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Dieser Band enthält folgende Krimis: (499) Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko (Pete Hackett) Trevellian und die Stunden der Angst (Pete Hackett) Toter Killer (Alfred Bekker) TREFFPUNKT HÖLLE (Alfred Bekker, W. A. Hary) Es war 25 Jahre her, seit Jonathan D. McKee den Bomber von New York verhaftet und hinter Gitter gebracht hatte. Mr. McKee war zu dieser Zeit noch Special Agent gewesen. Porter Riggs war damals zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde in lebenslänglich umgewandelt. Und jetzt, nach 25 Jahren, wurde Porter Riggs aus dem Gefängnis entlassen. Die Jahre im Knast hatten seinen Hass genährt. Es war ein Hass, der keine Zugeständnisse, kein Entgegenkommen und keine Versöhnung kannte. Zwischenzeitlich war Jonathan D. McKee Chef des FBI Field Office New York geworden. Und jetzt, nach 25 Jahren, sollte die Vergangenheit mit grausam kalten Händen nach ihm greifen. Stunden der Angst brachen an … Hinter Porter Riggs schlossen sich die Tore von Sing-Sing. Riggs war ein großer, hagerer Mann mit grauen Haaren. Tiefe Linien zerfurchten sein Gesicht. Er war 66 Jahre alt. Der Mann drehte sich nicht um, als er zur Omnibushaltestelle ging. Er war frei. Zurückzublicken bedeutete unter Umständen Unglück. Riggs war abergläubisch. An dem Tag, an dem ihn damals Jonathan D. McKee verhaftete, war ihm am Morgen eine schwarze Katze über den Weg gelaufen.
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Thriller Quartett 4142
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Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko: Action Krimi
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Trevellian und die Stunden der Angst
Toter Killer
TREFFPUNKT HÖLLE
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Trevellian und die heißen Girls aus Mexiko (Pete Hackett)
Trevellian und die Stunden der Angst (Pete Hackett)
Toter Killer (Alfred Bekker)
TREFFPUNKT HÖLLE (Alfred Bekker, W.A.Hary)
Es war 25 Jahre her, seit Jonathan D. McKee den Bomber von New York verhaftet und hinter Gitter gebracht hatte. Mr. McKee war zu dieser Zeit noch Special Agent gewesen.
Porter Riggs war damals zum Tode verurteilt worden. Die Strafe wurde in lebenslänglich umgewandelt. Und jetzt, nach 25 Jahren, wurde Porter Riggs aus dem Gefängnis entlassen.
Die Jahre im Knast hatten seinen Hass genährt. Es war ein Hass, der keine Zugeständnisse, kein Entgegenkommen und keine Versöhnung kannte.
Zwischenzeitlich war Jonathan D. McKee Chef des FBI Field Office New York geworden. Und jetzt, nach 25 Jahren, sollte die Vergangenheit mit grausam kalten Händen nach ihm greifen.
Stunden der Angst brachen an …
Hinter Porter Riggs schlossen sich die Tore von Sing-Sing. Riggs war ein großer, hagerer Mann mit grauen Haaren. Tiefe Linien zerfurchten sein Gesicht. Er war 66 Jahre alt.
Der Mann drehte sich nicht um, als er zur Omnibushaltestelle ging. Er war frei. Zurückzublicken bedeutete unter Umständen Unglück. Riggs war abergläubisch. An dem Tag, an dem ihn damals Jonathan D. McKee verhaftete, war ihm am Morgen eine schwarze Katze über den Weg gelaufen.
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.
Die 17-jährige Juanita wurde unter falschen Voraussetzungen nach Amerika gelockt. Statt Geld zu verdienen wurde sie süchtig gemacht und zur Prostitution gezwungen. Als ihr Vater das begreift macht er sich auf, die dafür Verantwortlichen zu suchen. Mädchenhandel ist ein Bundesvergehen, die FBI-Agents Trevellian und Tucker schalten sich ein, aber dann bekommt die Sache einen blutigen Anstrich.
Es war kurz vor 21 Uhr. Das Wetter in New York war katastrophal. Der Wetterbericht hatte Orkanwarnung durchgegeben.
Jack Grass, der Rechtsanwalt aus der Kanzlei Jefferson & Partner, war auf dem Weg nach Hause. Zwischen seiner Arbeitsstelle und seiner Wohnung lagen nur wenige Straßen. Der 43-jährige nahm sie auf Schusters Rappen. Er stemmte sich gegen den kalten Wind, der an seinem Trenchcoat zerrte wie mit zornigen Klauen. Grass hatte das Gesicht aus dem Wind gedreht und sah den Weg, den er beschritt, nur aus den Augenwinkeln.
Jack Grass bemerkte nicht den Mann, der aus einer Einfahrt trat und eine Beretta mit aufgeschraubtem Schalldämpfer auf ihn richtete. Als der Mann abdrückte, fiel der Schuss geradezu lautlos. Der Wind riss das hohle Ploppen mit sich fort.
Jack Grass lag auf dem Gehsteig. Aus dem kleinen, schwarzen Loch in seiner Schläfe sickerten einige Blutstropfen …
Der Tod hatte mit kalter, gebieterischer Hand nach dem Rechtsanwalt gegriffen.
Im Westen türmte sich ein furchtbarer, drohender Horizont auf. Die Wolken falteten sich zu formlosen, tiefdunklen Bergen zusammen und wurden von einem ungeheuren Sturm herangetrieben. Blitze zuckten grell aus dem aufgewühlten Himmel. Durch die Wolkenkratzerschluchten pfiff der bretterharte Wind wie ein Vorbote des sich anbahnenden Unheils.
Der Killer ließ die Beretta unter seinem Mantel verschwinden. Er schwenkte seinen Blick die Straße hinauf und hinunter. An diesem schmutzigen Aprilabend war die Straße nahezu menschenleer. Zweihundert Yards entfernt stieg ein Paar aus einem Van. Die beiden rannten auf eine Haustür zu und verschwanden im nächsten Moment. Die Fenster der Häuser waren geschlossen. Aus Richtung Houston Street näherte sich ein Fahrzeug. In der Broome Street weiter südlich floss ein nicht abreißender Verkehrsstrom. Der Wind brachte erste schwere Regentropfen.
Der Killer lief zu der reglosen Gestalt hin. Der Aktenkoffer, den Jack Grass getragen hatte, war ihm aus der Hand gefallen. Der Mörder hob ihn auf. Über seine Hände hatte er Latexhandschuhe gezogen. Er schaute noch einmal umfassend in die Runde.
Wie ein Mann, der nichts zu verbergen hatte, schritt der Killer ein Stück die Thompson Street entlang und verschwand in der Spring Street.
Ein Autofahrer sah zufällig durch eine Lücke zwischen den am Straßenrand parkenden Fahrzeugen den ausgestreckten Körper auf dem Gehsteig liegen. Der aufmerksame Zeitgenosse trat auf die Bremse und blieb einfach in der zweiten Reihe stehen. Er lief zwischen zwei parkenden Fahrzeugen hindurch und beugte sich über die reglose Gestalt. Sie lag auf dem Rücken. Das kleine Loch in der Schläfe sah der Mann nicht. Der Autofahrer rüttelte Jack Grass an der Schulter. Der Kopf rollte zur Seite.
Dem hilfsbereiten Mann lief es eiskalt den Rücken hinunter. Im Licht der Straßenlaterne blickte er geradewegs in ein wächsernes, erstarrtes Gesicht. Die offenen Augen glitzerten wie Glas. Gesichtszüge und Augen drückten nur noch absolute Leere aus – die Leere des Todes.
Wie von Schnüren gezogen richtet der Mann sich auf. „Gütiger Gott“, murmelte er mit brüchiger Stimme. „Der – ist – tot …“ Er schluckte mühsam.
Auf der Straße rollten einige Autos vorüber. Eine Gruppe Jugendlicher näherte sich. Der Mann bei dem Toten fuhr sich über die Augen, als wollte er einen bösen Traum verscheuchen. Aber die leblose Gestalt im Trenchcoat zu seinen Füßen war Realität.
Die Jugendlichen lärmten und boxten sich gegenseitig. Es waren ausgelassene, übermütige Kids. Lockere Sprüche fielen. Ihr Gelächter und Johlen übertönte das zeitweilige Heulen des Windes.
Einige Zeitgenossen, die wegen des Wagens in der zweiten Reihe, dessen Motor im Stand lief und dessen Scheinwerfer brannten, anhalten mussten, um den Gegenverkehr vorbeizulassen, hupten. Einer kurbelte das Seitenfenster herunter und brüllte ungeduldig: „Was ist das für ein verdammter Idiot, der die Straße blockiert? Man sollte ihm den Führerschein samt Auto wegnehmen!“
Die lärmenden Kids sahen den Mann auf dem Gehsteig, und ihnen entging auch nicht die stille Gestalt am Boden. Sie begannen zu laufen. Gleich darauf umringten sie den entsetzten, fassungslosen Mann. „He, Mister, hast du den auf die Bretter geschickt?“, lärmte ein etwa 17-jähriger und hüpfte von einem Bein auf das andere. Er trug einen Ohrring wie Kapitän Hook. Auf seinem Kopf saß eine Baseballmütze. „Wolltest du ihm den Geldbeutel klauen oder …“
Zwei der Halbstarken hatten sich über Jack Grass gebeugt. Einem entfuhr es bestürzt: „Heavens, der hat ein Kugelloch im Schädel. Der ist nicht bewusstlos – der ist mausetot.“
Die Burschen waren plötzlich nicht mehr cool und aufgekratzt. Der Schock verschloss ihnen die Münder. In ihren Mienen spiegelten sich jähe Beklemmung und Schrecken wider, Entsetzen und Fassungslosigkeit und einige Gefühlsregungen mehr, die ihnen eiskalt in die Glieder gefahren waren.
„Hast – hast du … Haben Sie den umgenietet?“, entrang es sich einem der Jungs, und es hörte sich an, als würgte ihn eine unsichtbare Hand.
Die Frage riss den Mann, der seinen schrecklichen Fund noch immer verstandesmäßig zu verarbeiten versuchte, aus seiner Lethargie. Er zuckte zusammen. „Nein“, stieß er hervor. „Ich sah ihn hier liegen, als ich vorbeifuhr.“
Der Mann griff in die Manteltasche. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, umklammerte sie ein Handy. Er wählte mit zitternden Fingern den Notruf!
Bei Patrick Fletcher schellte das Telefon. Fletcher hockte mit Schlafanzug und Bademantel bekleidet in einem schweren Sessel, hatte die Beine übereinandergeschlagen und glotzte in die Röhre. Seine Freundin, eine hübsche Rothaarige, hatte es sich auf der Couch bequem gemacht. Auf dem Tisch mit der schweren Marmorplatte standen eine Schüssel mit Erdnusschips. Fletcher hatte sich eine Büchse Bier aufgemacht.
Es war 21 Uhr 20.
„Verdammt, immer wenn es am spannendsten ist“, schimpfte Patrick Fletcher und erhob sich. Das schnurlose Telefon stand auf einem Sideboard. Ehe Fletcher den Hörer abnahm, schüttelte er sich eine Marlboro aus der Schachtel und zündete sie an. Das Telefon dudelte zwischenzeitlich zum dritten Mal.
„Fletcher!“, knurrte selbiger in die Sprechmuschel.
Der Anrufer nannte seinen Namen. Fletchers Brauen zuckten in die Höhe. Seine Miene nahm einen angespannten Ausdruck an.
Am anderen Ende der Leitung erklang es: „Grass schmort in der Hölle. Ich habe seinen Aktenkoffer mitgenommen. Leider war das Material, das wir wollten, nicht drin. Er hat es entweder in der Kanzlei oder bei sich zu Hause, wobei ich eher auf Zweites tippe. – Eines hat der Inhalt des Koffers jedoch hergegeben, Pat. Grass hat mit der Detektei Smith & Perkins zusammengearbeitet.“
„Augenblick“, sagte Fletcher und verschwand mit dem Telefonhörer im Flur. Er zog die Tür zu. „Mist!“, stieß er dann hervor. Er starrte sekundenlang gedankenvoll vor sich hin. „Was hast du mit dem Zeug angefangen?“
„Ich hab den Koffer noch im Auto. Irgendwo werde ich ihn wohl in einen Müllcontainer werfen.“
„Bist du bescheuert! Deine Prints …“
„Keine Sorge. Ich hab mir Latexhandschuhe angezogen.“
Fletcher stieß die Luft durch die Nase aus. „Okay, Duncan. Wir müssen uns über die Sache unterhalten.“ Fletchers Stimme senkte sich. „Wenn nötig, krempeln wir Wohnung des verdammten Erpressers um. Wir treffen uns in einer Stunde im Club.“
„All right, Pat. Bis dann.“
Die Leitung war tot. Fletcher tippte eine Nummer und wählte an. „Cassidy!“, tönte es durch den Äther.
„Mike“, sagte Fletcher, „Duncan hat den Job erledigt. Grass hat seinen letzten Schnaufer getan. Entgegen unserer Erwartung hatte er aber nichts von dem bei sich, worauf es uns ankam. Fahr jetzt gleich zum Club und knöpf dir die kleine Schlampe vor. Erkläre ihr, dass wir ihrem alten Herrn die Flügel stutzen, wenn sie ihn nicht zurückpfeift. Stellt sie sich an, hilf ihr auf die Sprünge. Du kennst doch Mittel und Wege.“
Fletcher lachte hässlich.
„Mach ich“, versprach Mike Cassidy kalt. „Ich melde mich wieder.“
„Prima.“
Fletcher beendete das Gespräch und kehrte in den Livingroom zurück. Er schoss seiner rothaarigen Freundin einen schnellen, forschenden Blick zu. Sie lag auf der Seite und starrte wie hypnotisiert auf den Bildschirm. Ohne ihn anzusehen fragte sie: „Wer war das?“
„Duncan McLeon. Ich treffe mich heute noch mit ihm im Club.“
„Nimmst du mich mit?“
„Nein.“ Fletchers Stimme wies einen abschließenden Tonfall auf und duldete keinen Widerspruch.
Sie verzog den Mund, das war aber auch alles. Dann verkrallte sich der Blick ihrer tiefgründigen, blauen Augen wieder an dem Geschehen auf der Mattscheibe.
Draußen heulte mittlerweile der Sturm um die Wohnblöcke wie ein hungriges Tier. Sintflutartiger Regen fiel vom Himmel und prasselte gegen die Fenster. Die Wolken hingen so tief, dass sie die Wolkenkratzer streiften.
Fletcher griff nach seinem Bier und trank einen Schluck. Dann zog er an der Zigarette und inhalierte tief den Rauch. Mit dem Glimmstängel zwischen den Fingern verließ er den Livingroom, um sich anzuziehen. Fletcher wälzte trübe Gedanken. Er war unzufrieden. Die Sache mit den Girls begann aus der Bahn zu laufen. Und das bereitete ihm Kopfzerbrechen.
Mike Cassidy parkte seinen Ford in der Nähe des Clubs „Sixty-Six“ in der 124th Straße West. Der Scheibenwischer war auf Stufe zwei geschaltet. Er flog geradezu hin und her. Der Himmel schien sämtliche Schleusen geöffnet zu haben. Die Lichtfinger der Scheinwerfer wurden von der grauen Regenwand schon nach wenigen Schritten verschluckt. Die Rinnsteine konnten die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Die Straße erinnerte an einen Fluss.
Cassidy sah durch den strömenden Regen die Leuchtreklame des Clubs. Die Fenster waren verdunkelt. Lediglich im Obergeschoss brannte in einigen Räumen gedämpftes Licht. Die Straße war wie ausgestorben.
Cassidy schaute auf die Uhr. Es war wenige Minuten nach zehn Uhr. Er stellte den Motor ab. Der Scheibenwischer blieb mitten auf der Windschutzscheibe stehen. Der Bursche schaltete die Scheinwerfer aus. Der Regen überschwemmte sofort die Scheiben. Da das Gebläse schwieg, beschlugen vom Atem Cassidys sofort die Scheiben.
Missmutig blieb er sitzen. Der Sturm orgelte. Die Peitschenmasten schwankten leicht. Die Kanalisation fasste die Massen von Wasser nicht mehr. Es sprudelte aus den Kanaldeckeln und hob sie zum Teil sogar in die Höhe.
„Dreckwetter“, knurrte Cassidy missmutig. „Ehe du den Club erreichst, bist du durch bis auf die Haut.“
Er wartete. Gegen 10 Uhr 30 war der orkanartige Sturm über den Big Apple hinweggezogen. Der Wind wehte zwar immer noch ziemlich stark und es fiel Regen, aber es war harmlos gegen das Unwetter, das eine gute halbe Stunde mit Urgewalt gehaust hatte.
Cassidy verließ den Ford, schloss ihn ab und lief mit zwischen die Schultern gezogenem Kopf zum Eingang des Clubs. Er stand im Vorraum. Hämmernde, Ohren betäubende Musik schallte durch die geschlossene Tür. Zwei Schlägertypen lungerten an der Garderobe herum, hinter der ein nicht mehr ganz taufrisches Girl saß, das in früheren Zeiten sicher einmal eine ganz andere Art von Job in dem Etablissement ausübte. Ein sündhaftes Leben prägte die verwelkenden Gesichtszüge.
„Hi, Cassidy“, grüßte einer der Gorillas, dessen Bizeps fast den Hemdenstoff platzen ließen und dessen Unterarme an ein Comicheft erinnerten, so sehr waren sie tätowiert. Keine teuren, kunstvollen Tattoos. Irgendwelche Dilettanten hatten sie hineingestochen, vielleicht sogar er selbst. Der Mister hatte entweder mal bei der christlichen Seefahrt seine Brötchen verdient, oder er blickte auf langjährige Knasterfahrung zurück.
Cassidy nickte den beiden zu, dann betrat er den Club. Lichteffekte blendeten ihn. Künstlicher Nebel quoll aus irgendwelchen Kanälen. Die Musik lähmte die Trommelfelle. Im wilden Rhythmus bewegten sich hochgereckte Arme und die dazugehörenden Körper.
Es mutete fast gespenstisch an.
Der Laden war gerammelt voll.
Cassidy suchte sich einen Weg zur Theke, die fast die gesamte Länge des Raumes einnahm. An ihrem Ende führte eine Tür zu den Toiletten, zur Treppe in die 1. Etage des Gebäudes und zur Hintertür.
Eines der Girls, die hier bedienten, schwirrte mit einem leeren Tablett an Cassidy vorbei. Er schnappte es am Arm und hielt es zurück. „Ist Juanita oben?“
Die Kleine, mit Minirock und freizügigem T-Shirt bekleidet und nicht mit ihren Reizen geizend, nickte. Cassidy versetzte ihr einen leichten Klaps auf den knackigen Hintern, denn verschwand er durch die Tür und stand im Treppenhaus.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend stieg er die Treppe empor. Sie knarrte unter seinem Gewicht. Oben läutete er. Durch den Spion fiel Licht, als innen die Klappe zur Seite geschoben wurde. Ein Auge war zu sehen, dann schwang die Tür auf.
Der Bursche, der geöffnet hatte, war von ähnlichem Schrot und Korn wie die beiden Kerle unten bei der Eingangstür. Seine Nase war so platt, als wäre er damit als Kind gegen eine Schubraupe gelaufen. Seine Arme waren Keulen, sein vernarbtes Gesicht ließ ein hohes Maß an Brutalität vermuten.
„Schickt dich Fletcher?“, grollte der Bass des Muskelprotzes.
„Was geht dich das an?“, versetzte Cassidy knapp. „Ich will zu Juanita.“
Der Rausschmeißer runzelte die Stirn, finster fixierte er den blonden, schlanken Burschen, der ihn hatte ablaufen lassen wie kaltes Wasser und den er wahrscheinlich mit einem einzigen Schwinger aus dem Anzug schlagen könnte. Das waren die Kategorien, in denen dieser Conan-Verschnitt dachte. Seine Mundwinkel sackten nach unten, er knirschte: „Die ist randvoll mit Heroin und wird gerade von einem alten Sack …“
„Okay. Ich warte auf sie in der Bar. Wenn Sie auftaucht, dann soll sie zu mir kommen.“
Cassidy ließ den Schläger einfach stehen. Er verschwand in einem Raum, der mit Polstermöbeln, einer Theke und schummrigen Lichtern ausgestattet war. Ein Girl saß in einem der Sessel. Es war freizügig und aufreizend gekleidet, sehr hübsch, noch keine 20, und es war keine Amerikanerin. Dieses Mädchen war von südländischem Typ. Es rauchte, und streifte Cassidy mit teilnahmslosem Blick. Die Pupillen der Kleinen waren unnatürlich vergrößert.
Hinter der Bar stand ein Latino-Typ mit streng nach hinten gekämmten Haaren, die vom Gel glänzten wie eine Speckschwarte.
„Wie läuft‘s?“, fragte Cassidy.
„Gut. Die geilen Böcke geben sich die Türklinke in die Hand“, versetzte der Gelackte.
„Das wird Fletcher freuen.“ Cassidy stemmte seine Ellenbogen auf den Tresen. „Gib mir ‘nen Drink“, forderte er.
Er wartete. Draußen erklangen Stimmen. Als die Tür geöffnet wurde, wandte er sich um. Ein hübsches Girl betrat die Bar. Von der Erscheinung her passte es zu dem Mädchen, das bereits anwesend war. Die Kleine ließ sich in seinen Sessel fallen und schaute Cassidy ohne besonderes Interesse an.
Cassidy verzog das Gesicht. „Wo bleibt Juanita, verdammt? Der alte Sack, der sie begattet, muss doch bald fertig werden.“
Der Latino-Typ hinter der Bar zuckte mit den Schultern.
Cassidy trank. Er fragte sich, wie ein Freier eine Menge Geld dafür berappen konnte, um mit einer derart vollgedröhnten Nutte auf die Matratze zu hüpfen. Dann sagte er sich, dass ihn das im Grunde nicht zu interessieren brauchte. Hauptsache der Rubel rollte!
Endlich kam Juanita.
Sie war 17, rassig, gewachsen wie eine Grazie, schwarzhaarig und – süchtig bis in die letzte Faser ihres schönen Körpers. In ihren dunklen Augen flackerte es auf, als sie Cassidy wahrnahm. Dieser rutschte vom Barhocker. Er ließ Juanita sich erst gar nicht hinsetzen und packte sie am Oberarm.
„Zieh dir was über, Süße. Wir machen einen kleinen Ausflug.“
Juanita schaute mit erloschenem Blick zu ihm in die Höhe. „Wohin?“
„Das wirst du schon sehen. Komm.“ Er zerrte Juanita zur Tür, gleich darauf standen sie in dem Vorraum, in dem der Gorilla als Türsteher fungierte.
Sie begaben sich in Juanitas Zimmer. Hier arbeitete sie. An der Wand brannte eine Lampe mit einem roten Schirm. Blutrot fiel der Lichtschein auf das breite Bett und das wenige Mobiliar in dem Raum. Die Schatten der beiden wurden riesengroß und verzerrt auf den Boden und gegen die Wand geworfen.
Cassidy holte einen Trenchcoat aus dem Schrank und half Juanita hinein. Sie machte einen Knoten in den Gürtel. „Wohin gehen wir?“, fragte sie noch einmal, und ihre Stimme wies einen harten Akzent auf.
„Du wirst mit deinem Vater telefonieren, Süße“, erklärte Cassidy. „Aber nicht hier. Wir fahren zu mir. Du wirst versuchen, den alten Narren zur Vernunft zu bringen. Andernfalls unterhalten sich unsere Leute mit ihm. Du weißt, dass unsere Verbindungen bis in den südlichsten Zipfel von Mexiko reichen. Und du willst doch sicher nicht, dass dein Vater eines Tages mit einem halben Kopf gefunden wird, weil ihm die andere Hälfte eine fünfundvierziger Kugel weggeblasen hat.“
„Warum?“
„Frag nicht so viel, sondern schwing deinen süßen Arsch endlich zur Tür.“ Cassidy versetzte dem Girl einen nicht gerade sanften Stoß, der es einen Schritt in Richtung Zimmertür taumeln ließ. Juanita schaute ihn mit den Augen eines verängstigten Rehs an. Dann wandte sie sich um und setzte sich mit hängenden Schultern und gesenktem Kopf in Bewegung.
Juanita hatte, wie all die anderen Mädchen hier, längst aufgegeben. Sie war eine Verlorene. Das wusste sie. Sie brauchte den Stoff. Spurte sie nicht, wurde er ihr entzogen. Und das war schlimmer als körperliche Züchtigung.
Sie fuhren in die Wohnung Mike Cassidys. Es war Appartement Nr. 31 in der 3. Etage eines Brownstone-Hauses in der Upper West Side. Juanita, bei der die Wirkung des Heroins nachließ, zeigte Unruhe. Ihr Gesicht schien während der vergangenen halben Stunde gealtert zu sein. Es verfiel zusehends. Ihr Blick war unstet. Ihre Gesten und Bewegungen muteten fahrig an.
Im kombinierten Wohn/Schlafzimmer des Appartements drückte Cassidy das Girl in einen Sessel. Er holte den Telefonapparat von einem Bord und stellte ihn auf den Tisch vor Juanita hin. Er zischte: „Du wirst dem alten Narren jetzt erklären, dass es dir blendend geht, dass du gute Freunde gefunden hast hier in den Staaten, und dass er dich künftig in Ruhe lassen soll. Sag es ihm. Er soll aufhören, dir hinterher zu spionieren.“
Er holte ein Notizbuch aus seiner Jackentasche, blätterte kurz darin, knurrte zufrieden, nahm den Hörer ab und begann eine Nummer zu tippen. Es war ein Auslandsgespräch. Die Vorwahl war die von Mexiko.
Eine verschlafene männliche Stimme meldete sich. „Carcia.“
„Deine Tochter will dich sprechen, Carcia“, sprach Cassidy in die Muschel, dann reichte er Juanita den Hörer. Er drückte die Lautsprechertaste.
Das Mädchen hielt den Hörer vor dem Gesicht, in dem die Muskeln und Nerven zuckten, das mehr und mehr eine fahle Blässe annahm, in dem sich unter den Augen dunkle Ringe gebildet hatten. Juanitas feste Brüste hoben und senkten sich unter schweren Atemzügen. Die Stimmbänder versagten ihr.
„Juanita?“, kam es vom anderen Ende der Leitung.
„Vater …“, murmelte das Mädchen, und es klang brüchig.
„Por Dios, Juanita“, klang es erregt. „Warum hast du wochenlang nichts von dir hören lassen? Deine Mutter, dein Bruder und ich – wir sind fast umgekommen vor Sorge um dich. Das einzige, was wir herausgefunden haben, ist, dass du dich in New York aufhältst. Was ist los, Chica? Wo …“
„Mir geht es gut, Vater“, murmelte Juanita. Ihre Lippen zuckten. Ihre Wangen vibrierten. „Ich bin bei guten Freunden. Du brauchst dir keine …“
„Du redest so komisch, ich kenne deine Stimme kaum noch. Was ist los mit dir, Juanita? Bist du krank? Geht es dir nicht gut? Wo lebst du in New York? Wer sind deine Freunde?“
„Gute Freunde, Vater. Ich habe Arbeit. Mir geht es gut. Deine Sorgen sind unbegründet. Wirklich.“
„Welche Arbeit, Chica? Du klingst in der Tat sehr seltsam. Hast du was getrunken? Nenn mir die Namen deiner Freunde. Weil wir nichts mehr von dir hörten, habe ich eine Rechtsanwaltskanzlei eingeschaltet. Jefferson & Partner in New York. Das kostet Geld, viel Geld. Du weißt, dass wir nicht gerade mit Reichtümern gesegnet sind. – Sag mir, wo du wohnst in New York. Man hört soviel Schlimmes. Wer sind deine Freunde? Rede mit mir, Chica. Wenn ich sicher bin, dass es dir wirklich an nichts fehlt, brauche ich die Anwälte nicht mehr. Wir müssen sparen. Aber das weißt du ja.“
Er sprach hastig, seine Worte fielen beschwörend und eindringlich. Seine Sätze kamen, wie sie ihm gerade einfielen, ohne besondere Ordnung, fast ein wenig konfus. Zeichen seiner Sorge und Erregung …
„Es geht mir gut“, wiederholte Juanita stereotyp. „Ich habe Arbeit, meine Freunde sind gut zu mir. Es fehlt mir an nichts. Du brauchst nicht mehr nach mir zu suchen, Vater.“
Cassidy riss Juanita den Hörer aus der Hand. „He, Carcia, pass auf, was ich dir jetzt sage“, bellte sein Organ in die Muschel. „Wir wissen, dass du Jefferson & Partner konsultiert hast, damit sie deine Tochter für dich aufspüren. Einer der Anwälte, der mit der Sache betraut war, versuchte Kapital daraus zu schlagen. Jetzt ist er tot. Dir rate ich, die Nachforschungen nach Juanita einzustellen. Sie ist bei uns in besten Händen. Solltest du weitermachen, wirst auch du tot sein.“
Ein gehetzter Ton kam aus dem Lautsprecher. „Wer sind Sie, Señor?“, keuchte Fernando Carcia. „Was sind das für Worte? Inwiefern wollte einer der Anwälte Kapital daraus schlagen? Gütiger Gott, geben Sie mir Juanita …“
Die Stimme Fernando Carcias versagte. Der Vater Juanitas schien einem Herzinfarkt nahe zu sein. Er hatte schlagartig begriffen. In den Medien wurde von den Mädchen berichtet, die mit dem Versprechen einer rosigen Zukunft in die Staaten gelockt wurden, um dort wie Gefangene gehalten zu werden. Die Mädchenhändler sperrten sie ein, machten sie rauschgiftsüchtig, schlugen und vergewaltigten sie und zwangen sie zur Prostitution. Sie beuteten ihre Opfer unverfroren und unerbittlich aus.
Juanita war einer dieser skrupellosen Banden in die Hände gefallen. Es überstieg Fernando Carcias Verstand. Er war außer sich vor Schreck, Erschütterung und Verzweiflung.
„Du hast es gehört, Carcia“, blaffte Cassidy in den Hörer. „Sollten wir feststellen, dass du weiterhin versuchst, deine Tochter aufzuspüren, wirst nicht nur du tot sein. Dann wird auch Juanita Federn lassen. Wir werden ihr mit einem Rasiermesser ein Monogramm ins hübsche Gesicht schnitzen. Vielleicht nehmen wir auch Säure. Du erweist deiner Tochter also keinen Gefallen, wenn du die Dinge nicht laufen lässt, wie sie laufen. Ich denke, wir verstehen uns, Carcia.“
Cassidy legte auf.
„Ich hoffe, er hat es kapiert, Süße“, spuckte Cassidy hinaus. „Du bist nicht mehr zu retten. Er wird sich also für nichts und wieder nichts sein eigenes Grab schaufeln, wenn er es nicht lässt, nach dir zu suchen.“
Seine letzten Sätze waren an Zynismus nicht zu überbieten.
Juanita zitterte. Sie strich sich fahrig mit der Hand über das Gesicht.
Cassidy lachte kalt auf. „Bei dir lässt die Wirkung des Stoffs nach, Süße. Muss schlimm sein. Was meinst du, wie es dich schmeißt, wenn wir dir die Ration, die du brauchst, nicht mehr geben? Hoh, du wirst durch die Hölle gehen.“
„Gib mir – gib mir eine Zigarette“, würgte Juanita hervor. „Und dann bring mich zurück. Ich – ich …“
„Du musst dir einen Schuss drücken, ich weiß.“ Cassidys Lippen zogen sich zu einem hohnvollen Grinsen auseinander. „Komm, rauchen kannst du auch im Auto. Du kriegst dein Quantum, und dann wirst du dich wieder als fügsame und friedliche Chica erweisen. Und bete zu Gott, dass dein Vater es endlich sein lässt, irgendwelche Schnüffler auf deine Spur zu setzen. Es wird uns nämlich kein allzu großes Kopfzerbrechen bereiten, deinen alten Herrn zu seinen Ahnen zu versammeln. Und auf dich sind wir auch nicht unbedingt angewiesen, Süße. Wir können im Handumdrehen für Ersatz sorgen. Kein Hahn kräht nach einer mexikanischen Hure, die aus dem Hudson gefischt wird.
Er lachte widerlich.
Dann brachte er Juanita zurück in den Club „Sixty-Six“.
Nachdem Milo am Morgen zu mir in den Wagen gestiegen war und mir einen guten Morgen gewünscht hatte, sagte er: „Hast du‘s auch gehört in den Nachrichten, Partner? Gestern Abend wurde in der Thompson Street ein Rechtsanwalt auf offener Straße erschossen. Jack Grass sein Name. Arbeitete für Jefferson & Partner.“
Ja, ich hatte es ebenfalls aus dem Radio vernommen. „Nun“, sagte ich, indes ich den Sportwagen durch das Verkehrsgewühl steuerte und den Blick auf das vor mir fahrende Fahrzeug geheftet hatte, „auch Anwälte haben nicht nur Freunde. Wahrscheinlich war es ein enttäuschter Klient, dem Grass seine Rechnung schickte. Es fällt jedenfalls nicht in unsere Kompetenz. Es ist Sache der Homicide Squad. Also konzentrieren wir uns auf das Wesentliche.“
„Und das wäre?“ Milo schoss mir einen fragenden Seitenblick zu.
„Hast du den Berg Papier gesehen, der sich auf unseren Schreibtischen angehäuft hat?“, kam meine Gegenfrage und ich erwartete jetzt eine sauertöpfische Antwort.
Aber Milo ging nicht darauf ein. „Ich habe den Berg gesehen, und er erledigt sich nicht von selbst“, grinste er stattdessen. „Also stürzen wir uns auf ihn wie auf einen Feind. Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß.“
Irgendwie war ich enttäuscht. „Bist du krank?“, entrang es sich mir, und ich schenkte ihm einen schnellen, besorgten Blick. Mehr ließ der Verkehr, ließ diese Lawine aus Blech und Chrom nicht zu, in die wir mit dem Wagen eingekeilt waren.
„Sehe ich so aus?“, kam es von Milo.
„Ich erkenne dich nicht wieder. Ich erwartete Gemotze angesichts des Papierkrieges, der uns erwartet.“
„Man wird mit zunehmendem Alter abgeklärt, Partner“, versetzte Milo. „Schließlich findet man sich ab – und dann folgt die Resignation. Und die hat sich bei mir eingestellt.“
„Aha. Na schön. Aus dir spricht die Demut des Geschlagenen. Ich werde Mr. McKee bitten, dich in den Innendienst zu versetzen. Ein Hund, der auf die Jagd getragen werden muss, ist niemals ein guter Jagdhund.“
Milo seufzte. „Du verstehst es, einem alten, im Dienst ergrauten Agenten angesichts des vielen Papiers, das es zu sichten und auszuwerten gilt, die Motivation zu nehmen.“
Mein Handy schlug Alarm. Es lag in der Konsole beim Schaltknüppel. Milo nahm es, meldete sich und drückte den Lautsprecherknopf der Freisprechanlage. Es war Mr. McKee. Er war wieder einmal der erste im Federal Building. Der Chef war unermüdlich in seinem Kampf gegen das Verbrechen.
Mr. McKee, seines Zeichens Special Agent in Charge des FBI New York, sagte: „Morning, Milo. Ich erhielt soeben einen Anruf von Smith & Perkins. Es geht um den Mord an einem Rechtsanwalt gestern Abend. Sein Name ist Jack Grass. Er arbeitete für Jefferson & Partner. Smith und Perkins haben in seinem Auftrag nach einem Mädchen aus Mexiko geforscht. Die Spur führt in den Club Sixty-Six. Der Vater des Mädchens hat die Kanzlei mit den Nachforschungen beauftragt.“
„Wer ist Smith & Perkins, Sir?“, fragte Milo, nachdem es bei ihm durch war. „Jesse und ich sprachen im Übrigen soeben von dem toten Anwalt. Wieso ruft man deswegen das FBI an?“
„Smith & Perkins ist eine kleine Detektei in Chelsea. Das Mädchen, nach dem die Detektive im Auftrag des Anwalts forschten, heißt Juanita Carcia. Ihr Vater hat die Kanzlei beauftragt, nachdem seine Tochter mit der Aussicht, in den Staaten eine gutbezahlte Stellung zu erhalten, Mexiko verlassen hat. Juanitas Spur verlor sich allerdings. Von dem Mädchen kam kein einziges Lebenszeichen. Es ist anzunehmen, dass es im Club Sixty-Six zur Prostitution gezwungen wird. Und da sich diese Juanita Carcia illegal in den Staaten aufhält, kamen Smith & Perkins auf die Idee, das FBI einzuschalten.“
„Sie denken an einen Mädchenhändlerring, Sir?“
„Nun, es deutet viel darauf hin. Allerdings ergibt der Mord an dem Rechtsanwalt für mich keinen Sinn. Nehmen Sie und Jesse Verbindung mit der Mordkommission auf, Milo. Lieutenant Jenkins leitet die Ermittlungen.“
„Klar, Sir?“
„Gut. Ich höre von Ihnen.“
„Ja. Sobald wir mit Jenkins gesprochen haben, nehmen wir Verbindung mit Ihnen auf, um Ihnen zu berichten und das weitere Vorgehen abzustimmen. Sie haben uns den Tag gerettet, Sir.“
„Das freut mich aber, Milo“, kam es von Mr. McKee. „Tja, so kann man auch mit kleinen Sachen Agenten eine Freude machen.“ Der Chef lachte kurz auf, wurde aber sofort wieder ernst und fügte hinzu: „Sie wissen also Bescheid. Nehmen Sie mit Jenkins Verbindung auf. Vielleicht sprechen Sie mal in der Kanzlei vor, in der Grass arbeitete, und dann nehmen Sie den Club unter die Lupe. Mein Gefühl sagt mir, dass sich die Sache als Fall für das FBI entwickeln könnte.“
Milo stellte das Mobiltelefon in die Halterung der Freisprechanlage. „Du hast es gehört, Partner. Fangen wir bei Jenkins von der Mordkommission an.
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben“, philosophierte ich. „Ich meine den Papierkram …“
„Demotivator“, knurrte Milo.
Nun, wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass auch mich der Papierkrieg nervte. Und der heutige Tag hatte außer nervtötender Schreibtischarbeit keine Perspektiven geboten. Das hatte sich schlagartig geändert.
Ich nahm den Weg zum Police Departement unter die Räder des Sportwagen.
Noch hatten wir keine Ahnung, dass uns in den nächsten Tagen wieder einmal knallhart und glasklar vor Augen geführt werden sollte, dass bei einer gewissen Sorte Mensch die Beweggründe gar nicht niedrig genug angesetzt werden konnten.
Es fing wieder leicht zu nieseln an. Der Wind hatte sich in der Nacht gelegt. Dennoch war es kühl. Ich schaltete den Scheibenwischer auf Intervall. Es war nervenzermürbend, sich morgens durch das Verkehrschaos New Yorks zu kämpfen.
Schließlich aber ließen wir auch dieses morgendliche Tohuwabohu hinter uns. Wir saßen Lieutenant Jenkins in seinem Büro gegenüber. Jenkins schaute etwas übermüdet aus. Aber die Jungs von der Mordkommission wurden in unserer Stadt sehr oft über die Gebühr gefordert. Jenkins sagte: „Niemand hat den Mord beobachtet, G-men. Zumindest hat sich niemand gemeldet. Wir haben die Anwohner rund um den Platz befragt, an dem der Mord geschah. Niemand hörte einen Schuss. Wahrscheinlich hat der Mörder eine Waffe mit Schalldämpfer benutzt. Der Leichnam befindet sich in der Gerichtsmedizin. Das Geschoss ist nicht wieder aus dem Kopf ausgetreten. Es wird bei den Ballistikern landen. Und dann sehen wir weiter.“
„Haben Sie auch in der Kanzlei ermittelt, in der Grass beschäftigt war?“, fragte ich.
„Noch nicht, G-men. Gestern Abend war dort keiner mehr anzutreffen, und jetzt – entschuldigen Sie – halten Sie mich davon ab, dort meinen Job zu machen.“ Er griente schief.
„Das tut uns aber leid“, kam es spöttisch von Milo.
„Sie sind so mitfühlend, G-man“, meinte der Lieutenant mit einem gewissen Sarkasmus im Tonfall. „Aber Spaß beiseite. Wieso interessiert sich das FBI für den Fall? Steckt mehr dahinter als nur ein alltäglicher Mord?“
„Möglicherweise“, nickte ich. Dann erzählte ich Jenkins, was wir von Mr. McKee wussten.
Jenkins pfiff zwischen den Zähnen. Dann aber streute er seine Zweifel aus, indem er meinte: „Selbst wenn Grass in Zusammenarbeit mit der Detektei eine Spur des Girls gefunden hat, und diese Spur führt zu einem Mädchenhändlerring – der Mord an dem Anwalt ist für mich nicht ganz verständlich. Falls der oder die Mörder in dem Club zu suchen sind – er kann, respektive sie können doch nicht annehmen, dass sie mit Grass‘ Tod aus dem Schneider sind.“
„Zu diesem Schluss sind wir auch gekommen“, mischte sich Milo wieder ein. Er beugte sich ein wenig vor. „Haben Sie etwas dagegen, Lieutenant, wenn mein Partner und ich uns an Ihrer Stelle ein wenig an Grass‘ Arbeitsplatz umsehen?“
„Heißt das, das FBI übernimmt den Fall?“, erkundigte sich Jenkins hoffnungsvoll.
„Das wissen wir noch nicht“, gab ich Bescheid. „Wenn die Spur des Mörders oder der Mörder allerdings zu dem Club führt und wir dort auf illegale Prostitution mit all ihren Nebenerscheinungen stoßen, dann denke, ich dass wir die weiteren Ermittlungen führen.“
„Mit Nebenerscheinungen meinen Sie Menschenhandel, Nötigung, Drogenmissbrauch und so weiter und so weiter, nicht wahr?“, kam es von Jenkins.
„Richtig“, bestätigte ich. Ich erhob mich und reichte ihm die Hand. Er ergriff sie. „Wir melden uns wieder bei Ihnen, Lieutenant“, versprach ich.
Auch Milo verabschiedete sich. „Sollten Ihnen noch irgendwelche Erkenntnisse auf den Schreibtisch flattern“, meinte er, „dann lassen Sie uns daran teilhaben.“
„Es wird mir ein Vergnügen sein, Special Agent“, grinste der Lieutenant, und jeder Zug in seinem Gesicht verriet, dass er den Fall gerne an uns abgetreten hätte.
Wir saßen wieder im Wagen. Viel hatten wir nicht in Erfahrung gebracht. Wir hatten einen ermordeten Rechtsanwalt und eine vage Spur zu diesem Club 66.
Die Kanzlei Jefferson & Partner hatte ihren Sitz in der Broome Street, Ecke Thompson Street, in der Jack Grass niedergeschossen wurde. Jefferson hieß mit Vornamen Jed. Das hatte ihm den Spitznamen J.J. eingebracht.
Der Chef der Kanzlei empfing uns. Jefferson war ein Mann um die 50, grauhaarig, schwergewichtig und von natürlicher Autorität. Er verstrahlte Ruhe, und man konnte sofort zu ihm Vertrauen gewinnen. Natürlich war er erschüttert, fassungslos und auch entsetzt angesichts der Gewalttat an seinem Mitarbeiter. Er erklärte uns, dass der Zusatz „& Partner“ in seinem Kanzleinamen eben den getöteten Jack Grass beinhaltete, darüber hinaus eine Anwältin namens Judith Benson, die an diesem Vormittag allerdings einen Termin bei Gericht wahrzunehmen hatte.
Ich erklärte dem Anwalt, was das FBI bewogen hatte, sich mit der Angelegenheit zu befassen.
Als er mich ansah, schienen seine Augen hinter seiner Brille zu funkeln. Aber das war wohl das Neonlicht in seinem Büro, das auf dem Glas reflektiert wurde. J.J. nickte und erhob seine Stimme.
„Ja, da war was mit einer Mexikanerin, die sich bei ihren Eltern seit vielen Wochen nicht mehr gemeldet hat. Was Näheres weiß ich allerdings auch nicht. Jeder von uns drei Anwälten in der Kanzlei bearbeitet seine Fälle in eigener Regie. Man müsste sich vielleicht mal den Arbeitsplatz Jacks näher ansehen. Vielleicht findet sich ein Hinweis.“
„Eine gute Idee“, lobte Milo. „Zeigen Sie uns Grass‘ Büro?“
Wir standen auf. Plötzlich stutzte J.J. „Eine Frage, G-men: Jack kam immer mit ‘nem Aktenkoffer ins Büro. Er nahm sich fast jeden Tag Arbeit mit nach Hause. Hat die Mordkommission in dem Koffer keine Hinweise gefunden?“
Wir schauten uns an. Von einem Aktenkoffer wussten wir nichts. Ich nagte an meiner Unterlippe, dann fragte ich: „Darf ich mal Ihr Telefon benutzen, Sir?“
Er wies einladend auf den Apparat und nickte. Ich ließ mich mit Lieutenant Jenkins von der Homicide Squad verbinden.
„Nein“, gab der Lieutenant zu verstehen, „ein Aktenkoffer befand sich nicht bei der Leiche. Davon hat auch der Mann, der Grass auf dem Gehsteig gefunden hatte, nichts berichtet. Ebenso wenig die Kids, die dazugekommen sind. Vielleicht hat Grass ausgerechnet gestern seinen Koffer zu Hause gelassen.“
Ich bedankte mich und legte auf.
J.J. führte uns in Jack Grass‘ Büro. Während Milo Schreibtisch und Schränke durchwühlte, fuhr ich den Computer hoch. Aber das Betriebssystem verlangte ein Kennwort. J.J. kannte es nicht. Auch keine der Sekretärinnen.
„Dann müssen wir das Gerät beschlagnahmen“, tat ich kund. „Unsere PC-Experten knacken den Code schon.“
Da verlautbarte Milo: „Er hat ‘ne Akte über den Fall angelegt. Ein Mann namens Fernando Carcia hat ihn mit der Suche nach seiner Tochter Juanita beauftragt. Das Girl ist siebzehn und wurde vor fast vier Monaten mit der Aussicht auf einen gut bezahlten Job in die USA gelockt. Seitdem hörte Carcia nichts mehr von ihr. Da ist auch der Bericht der Detektei …“
„Den Ordner nehmen wir auch mit“, sagte ich.
J.J. hatte nichts dagegen einzuwenden. Er wusste, dass wir seit dem Erlass des „Patriot Act“ keinen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl mehr benötigten.
Ich fragte den Rechtsanwalt noch nach der Wohnadresse Jack Grass‘.
„Einhundertzwölf Prince Street“, gab er bereitwillig Auskunft.
„Das ist ja sozusagen um die Ecke“, knurrte Milo.
„Darum benutzte Jack auch kein Auto für den Weg zur Arbeit“, sagte J.J.
Ich zog die Anschlüsse für den Drucker und den Bildschirm aus dem Rechner und das Stromkabel aus der Steckdose, dann klemmte ich mir den Big-Tower unter den Arm. Milo trug die Akte. So bepackt verabschiedete ich mich von dem Rechtsanwalt. Milo folgte mir zum Aufzug. Auf der Straße angekommen verstaute ich den PC im Kofferraum des Sportwagen, die Akte behielt Milo in der Hand. Während ich den Wagen zur Prince Street steuerte, studierte Milo die Aufzeichnungen ziemlich aufmerksam.
Allzu lange konnte er sich seinen Studien allerdings nicht hingeben, denn ich fand direkt vor der No. 112 in der Prince Street einen Parkplatz, in den ich den roten Flitzer quetschte.
Wir stiegen aus. Nieselregen schlug uns in die Gesichter. Es war ein Sauwetter allererster Ordnung. Man jagte keinen Hund vor das Haus.
Es handelte sich um ein renoviertes Appartementhaus, in dem Jack Grass eine Wohnung hatte. Eine Treppe führte zur Haustüre hinauf. Der Gehsteig vor dem Gebäude war sauber. Die Mülltonnen standen sicherlich im Hinterhof.
Wir hatten vergessen zu fragen, in welchem Stockwerk sich die Wohnung befand. Einen Portier gab es nicht, also stiegen wir von einer Etage zu anderen, bis wir endlich im 4. Stock fündig wurden.
Milo legte den Daumen auf den Klingelknopf. Im Flur schellte es. Er wiederholte den Vorgang. Niemand öffnete. Wir wussten jedoch, dass Grass verheiratet war. Milo läutete noch zweimal, dann gaben wir auf. Ich vermerkte auf einer Visitenkarte, dass die Frau von Grass, sobald sie wieder zu Hause sei, mit uns Verbindung aufnehmen sollte und steckte das Kärtchen in den Briefschlitz der Tür.
Dann trabten wir wieder die Treppen hinunter nach unten.
„Und jetzt?“, kam es von Milo.
„Zur Detektei Smith und Perkins, Chelsea“, sagte ich.
Milo nickte.
Smith hieß mit Vornamen Wesley, Perkins hatten seine Eltern auf Reginald getauft.
Wir hatten das Vergnügen mit Reginald Perkins. Der Bursche hatte den unsteten Blick eines Frettchens. Irgendwie wollte er nicht so recht heraus mit der Sprache. Er druckste herum. Schließlich aber sagte er: „Ja, Grass hat uns eingeschaltet. Von einem Keeper im Club Sixty-Six erfuhr ich, dass es dort eine etwa siebzehnjährige Juanita gibt. Ein Geheimtipp, der mich einiges gekostet hat. Sie arbeitet dort seit ungefähr drei Monaten als Prostituierte. Rangekommen sind wir an die Kleine nicht. Das horizontale Gewerbe wird über dem Club ausgeübt und ein Türsteher mit den Ausmaßen eines Kleiderschrank lässt nur einen handverlesenen Kundenkreis hinein. Ob es sich um Juanita Carcia handelt, weiß ich auch nicht genau. Allerdings gibt es vom Alter des Girls und von der Zeit her, die es im Club arbeitet, Übereinstimmungen.“
„Wer ist Besitzer des Clubs?, fragte Milo.
„Ein gewisser Patrick Fletcher“, erwiderte der Detektiv widerstrebend.
„Haben Sie sonst noch irgendwelche Erkenntnisse gewonnen?“, fragte ich. „Was ist das überhaupt für ein Schuppen?“
„Hm“, Perkins zuckte mit den Achseln, „ich würde ihn als Disco bezeichnen. Ich war zwar dort, aber mir ist nichts aufgefallen, was als kriminell einzustufen wäre. Wenn Sie von mir wissen wollen, ob dort gehascht oder gefixt oder ob in der oberen Etage illegale Prostitution ausgeübt wird, dann bin ich überfragt. Dies festzustellen war auch gar nicht mein Auftrag.“
„Ihrem Bericht, den Sie Grass überlassen haben, gibt es sozusagen nichts hinzuzufügen“, knurrte Milo.
„Nein.“
Dieser Besuch hatte uns also auch nicht weitergebracht.
Wir fuhren zurück ins Federal Building. Den beschlagnahmten PC überließ ich Craig E. Smith, unserem Computerfachmann. Mit der Akte aus Jack Grass‘ Büro begaben wir uns zum SAC, zu Mr. McKee also.
Den Club „Sixty-Six“ brauchten wir um diese Tageszeit noch nicht aufsuchen.
Das Flugzeug, das Fernando Carcia in die Staaten brachte, landete um 14 Uhr 30 auf JFK-Airport. Nachdem Carcia in der Nacht vorher nach fast vier Monaten das erste Lebenszeichen von seiner Tochter erhielt, hielt ihn nichts mehr in Queretaro. Dort lebte er mit seiner Familie. Von einigen Verwandten hatte Fernando Carcia sich das Geld für das Flugticket und den Aufenthalt in New York geliehen. Am Morgen hatte er in Mexiko City gebucht.
Er hatte nur Handgepäck dabei. Beim Zoll gab es kein Problem. Dann stand Carcia vor dem Flughafengebäude und winkte einem Taxi. Am Steuer saß ein Schwarzer. Carcia warf sich auf den Rücksitz.
„Zur Kanzlei Jefferson & Partner in der Broome Street, Manhattan“, sagte er in holprigem Englisch. Obwohl ihm Mike Cassidy am Telefon gesagt hatte, das Jack Grass tot sei – Fernando Carcia glaubte nicht daran. Er hielt es für einen plumpen Versuch, ihn einzuschüchtern.
Carcia war 39 Jahre alt und mittelgroß. Er war seit über einem Jahr arbeitslos. Die Familie lebte von der Hand in den Mund. Schmalhans war Küchenmeister. Darum hatte Carcia auch nichts dagegen, als seine Tochter ihm eröffnete, dass sie in die USA gehen und dort arbeiten wollte. Sie versprach, Geld nach Hause zu schicken …
Erst kam fast vier Monate lang kein Lebenszeichen von Juanita, und die Sorge um sie zerfraß ihn. Gestern nahm sie mit ihm Verbindung auf, und seit dieser Stunde wusste er, dass seine Sorge nicht unbegründet gewesen war.
Fernando Carcia hatte sich vorgenommen, seine Tochter herauszuholen aus dem Sumpf, in dem er sie vermutete.
Der Cab-Driver hielt sich akribisch an die vorgeschriebenen Geschwindigkeiten. Die Ungeduld brachte das Blut des Mexikaners zur Wallung. Es ging über die Williamsburg Bridge. Sie waren in Manhattan.
Seit dem Anruf in der Nacht fluteten die Worte des Kerls, der nach Juanita an der Strippe war, durch Carcias Verstand. Er hatte gedroht, ihn zu töten, sollte er die Suche nach Juanita nicht einstellen. Er hatte darüber hinaus keinen Zweifel offen gelassen, dass Juanita Schlimmes widerfahren würde.
Fernando Carcia wurde fast wahnsinnig beim Gedanken daran. Als sie in der Broome Street ankamen, war es 16 Uhr 30 vorbei. Seit er amerikanischen Boden betreten hatte, waren mehr als zwei Stunden vergangen. Fernando Carcia schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er in der Kanzlei noch jemand antraf.
Er zahlte die Taxigebühr. Das Yellow-Cab rollte davon. Etwas einsam und verloren stand der Mexikaner zwischen den hohen Häusern und Wolkenkratzern. Er kam sich klein und mickrig vor. Aber er kannte das von Mexiko City. Nur schien ihm hier noch alles erdrückender und bedrohlicher.
Aber in dieser Stadt war Juanita. Er würde sie nach Hause mitnehmen. Fernando Carcia hatte erst gar kein Rückflugticket gelöst, weil er keine Ahnung hatte, wie lange sein Aufenthalt im Big Apple dauern würde.
Er fragte den Portier nach der Kanzlei und wurde in die siebte Etage verwiesen. Carcia nahm den Aufzug. Oben verriet eine Glastür mit der entsprechenden Aufschrift, dass er richtig war. Er läutete, der Türsummer ging, Carcia atmete auf.
Eine Sekretärin fragte ihn nach seinem Namen und ob er einen Termin bei einem der Anwälte vereinbart habe.
„Ich habe von Mexiko aus erst telefonisch, dann schriftlich Señor Grass engagiert, damit er in New York meine Tochter ausfindig macht. Gestern erhielt ich einen Anruf von meiner Tochter. Sie befindet sich in den Händen schmutziger Zuhälter. Darüber will ich mit Señor Grass sprechen.“
Das etwas bleiche Gesicht der Sekretärin nahm einen weinerlichen Ausdruck an. Und tatsächlich wurden ihre Augen wässrig. Ihre Lippen zuckten, sie musste zweimal ansetzen, dann würgte sie hervor: „Mr. Grass ist tot.“ Das im Verwelken begriffene Girl schluckte, schniefte und holte ein weißes Taschentuch aus ihrem Ärmel, mit dem es sich die Augen abtupfte.
„Tot!“, echote Carcia und schaute ungläubig. „Madre de Dios“, entfuhr es ihm, als er es verdaut hatte. „Dann stimmt es also, was mir der Hombre am Telefon sagte.“ Sein Kinn sank auf die Brust. Er presste die Lippen zusammen. Ein bitter Ausdruck kerbte sich in seine Mundwinkel. Schlagartig begriff er, dass es nicht nur niederträchtige Zuhälter waren, in deren Händen sich Juanita befand. Es waren Verbrecher, die vor nichts zurückschreckten. Auch nicht vor Mord.
„Was sagte denn der Hombre am Telefon?“, erklang es hinter Fernando Carcia.
Der Mexikaner drehte sich um. Seine Schultern waren nach vorne gesunken, als drückte sie eine zentnerschwere Last nach unten.
Unter der Tür zu seinem Büro stand J.J. Er musterte Fernando Carcia, fixierte ihn von oben bis unten, schien ihn regelrecht zu erforschen.
„Wer sind Sie, Señor?“, fragte Carcia, und seine Stimme klang zittrig, als flatterten seine Stimmbänder. In seinem Kopf rotierten die Gedanken. Sie ließen sich nicht mehr ordnen. Wie verrückt hämmerte sein Herz gegen die Rippen. Angst und Sorge um seine blutjunge Tochter durchrannen ihn wie ätzende Säure.
„Mein Name ist Jefferson, Jed Jefferson, Mister – äh …“
„Carcia. Fernando Carcia. Ich – ich komme direkt von Mexiko herauf.“ Carcia räusperte sich den Hals frei. Er befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. Dann fuhr er mit gefestigter Stimme fort: „Ihr Partner, Señor Grass also, war für mich tätig. Gestern erhielt ich einen Anruf von meiner Tochter. Sie klang, als wäre sie betrunken. Dann sprach ein Mann ins Telefon. Er riet mir, mit den Nachforschungen nach Juanita Schluss zu machen, da ich sonst sterben würde. Er wusste, dass ich Señor Grass mit der Suche nach meiner Tochter beauftragt hatte.“
Fernando unterbrach sich, dachte angestrengt nach, seine Brauen hatten sich zusammengeschoben und bildeten nur noch einen schwarzen, durchgehenden Strich. Dann schien er seine nächsten Worte im Kopf formuliert zu haben. Seine Lippen sprangen auseinander. „Der Hombre sagte, dass der Anwalt, den ich mit der Sache betraute, daraus Kapital zu schlagen versuchte und dass er tot sei. – Si, si, genauso sagte er es.“
Die Worte fielen wie Hammerschläge.
Jeffersons Miene verdüsterte sich. Er schoss der Sekretärin einen schnellen, prüfenden Blick zu, dann winkte er mit einer knappen Geste seiner Rechte und murmelte: „Kommen Sie in mein Büro, Mr. Carcia.“
J.J. ließ den Mexikaner an sich vorbei und schloss die Tür. Er wies auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch und ließ sich selbst nieder. „Dann erzählen Sie mir mal von dem Gespräch mit Ihrer Tochter und dem Mann, der Sie bedrohte, Mr. Carcia.“
„Ich war ziemlich erregt, als ich Juanitas Stimme hörte“, begann der Mexikaner nach kurzer Überlegung. „Vielleicht habe ich in meiner Erregung manches überhört oder nicht ganz richtig verstanden. Es war gegen Mitternacht …“
Er berichtete stockend.
J.J. starrte eine ganze Zeit versonnen auf einen unbestimmten Punkt an der Wand. Er schien Fernando Carcia während dieser Zeitspanne gar nicht wahrzunehmen. Plötzlich blinzelte er, es schien, als kehrten seine Gedanken aus weiter Ferne zurück. Wie ein Erwachender schaute er Carcia an, dann presste er zwischen den Zähnen hervor: „Und Sie sind ganz sicher, dass er sagte, dass der Anwalt aus der Angelegenheit Kapital zu schlagen versuchte und dass man ihn deshalb umgebracht habe?“
„Si, Señor. Dessen bin ich mir sicher.“ Der Mexikaner nickte wiederholt, um seinen Worten auf diese Weise Nachdruck zu verleihen.
Wieder versank J.J. ins Grübeln. Als Fernando Carcia sprach, schlugen seine Worte wie Schwerthiebe in seine düsteren Gedanken. Carcia stieß hervor: „Dann hat Señor Grass wohl eine Spur zu Juanita aufgenommen, Señor Jefferson. Vielleicht wusste er, wer meine Tochter festhält. Und er hat versucht, diesen Schuft zu erpressen. Mir jedenfalls hat der Anwalt nichts davon mitgeteilt, dass er Hinweise auf Juanitas Aufenthalt gefunden hätte. Ist das nicht seltsam?“
Durchdringend musterte Fernando Carcia den Rechtsanwalt.
„Es gibt eine Spur, Mr. Carcia. Zwischenzeitlich ist das FBI mit der Sache befasst. Grass hat eine Detektei mit der Suche nach Ihrer Tochter beauftragt. Man ist auf eine Juanita gestoßen, die im Club Sixty-Six auf den Strich geht. Unsicher ist, ob es sich um Ihre Tochter handelt.“
In Carcias Augen schimmerte es plötzlich hellwach. „Club Sixty-Six? Wo ist der?“
„Sie wollen doch nicht etwa da hin, um nach Ihrer Tochter zu suchen?“, kam es entsetzt von J.J. „Wollen Sie auch erschossen werden wie Grass? Das kann nicht Ihr Ernst sein, Carcia.“
„Juanita geht es schätzungsweise ziemlich dreckig, Señor“, versetzte der Mexikaner mit Entschiedenheit im Tonfall. „Ich habe nach dem Anruf in der vergangenen Nacht an nichts mehr anderes denken können, als meine kleine Chica aus den Klauen der elenden Bastarde zu befreien. Sie war nicht betrunken, als sie mit mir sprach. Sie stand unter Drogen. Davon bin ich zwischenzeitlich überzeugt.“
Carcia holte rasselnd Luft. Dann sprach er mit gesenkter Stimme weiter: „Sie ist in dieses Land gegangen und war voller Hoffnungen. Zwei Männer aus Mexiko City waren es, die ihr diese angeblich einmalige Chance boten. Sie sprachen Juanita in einer Discothek an. Ich habe diese Männer zur Rede gestellt, nachdem ich nichts mehr von Juanita hörte. Sie erklärten mir, dass sie den Mädchen, die sie in die Staaten vermitteln, lediglich ein Ticket nach Galveston in Texas besorgten. Von da an seien sie sich selbst überlassen.“
„Wer sind diese Männer?“
„Ihre Namen sind Pablo Santez und Carlos Mendoza.“
„In wessen Auftrag werben sie die Mädchen an?“
„Im Auftrag der Vermittlungsagentur, für die sie arbeiten. Sie schließen mit den Chicas Verträge, wonach die ihnen nach Ablauf eines halben Jahres, in dem sie in den Staaten Geld verdienen, zweitausend Dollar überweisen.“
„Und wenn ihnen die Mädchen das Geld nicht bezahlen?“
Carcia zuckte mit den Achseln. Er ließ den Kopf sinken. „Was Juanita anbetrifft, habe ich als Bürge den Vertrag mit unterzeichnet“, gab er dann kleinlaut und bedrückt zu. „Ich weiß jetzt, dass das ein Fehler war. Damals aber …“ Er schaute wieder den Rechtsanwalt an. „Die beiden sprachen von viel Geld, das Juanita in Amerika verdienen würde. Wir sind arm. Juanita wollte uns, ihre Familie also, finanziell unterstützen. Wer konnte denn ahnen, dass sich alles so entwickelt?“
„Sie sind niederträchtigen Mädchenhändlern auf den Leim gegangen, Carcia“, knirschte J.J. „Und da der Mord an meinem Partner bewiesen hat, dass sie vor keiner Schandtat zurückschrecken, sollten Sie sich tunlichst zurückhalten. Sprechen Sie mit den Special Agents Trevellian und Tucker vom FBI. Sie sind in den Fall eingeschalten und nehmen an, dass eine Mafia hinter den zwielichtigen Geschäften mit den Mädchen steckt. Unternehmen Sie auf keinen Fall etwas auf eigene Faust, Mr. Carcia.“
„Ich suche mir jetzt ein Hotel“, erklärte Fernando und erhob sich. „Wie sagten Sie? Trevellian und Tucker?“
„Ja. Du Nummer des FBI finden Sie in jedem Telefonbuch.“
Carcia verließ die Kanzlei.
Wir wussten zwischenzeitlich, dass die Kugel, die Jack Grass getötet hatte, aus einer nicht registrierten Waffe stammte.
Die Gattin von Jack Grass hatte am Nachmittag angerufen. Die Frau war verständlicherweise total aufgelöst. Sie sei bei ihrer Schwester gewesen, weil sie es nach dem schrecklichen Geschehen alleine in der Wohnung nicht ausgehalten habe, gab sie mir zu verstehen, und ich hörte sie dabei leise weinen, als sie von ihren Empfindungen überwältigt wurde. Außerdem hatten in der Nacht und am Morgen schon einige Zeitungsleute und der Reporter eines lokalen Fernsehsenders vor ihrer Wohnungstür gestanden. Jetzt sei ihre Schwester bei ihr. Sie habe aber nicht vor, in der Wohnung zu bleiben. Sie hole sich nur das Notwendigste, weil sie einige Tage bei ihrer Schwester wohnen wollte.
Ich fragte sie, ob wir bei ihr vorbeikommen könnten, um uns ein wenig in der Wohnung umzusehen. Außerdem wollte ich von ihr wissen, ob der Aktenkoffer ihres Mannes zu Hause sei.
Sie verneinte es, nachdem sie für kurze Zeit den Telefonhörer aus der Hand gelegt hatte.
„Wir sind in einer Viertelstunde bei Ihnen, Mrs. Grass. Es dauert auch nicht lange. Wir möchten uns nur mal das Arbeitszimmer Ihres Mannes ansehen.“
„Weshalb eigentlich, Mr. Trevellian?“, fragte die Frau fast schroff. „Sie denken doch nicht, dass mein Mann in irgendwelche dunklen Geschäfte verwickelt war?“
„Nein“, erwiderte ich, und zu diesem Zeitpunkt war ich noch fest von dieser Aussage überzeugt. „Wir suchen nach einem Hinweis auf seinen Mörder.“
Am anderen Ende der Strippe hörte ich im Hintergrund die Glocke bimmeln. Mrs. Grass sagte mit brüchiger Stimme: „Sieh mal nach, wer da läutet, Liz. Wenn es wieder ein Reporter oder ein neugieriger Nachbar ist, dann sag ihm, dass ich meine Ruhe haben will. – Entschuldigen Sie, Mr. Trevellian.“ Jetzt fielen ihre Worte wieder etwas gefestigter. „Aber diese Zeitungsleute sind derart lästig. Ich kann einfach nicht mit ihnen über meinen Mann reden. Pietät ist denen ein Fremdwort.“
Ich glaubte einen leisen Vorwurf aus dem Tonfall, in dem sie sprach, entnehmen zu können, und hatte das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen: „Uns ist daran gelegen, das Verbrechen, das an Ihrem Mann begangen wurde, aufzuklären, Mrs. Grass. Wir …“
„Ich rede nicht von Ihnen, Mr. Trevellian. Ich rede von den Medienleuten, denen es nur um hohe Verkaufszahlen und Einschaltquoten geht. Denen ist es nur wichtig, die Sensationsgier irgendwelcher Leser, Hörer und Zuschauer zu befriedigen. Und ihnen Rede und Antwort zu stehen fühle ich mich bei Gott nicht in der Lage.“
Das konnte ich nachfühlen. Und ich sagte dies auch der Frau. Dann verabschiedete ich mich und wies noch einmal darauf hin, dass wir sofort losfahren würden.
Ich griff mir meine Jacke. Milo, der mitgehört hatte, ebenfalls. Wir verließen unser gemeinsames Büro hoch oben im Field Office an der Federal Plaza. Mit dem Aufzug fuhren wir nach unten.
Besondere Eile hatten wir nicht.
Hätten wir allerdings geahnt, was sich in der Wohnung von Jack Grass abspielte, wären wir wahrscheinlich geflogen.
Liz Bradford, Mrs. Grass‘ Schwester, war zur Korridortür gegangen. Sie war eine attraktive Mittdreißigerin mit blonden Haaren und einem interessanten, anziehenden Gesicht. Sie öffnete die Tür, soweit es die Sicherungskette zuließ. Draußen stand ein Mann. Er war Ende zwanzig, hatte brünette Haare und war mit Jeans, Jeanshemd und Jeansjacke bekleidet. Auffallend waren die dünnen, schwarzen Lederhandschuhe, die er trug. Aber darauf achtete Liz Bradford nicht. Der Bursche lächelte freundlich. Ehe er jedoch etwas sagen konnte, fuhr ihn Liz Bradford an:
„Können Sie denn nicht verstehen, dass meine Schwester vom tragischen Tod ihres Mannes tief erschüttert und psychisch nicht in der Lage ist, darüber zu sprechen. Lassen Sie Fran in Ruhe, Mister. Und sagen Sie das auch gleich Ihren Kollegen, falls sich noch einige von ihnen vor dem Haus herumtreiben.“
„Mein Name ist Sam Bushman, Ma‘am“, stellte sich der freundlich lächelnde Bursche vor. Er griff in die Innentasche seiner Jacke, holte eine kleine Mappe hervor und klappte sie auf. Es war eine ID-Card des NYPD. „Mordkommission. Es sind nur zwei Fragen, die ich Mrs. Grass zu stellen habe.“
Ehe Liz Bradford den Ausweis richtig lesen und betrachten konnte, klappte der Mann das Mäppchen schon wieder zu und ließ es in seiner Jacke verschwinden. Sein Grinsen mutete an, als wäre es in sein Gesicht hineingewachsen.
„Sie hat soeben mit einem Agenten vom FBI gesprochen“, erklärte Liz. Dann rief sie über die Schulter: „Fran, komm doch mal her. Da ist ein Beamter von der Mordkommission, der dir zwei Fragen stellen möchte.“
Als sie ihr Gesicht wieder dem Besucher zuwandte, war dessen Grinsen wie weggewischt. Seine Augen glitzerten kalt. Und in seiner Faust lag eine Beretta mit aufgeschraubtem Schalldämpfer, die durch den Türspalt auf Liz Bradford wies. Und ehe die Frau sich versah, warf sich der Bursche mit der Schulter gegen die Tür. Die Platte der Sicherungskette wurde samt Schrauben aus dem Türblatt gefetzt. Die Tür flog auf, Liz wurde getroffen und taumelte erschreckt und total perplex zwei Schritte zurück.
Der Bursche drängte sich in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Fran Grass, die soeben unter der Tür zum Wohnzimmer erschienen war, hielt an, als wäre sie gegen eine unsichtbare Wand gelaufen.
„Was ist mit dem FBI?“, schnarrte der Mann, der sich als Sam Bushman von der Mordkommission vorgestellt hatte. Die Mündung des Schalldämpfers pendelte zwischen den beiden Frauen hin und her. Sein Gesicht hatte sich verkrampft, hart traten die Backenknochen daraus hervor. Das Eis in seinen Augen ließ den beiden Frauen das Blut in den Adern gefrieren.
„Der Agent – er rief mich an, weil er mit mir sprechen will“, stammelte Fran Grass und die Angst vor der Pistole ließ sie erbeben.