Thriller Quartett 4116 - Pete Hackett - E-Book

Thriller Quartett 4116 E-Book

Pete Hackett

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Beschreibung

(499) Wer New York in Atem hält (Pete Hackett) Jagdzeit im Big Apple (Pete Hackett) Trevellian und der sechste Mann (Pete Hackett) Stadt der Schweinehunde (Alfred Bekker) Noch während die FBI Agenten Trevellian und Tucker einen Fall von Industriespionage abschließen, bekommen sie den nächsten Fall auf den Tisch. Eine Bank wurde ausgeraubt. Es gibt viele Spuren, doch in der Verbrecherdatei findet sich beim Vergleich von DNA und Prints nicht ein einziger Treffer. Trotzdem finden die beiden schon kurze Zeit nach dem Überfall die Schuldigen. Die fünf Männer sind tot. Sie wurden erschossen. Das Geld ist verschwunden. Offenbar gibt es einen sechsten Mann, der nicht gerne teilt.

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Pete Hackett, Alfred Bekker

Thriller Quartett 4116

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Quartett 4116

Copyright

Wer New York in Atem hält…

Jagdzeit im Big Apple

Trevellian und der sechste Mann

Stadt der Schweinehunde

Thriller Quartett 4116

Pete Hackett

Wer New York in Atem hält (Pete Hackett)

Jagdzeit im Big Apple (Pete Hackett)

Trevellian und der sechste Mann (Pete Hackett)

Stadt der Schweinehunde (Alfred Bekker)

Noch während die FBI Agenten Trevellian und Tucker einen Fall von Industriespionage abschließen, bekommen sie den nächsten Fall auf den Tisch. Eine Bank wurde ausgeraubt. Es gibt viele Spuren, doch in der Verbrecherdatei findet sich beim Vergleich von DNA und Prints nicht ein einziger Treffer. Trotzdem finden die beiden schon kurze Zeit nach dem Überfall die Schuldigen. Die fünf Männer sind tot. Sie wurden erschossen. Das Geld ist verschwunden. Offenbar gibt es einen sechsten Mann, der nicht gerne teilt.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Wer New York in Atem hält…

Pete Hackett

Wer New York in Atem hält …

Special Agent Owen Burke legte den Telefonhörer auf, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sagte: »Das war der Chef. Bei Macy's, bei der Citi Bank in der 23rd Street, beim Museum of Modern Art, beim General Post Office und beim Bellevue Hospital Center sind Erpresserbriefe eingegangen. Der Erpresser verlangt jeweils eine Million Dollar. Das Geld soll binnen einer Woche auf einem Nummernkonto bei der Banke Millie Afghan in Kabul gutgeschrieben sein. Andernfalls – droht der Erpresser – wird er in New York einige Bomben hochgehen lassen, und zwar an ausgesprochen belebten Plätzen wie im Grand Central Terminal oder in der Penn Station.«

Ron Harris pfiff zwischen den Zähnen. Dann knurrte er: »Der Kerl, der hinter dieser Sache steckt, weiß was er will. Wenn die fünf Erpressten zahlen, ist er mit einem Schlag um fünf Millionen reicher. Damit kann man sich getrost zur Ruhe setzen. – Was meint der Chef?«

»Er hat ein längeres Gespräch mit dem Chief of Department geführt. Zunächst vermutete man einen terroristischen Hintergrund. Ausschlaggebend für diese Vermutung war, dass das Geld auf ein Konto in Afghanistan überwiesen werden soll. Aber dann kam man zu dem Schluss, dass Terroristen – die wahrscheinlich international tätig sind -, selbst genug Geld haben. Sie wollen Zeichen setzen, Sie wollen irgendwelche Ideologien an den Mann bringen. – Der Fall wurde vom Police Department an das FBI abgegeben. Der Assistant Director hat uns beide mit der Klärung beauftragt. Wir sollen uns die Unterlagen beim Department besorgen und wenn wir uns eine Meinung gebildet haben, sollen wir mit dem Chef Rücksprache nehmen.«

»Wer ist unsere Ansprechpartner beim Department?«, fragte Special Agent Ron Harris.

Owen Burke warf einen schnellen Blick auf das Blatt Papier, auf dem er einige Notizen vermerkt hatte, während der AD mit ihm sprach. »Detective Lieutenant Lancaster. Ich rufe ihn an …«

Da auf dem Notizzettel auch die Telefonnummer des Detective Lieutenants vermerkt war, hatte Owen Burke den Kollegen zwanzig Sekunden später an der Strippe. Als sich Lancaster meldete, aktivierte Burke den Lautsprecher des Apparates. Nachdem er seinen Namen genannt und den Grund seines Anrufs erklärt hatte, sagte Lancaster: »Wir gehen davon aus, dass es sich um einen Kriminellen aus New York handelt. Alle, die er zu erpressen versucht, haben einen Sitz im Big Apple. Möglicherweise ist es ein Armeeangehöriger, der irgendwann mal in Kabul stationiert war, weil er ausgerechnet dort ein Konto eröffnet hat.«

»Ich vermute, dass man die Bombendrohung ausgesprochen ernst nimmt«, gab Burke zu verstehen.

»Natürlich. Darum ist Eile geboten. Ich schicke sofort einen Boten los, der Ihnen die Akten bringt, die wir angelegt haben. Die bisherigen Erkenntnisse sind ausgesprochen mager. Eigentlich wissen wir nur, dass fünf New Yorker Unternehmen jeweils um eine Million Dollar gebracht werden sollen.«

»Wurde die Sache schon publik gemacht?«

»Nein.«

»Haben Sie mit der jeweiligen Geschäftsführung der betroffenen Unternehmen Kontakt aufgenommen?«, fragte Burke.

»Natürlich. Wir haben uns darauf geeinigt, dass keine Gelder fließen werden. Wenn wir diesem Erpressungsversuch nachgeben, wird in nächster Zeit Krethi und Plethi irgendwelche Erpressungsversuche nach dem Vorbild unseres aktuellen Erpressers starten.«

»Dann ist nicht auszuschließen, dass nach Ablauf einer Woche hier in New York Bomben explodieren, dass Menschen verletzt und getötet werden«, gab Owen Burke zu bedenken.

»Das zu verhindern ist die Aufgabe der Polizei«, knurrte der Detective Lieutenant. »Aber ich weiß: Wir haben ein Problem, ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die Zeit brennt uns unter den Nägeln. Und die Massenmedien werden uns in der Luft zerreißen, wenn in einer Woche eine Bombe hochgeht und auch nur ein Mensch verletzt oder gar getötet wird.«

»Vielleicht sollte man eine Pressekonferenz abhalten und darauf hinweisen, dass die Polizei alles erdenkliche unternehmen wird, um den Gangster zu schnappen, ehe etwas Schreckliches geschieht.«

»Das muss Ihr Chef entscheiden, Agent. Die Federführung in dieser Sache liegt beim FBI. Wir haben einige Namen von Männern ermittelt, die in der Vergangenheit auf ähnliche Art und Weise versucht haben, irgendwelche Summen zu erpressen.«

»Sind die Namen und dazugehörigen Adressen in Ihren Akten vermerkt?«, fragte Burke.

»Ja. Die Kerle wissen nichts davon, dass wir Sie im Fokus haben. Wir beobachten sie. Bis jetzt aber gibt es kein Ergebnis. Es ist nicht auszuschließen, dass die Observierungen für die Katz sind.«

»Halten Sie die Observationen aufrecht?«, fragte Burke.

»Ich denke nicht, nachdem Sie die Angelegenheit übernommen haben. Wir wollen Ihnen auch nicht ins Handwerk pfuschen. Sollten wir unsere Leute abziehen, informiere ich Sie, Agent.«

»In Ordnung.« Owen Burke verabschiedete sich und legte auf. »Warten wir ab, bis wir die Akten vom PD erhalten«, sagte er zu Ron Harris.

»Eine Chance haben wir wahrscheinlich nur, wenn es uns gelingt, den Erpresser aus der Reserve zu locken«, meinte Harris. »Ein adäquates Mittel, dies zu erreichen, wäre in der Tat eine Pressekonferenz, in der jegliche Zahlungen kategorisch abgelehnt werden.«

Owen Burke wiegte den Kopf. »Es ist möglich, dass wir den Schurken auf diese Art und Weise aus der Reserve locken können. Was aber ist, wenn er zur Warnung eine Bombe hochgehen lässt. Er wird uns von der Ernsthaftigkeit seiner Drohung überzeugen wollen. Und dafür wirft er sicherlich auch Menschenleben in die Waagschale.« Owen Burke schaute ziemlich unglücklich drein. »Im Moment ist es ein Kampf gegen Windmühlenflügel, Kollege«, murmelte er. »Und wenn wir dem Halunken nicht rechtzeitig das Handwerk legen können, nagelt man uns ans Kreuz. Es wird ein Wettlauf gegen die Zeit.«

»Wir müssen ihn herausfordern«, beharrte Ron Harris auf seiner Ansicht. »Wenn wir ihn dazu verleiten, einen Fehler zu machen, dann haben wir ihn. Irgendwelche Leute aufs Geradewohl zu überprüfen, die irgendwann mal einen Erpressungsversuch gestartet haben, bringt meiner Meinung nach nicht viel. Wir müssen gegen diesen Kerl gezielt vorgehen. Nur dann haben wir Erfolg.«

*

Die Akten kamen. Fünf Schnellhefter, ausgesprochen dünn, sie enthielten lediglich Kopien der Erpresserbriefe, die Protokolle der Anzeigen und eine Liste mit Namen. Die Originale der Erpresserbriefe befanden sich bei der Scientific Research Division wegen der Analysierung von Fingerabdrücken und DNA-Spuren. Burke und Harris meldeten sich beim Direktor des FBI an. Das Gespräch mit ihm dauerte nicht einmal eine Viertelstunde. Die Message war eine ausgesprochen knappe: Verhindern Sie, dass der Gangster irgendwelchen Menschen Schaden zufügt und halten Sie mich auf dem Laufenden.

Die Agents befanden sich wieder in ihrem gemeinsamen Büro. Ron Harris klickte das FBI National Crime Information Center 2000 her, dann schaute er Owen Burke an. »Ich bin bereit.«

»James Morin«, las Burke den ersten Namen vor. Er nannte auch das Geburtsdatum des Mannes.

Harris gab die Daten in den Suchlauf ein, und im nächsten Moment stieß er hervor: »Treffer. Er hat versucht, eine der Schifffahrtsgesellschaften zu erpressen, die in Südmanhattan Bootsausflüge anbieten. Das war vor sechs Jahren. Morin hat bis August 2010 in Attica seine Strafe abgesessen.«

»Wie lief der Erpressungsversuch ab?«, wollte Burke wissen.

»Morin drohte, Schiffe der Gesellschaft zu versenken. Wie er das bewerkstelligen wollte, geht aus den Protokollen nicht hervor.«

»Mit 'ner Bombe vielleicht«, mutmaßte Owen Burke. »Gut. Der nächste Name lautet Scott Sumner, geboren am 18. Februar 1970.«

»Hat ihn schon«, knurrte Ron Harris Sekunden später. »Er hat gedroht, Feuer in U-Bahnen zu legen, wenn ihm die Stadtverwaltung nicht zwei Millionen Dollar bezahlt. Sumner wurde vor drei Monaten aus der Strafhaft entlassen. Man hat ihn bei der Übergabe des Geldes geschnappt.«

»Robert Gekosky, neunundzwanzig Jahre alt.«

»Er wollte von Cartier eine Million und drohte, den Laden in der Fifth Avenue in die Luft zu sprengen, wenn Cartier nicht zahlt.«

»Wie wurde er geschnappt?«

»Als sich Cartier weigerte, zu bezahlen, stellte er eine selbst gebastelte Bombe, die er in einer Plastiktüte verpackt hatte, im Eingangsbereich des Ladens ab. Er wurde beobachtet, der Sprengsatz wurde entschärft und anhand der Fingerabdrücke, die er auf dem Gehäuse desselben zurückgelassen hatte, konnte man ihn ermitteln. Er saß drei Jahre in Rikers Island und wurde vor einem Jahr vorzeitig wegen guter Führung entlassen.«

»Nicht der Cleverste, wie?«

»Nun ja, in dem Personenkreis, dem wir es zu verdanken haben, dass wir niemals arbeitslos werden, ist – wie in jeder anderen Gesellschaftsschicht auch – ein repräsentativer Querschnitt durch die Bevölkerung vertreten. Und darunter befindet sich immer ein gerütteltes Maß an Idioten.«

Owen Burke grinste und nannte dann den vierten Namen: »Craig Gant, geboren am 25. Juli 1975.«

Harris bearbeitete die Tastatur, dann nickte er und sagte: »Auch er hat gedroht eine Bombe hochgehen zu lassen, wenn ihm die Bahngesellschaft nicht drei Millionen Dollar auf ein Nummernkonto in Buenas Aires überweist. In diesem Fall konnte die argentinische Polizei innerhalb eines Tages herausfinden, wer der Kontoinhaber war. Gant wurde zu fünf Jahren verurteilt. Auch er saß in Rikers Island und wurde im September 2010 entlassen.«

»Sollten es tatsächlich nur vier Leute in den vergangenen Jahren gewesen sein, die versuchten, auf diese Art und Weise Geld zu erpressen?«, fragte sich Owen Burke laut.

»Wir können in dieser Hinsicht noch recherchieren. Sicher sitzen einige Gangster dieses Formats noch hinter Schloss und Riegel. Prüfen wir erst einmal die vier Zeitgenossen, deren Daten uns vorliegen. Und dann sollten wir vielleicht doch noch einmal über eine Pressekonferenz nachdenken. Wir haben nur noch bis 21. Januar Zeit. Gestern sind die Briefe bei den Opfern eingetroffen. Wenn uns kein Erfolg beschieden ist, müssen wir davon ausgehen, dass es am 22. Januar kracht und dass Menschen sterben. Ich will mir das gar nicht vorstellen …«

»Ja, die Vorstellung ist grauenhaft. Darum werden wir sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um den Erpresser unschädlich zu machen. Ich schätze mal, die nächsten Tage wird von Feierabend kaum noch die Rede sein.« Owen Burke schaute auf die Uhr. »Es ist 12 Uhr 25. Fangen wir bei Morin an. Er wohnt in Manhattan Valley, 102nd Street Nummer 315.«

Sie fuhren mit dem Aufzug hinunter in die Tiefgarage und wenig später rollten sie im Dodge Avenger den Broadway hinauf nach Norden. Ron Harris konnte den Dienstwagen fast vor der Haustür des Gebäudes Nummer 315 in der 102nd Street parken. Die Straße endete bei einer Wohnsiedlung, der man den Namen Frederick Douglass Houses gegeben hatte.

James Morins Apartment lag in der zweiten Etage eines Baues aus den dreißiger Jahren. Im Treppenhaus war es düster. Es roch nach Schimmelpilz. Auf den Fensterbrettern der Treppenhausfenster lagen tote Fliegen. Es war Januar und demzufolge mussten die kleinen Leichen schon viele Wochen hier liegen, ohne dass sich jemand die Mühe machte, sie zusammenzukehren und zu entsorgen. Es ließ auf die mangelnde Ordnungsliebe der Hausbewohner schließen.

Die Wohnungstür wies einen Spion auf. Harris läutete, gleich darauf verdunkelte sich die Linse des Spions, Zeichen dafür, dass jemand durch sie hindurchschaute.

»Öffnen Sie!«, forderte Owen Burke laut. »FBI. Wir möchten mit Ihnen sprechen.«

Die Tür ging einen Spaltbreit auf, der zwei Zoll breite, senkrechte Ausschnitt eines Gesichts war in dem Spalt zu sehen, ein graublaues Auge musterte die G-men. »FBI? Was sollte ich mit den Feds zu tun haben?«

»Wir sind die Special Agents Harris und Burke«, stellte Owen Burke sich und seinen Partner vor, dabei hielt er Morin seinen Ausweis vor die Nase. »Was dagegen, wenn wir uns drin unterhalten?«

Morin musterte ihn finster und ohne die Spur von Freundlichkeit. Nach wie vor war die Tür nur einen Spalt geöffnet und nur das linke Auge des Burschen war zu sehen. Burke wusste, dass der Mann dreiundfünfzig war. »Habt ihr einen Durchsuchungsbefehl oder irgendeine andere richterliche Anordnung?«, blaffte Morin.

»Haben wir nicht. Wir rechneten mit Ihrer Kooperationsbereitschaft.«

»Ich habe nur schlechte Erfahrung mit euch Kerlen gemacht«, grollte Morins Organ. »Sie können sich also denken, dass ich nicht gut auf Sie zu sprechen bin.«

Jetzt mischte sich Ron Harris ein, indem er sagte: »Es hat in New York eine Bombendrohung gegeben. Irgendein Zeitgenosse, der sich die Hände nicht mit Arbeit beschmutzen möchte, erpresst einige Institutionen mit der Drohung, Sprengsätze zu zünden, wenn seine Geldforderungen nicht befriedigt werden.«

Jetzt machte Morin die Tür ein kleines Stück weiter auf. Die Agents konnten sein Gesicht sehen. Es war breitflächig, die Lippen waren aufgeworfen, die Nase war eingeschlagen. In den wässrigen Augen war ein unruhiges Flackern wahrzunehmen. »Und warum kommen Sie mit dieser Geschichte zu mir?«

»Sie besitzen Erfahrung auf diesem Gebiet«, versetzte Ron Harris ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. »Haben Sie vor einigen Jahren nicht gedroht, Schiffe der Manhattan Ship Society zu versenken, wenn man Ihnen – hm, finanziell nicht entgegen kommt?«

Der Anflug einer jähen Wut verzerrte James Morins Mund, aggressiv brach es aus seiner Kehle: »Ich will nichts davon hören! Es ist eine halbe Ewigkeit her und ich habe meine Strafe bis auf den letzten Tag abgesessen.«

»Sicher.« Jetzt hatte wieder Owen Burke das Wort ergriffen. »Dass man Sie bestraft hat, war recht und billig. Meinen Sie nicht auch? Sie wurden im August 2010 aus der Haft entlassen. Vorhin sprachen Sie davon, dass Sie nur schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Sie sich ungerecht behandelt fühlten?«

Morin knirschte mit den Zähnen. Seine Backenknochen mahlten. »Ich habe aus meinen Lektionen gelernt. Zurzeit bin ich wegen einer Mandelentzündung krank geschrieben. Ich arbeite seit Januar 2011 bei einer Spedition, die oben in der Bronx ihren Sitz hat. Sie können das ja nachprüfen. Von Montagmorgen bis Freitagnachmittag bin ich mit meinem Truck im Staat New York unterwegs.«

»Besitzen Sie einen Computer?«, fragte Burke.

»Natürlich. So etwas hat heutzutage doch jeder.«

»Dann nennen Sie sicher auch einen Drucker Ihr Eigen.«

»Ja. Was soll das?«

»Dürfen wir uns die Anlage mal anschauen?«

Das Gesicht Morins nahm einen abweisenden Ausdruck an. »Zeigen Sie mir eine entsprechende richterliche Anordnung«, knurrte er.

»Ich will Ihnen nun etwas klarzumachen versuchen, Mr. Morin«, gab Owen Burke geduldig und mit ruhiger, fast sanfter Stimme zu verstehen. »Wenn Sie der Mann nicht sind, den wir suchen, haben Sie Ruhe vor uns. Das können wir aber nur feststellen, wenn Sie bereit sind, uns zu helfen. Wir haben einige Namen von Leuten, die schon einmal als Erpresser aufgetreten sind und in diesem Zusammenhang mit Gewalttaten drohten. Einer der Namen ist der Ihre. Nun versuchen wir, die Leute auszuschließen, die nicht für die Tat in Frage kommen. Sie, Mr. Morin, tun im Moment alles, um unseren Verdacht nicht zu entkräften, sondern vielmehr zu stärken.«

In Morins Zügen arbeitete es. Schließlich stieß er widerwillig hervor: »Na schön, kommt herein.«

Er gab die Tür frei und die Agents betraten die Wohnung. Im Wohnzimmer sah es ziemlich unaufgeräumt aus. Der Fernseher lief. Auf der Couch lagen zwei Kissen und eine zurückgeschlagene Decke. Auf dem Tisch standen eine gläserne Kanne, die halb mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt war – wahrscheinlich handelte es sich um Tee -, und eine große Tasse.

»Leben Sie hier alleine?«, fragte Owen Burke.

»Ja. Meine Frau hat sich damals vor sechs Jahren scheiden lassen, als sich herausstellte, dass ich die Schifffahrtsgesellschaft erpresste. Meine beiden Kinder sind erwachsen. Sie haben den Kontakt zu mir abgebrochen. – Der PC steht dort.«

Man konnte auf den ersten Blick sehen, dass es sich um ein ziemlich betagtes Gerät handelte. Die Anlage stand auf einem Computertisch aus Metall, den Morin zwischen den beiden Fenstern des Raumes an der Wand aufgestellt hatte.

»Bitte, schalten Sie ihn ein«, sagte Burke.

Morin fuhr den PC hoch. Burke schaute sich die Icons an, die als Verknüpfungen auf dem Desktop abgelegt waren, und stellte fest, dass Morin mit dem Schreibprogramm Word von Microsoft arbeitete. Wahrscheinlich eine Uraltversion. Ein Doppelklick öffnete das Programm, Burke setzte sich auf den Stuhl und schrieb ein paar Zeilen, die er anschließend formatierte. Schriftart Arial, Schriftgröße 12, doppelter Zeilenabstand. Mit diesen Formaten waren auch die Erpresserbriefe geschrieben worden.

Burke schaltete den Drucker ein. Es dauerte einige Zeit, bis sich das Gerät eingestellt hatte und ein grünes Licht anzeigte, dass es druckbereit war, dann druckte Burke sein Geschreibsel aus. Nachdem der Drucker das Blatt Papier ausgeworfen hatte, nahm es Burke, warf einen Blick darauf und sagte zu Ron Harris: »Mit diesem Printer wurden die Erpresserbriefe auf keinen Fall ausgedruckt.« Dann schaute er Morin an und erhob noch einmal die Stimme: »Ich glaube, Sie sind aus dem Schneider, Mr. Morin. Vielen Dank, dass Sie uns geholfen haben.«

*

Als sie im Dodge saßen und in Richtung East Side fuhren, wo in der 109th Street Robert Gekosky wohnte, fragte Ron Harris: »Woher hast du die Sicherheit genommen, als du behauptet hast, dass die Erpresserbriefe nicht mit Morins Drucker erstellt wurden?«

Sie benutzten die Transverse Road Nr. 4, um den Central Park zu durchqueren. Linkerhand konnte man durch Büsche und Bäume das Recreation House sehen, dahinter liegt das North Meadow Ball Field.

Südlich befinden sich die Meadow Tennisanlagen und das riesige Reservoir, ein See, der fast so breit war wie der Central Park, aus dem früher ganz Manhattan mit Trinkwasser versorgt wurde.

»Hast du was an den Augen, Partner?«, kam Burkes etwas spöttische Gegenfrage. »Ist dir entgangen, dass am Papiereinzug des Druckers, mit dem die Erpresserbriefe gedruckt wurden, etwas nicht stimmen kann? Die Zeilen auf den Ausdrucken verlaufen leicht nach rechts oben, also nicht waagrecht. Morins Drucker hingegen arbeitet trotz seines Alters einwandfrei.«

»Ich bin überwältigt«, knurrte Ron Harris sarkastisch. »Dein kriminalistischer Spürsinn dürfte unübertroffen sein. Muss ich nun Sherlock Holmes zu dir sagen?«

»Ha, ha.«

Von nun an herrschte zwischen den Agents Schweigen. Sie ließen den Central Park hinter sich, fuhren ein Stück auf der 96th Street und bogen dann in die Park Avenue ab. In der 109th Street manövrierte Ron Harris den Dodge gekonnt in eine enge Parklücke zwischen einem Müllcontainer und einem alten Ford, dann stiegen die Agents aus und betraten wenig später das Gebäude, in dem Gekosky wohnte.

Der Mann schien nicht zu Hause zu sein. Obwohl Burke des Öfteren an der Wohnungstür läutete, öffnete niemand. Ron Harris klingelte bei einem Nachbarn. Ein alter Mann mit Glatze und einer Brille auf der Nase zeigte sich. »Haben Sie nicht das Schild unten an der Haustür gelesen?«, fuhr er die G-men an. »Betteln und Hausieren ist in diesem Gebäude verboten. Also scheren Sie sich …«

Burke hob die rechte Hand und unterbrach die Kanonade des bissigen Oldtimers: »Wir sind von der Polizei und möchten zu Robert Gekosky. Er scheint nicht daheim zu sein.«

»Polizei?«, entrang es sich geradezu fassungslos dem Mann. »Was – was hat Robert denn ausgefressen?«

»Es sind nur ein paar Routinefragen, die wir ihm stellen möchten. Haben Sie 'ne Ahnung, wo er sein könnte?«

»Auf der Arbeit. Er ist Handlanger auf dem Bau. Die Baufirma befindet sich in Queens. Robert ist ein dummer Junge. Er kam Anfang 2012 aus dem Knast und hatte nichts – gar nichts. Aber er gab nicht auf, fand eine Arbeit und schließlich konnte er sich diese Wohnung hier leisten. Er hat mir mal sein Schicksal erzählt. Groß geworden in einem Kinderheim kam er, nachdem er volljährig war und das Heim verlassen musste, bald auf die schiefe Bahn. Das endete darin, dass er Cartier erpresste. Dafür sperrte man ihn drei Jahre weg. Nun ja, Strafe muss sein. Sie bewirkte etwas bei Robert. Er wird nie wieder etwas tun, was ihn mit dem Gesetz in Konflikt bringt.«

»Würden Sie dafür die Hand ins Feuer legen?«, fragte Ron Harris.

Der Mann kaute auf seiner Unterlippe herum. »Nun ja, ich weiß nicht …«

»Wann kommt Gekosky nach Hause?«

»So gegen 18 Uhr 30. Manchmal auch später, wenn er noch irgendwelche Besorgungen zu erledigen hat. Kann ich ihm etwas bestellen?«

Owen Burke gab dem Mann eine von seinen Visitenkarten. »Gekosky soll mich heute noch anrufen. Es ist wichtig.«

»Mir wollen Sie nicht sagen, um was es geht?«

»Das kann Gekosky machen, sobald wir mit ihm gesprochen haben.«

Die Agents verabschiedeten sich.

Sie begaben sich in den Ostteil Manhattans, wo Scott Sumner in der 121th Street wohnte. Bei ihm hatten sie Glück. Sumner war zu Hause. Er lebte in der vierten Etage eines Mietshauses. Mit einer Jeans und einem blauen T-Shirt bekleidet stand er vor den G-men, unrasiert und mit geröteten, wässrigen Augen, die darauf schließen ließen, dass Sumner an diesem Tag schon reichlich dem Alkohol zugesprochen hatte. »Was kann ich für Sie tun?«, lallte er und zeigte ein dümmliches Grinsen.

Burke erklärte, wer sie waren, dann fragte er, ob Sumner die Zeit habe, ihnen einige Fragen zu beantworten. Sumners Kopf wackelte vor Trunkenheit.

»Mich sprechen!« Er tippt sich mit dem Daumen seiner Rechten gegen die Brust, drohte das Gleichgewicht zu verlieren und vollführte einen Ausfallschritt nach links, um einen Sturz zu verhindern. Er fing sich. »Niemals! Mit euch rede ich nicht. Niemals!«

Owen Burke und Ron Harris wechselten einen viel sagenden Blick. Da erklang eine etwas schrille Frauenstimme in der Wohnung. Sie rief: »Was ist denn los? Wer ist da?« Die Lady kam ins Blickfeld der Agents. Sie war um die fünfzig, ihre rot gefärbten Haare standen etwas wirr vom Kopf ab, ihr Oberkörper war korpulent und wies keine fraulichen Formen auf. Die Beine, die ein roter Rock von den Knien aus abwärts freigab, waren im Verhältnis zum Torso zu dünn. »Wer sind Sie und was wollen Sie?«

Owen Burke war nicht entgangen, dass der Frau einige Zähne fehlten.

»FBI«, sagte Burke und nannte ihre Namen, dann wies er sich aus. »Wir sind hier, um mit Mr. Sumner zu sprechen. Aber wie mir scheint, ist er nicht mehr ganz nüchtern.«

»Er säuft sich zu Tode!«, kreischte die Lady. »Dafür habe ich vier Jahre lang auf ihn gewartet, als er im Knast war. Was hätte ich für Kerle haben können. Aber ich war treu. Zum Dank dafür ersäuft er sich mehr und mehr im Alkohol.«

»Halt die Fresse, Mae!«, lallte Sumner. »Halb bloß die Fresse, verdammt, sonst …«

»Ruhig Blut, Sumner!«, mahnte Owen Burke mit scharfer Stimme. Und als der Betrunkene schwieg und ihn mit stupidem Blick anstarrte, wandte er sich an die Frau. »Sind Sie mit ihm verheiratet?«

»Ja. Ich habe ihn geheiratet, als er im Gefängnis saß. Damals hätte er mir die Füße geküsst. Jetzt aber säuft er nur noch. Ich frage mich, warum ich ihn noch nicht verlassen habe. Es gibt genug Kerle, die mich …«

»Ich habe dir gesagt, dass du die Fresse halten sollst!«, brüllte Scott Sumner und wollte sich auf die Frau stürzen, aber Owen Burke handelte ansatzlos, und ehe sich der Trinker versah, lag er bäuchlings am Boden. Burke stand gebückt über ihm und drehte ihm den linken Arm auf den Rücken.

»Halt den Ball flach, Sumner!«, warnte Burke. »In meiner Gegenwart schlägst du jedenfalls keine Frau.«

Sumner heulte auf und strampelte mit den Beinen.

»Es hat eine Bombendrohung gegeben«, klärte Ron Harris die Frau auf, indes Owen Burke bemüht war, Scott Sumner zu beruhigen, der jetzt wirres Zeug vor sich hin lallte. »Scott Sumner hat vor einigen Jahren gedroht, U-Bahnzüge in Brand zu setzen, sollte ihm die Stadtverwaltung nicht zwei Millionen Dollar bezahlen.«

»Eine Bombendrohung?«, kam es von der Frau. »Scott hat keine Bombe. Er wollte damals Geld erpressen. Das Zünden von Bomben ist wohl mehr bei irgendwelchen Weltverbesserern an der Tagesordnung, bei Terroristen und Rechtsradikalen.«

»Sorry«, murmelte Ron Harris, »ich habe vergessen, zu erwähnen, dass die Bombendrohung mit einer Erpressung einhergeht. Fünf renommierte Unternehmen beziehungsweise Dienstleister erhielten Erpresserbriefe. Es geht um jeweils eine Million.«

Mae Sumner lachte fast belustigt auf, dann erwiderte sie: »Scott kommt seit fast vier Wochen nicht mehr aus dem Rausch heraus. Er ist absolut süchtig. Es ist eine Krankheit – ich weiß. Aber er denkt nicht daran, sich in Therapie zu begeben. Er ist nämlich nicht versichert. Und sein Geld braucht er zum Saufen.«

»Besitzen Sie einen Computer?«, fragte Harris.

»Nein. So etwas brauchen wir nicht. Wozu auch?«

»Na schön«, murmelte Ron Harris. »Dann kommt Scott Sumner wohl auch nicht als Täter in Frage.«

Owen Burke ließ den Arm des Betrunkenen los und richtete sich auf. Mae Sumner zerrte ihren Mann auf die Beine. Er stand mit hängenden Schultern und baumelnden Armen da und sein träge arbeitender Verstand schien das Geschehene wohl nur nach und nach zu verarbeiten.

»Entschuldigen Sie die Störung, Ma'am«, murmelte Burke. »Was Ihren Mann betrifft, sollten Sie sich vielleicht mal an eine Hilfsorganisation wenden, die unter Umständen die Kosten einer Therapie übernimmt. Wenn er von seiner Sucht nicht loskommt, ist er in der Tat bald ein toter Mann.«

»Er will nicht«, murmelte die Frau. »Und solange er nicht bereit ist, mit dem Saufen aufzuhören, wird jede Therapie fehlschlagen.«

*

Auf dem Weg in die Bronx, wo Craig Gant wohnte, läutete Owen Burkes Handy. Er holte es aus der Jackentasche und ging auf Empfang. Eine etwas blechern klingende Stimme meldete sich. »Hier spricht Carter Stanwell von der Times. Guten Tag, Special Agent.«

Burkes Miene verschloss sich. Er erinnerte sich an Stanwell. Er befand sich erst seit wenigen Wochen in New York. Vorher arbeitete er bei einer Zeitung in Chicago. Obwohl er den Journalisten nicht persönlich kannte, verspürte er gegen ihn eine gewisse Aversion. »Was haben Sie heute auf der Pfanne, Stanwell?«, erkundigte sich Burke nicht gerade freundlich.

»Ich erhielt einen Anruf, Special Agent«, antwortete der Zeitungsmann. »Man versucht, Macy's um eine Million zu erpressen. Wenn Macy's nicht zahlt, will der Erpresser Bomben hochgehen lassen.«

Burke war wie vor den Kopf gestoßen. »Wer hat Sie angerufen?«, schnarrte er.

»Ein Mitarbeiter von Macy's. Den Namen kann ich Ihnen leider nicht nennen. Warum warnt das FBI die Öffentlichkeit nicht? Muss tatsächlich erst eine Bombe hochgehen, müssen erst Menschen sterben, ehe Ihr Verein die Erpressung publik macht?«

»Wir haben aus ermittlungstaktischen Gründen darauf verzichtet«, versetzte Burke. »Aber jetzt, da Sie es wissen, Stanwell, dürfte es wohl mit der Geheimhaltung vorbei sein. Werden Sie es in der Times bringen? – Falsch formuliert: Wann werden Sie es bringen?«

»Warum gibt es keine Pressekonferenz?«

»Weil wir nichts in Händen haben, das wir der Presse servieren könnten. Wir würden die Menschen auf der Straße nur verunsichern, wir würden die Angst schüren. Es sind noch sechs Tage bis zum Ablauf des Ultimatums, das der Erpresser seinen Opfern gestellt hat …«

»Seinen Opfern!«, fiel der Journalist dem Agent ins Wort. »Es gibt also weitere Erpressungen. O verdammt, Burke, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, derartige Vorgänge zu erfahren.«

Owen Burke schalt sich einen Narren. Sekundenlang presste er wütend die Lippen zusammen. Dann knurrte er: »Sie werden von mir keine Details erfahren, Stanwell. Wir sind dabei, Leute zu befragen, die als Täter in Frage kommen. Und wir unternehmen alles, um den Täter innerhalb der nächsten sechs Tage zu erwischen. Ich bitte Sie, Ihr Wissen für sich zu behalten. Ein Artikel in der Times könnte den Erpresser unnötig herausfordern.«

»Ich glaube nicht, dass ich Ihrer Bitte nachkommen kann, Special Agent. Von Ihrer Verschleierungstaktik halte ich nichts. Die Bürger von New York haben ein Recht darauf, Bescheid zu wissen, wenn ihnen Gefahr droht. Der Erpresser will die Bomben an stark frequentierten Plätzen hochgehen lassen. Und ich weiß, dass Macy's nicht bereit ist, zu zahlen. Also denke ich, dass auch die anderen Erpressten jegliche Zahlung ablehnen. Die Bombendrohung darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden.«

»Ich kann Sie nur bitten, den Artikel nicht zu veröffentlichen, Stanwell. Sie beschwören damit vielleicht etwas herauf, was …«

»Sie haben doch bloß Angst, dass Ihr Verein nicht besonders gut wegkommt!«, blaffte der Journalist, dann war die Leitung tot. Er hatte die Verbindung unterbrochen.

Burkes Zahnschmelz knirschte, so sehr biss er die Zähne zusammen. »Dieser elende Schmierfink!«, schimpfte er dann. »Ich rufe bei Macy's an. Zur Hölle mit dem Dummkopf, der Stanwell informiert hat.«

Das Gespräch brachte kein Ergebnis. Der Geschäftsführer von Macy's, mit dem Burke sprach, versicherte, dass er nicht die Times angerufen hatte. Er erklärte dem Agent, dass dafür mehrere Leute in Frage kämen, dass aber derjenige, der es war, dies niemals zugeben würde.

Nachdem Burke das Gespräch beendet hatte, stieß er hervor: »Wer immer es auch war: Er hat Stanwell verraten, dass Macy's nicht bereit ist, zu zahlen. Wenn Stanwell das bringt, wird es auch der Erpresser lesen. Die Frage ist dann, ob er das Ende des Ultimatums abwartet, oder ob er zur Warnung und um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen irgendetwas inszeniert, um uns, die Erpressten und ganz New York in Atem zu halten.«

»Vielleicht kann der Chef etwas erreichen«, schlug Ron Harris vor.

»Ein Anruf bei der Geschäftsführung der Times könnte falsch ausgelegt werden«, versetzte Burke. »Stanwell hat schon von Verschleierungstaktik gesprochen. Wir haben Pressefreiheit. Wenn die Geschäftsführung es ablehnt, Stanwell zurückzupfeifen, wird er uns mit wohlgesetzten Worten in der Luft zerreißen. Ein Anruf des AD könnte also ein Schuss in den Ofen sein.«

»Dann müssen wir abwarten, was die nächsten Tage bringen«, murmelte Ron Harris.

»Unabhängig davon muss ich den Chef in Kenntnis setzen«, murmelte Burke, nahm noch einmal sein Mobiltelefon zur Hand und holte die Durchwahlnummer des Assistant Directors aus dem elektronischen Telefonbuch auf das Display …

*

Craig Gant war siebenunddreißig Jahre alt. Ein finsterer Typ, dessen braune Augen ausdruckslos dreinblickten und in dessen Mundwinkeln ein brutaler Zug festzustellen war. Er zickte nicht herum und ließ die Agents in seine Wohnung. Eine Frau, die sich im Wohnzimmer aufhielt, stellte er als seine Lebensgefährtin vor.

Burke erklärte den Sinn ihres Besuchs.

»Damit hab ich nichts zu tun«, stieß Gant hervor. »Allerdings ist mir klar, weshalb Sie mit dieser Sache zu mir kommen. Ja, ich habe damals unter der Androhung, einen Sprengsatz hochgehen zu lassen, versucht, die Bahngesellschaft um drei Millionen zu erpressen. Einmal Erpresser – immer Erpresser, nicht wahr? Aber ich bin geläutert worden. Keine krummen Sachen mehr, das habe ich mir vorgenommen, und das habe ich bis jetzt auch gehalten.«

»Ich würde mir gerne mal Ihren Computer ansehen«, erklärte Burke.

»Wozu?«

»Eventuell können wir Sie von der Liste der Verdächtigen streichen, wenn ein Ausdruck mit Ihrem PC nicht dem Bild der Erpresserbriefe entspricht.«

»Mit dem Drucker wurde schon 'ne Ewigkeit nichts mehr ausgedruckt«, mischte sich nun die Lebensgefährtin Gants ein. »Wahrscheinlich sind die Farbdüsen längst eingetrocknet. Aber wir können es gerne ausprobieren.«

Sie führte die Agents in einen kleinen Raum, der mit zwei Regalen und einem Arbeitstisch ausgestattet war, auf dem der PC stand. Burke setzte sich, nachdem das Betriebssystem hochgefahren war, klickte das Schreibprogramm her und schrieb einige Zeilen. Dann klickte er das Druckersymbol an. Das Gerät begann zu ruckeln und es dauerte eine ganze Zeit, bis es Druckbereitschaft signalisierte, dann zog es ein Blatt Papier ein. Als der Drucker den Bogen wieder ausspuckte, war er leer. Mit diesem Printer war seit Wochen nichts mehr ausgedruckt worden. Die Düsten bedurften einer intensiven Reinigung, um wieder zu funktionieren.

Der Weg in die Bronx war umsonst gewesen.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Robert Gekosky unser Mann ist«, gab Owen Burke zu verstehen, als sie in südliche Richtung rollten. »Morin, Gant und vor allem Scott Sumner schließe ich ebenfalls aus. Das bedeutet, dass ein Tag vorbei ist und wir nicht das geringste positive Ergebnis vorweisen können.«

»Der Chef wird nicht umhin kommen, eine Pressekonferenz abzuhalten«, murmelte Ron Harris. »Dafür wird unser gemeinsamer Freund Stanwell schon sorgen. Er ist ein verdammter Aasgeier!«

»Objektiv bleiben, alter Junge«, riet Burke. »Aufregung ist schädlich für die Gesundheit. Du willst doch nicht mit fünfzig tot vom Stuhl kippen. Also übe dich in Gelassenheit.«

»Das sagt der Richtige!«, verteidigte sich Harris. »Aber sicher hast du recht. Auch wenn ich mich aufrege – ich werde nichts ändern oder aufhalten können.«

»Sag ich doch.«

Es wurde dunkel, als sie beim Bundesgebäude an der Federal Plaza ankamen. Sie fuhren hinauf in die dreiundzwanzigste Etage und betraten ihr Büro. Auf Burkes Schreibtisch lag eine dünne, graue Mappe. Er schlug sie auf und las das Schriftstück, das sie beinhaltete. Dann knurrte er freudlos: »Das ist die gutachterliche Stellungnahme von der SRD. Die Fingerabdrücke, die auf den Erpresserschreiben sichergestellt und analysiert wurden, haben keinen Hinweis auf den Verfasser gegeben. Im Hinblick auf irgendwelches DNA-Material wurde man nicht fündig.«

»Also können wir eine weitere Hoffnung begraben«, bemerkte Ron Harris und seufzte ergeben. »Ein denkbar schlechter Ausgangspunkt für unsere Ermittlungen. Und der Erpresser hockt irgendwo hier im Big Apple wie eine fette Spinne in ihrem Netz und lässt uns zappeln.«

Owen Burke setzte sich, fuhr den Computer hoch und rief den Assistant Director an. »Was gibt es, Agent?«, erklang dessen sonore Stimme. Er konnte am Display seines Telefonapparates ablesen, wer ihn anrief.

»Wir haben mit Craig Gant gesprochen, Sir. Er kommt wohl auch nicht als Erpresser in Frage. Somit scheiden die Männer, deren Namen wir vom PD geliefert erhielten, aus. Mit Robert Gekosky haben wir zwar noch nicht gesprochen, aber ich denke, dass wir auch ihn von der Liste streichen können.«

»Wer bleibt dann noch übrig?«, fragte der AD.

»Niemand, Sir. Der Abgleich der Fingerprints auf den Erpresserschreiben hat keinen Erfolg gebracht. Wir sind bei Null angelangt. Und auf dem Nullpunkt ist demgemäß auch unsere Stimmung. Den Rest hat uns der Anruf dieses Schmierfinken von der Times gegeben.«

»Der Kerl kann uns schaden«, meinte der AD. »Und uns sind die Hände gebunden. Jeder Anruf bei der Times, der darauf abzielt, den Artikel über die Erpressung zurückzuhalten, könnte als Versuch gewertet werden, nicht zugeben zu müssen, dass wir bis jetzt nicht den geringsten Erfolg zu verbuchen haben.«

»Das sehen Agent Harris und ich genauso, Sir. Wir warten jetzt noch ab, was uns Robert Gekosky zu sagen hat – falls er anruft, und dann müssen wir wohl oder übel nach Hause gehen. Es ist so, dass wir dem Erpresser den nächsten Zug überlassen müssen.«

»Sie sprechen immer nur von einer Einzelperson, Agent«, gab der Direktor des FBI zu bedenken. »Haben Sie noch nicht in Erwägung gezogen, dass es sich um mehrere Täter handeln könnte?«

»Das können wir natürlich nicht ausschließen. Aber in der Regel arbeiten Erpresser wie unser Kandidat alleine. Diese Sorte will nicht teilen. Anders sieht es möglicherweise bei Entführern aus, die Lösegeld erpressen. Aber damit haben wir es nicht zu tun.«

»Es gefällt mir nicht, dass wir darauf warten sollen, dass der Verbrecher auf sich aufmerksam macht. Es wird meiner Meinung nach in ziemlich spektakulärer Art und Weise geschehen und es fließt unter Umständen Blut.«

»Der Gedanke daran verursacht mir Magenkrämpfe, Sir«, gab Burke zu. Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Es kann aber auch für uns der Anfang einer konkreten Spur sein, wenn der Erpresser auf die Publikation in der Times hin in Erscheinung tritt. Möglicherweise begeht er den Fehler, auf den wir warten.«

»Ich verstehe nicht ganz, Agent.«

»Carter Stanwell wird alles, was er in Erfahrung gebracht hat, in den Artikel packen, so auch die Tatsache, dass man bei Macy's nicht bereit ist, die geforderte Summe zu zahlen. Das veranlasst den Gangster vielleicht, die Ernsthaftigkeit seiner Drohung unter Beweis zu stellen.«

»Dann bleibt uns nur zu hoffen, dass durch eine Demonstration seiner ernsthaften Absichten keine Menschen zu Schaden kommen«, gab der AD zu verstehen.

»Da sei Gott vor«, murmelte Owen Burke.

Der AD bat, ihn zu unterrichten, wenn sich irgendetwas Neues ergibt, dann beendete er das Telefonat.

Die Agents sichteten ihren elektronischen Posteingang. Dann widmeten sie sich den Akten, die darauf warteten, bearbeitet zu werden. Das ist so. Zum Alltag eines Agents beim FBI gehören auch administrative Aufgaben. Weder Owen Burke noch Ron Harris empfanden große Euphorie, wenn es darum ging, Schreibkram zu erledigen, aber anders ging es nicht.

Kurz vor 19 Uhr klingelte Burkes Telefon. Er nahm den Hörer und hob ihn an sein Ohr, meldete sich mit seinem Namen und als er vernahm, dass Robert Gekosky am Apparat war, aktivierte er den Lautsprecher, so dass auch Ron Harris hören konnte, was der Bursche zu sagen hatte.

Owen Burke konfrontierte ihn mit dem aktuellen Fall. Gekosky behauptete, damit nichts zu tun zu haben. Burke lauschte den Beteuerungen des jungen Mannes. Gekosky sprach eindringlich, und als er den Agent bat, ihm doch zu glauben, klang seine Stimme geradezu flehend. Die Frage, ob er eine Computeranlage samt Drucker besitze, bejahte er.

Owen Burke bedankte sich und legte dann auf. »Er hat Angst, in irgendetwas hineingezogen zu werden. Der hat aus seinen Lektionen gelernt, denke ich. Ich glaube seinen Beteuerungen.«

»Im Moment bleibt dir ja auch gar nichts anderes übrig«, erklärte Ron Harris. »Wir müssen sowohl seinen, als auch den Beteuerungen von Morin und Gant glauben. Bei Sumner hat mich dessen Zustand von seiner Unschuld überzeugt. Warten wir ab, was der morgige Tag bringt. Ich schlage vor, dass wir für heute Schluss machen.«

»Ein Feierabend, den ich nicht gerne antrete«, brummte Owen Burke und schnitt ein unglückliches Gesicht. »Ich habe das Gefühl, in einem Strom zu treiben, der sich jeden Moment in eine tobende Naturgewalt verwandeln kann.«

*

Nachdem Owen Burke am folgenden Morgen seine Wohnung verlassen hatte, holte er sich sofort die noch druckfrische Ausgabe der Times, setzte sich damit in sein Auto und blätterte sie durch. Er verspürte Anspannung aber auch ein hohes Maß an Erregung. Und dann sprang ihm die Überschrift regelrecht in die Augen: >Erpresser bedroht Macy's mit Bomben.< Untertitel: >Verbrecher fordert eine Million. FBI hat die Ermittlungen übernommen.<

Owen Burke las den Artikel. Da stand, dass der Gangster von Macy's eine Million Dollar forderte, dass er im Falle der Ablehnung einer Zahlung an stark frequentierten Plätzen in New York Sprengsätze zünden würde, dass Macy's wahrscheinlich nicht das einzige Unternehmen war, das erpresst wurde, dass man von Seiten der Geschäftsleitung jedwede Zahlung ablehne und dass die Ermittlungen durch das FBI auf Hochtouren liefen.

Burke legte die Zeitung auf den Beifahrersitz und fuhr zur Federal Plaza. Im Büro angekommen musste er feststellen, dass Ron Harris noch nicht anwesend war. Er rief den AD an und dieser erklärte ihm, dass er den Artikel gelesen habe. In der Zeit, in der Burke mit seinem Vorgesetzten sprach, betrat auch Ron Harris das Büro. Er zog seinen Mantel aus und hängte ihn in den Schrank, setzte sich an seinen Schreibtisch und wartete, bis Burke auflegte. Dann sagte er: »Stanwell hat keine Zeit vergeudet. Er wird mit seinem Geschreibsel den Erpresser herausfordern. Es ist nicht absehbar, wie er reagiert. Sicher ist nur, dass wir dagegen machtlos sind. Und diese Erkenntnis schnürt mir geradezu die Luft ab.«

Kaum, dass bei Harris das letzte Wort über die Lippen war, läutete Burkes Telefon. Es hörte sich an wie ein Alarmsignal. So empfand es zumindest Owen Burke. Wie der Kopf einer zustoßenden Klapperschlange fuhr seine Hand zum Hörer, riss ihn vom Apparat und hob ihn vor sein Gesicht. »Special Agent Burke, FBI New York.«

»Carter Stanwell, New York Times«, erklang es. »Ich glaube, es war ein Fehler, den Artikel zu veröffentlichen, Agent. Ich könnte mich in den Hintern beißen.«

»Ich weiß zwar nicht, was Sie zu dieser Erkenntnis gelangen ließ, Stanwell«, knurrte Owen Burke, »aber ich rechne es Ihnen sicherlich hoch an, wenn Sie einen Fehler, den Sie gemacht haben, so unumwunden zugeben.«

»Lassen Sie Ihren Sarkasmus, Agent!«, blaffte der Journalist. »Er ist nicht angebracht. – Ich erhielt vor fünf Minuten einen Anruf. Der Anrufer sagte, dass Macy's ein großes Problem an der Backe habe, wenn man sich weigere, die geforderte Summe zu zahlen. Das gelte auch für alle anderen, denen er einen seiner freundlichen Briefe geschickt habe. Um das zu unterstreichen, wolle er im Laufe des Tages ein Zeichen setzen.«

»Sind Sie jetzt glücklich mit dem, was Sie erreicht haben, Stanwell?«, konnte sich Burke nicht verkneifen, zu fragen.

»Es war ein Fehler! Aber es ist auch mein Job. Sie müssen verhindern, dass der Kerl …«

»Wie, Stanwell?«

»Verdammt, ich …«

»Wenn der Kerl ein Zeichen setzt, wie er es Ihnen gegenüber formuliert hat, dann haben wir das Ihnen zu verdanken, Stanwell. Und wenn Menschen dabei zu Schaden kommen, dann können Sie sich das an Ihre Fahnen heften. Pressefreiheit hin – Pressefreiheit her. Ein wenig denken sollte man dabei auch. Ihr Handeln kann ich nicht mal mehr als grob fahrlässig einstufen. Es war Vorsatz. Haben Sie wenigstens von Ihrem Redakteur ein Lob ausgesprochen bekommen?«

»Das ist nicht fair, Agent. Ich habe nur …«

»Ach, schweigen Sie, Stanwell. Ich habe Sie gewarnt. Aber Sie haben meine Warnung in den Wind geschlagen. Sie müssen damit fertig werden, wenn etwas Schreckliches geschieht. Sie müssen es mit Ihrem Gewissen vereinbaren.«

Burke unterbrach die Verbindung. Ärger prägte jeden Zug seines Gesichts. In seinen Augen wütete der Zorn auf den Journalisten. »Es ist sicher kein leeres Versprechen, als der Gangster drohte, die Ernsthaftigkeit seiner Absichten im Laufe des Tages zu untermauern. Wir werden es nicht verhindern können. Aber Stanwell hat den Schurken aus der Reserve gelockt. Beten wir, dass kein Menschenleben gefährdet wird, und hoffen wir, dass der Halunke einen Fehler begeht.«

*

Um 12 Uhr 05 läutete Owen Burkes Telefon. Es war der AD, der sagte, nachdem sich der Agent gemeldet hatte: »In der 14th Street, zwischen Union Square und Third Avenue ist eine Bombe hochgegangen. Sie wurde unter einem parkenden Fahrzeug deponiert. Der Wagen wurde regelrecht in seine Bestandteile zerlegt und ist völlig ausgebrannt.«

In Owen Burke verkrampfte etwas. Schlagartig war seine Mundhöhle trocken wie Herbstlaub. Mit belegter Stimme, die ihm selbst fremd vorkam, fragte er: »Kamen Menschen zu Schaden, Sir?«

»Drei Passanten trugen leichte Verletzungen davon. Aber es war sicher nur Glück, dass niemand ernsthaft verletzt oder gar getötet wurde. Der Täter hat diese Möglichkeit billigend in Kauf genommen. Ihm scheint nichts heilig zu sein, und irgendwelche Skrupel sind ihm fremd.«

»Wer hat Sie verständigt, Sir?«

»Das Police Department. Die SRD ist informiert, ebenso das Fire Department.«

»Wir fahren sofort in die 14th«, versicherte Owen Burke. »Ich halte Sie auf dem Laufenden, Sir.«

»Ich bitte darum.«

Wenige Minuten später brausten Owen Burke und Ron Harris im Dodge Avenger nach Norden. Ron Harris hatte die Sirene eingeschalten, auf dem Dach klebte das Rotlicht und rotierte. Sie kamen gut durch, denn die New Yorker Autofahrer wussten, dass es teuer zu stehen kommen konnte, wenn ein Polizei- oder Feuerwehreinsatz behindert wurde.

Die City Police hatte die Straße zwischen Union Square und Third Avenue abgesperrt. Zwei Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr waren vor Ort. Das Team von der SRD war noch nicht eingetroffen. Aber das war nicht verwunderlich, denn sie hatten den längsten Anmarschweg, und zwar von der Bronx herunter.

Es handelte sich um einen Ford, dessen vordere Hälfte von der Bombe regelrecht zerfetzt worden war. Blech und Glas lagen auf den Gehsteigen und der Straße herum. Der Wagen war nur noch ein ausgebranntes, ausgeglühtes Wrack, aus dem hier und dort schwarze Rauchfahnen stiegen. Um das Fahrzeug herum war die Straße von Löschschaum bedeckt.

Die Agents gesellten sich einer Gruppe von uniformierten Cops hinzu, Burke zeigte seinen Ausweis und fragte: »Gibt es schon erste Erkenntnisse, existieren Augenzeugen?«

»Wir wollen den Kollegen von der Spurensicherung nicht vorgreifen«, versetzte einer der Polizisten, seinen Rangabzeichen nach ein Police Lieutenant. »Darum haben wir uns von dem Wrack tunlichst ferngehalten, um keine Spuren zu zerstören. Was eventuelle Augenzeugen anbetrifft, so hat sich noch keiner gemeldet.«

Burkes Telefon klingelte. Er fischte das Handy aus der Manteltasche und nahm das Gespräch an. Es war Carter Stanwell. Der Journalist sagte: »Der Erpresser hat wieder bei mir angerufen. Er behauptet, eine Bombe gezündet zu haben. Und er fügte hinzu, dass der nächste Sprengsatz in der Halle des Grand Central Terminals hochgehen würde, und zwar morgens um 7 Uhr, wenn sich die Pendler im Bahnhof drängen.«

»Ja, er hat dank Ihrer Einmischung eine Knallerbse in die Luft gejagt«, versetzte Owen Burke etwas flapsig. »Wir befinden uns am Tatort in der 14th Street, zwischen Union Square und Third Avenue. Es ist nur ein Katzensprung vom Times Square aus. Es hat Verletzte gegeben.«

»Ich bin in zwanzig Minuten bei Ihnen!«, stieß Stanwell hervor.

»Natürlich«, knurrte Burke. »Die Sache bietet Stoff für 'ne reißerische Story. Sicher lassen sich damit die Umsatzzahlen Ihrer Zeitung ankurbeln.«

»Darum geht es jetzt nicht«, knirschte der Journalist. »Ich fühle mich verantwortlich.«

»Für Selbstvorwürfe ist es zu spät, Stanwell«, gab Burke zu verstehen. »Aber vielleicht haben Sie uns vielleicht einen Gefallen erwiesen, als Sie heute Morgen den Artikel publizierten. Es wird sich herausstellen.«

Burke versenkte das Mobiltelefon in der Jackentasche und schaute sich um. An den Absperrungen drängten sich die Schaulustigen. Die gelben Trassenbänder hätten sie nicht gehindert, auf den Tatort zu drängen. Aber da waren die energischen Cops der City Police, die wie eine Wand standen und die Menschenrotte zurückhielten. Immer mehr Fahrzeuge brausten mit heulenden Sirenen und rotierenden Blinklichtern auf den Dächern heran. Reifen quietschten, Schritte trappelten. Der Kastenwagen der SRD erschien. Die Beamten von der Spurensicherung zogen sterile 'Arbeitskleidung' aus Latex über und begannen mit der Arbeit.

Auch ein Übertragungswagen von New York One, dem lokalen Fernsehsender, fuhr vor, ein Reporter und ein Kameramann entstiegen dem Fahrzeug und drängten sich durch die Neugierigen. Der Reporter sprach in ein Mikrophon.

Plötzlich kam ein Polizist auf Burke und Harris zu. »Special Agent Burke?«, kam es fragend über seine Lippen.

»Hier«, meldete sich Owen Burke. »Was gibt es?«

»Bei der Absperrung ist ein Journalist von der New York Times. Sein Name ist Carter Stanwell. Er möchte zu Ihnen, Agent, und behauptet, mit Ihnen eine Verabredung zu haben.«

»Danke«, sagte Owen Burke, dann nickte er seinem Freund und Partner zu. »Sehen wir uns den Knaben mal an, Ron. Wie sieht wohl ein Mann aus, der für ein paar verkaufte Exemplare mehr über Leichen geht?«

»Tja, wie sieht ein solcher Mann aus«, knurrte Ron Harris. »Ich schätze mal wie Carter Stanwell.«

Die Agents marschierten los. Der Polizist begleitete sie und wies auf einen etwa eins achtzig großen Mann, der direkt am Trassenband zum Unions Square hin stand und der um die fünfundvierzig Jahre alt war. Er trug einen Hut, unter dem blonde Haare hervor über seine Ohren und fast bis auf seine Schultern fielen. »Das ist der Zeitungsmensch«, sagte der Polizist.

Stanwell hatte blaue Augen und besaß ein knochiges Pferdegesicht. Und wenn Owen Burke erwartet hatte, dass ihm der Bursche auf Anhieb unsympathisch sein würde, dann sah er sich jetzt getäuscht. Im Gegenteil. Stanwell vermittelte etwas, das die meisten Menschen sofort für ihn einnahm.

»Guten Tag, Mr. Stanwell«, grüßte Owen Burke und reichte dem Journalisten die Hand, der sie ergriff und schüttelte. In Stanwells Gesicht zuckten die Muskeln. Seine Augen wiesen ein unruhiges Flackern auf. Nachdem er seine Hand aus der Stanwells gelöst hatte, fuhr Burke fort: »Da sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Wir können von Glück sprechen, dass es keine Toten gegeben hat. War es das wert, Stanwell?«

Carter Stanwell schluckte würgend. »Wer ist dieser Verrückte, der New York terrorisiert und in Atem hält? Er – er schreckt sicher nicht zurück, sein Versprechen von heute Mittag wahrzumachen, und eine Bombe im Bahnhof hochgehen zu lassen.«

»Wir wissen nicht, wer dahinter steckt«, musste Burke zugeben. »Aber ohne Ihre Einmischung hätten wir noch fünf Tage Zeit gehabt, ihm das Handwerk zu legen, ohne dass irgendetwas geschehen wäre. Jetzt aber schließe ich nicht aus, dass der verdammte Halsabschneider Amok läuft.«

Jetzt dudelte wieder Burkes Handy. Nachdem sich der Agent gemeldet hatte, vernahm er eine männliche Stimme, die sagte: »Ich bin es, Craig Gant, Agent. Mir ist etwas eingefallen, das Sie vielleicht wissen sollten. Es hängt mit den Erpressungen und Bombendrohungen zusammen.«

»Was hat Ihnen auf die Sprünge geholfen, Gant?«

»Ich sehe die Liveübertragung von New York One aus der 14th Street. Und es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Wie Sie wissen, war ich bis September 2010 in Rikers Island in Haft.«

»Ja, das weiß ich.« Burke verspürte eine seltsame Unruhe. Es war eine jähe, fiebrige Ungeduld. Denn er spürte, dass sie kurz vor der Lösung des Rätsels standen. »Reden Sie weiter, Gant!«, drängte er.

»Ich saß zuletzt mit einem Kerl in der Zelle, der wegen räuberischer Erpressung zehn Jahre verbüßte. Sein Name ist Flynn – Paul Flynn. Flynn ist dreiundvierzig Jahre alt und stammt aus New York. Seine Haftstrafe endete im vorigen Monat. Er dürfte jetzt drei oder vier Wochen draußen sein.«

»Sie denken, dass es sich bei Flynn um den Erpresser handelt?«, stieß Burke hervor.

»Ja, er war unheimlich an meiner Geschichte interessiert und sagte einmal, dass das – wenn man es richtig anstellt -, ein todsicherer Weg sein könnte, um mit einem Schlag steinreich zu werden. Wortwörtlich meinte er: Wen immer du auch erpresst: Vor Bomben haben sie alle einen Heidenrespekt. Und sie werden ohne mit der Wimper zu zucken zahlen. Es gibt genug Unternehmungen, die eine Million abdrücken können, ohne es zu spüren, die die Million sozusagen aus der Portokasse zahlen.«

»Das hört sich in der Tat nach unserem Erpresser an, Gant«, sagte Owen Burke. »Wir werden uns drum kümmern. Vielen Dank für den Hinweis.«

Nachdem er das Handy wieder in die Tasche gesteckt hatte, wandte sich Owen Burke an seinen Kollegen. »Für uns gibt es hier nichts zu tun. Gehen wir. – Auf Wiedersehen, Mr. Stanwell.«

Der Journalist kniff die Augen zusammen und fixierte Owen Burke durchdringend. »Warum haben Sie es plötzlich so eilig, Agent? Hängt es mit dem Telefonat von eben zusammen?«

Burke lächelte und erwiderte: »Ja, es hängt damit zusammen. Es ist wohl so, dass wir noch heute Ihnen, Ihren Kollegen von Presse, Funk und Fernsehen und der gesamten New Yorker Bevölkerung den Erpresser präsentieren. Wenn es so weit ist, informieren wir Sie.«

Stanwell nagte an seiner Unterlippe. Sein Blick schien sich nach innen verkehrt zu haben.

Die Agents eilten zu ihrem Dienstfahrzeug …

*

Owen Burke fuhr den Computer im Dodge hoch und klickte die 'Verbrecherkartei' her. Die Rede ist von NCIC 2000, deren Datenbanken sämtliche jemals gespeicherten Kriminalakten mit Namen, Fingerabdrücken, Polizeifotos und weiteren Angaben zur Person enthalten. Er tippte den Namen Flynn Paul in das dafür vorgesehene Textfeld und klickte auf 'Search'. Im nächsten Moment öffnete sich auf dem Monitor die digitale Akte des Burschen. »Flynn wurde am 20. Dezember entlassen«, gab Burke schließlich zu verstehen. »In einem psychiatrischen Gutachten steht, dass er potentiell gefährlich und bei ihm mit weiteren Straftaten zu rechnen ist. Letzte bekannte Anschrift ist New York, Manhattan, 401 East 126th Street.«

»Bei der Entlassung musste er eine Anschrift nennen, zu der er sich begibt«, gab Ron Harris zu bedenken. »Wir sollten in Rikers mal nachfragen, wie die von Flynn benannte Anschrift lautet.«

Die Telefonnummer des stellvertretenden Direktors der Strafanstalt hatte Owen Burke gespeichert. Er wählte sie an, und gleich darauf meldete sich der Vizedirektor. Burke äußerte sein Anliegen, und es dauerte keine fünf Sekunden, dann sagte sein Gesprächspartner: »Flynn hat uns als seine künftige Anschrift die Clinton Street genannt, Lower East Side.«

»Hausnummer?«

»Achtundneunzig. Was ist mit Flynn, weil sich das FBI für ihn interessiert, kaum dass er wieder freie Luft schnuppert.«

»Wenn er der Mann ist, den wir im Verdacht haben, schon während seines Aufenthalts auf Rikers Island an einem Plan gearbeitet zu haben, der an Verworfenheit nichts zu wünschen übrig lässt, dann wird er diese Freiheit nicht mehr allzu lange schnuppern«, versetzte Burke. Dann berichtete er mit knappen Worten, welcher Verbrechen Flynn verdächtigt wurde.

Ehe Burke das Gespräch beendete, fragte er noch, ob Flynn eine Telefonnummer angegeben habe, unter der er künftig erreichbar sei. Der stellvertretende Direktor der Justizvollzugsanstalt verneinte.

»Wohin nun?«, fragte Ron Harris, nachdem Owen Burke das Mobiltelefon in der Manteltasche versenkt hatte. »126th oder Clinton Street?«

»Die 126th ist gut und gerne dreimal so weit entfernt wie die Clinton Street«, antwortete Burke. »Darum schlage ich vor, dass wir es in der Lower East Side versuchen.«

Ron Harris startete den Motor und fuhr los. Sie benutzten zunächst die Third Avenue, dann die Bowery, in der Canal Street wandten sie sich nach Osten und durch ein Gewirr von Straßen bog Ron Harris schließlich in die Clinton Street ein. Langsam fuhr er an der Häuserzeile entlang, plötzlich stieß Burke hervor: »Hausnummer 98! Das ist das Gebäude.«

Harris fand eine Parklücke. Die Agents stiegen aus. Bei dem Gebäude handelte es sich um ein Haus mit fünf Etagen. Großflächig fiel der Putz von den Wänden ab. Die Haustür war grün gestrichen, allerdings blätterte der Lack ab und das Holz, das er freigegeben hatte, war schwarz vom Moder.

Owen Burke ließ seinen Blick an der Fassade des Gebäudes hinaufwandern. Die Fenster besaßen Jalousien, von denen die meisten jedoch längst den Geist aufgegeben hatten. Schief und mit verbogenen Lamellen, die teilweise auseinander gerissen waren, hingen sie in den Führungen. Hinter dem einen oder anderen Fenster waren Vorhänge zu sehen.

Dieser Bau war völlig heruntergekommen und mehr oder weniger dem Verfall preisgegeben. Die Agents dachten sich ihren Teil.

Die Haustür war nicht verschlossen und sie betraten das Gebäude. Muffiger Geruch schlug ihnen entgegen. Im Treppenhaus ging es fünf Stufen hinauf, dann kam ein Absatz, von dem zwei Türen in verschiedene Wohnungen führten. An einer dieser Türen läutete Owen Burke. Es dauerte nicht lange, dann waren in der Wohnung Geräusche zu vernehmen, und dann öffnete sich die Tür, ein weißhaariger Mann mit tagealten Bartstoppeln zeigte sich. Misstrauisch fixierte er die Agents.

Burke grüßte, dann sagte er: »In diesem Haus soll ein Mann namens Paul Flynn wohnen. Er dürfte kurz vor Weihnachten eingezogen sein.«

Der Weißhaarige runzelte die Stirn. »Einen Flynn namens Paul kenne ich nicht«, murmelte er dann. »Aber in der dritten Etage, links, wohnt Jacob Flynn. Fragen Sie den mal.«

»Wie alt ist Jacob Flynn?«, wollte Ron Harris wissen.

Der Weißhaarige wiegte den Kopf. »Um die siebzig, schätze ich. Jacob geht fast jeden Tag betteln. Ich glaube, er hat sonst kein Einkommen. Er kämpfte irgendwann in den Sechzigern in Vietnam. Er ist auch einer von denen, die die Regierung – nachdem sie jahrelang den Schädel hingehalten haben -, schmählich im Stich gelassen hat.«

»Vielen Dank«, sagte Owen Burke, dann stiegen er und Ron Harris die bedenklich knarrende Stiege hinauf.

Jacob Flynn schien nicht zu Hause zu sein. In der Wohnung schien sich auch keine andere Person aufzuhalten. Hinter der Tür blieb es still.

»Was nun?«, fragte Ron Harris.

»Ich denke, dass Paul Flynn nach seiner Haftentlassung bei seinem Vater in diesem schäbigen Rattenloch Unterschlupf gefunden hat. Wahrscheinlich hat er oben in der 14th unter all den Schaulustigen gestanden und sich an seinem Zerstörungswerk erfreut. Sein Vater wird irgendwo beim Betteln sein. Irgendwann muss einer von ihnen aufkreuzen. Drum schlage ich vor, dass wir unten im Auto warten.«

Ron Harris nickte, Zeichen dafür, dass er mit diesem Vorschlag konform ging. Sie stiegen die Treppe hinunter. Draußen atmeten beide tief durch und ihre Lungen füllten sich mit frischem Sauerstoff. Dann saßen sie im Dodge und hüllten sich in Geduld. Bereits auf dem Weg zur Clinton Street hatte Owen Burke mit dem Assistant Director ein Gespräch geführt und ihn unterrichtet.

Die Zeit verstrich nur zähflüssig. Die Straße war wenig belebt. Nach über einer Stunde des Wartens fuhr ein alter Ford heran. Der Fahrer entdeckte eine Parklücke und rangierte den Wagen hinein. Dann stieg er aus.

Owen Burke, der sich das Aussehen Paul Flynns eingeprägt hatte, stieß hervor: »Das ist er!« Er griff nach der SIG, zog sie aus dem Holster und entsicherte sie.

»Auf ihn mit Gebrüll!«, knurrte Ron Harris und zog ebenfalls blank. Sie verließen den Dodge.

Paul Flynn ging schräg über die Straße auf die Tür des verwahrlosten Gebäudes zu. Er war nur mittelgroß und hatte brünette Haare, die unter einer schwarzen Wollmütze hervorlugten. Er ging schnell, und er schaute weder nach links noch nach rechts.

»Paul Flynn!« Owen Burkes Stimme trieb dem ehemaligen Häftling entgegen. Er hielt an, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Unwillkürlich duckte er sich ein wenig und mutete unvermittelt sprungbereit an. Sein Blick erfasste den Agent, irrte ab und heftete sich für einen Moment auf Ron Harris.

»Heben Sie die …«

Burke konnte die Aufforderung nicht zu Ende führen, denn Flynn wirbelte herum und ergriff die Flucht. Wahrscheinlich ahnte er, was die Stunde geschlagen hatte.

»Bleiben Sie stehen!«, brüllte Ron Harris und riss die Hand mit der SIG in die Höhe.

Flynn dachte nicht daran. Er sprintete in Richtung East River davon, als säße ihm der Leibhaftige im Nacken. Seine Beine wirbelten, seine Füße schienen kaum den Boden zu berühren.

Owen Burke nahm die Verfolgung auf. Ron Harris senkte die Hand mit der Pistole und begann ebenfalls zu laufen.

Die Madison Street kreuzte. Ohne anzuhalten rannte Flynn in die Kreuzung. Der Fahrer eines Autos, das auf der Madison Street in Richtung Two Bridges fuhr, musste eine Vollbremsung hinlegen. Der Lenker des nachfolgenden Fahrzeugs reagierte zu spät und fuhr auf. Es gab einen dumpfen Knall, Glas klirrte, irgendetwas schepperte metallisch. Flynn rannte weiter.

Burke war nicht so leichtsinnig, ohne zu schauen in die Querstraße zu rennen. Er versicherte sich, dass er die Madison Street unangefochten überqueren konnte und hetzte weiter. Flynn hatte dadurch ein paar Schritte an Vorsprung gewonnen. Burke schaute über die Schulter nach hinten und sah etwa fünf Schritte hinter sich seinen Kollegen laufen. Sofort konzentrierte er sich wieder nach vorn. Jetzt schaute sich Flynn um. Einen Augenblick lang konnte Owen Burke das verzerrte Gesicht sehen. Und nun griff Flynn unter seine Winterjacke. Sein rechter Arm zuckte nach hinten. Burke sah eine Mündungsflamme und der trockene Knall eines Schusses wurde über ihn hinweggeschleudert.

Burke feuerte in die Luft. »Anhalten, Flynn!« Er atmete tief durch. »Stehen bleiben oder ich schieße!«

Jetzt wirbelte Flynn herum. Sie befanden sich nur wenige Yards von der Kreuzung der Cherry Street entfernt. Am Fahrbahnrand stand eine lange Schlange parkender Autos. Fußgänger befanden sich nicht in unmittelbarer Nähe.

In dem Moment, als Flynn schoss, warf sich Burke zur Seite. Die Kugel verfehlte ihn. Ron Harris' SIG dröhnte, aber Flynn lief schon geduckt in die Deckung eines parkenden Nissans. Burke hetzte noch zwei Schritte weiter und sprang in eine Türnische. Ron Harris kauerte neben einem Chevy, hielt die Pistole in Gesichtshöhe, die Mündung wies zum Himmel.

Burke holte sein Handy aus der Tasche, klickte eine Nummer her und aktivierte den Verbindungsaufbau.

Flynn rührte sich nicht. Die Agents hatten miteinander Blickkontakt. Anspannung zeichnete die Mienen. Sie hatten Flynn in die Enge getrieben. Dass es sich bei ihm um den Erpresser handelte, war für Burke und Harris klarer als Kloßbrühe. Seine Reaktion hatte bei ihnen den letzten Rest von Unsicherheit beseitigt. Ihnen war aber auch klar, dass der Gangster nichts mehr zu verlieren hatte. Und das machte ihn unberechenbar und gefährlich. Er würde um sich beißen wie ein Raubtier, das nicht mehr ein noch aus wusste.

»Geben Sie auf, Flynn!«, gebot Ron Harris. »In wenigen Minuten wird es hier von Einsatzfahrzeugen und Cops nur so wimmeln. Wir werden Sie so lange hinter dem Nissan festnageln. Sie haben keine Chance.«

Harris erhielt keine Antwort. Er schaute zu seinem Kollegen hin, der in das Handy sprach. Dann ließ Owen Burke das Mobiltelefon in seine Manteltasche gleiten und hob den Daumen seiner Linken. Damit bedeutete er Ron Harris, dass Verstärkung auf dem Weg war.

Ron Harris zeigte mit einer Geste an, dass er verstanden hatte, gab seinem Kollegen einige Handzeichen, streckte die Beine durch und kam hoch, bewahrte aber eine geduckte Haltung und schob sich um das Fahrzeug herum, das ihm Schutz bot. Vorsichtig lugte er um den Kotflügel herum in die Richtung, in der er den Gangster wusste. Da donnerte auch schon ein Schuss. Das Geschoss schrammte mit einem grässlichen Laut über das Stahlblech der Karosserie und zog einen langen Streifen in den Lack. Harris hatte im letzten Moment den Kopf zurückgezogen.

»Das ist Irrsinn, Flynn!«, schrie Owen Burke. »Gleich wird die Straße nach allen Seiten hermetisch abgeriegelt sein. Was rechnen Sie sich aus? Sie fordern es regelrecht heraus, dass wir auf Sie schießen.«

»Was ich mir ausrechne, Bulle?«, erklang nun die schrille Stimme des Verbrechers. »Ich rechne mir aus, dass ich so viele wie möglich von euch mitnehme. Noch einmal gehe ich nicht ins Gefängnis. Eher sterbe ich.«

»Haben Sie wirklich geglaubt, dass Sie mit den Erpressungen durchkommen? Wer hat für Sie überhaupt das Konto in Kabul eingerichtet?«

»Das binde ich dir mit Sicherheit nicht auf die Nase, Bulle. Von welchem Verein kommt ihr überhaupt? Gehört ihr zum Police Department, oder seid ihr verdammte Feds?«

»FBI, ich bin Special Agent Burke. Ich fordere Sie nun noch einmal auf, Flynn: Nehmen Sie Vernunft an, legen Sie die Waffe weg und kommen Sie mit erhobenen Händen hinter dem Fahrzeug hervor.«

»Niemals!«

»Dann müssen Sie unter Umständen die Konsequenzen Ihrer Sturheit tragen«, rief Burke.

»Ich verspreche dir, dass mich einige von euch auf dem Weg in die Hölle begleiten werden!«, prophezeite der Verbrecher mit hassgetränkter Stimme.

Sirenen waren zu hören. Die Geräusche näherten sich schnell. Auf die Kreuzung Clinton/Cherry Street fuhren drei Einsatzfahrzeuge der City Police. In den Lichtbalken auf den Dächern rotierten rote und blaue Lichter. Weitere Sirenen waren zu hören, näherten sich schnell, dann riegelten einige Einsatzfahrzeuge auch die Kreuzung der Clinton Street mit der Madison Street ab. Ein ohrenbetäubendes Brummen erklang und dann schob sich hoch über der Clinton Street ein Helikopter der Avitation Unit, der Hubschrauberstaffel des NYPD also, ins Blickfeld der Agents. Er senkte sich und blieb mit rotierenden Propellern etwa fünfzig Yards über der Straße in der Luft stehen.

Weitere Einsatzfahrzeuge schienen in den Nebenstraßen angekommen zu sein, denn sowohl aus der Madison Street als auch aus der Cherry Street näherten sich vermummte Polizisten in schwarzen Kampfanzügen, die mit schusssicheren Kevlar Westen, Helmen und Headsets ausgerüstet und mit Maschinenpistolen bewaffnet waren. Ehe sie in den Schusssektor des Revolvers des Gangsters gelangten, gingen sie in Deckung.

Owen Burke fragte sich, wie ein Mann angesichts dieses Aufgebots die Nerven bewahren konnte.

Nun, Flynn verlor die Nerven, als eine lautsprecherverstärkte Stimme erklang: »Paul Flynn! Hier spricht Captain Donegan vom Police Department. Ich fordere Sie auf, sich von Ihrer Waffe zu trennen und …«

Flynn schnellte hinter dem Nissan in die Höhe und rannte wild um sich feuernd in Richtung Cherry Straße. Er setzte alles auf eine Karte und versuchte durchzubrechen, indem er mit seinen Kugeln die Polizisten in Deckung zwang.

Einige der SWAT-Leute aber ließen sich nicht ins Boxhorn jagen. Blitzschnell kamen sie hinter den Fahrzeugen hoch, die sie deckten, und dann begannen ihre Maschinenpistolen zu rattern. Kleine Flammen züngelten vor den Mündungen.

Paul Flynn wurde getroffen. Er bäumte sich auf, seine Pistole flog im hohen Bogen davon, seine Hände verkrallten sich vor der Brust, im nächsten Moment brach er auf die Knie nieder und dann kippte er nach vorn und fiel auf das Gesicht.

Die SWAT-Leute kamen mit angeschlagenen Waffen aus ihren Deckungen und näherten sich der reglosen Gestalt. Auch Owen Burke und Ron Harris liefen zu ihr hin. Burke sah einen Mann über Flynn gebeugt dastehen und hörte ihn sagen: »Tot. Dem kann keine Macht der Welt mehr helfen. Nun, er drehte durch und uns blieb nichts anderes übrig, als auf ihn zu schießen. Er hat es sich selber zuzuschreiben. Wer New York in Atem hält, muss damit rechnen, dass er Federn lässt.«

Der Mann hatte sachlich, ohne irgendeine Gemütsregung gesprochen.

An Ron Harris gewandt murmelte Owen Burke: »Da er tot ist wird eine Reihe von Fragen unbeantwortet bleiben. Aber sei's drum. Die Gefahr ist gebannt. Und sein Schicksal wird vielleicht einige Leute davon abhalten, sein Verbrechen nachzuahmen.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, knurrte Ron Harris, und es klang auf besondere Art inbrünstig.

Jagdzeit im Big Apple

Pete Hackett

Die 'The Dolphin Lounge' lag in East 114th Street. Diesen Club hatte erst das NYPD, dann das FBI observiert, nachdem die Beamten vom Police Department zu der Überzeugung gelangt waren, dass in dem Club Dinge abliefen, die ihre Kompetenzen überschritten. Es handelte sich um Verstöße gegen Bundesgesetze. Die Rede war von Drogen- und Menschenhandel, aber auch von Prostitution und Mord. Der Chef des FBI New York übertrug die Angelegenheit seinen beiden Top-Agents.

Nun waren die Agents Owen Burke und Ron Harris Robert Snyder auf der Spur. Der Mafioso führte die Polizei schon lange an der Nase herum. An ihn, hofften die Special Agents, kamen sie über Gordon Brooks heran.

Brooks war Geschäftsführer in der 'The Dolphin Lounge’. Besitzer des Ladens war Robert Snyder. In dem Club wurden Mädchen, die mit Touristenvisa und einer Reihe falscher Versprechen ins Land geschleust worden waren, zur Prostitution gezwungen. Außerdem hatte das FBI einen Tipp erhalten, dass in dem Schuppen Kokain geschnupft wurde.

Es gab eine Reihe von Verbrechen, die die New Yorker Polizei, namentlich das FBI, Snyder anlastete, die aber nicht zu beweisen waren.

Das wollten Owen Burke und Ron Harris ändern. Sie hatten zur Jagd auf Robert Snyder geblasen. Es herrschte Jagdzeit im Big Apple.

Der Club lag in einem vierstöckigen Haus in der 2. Etage. Unten war ein Sonnenstudio etabliert, die 1. Etage war ungenutzt. Die 3. Etage hatte Gordon Brooks in ein Fitness-Studio umfunktioniert, und im 4. Stock lag seine Penthaus-Wohnung.

Es war eine kalte, regnerische Nacht. Der Wind trieb abgefallenes Laub vor sich her. Der Asphalt glitzerte im Licht der Straßenbeleuchtung nass. Im Wetterbericht wurden erste Niederschläge in Schnee für die nächsten Tage prophezeit. Ein richtiges Schnupfenwetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagte.