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Dieses Buch enthält folgende Krimis: (499) Kommissar Jörgensen und die perfekte Waffe Alfred Bekker: Die Apartment-Killer Alfred Bekker: Der Sauerland-Pate Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge Ich schlug den Mantelkragen hoch. Ein Spaziergang am Elbstrand, dafür hatte ich viel zu selten Zeit. Aber ab und zu musste das einfach sein. Einfach, um den Kopf klar zu kriegen. Ein Frachter quälte sich flussaufwärts zum Hafen. Hamburg war das, was man ein Tor zur Welt nennen konnte. Einer der größten Häfen Europas. Ein frischer Wind kam auf und ein paar Möwen kreisten in der Höhe. Ich hoffte nur, dass sie mir nicht auf den Kopf scheißen würden. Dafür waren die Biester berüchtigt. Und sie waren ziemlich zielsicher. Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar und Teil einer in Hamburg angesiedelten Sonderabteilung, die den etwas umständlichen Namen 'Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes' trägt und sich vor allem mit organisierter Kriminalität, Terrorismus und Serientätern befasst. Die schweren Fälle eben.
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Thriller Quartett 4126
Copyright
Die Apartment-Killer
Kommissar Jörgensen und die perfekte Waffe
Der Sauerland-Pate
Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge
Dieses Buch enthält folgende Krimis:
Kommissar Jörgensen und die perfekte Waffe
Alfred Bekker: Die Apartment-Killer
Alfred Bekker: Der Sauerland-Pate
Commissaire Marquanteur und der Killer von Point-Rouge
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER A.PANADERO
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Thriller von Alfred Bekker (Henry Rohmer)
Der Umfang dieses Ebook entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Eine Reihe von Sprengstoffanschlägen erschüttert New York. Wollen islamistische Terroristen jetzt den Big Apple in Schutt und Asche legen? Die üblichen Verdächtigen sind schnell ausgemacht. Aber ein Ermittler hat Zweifel. Ist der Fall wirklich so einfach zu durchschauen?
Obwohl die Maschinerie aus Justiz, Polizei, Heimatschutz und Geheimdiensten sich längst festgelegt hat, geht der Ermittler seinen Zweifeln nach - und entdeckt, dass der Fall noch eine ganz andere Dimension hat, als bisher zu erkennen war...
Action Thriller von Henry Rohmer.
Henry Rohmer ist das Pseudonym des vor allem durch seine Fantasy- und Jugendbücher bekannt gewordenen Schriftstellers Alfred Bekker. Daneben schrieb er auch an Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X mit und verfasste historische Romane.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster @ alfredbekker . de
"Sie haben von diesem Apartment aus einen fantastischen Blick über den Central Park, Mister... wie war doch gleich der Name?"
Die attraktive Blondine im enganliegenden blauen Kleid drehte sich herum, musterte ihr Gegenüber kurz.
"Hamill. Dr. James Hamill...", kam die Antwort.
Der Mann, der sich Hamill nannte, war groß und dunkelhaarig. An den Schläfen wurde er bereits grau. Ein dünner Oberlippenbart gab ihm ein Aussehen, das an den in die Jahre gekommenen Omar Sharif erinnerte.
Ihr Lächeln wirkte etwas verlegen. "Sie müssen schon entschuldigen. Meine Freundin hat Ihren Anruf entgegengenommen und den Namen so unleserlich aufgeschrieben, dass..."
"Schon gut", schnitt Hamill ihr das Wort ab. "Ich nehme das Apartment. Ich brauche es allerdings so schnell wie möglich. Wenn wir uns in dem Punkt einigen können, lege ich dafür auch ein paar Scheine drauf!" Hamill trat an die Fensterfront heran. Ein kaltes Lächeln spielte um seine Lippen, als er hinaus auf den Heckscher Playground im Central Park blickte.
Dieses Apartment ist wie geschaffen dafür, um eine große Sprengladung zu deponieren, ging es Hamill durch den Kopf. Und wenn die losgeht, stürzt der halbe Block ein!
256 Central Park West, einen Monat später...
Eine dunkle Rauchfahne quoll aus dem fünfzehnstöckigen Richard Dowell Memorial Building heraus, als Milo und ich dort eintrafen. Dutzende von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr, des Emergency Service und der City Police blockierten den Central Park West. Genau um 11.28 Uhr hatte eine gewaltige Explosion Midtown Manhattan erschüttert.
Wir waren so schnell wie möglich zum Ort des Geschehens geeilt. Den Sportwagen stellte ich am Straßenrand ab. Milo und ich stiegen aus.
In Höhe des fünften Stocks klaffte ein Loch in der Fassade des Richard Dowell Memorial Buildings, einem exquisiten Apartment-Haus, das zu Beginn des Jahrhunderts errichtet worden war. Feuerwehr und City Police hatten den Bereich weiträumig abgesperrt. Passanten wurden angewiesen, den Gefahrenbereich so schnell wie möglich zu verlassen.
Ein Megafon verkündete, dass akute Einsturzgefahr bestand.
"So eine Scheiße...", murmelte Milo vor sich hin.
Der sechste Stock bröckelte mehr und mehr ab. Ganze Betonbrocken sackten in die Tiefe, rissen Teile der Fassade in weiter unten gelegenen Etagen mit sich.
Ein Mann geriet in Panik, sprang durch ein Fenster im achten Stock, da er wohl glaubte, dass das gesamte Richard Dowell Memorial innerhalb der nächsten Sekunden in sich zusammenstürzen würde.
Mit einem Schrei fiel der Mann in die Tiefe.
Jede Hilfe kam zu spät.
Ein energischer Feuerwehrmann trat uns entgegen.
Durch den Aufdruck an seiner Jacke wusste ich, dass er Temperton hieß.
"Gehen Sie bitte zurück!"
Wir zückten unsere Marken. "Trevellian, FBI. Dies ist mein Kollege Tucker..."
"Und wenn Sie der liebe Gott persönlich wären. Hier kommt im Moment niemand durch! Sie können nichts tun, außer hier stehen zu bleiben und abzuwarten. Unsere Leute sind da drin und versuchen so viele Menschenleben wie irgend möglich zu retten." Er tickte gegen die Gasmaske, die ihm um den Hals hing. "Aber im Gegensatz zu euch sind wir entsprechend ausgerüstet..."
Ich atmete tief durch.
Der beißende Geruch des Qualms war schon in dieser Entfernung unangenehm und kratzte im Hals.
Ich warf einen Blick zu Milo, sah, dass er noch etwas erwidern wollte.
"Lass gut sein, der Mann hat recht", kam ich ihm zuvor.
"Zum Glück handelt es sich um ein Haus mit Wohnapartments. Die meisten Bewohner dürften um diese Zeit in den Büros von Wall Street sitzen...", meinte Temperton und sah dabei hinauf zur Rauchsäule. Unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster trafen zusammen mit einigen Kollegen von der Scientific Research Division ein.
Die beiden begrüßten uns knapp.
Der Einsatz der Erkennungsdienstler würde sicher noch eine ganze Weile warten müssen. Solange die akute Einsturzgefahr bestand, war es unmöglich, jemanden in das Dowell Memorial hineinzuschicken, nur um ein paar Spuren zu sichern.
"Sieht aus, als hätte da jemand ein ganzes Apartment voller Sprengstoff in die Luft gejagt!", meinte Agent Sam Folder.
Vor Monaten schon hatten die Experten in allen Polizeibehörden New Yorks darauf hingewiesen, dass mit einem derartigen Fall gerechnet werden musste. Mit Sprengstoff gefüllte Wohnungen als Waffe von Terroristen.
Die Vorgehensweise war denkbar einfach. Eine Wohnung anmieten, sie mit dem nötigen Sprengstoff bestücken und den Zünder auf jeden beliebigen Zeitpunkt einstellen.
Vor dieser Art Kriegsführung durch extreme Gruppen aller Art gab es keinen Schutz. Es sei denn, man hätte ein System totaler Kontrolle eingeführt, dass einem Polizeistaat gleichgekommen wäre. Aber das wolle niemand im Big Apple.
Auf den ersten Blick betrachtet war es relativ schwer, in New York eine Wohnung zu mieten. Einerseits lag das natürlich an dem geradezu mörderischen Mietniveau, dass sich gewöhnliche Angestellte in Manhattan kaum leisten konnten.
Selbst für winzigste Apartments nicht. Bei Neuvermietungen waren dem Wucher Tür und Tor geöffnet.
Für den Mietbestand galt allerdings eine Preisbindung, die es nicht erlaubte, die Miete beliebig schnell zu erhöhen.
Wer also eine Wohnung hatte, behielt sie so lange es ging.
Besonders galt das natürlich für Apartments, deren Mietverträge schon sehr alt waren, denn im Vergleich zu den heutigen Mieten zahlten die Bewohner nur einen Spottpreis.
In der Praxis wirkte sich das so aus, dass eine Wohnung eher untervermietet als aufgegeben wurde.
Für uns brachte die Tatsache, dass ein Großteil der New Yorker zur Untermiete wohnten den Nachteil mit sich, dass sehr viel schwerer festzustellen war, wer für Anschläge wie diesen verantwortlich war.
Manchmal gab es bei diesen Untermietverhältnissen nicht einmal richtige Verträge. Die Personaldaten wurden häufig nicht erfasst, der Eigentümer war in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle gar nicht informiert und der tatsächliche Benutzer der Wohnung wechselte oft sehr schnell.
Ein Problem, dass uns bei der Bekämpfung solcher Anschläge, wie wir ihn hier am Central Park West erlebten, behinderte.
Große Leiterwagen des Fire Service wurden jetzt näher herangefahren.
Verzweifelte hatten sich indessen in den Stockwerken Nummer sieben, acht und neun gesammelt.
Vielleicht zwanzig, dreißig Personen.
Temperton schien mit seiner Vermutung, dass die Mehrheit der Bewohner gar nicht zu Hause war, recht gehabt zu haben.
Ich drückte ihm in dieser Hinsicht jedenfalls die Daumen.
Die langen Leitern reckten sich an die zerstörte Fassade des Richard Dowell Memorial Building heran. Über Megafon bekamen die Bewohner Verhaltenshinweise.
Es war ein beklemmendes Gefühl für mich, dazustehen und nichts tun zu können, um den Leuten zu helfen.
Aber in diesem Fall war es wirklich besser, den Job den Fachleuten zu überlassen. Unsere Stunde würde noch schlagen...
Denn wer immer auch hinter diesem Anschlag stand, wir würden ihn früher oder später ermitteln und zur Rechenschaft ziehen.
Die ersten Bewohner des Richard Dowell Memorial hatten sich bereits auf die Leitern gerettet, da stürzte die gesamte Vorderfront des Building in sich zusammen. Zuerst brachen Teile der Decke zwischen den Etagen sechs und sieben herunter. Ein grollender Laut war dabei zu hören, der an Donner erinnerte. Todesschreie mischten sich in dieses Geräusch hinein, wurden von ihm verschluckt.
Ich sah, wie einer der Geretteten und ein Fire Service-Mann durch herumfliegende Beton- und Stahlteile von der Leiter geschleudert wurden.
Dann war nur noch Staub zu sehen. Er hüllte alles ein, erstickte wohl selbst den noch immer schwelenden Brandherd im fünften Stock und kroch auf uns zu.
Gleichgültig ob Angehörige des Fire Service, NYPD-Leute oder Rettungssanitäter des Emergency Service --- für sie alle gab es jetzt nur noch die Flucht.
Ich starrte auf die graubraune Wand aus Staub, die wie ein gewaltiges Ungeheuer auf uns zukam. Die Gedanken rasten nur so durch mein Hirn. Wie allen New Yorkern steckte auch mir noch die Erinnerung an das Flugzeugattentat in den Knochen, dass Al-Quaida-Terroristen auf das World Trade Center verübt hatten. Die schrecklichen Bilder der einstürzenden Türme waren um die ganze Welt gegangen. Überall hatten sie Wut und Empörung gegen das menschenverachtende Handeln der Täter ausgelöst.
Das, was sich in diesen Augenblicken vor unseren Augen abspielte, war natürlich vom Ausmaß her nicht damit zu vergleichen.
Aber die Menschenverachtung der Täter war dieselbe.
Der Tod völlig Unbeteiligter wurde billigend in Kauf genommen.
Wut erfasste mich.
Unwillkürlich ballte ich die Hände zu Fäusten.
Milo stieß mich an.
"Los! Weg!"
Das riss mich aus der Erstarrung.
Wir rannten über eine Rasenfläche von etwa fünfzig Metern auf den Heckscher Playground im Central Park zu.
Die Hunderte von Schaulustigen, die sich zuvor auf dem Playground gesammelt hatten, stoben inzwischen längst auch in heller Panik davon.
Schließlich stoppte ich, blickte zurück.
Bis hier her würden uns die Brocken nicht um die Ohren fliegen.
Die Luft war gesättigt von Staub. Ich griff nach meinem Taschentuch. Trotzdem kratzte es im Hals. Durch die sich langsam senkenden Staubschwaden sahen wir eine Ruine.
Die Rückfront des Richard Dowell Memorial Building stand noch in einer Höhe von vier Stockwerken da. Wie ein Skelett.
"Das ist ein Bild wie aus einem Krieg, Jesse", sagte Milo hustend.
"Vielleicht führt diese Stadt inzwischen ja auch so etwas ähnliches", erwiderte ich und versuchte beim Sprechen nicht allzuviel Staub zu schlucken.
Seit dem Attentat von Al-Quaida-Terroristen auf das World Trade Center am 11. September 2001 war hier offenbar alles möglich...
Wir verbrachten mehr oder weniger den Rest des Tages am Central Park West. Die Bergungsarbeiten zogen sich über Stunden hin. Dutzende von Bewohnern des Richard Dowell Memorial Building und mehrere verletzte Feuerwehrleute mussten in Kliniken eingeliefert werden. Bei den geretteten Hausbewohnern handelte es sich vornehmlich um Leute, die in den im Erdgeschoss befindlichen Geschäften angestellt gewesen waren.
Für die Bewohner der höher gelegenen Mietwohnungen standen die Chancen schlechter.
Bei den Wohnungsinhabern bis Etage vier hatte die Chance auf eine rechtzeitige Flucht bestanden.
Einige wenige waren mit Rauchvergiftungen davon gekommen.
Sie konnten sich glücklich schätzen.
Denn für diejenigen, die sich im oberen Bereich des Gebäudes aufgehalten hatten, gab es keine Hoffnung.
Im Laufe des Tages stellte sich nach und nach heraus, welche der Bewohner zum Zeitpunkt der Explosion gar nicht im Haus gewesen waren. Es waren erfreulich viele.
Aber mit etwa dreißig Toten mussten wir rechnen.
Angesichts der Tatsache, dass sich im Dowell Memorial mehrere hundert Apartments befanden, war das eine geringe Zahl.
Trotzdem, jedes dieser Opfer war eines zuviel.
Ein Mordopfer, dessen stummer Schrei nach Gerechtigkeit von uns nicht ungehört bleiben würde.
Als wir am nächsten Morgen im Besprechungszimmer unseres Chefs saßen, war von dem lockeren Umgang, die ansonsten unter uns G-men durchaus üblich ist, nichts zu spüren.
Ich hatte nicht viel geschlafen.
Und die Ringe unter Milos Augen zeugten davon, dass es ihm genauso ergangen war.
Nicht einmal Mandys vorzüglicher Kaffee wollte mir richtig schmecken.
Nur Mister McKee, dem Chef des FBI Field Office New York, konnte man nicht ansehen, dass er vermutlich die halbe Nacht im Büro verbracht hatte.
Außer meinem Freund und Partner Milo Tucker waren noch die G-men Clive Caravaggio, Orry Medina und Fred LaRocca anwesend. Dazu unsere Erkennungsdienstler Sam Folder und Mell Horster sowie Max Carter vom Innendienst. Von der FBI-Akademie in Quantico war der Terrorismus-Experte Roger E. Desmond eingeflogen worden.
"Ich möchte Ihnen ein Amateur-Video vorführen, das bereits gestern von mehreren Sendern in den Nachrichten gezeigt wurde", erläuterte Roger E. Desmond. Auf dem Heckscher Playground im Central Park hat ein Mann aufgenommen, wie sein fünfjähriger Sohn auf ein Klettergerüst stieg. Im Hintergrund war die Explosion im Richard Dowell Memorial Building zu sehen.
"Alle Indizien sprechen bis jetzt dafür, dass es sich tatsächlich um einen Anschlag von Terroristen handelt und nicht etwa um einen Unfall", erläuterte Desmond. "Allerdings will ich gerne zugestehen, dass die Spurenlage bis jetzt noch sehr dünn ist. Das liegt an den großen Zerstörungen. Wie Ihnen Ihre Kollegen Folder und Horster ja vorhin erläutert haben, werden Dutzende von Erkennungsdienstlern noch wochenlang damit zu tun haben, die wenigen Spuren zu sichern und anschließend zu einem Puzzle zusammenzusetzen."
"So viel Zeit möchte ich dem oder den Tätern nicht lassen", verkündete Mister McKee im Brustton der Entschlossenheit.
Desmond nickte zustimmend.
Er fuhr fort: "Ich habe mich mit verschiedenen Spezialisten Ihrer Abteilung unterhalten. Das Richard Dowell Memorial war zwar nicht mehr das jüngste Gebäude, aber es existierten sehr detaillierte Baupläne. Man kann eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass das Apartment 321 F ganz bewusst für die Sprengladung ausgesucht wurde, um einen möglichst großen Schaden anzurichten..."
"...was den Tätern ja auch leider gelungen ist", vollendete Clive Caravaggio.
"Seit Monaten gibt es Hinweise von den Geheimdiensten CIA und NSA, dass in unter Anhängern extremer islamistischer Gruppen daran gedacht wird, Apartments in Serie anzumieten, mit Sprengstoff zu bestücken und als Zeitbomben jederzeit verwendbar zu haben."
"An die Konsequenzen mag man gar nicht denken", warf Orry ein. "Diese Leute brauchen nur mit dem Finger zu schnipsen und in New York fallen einige Dutzend Gebäude in Schutt und Asche!"
"Falls dieses Szenario zutrifft - ja", bestätigte Desmond. "Und das Schlimme ist: Wir können es kaum verhindern."
"Aber eine Sache verstehe ich nicht", sagte Mister McKee. "Wenn diese Terroristen wirklich in einer konzertierten Aktion mehrere Gebäude in Ruinen verwandelt hätten, wäre das Chaos im Big Apple doch perfekt gewesen. Die Leute haben alle noch die Bilder vom 11. September 2001 in Erinnerung und wir hätten wahrscheinlich eine Massenpanik erlebt. Wenn die Anhänger von Osama bin Laden einen Krieg gegen Amerika führen wollen, dann verstehe ich nicht, wieso sie diese Gelegenheit nicht genutzt haben, uns wie ohnmächtige Deppen dastehen zu lassen!"
Agent Desmond hob die Augenbrauen.
"Vielleicht verfolgen unsere Gegner eine andere Strategie!"
"Und die wäre?"
"Man könnte Sie als Nadelstich-Strategie bezeichnen, Mister McKee. Auf die von Ihnen beschriebene Weise ließe sich eine Art Knalleffekt erzielen. Weltweites Aufsehen, dass sich jedoch schnell wieder verflüchtigt hätte. Anscheinend geht es den Tätern aber darum, für langanhaltende Verunsicherung zu sorgen. Niemand weiß, wann und wo die nächste Bombe hochgeht. Auf die Dauer wird das diese Stadt lähmen..."
Mister McKee vergrub die Hände in den Hosentaschen.
"Ich hoffe wirklich, dass Ihre Theorie sich nicht bestätigt, Agent Desmond!"
James Hamill betrat die Carnavan Gallery in Greenwich Village. ARABIAN NIGHTS hieß das Motto der Ausstellung, zu deren Vernissage er geladen war. Künstler aus Syrien, Ägypten und Algerien stellten ihre Werke aus.
Hamill ließ den Blick schweifen.
Die Gäste trugen Abendkleidung.
Hamill war in seinem dunkelgrauen Straßenanzug gerade noch angemessen angezogen. Eine Frau lachte schrill. Jemand hielt Hamill ein Tablett hin und er nahm eines der Champagnergläser.
Ein großformatiges, bis zur Decke reichendes Gemälde, dessen abstrakte Muster an arabische Kalligraphie erinnerten, nahm Hamill für Augenblicke in seinen Bann.
Mustafa al-Khalili hieß der Künstler. Er stammte aus Kairo, lebte aber seit zwanzig Jahren in den USA; wie seine auf einer kleinen Schautafel abgedruckte Vita verriet.
"Wie ich sehe, haben Sie Ihren Sinn für Kunst entdeckt", sagte eine Stimme in Hamills Rücken.
Er wirbelte herum, blickte in das Gesicht eines hageren Mannes. "Ray", stieß Hamill hervor.
"Was gibt es denn so dringendes?" Ray blickte auf das Gemälde und grinste dabei. "Ihretwegen muss ich mir jetzt so einen Scheiß ansehen", meinte er. "Am besten Sie kommen gleich zur Sache."
Der Mann namens Ray war ziemlich schmächtig. Er reichte Hamill kaum bis zur Schulter. Ray trug ein Jackett aus einem fließenden Stoff. Unter der Achsel war eine Verdickung zu sehen. Vermutlich von einem Schulterholster.
Hamills Gesicht veränderte sich. Es wurde zur Maske.
"Haben Sie die Nachrichten gesehen, Ray?", fragte Hamill.
Ray kniff die Augen zusammen, blickte Hamill direkt an.
"Ich weiß nicht, auf welchem Trip Sie sind, Mann. Aber Sie scheinen mir im Moment psychisch ziemlich daneben zu sein."
Hamill packte den Ray am Kragen. "Ich spreche von einer Explosion im Richard Dowell Memorial Building am Central Park West."
Ray schien ziemlich gleichgültig.
"Die Welt ist schlecht, Mann. Es passiert so vieles."
"Die Sache ist ziemlich heiß. In den Nachrichten wird von fast nichts anderem berichtet. Und im Nu werden wir den FBI oder sonstwen an den Fersen kleben haben!"
"Jammern Sie mir nichts vor, Mann. Sie wussten genau über den Job Bescheid, für den Sie angeheuert wurden."
Hamill atmete tief durch.
"Ich habe die Apartments für Sie besorgt! Apartments, die wahrscheinlich jetzt alle vollgestopft mit Sprengstoff sind, der jederzeit gezündet werden kann!"
"Hey Mann, wie sind Sie denn drauf? Wollen Sie mir was von Gewissensbissen erzählen? Das würde ich jedem anderen glaube, aber Ihnen nicht!" Rays Gesicht wurde zu einer starren Maske. "Im Übrigen würde ich es bevorzugen, wenn wir uns woanders unterhalten können! Sie reden einfach zu laut! Gehen wir vor die Tür!"
"Damit Sie mich in aller Ruhe umbringen können?"
"Seien Sie kein Narr!"
"Das bin ich nicht. Und genau deswegen bleibe ich lieber an einem belebten Ort wie diesem..."
Ray verschränkte die Arme.
Hamill begrüßte einen der Vernissage-Gäste mit einem Nicken.
"Was wollen Sie?", fragte Ray.
"Ich finde, dass ich nicht besonders gut bezahlt wurde, wenn man bedenkt, dass ich Ihnen die Möglichkeit gegeben habe, die halbe Stadt in Schutt und Asche zu legen..."
"Ich dachte, ich wäre sehr großzügig gewesen."
"Alles ist relativ. Ich bin in der Zwischenzeit in finanzielle Schwierigkeiten geraten und brauche dringend Geld..."
"Ihr Problem!"
"Könnte sich schnell ändern, Ray! Ich habe nämlich einiges über Sie herausgefunden... Ich weiß inzwischen, für wen Sie arbeiten. Leider kann ich es mir nicht leisten, das einfach für mich zu behalten."
"Verstehe!", zischte Ray zwischen den Zähnen hindurch.
"Entweder Sie bezahlen mich für mein Schweigen oder..."
"Und deshalb bestellen Sie mich hier her? Scheren Sie sich zum Teufel... Die Cops werden Sie lebenslang einlochen, wenn Sie sich an die Behörden wenden!"
"Es gibt noch andere Leute, die an diesen Informationen interessiert wären!"
"Wie schön für Sie!"
Hamills Gesicht lief dunkelrot an. Er packte Rays Jackettkragen. "Hören Sie, wenn ich nicht innerhalb von drei Tagen eine Million Dollar auf meinem Schweizer-Bankkonto habe, wende ich mich an jemand anderes!"
Ray blieb ruhig. In seinen Augen glitzerte es kalt.
"Lassen Sie mich besser los, Mann. Die Leute gucken schon komisch."
Hamill atmete tief durch, strich das Revers von Rays Jacke wieder glatt. Hamill ließ den Blick schweifen. Ein verkrampftes Lächeln spielte um seine Lippen.
"Immer cool bleiben", sagte Ray. "Ich will gar nicht wissen, in was für eine Scheiße Sie da hineingetreten sind. Wahrscheinlich mal wieder Ihre Immobilien-Geschäfte, was? War 'nen Fehler, so ein Windei wie Sie mit dem Job zu betrauen."
"Ich könnte Sie umbringen, Ray."
Schweißperlen glänzten auf Rays Stirn. "Verlieren Sie jetzt nicht die Nerven."
"Das ganze Land sucht nach den Terroristen, die hinter der Explosion am Central Park West stehen. Wenn ich meine Story an einen Fernsehsender verkaufe, werden einige Leute ziemlich erstaunt sein!"
"Träumen Sie ruhig weiter."
Ray tätschelte Hamills Wange, eine gönnerhafte, herabblassende Geste. Hamill fiel dabei der ziemlich protzig wirkende Ring mit dem roten Rubin auf, den Ray am Mittelfinger trug.
Ray packte mit einer schnellen, kräftigen Bewegung Hamill am Nacken, zog ihn zu sich heran. Hamill spürte einen stechenden Schmerz am Hals. Er schlug den Arm seines Gegenübers von sich.
Aus dem Ring, den Ray trug, ragte jetzt eine kleine Nadel heraus.
"Auf Wiedersehen, mein Freund!", sagte Ray mit einem öligen Lächeln auf den Lippen.
Hamill spürte, wie ihm die Knie weich wurden. Die Nadel an Rays Ring war offenbar vergiftet gewesen.
Die Gedanken rasten nur so durch Hamills Hirn. Panik stieg in ihm auf. Er versuchte zu sprechen, brachte aber keinen Ton heraus. Etwas lähmte seine Zunge. Er hatte Mühe zu atmen. In seiner Verzweiflung holte er zu einem Schlag gegen Ray aus. Aber der schmächtige Mann trat einfach einen Schritt zurück.
Hamills Bewegungen waren zu langsam, um ihm gefährlich werden zu können.
Der Schlag ging ins Leere.
Hamill taumelte zu Boden, schlug hart auf. Ihm war schwindlig, alles schien sich vor seinen Augen zu drehen.
Ein Raunen ging durch das Vernissage-Publikum. Jemand riss einen Witz über den Alkoholgehalt von Champagner. Der Großteil davon ging im Gelächter einer jungen Frau unter.
Hamill stieß einen röchelnden Laut hervor. Im nächsten Moment herrschte Stille in der Carnavan Gallery. Niemand bewegte sich. Alle starrten auf den am Boden liegenden Hamill, der versuchte wieder auf die Beine zu kommen.
"Einen Arzt!", rief jemand.
Hamill ließ den Blick schweifen. Er suchte nach Ray, sah, wie er sich still und unauffällig unter die Leute mischte und dabei immer mehr in Richtung Ausgang strebte.
Eine bleierne Müdigkeit hatte Hamill erfasst.
Verdammt, was hat der Kerl mir nur verabreicht?, durchzuckte es ihn. Er schaffte es, auf die Knie zu kommen.
Bei dem Versuch sich wieder zu erheben, strauchelte er erneut, riss dabei die abstrakte Plastik eines syrischen Bildhauers vom Sockel. Ein einziger Gedanke beherrschte Hamill: Ich muss diesen Kerl kriegen! Er spürte, dass ihm die Kräfte schwanden, dass ihm vermutlich nur noch wenig Zeit blieb, ehe er vollends zusammenbrechen würde.
"Ich bin Arzt", sagte jemand und fasste ihn beim Arm.
Hamill stützte sich auf ihn und zog sich hoch, stieß seinen Helfer zur Seite und griff unter die Jacke.
Im nächsten Augenblick hatte er eine Beretta in der Hand.
Ein Teil des Vernissage Publikums geriet augenblicklich in Panik. Schreie gellten durch den Raum. Andere standen wie erstarrt da.
Scheiße, reiß dich zusammen!, schrie es in Hamills Innerem. Er musste versuchen, jeden noch so kleinen Rest an Kraft zu mobilisieren. Hamill taumelte vorwärts. Seine Rechte krallte sich um den Griff der Beretta. Einige Leute in Abendgarderobe wichen ihm aus.
Er erreichte die Tür, stützte sich kurz auf, taumelte anschließend hinaus ins Freie. Ein kühler Wind blies vom Hudson River her. Nieselregen hing in der Luft. Hamill hatte Schwierigkeiten sein Gleichgewicht zu halten. Er erreichte ein parkendes Fahrzeug, stützte sich auf das Dach, rutschte ab und lag mit dem Oberkörper auf der Motorhaube.
In einiger Entfernung sah er Ray im Licht einer Straßenlaterne. Der schmächtige Mann öffnete gerade die Tür eines grauen Ford. Er lächelte zufrieden, telefonierte dabei mit dem Handy.
Als er Hamill bemerkte veränderte sich sein Gesicht.
Er duckte sich.
Hamill feuerte seine Beretta ab.
Zweimal kurz hintereinander. Die Schüsse waren schlecht gezielt. Hamill ging jetzt endgültig zu Boden. Er rutschte am Kotflügel entlang, knallte auf den Asphalt.
Hamill konnte jetzt nichts mehr sehen.
Sein Puls raste.
Seine Waffenhand krampfte sich zusammen.
Ein weiterer Schuss löste sich. Regungslos blieb Hamill auf dem Boden liegen.
Ray erhob sich.
Er klappte die Tür seines Fords zu und erreichte mit schnellen Schritten den Mann auf dem Asphalt. Er beugte sich nieder, fühlte nach dem Puls.
Aus der Carnavan Gallery kamen jetzt die ersten Vernissage-Gäste, die wissen wollten, was sich draußen ereignet hatte.
"Wenn jemand von Ihnen ein Handy bei sich trägt, soll er bitte sofort den Notarzt verständigen!", sagte Ray. Ein kaltes Lächeln spielte um seine Lippen. Er zog die Hand mit dem Ring zurück. Niemand hatte den daraus hervorragenden Dorn gesehen. Und die beiden kleinen Einstiche am Hals sahen völlig harmlos aus. Für diesen Mann wird jede Hilfe zu spät kommen!, dachte Ray.
Anhand der Mieterlisten, die uns von der Holding zur Verfügung gestellt wurden, der das Richard Dowell Memorial Building gehört hatte, war die Mieterin von Apartment Nummer 321 F ersichtlicht. Es handelte sich um eine gewisse Pamela Dawn, 31 Jahre alt und Marketing-Chefin einer Import/ Export Firma. Für ein halbes Jahr sollte sie in Albany, der Hauptstadt von New York State beim Aufbau einer neuen Firmenniederlassung helfen. Ihre New Yorker Wohnung hatte Pamela Dawn natürlich nicht aufgeben wollen und sie daher per Internet-Inserat zur Untermiete angeboten.
Genau die Konstellation also, die wir erwartet hatten.
Pamela Dawn hatte sich bei uns gemeldet, nachdem sie die Bilder des Unglücks im Fernsehen gesehen hatte.
Eine Überprüfung von Pamela Dawn mit Hilfe unsere Datenverbundsystems NYSIS ergab nichts, was in irgendeiner Weise auf eine Verbindung zu islamistischen Terrorgruppen hingedeutet hätte.
Uns interessierte an wen sie die Wohnung möglicherweise untervermietet hatte.
Zusammen mit Prewitt, unserem Zeichner flogen Milo und ich nach Albany. Wir trafen Pamela Dawn in ihrer Wohnung an, einem Apartment im 10. Stock des Hauses Nummer 234 Daroll Street.
Die junge Frau hockte ziemlich entmutigt zwischen ihren Umzugskartons, von denen mindestens zwei Drittel noch nicht ausgepackt waren. Wir stellten uns vor.
"Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen", sagte sie. "Erst konnte ich es gar nicht glauben."
Die junge Frau atmete tief durch. Das enganliegende T-Shirt und die Jeans zeichneten ihren perfekten Körper exakt nach. Sie schüttelte den Kopf, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Komisch, dieser Mann wirkte so seriös. Und außerdem war er noch Arzt."
"Wie hat er sich vorgestellt?", fragte ich.
"Er nannte sich James Hamill, Doktor James Hamill. Als er das erste Mal anrief, stand ich unter der Dusche. Meine Freundin war da und hat das Gespräch entgegengenommen. Wir wollten ins Theater. Ich habe später mit Celine nochmal darüber gesprochen. Sie ist sich ziemlich sicher, dass er gesagt hat, dass er Zahnarzt sei. Als ich ihm die Wohnung zeigte, behauptete er, er wäre Chirurg." Pamela Dawn zuckte die Achseln. "Naja, vielleicht hat Celine da auch nur etwas falsch verstanden."
"Wir gehen davon aus, dass die Identität des Mannes falsch war", sagte ich.
"Eigenartig, er wirkte so sympathisch."
Ich deutete auf Prewitt, unseren Zeichner, der natürlich schon lange nicht mehr mit einem Bleistift in der Hand den Täterbeschreibungen eines Zeugen lauschte.
Sein Handwerkszeug war ein Laptop, mit dessen Grafikprogramm er virtuos umzugehen verstand. Er hatte das Gerät inzwischen auf einen der Umzugskartons gestellt und war dabei, den Rechner hochzufahren.
"Unser Phantombildspezialist Agent Prewitt wird gleich versuchen, mit Ihrer Hilfe ein Bild dieses Mannes zu erstellen."
"Wenn er wirklich etwas mit dieser Explosion zu tun hat, hoffe ich, dass Sie ihn kriegen", meinte sie. "Ich habe gehört, dass es eine ganze Reihe von Toten gegeben hat."
"Das ist richtig", nickte ich. "Ich möchte, dass Sie sich noch mal genau an den Augenblick erinnern, als Sie diesem James Hamill die Wohnung zeigten. Jedes Detail kann wichtig sein, jede Äußerung, jede Kleinigkeit. Hat er irgendetwas über seine Arbeit als Arzt gesagt?"
Pamela Dawn nickte. "Ja, er meinte, er würde in Chicago praktizieren und bräuchte die Wohnung in New York, weil er einen Lehrauftrag an der Columbia hätte. Das klang für mich auch alles sehr überzeugend. Bis auf eine Kleinigkeit, aber die ist mir erst im Nachhinein eingefallen, als ich genau darüber nachgedacht habe."
"Und die wäre?", hakte ich nach.
Pamela Dawn ging an eine der Kisten heran, öffnete sie, kramte etwas darin herum und hatte schließlich ein Telefonregister in der Hand. Sie schlug eine bestimmte Seite auf, zeigte sie mir und deutete auf die Nummer, die hinter dem Eintrag Dr. James Hamill verzeichnet war.
"Diese Nummer sollte ich anrufen, sobald ich ausgezogen wäre und die Wohnung zur Verfügung stand. Diesem Doktor Hamill konnte es gar nicht schnell genug gehen, und er war auch bereit dafür, die Miete erheblich zu erhöhen. Ich konnte es erst gar nicht glauben."
Ich notierte mir die Nummer.
Pamela Dawn fuhr inzwischen fort: "Diese Nummer ist ein Festanschluss, aber nicht in Chicago, wie man es erwarten könnte. Schließlich hatte Hamill mir gegenüber erwähnt, dass er es eilig habe und noch die Abendmaschine bekommen müsse."
Milo warf ebenfalls einen Blick auf die Nummer.
"Yonkers", stellte er fest.
"Aber wieso braucht jemand, der schon eine Wohnung in Yonkers hat, ein Apartment in New York?", warf Pamela Dawn ein. "Jetzt im Nachhinein wird mir das natürlich klar."
Mit Pamela Dawns Hilfe erstellte unser Kollege Agent Prewitt ein Phantombild von dem Mann, der sich James Hamill genannt hatte. Die Angaben der jungen Frau waren sehr präzise. Das erleichterte unserem Zeichner die Arbeit erheblich.
Prewitt verschickte das Bild per E-Mail über Handy in unser Field Office in New York. Keine Viertelstunde würde vergehen und im gesamten Big Apple konnten Fahndungsbilder von Hamill ausgedruckt werden. Ob die den schnellen Erfolg brachten, war zweifelhaft. Mehr versprach ich mir schon von der Feststellung, zu welchem Anschluss die Telefonnummer gehörte, die Hamill der jungen Frau gegeben hatte.
"Ich würde Ihnen ja gerne einen Kaffee anbieten", meinte Pamela Dawn, nachdem wir ihre Vernehmung beendet hatten. "Aber leider ist meine Kaffeemaschine noch in einer dieser Kartons."
Ich erwiderte ihr Lächeln.
"Und vermutlich wissen Sie nicht so genau in welchem!"
"Glücklicherweise gibt's um die nächste Ecke einen netten Coffee Shop, wo man einen ganz hervorragenden Cappuccino bekommt! Kann ich Sie dafür erwärmen, Agent Trevellian..."
"Sagen Sie doch Jesse zu mir..."
Milo stieß mir in die Rippen.
"Wir haben hier in Albany noch was zu erledigen, Jesse. Vergiss das nicht!"
Mein Freund und Kollege hatte recht.
Neben der Befragung von Pamela Dawn gab es noch einen zweiten Grund für unseren Flug nach Albany.
Beim Albany Police Department hatte sich anonym ein Zeuge gemeldet, der behauptete, Aussagen in Bezug auf die Explosion am Central Park West machen zu können. Allerdings war er nur bereit, gegenüber FBI-Agenten an einem neutralen Ort auszusagen.
Natürlich gab es immer wieder Verrückte, die versuchten, auf diese Weise in die Öffentlichkeit zu kommen. Auf derartige Attentate oder spektakuläre Mordfälle hin meldeten sich manchmal hunderte von Personen, die behaupteten, eine wichtige Aussage machen zu können oder sich sogar selbst der Tat bezichtigten.
Es war eine mühselige Arbeit, daraus die relevanten Zeugen herauszufiltern.
In diesem Fall hatten wir allerdings Grund zu der Annahme, dass es sich bei dem geheimnisvollen Anonymus um jemanden handelte, der tatsächlich in Verbindung zum Al-Quaida-Netzwerk stand.
Zumindest hatte er den Kollegen vom Albany Police Department einige detaillierte Angaben über einen Mann namens Farad Darya gemacht, den wir vor einiger Zeit verhaftet hatten. Er war der Anführer der Al-Quaida-Zelle von New York City gewesen. Jetzt saß er auf Riker's Island und war zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden.
"Unsere Verabredung mit den Jungs vom Albany Police Department ist erst in anderthalb Stunden", gab ich zu bedenken. "Also kein Grund zu übertriebener Eile, Milo!"
"Ihr Partner hat recht", fand Pamela.
Und als Prewitt meinte, er müsste dringend etwas essen, war die Sache besiegelt.
Wir verließen Haus Nr. 234 Daroll Street.
Bis zur nächsten Ecke waren es keine fünfzig Meter.
Gleich dahinter sollte nach Pamela Dawns Beschreibung der Coffee Shop zu finden sein.
Die Daroll Street war eigentlich vierspurig. Aber an den Straßenrändern wurde die jeweils äußere Spur durch parkende Fahrzeuge blockiert.
Auf der anderen Straßenseite stand der Rohbau eines zehnstöckigen Gebäudes. Es gab noch keine Fenster. Bis zum achten Stock reichten die Gerüste. Aber zur Zeit wurde auf der Baustelle nicht gearbeitet. Hinweisschilder untersagten Unbefugten das Betreten des Grundstückes.
Ein Laserpunkt tanzte an der Mauer des Brownstonehauses auf unserer Straßenseite.
"Vorsicht!", rief ich. "Auf den Boden!"
Der erste Schuss peitschte, Sekundenbruchteile später der zweite.
Ich riss die SIG heraus.
Milo und Prewitt taten dasselbe.
An einem Fenster im fünften Stock des Rohbaus blitzte etwas auf.
Das Mündungsfeuer eines Gewehres, das offensichtlich über eine hochmoderne Laserzielerfassung verfügte.
Haarscharf zischten die Schüsse an uns vorbei.
Ich riss Pamela Dawn mit mir. Wir taumelten ein paar Schritte vorwärts, sodass wir hinter der Reihe von parkenden Fahrzeugen Deckung fanden. Milo und Prewitt brachten sich ebenfalls in Sicherheit. Mein Kollege feuerte dabei mehrfach mit seiner SIG in Richtung des unbekannten Schützen.
An der Fensteröffnung, von der aus er geschossen hatte, war eine Bewegung zu erkennen.
Ein Schatten.
Mehr nicht.
Das Feuer wurde eingestellt.
In der nächsten Sekunde war an einem der anderen Fenster eine Bewegung zu erkennen.
Ein Rohr wurde sichtbar.
Ich dachte sofort an die Mündung einer Bazooka.
Etwas zischte auf uns zu.
Sekundenbruchteile später gab es eine Detonation.
Ich hechtete zur Seite, wurde durch die Druckwelle ein paar Meter weiter geschleudert und kam hart auf dem Boden auf. Das Gesicht schützte ich mit den Händen. Die Hitze war mörderisch.
Schreie gellten.
Pamelas Schreie.
Ihr Pech war es gewesen, näher am Tank des parkenden Ford gewesen zu sein, hinter dem wir uns verschanzt hatten.
Ich öffnete die Augen, versuchte mich hochzurappeln.
Für Pamela Dawn konnte ich nichts mehr tun.
Ich taumelte durch den Rauch, hustete.
In geduckter Haltung schleppte ich mich vorwärts.
Milo und Prewitt hatten nichts Ernsthaftes abbekommen.
Allerdings lag Prewitts Laptop auf dem Asphalt und war wohl nicht mehr zu gebrauchen. Unser Zeichner war bereits damit beschäftigt, Verstärkung vom hiesigen Police Department und der State Police anzufordern.
Ich sah noch einmal dorthin, wo gerade noch Pamela Dawn gekauert hatte.
Ein schrecklicher Anblick. Zur Routine wird so etwas nie. Selbst nach noch so vielen Dienstjahren nicht. Das Bedauern in mir mischte sich mit der Wut auf die eiskalten Killer, die das zu verantworten hatten.
"Die Hunde kaufe ich mir", knurrte ich.
"Da bin ich dabei", keuchte Milo. Er hustete, wandte sich anschließend an Prewitt. "Du hältst hier die Stellung!"
"Klar."
Wir überquerten die Straße. An den Fenstern im fünften Stock war nichts mehr zu sehen.
Die Killer wollten sich wohl aus dem Staub machen, ehe Verstärkung eintraf.
Wir erreichten den Rohbau, stiegen durch das erstbeste Fenster ein, die SIG immer schussbereit in der Faust.
Nirgendwo gab es Türen. Dort, wo einmal die Aufzüge eingebaut werden würden, befand sich jetzt nur ein Schacht.
Ich blieb stehen, lauschte.
Von oben waren durch den Schacht Geräusche zu hören.
Schritte.
Ich wechselte einen Blick mit Milo. Er nickte knapp.
Wir durchquerten schnell einige Räume, erreichten das Treppenhaus.
Vorsichtig schlichen wir die Treppe hinauf, die noch ohne Geländer und Bodenbelag war.
Wir erreichten den ersten Stock.
"Sie müssen hier her kommen, wenn sie nicht einen unbequemeren Weg gehen wollen", raunte Milo mir zu.
"Zum Beispiel über die Gerüste?"
"Genau, Jesse."
Von oben waren jetzt wieder Schritte zu hören.
Etwas wurde aus einem der oberen Geschosse hinuntergeworfen, schlug Sekunden später auf dem blanken Estrich am Fuß des Treppenhauses ein.
Es musste sich um einen Sprengkörper gehandelt haben.
Jedenfalls folgte eine höllische Detonation.
Milo und ich pressten uns seitlich an die Wand, kauerten uns nieder und schützten das Gesicht mit dem Arm. Die Flammen schlugen hoch empor, verrußten Teile der Treppe und der Treppenhauswand bis hinauf zum dritten Stock.
Ich hob die SIG, rannte die Treppe hinauf. Mit jedem Schritt zwei oder drei Stufen.
Milo folgte mir.
Vom nächsten Absatz aus sah ich zwei Stockwerke höher eine Bewegung am Treppenrand. Ein Laserstrahl blitzte. Ich zuckte zurück. Dicht neben mir zischte ein Projektil in den blanken Beton der Treppe hinein und sprengte einen faustgroßen Brocken heraus.
Milo tauchte hervor, feuerte hinauf. Zweimal kurz hintereinander.
Er traf.
Der Schütze fiel getroffen vornüber in die Tiefe. Kein Geländer war da, um ihn zu halten.
Ich spurtete weiter voran.
Dort oben war noch ein zweiter Killer. Davon war ich überzeugt. Ich erreichte den vierten Stock, drehte mich kurz um und rief Milo zu.
"Bleib hier! Falls er noch oben im fünften ist, muss er an dir vorbei!"
"Und was hast du vor?"
"Ich versuche ihm den zweiten Fluchtweg abzuschneiden, der ihm noch bleibt!"
"Ich dachte, es gibt keinen!"
"Das Gerüst!"
Ich rannte durch den vierten Stock. Aus der Ferne waren die Sirenen der Einsatzfahrzeuge des Albany Police Department zu hören. Ich durchquerte mehrere Räume. Türen gab es hier noch nirgendwo.
Nur einen Raum mit noch nicht richtig getrocknetem Estrich, auf dem ich meine Spuren hinterließ.
Die Schuhe konnte ich wegwerfen.
Ich war allerdings nicht der einzige, der seine Schuhabdrücke auf dem Estrich verewigt hatte.
Ich verlangsamte mein Tempo etwas, hielt die SIG im Anschlag.
Ich pirschte mich an die nächste Türöffnung heran, tauchte dahinter hervor.
Aber niemand war zu sehen.
Weiter ging es bis zur Fensterfront, durch die man auf die Daroll Street sehen konnte.
Ich steckte den Kopf durch eines der Fenster, blickte hinab. Auf einer der unteren Gerüstbohlen waren Schritte zu hören.
Bingo!, dachte ich.
Ich kletterte durch das Fenster auf das Gerüst, rannte bis zum Ende der Bohle, wo man über eine Trittleiter auf die darunterliegende Gerüstebene gelangen konnte. Ich fasste die Sprossen der Trittleiter, stieg hinunter auf die nächste Ebene.
Mein Gegner hatte bemerkt, dass er verfolgt wurde.
Er hatte offenbar noch die Bazooka bei sich, mit der er auf uns geschossen hatte, nachdem wir Pamela Dawns Wohnung verlassen hatten.
Er feuerte einfach in die Höhe.
Das Geschoss krachte durch mehrere Gerüstebenen hindurch, durchschlug die Bohlen als hätten sie aus Papier bestanden.
Das Holz wurde regelrecht auseinandergefetzt. Die stützenden Metallstangen gerieten aus ihren Halterungen.
Der Killer rettete sich durch einen Sprung von der untersten Gerüst-Ebene, ehe alles ins sich zusammenstürzte.
Er warf die abgefeuerte Bazooka von sich, rollte sich am Boden herum und feuerte mit einer Uzi wild in der Gegend herum.
Ich verlor den Halt unter den Füßen, rettete mich durch einen Sprung.
Meine Hände fassten nach einer Fensterkante. Die SIG hatte ich ins Innere des Rohbaus geschleudert.
Jetzt hing ich am Fenster, während ich buchstäblich den Boden unter den Füßen verlor. Weitere Teile des Gerüstes krachten in die Tiefe. Ein Brett traf mich schmerzhaft am Rücken.
Ich nahm all meine Kraft zusammen und zog mich empor, rettete mich durch das Fenster ins Innere des Rohbaus.
Keine Sekunde zu früh, denn nur einen Augenaufschlag später donnerten weitere Gerüstteile von den obereren Decks in die Tiefe, die mich zweifellos erschlagen oder hinabgerissen hätten.
Ich rappelte mich auf, griff nach der SIG auf dem Boden und blickte hinaus.
Der Killer hatte es geschafft, bis zur Straße zu gelangen und einen Wagen anzuhalten.
Den Fahrer zerrte er grob heraus, setzte sich selbst ans Steuer.
Er brauste los.
Direkt an den ankommenden Einsatzfahrzeugen der City Police von Albany vorbei.
"Verdammter Mist!", knurrte ich, griff dabei zum Handy.
Aber meine Fahndungsmeldung an die Kollegen würde wohl zu spät kommen. Immerhin hatte ich mir das Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs gemerkt.
"Ich bin Captain Bob Montagna vom Albany Police Department", stellte sich uns ein korpulenter rothaariger Mann mit Stoppelbart vor.
"Freut mich Sie kennenzulernen. Mein Name ist Special Agent Jesse Trevellian und dies ist mein Kollege Milo Tucker."
"Angenehm."
"Sagen Sie Jesse zu mir! Wir waren ja ohnehin verabredet!"
Montagna nickte. "Allerdings unter anderen Umständen..."
"Das, was Sie Mister McKee am Telefon über diesen Informanten berichtet haben, klang ja recht vielversprechend."
Montagna zuckte die Achseln. "Ich hoffe, es kommt auch etwas dabei heraus..."
"Wieso nicht?"
"Der Mann ist extrem ängstlich. Wir kennen nur seine Telefonstimme. In zwei Stunden wollte er sich wieder melden, um einen Treffpunkt mit Ihnen auszumachen."
"Nichts dagegen einzuwenden."
"Wenn der Kerl davon erfährt, was hier passiert ist, wird er vielleicht nicht mehr anrufen, Jesse."
Ich atmete tief durch.
Unser Kollege vom Albany Police Departement hatte natürlich recht.
Der Informant würde sofort vermuten, dass ein Zusammenhang zwischen dieser Schießerei und dem Treffen mit ihm bestand.
Und ganz von der Hand zu weisen war dieser Gedanke ja auch nicht, auch wenn ich in diesem Fall annahm, dass eine andere Möglichkeit näher lag. Ich vermutete, dass jemand Pamela Dawn hatte ausschalten wollen, weil er befürchtete, dass sie zuviel wusste. Und in der Reihe der Verdächtigen, die als Auftraggeber dieses Anschlags in Frage kamen, stand bei mir der geheimnisvolle James Hamill ganz oben auf der Liste. Ganz gleich, ob er nun Chirurg, Zahnarzt oder einfach nur Mörder war.
Ich warf einen Blick zu den Beamten des Coroners, die gerade damit beschäftigt waren, die sterblichen Überreste von Pamela Dawn zu bergen.
"Wir werden alles tun, um das Fluchtfahrzeug mit der von Ihnen angegebenen Nummer zu finden, Jesse", sagte Captain Bob Montagna.
"Wahrscheinlich wird der Killer ihn bei nächster Gelegenheit irgendwo stehen lassen...", warf Milo ein.
Bob Montagna fragte: "Konnten Sie etwas von seinem Gesicht erkennen, Jesse?"
"So gut wie nichts. Er trug eine Baseballmütze. Und außerdem hatte er den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen.
Das Gesicht war im Schatten."
"Wir kriegen ihn trotzdem!"
"Ihr Optimismus in Ehren, aber..."
Montagna wandte sich an Milo. "Ihr Partner scheint mir ein bisschen mitgenommen zu sein..."
"Keine Sorge, der ist härter im Nehmen, als Sie denken."
Ich besorgte mir in einem Kaufhaus in Albany ein paar neue Jeans und einen preiswerten Blouson. Außerdem neue Schuhe.
Meine eigenen Sachen waren derart abgerissen, dass ich damit nicht mehr herumlaufen konnte. Die Hose war an den Knien aufgescheuert, die Lederjacke hing mir in angerußten Fetzen von den Schultern.
Um fünf Uhr abends fand ich mich im Polizeihauptquartier von Albany ein. Milo war schon länger dort und hatte den Fortgang der Ermittlungen verfolgt, während unser Kollege Prewitt schon wieder auf dem Rückflug nach New York City war.
Der tote Killer, den Milo niedergestreckt hatte, war nicht zu identifizieren. Er hatte keine Papiere bei sich und auch die Fingerprint- und Foto-Abfragen über AIDS, das Automated Identification System, blieben ergebnislos. Bewaffnung und Vorgehensweise der beiden Täter waren jedenfalls außerordentlich professionell gewesen. Möglicherweise brachte uns die Herkunft der Bazooka weiter, denn derartige Kriegswaffen unterliegen selbst in den in puncto Waffenbesitz recht liberalen USA strengen Beschränkungen.
Was den zweiten Täter anging, der mir unglücklicherweise durch die Lappen gegangen war, so hatten wir immerhin die Fußspuren, die er im Estrich hinterlassen hatte.
Sergeant Marvin J. Santiago, einer der Erkennungsdienstler des Albany Police Department erläuterte uns, dass die Schuhabdrücke sehr unterschiedlich groß waren. "Das bedeutet, dass der Killer ein orthopädisches Problem hatte, das ihn vielleicht verrät. Er brauchte jedenfalls Schuhe von sehr unterschiedlicher Grüße. Medizinische Spezialanfertigungen, wie ich vermute... Wir werden die Daten an Ihre Kollegen vom FBI Field Office New York weitergeben!"
"Tun Sie das", nickte ich.
Wir warteten auf den Anruf des Informanten. Man konnte nur hoffen, dass er keine Nachrichten im Radio oder Fernsehen verfolgte. Natürlich war die Schießerei an der Daroll Street die Meldung Nummer eins in den Lokalnachrichten gewesen. Wie üblich hatten die Reporter viel mehr ausgeplaudert, als für unseren Job gut war.
Die Vermutung, dass auch in diesem Fall Al-Quaida-Terroristen dahintersteckten war alles andere als abwegig.
Wir konnten nur hoffen, dass unser Informant sich davon nicht zu sehr einschüchtern ließ und den Mut verlor. Mit einer Verspätung von anderthalb Stunden meldete er sich schließlich doch noch.
Captain Bob Montagna zeichnete das Gespräch auf.
Treffpunkt war eine abgelegene Industriebrache, wo schon seit Jahren nicht mehr gearbeitet wurde.
Allerdings bat der Unbekannte darum, dass nur Milo und ich dort auftauchten. Er wollte mit niemand anderem als FBI-Agenten sprechen. Offenbar glaubte er, der lokalen Polizei nicht trauen zu können.
"Wenn Sie wollen, stellen wir Ihnen einen Wagen zur Verfügung", bot Bob Mantagna an.
"Nehmen wir gerne an", sagte ich und wandte mich an Milo.
"Oder bevorzugst du ein Taxi?"
"Hey, du hast ja deinen Humor wieder!"
"Galgenhumor, Milo." Ich ballte die Hände zu Fäusten. "Was wir heute gesehen haben, werde ich so schnell nicht vergessen..."
Milos Gesicht wurde sehr ernst.
"Geht mir nicht anders!"
Eine Viertelstunde später saßen wir in einem blauen Ford Maverick, den die Fahrbereitschaft des Police Department uns zur Verfügung gestellt hatte. Unser Weg führte Richtung Norden.
Zwanzig Minuten später erreichten wir das Firmengelände von "Richards Chemical Support and Supply Ltd".
Es musste Jahre her sein, dass diese Firma in Konkurs gegangen war. Die Industriebrache, die sie hinterlassen hatte, war vermutlich mit Schadstoffen dermaßen kontaminiert, dass es keine neuen Interessenten gegeben hatte.
Es gab mehrere Fabrikhallen, an deren Wänden sich teilweise bereits Moos gebildet hatte. In einem zweistöckigen Flachdachgebäude mussten sich einst die Büros der Firma befunden haben. Ein Teil der Fensterscheiben war eingeschlagen.
Mehrere ausgeschlachtete Tankwagen standen zwischen den Fabrikhallen und dem Bürogebäude. Sie hatten weder Reifen, noch Polster in den Fahrerkabinen. Selbst die Frontscheiben hatte man ausgebaut. Offenbar hatte hier jemand ein preiswertes Ersatzteillager gefunden.
Milo saß am Steuer des Maverick, stoppte ihn schließlich und stellte den Motor ab.
"Jetzt bin ich aber mal gespannt", meinte er. Er sah mich an. "Hey, worüber grübelst du nach, Jesse?"
"Worüber wohl", gab ich zurück. "Ich frage mich, was das war, was wir heute Nachmittag erlebt haben. Ich meine, die Angaben, die Pamela Dawn uns gegenüber gemacht hat, waren nicht sonderlich detailliert. Ein paar allgemeine Hinweise, Milo, mehr nicht."
"Du meinst, sie ist nicht gerade die Art von Person, die ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden würde."
"Du sagst es, Milo. Tatsache ist, dass sie jemand aus dem Weg haben wollte."
"Wahrscheinlich sind wir weiter, wenn wir wissen, wer dieser Hamill ist."
Ich nickte. "Solange werden wir wohl abwarten müssen."
Wir stiegen aus, klappten die Türen des Maverick zu und sahen uns um.
"Ich hoffe nur, dass unser Freund es sich nicht anders überlegt hat", meinte Milo.
Wir gingen ein paar Schritte auf die Fabrikhallen zu. Es musste in den letzten Tagen geregnet haben. Jedenfalls war der Boden schlammig.
Milo grinste, als er mich wie einen Storch im Salatbeet daherlaufen sah.
"Ein zweites Paar Schuhe an einem Tag wirst du nicht auf die Spesenrechnung setzen können, Jesse."
"Sehr witzig."
Ein ratschendes Geräusch ließ uns beide herumfahren. Ein Geräusch, das einen G-man bis in die Alpträume hinein verfolgen kann. Es wurde durch eine Pumpgun verursacht, die gerade durchgeladen wurde.
Wir fuhren herum. Die Hände gingen zu den SIGs.
Sekundenbruchteile später erstarrten wir. Ein schmächtiger, dunkelhaariger Mann war hinter einem Gebüsch hervorgetreten, das ein halbes Dutzend durchgerosteter Chemikalienfässer zugewuchert hatte.
Er hielt eine Pumpgun in unsere Richtung. Die Entfernung betrug kaum fünf Meter. Selbst wenn er ein schlechter Schütze war, konnte er auf diese Entfernung kaum daneben schießen.
"Keine Bewegung!", sagte er.
"Sind Sie der Mann, der sich beim Albany Police Departement gemeldet hat, weil der angeblich Aussagen zu dem jüngsten Sprengstoffanschlag in New York machen kann?"
Der schmächtige, dunkelhaarige Mann schluckte. Er atmete tief durch. Es war ihm anzusehen, dass er Angst hatte.
Schweißperlen standen ihm auf der Stirn.
"Sind Sie FBI-Agenten?", fragte er.
"Special Agent Jesse Trevellian", stellte ich mich vor. "Dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wenn Sie mir versprechen mit Ihrer Bleispritze da keinen Unsinn zu machen werde ich Ihnen meinen Ausweis zeigen."
"Aber ganz vorsichtig", forderte der Mann, "und keine Tricks!"
Im Zeitlupentempo holte ich meine ID-Karte vor. Ich hatte nicht vor, diesen Mann auszutricksen. Stattdessen musste ich sein Vertrauen gewinnen, wer immer er auch sein mochte.
Ich warf ihm die ID-Karte hinüber. Er war zu ungeschickt, um sie aufzufangen, kniete nieder, um sie aufzuheben.
Die Pumpgun war dabei die ganze Zeit über auf uns gerichtet.
Der Mann betrachtete meine ID-Karte, atmete tief durch und nickte schließlich.
"Okay", sagte er und senkte den Lauf der Pumpgun.
Wir gingen auf ihn zu. Er gab mir den Ausweis zurück. "Sie müssen schon entschuldigen, Agent Trevellian."
"Halten Sie den Lauf immer gesenkt", sagte ich. "So ein Ding kann auch einmal unbeabsichtigt losgehen."
Milo ergänzte: "Sie wissen jetzt wer wir sind. Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, dass Sie sich mal vorstellen."
"Mein Name ist Abdul Biran", erwiderte er. "Zumindest bin ich unter diesem Namen in Amerika eingebürgert. Seit 20 Jahren lebe ich hier. Seit ich an der University of Berkley studiert habe. Aber mein wirklicher Familienname ist Darya."
Ich wechselte mit Milo einen Blick. Der Name Darya sagte uns natürlich etwas.
"Heißt das, Sie sind ein Verwandter von Farad Darya, dem ehemaligen Chef der Al-Quaida-Zelle New York, der jetzt auf Rikers Island seine Haft absitzt?"
Biran nickte. "Ich bin sein Bruder. Den Familiennamen Darya habe ich vor langer Zeit abgelegt. Mit den Machenschaften meines Bruders wollte ich nichts zu tun haben. Farad ist ein gewissenloser Fanatiker, der bereit ist, für seinen Glauben alles zu tun, jedes nur erdenkliche Verbrechen."
"Sie haben Captain Montagna gegenüber angegeben, Aussagen in Bezug auf die Explosion am Central Park West machen zu können."
Ein Lächeln flog über Birans Gesicht. "Das war vielleicht etwas übertrieben", gab er zu.
"Es wird Zeit, dass Sie auspacken, Mister Biran", sagte Milo. "Und ich hoffe wirklich, dass Sie nicht unnötig unsere Zeit verschwendet haben."
Biran hob die Augenbrauen. "Soweit ich die Sache in der Presse verfolgen konnte, hat mein Bruder bislang eisern geschwiegen."
Ich nickte. "Das hat er", bestätigte ich.
"Und er wird es auch weiterhin tun", fuhr Biran fort. "Der Anschlag im Central Park West trägt aber eindeutig seine Handschrift. Farad hätte ebenso gut seinen Fingerabdruck hinterlassen können."
"Sie vergessen, dass Ihr Bruder im Gefängnis sitzt, Mister Biran", erwiderte ich.
Ein dünnes Lächeln spielte um Birans Lippen. "Und Sie vergessen, dass er nun wirklich nicht der Erste wäre, der aus einem amerikanischen Gefängnis heraus, Verbrechen plant und durchführen lässt."
In diesem Punkt hatte Biran leider recht. Seit den Zeiten von Al Capone gab es da jede Menge Beispiele. Trotzdem hatte ich meine Zweifel, ob das auf Farad Darya zutraf. Schließlich stand er unter besonders strenger Überwachung und war in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht.
Unmöglich war es jedoch nicht, was Daryas Bruder vermutete.
Schon so mancher Mafia-Boss hatte schließlich seine Geschäfte munter aus dem Knast heraus weitergeführt.
"Agent Trevellian, ich könnte meinen Bruder vielleicht dazu bewegen auszusagen."
"Wie wollen Sie das anstellen?"
"Ich bin sein Bruder. Er wird mir zumindest zuhören. Ganz im Gegensatz zu Ihnen und Ihresgleichen. Sie sind für ihn nur Ungläubige. Vertreter eines Systems, das er ablehnt."
"Einen Versuch wäre es vielleicht wert", meinte Milo.
"Erfolgloser als wir kann er auf jeden Fall bei einer eventuellen Befragung auch nicht sein."
Ich zuckte mit den Achseln. "Wir werden die Sache mit Mister McKee besprechen", sagte ich.
Ich musterte Biran und sagte schließlich: "Ihr Plan hört sich ganz so an als würden Sie dafür eine Gegenleistung erwarten, Mister Biran."
"Keine, die Sie nicht erfüllen könnten."
"Heraus damit, was wollen Sie?"
"Persönliche Sicherheit. Für die Kampfgefährten meines Bruders bin ich ein Verräter. Ich stehe jetzt wahrscheinlich schon auf Ihrer Todesliste, weil ich mich geweigert habe, sie finanziell zu unterstützen. Ich hatte einen Computerladen in San Francisco, den ich aufgeben musste, weil ich nicht als Zielscheibe für diese Leute dienen wollte. Aber ein Leben auf der Flucht kann ich auch nicht ewig weiterführen."
Eine Pause des Schweigens folgte.
"Sie glauben mir nicht so richtig?", fragte Biran. "Ich biete Ihnen an einen Gentest machen zu lassen, der meine Verwandtschaft mit Farad Darya beweisen würde."
Viele Spuren gab es bislang nicht, was den Fall der Explosion am Central Park West anging. Warum es also nicht mit diesem Mann versuchen, der behauptete der Bruder von Farad Darya zu sein?
Mein Handy schrillte. Ich ging an den Apparat. "Hier Jesse Trevellian", meldete ich mich.
"Wir wissen jetzt, wer James Hamill war", meldete sich Max Carter, unser Kollege aus dem Innendienst.
"Ich höre", forderte ich gespannt.
Der Nebel war so dicht, dass selbst die Statue of Liberty nur als dunkler Schemen zu sehen war.
Ray stand an einem der Münzfernrohre mit denen man vom Battery Park an der Südspitze Manhattans nach Liberty Island sehen konnte, aber im Augenblick war da nicht viel mehr als eine graue Wand zu sehen.
Eine der Touristenfähren, die in Richtung der Freiheitsstatue unterwegs war, gab ein Hornsignal ab.
"Na, schlechte Aussichten, Ray?"
Ray drehte sich herum. "Im Gegenteil: Alles paletti!"
Ein Mann in einer schwarzen Lederjacke stand vor ihm. Er hatte lässig die Hände in den Hosentaschen.
Sein Haar trug er etwa schulterlang. Es war war zu einem Zopf zusammengefasst. Durch seinen offenen Hemdkragen war ein Teil einer Narbe zu sehen, die sich wie eine Kette um seinen Halsansatz legte.
"Was ist mit unserem aufmüpfigen Freund?"
"Die Sache ist erledigt. Er liegt schon im Leichenschauhaus."
Der Zopfträger lächelte.
"Die Einzelheiten will ich ich gar nicht wissen."
"Um so besser. Was die Personen aus dem Umfeld dieses Mannes angeht, die uns vielleicht noch gefährlich werden könnten..."
"Ich vertraue dir, Ray. Nicht vollkommen, aber bis zu einem gewissen Grad."
"Danke."
"Sie werden alles so erledigen, wie Sie es für richtig halten. Von meiner Seite haben Sie völlig freie Hand."
"Gut..."
"Wir sollten aus dieser Sache lernen, Ray."
"In wie fern?"
"Wir wussten zu wenig über diesen Mann. Das war unser Fehler." Er verzog das Gesicht und setzte noch hinzu: "Wir hätten ihn nie engagieren dürfen."
Ray nickte langsam.
Der Zopfträger mit der Narbe am Hals sah ihn einen Augenblick lang nachdenklich an.
"Unser Plan tritt jetzt in Phase 2 ein." Der Zopfträger grinste. "An deiner Stelle würde ich in nächster Zeit die Radionachrichten verfolgen..." Er lächelte kalt.
Wir flogen mit der Abendmaschine zurück nach New York.
Biran nahmen wir mit. Er wurde in einer der Gewahrsamszellen untergebracht, die wir in unserem Hauptquartier an der Federal Plaza zur Verfügung haben, um Verdächtige festzuhalten, bevor sie in die Untersuchungshaft überstellt werden.
Natürlich war Biran nicht verhaftet.
Aber im Moment gab es für ihn keinen sichereren Ort als das Federal Building.
Unsere Innendienstler machten sich mit Hochdruck daran, den Wahrheitsgehalt von Birans Aussagen zu überprüfen.
Am nächsten Morgen fuhren Orry und Clive mit ihm nach Riker's Island, um eine Gegenüberstellung mit Farad Darya zu arrangieren.
Milo und ich wären auch gerne dabei gewesen.
Aber Mister McKee fand, dass das aus psychologischen Gründen den Verlauf des Gesprächs nur ungünstig beeinflussen konnte.
"Sie haben ihn schließlich verhaftet, Jesse!", meinte unser Chef.
"Sie meinen, wenn ich da auftauche, verderbe ich die Gesprächsatmosphäre."
"Exakt. Schließlich wollen wir ja hoffen, dass es diesem Biran gelingt, Darya zum Reden zu bewegen."
"Halten Sie es für möglich, dass Darya Attentate aus dem Knast heraus inszeniert?"
"Sie wissen so gut wie ich, dass man das nie ganz ausschließen kann. Es gibt immer undichte Stellen. Bestechliche Wärter, was weiß ich. Aber eins steht auch fest: Sie und Milo stehen auf der Todesliste von Daryas Leuten ganz oben."
Schon mehr als einmal hatte ich das schmerzlich erfahren müssen.
"Jesse, denken Sie bitte an die Möglichkeit, dass diese unbekannten Killer in Albany es vielleicht gar nicht auf Pamela Dawn abgesehen hatten, sondern auf Sie."
Ich nickte knapp.
Auch wenn mir der Gedanke nicht gefiel, so musste ich zugeben, dass Mister McKees Schlussfolgerung absolut logisch war. Milo und ich mussten auf der Hut sein.
Clive Caravaggio, Orry Medina und Abdul Biran befanden sich bereits in dem Verhörraum, als Farad Darya herein geführt wurde.
Darya war ein etwa 40 jähriger Mann mit eingefallenen Gesichtszügen und Vollbart. Neben den beiden Sicherheitsbeamten, die ihn hereinführten wirkte er eher schmächtig.
Darya trug Handschellen und Fußfesseln. Vor der Gefährlichkeit des Mannes hatten alle auf Riker's Island einen gewaltigen Respekt. Dabei war die gefährlichste Waffe dieses Mannes allerdings durch keine Fessel der Welt auszuschalten, nämlich sein verbrecherischer Geist.
Darya erstarrte als er Biran sah. Zweifellos erkannten sich die beiden Männer. Darya setzte sich. Sein Blick wirkte wie eine finstere Maske. Er zischte ein paar Flüche in seiner Muttersprache in Birans Richtung.
"Ich möchte Sie bitten, die weitere Unterhaltung auf Englisch zu führen", forderte Clive Caravaggio.
Farad Darya verzog das Gesicht. "Diese typisch amerikanische Arroganz gegenüber anderen Kulturen und Sprachen", meinte er. "Wenn man nicht eure Sprache spricht, seid ihr Amerikaner völlig hilflos."
Clive hob die Augenbrauen. "Was diese Kritik an meinen Landsleuten angeht, so muss ich Ihnen ausnahmsweise mal recht geben, Mister Darya. Auch wenn ich ansonsten mit keiner Ihrer Ansichten übereinstimme."
"Wo ist denn dieser Agent Trevellian und sein Partner?" Darya lächelte. "Es würde mich interessieren, ob die beiden noch leben."
"Das tun sie", versicherte Clive. "Und ich soll Ihnen schöne Grüße ausrichten."
"Sie sollen zur Hölle fahren!"
Clive atmete tief durch. Er war Profi genug, um in einer solchen Situation ruhig zu bleiben.
"Hören Sie Mister Darya, wir sind hier, weil Ihr Bruder Ihnen etwas sagen möchte."
"Ich habe keinen Bruder!", zischte Darya. "Dieser Mann ist für mich ein Fremder. Mag sein, dass wir in demselben Haus aufgewachsen sind, aber das ist lange her."
"Farad", ergriff jetzt Biran das Wort. "Bei allem, was uns beiden heilig ist, bei unserer Religion, bei unserem Gott. Du musst jetzt aussagen, du musst versuchen, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen."
"Ein Gottloser wie du hat das Recht verwirkt, den Namen Allahs im Mund zu führen", erwiderte Farad Darya kalt. "Im übrigen bin ich bestens informiert über das, was geschieht. Sie machen sich Sorgen wegen des Attentats im Central Park West, nicht wahr?"
Orry und Clive wechselten einen erstaunten Blick. Niemand hatte Darya darüber informiert. Er hatte keinen Zugang zu Zeitungen, Fernsehnachrichten oder anderen Medien, die darüber berichteten.
Darya war in einem Hochsicherheitstrakt untergebracht. Er hatte keinen Kontakt zu anderen Gefangenen. Möglicherweise hatten die Wärter darüber gesprochen, überlegte Clive. Er hoffte, dass es so war. Wenn nicht, so bedeutete das, dass er einen Kanal nach draußen besaß.
"Der Djihad hat gerade erst begonnen", verkündete Darya.
"Vielleicht könnt ihr einige von uns gefangennehmen oder töten, aber niemals alle. Dies ist ein Krieg, den das große Amerika verlieren wird. Es steht geschrieben, G-man, Allah-u-Akbar!"
"Farad, das kann nicht dein Ernst sein", rief Biran. "Bei unserer Mutter, du kannst doch nicht den Tod so vieler Unschuldiger einfach in Kauf nehmen!"
"Ich verachte dich", rief Farad Darya seinem Bruder entgegen. Er erhob sich vom Stuhl, spuckte in Birans Richtung.
Mit seinen zusammengeketteten Händen stürzte er den Tisch um. Daryas Bewacher sprangen herbei, fassten ihn bei den Schultern.
"Ich glaube, es hat keinen Sinn, die Vernehmung fortzusetzen", meinte Orry.
Ein Schwall von Beschimpfungen kam aus Farad Daryas Mund.
Er wechselte dabei vom Englischen in seine Muttersprache.
"Führen Sie ihn ab", wies Clive Caravaggio die beiden Wächter an. "So hat das keinen Sinn."
"Du bist schon so gut wie tot!", zischte Farad Darya in Richtung seines Bruders hinüber, der jetzt bleich wie die Wand war.
"Ihr könnt diesem Trevellian erzählen, dass seine Tage gezählt sind!", fügte er in Clives Richtung hinzu, bevor er aus dem Raum gezerrt wurde. "Sein Richter ist bereits unterwegs!", tönte er noch im Gang.
Die Telefonnummer, die Pamela Dawn uns gegeben hatte, gehörte zu einem Anschluss in Yonkers.
Wenn jemand die Nummer anwählte, wurde sie auf die Mailbox eines Handys umgeleitet.
Beide, sowohl die Festnetz- als auch die Handynummer waren auf den Namen Idris Jarmil eingetragen. Jarmil betrieb offiziell ein Maklerbüro in Yonkers. Die Kollegen vom Yonkers Police Department nahmen allerdings an, dass er als Strohmann für dubiose Immobiliengeschäfte fungierte.
Er war ein Sohn libanesischer Einwanderer. Den Fotos nach, die bei der Abteilung für Wirtschaftskriminalität des Yonkers Police Department existierten, war er dem Mann, der sich "James Hamill" genannt hatte, identisch.
Über Kontakte zu radikalen Gruppierungen war allerdings bislang nichts bekannt.
Jarmil bewohnte einen Bungalow in den Außenbezirken von Yonkers.
Dort befand sich auch der Sitz seiner Maklerfirma.
Im Morgengrauen rückten wir mit einem Dutzend Kollegen dort an.
In mehreren Räumen brannte Licht.
"So etwas lob ich mir!", meinte unser Kollege Fred LaRocca. "Da scheint ja rund um die Uhr gearbeitet zu werden!"
Milo grinste. "In der Immobilienbranche wird eben noch richtig rangeklotzt!"
"Du willst doch hoffentlich damit nicht sagen: 'Im Gegensatz zu uns faulen Staatsdienern!'", flachste Fred.
Ich betätigte das Sprechgerät an der Tür.
"FBI, Special Agent Jesse Trevellian", stellte ich mich vor.
"Ist Mister Jarmil zu sprechen?"
Eine weibliche Stimme meldete sich mit einer Verzögerung von mehreren Sekunden.
"Mister Jarmil ist nicht im Haus, Sir. Tut mir leid."
"Machen Sie bitte trotzdem die Tür auf."
"Ich habe strikte Anweisung von Mister Jarmil..."
"Wenn diese Tür nicht innerhalb kürzester Zeit geöffnet wird, werden wir das auf weniger schonende Weise erledigen, Ma'am!", schnitt ich ihr das Wort ab.
Unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg zogen ihre Waffen. Auch Milos Hand ging bereits in Richtung des Quick-Draw-Holsters an seinem Gürtel, in dem die SIG Sauer P 226 steckte. Schließlich wusste ja niemand, wie viele Personen sich wirklich im Bungalow befanden und wie sie auf uns reagieren würden.
Sicherheitshalber näherten sich einige Kollegen von der anderen Seite dem Gebäude.
Von der weiblichen Stimme aus dem Sprechgerät hörten wir einige Augenblicke lang nichts mehr.
Ich drückte noch einmal auf den Knopf.
"Wir brechen jetzt die Tür auf!", kündigte ich an.
In diesem Moment wurde sie geöffnet.
Eine dunkelhaarige Schönheit stand vor mir. Das leicht gelockte Haar reichte ihr fast bis zu den Hüften. Das blaue Kleid zeichnete die geschwungenen Linien ihres Körpers nahezu perfekt wieder.
"Warum so ungehobelt, G-man?", fragte sie, stemmte dabei provozierend ihren Arm in die Hüfte. Ich hielt ihr meinen Ausweis hin.
Leslie und Jay drängten an mir vorbei.
"Wer sind Sie?", fragte ich.
"Mein Name ist Leila Jackson."
"Sie arbeiten für Mister Jarmil?"
"Ja. Was werfen Sie ihm vor?"
"Ist Ihnen bekannt, dass Mister Jarmil auch unter dem Namen James Hamill aufgetreten ist?"
"Haben Sie überhaupt einen Durchsuchungsbefehl? Was soll das hier?"
"Seit Inkrafttreten der neuen Anti-Terror-Gesetze brauchen wir den nicht mehr, wenn ein entsprechender Verdacht besteht."
"Terrorismus? Ich hoffe, das ist ein schlechter Witz, G-man!"
"Leider nein."
"Mister Jarmil ist ein ehrenwerter Geschäftsmann. Kein gewissenloser Fanatiker, der sich an Attentaten beteiligt!"
"Sie kennen ihn gut?"
Leila Jackson verschränkte die Arme unter den Brüsten und atmete tief durch. "Ich möchte erst wissen, um welche Art von Vorwürfen es hier geht, Agent... Trevellian war doch der Name, oder?"
Leslie Morell rief mich aus einem der Räume.
"Jesse, das musst du dir ansehen!"
Ich folgte der Stimme. Milo kümmerte sich inzwischen um Leila Jackson. Fred LaRocca ging mit zwei Kollegen die Treppe zum Dachgeschoss hinauf, um sich umzusehen.
Ich betrat ein Büro, in dem sich mehrere Computer und einige verschließbare Aktenschränke aus Metall befanden. Ein summendes Geräusch erfüllte den Raum.
Ich umrundete den in der Mitte des Zimmers befindlichen Schreibtisch, auf dem sich ein riesiger Flachbildschirm befand. Im nächsten Moment sah ich, was Leslie gemeint hatte.
Ein Schredder.
Das Gerät war in Betrieb.
Davor ein gewaltiger Haufen Papierschnipsel.
Auf der anderen Seite.
Einer der Stahlschränke war geöffnet. Zahlreiche leere Hänge-Ordner lagen auf einem Haufen.
"Hier sollte offenbar noch eine Art Großreinemachen stattfinden", meinte Leslie.
"Wobei wir wohl ein bisschen gestört haben", vollendete ich.
Leslie nickte.
Leila Jackson betrat das Büro.
Sie sah mich selbstbewusst an.
"Ich hoffe, Sie und Ihre Leute hinterlassen hier alles so, wie Sie es vorgefunden haben!"
"Keine Sorge, Miss Jackson. Und jetzt verraten Sie mir bitte, wo Jarmil ist. Der Ärger wird für ihn sonst nur noch größer!"
"Ich habe keine Ahnung!"
"Was wollten Sie hier so früh? Noch rechtzeitig ein paar belastende Akten vernichten?"
"Woher sollte ich wissen, dass Sie so eine kriminelle Aktion gegen unbescholtene Unternehmer vorhaben? Ich hatte keine Ahnung, dass Sie heute früh auf der Matte stehen würden?"
"Vielleicht haben Sie nicht erwartet, dass wir so schnell hier auftauchen würden..."
"Ich möchte jetzt wirklich wissen, worum es geht."
Ich atmete tief durch. Die Ahnungslose spielte Leila Jackson wirklich ganz hervorragend. Allerdings nahm ich ihr diese Nummer nicht ab. Sie verheimlichte uns etwas. Es war nur die Frage, ob das mit unserem Fall oder eher mit Jarmils anderen halbseidenen Geschäften zu tun hatte.
"Ich nehme an, Sie haben von der Explosion am Central Park West gehört..."
"Wer nicht?"
"Ihr Arbeitgeber Jarmil ist unter dem Namen James Hamill dort aufgetaucht und hat ein Apartment gemietet. Vier Wochen, bevor es zum Knall kam. Die Sprengladung, die das Richard Dowell Memorial Building zerstörte, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau aus diesem Apartment heraus gezündet..."
"Die Möglichkeit, dass in dieses Apartment vielleicht jemand eingebrochen sein könnte, ziehen Sie wohl gar nicht in Betracht!"
Ich ging auf ihren Einwand nicht weiter ein.
"Warum hat Jarmil dieses Apartment angemietet?"
"Keine Ahnung."
"Dafür, dass Ihr Boss Ihnen sogar die Erlaubnis gibt, Akten zu vernichten, scheinen Sie mir etwas zu ahnungslos zu sein, Miss Jackson."
Leslie Morell machte sich inzwischen daran, den Rechner hochzufahren, der auf dem Schreibtisch stand.
Nach kurzer Zeit erschien eine Fehlermeldung.
'Wichtige Komponenten des Betriebssystems wurden von der Festplatte gelöscht...'
"Scheint so, als wären Sie auch dabei schneller gewesen als wir!", knirschte ich in Richtung von Leila Jackson zwischen den Zähnen hindurch.
Mein Handy schrillte.
Ich nahm das Gerät ans Ohr.