiegen sonst. Aber ich
wette, deine Vorgesetzten werden sich freuen, vorher informiert zu
sein, wenn jemand wie Jaffar as-Zadik in der Stadt ist.«
Ich atmete tief durch, während der Libanese zu einer Wende
ansetzte und wir uns auf die andere Seite des Bootes setzten. »Ich
hoffe nur, dieser Kerl hat nicht gerade ein Paket Sprengstoff
dabei!«
»Damit muss man bei solchen Typen immer rehnen«, sagte der
Libanese.
*
Ein sonniger Nachmittag im Stadtpark Planten un Blomen, ganz
in der Nähe des Cafés Seepavillon. Das Wasser des Parksees
glitzerte in der Sonne. Auf den Uferpromenaden tummelten sich
Jogger und Radfahrer. Jugendliche Skateboardfahrer führten
Kunststücke vor. Die wummernden Bässe eines Ghettoblasters mischten
sich mit dem Stimmengewirr.
Der Fahrer eines Trekking-Bikes fuhr geschickt zwischen den
Scharen von Passanten hindurch. Er trug Radfahrerkleidung und einen
hinten spitz zulaufenden Helm. Der Großteil des Gesichts war von
einer Sonnenbrille mit Spiegelgläsern verdeckt. Der Biker hielt an,
stützte sich auf den linken Fuß. Ein kaltes Grinsen umspielte die
Lippen, als er den Reißverschluss seiner Bauchtasche öffnete. Seine
rechte Hand langte hinein. Die Finger legten sich um den kalten
Griff einer Pistole.
Der Blick des Bikers fixierte zwei Männer. Der eine war groß,
schlaksig und war mit einem dunklen Anzug bekleidet. Schon deswegen
fiel er unter den Joggern und Skateboardern ziemlich auf. Der
andere war klein und breitschultrig. Er trug eine braune
Lederjacke. Die beiden waren in ein ziemlich gestenreiches Gespräch
verwickelt. Der Mann im Anzug setzte eine Sonnenbrille auf. Sein
Gesicht war rot. Der Breitschultrige in der Lederjacke redete auf
ihn ein.
Ein Skateboarder kurvte riskant um die beiden herum und
balancierte dabei auch noch einen Ghettoblaster auf den Schultern.
Der Mann im Anzug wich ein Stück zur Seite.
Der Biker fasste unterdessen den Griff der Pistole fester,
entsicherte sie.
Ein guter Jäger muss den richtigen Moment abwarten!, dachte er
kalt. Ein guter Jäger - oder ein Killer!
So war das eben.
Darauf lief es hinaus.
Er beobachtete, wie der Mann im Anzug in die
Jackettinnentasche griff und ein gepolstertes, braunes Kuvert
herausholte. Der Kerl in der Lederjacke riss es förmlich an sich,
verbarg es dann sofort unter der Jacke. Er drehte sich kurz um,
ließ den Blick kreisen. Um ein Haar rempelte er einen Jogger an,
als er einen Schritt zur Seite machte.
Der Killer erkannte jetzt, dass er nicht länger zögern durfte.
Sonst würde es unmöglich werden, beide Männer auf einmal zu
töten.
Er fuhr einhändig los, umklammerte dabei nach wie vor den
Griff der Waffe, ohne sie jedoch aus der Bauchtasche herauszuholen.
Er trat kräftig in die Pedale, hatte einen hohen Gang eingelegt und
beschleunigte. Er hielt direkt auf die beiden Männer zu, riss dann
die Pistole hervor. Auf dem Lauf befand sich ein aufgeschraubter
Schalldämpfer. Der Mann im dunklen Anzug erkannte als Erster die
Gefahr. Sein Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schreckens. Der
erste Schuss des Killers traf ihn mitten in die Stirn. Der
Getroffene taumelte zurück, einem Skateboarder direkt in die
Arme.
Beide stürzten zu Boden.
Der Mann in der Lederjacke wirbelte unterdessen herum, riss
einen kurzläufigen Schnitter & Wesson Revolver hervor. Er kam
nicht mehr zum Schuss. Einen Sekundenbruchteil, bevor er abdrücken
konnte, traf ihn die erste Kugel aus der Schalldämpferwaffe des
Bikers im Brustkorb. Das Geräusch, das dabei entstand war nicht
lauter als der Schlag mit einer Zeitung. Der Mann in der Lederjacke
sackte in sich zusammen, presste die Hand gegen das Hemd. Rot rann
es zwischen seinen Fingern hindurch. Er ächzte, versuchte den Arm
mit dem Revolver noch einmal hochzureißen. Aber der Arm gehorchte
ihm nicht mehr. Reglos blieb er liegen.
Der Killer-Biker ließ indessen die Schalldämpfer-Pistole in
der Bauchtasche verschwinden, kurvte rücksichtslos zwischen den
Joggern und Spaziergängern hindurch. Einen Skateboarder fuhr er
brutal um. Der Mann schrie auf, als er die Lenkstange in die Seite
bekam. Der Biker beschleunigte, jagte dann quer über eine der
Liegewiesen. Er erreichte einen der Wege, die in Richtung des nahen
Wäldchens führten, einem teils ziemlich einsamen und menschenleeren
Waldstück mitten im Stadtpark.
Wie erstarrt standen die Passanten da.
Es dauerte ein paar Schrecksekunden, ehe jemand zum Handy
griff. Ein Pulk von Schaulustigen bildete sich.
Eine junge Frau mit langen, bis über die Schultern reichenden
braunen Haaren drängelte sich entschlossen durch die Passanten
hindurch. Sie trat an den Mann mit Lederjacke heran, kniete sich
nieder und beugte sich über ihn.
»Ich bin Ärztin!«, rief sie den Leuten zu. »Rufen Sie doch die
Notfallambulanz!«
Der Mann atmete noch ganz flach.
Sie beugte sich über ihn, griff in die Innentasche des
Jacketts und holte das braune Kuvert heraus. Sie tat so, als wollte
sie ihn untersuchen und erste Hilfe leisten. Niemand bemerkte die
Nadel, die plötzlich aus ihrem Schlüsselanhänger herausragte.
Die junge Frau stach zu, nahm den braunen Umschlag und erhob
sich.
Sie drängte sich an einem jungen Mann vorbei, der sie
misstrauisch anstarrte.
»Wie lange dauert das denn! Der Mann stirbt!«, rief sie.
In der Ferne ertönten die Martinshörner von Polizei und
Rettungswagen. Aber als die Einsatzkräfte den Ort des Geschehens
erreichten, war die junge Frau längst in der anonymen Menge der
Gaffer verschwunden.
2
Kriminalhauptkommissar Ralf Deggart begrüßte Roy und mich am
Tatort. Die beiden Toten waren bereits von den Beamten der
Gerichtsmedizin abtransportiert worden. Markierungen zeigten an, wo
sie zu Boden gegangen waren.
Kollegen des Erkennungsdiensts suchten die Umgebung nach
Spuren ab, während ein Dutzend Beamte damit beschäftigt war,
Passanten zu befragen und Personalien aufzunehmen.
»Der Fahrer eines Trekking-Bikes hat zwei Männer offenbar
gezielt und kaltblütig erschossen«, berichtete
Kriminalhauptkommissar Deggart mit ernstem Gesicht. »Der Mann war
so schnell weg, dass ...«
»Ein Mann?«, vergewisserte ich mich.
Deggart nickte.
»Den Zeugenaussagen nach ja. Leider war von seinem Gesicht
nicht viel zu sehen. Er trug eine dieser modernen Radfahrerbrillen
sowie einen Helm. Wir haben alle Leute zusammengetrommelt, die wir
auftreiben konnten. Meine Männer suchen jetzt den Park ab. Aber die
Chancen, dass der Killer sich dort noch versteckt hält, stehen eins
zu tausend.«
Deggart zeigte mir ein paar Fotos auf dem Handy. Sie zeigten
die Opfer dieses Mordanschlags.
»Der Mann in der Lederjacke heißt Wotan Sternberg . Er ist
Privatdetektiv und hat sein Büro in Langenhorn. Mehr wissen wir
noch nicht.«
»Schicken Sie uns die weiter?«
»Ja, mache ich.
»Der Grund dafür, dass man uns gerufen hat, ist die Identität
des zweiten Mannes«, sagte Roy.
Deggart nickte.
»Jaffar as-Zadik, vermutlich ein islamistischer Top-Terrorist.
Jedenfalls steht er auf euren Fahndungslisten, Uwe.«
Ich hob die Augenbrauen. Der Name as-Zadik sagte mir durchaus
etwas, vor allem seit der Libanese ihn muir gegenüber erwähnt
hatte. Er war in der Vergangenheit mit der Terror-Gruppe des Osama
bin Laden in Verbindung gebracht worden.
Eigentlich vermuteten wir as-Zadiks Aufenthaltsort eher im
Sudan, in Afghanistan oder einer der islamisch geprägten ehemaligen
GUS-Republiken, in deren versteppten Weiten ein internationaler
Haftbefehl nichts bedeutete.
Die Information des Libanesen, dass er Hamburg einen Besuch
abstatten wollte, war als nicht sehr wahrscheinlich eingestuft
worden.
Niemand hatte damit gerechnet.
Und er selbst hatte wohl am wenigsten für möglich gehalten,
dass sein Besuch in Hamburg dermaßen kurz ausfallen würde.
»Hundertprozentige Sicherheit haben wir natürlich noch nicht,
was as-Zadiks Identität angeht«, gab Deggart zu. »Die Raster
unserer Bilderkennungsprogramme sind ziemlich grob.«
Roy sagte: »Soweit ich weiß, gibt es von as-Zadik
verhältnismäßig viel Fotomaterial. Mit Hilfe telemetrischer
Untersuchungen werden wir in Kürze ziemlich sicher sein.«
Im Rahmen telemetrischer Verfahren werden Gesichts- oder
Körpermerkmale exakt vermessen, etwa der Abstand der Augen
zueinander oder der Abstand zwischen rechtem Auge und rechtem Ohr
und so weiter. Dass mehr als fünf solcher Daten bei verschiedenen
Menschen exakt übereinstimmen, ist extrem unwahrscheinlich. Und bei
den von unseren Spezialisten durchgeführten Untersuchungen werden
sogar zwölf solcher Merkmale miteinander verglichen. Auf diese
Weise lässt sich ein Mensch auch anhand von Fotomaterial
identifizieren, das schon Jahrzehnte alt ist.
»Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, was as-Zadik hier
wollte?«, fragte ich.
Deggart zuckte mit den Achseln.
»Er hatte eine drei Tage alte Tankquittung in der Hosentasche.
Dadurch wissen wir, dass er einen Wagen gefahren hat, der
Super-Benzin fährt und sich mindestens seit dem angegebenen
Zeitpunkt in den Deutschland aufhielt.« Deggart rief einen seiner
Beamten herbei, der uns die Brieftasche zeigte, die man bei
as-Zadik gefunden hatte. Darin ein Pass auf den Namen Jason Millan,
amerikanischer Staatsbürger, 42 Jahre alt, geboren in Nürnberg
sowie ein griechisches Dokument, das auf den Namen Stavros Pavlidis
ausgestellt war. »Dass er den Pavlidis-Pass bei sich hatte, ist
überhaupt der Grund dafür, dass wir so schnell auf as-Zadik
gekommen sind«, erklärte Deggart. »Diese Identität hat er nämlich
früher schon einmal benutzt …»
»Sieht aus, als hätte sich as-Zadik mit diesem Privatdetektiv
treffen wollen, und jemand hat das unbedingt verhindern wollen«,
murmelte ich, während ich mir die Markierungen eingehend ansah, die
anzeigten, wo die Toten gelegen hatten.
»Wir haben eine Zeugenaussage, dass der Detektiv noch einige
Augenblicke lang gelebt hat«, sagte Deggart in meine Gedanken
hinein. »Vielleicht hat er dieser Ärztin sogar noch etwas
gesagt.«
Ich blickte ihn überrascht an.
»Welche Ärztin?«, hakte ich nach.
»Eine Frau mit langen braunen Haaren, höchstens dreißig.
Zeugen zufolge hat sie behauptet, Ärztin zu sein und sich um den
Mann gekümmert. Allerdings war sie verschwunden, ehe die
Rettungskräfte eintrafen.« Deggart verzog das Gesicht. »Ein
Phantombild wird gerade angefertigt. Vielleicht meldet sich diese
Frau ja, wenn wir es in der Presse veröffentlichen ...«
»Ja, vielleicht«, murmelte ich.
Wir sprachen noch mit Sarah Temme, einer
Erkennungsdienstkollegin, die uns den Reifenabdruck eines
Trekking-Bikes zeigte.
»Vielleicht haben wir ja Glück und der Täter hat einen
exquisiten Geschmack, was sein Fahrrad-Equipment angeht«, meinte
sie. »Dann könnte man ihn vielleicht darüber identifizieren.«
Der einzige Ansatzpunkt, der Roy und mir für unsere
Ermittlungen blieb, war Wotan Sternberg, der Privatdetektiv.
So fuhren wir zu der Adresse, die in dem Führerschein
gestanden hatte, der bei dem Toten Sternberg gefunden worden war:
Langenhorn, Preetzstraße.
Die Adresse gehörte zu einem mehrstöckigen Haus. Im
Erdgeschoss befanden sich kleine Geschäfte, Restaurants und ein
Frisör. Die darüber liegenden Etagen dienten vorwiegend kleineren
Firmen als Büroräume. Consulting-Firmen, Steuerberater und
Rechtsanwälte residierten hier ebenso wie eine Agentur, die Models
vermittelte. In der obersten Etage fand sich das Detektiv-Büro
Sternberg.
Sternbergs' Firmenschild an der Tür aus Panzerglas zeigte
bewusstes Understatement.
W. Sternberg , Private Ermittlungen - das war alles, was dort
stand.
Roy betätigte die Gegensprechanlage. Eine Frauenstimme meldete
sich.
»Ja, bitte?«
»Roy Müller, Kriminalpolizei. Bitte machen Sie die Tür
auf.«
Eine kurze Pause folgte.
»Herr Sternberg ist im Moment nicht zu sprechen«, erwiderte
die Frauenstimme dann geschäftsmäßig.
»Möglicherweise möchten wir mit Ihnen sprechen, Frau
...«
»Mit mir?«, echote sie.
Ihre Verunsicherung war deutlich herauszuhören. Es knackte in
der Gegensprechanlage. Einige Augenblicke geschah gar nichts, dann
schob sich die Panzerglastür mit einem Summen zur Seite. Wir traten
ein.
Ein baumlanger Kerl kam aus einem der Räume heraus und trat
uns entgegen. Er trug einen dunklen Anzug.
»Die Ausweise bitte!«, forderte er.
Wir zeigten ihm unsere Ausweise. Der Lange sah sie sich
eingehend an, bevor er sie an uns zurückgab.
»Und wer sind Sie?«, fragte ich.
»Guido Braun«, knurrte der Lange. »Ich bin ein Mitarbeiter von
Herrn Sternberg.«
»Und die charmante Lautsprecherstimme von eben?«, fragte
Roy.
»Sprechen Sie von mir?«
Wir drehten uns in Richtung der halb offenen Tür herum, durch
die man offenbar in die eigentlichen Büros gelangte. Eine grazile
Frau mit langen braunen Haaren musterte uns zunächst abschätzig.
Dann trat sie auf uns zu. Die enge Jeans und das knappe T-Shirt
verbargen kaum etwas von ihren Reizen. Ihre dunkelbraunen Augen
sahen mich an.
»Mara Ferdinand«, sagte sie.
»Auch eine Mitarbeiterin von Herrn Sternberg?«, fragte
ich.
»Sie sagen es.«
»Wo befindet sich Ihr Chef jetzt?«
Sie verzog spöttisch das fein geschnittene Gesicht.
»Glauben Sie wirklich, dass ich Ihnen so eine Frage
beantworten werde, Herr ...«
»Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen«, stellte ich mich vor.
»Der Mann, bei dem Sie angestellt sind, wurde vor wenigen Stunden
im Stadtpark ermordet.«
Mara Ferdinand wandte den Kopf, wechselte einen Blick mit
Guido Braun.
Braun hob die Augenbrauen.
»Wie ist das passiert?«
»Bevor wir Ihre Fragen beantworten, wäre es nett, wenn wir uns
hier ein bisschen umsehen dürften und Sie einige Angaben machen«,
sagte ich.
Braun atmete tief durch.
»Wenn ich nein sagen würde, hätte das wahrscheinlich ohnehin
keinen Sinn«, knurrte er.
»So ist es. Um in den Räumen eines Ermordeten eine
Durchsuchung durchzuführen, brauchen wir nicht einmal einen
richterlichen Befehl.«
»Das ist Routine. Ich kenne mich aus«, erwiderte Braun.
Ich wandte mich an Mara Ferdinand.
»Führen Sie mich ein bisschen im Büro herum?«
»Sicher.«
Roy zog sich mit Guido Braun in einen der Empfangsräume
zurück, die zur Agentur gehörten. Währenddessen ließ ich mich von
Mara in das eigentliche Büro führen. Es bestand aus einem fast
hundert Quadratmeter großen Raum, in dem sich mehrere
Computeranlagen befanden.
»Ja, die Arbeit eines Privatdetektivs hat sich seit den Zeiten
von Philip Marlowe ziemlich verändert«, meinte Mara. »Wir
verbringen viel Zeit vor dem Bildschirm. Aber Sie kennen das ja aus
Ihrem Job.«
»Allerdings.«
Sie blieb stehen, lehnte sich gegen einen der modernen
Bürotische und sah mir direkt in die Augen.
»Sie wollten Guido und mich getrennt befragen, nicht war? Um
zu sehen, ob wir Ihnen dieselbe Story erzählen.«
Ich lächelte.
»Würden Sie nicht dasselbe tun, wenn es Ihr Fall wäre, Frau
Ferdinand?«
»Sagen Sie ruhig Mara zu mir!«
»Wenn Sie zu mir Uwe sagen.«
Ihr Augenaufschlag war gekonnt. Der Hüftschwung, mit dem sie
dann auf den Kaffeeautomaten auf der anderen Seite des Büros ging,
auch. Sie wusste genau, wie man die Konzentration eines Mannes
nachhaltig stören konnte.
»Wo waren Sie heute zwischen drei und vier Uhr nachmittags?«,
fand ich schließlich den Faden gerade noch rechtzeitig wieder,
bevor es auffiel.
»Hier. Bei der Arbeit.«
»Und Herr Braun?«
»Ebenfalls.«
»Weitere Zeugen gibt es dafür nicht?«
»Bin ich jetzt verdächtig?«
»Ich stelle lediglich Fragen. Das ist mein Job.«
Sie atmete tief durch. Ihre wohlgeformten Brüste, die sich
durch das dünne T-Shirt deutlich abzeichneten, hoben und senkten
sich dabei.
»Guido und ich haben an einem Fall gearbeitet. Hier, in diesem
Raum am Bildschirm. Und wenn es um ein Alibi geht, dann gibt es
vielleicht doch einen Zeugen.«
»Und wen?«
»Den Computer. Wir haben einige E-Mails versandt, und das ist
aufgezeichnet worden.«
»E-Mails kann man auch zeitverzögert absenden«, gab ich zu
bedenken.
»Jetzt sagen Sie mir endlich genauer, was mit Wotan passiert
ist!«, forderte sie.
»Er hat sich in der Nähe des Cafés Seepavillon im Park Planten
un Blomen mit jemandem getroffen.«
»Mit wem?«, fragte sie sofort, ohne auch eine Sekunde
abzuwarten.
»Ich dachte, da könnten Sie mir weiterhelfen«, hielt ich mich
bedeckt. »Sie haben doch in einer Art Team zusammengearbeitet, wenn
ich das richtig sehe.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wotan Sternberg wird sich doch wohl kaum zu einem
konspirativen Treff mit einem Informanten oder etwas Ähnlichem
aufgemacht haben, ohne seine Mitarbeiter zu informieren. Schon um
der eigenen Sicherheit willen!«
»Sie kannten Wotan nicht!«
»Aber ich kenne die Grundregeln, nach denen sein Job
funktioniert.«
Mara lachte auf. Ihr Tonfall war von Bitterkeit geprägt.
»Haben Sie eine Ahnung ... Mein Gott, Wotan war der Chef, und
er hat sich halt nicht gern in die Karten blicken lassen. Aber so
war er immer schon. Vom ersten Tag, als ich hier angefangen
habe.«
»Ihr Chef wurde erschossen. Ebenso der Mann, mit dem er sich
getroffen hat. Es wäre nett, wenn Sie mir erklären würden, an
welchen Fällen Herr Sternberg in letzter Zeit gearbeitet
hat.«
Sie zuckte die Achseln.
Auf ihrer Stirn erschien eine Falte.
»Er hatte immer mehrere Sachen nebeneinander her laufen ...«
Sie tigerte zu einem der Computerterminals hinüber. Ich konnte
gerade noch verhindern, dass sie an die Tastatur ging.
Ich umfasste ihr schmales Handgelenk.
»Nichts anfassen!«, forderte ich und ließ sie dann los.
»Wieso?«
»Weil unsere Spezialisten die gesamte EDV-Anlage genauestens
unter die Lupe nehmen werden. Dasselbe gilt für alle anderen
Unterlagen hier.«
Sie zuckte die Achseln.
»Tut mir leid. Wollen Sie einen Kaffee?«
»Nichts dagegen.«
Sie ging zum Automaten und holte mir einen Becher. Er war bis
knapp unter den Rand gefüllt, und ich verbrannte mir fast die
Finger.
»Sagt Ihnen der Name Jason Millan etwas?«, fragte ich.
»Nein.«
»Und Stavros Pavlidis?«
»Auch Fehlanzeige. Wotan hat diese Namen nie erwähnt. Was
sind das für Leute?«
»Es sind die Decknamen eines Mannes namens Jaffar as-Zadik,
der als Top-Terrorist gesucht wird.«
Sie hob die Augenbrauen.
»Das ist also der Mann, mit dem Wotan sich getroffen hat«,
schloss sie.
Ich nahm einen Schluck von dem Kaffee und meinte dann: »Es
wird Zeit, dass Sie langsam kooperativ werden, Mara. Sonst stecken
Sie selbst bis zum Hals mit drin. Und was Verwicklungen in die
Aktivitäten internationaler Terroristen angeht, da können Sie bei
keinem Staatsanwalt irgendeine Art von Entgegenkommen
erwarten.«
Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Ich hoffte, sie etwas
eingeschüchtert zu haben. Mit der Linken griff ich in die
Jackentasche und holte mein Handy heraus. Ich rief im Hauptquartier
an. In zwanzig Minuten würde hier eine Schar von Spezialisten jedes
Staubkorn unter die Lupe nehmen.
3
Der Biker trug sein Rad mit dem Rahmen über der linken
Schulter. In der Rechten balancierte er eine Pizzaschachtel. In den
Gläsern der überdimensionalen Brille spiegelte sich die
efeubewachsene Fassade des Hauses in der Ruppertstraße. Diese
Gebäude war geradezu typisch für dieses Viertel. Mit seinen fünf
Geschossen wirkte es winzig gegenüber den Hochhäusern von Hamburg
Mitte, die im Hintergrund emporragten. Ganz in der Nähe befand sich
der Wilhelmsburger Inselpark. Nur gut hundert Meter danach stieß
die Ruppertstraße auf die wesentlich belebtere 75, auf der man nach
Norden über die 4 in Richtung Park Planten un Blomen gelangen
konnte.
Der Biker brachte die vier Stufen hinter sich, die hinauf zur
Tür führten, setzte das Rad ab und holte den Schlüssel aus seiner
Bauchtasche.
Die Waffe, die er im Stadtpark vor ein paar Stunden benutzt
hatte, befand sich ebenfalls noch dort.
Er hatte überlegt, sie einfach irgendwo im Park
fallenzulassen. Aber erstens musste er damit rechnen, dass das
Waldstück im Park von ganzen Polizei-Hundertschaften systematisch
durchkämmt werden würde und zweitens wäre der Killer sich ohne
Waffe irgendwie nackt und ungeschützt vorgekommen.
Mit federnden Schritten betrat er das Haus, ließ dabei das
Bike neben sich her rollen.
Der Aufzug war groß genug dafür. Einer der wesentlichen Gründe
für den Biker, sich hier eine Wohnung gesucht zu haben. Sie lag im
obersten Stock.
Die Flure waren lang und kahl.
Bei den Leute, die hier wohnten, handelte es sich überwiegend
um Singles. Sie arbeiteten viel, und man begegnete ihnen kaum. Auch
ein Pluspunkt für diese Wohnlage. Jedenfalls in der Sicht des
Bikers.
Er steckte seinen Schlüssel in die Apartmenttür.
Sein Instinkt für Gefahr sagte ihm, dass irgendetwas nicht
stimmte, anders war als sonst.
Er wandte den Kopf, fragte sich schon, ob er sich vielleicht
etwas einbildete. Dann bemerkte er den Unterschied. Die Kamera der
Videoüberwachungsanlage am Ende des Flures ... Normalerweise
reagierte sie auf jede Bewegung und wäre dem Biker mit ihrem
Objektiv gefolgt. Aber das tat sie nicht.
Wahrscheinlich mal wieder defekt, dachte der Biker.
Seit die Anlage auf den neuesten Stand der Technik gebracht
worden war, funktionierte sie des Öfteren nicht richtig.
Nicht mein Problem, dachte der Biker. Die Tür sprang vor ihm
auf. Er trat ein, stellte das Bike ab.
»Hallo, Spider!«
Die Stimme kam von der anderen Seite des Raums.
Ein Mann im grauen Anzug stand in der Tür, die zur Küche
führte. Er trug einen dunklen Oberlippenbart.
Im Bruchteil einer Sekunde ging die rechte Hand des Bikers zur
Bauchtasche, riss sie auf. Die Pizzaschachtel landete auf dem
Boden.
Einen Sekundenbruchteil später hielt der Biker die
Schalldämpferpistole beidhändig im Anschlag. Der Lauf zeigte auf
den Mann im grauen Anzug.
Dieser grinste zynisch.
Der Biker erstarrte.
Dann lachte der Mann in Grau kurz auf.
»Ich sehe, du bist ein bisschen nervös geworden, Spider.« Er
kicherte. »Und das in deinem jugendlichen Alter …» Kopfschütteln.
Er deutete mit knapper Geste auf die Pizza. »Ich hoffe für dich,
dass da drin jetzt nicht nur noch Matsche ist.«
Spider senkte die Waffe. Er atmete tief durch.
»Was willst du hier?«, fragte er dann knapp.
Der Mann im grauen Anzug griff in die Innentasche seines
Jacketts, nahm in aller Ruhe ein Zigarettenetui heraus und holte
einen schlanken Zigarillo heraus. Er ließ ihn zwischen den Fingern
herumtanzen, bevor er ihn schließlich in den Mund steckte.
»In den Radionachrichten war von zwei Toten die Rede«, stellte
er dann fest. »Du hast deinen Job also ...«
»Sie müssen wahnsinnig sein, sich hierherzubegeben«, sagte
Spider, setzte den Radfahrerhelm vom Kopf und nahm die Brille ab.
Die Waffe legte er dabei kurz auf einem Tisch ab.
Der Mann im grauen Anzug warf einen nervösen Blick
darauf.
Spider blickte sein Gegenüber misstrauisch an, nahm die Waffe
wieder an sich und sagte dann: »Es war nicht abgemacht, dass wir
uns noch einmal treffen.«
»Ich hatte vielleicht vergessen es zu erwähnen, als ich dir
den Auftrag erteilte.«
Spiders Augen wurden schmal.
»Verschwinde!«, zischte er.
»Du bringst mich in Gefahr ...«
Der Mann im grauen Anzug lachte auf.
»Dich? Ich dachte, du bist ein Profi!«
»Eben!«
»Es wäre vielleicht ganz gut, wenn du dir für die nächste Zeit
ein möglichst exotisches Reiseziel aussuchst, Spider. Meinst du
nicht auch?«
Der junge Mann verzog spöttisch das Gesicht.
»Lass das ruhig meine Sorge sein! Ich weiß schon, was ich
tue.«
»Das will ich hoffen.« Der Mann in Grau trat auf Spider zu. Er
zündete sich den Zigarillo an, blies Spider den Rauch ins Gesicht.
»Jetzt hör mir mal gut zu! Du hättest die Sache beinahe
verbockt!«
»Was?«
»Dieser Privatschnüffler war nicht sofort tot. Jemand von uns
musste nacharbeiten und hat dabei Kopf und Kragen riskiert.« Der
Mann in Grau tätschelte Spiders Wange, die plötzlich jegliche Farbe
verloren hatte. »Und du riskierst hier die große Lippe!«
»Ich … ich habe sie beide erwischt!«, verteidigte sich der
Killer schwach.
»Hast du nicht. Es wird noch 'ne Weile dauern, bis du davon in
der Zeitung lesen kannst - aber ich hätte keinen Grund, dir etwas
vorzulügen.«
Der Killer im Radler-Dress beobachtete sein Gegenüber
aufmerksam.
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich bin großzügig«, sagte der Mann in Grau. »Und vor allem
will ich keine Schwierigkeiten. Scheint ja im Übrigen nun auch
alles gut über die Bühne gegangen zu sein. Ich mache dir einen
Vorschlag. Du verlässt das Land und setzt dich für 'ne Weile zur
Ruhe ...«
»Du spinnst wohl!«, fuhr Spider auf.
»… und du kriegst dafür noch einmal die Hälfte deines Honorars
obendrauf.«
Spider atmete tief durch. Eine Pause entstand.
»Klingt nicht schlecht.«
Der Mann in Grau grinste zynisch.
»Sieh mal, du wirst gar nicht gefragt. Du tust einfach, was
ich dir sage - damit wir alle wieder ruhig schlafen können.« Er
streckte die Hand aus. »Deine Waffe ...«
»Was soll das denn jetzt?«
»Ich werde sie für dich entsorgen. Dann packst du das Nötigste
zusammen. Draußen wartet ein Wagen auf dich und wird dich zum
Flughafen bringen.«
»Ich wette, du hast auch schon ein Ziel ausgesucht.«
»Die Waffe, Spider ...«
Spider zögerte, dann warf er sie dem Mann in Grau zu. Dieser
fing sie mit erstaunlicher Sicherheit mit der Linken.
»Okay«, sagte er dann. »Dein Spiel ist vorbei, Spider!«
Er hob die Waffe, legte kurz an.
Spiders Augen traten vor Schreck aus ihren Höhlen. Er machte
einen Schritt seitwärts, aber es war zu spät, um noch irgendetwas
zu unternehmen. Ein dumpfes 'Plop!' ertönte dreimal kurz
hintereinander.
Die einschlagenden Kugeln ließen Spider wie eine Marionette
zucken. Dann sackte er zu Boden und blieb reglos liegen. Mit dem
Gesicht nach unten. Eine Blutlache bildete sich auf dem
Boden.
Der Mann in Grau begann Spiders Waffe sehr sorgfältig mit
einem Taschentuch abzuwischen. Dann legte er sie neben den Kopf des
Toten.
An der Tür klingelte es.
Der Mann in Grau blickte auf die Uhr, nickte leicht.
Einen Moment später öffnete er die Apartmenttür. Zwei Männer
in dunklen Anzügen standen dort.
»Alles in Ordnung«, sagte der Mann in Grau. »Seht zu, dass ihr
hier ein bisschen aufräumt!«
4
In der Detektei von Wotan Sternberg traten sich unsere Leute
regelrecht auf die Füße.
Mehr als ein Dutzend Kollegen, darunter einige
Computerfachleute nahmen sich das Büro vor, um Klarheit darüber zu
gewinnen, mit was für Fällen sich Wotan Sternberg zuletzt
beschäftigt hatte.
Außer einem Becher mit heißem Kaffee und einem umwerfenden
Augenaufschlag hatte Mara Ferdinand mir bislang nichts geboten. Was
verwertbare Informationen anging, war sie äußerst zugeknöpft. Ich
fragte mich, warum eigentlich. Normalerweise hätte sie jedes
Interesse daran haben müssen, dass wir in unseren Ermittlungen
schnell vorankamen.
Es sei denn, sie wollte etwas vor uns verbergen.
Irgendetwas stimmte mit dieser Agentur nicht.
Dem Kollegen Roy Müller war es mit Guido Braun ganz ähnlich
gegangen. Auch ihm war kaum etwas zu entlocken gewesen.
»Komisch, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass der Tod
Ihres Chefs Ihnen nicht besonders nahegeht«, sagte ich.
»Meinen Sie?«
»Wie kommt das?«
Mara zuckte die Achseln. Ihr Blick wurde in sich gekehrt. Für
Sekundenbruchteile schien der kühle Panzer aus berechnender,
geschäftsmäßiger Freundlichkeit aufzubrechen, mit dem sie sich
bislang umgeben hatte.
»Wahrscheinlich täuscht das«, behauptete sie. »Aber Sie
verstehen das ohnehin nicht.«
Ich sah sie sie einen Moment lang an.
»Versuchen Sie, es mir zu erklären!«
»Ich zeige nicht gerne meine Gefühle.«
»Hat das einen bestimmten Grund?«
»Einen, der nichts mit dem Mord an Wotan Sternberg zu tun
hat!«
Ich zuckte die Achseln.
»Erzählen Sie mir, was Sie über Ihren Chef wissen!«
»Er war mal verheiratet. Seine Ex-Frau lebt in den USA und
bezog jeden Monat einen dicken Scheck von ihm.«
»Kinder?«
»Nein.«
Unser Computerspezialist Christian E. Schnitter entführte mir
dann wenig später die hübsche aber offenbar ziemlich kühle Mara,
weil es Schwierigkeiten mit den Passwörtern der EDV-Anlage
gab.
Wotan Sternbergs Privaträume befanden sich auf derselben Etage
wie die Agentur. Zusammen mit unserem Kollegen Fred Rochow sah ich
sie mir an.
Die Spurensicherer waren hier bereits fertig. Daniel Folder,
einer unserer Erkennungsdienstler, zeigte mir einen in drei Teile
zerrissenen Zettel. Daniel hatte die Teile nebeneinander auf einen
Tisch gelegt. In krakeliger Schrift stand dort:
,Café Seepavillon, 15.30‘
»War im Papierkorb«, berichtete Daniel. »Wir machen zwar noch
eine Schriftanalyse, aber du kannst davon ausgehen, dass Sternberg
das selbst geschrieben hat.«
Ich sah mich um, entdeckte dann den Papierkorb. In der Nähe
befand sich ein Telefonanschluss.
»Er muss heute von as-Zadik oder einem Helfershelfer angerufen
worden sein. Schließlich hat Sternberg sich nur die Uhrzeit, aber
nicht den Tag notiert.«
»Stimmt.«
»Daniel, wir brauchen so schnell wie möglich eine Aufstellung
der Telefonanrufe, die heute mit dem Apparat dort geführt wurden
oder dort angenommen wurden.«
»Ist schon in Arbeit, Uwe.«
Ich kratzte mich am Kinn.
»Ich bringe das immer noch nicht zusammen. Was will ein
internationaler Top-Terrorist von einem Privatdetektiv hier in
Hamburg?«
»Das Hauptquartier hat vorhin ein paar Informationen
durchgegeben, die ganz interessant sind«, sagte Daniel.
»Scheint, als wären die Kollegen vom Innendienst ziemlich
fleißig gewesen.«
»Informationen über as-Zadik?«
»Nein, über Sternberg . Er hat vor drei Monaten um ein Haar
seine Lizenz verloren. Außerdem spielte er eine dubiose Rolle in
einem Mordfall. Es ging um Abdurrahman Walid, einen
arabischstämmigen Im- und Export-Kaufmann in Hamburg-Harburg
...«
»… mit besonders guten Kontakten in den Mittleren Osten«, nahm
ich an.
Daniel zuckte die Achseln.
»Vermutlich. Jedenfalls hatte Sternberg den Personenschutz für
Walid übernommen. Walid wurde von einem Geschäftspartner in ein
Lokal in der Jagd-Straße bestellt. Der Geschäftspartner tauchte
aber nicht auf. Sternberg fiel plötzlich ein, dass er was im Wagen
vergessen hatte und in genau den fünf Minuten, in denen er weg war,
wurde Walid erschossen.«
»Man könnte fast denken, dass Sternberg seinen Klienten ans
Messer lieferte.«
»Der Staatsanwalt dachte das auch - konnte aber nicht genügend
Indizien zusammenbekommen. Das Verfahren wurde eingestellt.«
Fred und ich gingen zurück in die Büroräume. Ich wandte mich
an Christian.
»Wir brauchen alles, was mit einem Mann namens Walid
zusammenhängt«, sagte ich.
Guido Braun und Mara Ferdinand standen ziemlich genervt in der
Nähe. Roy war bei ihnen.
Ich wandte mich an die beiden Angestellten des Mordopfers aus
dem Park.
»Ihr Chef hat vor einiger Zeit den Personenschutz für einen
Mann namens Abdurrahman Walid übernommen. Ist das richtig?«
Mara blickte zu Guido Braun hinüber. Diese nickte.
»Ja, das stimmt«, gab er zu.
»Und er hätte deswegen beinahe seine Lizenz verloren.«
»Ein übereifriger Staatsanwalt hatte etwas gegen
Privatdetektive«, sagte Braun gallig. »Aber außer, dass es dem Ruf
der Agentur geschadet hat und der Umsatz in den Folgemonaten
drastisch zurückging, ist nichts hängengeblieben.«
»Sie beide waren in den Auftrag eingebunden?«, fragte ich mit
Blick auf Guido und Mara. »Oder wollen Sie mir erzählen, dass Sie
von alledem auch nichts gewusst haben und Ihr Chef alles allein
gemacht hat?«
Mein Kollege Roy Müller ergänzte: »Langsam frage ich mich
ohnehin, wozu Herr Sternberg überhaupt Angestellte hatte.«
»Ich habe Wotan einige Male begleitet«, erklärte Guido Braun.
»Dieser Walid fühlte sich von irgendwem bedroht. Mit genaueren
Angaben zu seinem Verdacht ist er nie rausgerückt. Sein Sohn Jabbar
hat sogar versucht, ihn wegen Paranoia in eine Irrenanstalt zu
bringen.« Er zuckte die Achseln. »Na ja, jetzt gehört ihm die Firma
ja ...«
»Scheint, als wären Herrn Walid Seniors Ängste begründet
gewesen«, stellte ich fest.
Guido Braun sah mir direkt in die Augen.
»Verdammt, ich dachte, es geht hier darum, den Mörder von
Wotan Sternberg zu finden!«
»Und wir dachten, Sie beide hätten am ehesten eine Idee, wo
wir da suchen könnten«, versetzte Roy.
Ich wandte mich an Mara. Sie wich meinem Blick aus.
»Hatten Sie auch mit dem Fall Walid zu tun?«
»Nein.«
»Wie kommt das? Eine so große Agentur sind Sie doch
schließlich nicht.«
»Unser Chef hatte wie üblich zu viele Aufträge angenommen, und
so habe ich wochenlang in diesem Büro am Bildschirm gesessen. Es
ging um die Ermittlung des Aufenthaltsortes mehrerer Personen ...
Kinder, die von geschiedenen Ehegatten entführt wurden und
dergleichen. Wir haben eine ganze Menge solcher Fälle bearbeitet.«
Sie atmete tief durch. Ihre dunklen Augen musterten mich plötzlich.
»Unsere Personalien haben Sie, es war ein harter Tag ... Vielleicht
können Guido und ich jetzt gehen.«
»Nein, Sie werden von unseren Kollegen zu unserem Präsidium
gebraucht und dort noch einmal eingehend befragt«, erwiderte
ich.
Sie seufzte: »Muss das sein?«
»Es tut mir leid.«
5
Die Dunkelheit hatte sich über den Hamburger Hafen
gelegt.
Das Firmengelände der WALID GmbH befand sich direkt an der
Norderelbe. Nördlich war die gewaltige, weit gespannte Konstruktion
der Neuen Elbbrücke zu sehen. Davon südlich grenzte das
Firmengelände der von Abdurrahman Walid gegründeten Im- und
Exportfirma am alten Hafen an.
Das Gelände war hermetisch abgeriegelt. Hohe Stacheldrahtzäune
umgaben es. Teilweise waren sie elektrisch geladen. Alle fünf Meter
hatte man Warnschilder angebracht.
Bewaffnete Posten mit mannscharfen Dobermännern
patrouillierten an den Umgrenzungen entlang. Das WALID-Gelände
hatte nur eine offene Flanke.
Die Seite zur Norderelbe hin, wo sich eine Anlegestelle
befand.
Ein kleinerer Frachter war dort festgemacht. Außerdem eine
schneeweiße, etwa zwanzig Meter lange Motoryacht, die eigentlich
eher in den Yachthafen von Sylt passte als hierher.
Die Yacht gehörte Jabbar Walid, dem Sohn des ermordeten
Firmengründers.
Lautlos näherten sich drei Schlauchboote. Etwa ein Dutzend
Mann befanden auf den Booten. Sie trugen dunkle Kleidung und
Sturmhauben. Selbst jemand, der aufmerksam den Fluss beobachtet
hätte, hätte sie kaum sehen können.
Auf der anderen Uferseite waren die Lichter der Stadt zu
sehen. Fast wöchentlich eröffneten dort neue Clubs. Aber aus dem
Neonschein waren die Boote längst heraus. Die Außenborder waren
abgestellt. Fast lautlos glitten Ruderblätter in das graue Wasser
des Norderelbe.
Hände legten sich um die Griffe von automatischen Pistolen.
Schalldämpfer wurden aufgeschraubt.
Keiner dieser Killer sprach ein Wort.
Nur noch wenige Dutzend Meter waren es bis zum Anleger.
Zwei Posten zogen dort auf und ab.
Der Dobermann, den einer der beiden an der kurzen Leine
führte, wurde unruhig. Die Kerle starrten auf das Wasser hinaus.
Die rechte Hand des zweiten Wachtpostens langte zum Griff der MPi,
die er an einem Riemen über der Schulter trug. Der Dobermann
knurrte.
Die Wächter bekamen gerade noch mit, wie rote Laserstrahlen
von Zielerfassungsgeräten durch die Nacht tanzten. Für
Sekundenbruchteile waren sie an den Kais zu sehen.
Ein Zucken ging gleichzeitig durch die Körper der beiden
Männer, ohne dass ein Schussgeräusch zu hören war. Getroffen sanken
sie zu Boden. Dem Kerl, der den Dobermann hielt, fiel das
Walkie-Talkie aus der kraftlos gewordenen Hand. Das Gerät platschte
ins Wasser.
Der Dobermann riss sich los, sprang vorwärts. Eine Sekunde
später stürzte das Tier getroffen zu Boden, jaulte auf und blieb
liegen. Ein gezielter Schuss hatte den Hund niedergestreckt.
Von den Sicherheitskräften, die das weitläufige Firmengelände
bewachten, hatte anscheinend noch niemand die Lage richtig
erfasst.
Aber auf der Yacht regte sich etwas.
Jemand kam an Deck, blickte sich suchend um. Ein baumlanger
Kerl, in der einen Hand ein Walkie-Talkie, in der anderen eine
Automatik.
Sein Blick schweifte umher, registrierte die beiden Leichen.
Sein Mund öffnete sich halb. Entsetzen stand in seinen Zügen.
Reflexartig entsicherte er die Waffe in seiner Faust. Er wirbelte
herum und sah die Boote.
Aber ehe er schießen konnte, sackte er selbst getroffen
zusammen. Er fiel über die Reling.
Reglos trieb die Leiche im Wasser.
Das erste Boot erreichte die Yacht. Einer der Maskierten
kletterte an Deck. Ein zweiter und ein dritter folgten.
Die Tür, die ins Innere der Yacht führte, war halb geöffnet.
Ein Bodyguard stürzte mit gezogenem Revolver hinaus. Er erstarrte
mitten in der Bewegung, als er die Maskierten sah. Mehrere
Laserpunkte verharrten zitternd auf dem Oberkörper des
Bodyguards.
»Waffe weg!«, zischte einer der Maskierten.
Für den Bruchteil eines Augenaufschlags zögerte der Bodyguard.
Dann begriff er, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte. Der
Revolver fiel zu Boden.
»Umdrehen!«
Er gehorchte.
Einer der Maskierten trat vor, tastete den Bodyguard ab und
zischte dann: »Du gehst vor uns her ...« Der Maskierte stieß dem
Bodyguard den Schalldämpfer seiner Waffe in den Rücken.
Sie gingen ins Innere der Yacht.
Es ging einen schmalen Gang entlang.
Ein Mann kam ihnen entgegen. Er war groß gewachsen, hatte ein
kantiges Gesicht, trug Jeans und T-Shirt. Unter der Achsel klemmte
ein Schulterholster. Er stutzte, griff zur Waffe, aber ehe er sie
herausreißen konnte, zuckte sein Kopf ruckartig zurück. So, als ob
er einen Schlag gegen die Stirn bekommen hatte. Dort bildete sich
ein rote Stelle, die rasch größer wurde. Er taumelte zurück,
rutschte dann an der Wand zu Boden.
Der Maskierte, der den Mann erschossen hatte, zischte:
»Weiter!«
Wie einen lebenden Schutzschild hatte er den Bodyguard vor
sich gehalten. Angstschweiß stand auf dessen Stirn.
»Wo ist Walid?«, fragte der Maskierte dann. Er drückte dem
zitternden Bodyguard den Schalldämpfer an die Schläfe.
»In der Messe!«
»Führ uns hin! Wenn du's gut machst, bleibst du am
Leben.«
»Okay.«
Er ging voran. Als er zögerte, gab der Maskierte ihm einen
brutalen Stoß in die Nierengegend.
Die Komplizen des Maskierten traten die Kabinentüren auf, die
sich rechts und links des Flures befanden. Sie gingen auf Nummer
sicher. Zweimal machte es kurz 'plop'. Einer der Eindringlinge gab
zwei Schüsse in eine der Kabinen hinein ab. Ein ächzender Laut war
von dort zu hören.
Die Tür zur Messe stand offen.
Jabbar Walid saß an einem ovalen Tisch, auf dem
Geschäftsunterlagen ausgebreitet herumlagen. Walid war noch jung.
Höchstens dreißig. Dunkles, blauschwarzes Haar umrahmte sein
Gesicht. Ein bis auf den Millimeter genau ausrasierter Knebelbart
zeichnete markante Linien in sein Gesicht.
Er fuhr hoch.
Neben ihm stand ein Mann im dunklen Anzug.
Bevor dieser unter seine Jacke nach einer Waffe greifen
konnte, traf ihn eine Kugel in den Bauch. Er klappte zusammen wie
ein Taschenmesser.
Der Anführer der Maskierten richtete den Schalldämpfer auf
Walid, näherte sich dann dem Inhaber der WALID GmbH.
»Was wollen Sie?«, ächzte Walid. Sein Gesicht war bleich
geworden.
Der Maskierte trat auf ihn zu.
»Sie!«, sagte er.
»Wer schickt Sie?«
Der Maskierte lachte.
»Wirklich keine Ahnung?«
Einer der anderen Eindringlinge mischte sich ein. Er deutete
auf den zitternden Bodyguard.
»Was machen wir mit dem hier?«
Der Anführer drehte sich herum.
»Den brauchen wir nicht mehr!«, erklärte er kalt. Mit einer
raschen Bewegung wirbelte er mit seiner Waffe herum. Er feuerte
ohne eine Sekunde zögern. Der Bodyguard brach getroffen in sich
zusammen und blieb regungslos liegen.
»Und jetzt zu dir, du Ratte!«, zischte der Anführer der
Maskierten dann in Richtung von Jabbar Walid. Die Hand mit der
Pistole schnellte vor. Zu schnell, als dass Walid sich hätte
schützen können. Die Oberseite der Waffe traf ihn an der Nase. Blut
schoss heraus. Er wankte zurück, hielt sich dann an einem der
Stühle fest.
»Das wird sicher 'ne nette Unterhaltung«, vermutete einer der
Komplizen mit heiserer Stimme.
6
Es war bereits dunkel, als wir im Besprechungszimmer von Herrn
Kriminaldirektor Bock saßen, unserem Chef bei der Kriminalpolizei
Hamburg.
Außer uns waren noch die Kollegen Fred Rochow, Stefan
Czerwinski und Ollie Medina anwesend. Max Warter aus der
Fahndungsabteilung unseres Innendienstes verspätete sich etwas. Er
trug einen Stapel Papier unter dem Arm.
Computerausdrucke und Dossiers, die wir wohl ausgehändigt
bekommen würden.
Mandy, die Sekretärin unseres Chefs, betrat mit Max den Raum.
Sie servierte jedem von uns einen Becher ihres im gesamten Gebäude
des Polizeipräsidiums berühmten Kaffees.
»Der Fall Jaffar as-Zadik dürfte einige diplomatische
Verwicklungen mit sich bringen«, erklärte Herr Bock uns. »Wir haben
eine Anfrage an die pakistanische Botschaft gerichtet, um etwas
mehr Informationen über diesen Mann zu bekommen. Schließlich war er
ja mal Mitglied des pakistanischen Geheimdienstes - und das zu
einer Zeit, als dieser Dienst beim BND noch als befreundeter Secret
Service galt.« Herr Bock zuckte die Schultern und deutete auf den
Papierstapel, den Max Warter inzwischen auf den Tisch gelegt hatte.
»Max hat alles zusammengetragen, was wir über as-Zadik wissen. Es
gibt Vermutungen, dass er kein Pakistani ist, sondern aus Syrien
stammt. Ein wahres Chamäleon, sehr sprachbegabt.«
»Also der Idealfall für jeden Geheimdienst«, stellte unser
Kollege Ollie Medina fest.
Herr Bock nickte.
»As-Zadiks genaues Alter ist unbekannt. Vor zehn Jahren
verließ er den Geheimdienst unter ungeklärten Umständen.
Möglicherweise erfahren wir von den Pakistanis in dieser Hinsicht
etwas mehr.«
Jetzt ergriff Max Warter das Wort: »Unsere Kollegen vom BND
vermuten, dass as-Zadik sich ursprünglich islamistischen
Terrororganisationen anschloss, um diese im Auftrag des
Geheimdienstes zu unterwandern und zu kontrollieren. Aber offenbar
machten diese Leute auf as-Zadik so großen Eindruck, dass er die
Seiten wechselte.«
»War er selbst an Attentaten beteiligt?«, fragte ich.
Max nickte.
»Es gibt eine ganze Reihe von Anschlägen und Morden, mit denen
sein Name in Verbindung gebracht wird. Zuletzt soll er vor drei
Jahren einen im Exil lebenden Reformgeistlichen erschossen haben,
der für eine moderatere Auslegung des Islams eintrat. Seitdem
vermuteten wir ihn in Afghanistan.«
Max teilte jedem von uns eines der Dossiers aus, die er
vorbereitet hatte.
Herr Bock wandte sich unterdessen an uns.
»Bislang haben wir noch keinerlei Hinweise auf den Grund, aus
dem as-Zadik sich mit einem eher zweitklassigen Privatdetektiv wie
Wotan Sternberg getroffen hat.«
Unsere Kollegen hatten einen Teil der Computer und Büroanlagen
in Sternbergs Büro beschlagnahmt und die Spezialisten unseres
Innendienstes hatten nun das Vergnügen, alle Daten noch einmal nach
versteckten Hinweisen zu durchforsten.
»Bleibt nur Sternbergs Verwicklung in den Fall Walid«, meinte
ich.
»Abdurrahman Walid war kein unbeschriebenes Blatt«, erklärte
Herr Bock. »Er stand immer wieder unter dem Verdacht, seine Finger
im Drogenhandel zu haben. Die Kollegen der Drogenfahndung konnten
ihm das leider ebenso wenig nachweisen wie die Steuerfahndung es in
punkto Geldwäsche geschafft hat.«
»Hatte Walid Kontakte zu radikalen islamistischen
Organisationen?«, erkundigte sich Fred Rochow.
Max Warter antwortete an Stelle von Herrn Bock: »Wir sind noch
nicht dazu gekommen, das genauer nachzuprüfen. Im Übrigen hat sein
Sohn Jabbar die Geschäfte seines Vaters nahtlos übernommen. Jabbar
ist - gelinde gesagt - etwas exzentrisch. Er besitzt ein Haus hier
in Hamburg und eins in Den Haag. Aber dort ist er so gut wie nie.
Stattdessen wohnt er an Bord seiner Luxus-Yacht, die die meiste
Zeit an der zu seinem Firmengelände gelegenen Anleger liegt.«
»Davon habe ich gehört«, meinte Stefan Czerwinski und grinste.
»Darüber werden schon Witze gemacht. Angeblich traut der ängstliche
Jabbar niemandem über den Weg, lässt sich und sein Firmengelände
durch eine ganze Armee von Leibwächtern bewachen. Und wenn es hart
auf hart kommt, kann er sich mit seiner Yacht jederzeit
davonmachen.«
»Ein Mann, der offensichtlich unter Paranoia leidet«,
kommentierte Ollie.
»Wenn man an das Schicksal seines Vaters denkt, könnte seine
Angst durchaus einen realen Grund haben«, vermutete Roy. »Ich frage
mich nur, weshalb Abdurrahman Walid einen Mann wie Wotan Sternberg
für den Personenschutz engagierte, wenn er doch über genug eigene
Leute verfügte.«
Herr Bock hob die Augenbrauen.
»Er hat seinen eigenen Leuten vermutlich nicht mehr
getraut.«
»Das wird es sein«, meinte ich.
Eines der Telefone auf Herrn Bocks Schreibtisch klingelte in
diesem Moment. Er nahm ab.
Während des gesamten Gesprächs sagte er nur ein einziges Wort.
»Okay.« Dann legte er auf. Sein Blick war ernst.
»Schießerei auf dem Gelände der WALID GmbH. Die Kollegen sind
bereits unterwegs ...«
7
Wenig später saßen Roy und ich in dem Sportwagen, den die
Fahrbereitschaft mir zur Verfügung stellte. Ich trat das Gaspedal
voll durch, während Roy die Seitenscheibe herunterließ und das
Blinklicht auf das Dach setzte.
Ollie und Stefan fuhren zusammen mit Fred Rochow in einem
blauen Mitsubishi, der uns dicht auf den Fersen war. Noch einige
weitere Einsatzfahrzeuge machten sich bereit. Es ging jetzt darum,
so schnell wie möglich zum Tatort zu kommen. Wir fuhren Richtung
Veddel über die Neue Elbbrücke.
Über der Norderelbe schwebte ein Helikopter der
Hafenpolizei.
Zehn Minuten später hatten wir das Gelände der WALID GmbH.
erreicht.
Unsere Kollegen hatten das Gebiet abgeriegelt. In der Nähe des
Eingangstors zum Firmengelände parkten ein halbes Dutzend
Einsatzwagen. Lichter blinkten in der Nacht. Uniformierte
Polizisten mit kugelsicheren Westen und MPis im Anschlag kauerten
in Deckung.
Ich fuhr den Sportwagen an die Seite. Rasch legten wir
Ohrhörer und Mikro an, um ständig Funkverbindung zu haben.
Wir stiegen aus. Die Kevlar-Weste zog ich an, während ich
lief. Ollie, Stefan und Fred waren beinahe gleichzeitig mit uns
eingetroffen. Ich zog die Pistole vom Typ SIG Sauer aus dem
Gürtelholster, überprüfte die Ladung.
Ein Kollege sah uns.
Stefan Czerwinski zeigte dem Kollegen seinen Ausweis.
Während der uns einen knappen Lagebericht gab, trafen weitere
Einsatzfahrzeuge der Kriminalpolizei ein.
Und es wurde geschossen. Irgendwo auf dem WALID-Firmengelände
blitzten Mündungsfeuer auf.
Der Kollege griff zu seinem Walkie-Talkie.
»Verdammt, was ist da los?«, brüllte er in den Apparat hinein.
Der Helikopter flog einen Bogen, näherte sich jetzt. Der Lärm
war ohrenbetäubend. In einer Kurve flog er wieder hinaus auf die
Norderelbe Richtung Neue Elbbrücke.
Die Antwort aus dem Walkie-Talkie konnte ich verstehen.
Offenbar war es der Helikopter-Pilot, der da mit verzerrter
Stimme sprach.
»Da sind Schlauchboote auf der Elbe. Aber wir haben sie wieder
verloren ...«
»Verdammt ...« Der Kriminalkommissar wandte sich an uns. »Es
hat hier eine Schießerei zwischen Herrn Walids Sicherheitsleuten
und Eindringlingen gegeben, die versucht haben, die Yacht zu kapern
...«
»Sind von den Tätern noch welche an Bord?«, fragte ich und
blickte dabei zu Walids Yacht hinüber, die noch immer scheinbar
friedlich am Pier lag.
Der Kriminalkommissar zuckte die Achseln.
»Wissen wir nicht. Die Lage ist unübersichtlich ... Wir haben
Walids Leute per Megafon aufgefordert, die Waffen niederzulegen,
aber die halten sich scheinbar nicht alle daran. Die Hafenpolizei
wird diesen Teil des Flusses mit Booten abfahren ...«
Ein zweiter Helikopter tauchte jetzt über den Neonlichtern des
gegenüberliegenden Ufers von auf, flog über die ganze Seite und
ließ dann die Kegel seiner Scheinwerfer suchend über das graue
Wasser der Norderelbe kreisen.
Dann kam eine Meldung über das Walkie-Talkie des
Kollegen.
Einer der Helis hatte ein Schlauchboot entdeckt.
Es strebte am Ufer der Norderelbe entlang, auf die
verwinkelten und unübersichtlichen Hafenbecken der stillgelegten
Werft zu. Vermutlich wartete dort in der unübersichtlichen Brache
des ehemaligen Hafens jemand auf die Kerle, um sie abzuholen.
»Wir müssen unbedingt das Gelände der Werft abriegeln«, meinte
Stefan Czerwinski.
»Sobald Verstärkung da ist!«, erwiderte der Kollege. »Sie
sehen doch, wir haben kaum genug Kräfte, um hier die Lage unter
Kontrolle zu halten. Außerdem überlassen wir das besser den
Kollegen der Hafenpolizei ...«
Wieder wurde auf dem WALID-Gelände geschossen. Mündungsfeuer
zwischen den blockartigen Containerhallen auf.
»Wir sollten das Gelände jetzt stürmen«, meinte Ollie.
»Walids Leute scheinen nicht im Traum daran zu denken, uns
behilflich zu sein.«
Stefan nickte. Er war derselben Meinung.
Inzwischen war mehr als ein Dutzend unserer Kollegen
eingetroffen.
Stefan wandte sich an den Kriminalkommissar.
»Lassen Sie das uns übernehmen und sorgen Sie dafür, dass
niemand das Gelände verlässt!«
8
Wir stürmten das Gelände. In geduckter Haltung mit der Waffe
im Anschlag liefen wir vorwärts. Eine Megafonansage forderte die
Walid-Leute nochmals auf, die Waffen niederzulegen.
Vorsichtig pirschten wir uns bis zur ersten
Containerhalle.
Immer noch wurde geschossen. Die Lage war absolut chaotisch.
Ein Teil der Beleuchtung des Firmengeländes fiel plötzlich aus, was
uns den Job ganz sicher nicht erleichterte.
Hinter der ersten Containerhalle überraschten wir zwei der
drei der Walid-Leute. Ein vierter lag verwundet am Boden.
Unsere Taschenlampen strahlten sie an. Sie zuckten
herum.
Einer der Männer hielt einen Dobermann an der Leine. Der
Maulkorb war abgenommen. Das Tier fletschte die Zähne und
knurrte.
»Kriminalpolizei! Waffen weg!«, rief unser Kollege Fred
Rochow.
Für den Bruchteil einer Sekunde geschah gar nichts. Niemand
rührte sich. Nur der Dobermann zerrte an seinem Riemen.
»Wir sind Security-Leute!«, rief einer der Männer.
»Verdammt, haben Sie die Durchsage nicht gehört?«, rief
Fred.
»Wir sind beschossen worden!«, schrie einer der Kerle und
deutete dabei auf den am Boden liegenden Mann.
Im nächsten Moment brach die Hölle los.
Schüsse peitschten.
Einer der zwei Security-Männer sanken getroffen zu Boden, ehe
sie irgendetwas tun konnten. Der Dritte warf sich hin, riss seine
Waffe empor und ballerte drauflos.
Wir duckten uns.
Die Schüsse waren aus der Nähe eines LKWs abgefeuert worden.
Ein Zwanzigtonner-Sattelschlepper mit einem gewaltigen Container
auf dem Fahrgestell.
Für Sekundenbruchteile sah ich eine Gestalt als schattenhaften
Umriss. Wahrscheinlich einer der Eindringlinge, der von seinen
Komplizen hier zurückgelassen worden war. Jetzt saß er in der
Falle. Weder Walids Leuten noch den verschiedenen Polizeieinheiten,
die sich inzwischen eingefunden hatten, wollte er in die Hände
fallen.
Eine Geschoss-Salve wurde in unsere Richtung gefeuert.
Wir warfen uns flach auf den Boden, pressten uns so dicht wie
möglich auf den Asphalt, während links und rechts die Kugeln
einschlugen.
Schreie gellten.
Von den drei Security-Leuten lebte jetzt keiner mehr. Der
Dobermann lag ebenfalls blutüberströmt am Boden.
Und einen unserer Kollegen hatte es erwischt.
Fred Rochow!
Er rang nach Luft.
Roy war bei ihm, kümmerte sich um ihn. Der Geschosshagel
verebbte indessen. Ich sprang auf, riss meine SIG empor und feuerte
mehrfach in Richtung des LKWs.
Der Motor sprang an. Eine Tür klappte zu.
Ich blickte seitwärts.
»Ein Schwerverletzter!«, meldete Ollie über Funk.
»Halb so wild!«, rief Fred. »Die Weste hat das meiste
abgehalten ... Aber mein verdammtes Bein...«
Roy war bei ihm, leistete erste Hilfe.
Inzwischen fuhr der LKW los.
Ich spurtete.
Der LKW setzte sich langsam in Bewegung.
Der Kerl setzte jetzt alles auf eine Karte. Ein
Sattelschlepper wie dieser war auch durch eine Polizeisperre nur
schwer zu stoppen. Die ungeheure Wucht von zwanzig Tonnen würde
alles unter sich zermalmen.
Aber der Fahrer dachte offensichtlich an einen anderen
Weg.
Er wollte nicht zum Ausgang des Firmengeländes, wo sich unsere
Leute postiert hatten. Stattdessen riss er das Steuer herum, fuhr
eine scharfe Kurve. So scharf, dass das Gefährt mit den hinteren
Doppelreifen auf der rechten Seite einen Meter in die Luft stieg.
Ächzend krachten sie wenig später wieder auf den Asphalt.
Unser Gegner raste einfach auf die äußere Begrenzung des
WALID-Geländes zu.
Der Zaun war für ihn kein Hindernis.
Und auch nicht die Tatsache, dass alles unter Strom stand. Die
Fahrerkabine stellte einen Faradayschen Käfig dar. Einen sicheren
Ort gab es nicht, wenn es darum ging, sich vor elektrischen
Entladungen zu schützen. Selbst Blitzeinschläge von mehreren
zehntausend Volt wären wirkungslos abgeleitet worden.
Der geheimnisvolle Fahrer ließ den Motor aufheulen. Er hatte
etwas Schwierigkeiten mit der Schaltung, aber dann kam der LKW in
Gang, beschleunigte, raste auf den Zaun zu.
Ich rannte, so schnell ich konnte.
Dann stoppte ich ab, riss die SIG empor.
Ich zielte.
Fünf Schüsse gab ich ab. Kurz hintereinander.
Ich erwischte das rechte hintere Doppelreifenpaar. Der LKW
brach etwas zur Seite aus. Der Fahrer konnte ihn nur mit Mühe unter
Kontrolle halten. Das Gefährt raste dennoch weiter auf den Zaun zu.
Aber nun prallte es in einem seitlichen Winkel gegen die Barriere.
Die volle Wucht des Zwanzigtonners kam daher nicht zur Wirkung. Das
hintere Stück brach aus und rutschte herum. Der Geruch von
verbranntem Gummi verbreitete sich. Funkensprühend ratschten die
bloßen Felgen über den Asphalt. Die Pfeiler, die den Zaun hielten,
knickten um. Der Motor des LKW heulte auf.
Aber das Fahrzeug steckte in dem elektrisch geladenen Zaun
fest. Wie ein Netz hatte sich der Zaun über die Fahrerkabine
gesenkt. Hier und da sprühten zischend Funken.
Inzwischen hatte Ollie mich erreicht.
»Um den brauchen wir uns vorerst nicht mehr zu kümmern«,
meinte er. »Der kann aus dem LKW nicht mehr heraus, solange wir die
Stromversorgung nicht unterbrochen haben.«
Wenig später erreichte ich zusammen mit Ollie die
Anlegestelle, an der Walids weiße Yacht lag. Unterwegs hatten wir
mehrere tote Security-Leute gefunden.
Die Helikopter überflogen noch immer die Norderelbe, suchten
nach dem flüchtigen Schlauchboot, dass sich jetzt irgendwo in den
Hafenbecken des alten Hafens verkrochen hatte. Über Funk hatte man
uns mitgeteilt, dass das Gebiet um den alten Hafen inzwischen
weitgehend abgesperrt war. Jedenfalls so gut das in der Kürze der
Zeit möglich war. Ein Schnellboot der Hafenpolizei rauschte die
Norderelbe abwärts.
»Wird nicht so einfach sein, diese Nussschale wieder
aufzufinden«, meinte Ollie. »Die haben sich aber auch die einzige
Ecke Hamburgs ausgesucht, in der es nachts wirklich dunkel
wird!«
Wieder setzte einer der Helikopter zum Tiefflug über die
Hafenbecken an.
Auf der anderen Seite der Norderelbe befanden sich weitere
Anlegestellen, dahinter zwei große Lagerhallen. Die gut beleuchtete
Straße wirkte wie eine Perlenschnur, die sich um das Viertel
zog.
Ganz in der Nähe leuchtete etwas auf - mitten im dunklen,
grauen Wasser der Norderelbe.
Wie eine Rakete zischte etwas in die Höhe, zog eine Lichtspur
in Richtung eines der Helikopter.
Ein Granatwerfer!, durchzuckte es ich.
Sekundenbruchteile später wurde die Nacht zum Tag. Der Heli
explodierte.
»Vorsicht!«, schrie ich.
Aber Ollie hatte im selben Moment ebenfalls begriffen, was los
war. Wir warfen uns zu Boden.
Der getroffene Helikopter wirkte wie ein Feuerball, zog eine
gebogene Fluglinie, die sich immer weiter senkte. Glühende
Metallteile flogen wie Geschosse durch die Luft. Dann raste der
Hubschrauber mit einem zischenden Geräusch in den Fluss hinein. Es
dauerte nur Augenblicke, bis er versunken war.
Das Patrouillenboot der Hafenpolizei näherte sich. Aber es war
kaum anzunehmen, dass noch Überlebende zu finden wären.
Ollie und ich waren noch nicht ganz wieder auf den Beinen, da
kam über Funk die Meldung, dass die Täter sich gemeldet hatten. Sie
hatten eine der üblichen Frequenzen des Polizeifunks benutzt, um
mitzuteilen, dass sie eine Geisel bei sich hatten. Es handelte sich
um niemand anderes als Jabbar Walid.
Ich starrte hinüber zum anderen Ufer. Ollie hielt das
Funkgerät in der Hand.
Dort, wo soeben der Granatwerfer abgefeuert worden war, war
jetzt nichts mehr zu sehen. Unser zweiter Heli hielt Abstand.
»Die Kollegen sind schon unterwegs, um das Gebiet
abzuriegeln«, meinte Ollie. »Inklusive Vollsperrung der anliegenden
Straßen.«
»Ich fürchte, die kommen zu spät«, murmelte ich. Und dann fuhr
ich ins Mikro fort: »Hier Jörgensen! Ich schlage vor, dass der Heli
Ollie und mich zur anderen Seite hinüberbringt. Sonst gehen die
Kerle uns durch die Lappen!«
9
Das Schlauchboot erreichte den Anleger. Drei Maskierte
befanden sich an Bord. Dazu ein zitternder Jabbar Walid. Er saß
zusammengekauert da. Die Hände hatten die Maskierten ihm mit
Plastikhandschellen auf den Rücken gebunden. Inzwischen hatte
Jabbar es aufgegeben, seine Entführer danach zu fragen, was sie mit
ihm vorhatten. Das einzige, was ihm die Fragerei bislang
eingebracht hatte, war ein wuchtiger Faustschlag mitten ins
Gesicht, der ihn halb betäubt hatte zusammensinken lassen.
Das Schlauchboot verfügte über einen massiven Boden aus
lackiertem Holz. Der kleine Granatwerfer, der sich darauf befand,
hatte dadurch genug Halt.
»Wir sollten auch den zweiten Heli noch vom Himmel holen«,
meinte einer der Maskierten.
Für Jabbar Walid sahen sie alle gleich aus.
»Nein, er ist zu weit weg«, gab der offensichtliche Anführer
der Gruppe zur Auskunft. »Wir würden ihn verfehlen und
wahrscheinlich auch noch auf uns aufmerksam machen.«
Einer der Männer sprang an Land. Er hielt ein Tau in der Hand.
Jabbar Walid bekam einen groben Stoß. Er wurde an Land
gezerrt.
Als alle an Land waren, wurde das Boot treiben gelassen. Es
driftete zurück auf den Fluss. Es würde vielleicht irgendwann
irgendwo am Ufer der Elbe stranden, wenn es die Richtung
beibehielt.
»Vielleicht fallen die Bullen ja darauf rein«, meinte der
Anführer der Maskierten.
Jabbar Walid musterte die Männer. Einer von ihnen trug eine
Uzi-Maschinenpistole, die anderen automatische Pistolen mit
Schalldämpfer. Den Granatwerfer trug einer der Kerle auf dem
Rücken. Keine Chance, etwas zu unternehmen, dachte Walid.
Er bekam einen der Schalldämpfer in die Rippen.
»Los! Vorwärts!«
Sie gingen auf die Lücke zwischen den beiden großen
Lagerhallen zu, die sich bei den Anlegestellen befanden.
Tagsüber herrschte hier reger Betrieb. Die LKWs fuhren im
Minutentakt die Peutestraße hinauf, den Zubringer zur A1. Aber
jetzt war wir kaum etwas los.
Die Maskierten trieben Walid vor sich her, stießen ihn
grob.
Dann hatten sie die der Straße zugewandte Seite der
Lagerhäuser erreicht. Dort herrschte rund um die Uhr reger Verkehr.
Ein beständiges Rauschen drang zu ihnen hinüber. Ein Geräuschpegel,
der alles andere verschluckte.
Selbst einen noch so gellenden Schrei.
In den Apartmenthäusern auf der anderen Seite der Straße würde
davon niemand etwas mitbekommen.
Jabbar Walid fröstelte.
Das waren Killer.
Zwei langgestreckte Limousinen fuhren von der Straße herunter
und hielten schließlich. Walid bekam erneut einen brutalen Stoß, so
dass er zu Boden fiel. Hart kam er auf. Er stöhnte auf.
Bei der ersten Limousine öffnete sich die Tür. Ein Mann im
dunklen Anzug stieg aus, eilte zur Hintertür und öffnete sie.
»Nein«, flüsterte Walid schreckensbleich, während er mit weit
aufgerissenen Augen den Mann anstarrte, der gerade ausgestiegen
war. In der Straßenbeleuchtung war er ziemlich gut zu sehen. Sein
Haar war grau, sein Anzug ebenso. Das Gesicht wirkte wie aus Stein
gemeißelt. Der dünne Oberlippenbart setzte einen markanten
Akzent.
Der Mann in Grau trat näher.
Der Anführer der Maskierten wandte sich an ihn.
»Ist nicht alles ganz glatt gegangen. Es hat mehr Widerstand
gegeben, als erwartet. Und außerdem tauchten die Bullen plötzlich
auf.«
»Ihr habt den Helikopter runtergeholt.«
»Ja.«
Der Mann in Grau nickte, holte sich einen schlanken Zigarillo
aus seinem Etui.
»Und wo sind die anderen?«
»Ich hoffe, sie kommen durch.«
Der Mann in Grau zündete sich aller Seelenruhe den Zigarillo
an, ließ ihn aufglimmen und blies den Rauch in die Nacht. Er
deutete auf Jabbar Walid.
»Verpasst ihm ein paar und dann verschwindet!«
»Ich dachte ...«
»Den Rest mach' ich.«
Ehe Jabbar Walid sich versah, packten ihn zwei der Maskierten.
Und dann prasselten die Faustschläge in rascher Folge auf ihn
hernieder. Walid konnte sich kaum schützen. Schließlich waren seine
Hände noch immer auf dem Rücken zusammengeschnürt. Walid schrie
auf, aber bald verstummte er, sackte schließlich benommen und
blutüberströmt in sich zusammen.
»Lasst ihn!«, forderte der Mann in Grau. »Ich will, dass er
mich noch verstehen kann.«
Die Maskierten ließen Walid einfach liegen.
Der Mann in Grau machte ein Zeichen mit Linken. In der anderen
balancierte er auf kunstvolle Weise seinen Zigarillo mit zwei
Fingern.
Die Maskierten stiegen in die zweite Limousine ein. Der Wagen
setzte zurück, fuhr die Peutestraße hinauf und fädelte sich in den
Verkehr der A1 ein.
Der Mann in Grau trat an den am Boden liegenden Walid heran.
Mit dem Fuß berührte er dessen Schulter, drehte Walid herum.
»Du weißt, dass ich Gewalt hasse«, behauptete der Mann in
Grau. Sein Gesicht verzog sich zu einem zynischen Grinsen. Er ließ
ein wenig Asche seines Zigarillo auf den geschundenen Walid
hinunterrieseln. »Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt,
Jabbar.« Der Mann in Grau beugte sich nieder, tätschelte Walid die
angeschwollene Wange. Walid stöhnte auf. Der Mann in Grau lachte
heiser. »Dies ist die letzte Nachhilfestunde in Gehorsam, die ich
dir gebe, Jabbar. Haben wir uns verstanden?«
Walid spuckte Blut.
»Ja«, keuchte er kaum hörbar.
»Du kriegst sie auch nur deshalb, weil ich dich noch brauche.
Sag, das du mich verstanden hast, Jabbar!«
»Ich habe ... verstanden!«
»Ich möchte, dass du Folgendes weißt: Ich kann dich jederzeit
töten. Es gibt keinen Ort, an den du fliehen könntest. Keinen. Und
wenn du es versuchen solltest, kannst du sicher sein, dass meine
Leute dich finden und zur Strecke bringen werden ...«
Der Mann in Grau erhob sich, ging zurück zur Limousine, stieg
dann ein. Irgendwo jenseits der A1 waren Martinshörner der Polizei
zu hören.
Und ein Helikopter bewegte sich in einem weiten Bogen auf die
Lagerhallen zu. Die Limousine brauste mit quietschenden Reifen
davon.
10
Der Helikopter landete auf Pier 44 und setzte uns ab. Ollie
sprang als Erster, dann folgte ich. Der Helikopter stieg
anschließend wieder auf. In der Ferne waren die Sirenen unserer
Kollegen zu hören.
Die angekündigte Vollsperrung der A1 war offenbar noch nicht
in Kraft. Jedenfalls floss der Verkehr nach wie vor
ungehindert.
Wir sahen uns um.
Von dem Schlauchboot, das wir suchten, war nirgends etwas zu
erkennen.
Wir hatten die Waffen im Anschlag, pirschten uns dann bis zu
den Lagerhallen vor. Dahinter fanden wir einen menschlichen Körper,
der sich wie ein Embryo zusammenkrümmte. Ein schmerzvolles Ächzen
mischte sich mit dem Straßenlärm.
»Herr Walid?«, fragte ich, steckte die Pistole zurück ins
Holster und kniete mich neben ihn.
»Ja?«, stöhnte Walid.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Sie bekommen gleich
Hilfe.«
Er nickte matt, versuchte sich aufzustützen. Aber er schaffte
es nicht.
»Bleiben Sie besser liegen«, riet Ollie.
Ich fügte hinzu: »Sie müssen uns helfen, Herr Walid. Dann
können wir denen, die das getan haben, das Handwerk legen
...«
Walid hustete. Blut rann aus seinem Mundwinkel heraus.
»Mir ... kann niemand helfen«, murmelte er. »Niemand.
..«
Es dauerte noch ein paar Minuten, bis die Einsatzfahrzeuge der
Polizei eintrafen. Ein Wagen der Notfallambulanz traf
unglücklicherweise als Letztes ein. Wir hatten ihn über Funk
angefordert.
Jabbar Walids Wunden wurden fachgerecht versorgt.
Es machte ganz den Anschein, dass er keinen besonderen Wert
darauf legte, mit uns zu reden.
»Wenn du mich fragst, der weiß ganz genau, wer
dahintersteckt«, vermutete Ollie.
Ich nickte. »Er hat Angst ...«
»Ja - und bis jetzt offenbar mehr vor diesen Kriminellen als
vor uns.«
Der Verkehr auf der A1 kam zum Erliegen.
Über Funk erfuhren wir, dass darüber hinaus auch an einigen
Punkten Kontrollen durchgeführt wurden. Das Problem bei der Sache
war, dass niemand, der an der Aktion beteiligt war, wirklich
wusste, wonach er suchen sollte.
Aber vielleicht hatten wir ja Glück, und bei irgendeiner
Kontrolle stießen die Kollegen auf ein Schlauchboot im Kofferraum.
..
Roy tauchte schließlich auf. Er war mit dem Sportwagen
hierhergefahren.
»Wie geht es Fred?«, fragte ich als Erstes.
»Sieht übler aus, als wir zuerst dachten. Die Blutungen waren
ziemlich schwer zu stillen. .. Er ist jetzt im Wilhelmsburger
Krankenhaus.«
Ich atmete tief durch.
Die Bilanz der Schießerei auf dem WALID-Gelände war äußerst
blutig. Elf Tote und mehrere Verletzte gab es unter Walids
Sicherheitsleuten. Bei drei Toten handelte es sich vermutlich um
Komplizen der Kidnapper. In einem der Hafenbecken der alten Werft
hatten die Kollegen der Hafenpolizei ein verlassenes Schlauchboot
aufgefunden. Aber von den Insassen gab es bis jetzt keine Spur. Der
Areal war wie ein Labyrinth. Und so sehr sich die Kollegen auch
bemüht hatten, das Gelände weiträumig und hermetisch abzuriegeln -
ganz war ihnen das offenbar nicht gelungen. Die Suche wurde noch
fortgesetzt.
»Und was ist mit dem Kerl im LKW?«, erkundigte ich mich.
»Den nehmen sich heute Nacht unsere Verhörspezialisten vor«,
berichtete Roy.