Thriller Quartett 4086 - Alfred Bekker - E-Book

Thriller Quartett 4086 E-Book

Alfred Bekker

0,0

Beschreibung

(499XE) Bount hatte seinem Bekannten die Kawasaki zurückgegeben. Um halb neun morgens bog er mit June im 450 SEL in die Fletcher Street ein. Hier standen in der Nähe der Docks hässliche Mietskasernen. Im Hintergrund sah man Dockkrans bei den Piers aufragen. Die Straße war dreckig. Das Haus, in dem Beamster Unterschlupf gefunden hatte, war, wie von dem Silberköpfchen im Zero Club erwähnt, tatsächlich nicht zu verfehlen. Es gehörte zu einer Häuserzeile. Fahnen und mit Spruchparolen versehene Betttücher hingen aus den Fenstern. Die Wände waren mit Parolen besprüht. Bount hielt ein Stück vor dem Haus. »June, wir bleiben über Funk in Verbindung. Wenn es in dem Haus Krach gibt und du der Meinung bist, dass ich in Schwierigkeiten stecke, ruf das Überfallkommando. Klar?« »Natürlich, Chef.« June himmelte Bount an. »Du wagst dich wirklich allein hinein und willst Beamster herausholen?« »Sicher. Die politische Einstellung der Leute in diesem Haus ist deren Angelegenheit. Beamster ist ein Gangster. Deshalb will ich ihn holen. Ich denke, wenn es mir gelingt, den Hausbesetzern das zu erklären, kann nichts schief gehen.« »Deinen Optimismus möchte ich haben.« »Dem Mutigen gehört die Welt«, sagte Bount. »Wird schon schief gehen, June.« Diesmal hatte Bount keine Kampfausrüstung wie in der vergangenen Nacht in der Bronx. Er trug zwar seine Automatic in der Schulterhalfter, wollte sie aber nach Möglichkeit nicht gebrauchen. Er stieg aus, warf June eine Kusshand zu und schritt zu dem Haus. Dieser Band enthält folgende Krimis Alfred Bekker: Der Fall mit dem Stadtpark-Killer Earl Warren: Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten Earl Warren: Bount Reiniger und die Yukon-Gang Earl Warren: Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 496

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Earl Warren, Alfred Bekker

Thriller Quartett 4086

UUID: f9e6b5e1-0d99-4e32-95a1-87ab3b985e16
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write ( https://writeapp.io) erstellt.
UUID: 298c3843-cb20-4a71-b410-e354aecb9832
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 4086

Copyright

Der Fall mit dem Stadtpark-Killer

Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten

1.

2.

3.

4.

5.

Bount Reiniger und die Yukon-Gang

1.

2.

3.

4.

5.

Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Thriller Quartett 4086

Earl Warren, Alfred Bekker

Bount hatte seinem Bekannten die Kawasaki zurückgegeben. Um halb neun morgens bog er mit June im 450 SEL in die Fletcher Street ein. Hier standen in der Nähe der Docks hässliche Mietskasernen. Im Hintergrund sah man Dockkrans bei den Piers aufragen. Die Straße war dreckig.

Das Haus, in dem Beamster Unterschlupf gefunden hatte, war, wie von dem Silberköpfchen im Zero Club erwähnt, tatsächlich nicht zu verfehlen. Es gehörte zu einer Häuserzeile. Fahnen und mit Spruchparolen versehene Betttücher hingen aus den Fenstern. Die Wände waren mit Parolen besprüht.

Bount hielt ein Stück vor dem Haus. »June, wir bleiben über Funk in Verbindung. Wenn es in dem Haus Krach gibt und du der Meinung bist, dass ich in Schwierigkeiten stecke, ruf das Überfallkommando. Klar?«

»Natürlich, Chef.« June himmelte Bount an. »Du wagst dich wirklich allein hinein und willst Beamster herausholen?«

»Sicher. Die politische Einstellung der Leute in diesem Haus ist deren Angelegenheit. Beamster ist ein Gangster. Deshalb will ich ihn holen. Ich denke, wenn es mir gelingt, den Hausbesetzern das zu erklären, kann nichts schief gehen.«

»Deinen Optimismus möchte ich haben.«

»Dem Mutigen gehört die Welt«, sagte Bount. »Wird schon schief gehen, June.«

Diesmal hatte Bount keine Kampfausrüstung wie in der vergangenen Nacht in der Bronx. Er trug zwar seine Automatic in der Schulterhalfter, wollte sie aber nach Möglichkeit nicht gebrauchen. Er stieg aus, warf June eine Kusshand zu und schritt zu dem Haus.

Dieser Band enthält folgende Krimis

Alfred Bekker: Der Fall mit dem Stadtpark-Killer

Earl Warren: Bount Reiniger oder Dynamit in den Fäusten

Earl Warren: Bount Reiniger und die Yukon-Gang

Earl Warren: Bount Reiniger und die Spur ins Pentagon

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

Der Fall mit dem Stadtpark-Killer

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
Der Fall mit dem Stadtpark-Killer
von Alfred Bekker
1
Ich machte mit dem Mann, den man auf dem Kiez nur den Libanesen nennt, mal wieder eine Segeltour auf der Außenalster. Ab und zu treffen wir uns zu einer einer Art informellen Austausch: Er, die Halbweltgröße von St. Pauli und ich, Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen von einer Spezialabteilung der Kripo und des BKA, die sich vorrangig mit den großen Fällen und der organisierten Kriminalität beschäftigt.
Wir sind schon ein einmaliges Paar, der Libanese und ich.
Seit ich ihm mal bei einer Schießerei das Leben gerettet habe, ist er mir was schuldig. Aber das ist eine andere Geschichte. Die will ich jetzt nicht erzählen.
Er gibt mir hin und wieder Tipps, an die ich sonst nicht herankommen würde. Inoffizielle Informationen. Dinge, die man in der Szene so hört. Sachen, die herumerzählt werden - nur Leuten wie mir eben nicht, die mit einer Polizeimarke herumlaufen und wahrscheinlich ohne Marke und ohne irgendwelche offiziellen Insignien immer ein bisschen staatstragend und beamtenähnlich wirken, sodass man ihnen misstraut.
Manchmal lädt mich der Libanese in eines seiner Striptease-Lokale auf St. Pauli ein. Das ist ja okay. Etwas anstrengender wird es, wenn ich ihn in seiner Shisha-Bar treffe. Dieses Gedampfe und Geblubber ist schwer erträglich. Ich atme lieber frei. Insofern ist es schon das Beste, wenn wir uns auf seinem Jollenkreuzer treffen und damit auf der Außenalster unterwegs sind. Außerdem hört uns da garantiert niemand zu.
»Wallah, ich habe gehört, dass jemand nach Hamburg kommt, von dem ihr wissen solltet«, sagte der Libanese.
»Wer?«, fragte ich.
»Jaffar as-Zadik.«
»Aha…»
»Der Name ist arabisch.«
»Habe ich mir schon gedacht.«
»Er sollte dir was sagen.«
»Man kann nicht alles im Kopf haben. Aber er kommt mir bekannt vor.«
»Wallah, ich erspare dir die Datenabfrage. Der Mann ist ein internationaler Top-Terrorist.«
»Hast du eine Ahnung, was er in Hamburg will?«
»Nein. Aber ich dachte, es ist besser, ihr wisst Bescheid. Vielleicht irre ich mich ja auch. Vielleicht hat der, von dem ich es gehört habe, auch nur Unsinn geredet. Aber das glaube ich nicht. Der weiß im Allgemeinen sehr gut Bescheid.«
»Ist wahrscheinlich sinnlos, dich danach zu fragen, von wem du das weißt.«
»Wallah.«
»Ich weiß, das gehört zu unseren Abmachungen.«
»Keine Fragen nach den Quellen.«
»Musst du verstehen! Die Quellen versiegen sonst. Aber ich wette, deine Vorgesetzten werden sich freuen, vorher informiert zu sein, wenn jemand wie Jaffar as-Zadik in der Stadt ist.«
Ich atmete tief durch, während der Libanese zu einer Wende ansetzte und wir uns auf die andere Seite des Bootes setzten. »Ich hoffe nur, dieser Kerl hat nicht gerade ein Paket Sprengstoff dabei!«
»Damit muss man bei solchen Typen immer rehnen«, sagte der Libanese.
*
Ein sonniger Nachmittag im Stadtpark Planten un Blomen, ganz in der Nähe des Cafés Seepavillon. Das Wasser des Parksees glitzerte in der Sonne. Auf den Uferpromenaden tummelten sich Jogger und Radfahrer. Jugendliche Skateboardfahrer führten Kunststücke vor. Die wummernden Bässe eines Ghettoblasters mischten sich mit dem Stimmengewirr.
Der Fahrer eines Trekking-Bikes fuhr geschickt zwischen den Scharen von Passanten hindurch. Er trug Radfahrerkleidung und einen hinten spitz zulaufenden Helm. Der Großteil des Gesichts war von einer Sonnenbrille mit Spiegelgläsern verdeckt. Der Biker hielt an, stützte sich auf den linken Fuß. Ein kaltes Grinsen umspielte die Lippen, als er den Reißverschluss seiner Bauchtasche öffnete. Seine rechte Hand langte hinein. Die Finger legten sich um den kalten Griff einer Pistole.
Der Blick des Bikers fixierte zwei Männer. Der eine war groß, schlaksig und war mit einem dunklen Anzug bekleidet. Schon deswegen fiel er unter den Joggern und Skateboardern ziemlich auf. Der andere war klein und breitschultrig. Er trug eine braune Lederjacke. Die beiden waren in ein ziemlich gestenreiches Gespräch verwickelt. Der Mann im Anzug setzte eine Sonnenbrille auf. Sein Gesicht war rot. Der Breitschultrige in der Lederjacke redete auf ihn ein.
Ein Skateboarder kurvte riskant um die beiden herum und balancierte dabei auch noch einen Ghettoblaster auf den Schultern. Der Mann im Anzug wich ein Stück zur Seite.
Der Biker fasste unterdessen den Griff der Pistole fester, entsicherte sie.
Ein guter Jäger muss den richtigen Moment abwarten!, dachte er kalt. Ein guter Jäger - oder ein Killer!
So war das eben.
Darauf lief es hinaus.
Er beobachtete, wie der Mann im Anzug in die Jackettinnentasche griff und ein gepolstertes, braunes Kuvert herausholte. Der Kerl in der Lederjacke riss es förmlich an sich, verbarg es dann sofort unter der Jacke. Er drehte sich kurz um, ließ den Blick kreisen. Um ein Haar rempelte er einen Jogger an, als er einen Schritt zur Seite machte.
Der Killer erkannte jetzt, dass er nicht länger zögern durfte. Sonst würde es unmöglich werden, beide Männer auf einmal zu töten.
Er fuhr einhändig los, umklammerte dabei nach wie vor den Griff der Waffe, ohne sie jedoch aus der Bauchtasche herauszuholen. Er trat kräftig in die Pedale, hatte einen hohen Gang eingelegt und beschleunigte. Er hielt direkt auf die beiden Männer zu, riss dann die Pistole hervor. Auf dem Lauf befand sich ein aufgeschraubter Schalldämpfer. Der Mann im dunklen Anzug erkannte als Erster die Gefahr. Sein Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schreckens. Der erste Schuss des Killers traf ihn mitten in die Stirn. Der Getroffene taumelte zurück, einem Skateboarder direkt in die Arme.
Beide stürzten zu Boden.
Der Mann in der Lederjacke wirbelte unterdessen herum, riss einen kurzläufigen Schnitter & Wesson Revolver hervor. Er kam nicht mehr zum Schuss. Einen Sekundenbruchteil, bevor er abdrücken konnte, traf ihn die erste Kugel aus der Schalldämpferwaffe des Bikers im Brustkorb. Das Geräusch, das dabei entstand war nicht lauter als der Schlag mit einer Zeitung. Der Mann in der Lederjacke sackte in sich zusammen, presste die Hand gegen das Hemd. Rot rann es zwischen seinen Fingern hindurch. Er ächzte, versuchte den Arm mit dem Revolver noch einmal hochzureißen. Aber der Arm gehorchte ihm nicht mehr. Reglos blieb er liegen.
Der Killer-Biker ließ indessen die Schalldämpfer-Pistole in der Bauchtasche verschwinden, kurvte rücksichtslos zwischen den Joggern und Spaziergängern hindurch. Einen Skateboarder fuhr er brutal um. Der Mann schrie auf, als er die Lenkstange in die Seite bekam. Der Biker beschleunigte, jagte dann quer über eine der Liegewiesen. Er erreichte einen der Wege, die in Richtung des nahen Wäldchens führten, einem teils ziemlich einsamen und menschenleeren Waldstück mitten im Stadtpark.
Wie erstarrt standen die Passanten da.
Es dauerte ein paar Schrecksekunden, ehe jemand zum Handy griff. Ein Pulk von Schaulustigen bildete sich.
Eine junge Frau mit langen, bis über die Schultern reichenden braunen Haaren drängelte sich entschlossen durch die Passanten hindurch. Sie trat an den Mann mit Lederjacke heran, kniete sich nieder und beugte sich über ihn.
»Ich bin Ärztin!«, rief sie den Leuten zu. »Rufen Sie doch die Notfallambulanz!«
Der Mann atmete noch ganz flach.
Sie beugte sich über ihn, griff in die Innentasche des Jacketts und holte das braune Kuvert heraus. Sie tat so, als wollte sie ihn untersuchen und erste Hilfe leisten. Niemand bemerkte die Nadel, die plötzlich aus ihrem Schlüsselanhänger herausragte.
Die junge Frau stach zu, nahm den braunen Umschlag und erhob sich.
Sie drängte sich an einem jungen Mann vorbei, der sie misstrauisch anstarrte.
»Wie lange dauert das denn! Der Mann stirbt!«, rief sie.
In der Ferne ertönten die Martinshörner von Polizei und Rettungswagen. Aber als die Einsatzkräfte den Ort des Geschehens erreichten, war die junge Frau längst in der anonymen Menge der Gaffer verschwunden.
2
Kriminalhauptkommissar Ralf Deggart begrüßte Roy und mich am Tatort. Die beiden Toten waren bereits von den Beamten der Gerichtsmedizin abtransportiert worden. Markierungen zeigten an, wo sie zu Boden gegangen waren.
Kollegen des Erkennungsdiensts suchten die Umgebung nach Spuren ab, während ein Dutzend Beamte damit beschäftigt war, Passanten zu befragen und Personalien aufzunehmen.
»Der Fahrer eines Trekking-Bikes hat zwei Männer offenbar gezielt und kaltblütig erschossen«, berichtete Kriminalhauptkommissar Deggart mit ernstem Gesicht. »Der Mann war so schnell weg, dass ...«
»Ein Mann?«, vergewisserte ich mich.
Deggart nickte.
»Den Zeugenaussagen nach ja. Leider war von seinem Gesicht nicht viel zu sehen. Er trug eine dieser modernen Radfahrerbrillen sowie einen Helm. Wir haben alle Leute zusammengetrommelt, die wir auftreiben konnten. Meine Männer suchen jetzt den Park ab. Aber die Chancen, dass der Killer sich dort noch versteckt hält, stehen eins zu tausend.«
Deggart zeigte mir ein paar Fotos auf dem Handy. Sie zeigten die Opfer dieses Mordanschlags.
»Der Mann in der Lederjacke heißt Wotan Sternberg . Er ist Privatdetektiv und hat sein Büro in Langenhorn. Mehr wissen wir noch nicht.«
»Schicken Sie uns die weiter?«
»Ja, mache ich.
»Der Grund dafür, dass man uns gerufen hat, ist die Identität des zweiten Mannes«, sagte Roy.
Deggart nickte.
»Jaffar as-Zadik, vermutlich ein islamistischer Top-Terrorist. Jedenfalls steht er auf euren Fahndungslisten, Uwe.«
Ich hob die Augenbrauen. Der Name as-Zadik sagte mir durchaus etwas, vor allem seit der Libanese ihn muir gegenüber erwähnt hatte. Er war in der Vergangenheit mit der Terror-Gruppe des Osama bin Laden in Verbindung gebracht worden.
Eigentlich vermuteten wir as-Zadiks Aufenthaltsort eher im Sudan, in Afghanistan oder einer der islamisch geprägten ehemaligen GUS-Republiken, in deren versteppten Weiten ein internationaler Haftbefehl nichts bedeutete.
Die Information des Libanesen, dass er Hamburg einen Besuch abstatten wollte, war als nicht sehr wahrscheinlich eingestuft worden.
Niemand hatte damit gerechnet.
Und er selbst hatte wohl am wenigsten für möglich gehalten, dass sein Besuch in Hamburg dermaßen kurz ausfallen würde.
»Hundertprozentige Sicherheit haben wir natürlich noch nicht, was as-Zadiks Identität angeht«, gab Deggart zu. »Die Raster unserer Bilderkennungsprogramme sind ziemlich grob.«
Roy sagte: »Soweit ich weiß, gibt es von as-Zadik verhältnismäßig viel Fotomaterial. Mit Hilfe telemetrischer Untersuchungen werden wir in Kürze ziemlich sicher sein.«
Im Rahmen telemetrischer Verfahren werden Gesichts- oder Körpermerkmale exakt vermessen, etwa der Abstand der Augen zueinander oder der Abstand zwischen rechtem Auge und rechtem Ohr und so weiter. Dass mehr als fünf solcher Daten bei verschiedenen Menschen exakt übereinstimmen, ist extrem unwahrscheinlich. Und bei den von unseren Spezialisten durchgeführten Untersuchungen werden sogar zwölf solcher Merkmale miteinander verglichen. Auf diese Weise lässt sich ein Mensch auch anhand von Fotomaterial identifizieren, das schon Jahrzehnte alt ist.
»Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, was as-Zadik hier wollte?«, fragte ich.
Deggart zuckte mit den Achseln.
»Er hatte eine drei Tage alte Tankquittung in der Hosentasche. Dadurch wissen wir, dass er einen Wagen gefahren hat, der Super-Benzin fährt und sich mindestens seit dem angegebenen Zeitpunkt in den Deutschland aufhielt.« Deggart rief einen seiner Beamten herbei, der uns die Brieftasche zeigte, die man bei as-Zadik gefunden hatte. Darin ein Pass auf den Namen Jason Millan, amerikanischer Staatsbürger, 42 Jahre alt, geboren in Nürnberg sowie ein griechisches Dokument, das auf den Namen Stavros Pavlidis ausgestellt war. »Dass er den Pavlidis-Pass bei sich hatte, ist überhaupt der Grund dafür, dass wir so schnell auf as-Zadik gekommen sind«, erklärte Deggart. »Diese Identität hat er nämlich früher schon einmal benutzt …»
»Sieht aus, als hätte sich as-Zadik mit diesem Privatdetektiv treffen wollen, und jemand hat das unbedingt verhindern wollen«, murmelte ich, während ich mir die Markierungen eingehend ansah, die anzeigten, wo die Toten gelegen hatten.
»Wir haben eine Zeugenaussage, dass der Detektiv noch einige Augenblicke lang gelebt hat«, sagte Deggart in meine Gedanken hinein. »Vielleicht hat er dieser Ärztin sogar noch etwas gesagt.«
Ich blickte ihn überrascht an.
»Welche Ärztin?«, hakte ich nach.
»Eine Frau mit langen braunen Haaren, höchstens dreißig. Zeugen zufolge hat sie behauptet, Ärztin zu sein und sich um den Mann gekümmert. Allerdings war sie verschwunden, ehe die Rettungskräfte eintrafen.« Deggart verzog das Gesicht. »Ein Phantombild wird gerade angefertigt. Vielleicht meldet sich diese Frau ja, wenn wir es in der Presse veröffentlichen ...«
»Ja, vielleicht«, murmelte ich.
Wir sprachen noch mit Sarah Temme, einer Erkennungsdienstkollegin, die uns den Reifenabdruck eines Trekking-Bikes zeigte.
»Vielleicht haben wir ja Glück und der Täter hat einen exquisiten Geschmack, was sein Fahrrad-Equipment angeht«, meinte sie. »Dann könnte man ihn vielleicht darüber identifizieren.«
Der einzige Ansatzpunkt, der Roy und mir für unsere Ermittlungen blieb, war Wotan Sternberg, der Privatdetektiv.
So fuhren wir zu der Adresse, die in dem Führerschein gestanden hatte, der bei dem Toten Sternberg gefunden worden war: Langenhorn, Preetzstraße.
Die Adresse gehörte zu einem mehrstöckigen Haus. Im Erdgeschoss befanden sich kleine Geschäfte, Restaurants und ein Frisör. Die darüber liegenden Etagen dienten vorwiegend kleineren Firmen als Büroräume. Consulting-Firmen, Steuerberater und Rechtsanwälte residierten hier ebenso wie eine Agentur, die Models vermittelte. In der obersten Etage fand sich das Detektiv-Büro Sternberg.
Sternbergs' Firmenschild an der Tür aus Panzerglas zeigte bewusstes Understatement.
W. Sternberg , Private Ermittlungen - das war alles, was dort stand.
Roy betätigte die Gegensprechanlage. Eine Frauenstimme meldete sich.
»Ja, bitte?«
»Roy Müller, Kriminalpolizei. Bitte machen Sie die Tür auf.«
Eine kurze Pause folgte.
»Herr Sternberg ist im Moment nicht zu sprechen«, erwiderte die Frauenstimme dann geschäftsmäßig.
»Möglicherweise möchten wir mit Ihnen sprechen, Frau ...«
»Mit mir?«, echote sie.
Ihre Verunsicherung war deutlich herauszuhören. Es knackte in der Gegensprechanlage. Einige Augenblicke geschah gar nichts, dann schob sich die Panzerglastür mit einem Summen zur Seite. Wir traten ein.
Ein baumlanger Kerl kam aus einem der Räume heraus und trat uns entgegen. Er trug einen dunklen Anzug.
»Die Ausweise bitte!«, forderte er.
Wir zeigten ihm unsere Ausweise. Der Lange sah sie sich eingehend an, bevor er sie an uns zurückgab.
»Und wer sind Sie?«, fragte ich.
»Guido Braun«, knurrte der Lange. »Ich bin ein Mitarbeiter von Herrn Sternberg.«
»Und die charmante Lautsprecherstimme von eben?«, fragte Roy.
»Sprechen Sie von mir?«
Wir drehten uns in Richtung der halb offenen Tür herum, durch die man offenbar in die eigentlichen Büros gelangte. Eine grazile Frau mit langen braunen Haaren musterte uns zunächst abschätzig. Dann trat sie auf uns zu. Die enge Jeans und das knappe T-Shirt verbargen kaum etwas von ihren Reizen. Ihre dunkelbraunen Augen sahen mich an.
»Mara Ferdinand«, sagte sie.
»Auch eine Mitarbeiterin von Herrn Sternberg?«, fragte ich.
»Sie sagen es.«
»Wo befindet sich Ihr Chef jetzt?«
Sie verzog spöttisch das fein geschnittene Gesicht.
»Glauben Sie wirklich, dass ich Ihnen so eine Frage beantworten werde, Herr ...«
»Kriminalhauptkommissar Uwe Jörgensen«, stellte ich mich vor. »Der Mann, bei dem Sie angestellt sind, wurde vor wenigen Stunden im Stadtpark ermordet.«
Mara Ferdinand wandte den Kopf, wechselte einen Blick mit Guido Braun.
Braun hob die Augenbrauen.
»Wie ist das passiert?«
»Bevor wir Ihre Fragen beantworten, wäre es nett, wenn wir uns hier ein bisschen umsehen dürften und Sie einige Angaben machen«, sagte ich.
Braun atmete tief durch.
»Wenn ich nein sagen würde, hätte das wahrscheinlich ohnehin keinen Sinn«, knurrte er.
»So ist es. Um in den Räumen eines Ermordeten eine Durchsuchung durchzuführen, brauchen wir nicht einmal einen richterlichen Befehl.«
»Das ist Routine. Ich kenne mich aus«, erwiderte Braun.
Ich wandte mich an Mara Ferdinand.
»Führen Sie mich ein bisschen im Büro herum?«
»Sicher.«
Roy zog sich mit Guido Braun in einen der Empfangsräume zurück, die zur Agentur gehörten. Währenddessen ließ ich mich von Mara in das eigentliche Büro führen. Es bestand aus einem fast hundert Quadratmeter großen Raum, in dem sich mehrere Computeranlagen befanden.
»Ja, die Arbeit eines Privatdetektivs hat sich seit den Zeiten von Philip Marlowe ziemlich verändert«, meinte Mara. »Wir verbringen viel Zeit vor dem Bildschirm. Aber Sie kennen das ja aus Ihrem Job.«
»Allerdings.«
Sie blieb stehen, lehnte sich gegen einen der modernen Bürotische und sah mir direkt in die Augen.
»Sie wollten Guido und mich getrennt befragen, nicht war? Um zu sehen, ob wir Ihnen dieselbe Story erzählen.«
Ich lächelte.
»Würden Sie nicht dasselbe tun, wenn es Ihr Fall wäre, Frau Ferdinand?«
»Sagen Sie ruhig Mara zu mir!«
»Wenn Sie zu mir Uwe sagen.«
Ihr Augenaufschlag war gekonnt. Der Hüftschwung, mit dem sie dann auf den Kaffeeautomaten auf der anderen Seite des Büros ging, auch. Sie wusste genau, wie man die Konzentration eines Mannes nachhaltig stören konnte.
»Wo waren Sie heute zwischen drei und vier Uhr nachmittags?«, fand ich schließlich den Faden gerade noch rechtzeitig wieder, bevor es auffiel.
»Hier. Bei der Arbeit.«
»Und Herr Braun?«
»Ebenfalls.«
»Weitere Zeugen gibt es dafür nicht?«
»Bin ich jetzt verdächtig?«
»Ich stelle lediglich Fragen. Das ist mein Job.«
Sie atmete tief durch. Ihre wohlgeformten Brüste, die sich durch das dünne T-Shirt deutlich abzeichneten, hoben und senkten sich dabei.
»Guido und ich haben an einem Fall gearbeitet. Hier, in diesem Raum am Bildschirm. Und wenn es um ein Alibi geht, dann gibt es vielleicht doch einen Zeugen.«
»Und wen?«
»Den Computer. Wir haben einige E-Mails versandt, und das ist aufgezeichnet worden.«
»E-Mails kann man auch zeitverzögert absenden«, gab ich zu bedenken.
»Jetzt sagen Sie mir endlich genauer, was mit Wotan passiert ist!«, forderte sie.
»Er hat sich in der Nähe des Cafés Seepavillon im Park Planten un Blomen mit jemandem getroffen.«
»Mit wem?«, fragte sie sofort, ohne auch eine Sekunde abzuwarten.
»Ich dachte, da könnten Sie mir weiterhelfen«, hielt ich mich bedeckt. »Sie haben doch in einer Art Team zusammengearbeitet, wenn ich das richtig sehe.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wotan Sternberg wird sich doch wohl kaum zu einem konspirativen Treff mit einem Informanten oder etwas Ähnlichem aufgemacht haben, ohne seine Mitarbeiter zu informieren. Schon um der eigenen Sicherheit willen!«
»Sie kannten Wotan nicht!«
»Aber ich kenne die Grundregeln, nach denen sein Job funktioniert.«
Mara lachte auf. Ihr Tonfall war von Bitterkeit geprägt.
»Haben Sie eine Ahnung ... Mein Gott, Wotan war der Chef, und er hat sich halt nicht gern in die Karten blicken lassen. Aber so war er immer schon. Vom ersten Tag, als ich hier angefangen habe.«
»Ihr Chef wurde erschossen. Ebenso der Mann, mit dem er sich getroffen hat. Es wäre nett, wenn Sie mir erklären würden, an welchen Fällen Herr Sternberg in letzter Zeit gearbeitet hat.«
Sie zuckte die Achseln.
Auf ihrer Stirn erschien eine Falte.
»Er hatte immer mehrere Sachen nebeneinander her laufen ...« Sie tigerte zu einem der Computerterminals hinüber. Ich konnte gerade noch verhindern, dass sie an die Tastatur ging.
Ich umfasste ihr schmales Handgelenk.
»Nichts anfassen!«, forderte ich und ließ sie dann los.
»Wieso?«
»Weil unsere Spezialisten die gesamte EDV-Anlage genauestens unter die Lupe nehmen werden. Dasselbe gilt für alle anderen Unterlagen hier.«
Sie zuckte die Achseln.
»Tut mir leid. Wollen Sie einen Kaffee?«
»Nichts dagegen.«
Sie ging zum Automaten und holte mir einen Becher. Er war bis knapp unter den Rand gefüllt, und ich verbrannte mir fast die Finger.
»Sagt Ihnen der Name Jason Millan etwas?«, fragte ich.
»Nein.«
»Und Stavros Pavlidis?«
»Auch Fehlanzeige. Wotan hat diese Namen nie erwähnt. Was sind das für Leute?«
»Es sind die Decknamen eines Mannes namens Jaffar as-Zadik, der als Top-Terrorist gesucht wird.«
Sie hob die Augenbrauen.
»Das ist also der Mann, mit dem Wotan sich getroffen hat«, schloss sie.
Ich nahm einen Schluck von dem Kaffee und meinte dann: »Es wird Zeit, dass Sie langsam kooperativ werden, Mara. Sonst stecken Sie selbst bis zum Hals mit drin. Und was Verwicklungen in die Aktivitäten internationaler Terroristen angeht, da können Sie bei keinem Staatsanwalt irgendeine Art von Entgegenkommen erwarten.«
Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Ich hoffte, sie etwas eingeschüchtert zu haben. Mit der Linken griff ich in die Jackentasche und holte mein Handy heraus. Ich rief im Hauptquartier an. In zwanzig Minuten würde hier eine Schar von Spezialisten jedes Staubkorn unter die Lupe nehmen.
3
Der Biker trug sein Rad mit dem Rahmen über der linken Schulter. In der Rechten balancierte er eine Pizzaschachtel. In den Gläsern der überdimensionalen Brille spiegelte sich die efeubewachsene Fassade des Hauses in der Ruppertstraße. Diese Gebäude war geradezu typisch für dieses Viertel. Mit seinen fünf Geschossen wirkte es winzig gegenüber den Hochhäusern von Hamburg Mitte, die im Hintergrund emporragten. Ganz in der Nähe befand sich der Wilhelmsburger Inselpark. Nur gut hundert Meter danach stieß die Ruppertstraße auf die wesentlich belebtere 75, auf der man nach Norden über die 4 in Richtung Park Planten un Blomen gelangen konnte.
Der Biker brachte die vier Stufen hinter sich, die hinauf zur Tür führten, setzte das Rad ab und holte den Schlüssel aus seiner Bauchtasche.
Die Waffe, die er im Stadtpark vor ein paar Stunden benutzt hatte, befand sich ebenfalls noch dort.
Er hatte überlegt, sie einfach irgendwo im Park fallenzulassen. Aber erstens musste er damit rechnen, dass das Waldstück im Park von ganzen Polizei-Hundertschaften systematisch durchkämmt werden würde und zweitens wäre der Killer sich ohne Waffe irgendwie nackt und ungeschützt vorgekommen.
Mit federnden Schritten betrat er das Haus, ließ dabei das Bike neben sich her rollen.
Der Aufzug war groß genug dafür. Einer der wesentlichen Gründe für den Biker, sich hier eine Wohnung gesucht zu haben. Sie lag im obersten Stock.
Die Flure waren lang und kahl.
Bei den Leute, die hier wohnten, handelte es sich überwiegend um Singles. Sie arbeiteten viel, und man begegnete ihnen kaum. Auch ein Pluspunkt für diese Wohnlage. Jedenfalls in der Sicht des Bikers.
Er steckte seinen Schlüssel in die Apartmenttür.
Sein Instinkt für Gefahr sagte ihm, dass irgendetwas nicht stimmte, anders war als sonst.
Er wandte den Kopf, fragte sich schon, ob er sich vielleicht etwas einbildete. Dann bemerkte er den Unterschied. Die Kamera der Videoüberwachungsanlage am Ende des Flures ... Normalerweise reagierte sie auf jede Bewegung und wäre dem Biker mit ihrem Objektiv gefolgt. Aber das tat sie nicht.
Wahrscheinlich mal wieder defekt, dachte der Biker.
Seit die Anlage auf den neuesten Stand der Technik gebracht worden war, funktionierte sie des Öfteren nicht richtig.
Nicht mein Problem, dachte der Biker. Die Tür sprang vor ihm auf. Er trat ein, stellte das Bike ab.
»Hallo, Spider!«
Die Stimme kam von der anderen Seite des Raums.
Ein Mann im grauen Anzug stand in der Tür, die zur Küche führte. Er trug einen dunklen Oberlippenbart.
Im Bruchteil einer Sekunde ging die rechte Hand des Bikers zur Bauchtasche, riss sie auf. Die Pizzaschachtel landete auf dem Boden.
Einen Sekundenbruchteil später hielt der Biker die Schalldämpferpistole beidhändig im Anschlag. Der Lauf zeigte auf den Mann im grauen Anzug.
Dieser grinste zynisch.
Der Biker erstarrte.
Dann lachte der Mann in Grau kurz auf.
»Ich sehe, du bist ein bisschen nervös geworden, Spider.« Er kicherte. »Und das in deinem jugendlichen Alter …» Kopfschütteln. Er deutete mit knapper Geste auf die Pizza. »Ich hoffe für dich, dass da drin jetzt nicht nur noch Matsche ist.«
Spider senkte die Waffe. Er atmete tief durch.
»Was willst du hier?«, fragte er dann knapp.
Der Mann im grauen Anzug griff in die Innentasche seines Jacketts, nahm in aller Ruhe ein Zigarettenetui heraus und holte einen schlanken Zigarillo heraus. Er ließ ihn zwischen den Fingern herumtanzen, bevor er ihn schließlich in den Mund steckte.
»In den Radionachrichten war von zwei Toten die Rede«, stellte er dann fest. »Du hast deinen Job also ...«
»Sie müssen wahnsinnig sein, sich hierherzubegeben«, sagte Spider, setzte den Radfahrerhelm vom Kopf und nahm die Brille ab. Die Waffe legte er dabei kurz auf einem Tisch ab.
Der Mann im grauen Anzug warf einen nervösen Blick darauf.
Spider blickte sein Gegenüber misstrauisch an, nahm die Waffe wieder an sich und sagte dann: »Es war nicht abgemacht, dass wir uns noch einmal treffen.«
»Ich hatte vielleicht vergessen es zu erwähnen, als ich dir den Auftrag erteilte.«
Spiders Augen wurden schmal.
»Verschwinde!«, zischte er.
»Du bringst mich in Gefahr ...«
Der Mann im grauen Anzug lachte auf.
»Dich? Ich dachte, du bist ein Profi!«
»Eben!«
»Es wäre vielleicht ganz gut, wenn du dir für die nächste Zeit ein möglichst exotisches Reiseziel aussuchst, Spider. Meinst du nicht auch?«
Der junge Mann verzog spöttisch das Gesicht.
»Lass das ruhig meine Sorge sein! Ich weiß schon, was ich tue.«
»Das will ich hoffen.« Der Mann in Grau trat auf Spider zu. Er zündete sich den Zigarillo an, blies Spider den Rauch ins Gesicht. »Jetzt hör mir mal gut zu! Du hättest die Sache beinahe verbockt!«
»Was?«
»Dieser Privatschnüffler war nicht sofort tot. Jemand von uns musste nacharbeiten und hat dabei Kopf und Kragen riskiert.« Der Mann in Grau tätschelte Spiders Wange, die plötzlich jegliche Farbe verloren hatte. »Und du riskierst hier die große Lippe!«
»Ich … ich habe sie beide erwischt!«, verteidigte sich der Killer schwach.
»Hast du nicht. Es wird noch 'ne Weile dauern, bis du davon in der Zeitung lesen kannst - aber ich hätte keinen Grund, dir etwas vorzulügen.«
Der Killer im Radler-Dress beobachtete sein Gegenüber aufmerksam.
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich bin großzügig«, sagte der Mann in Grau. »Und vor allem will ich keine Schwierigkeiten. Scheint ja im Übrigen nun auch alles gut über die Bühne gegangen zu sein. Ich mache dir einen Vorschlag. Du verlässt das Land und setzt dich für 'ne Weile zur Ruhe ...«
»Du spinnst wohl!«, fuhr Spider auf.
»… und du kriegst dafür noch einmal die Hälfte deines Honorars obendrauf.«
Spider atmete tief durch. Eine Pause entstand.
»Klingt nicht schlecht.«
Der Mann in Grau grinste zynisch.
»Sieh mal, du wirst gar nicht gefragt. Du tust einfach, was ich dir sage - damit wir alle wieder ruhig schlafen können.« Er streckte die Hand aus. »Deine Waffe ...«
»Was soll das denn jetzt?«
»Ich werde sie für dich entsorgen. Dann packst du das Nötigste zusammen. Draußen wartet ein Wagen auf dich und wird dich zum Flughafen bringen.«
»Ich wette, du hast auch schon ein Ziel ausgesucht.«
»Die Waffe, Spider ...«
Spider zögerte, dann warf er sie dem Mann in Grau zu. Dieser fing sie mit erstaunlicher Sicherheit mit der Linken.
»Okay«, sagte er dann. »Dein Spiel ist vorbei, Spider!«
Er hob die Waffe, legte kurz an.
Spiders Augen traten vor Schreck aus ihren Höhlen. Er machte einen Schritt seitwärts, aber es war zu spät, um noch irgendetwas zu unternehmen. Ein dumpfes 'Plop!' ertönte dreimal kurz hintereinander.
Die einschlagenden Kugeln ließen Spider wie eine Marionette zucken. Dann sackte er zu Boden und blieb reglos liegen. Mit dem Gesicht nach unten. Eine Blutlache bildete sich auf dem Boden.
Der Mann in Grau begann Spiders Waffe sehr sorgfältig mit einem Taschentuch abzuwischen. Dann legte er sie neben den Kopf des Toten.
An der Tür klingelte es.
Der Mann in Grau blickte auf die Uhr, nickte leicht.
Einen Moment später öffnete er die Apartmenttür. Zwei Männer in dunklen Anzügen standen dort.
»Alles in Ordnung«, sagte der Mann in Grau. »Seht zu, dass ihr hier ein bisschen aufräumt!«
4
In der Detektei von Wotan Sternberg traten sich unsere Leute regelrecht auf die Füße.
Mehr als ein Dutzend Kollegen, darunter einige Computerfachleute nahmen sich das Büro vor, um Klarheit darüber zu gewinnen, mit was für Fällen sich Wotan Sternberg zuletzt beschäftigt hatte.
Außer einem Becher mit heißem Kaffee und einem umwerfenden Augenaufschlag hatte Mara Ferdinand mir bislang nichts geboten. Was verwertbare Informationen anging, war sie äußerst zugeknöpft. Ich fragte mich, warum eigentlich. Normalerweise hätte sie jedes Interesse daran haben müssen, dass wir in unseren Ermittlungen schnell vorankamen.
Es sei denn, sie wollte etwas vor uns verbergen.
Irgendetwas stimmte mit dieser Agentur nicht.
Dem Kollegen Roy Müller war es mit Guido Braun ganz ähnlich gegangen. Auch ihm war kaum etwas zu entlocken gewesen.
»Komisch, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass der Tod Ihres Chefs Ihnen nicht besonders nahegeht«, sagte ich.
»Meinen Sie?«
»Wie kommt das?«
Mara zuckte die Achseln. Ihr Blick wurde in sich gekehrt. Für Sekundenbruchteile schien der kühle Panzer aus berechnender, geschäftsmäßiger Freundlichkeit aufzubrechen, mit dem sie sich bislang umgeben hatte.
»Wahrscheinlich täuscht das«, behauptete sie. »Aber Sie verstehen das ohnehin nicht.«
Ich sah sie sie einen Moment lang an.
»Versuchen Sie, es mir zu erklären!«
»Ich zeige nicht gerne meine Gefühle.«
»Hat das einen bestimmten Grund?«
»Einen, der nichts mit dem Mord an Wotan Sternberg zu tun hat!«
Ich zuckte die Achseln.
»Erzählen Sie mir, was Sie über Ihren Chef wissen!«
»Er war mal verheiratet. Seine Ex-Frau lebt in den USA und bezog jeden Monat einen dicken Scheck von ihm.«
»Kinder?«
»Nein.«
Unser Computerspezialist Christian E. Schnitter entführte mir dann wenig später die hübsche aber offenbar ziemlich kühle Mara, weil es Schwierigkeiten mit den Passwörtern der EDV-Anlage gab.
Wotan Sternbergs Privaträume befanden sich auf derselben Etage wie die Agentur. Zusammen mit unserem Kollegen Fred Rochow sah ich sie mir an.
Die Spurensicherer waren hier bereits fertig. Daniel Folder, einer unserer Erkennungsdienstler, zeigte mir einen in drei Teile zerrissenen Zettel. Daniel hatte die Teile nebeneinander auf einen Tisch gelegt. In krakeliger Schrift stand dort:
,Café Seepavillon, 15.30‘
»War im Papierkorb«, berichtete Daniel. »Wir machen zwar noch eine Schriftanalyse, aber du kannst davon ausgehen, dass Sternberg das selbst geschrieben hat.«
Ich sah mich um, entdeckte dann den Papierkorb. In der Nähe befand sich ein Telefonanschluss.
»Er muss heute von as-Zadik oder einem Helfershelfer angerufen worden sein. Schließlich hat Sternberg sich nur die Uhrzeit, aber nicht den Tag notiert.«
»Stimmt.«
»Daniel, wir brauchen so schnell wie möglich eine Aufstellung der Telefonanrufe, die heute mit dem Apparat dort geführt wurden oder dort angenommen wurden.«
»Ist schon in Arbeit, Uwe.«
Ich kratzte mich am Kinn.
»Ich bringe das immer noch nicht zusammen. Was will ein internationaler Top-Terrorist von einem Privatdetektiv hier in Hamburg?«
»Das Hauptquartier hat vorhin ein paar Informationen durchgegeben, die ganz interessant sind«, sagte Daniel.
»Scheint, als wären die Kollegen vom Innendienst ziemlich fleißig gewesen.«
»Informationen über as-Zadik?«
»Nein, über Sternberg . Er hat vor drei Monaten um ein Haar seine Lizenz verloren. Außerdem spielte er eine dubiose Rolle in einem Mordfall. Es ging um Abdurrahman Walid, einen arabischstämmigen Im- und Export-Kaufmann in Hamburg-Harburg ...«
»… mit besonders guten Kontakten in den Mittleren Osten«, nahm ich an.
Daniel zuckte die Achseln.
»Vermutlich. Jedenfalls hatte Sternberg den Personenschutz für Walid übernommen. Walid wurde von einem Geschäftspartner in ein Lokal in der Jagd-Straße bestellt. Der Geschäftspartner tauchte aber nicht auf. Sternberg fiel plötzlich ein, dass er was im Wagen vergessen hatte und in genau den fünf Minuten, in denen er weg war, wurde Walid erschossen.«
»Man könnte fast denken, dass Sternberg seinen Klienten ans Messer lieferte.«
»Der Staatsanwalt dachte das auch - konnte aber nicht genügend Indizien zusammenbekommen. Das Verfahren wurde eingestellt.«
Fred und ich gingen zurück in die Büroräume. Ich wandte mich an Christian.
»Wir brauchen alles, was mit einem Mann namens Walid zusammenhängt«, sagte ich.
Guido Braun und Mara Ferdinand standen ziemlich genervt in der Nähe. Roy war bei ihnen.
Ich wandte mich an die beiden Angestellten des Mordopfers aus dem Park.
»Ihr Chef hat vor einiger Zeit den Personenschutz für einen Mann namens Abdurrahman Walid übernommen. Ist das richtig?«
Mara blickte zu Guido Braun hinüber. Diese nickte.
»Ja, das stimmt«, gab er zu.
»Und er hätte deswegen beinahe seine Lizenz verloren.«
»Ein übereifriger Staatsanwalt hatte etwas gegen Privatdetektive«, sagte Braun gallig. »Aber außer, dass es dem Ruf der Agentur geschadet hat und der Umsatz in den Folgemonaten drastisch zurückging, ist nichts hängengeblieben.«
»Sie beide waren in den Auftrag eingebunden?«, fragte ich mit Blick auf Guido und Mara. »Oder wollen Sie mir erzählen, dass Sie von alledem auch nichts gewusst haben und Ihr Chef alles allein gemacht hat?«
Mein Kollege Roy Müller ergänzte: »Langsam frage ich mich ohnehin, wozu Herr Sternberg überhaupt Angestellte hatte.«
»Ich habe Wotan einige Male begleitet«, erklärte Guido Braun. »Dieser Walid fühlte sich von irgendwem bedroht. Mit genaueren Angaben zu seinem Verdacht ist er nie rausgerückt. Sein Sohn Jabbar hat sogar versucht, ihn wegen Paranoia in eine Irrenanstalt zu bringen.« Er zuckte die Achseln. »Na ja, jetzt gehört ihm die Firma ja ...«
»Scheint, als wären Herrn Walid Seniors Ängste begründet gewesen«, stellte ich fest.
Guido Braun sah mir direkt in die Augen.
»Verdammt, ich dachte, es geht hier darum, den Mörder von Wotan Sternberg zu finden!«
»Und wir dachten, Sie beide hätten am ehesten eine Idee, wo wir da suchen könnten«, versetzte Roy.
Ich wandte mich an Mara. Sie wich meinem Blick aus.
»Hatten Sie auch mit dem Fall Walid zu tun?«
»Nein.«
»Wie kommt das? Eine so große Agentur sind Sie doch schließlich nicht.«
»Unser Chef hatte wie üblich zu viele Aufträge angenommen, und so habe ich wochenlang in diesem Büro am Bildschirm gesessen. Es ging um die Ermittlung des Aufenthaltsortes mehrerer Personen ... Kinder, die von geschiedenen Ehegatten entführt wurden und dergleichen. Wir haben eine ganze Menge solcher Fälle bearbeitet.« Sie atmete tief durch. Ihre dunklen Augen musterten mich plötzlich. »Unsere Personalien haben Sie, es war ein harter Tag ... Vielleicht können Guido und ich jetzt gehen.«
»Nein, Sie werden von unseren Kollegen zu unserem Präsidium gebraucht und dort noch einmal eingehend befragt«, erwiderte ich.
Sie seufzte: »Muss das sein?«
»Es tut mir leid.«
5
Die Dunkelheit hatte sich über den Hamburger Hafen gelegt.
Das Firmengelände der WALID GmbH befand sich direkt an der Norderelbe. Nördlich war die gewaltige, weit gespannte Konstruktion der Neuen Elbbrücke zu sehen. Davon südlich grenzte das Firmengelände der von Abdurrahman Walid gegründeten Im- und Exportfirma am alten Hafen an.
Das Gelände war hermetisch abgeriegelt. Hohe Stacheldrahtzäune umgaben es. Teilweise waren sie elektrisch geladen. Alle fünf Meter hatte man Warnschilder angebracht.
Bewaffnete Posten mit mannscharfen Dobermännern patrouillierten an den Umgrenzungen entlang. Das WALID-Gelände hatte nur eine offene Flanke.
Die Seite zur Norderelbe hin, wo sich eine Anlegestelle befand.
Ein kleinerer Frachter war dort festgemacht. Außerdem eine schneeweiße, etwa zwanzig Meter lange Motoryacht, die eigentlich eher in den Yachthafen von Sylt passte als hierher.
Die Yacht gehörte Jabbar Walid, dem Sohn des ermordeten Firmengründers.
Lautlos näherten sich drei Schlauchboote. Etwa ein Dutzend Mann befanden auf den Booten. Sie trugen dunkle Kleidung und Sturmhauben. Selbst jemand, der aufmerksam den Fluss beobachtet hätte, hätte sie kaum sehen können.
Auf der anderen Uferseite waren die Lichter der Stadt zu sehen. Fast wöchentlich eröffneten dort neue Clubs. Aber aus dem Neonschein waren die Boote längst heraus. Die Außenborder waren abgestellt. Fast lautlos glitten Ruderblätter in das graue Wasser des Norderelbe.
Hände legten sich um die Griffe von automatischen Pistolen. Schalldämpfer wurden aufgeschraubt.
Keiner dieser Killer sprach ein Wort.
Nur noch wenige Dutzend Meter waren es bis zum Anleger.
Zwei Posten zogen dort auf und ab.
Der Dobermann, den einer der beiden an der kurzen Leine führte, wurde unruhig. Die Kerle starrten auf das Wasser hinaus. Die rechte Hand des zweiten Wachtpostens langte zum Griff der MPi, die er an einem Riemen über der Schulter trug. Der Dobermann knurrte.
Die Wächter bekamen gerade noch mit, wie rote Laserstrahlen von Zielerfassungsgeräten durch die Nacht tanzten. Für Sekundenbruchteile waren sie an den Kais zu sehen.
Ein Zucken ging gleichzeitig durch die Körper der beiden Männer, ohne dass ein Schussgeräusch zu hören war. Getroffen sanken sie zu Boden. Dem Kerl, der den Dobermann hielt, fiel das Walkie-Talkie aus der kraftlos gewordenen Hand. Das Gerät platschte ins Wasser.
Der Dobermann riss sich los, sprang vorwärts. Eine Sekunde später stürzte das Tier getroffen zu Boden, jaulte auf und blieb liegen. Ein gezielter Schuss hatte den Hund niedergestreckt.
Von den Sicherheitskräften, die das weitläufige Firmengelände bewachten, hatte anscheinend noch niemand die Lage richtig erfasst.
Aber auf der Yacht regte sich etwas.
Jemand kam an Deck, blickte sich suchend um. Ein baumlanger Kerl, in der einen Hand ein Walkie-Talkie, in der anderen eine Automatik.
Sein Blick schweifte umher, registrierte die beiden Leichen. Sein Mund öffnete sich halb. Entsetzen stand in seinen Zügen. Reflexartig entsicherte er die Waffe in seiner Faust. Er wirbelte herum und sah die Boote.
Aber ehe er schießen konnte, sackte er selbst getroffen zusammen. Er fiel über die Reling.
Reglos trieb die Leiche im Wasser.
Das erste Boot erreichte die Yacht. Einer der Maskierten kletterte an Deck. Ein zweiter und ein dritter folgten.
Die Tür, die ins Innere der Yacht führte, war halb geöffnet. Ein Bodyguard stürzte mit gezogenem Revolver hinaus. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als er die Maskierten sah. Mehrere Laserpunkte verharrten zitternd auf dem Oberkörper des Bodyguards.
»Waffe weg!«, zischte einer der Maskierten.
Für den Bruchteil eines Augenaufschlags zögerte der Bodyguard. Dann begriff er, dass er nicht den Hauch einer Chance hatte. Der Revolver fiel zu Boden.
»Umdrehen!«
Er gehorchte.
Einer der Maskierten trat vor, tastete den Bodyguard ab und zischte dann: »Du gehst vor uns her ...« Der Maskierte stieß dem Bodyguard den Schalldämpfer seiner Waffe in den Rücken.
Sie gingen ins Innere der Yacht.
Es ging einen schmalen Gang entlang.
Ein Mann kam ihnen entgegen. Er war groß gewachsen, hatte ein kantiges Gesicht, trug Jeans und T-Shirt. Unter der Achsel klemmte ein Schulterholster. Er stutzte, griff zur Waffe, aber ehe er sie herausreißen konnte, zuckte sein Kopf ruckartig zurück. So, als ob er einen Schlag gegen die Stirn bekommen hatte. Dort bildete sich ein rote Stelle, die rasch größer wurde. Er taumelte zurück, rutschte dann an der Wand zu Boden.
Der Maskierte, der den Mann erschossen hatte, zischte: »Weiter!«
Wie einen lebenden Schutzschild hatte er den Bodyguard vor sich gehalten. Angstschweiß stand auf dessen Stirn.
»Wo ist Walid?«, fragte der Maskierte dann. Er drückte dem zitternden Bodyguard den Schalldämpfer an die Schläfe.
»In der Messe!«
»Führ uns hin! Wenn du's gut machst, bleibst du am Leben.«
»Okay.«
Er ging voran. Als er zögerte, gab der Maskierte ihm einen brutalen Stoß in die Nierengegend.
Die Komplizen des Maskierten traten die Kabinentüren auf, die sich rechts und links des Flures befanden. Sie gingen auf Nummer sicher. Zweimal machte es kurz 'plop'. Einer der Eindringlinge gab zwei Schüsse in eine der Kabinen hinein ab. Ein ächzender Laut war von dort zu hören.
Die Tür zur Messe stand offen.
Jabbar Walid saß an einem ovalen Tisch, auf dem Geschäftsunterlagen ausgebreitet herumlagen. Walid war noch jung. Höchstens dreißig. Dunkles, blauschwarzes Haar umrahmte sein Gesicht. Ein bis auf den Millimeter genau ausrasierter Knebelbart zeichnete markante Linien in sein Gesicht.
Er fuhr hoch.
Neben ihm stand ein Mann im dunklen Anzug.
Bevor dieser unter seine Jacke nach einer Waffe greifen konnte, traf ihn eine Kugel in den Bauch. Er klappte zusammen wie ein Taschenmesser.
Der Anführer der Maskierten richtete den Schalldämpfer auf Walid, näherte sich dann dem Inhaber der WALID GmbH.
»Was wollen Sie?«, ächzte Walid. Sein Gesicht war bleich geworden.
Der Maskierte trat auf ihn zu.
»Sie!«, sagte er.
»Wer schickt Sie?«
Der Maskierte lachte.
»Wirklich keine Ahnung?«
Einer der anderen Eindringlinge mischte sich ein. Er deutete auf den zitternden Bodyguard.
»Was machen wir mit dem hier?«
Der Anführer drehte sich herum.
»Den brauchen wir nicht mehr!«, erklärte er kalt. Mit einer raschen Bewegung wirbelte er mit seiner Waffe herum. Er feuerte ohne eine Sekunde zögern. Der Bodyguard brach getroffen in sich zusammen und blieb regungslos liegen.
»Und jetzt zu dir, du Ratte!«, zischte der Anführer der Maskierten dann in Richtung von Jabbar Walid. Die Hand mit der Pistole schnellte vor. Zu schnell, als dass Walid sich hätte schützen können. Die Oberseite der Waffe traf ihn an der Nase. Blut schoss heraus. Er wankte zurück, hielt sich dann an einem der Stühle fest.
»Das wird sicher 'ne nette Unterhaltung«, vermutete einer der Komplizen mit heiserer Stimme.
6
Es war bereits dunkel, als wir im Besprechungszimmer von Herrn Kriminaldirektor Bock saßen, unserem Chef bei der Kriminalpolizei Hamburg.
Außer uns waren noch die Kollegen Fred Rochow, Stefan Czerwinski und Ollie Medina anwesend. Max Warter aus der Fahndungsabteilung unseres Innendienstes verspätete sich etwas. Er trug einen Stapel Papier unter dem Arm.
Computerausdrucke und Dossiers, die wir wohl ausgehändigt bekommen würden.
Mandy, die Sekretärin unseres Chefs, betrat mit Max den Raum. Sie servierte jedem von uns einen Becher ihres im gesamten Gebäude des Polizeipräsidiums berühmten Kaffees.
»Der Fall Jaffar as-Zadik dürfte einige diplomatische Verwicklungen mit sich bringen«, erklärte Herr Bock uns. »Wir haben eine Anfrage an die pakistanische Botschaft gerichtet, um etwas mehr Informationen über diesen Mann zu bekommen. Schließlich war er ja mal Mitglied des pakistanischen Geheimdienstes - und das zu einer Zeit, als dieser Dienst beim BND noch als befreundeter Secret Service galt.« Herr Bock zuckte die Schultern und deutete auf den Papierstapel, den Max Warter inzwischen auf den Tisch gelegt hatte. »Max hat alles zusammengetragen, was wir über as-Zadik wissen. Es gibt Vermutungen, dass er kein Pakistani ist, sondern aus Syrien stammt. Ein wahres Chamäleon, sehr sprachbegabt.«
»Also der Idealfall für jeden Geheimdienst«, stellte unser Kollege Ollie Medina fest.
Herr Bock nickte.
»As-Zadiks genaues Alter ist unbekannt. Vor zehn Jahren verließ er den Geheimdienst unter ungeklärten Umständen. Möglicherweise erfahren wir von den Pakistanis in dieser Hinsicht etwas mehr.«
Jetzt ergriff Max Warter das Wort: »Unsere Kollegen vom BND vermuten, dass as-Zadik sich ursprünglich islamistischen Terrororganisationen anschloss, um diese im Auftrag des Geheimdienstes zu unterwandern und zu kontrollieren. Aber offenbar machten diese Leute auf as-Zadik so großen Eindruck, dass er die Seiten wechselte.«
»War er selbst an Attentaten beteiligt?«, fragte ich.
Max nickte.
»Es gibt eine ganze Reihe von Anschlägen und Morden, mit denen sein Name in Verbindung gebracht wird. Zuletzt soll er vor drei Jahren einen im Exil lebenden Reformgeistlichen erschossen haben, der für eine moderatere Auslegung des Islams eintrat. Seitdem vermuteten wir ihn in Afghanistan.«
Max teilte jedem von uns eines der Dossiers aus, die er vorbereitet hatte.
Herr Bock wandte sich unterdessen an uns.
»Bislang haben wir noch keinerlei Hinweise auf den Grund, aus dem as-Zadik sich mit einem eher zweitklassigen Privatdetektiv wie Wotan Sternberg getroffen hat.«
Unsere Kollegen hatten einen Teil der Computer und Büroanlagen in Sternbergs Büro beschlagnahmt und die Spezialisten unseres Innendienstes hatten nun das Vergnügen, alle Daten noch einmal nach versteckten Hinweisen zu durchforsten.
»Bleibt nur Sternbergs Verwicklung in den Fall Walid«, meinte ich.
»Abdurrahman Walid war kein unbeschriebenes Blatt«, erklärte Herr Bock. »Er stand immer wieder unter dem Verdacht, seine Finger im Drogenhandel zu haben. Die Kollegen der Drogenfahndung konnten ihm das leider ebenso wenig nachweisen wie die Steuerfahndung es in punkto Geldwäsche geschafft hat.«
»Hatte Walid Kontakte zu radikalen islamistischen Organisationen?«, erkundigte sich Fred Rochow.
Max Warter antwortete an Stelle von Herrn Bock: »Wir sind noch nicht dazu gekommen, das genauer nachzuprüfen. Im Übrigen hat sein Sohn Jabbar die Geschäfte seines Vaters nahtlos übernommen. Jabbar ist - gelinde gesagt - etwas exzentrisch. Er besitzt ein Haus hier in Hamburg und eins in Den Haag. Aber dort ist er so gut wie nie. Stattdessen wohnt er an Bord seiner Luxus-Yacht, die die meiste Zeit an der zu seinem Firmengelände gelegenen Anleger liegt.«
»Davon habe ich gehört«, meinte Stefan Czerwinski und grinste. »Darüber werden schon Witze gemacht. Angeblich traut der ängstliche Jabbar niemandem über den Weg, lässt sich und sein Firmengelände durch eine ganze Armee von Leibwächtern bewachen. Und wenn es hart auf hart kommt, kann er sich mit seiner Yacht jederzeit davonmachen.«
»Ein Mann, der offensichtlich unter Paranoia leidet«, kommentierte Ollie.
»Wenn man an das Schicksal seines Vaters denkt, könnte seine Angst durchaus einen realen Grund haben«, vermutete Roy. »Ich frage mich nur, weshalb Abdurrahman Walid einen Mann wie Wotan Sternberg für den Personenschutz engagierte, wenn er doch über genug eigene Leute verfügte.«
Herr Bock hob die Augenbrauen.
»Er hat seinen eigenen Leuten vermutlich nicht mehr getraut.«
»Das wird es sein«, meinte ich.
Eines der Telefone auf Herrn Bocks Schreibtisch klingelte in diesem Moment. Er nahm ab.
Während des gesamten Gesprächs sagte er nur ein einziges Wort. »Okay.« Dann legte er auf. Sein Blick war ernst.
»Schießerei auf dem Gelände der WALID GmbH. Die Kollegen sind bereits unterwegs ...«
7
Wenig später saßen Roy und ich in dem Sportwagen, den die Fahrbereitschaft mir zur Verfügung stellte. Ich trat das Gaspedal voll durch, während Roy die Seitenscheibe herunterließ und das Blinklicht auf das Dach setzte.
Ollie und Stefan fuhren zusammen mit Fred Rochow in einem blauen Mitsubishi, der uns dicht auf den Fersen war. Noch einige weitere Einsatzfahrzeuge machten sich bereit. Es ging jetzt darum, so schnell wie möglich zum Tatort zu kommen. Wir fuhren Richtung Veddel über die Neue Elbbrücke.
Über der Norderelbe schwebte ein Helikopter der Hafenpolizei.
Zehn Minuten später hatten wir das Gelände der WALID GmbH. erreicht.
Unsere Kollegen hatten das Gebiet abgeriegelt. In der Nähe des Eingangstors zum Firmengelände parkten ein halbes Dutzend Einsatzwagen. Lichter blinkten in der Nacht. Uniformierte Polizisten mit kugelsicheren Westen und MPis im Anschlag kauerten in Deckung.
Ich fuhr den Sportwagen an die Seite. Rasch legten wir Ohrhörer und Mikro an, um ständig Funkverbindung zu haben.
Wir stiegen aus. Die Kevlar-Weste zog ich an, während ich lief. Ollie, Stefan und Fred waren beinahe gleichzeitig mit uns eingetroffen. Ich zog die Pistole vom Typ SIG Sauer aus dem Gürtelholster, überprüfte die Ladung.
Ein Kollege sah uns.
Stefan Czerwinski zeigte dem Kollegen seinen Ausweis.
Während der uns einen knappen Lagebericht gab, trafen weitere Einsatzfahrzeuge der Kriminalpolizei ein.
Und es wurde geschossen. Irgendwo auf dem WALID-Firmengelände blitzten Mündungsfeuer auf.
Der Kollege griff zu seinem Walkie-Talkie.
»Verdammt, was ist da los?«, brüllte er in den Apparat hinein.
Der Helikopter flog einen Bogen, näherte sich jetzt. Der Lärm war ohrenbetäubend. In einer Kurve flog er wieder hinaus auf die Norderelbe Richtung Neue Elbbrücke.
Die Antwort aus dem Walkie-Talkie konnte ich verstehen.
Offenbar war es der Helikopter-Pilot, der da mit verzerrter Stimme sprach.
»Da sind Schlauchboote auf der Elbe. Aber wir haben sie wieder verloren ...«
»Verdammt ...« Der Kriminalkommissar wandte sich an uns. »Es hat hier eine Schießerei zwischen Herrn Walids Sicherheitsleuten und Eindringlingen gegeben, die versucht haben, die Yacht zu kapern ...«
»Sind von den Tätern noch welche an Bord?«, fragte ich und blickte dabei zu Walids Yacht hinüber, die noch immer scheinbar friedlich am Pier lag.
Der Kriminalkommissar zuckte die Achseln.
»Wissen wir nicht. Die Lage ist unübersichtlich ... Wir haben Walids Leute per Megafon aufgefordert, die Waffen niederzulegen, aber die halten sich scheinbar nicht alle daran. Die Hafenpolizei wird diesen Teil des Flusses mit Booten abfahren ...«
Ein zweiter Helikopter tauchte jetzt über den Neonlichtern des gegenüberliegenden Ufers von auf, flog über die ganze Seite und ließ dann die Kegel seiner Scheinwerfer suchend über das graue Wasser der Norderelbe kreisen.
Dann kam eine Meldung über das Walkie-Talkie des Kollegen.
Einer der Helis hatte ein Schlauchboot entdeckt.
Es strebte am Ufer der Norderelbe entlang, auf die verwinkelten und unübersichtlichen Hafenbecken der stillgelegten Werft zu. Vermutlich wartete dort in der unübersichtlichen Brache des ehemaligen Hafens jemand auf die Kerle, um sie abzuholen.
»Wir müssen unbedingt das Gelände der Werft abriegeln«, meinte Stefan Czerwinski.
»Sobald Verstärkung da ist!«, erwiderte der Kollege. »Sie sehen doch, wir haben kaum genug Kräfte, um hier die Lage unter Kontrolle zu halten. Außerdem überlassen wir das besser den Kollegen der Hafenpolizei ...«
Wieder wurde auf dem WALID-Gelände geschossen. Mündungsfeuer zwischen den blockartigen Containerhallen auf.
»Wir sollten das Gelände jetzt stürmen«, meinte Ollie.
»Walids Leute scheinen nicht im Traum daran zu denken, uns behilflich zu sein.«
Stefan nickte. Er war derselben Meinung.
Inzwischen war mehr als ein Dutzend unserer Kollegen eingetroffen.
Stefan wandte sich an den Kriminalkommissar.
»Lassen Sie das uns übernehmen und sorgen Sie dafür, dass niemand das Gelände verlässt!«
8
Wir stürmten das Gelände. In geduckter Haltung mit der Waffe im Anschlag liefen wir vorwärts. Eine Megafonansage forderte die Walid-Leute nochmals auf, die Waffen niederzulegen.
Vorsichtig pirschten wir uns bis zur ersten Containerhalle.
Immer noch wurde geschossen. Die Lage war absolut chaotisch. Ein Teil der Beleuchtung des Firmengeländes fiel plötzlich aus, was uns den Job ganz sicher nicht erleichterte.
Hinter der ersten Containerhalle überraschten wir zwei der drei der Walid-Leute. Ein vierter lag verwundet am Boden.
Unsere Taschenlampen strahlten sie an. Sie zuckten herum.
Einer der Männer hielt einen Dobermann an der Leine. Der Maulkorb war abgenommen. Das Tier fletschte die Zähne und knurrte.
»Kriminalpolizei! Waffen weg!«, rief unser Kollege Fred Rochow.
Für den Bruchteil einer Sekunde geschah gar nichts. Niemand rührte sich. Nur der Dobermann zerrte an seinem Riemen.
»Wir sind Security-Leute!«, rief einer der Männer.
»Verdammt, haben Sie die Durchsage nicht gehört?«, rief Fred.
»Wir sind beschossen worden!«, schrie einer der Kerle und deutete dabei auf den am Boden liegenden Mann.
Im nächsten Moment brach die Hölle los.
Schüsse peitschten.
Einer der zwei Security-Männer sanken getroffen zu Boden, ehe sie irgendetwas tun konnten. Der Dritte warf sich hin, riss seine Waffe empor und ballerte drauflos.
Wir duckten uns.
Die Schüsse waren aus der Nähe eines LKWs abgefeuert worden. Ein Zwanzigtonner-Sattelschlepper mit einem gewaltigen Container auf dem Fahrgestell.
Für Sekundenbruchteile sah ich eine Gestalt als schattenhaften Umriss. Wahrscheinlich einer der Eindringlinge, der von seinen Komplizen hier zurückgelassen worden war. Jetzt saß er in der Falle. Weder Walids Leuten noch den verschiedenen Polizeieinheiten, die sich inzwischen eingefunden hatten, wollte er in die Hände fallen.
Eine Geschoss-Salve wurde in unsere Richtung gefeuert.
Wir warfen uns flach auf den Boden, pressten uns so dicht wie möglich auf den Asphalt, während links und rechts die Kugeln einschlugen.
Schreie gellten.
Von den drei Security-Leuten lebte jetzt keiner mehr. Der Dobermann lag ebenfalls blutüberströmt am Boden.
Und einen unserer Kollegen hatte es erwischt.
Fred Rochow!
Er rang nach Luft.
Roy war bei ihm, kümmerte sich um ihn. Der Geschosshagel verebbte indessen. Ich sprang auf, riss meine SIG empor und feuerte mehrfach in Richtung des LKWs.
Der Motor sprang an. Eine Tür klappte zu.
Ich blickte seitwärts.
»Ein Schwerverletzter!«, meldete Ollie über Funk.
»Halb so wild!«, rief Fred. »Die Weste hat das meiste abgehalten ... Aber mein verdammtes Bein...«
Roy war bei ihm, leistete erste Hilfe.
Inzwischen fuhr der LKW los.
Ich spurtete.
Der LKW setzte sich langsam in Bewegung.
Der Kerl setzte jetzt alles auf eine Karte. Ein Sattelschlepper wie dieser war auch durch eine Polizeisperre nur schwer zu stoppen. Die ungeheure Wucht von zwanzig Tonnen würde alles unter sich zermalmen.
Aber der Fahrer dachte offensichtlich an einen anderen Weg.
Er wollte nicht zum Ausgang des Firmengeländes, wo sich unsere Leute postiert hatten. Stattdessen riss er das Steuer herum, fuhr eine scharfe Kurve. So scharf, dass das Gefährt mit den hinteren Doppelreifen auf der rechten Seite einen Meter in die Luft stieg. Ächzend krachten sie wenig später wieder auf den Asphalt.
Unser Gegner raste einfach auf die äußere Begrenzung des WALID-Geländes zu.
Der Zaun war für ihn kein Hindernis.
Und auch nicht die Tatsache, dass alles unter Strom stand. Die Fahrerkabine stellte einen Faradayschen Käfig dar. Einen sicheren Ort gab es nicht, wenn es darum ging, sich vor elektrischen Entladungen zu schützen. Selbst Blitzeinschläge von mehreren zehntausend Volt wären wirkungslos abgeleitet worden.
Der geheimnisvolle Fahrer ließ den Motor aufheulen. Er hatte etwas Schwierigkeiten mit der Schaltung, aber dann kam der LKW in Gang, beschleunigte, raste auf den Zaun zu.
Ich rannte, so schnell ich konnte.
Dann stoppte ich ab, riss die SIG empor.
Ich zielte.
Fünf Schüsse gab ich ab. Kurz hintereinander.
Ich erwischte das rechte hintere Doppelreifenpaar. Der LKW brach etwas zur Seite aus. Der Fahrer konnte ihn nur mit Mühe unter Kontrolle halten. Das Gefährt raste dennoch weiter auf den Zaun zu. Aber nun prallte es in einem seitlichen Winkel gegen die Barriere. Die volle Wucht des Zwanzigtonners kam daher nicht zur Wirkung. Das hintere Stück brach aus und rutschte herum. Der Geruch von verbranntem Gummi verbreitete sich. Funkensprühend ratschten die bloßen Felgen über den Asphalt. Die Pfeiler, die den Zaun hielten, knickten um. Der Motor des LKW heulte auf.
Aber das Fahrzeug steckte in dem elektrisch geladenen Zaun fest. Wie ein Netz hatte sich der Zaun über die Fahrerkabine gesenkt. Hier und da sprühten zischend Funken.
Inzwischen hatte Ollie mich erreicht.
»Um den brauchen wir uns vorerst nicht mehr zu kümmern«, meinte er. »Der kann aus dem LKW nicht mehr heraus, solange wir die Stromversorgung nicht unterbrochen haben.«
Wenig später erreichte ich zusammen mit Ollie die Anlegestelle, an der Walids weiße Yacht lag. Unterwegs hatten wir mehrere tote Security-Leute gefunden.
Die Helikopter überflogen noch immer die Norderelbe, suchten nach dem flüchtigen Schlauchboot, dass sich jetzt irgendwo in den Hafenbecken des alten Hafens verkrochen hatte. Über Funk hatte man uns mitgeteilt, dass das Gebiet um den alten Hafen inzwischen weitgehend abgesperrt war. Jedenfalls so gut das in der Kürze der Zeit möglich war. Ein Schnellboot der Hafenpolizei rauschte die Norderelbe abwärts.
»Wird nicht so einfach sein, diese Nussschale wieder aufzufinden«, meinte Ollie. »Die haben sich aber auch die einzige Ecke Hamburgs ausgesucht, in der es nachts wirklich dunkel wird!«
Wieder setzte einer der Helikopter zum Tiefflug über die Hafenbecken an.
Auf der anderen Seite der Norderelbe befanden sich weitere Anlegestellen, dahinter zwei große Lagerhallen. Die gut beleuchtete Straße wirkte wie eine Perlenschnur, die sich um das Viertel zog.
Ganz in der Nähe leuchtete etwas auf - mitten im dunklen, grauen Wasser der Norderelbe.
Wie eine Rakete zischte etwas in die Höhe, zog eine Lichtspur in Richtung eines der Helikopter.
Ein Granatwerfer!, durchzuckte es ich.
Sekundenbruchteile später wurde die Nacht zum Tag. Der Heli explodierte.
»Vorsicht!«, schrie ich.
Aber Ollie hatte im selben Moment ebenfalls begriffen, was los war. Wir warfen uns zu Boden.
Der getroffene Helikopter wirkte wie ein Feuerball, zog eine gebogene Fluglinie, die sich immer weiter senkte. Glühende Metallteile flogen wie Geschosse durch die Luft. Dann raste der Hubschrauber mit einem zischenden Geräusch in den Fluss hinein. Es dauerte nur Augenblicke, bis er versunken war.
Das Patrouillenboot der Hafenpolizei näherte sich. Aber es war kaum anzunehmen, dass noch Überlebende zu finden wären.
Ollie und ich waren noch nicht ganz wieder auf den Beinen, da kam über Funk die Meldung, dass die Täter sich gemeldet hatten. Sie hatten eine der üblichen Frequenzen des Polizeifunks benutzt, um mitzuteilen, dass sie eine Geisel bei sich hatten. Es handelte sich um niemand anderes als Jabbar Walid.
Ich starrte hinüber zum anderen Ufer. Ollie hielt das Funkgerät in der Hand.
Dort, wo soeben der Granatwerfer abgefeuert worden war, war jetzt nichts mehr zu sehen. Unser zweiter Heli hielt Abstand.
»Die Kollegen sind schon unterwegs, um das Gebiet abzuriegeln«, meinte Ollie. »Inklusive Vollsperrung der anliegenden Straßen.«
»Ich fürchte, die kommen zu spät«, murmelte ich. Und dann fuhr ich ins Mikro fort: »Hier Jörgensen! Ich schlage vor, dass der Heli Ollie und mich zur anderen Seite hinüberbringt. Sonst gehen die Kerle uns durch die Lappen!«
9
Das Schlauchboot erreichte den Anleger. Drei Maskierte befanden sich an Bord. Dazu ein zitternder Jabbar Walid. Er saß zusammengekauert da. Die Hände hatten die Maskierten ihm mit Plastikhandschellen auf den Rücken gebunden. Inzwischen hatte Jabbar es aufgegeben, seine Entführer danach zu fragen, was sie mit ihm vorhatten. Das einzige, was ihm die Fragerei bislang eingebracht hatte, war ein wuchtiger Faustschlag mitten ins Gesicht, der ihn halb betäubt hatte zusammensinken lassen.
Das Schlauchboot verfügte über einen massiven Boden aus lackiertem Holz. Der kleine Granatwerfer, der sich darauf befand, hatte dadurch genug Halt.
»Wir sollten auch den zweiten Heli noch vom Himmel holen«, meinte einer der Maskierten.
Für Jabbar Walid sahen sie alle gleich aus.
»Nein, er ist zu weit weg«, gab der offensichtliche Anführer der Gruppe zur Auskunft. »Wir würden ihn verfehlen und wahrscheinlich auch noch auf uns aufmerksam machen.«
Einer der Männer sprang an Land. Er hielt ein Tau in der Hand. Jabbar Walid bekam einen groben Stoß. Er wurde an Land gezerrt.
Als alle an Land waren, wurde das Boot treiben gelassen. Es driftete zurück auf den Fluss. Es würde vielleicht irgendwann irgendwo am Ufer der Elbe stranden, wenn es die Richtung beibehielt.
»Vielleicht fallen die Bullen ja darauf rein«, meinte der Anführer der Maskierten.
Jabbar Walid musterte die Männer. Einer von ihnen trug eine Uzi-Maschinenpistole, die anderen automatische Pistolen mit Schalldämpfer. Den Granatwerfer trug einer der Kerle auf dem Rücken. Keine Chance, etwas zu unternehmen, dachte Walid.
Er bekam einen der Schalldämpfer in die Rippen.
»Los! Vorwärts!«
Sie gingen auf die Lücke zwischen den beiden großen Lagerhallen zu, die sich bei den Anlegestellen befanden.
Tagsüber herrschte hier reger Betrieb. Die LKWs fuhren im Minutentakt die Peutestraße hinauf, den Zubringer zur A1. Aber jetzt war wir kaum etwas los.
Die Maskierten trieben Walid vor sich her, stießen ihn grob.
Dann hatten sie die der Straße zugewandte Seite der Lagerhäuser erreicht. Dort herrschte rund um die Uhr reger Verkehr. Ein beständiges Rauschen drang zu ihnen hinüber. Ein Geräuschpegel, der alles andere verschluckte.
Selbst einen noch so gellenden Schrei.
In den Apartmenthäusern auf der anderen Seite der Straße würde davon niemand etwas mitbekommen.
Jabbar Walid fröstelte.
Das waren Killer.
Zwei langgestreckte Limousinen fuhren von der Straße herunter und hielten schließlich. Walid bekam erneut einen brutalen Stoß, so dass er zu Boden fiel. Hart kam er auf. Er stöhnte auf.
Bei der ersten Limousine öffnete sich die Tür. Ein Mann im dunklen Anzug stieg aus, eilte zur Hintertür und öffnete sie.
»Nein«, flüsterte Walid schreckensbleich, während er mit weit aufgerissenen Augen den Mann anstarrte, der gerade ausgestiegen war. In der Straßenbeleuchtung war er ziemlich gut zu sehen. Sein Haar war grau, sein Anzug ebenso. Das Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Der dünne Oberlippenbart setzte einen markanten Akzent.
Der Mann in Grau trat näher.
Der Anführer der Maskierten wandte sich an ihn.
»Ist nicht alles ganz glatt gegangen. Es hat mehr Widerstand gegeben, als erwartet. Und außerdem tauchten die Bullen plötzlich auf.«
»Ihr habt den Helikopter runtergeholt.«
»Ja.«
Der Mann in Grau nickte, holte sich einen schlanken Zigarillo aus seinem Etui.
»Und wo sind die anderen?«
»Ich hoffe, sie kommen durch.«
Der Mann in Grau zündete sich aller Seelenruhe den Zigarillo an, ließ ihn aufglimmen und blies den Rauch in die Nacht. Er deutete auf Jabbar Walid.
»Verpasst ihm ein paar und dann verschwindet!«
»Ich dachte ...«
»Den Rest mach' ich.«
Ehe Jabbar Walid sich versah, packten ihn zwei der Maskierten. Und dann prasselten die Faustschläge in rascher Folge auf ihn hernieder. Walid konnte sich kaum schützen. Schließlich waren seine Hände noch immer auf dem Rücken zusammengeschnürt. Walid schrie auf, aber bald verstummte er, sackte schließlich benommen und blutüberströmt in sich zusammen.
»Lasst ihn!«, forderte der Mann in Grau. »Ich will, dass er mich noch verstehen kann.«
Die Maskierten ließen Walid einfach liegen.
Der Mann in Grau machte ein Zeichen mit Linken. In der anderen balancierte er auf kunstvolle Weise seinen Zigarillo mit zwei Fingern.
Die Maskierten stiegen in die zweite Limousine ein. Der Wagen setzte zurück, fuhr die Peutestraße hinauf und fädelte sich in den Verkehr der A1 ein.
Der Mann in Grau trat an den am Boden liegenden Walid heran. Mit dem Fuß berührte er dessen Schulter, drehte Walid herum.
»Du weißt, dass ich Gewalt hasse«, behauptete der Mann in Grau. Sein Gesicht verzog sich zu einem zynischen Grinsen. Er ließ ein wenig Asche seines Zigarillo auf den geschundenen Walid hinunterrieseln. »Ich hoffe, du hast deine Lektion gelernt, Jabbar.« Der Mann in Grau beugte sich nieder, tätschelte Walid die angeschwollene Wange. Walid stöhnte auf. Der Mann in Grau lachte heiser. »Dies ist die letzte Nachhilfestunde in Gehorsam, die ich dir gebe, Jabbar. Haben wir uns verstanden?«
Walid spuckte Blut.
»Ja«, keuchte er kaum hörbar.
»Du kriegst sie auch nur deshalb, weil ich dich noch brauche. Sag, das du mich verstanden hast, Jabbar!«
»Ich habe ... verstanden!«
»Ich möchte, dass du Folgendes weißt: Ich kann dich jederzeit töten. Es gibt keinen Ort, an den du fliehen könntest. Keinen. Und wenn du es versuchen solltest, kannst du sicher sein, dass meine Leute dich finden und zur Strecke bringen werden ...«
Der Mann in Grau erhob sich, ging zurück zur Limousine, stieg dann ein. Irgendwo jenseits der A1 waren Martinshörner der Polizei zu hören.
Und ein Helikopter bewegte sich in einem weiten Bogen auf die Lagerhallen zu. Die Limousine brauste mit quietschenden Reifen davon.
10
Der Helikopter landete auf Pier 44 und setzte uns ab. Ollie sprang als Erster, dann folgte ich. Der Helikopter stieg anschließend wieder auf. In der Ferne waren die Sirenen unserer Kollegen zu hören.
Die angekündigte Vollsperrung der A1 war offenbar noch nicht in Kraft. Jedenfalls floss der Verkehr nach wie vor ungehindert.
Wir sahen uns um.
Von dem Schlauchboot, das wir suchten, war nirgends etwas zu erkennen.
Wir hatten die Waffen im Anschlag, pirschten uns dann bis zu den Lagerhallen vor. Dahinter fanden wir einen menschlichen Körper, der sich wie ein Embryo zusammenkrümmte. Ein schmerzvolles Ächzen mischte sich mit dem Straßenlärm.
»Herr Walid?«, fragte ich, steckte die Pistole zurück ins Holster und kniete mich neben ihn.
»Ja?«, stöhnte Walid.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Sie bekommen gleich Hilfe.«
Er nickte matt, versuchte sich aufzustützen. Aber er schaffte es nicht.
»Bleiben Sie besser liegen«, riet Ollie.
Ich fügte hinzu: »Sie müssen uns helfen, Herr Walid. Dann können wir denen, die das getan haben, das Handwerk legen ...«
Walid hustete. Blut rann aus seinem Mundwinkel heraus.
»Mir ... kann niemand helfen«, murmelte er. »Niemand. ..«
Es dauerte noch ein paar Minuten, bis die Einsatzfahrzeuge der Polizei eintrafen. Ein Wagen der Notfallambulanz traf unglücklicherweise als Letztes ein. Wir hatten ihn über Funk angefordert.
Jabbar Walids Wunden wurden fachgerecht versorgt.
Es machte ganz den Anschein, dass er keinen besonderen Wert darauf legte, mit uns zu reden.
»Wenn du mich fragst, der weiß ganz genau, wer dahintersteckt«, vermutete Ollie.
Ich nickte. »Er hat Angst ...«
»Ja - und bis jetzt offenbar mehr vor diesen Kriminellen als vor uns.«
Der Verkehr auf der A1 kam zum Erliegen.
Über Funk erfuhren wir, dass darüber hinaus auch an einigen Punkten Kontrollen durchgeführt wurden. Das Problem bei der Sache war, dass niemand, der an der Aktion beteiligt war, wirklich wusste, wonach er suchen sollte.
Aber vielleicht hatten wir ja Glück, und bei irgendeiner Kontrolle stießen die Kollegen auf ein Schlauchboot im Kofferraum. ..
Roy tauchte schließlich auf. Er war mit dem Sportwagen hierhergefahren.
»Wie geht es Fred?«, fragte ich als Erstes.
»Sieht übler aus, als wir zuerst dachten. Die Blutungen waren ziemlich schwer zu stillen. .. Er ist jetzt im Wilhelmsburger Krankenhaus.«
Ich atmete tief durch.
Die Bilanz der Schießerei auf dem WALID-Gelände war äußerst blutig. Elf Tote und mehrere Verletzte gab es unter Walids Sicherheitsleuten. Bei drei Toten handelte es sich vermutlich um Komplizen der Kidnapper. In einem der Hafenbecken der alten Werft hatten die Kollegen der Hafenpolizei ein verlassenes Schlauchboot aufgefunden. Aber von den Insassen gab es bis jetzt keine Spur. Der Areal war wie ein Labyrinth. Und so sehr sich die Kollegen auch bemüht hatten, das Gelände weiträumig und hermetisch abzuriegeln - ganz war ihnen das offenbar nicht gelungen. Die Suche wurde noch fortgesetzt.
»Und was ist mit dem Kerl im LKW?«, erkundigte ich mich.
»Den nehmen sich heute Nacht unsere Verhörspezialisten vor«, berichtete Roy.