Trevellian und die
Blutnacht von Brooklyn
Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 122
Taschenbuchseiten.
Eine Party, veranstaltet von zwei eigentlich verfeindeten
Verbrechern, endet in einem Blutbad. 25 Menschen sterben. Gibt es
einen unbekannten Konkurrenten, der die Bezirke übernehmen will?
Die FBI-Agenten Trevellian und Tucker suchen Täter und Motiv, aber
die Mörder verwischen ihre Spuren zu gut.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
1
Die Party hatte ihren Höhepunkt erreicht. Die Stimmung war
ausgelassen. Die Bosse verstanden es, zu feiern. Wie alle Jahre
bekräftigen sie mit dem Fest den Waffenstillstand, den sie
vereinbart hatten.
Der Alkohol floss in Strömen. Gelächter, Grölen und Johlen
erfüllte die Disco in Brooklyn, die Joshua Hollister und Mathew
Holbrock extra für diesen Abend angemietet hatten. Die beiden
Mafiosi saßen an einem Tisch, umgeben von ihren Leibwächtern.
Es ging auf Mitternacht zu, als die Tür aufflog. Maskierte
drängten in den Gastraum. Sie hielten Maschinenpistolen in den
Fäusten. Ehe jemand so richtig begriff, begannen die
Maschinenpistolen zu hämmern. Mündungslichter flackerten. Menschen
wurden herumgerissen und geschüttelt und brachen tot oder sterbend
zusammen.
Ich hörte von dem Überfall in den Morgennachrichten. Der
Nachrichtensprecher bezifferte die Zahl der Getöteten auf
fünfundzwanzig. Eine ganze Reihe von Partygästen waren verletzt
worden. Die Mörder waren nach der blutigen Aktion spurlos
verschwunden.
Ich holte Milo an unserer Ecke ab. Nachdem er zugestiegen war
und wir uns begrüßt hatten, sagte ich: »Ich denke, wir haben einen
neuen Fall, Kollege.«
»Sag bloß.«
Ich nickte, dann erzählte ich Milo, was ich aus den
Nachrichten wusste. Er pfiff zwischen den Zähnen. »Das schlägt auf
den nüchternen Magen. Lieber Himmel, fünfundzwanzig Tote. Was mag
der Grund für diesen Überfall gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht, doch wir werden uns informieren.
Vielleicht gibt es schon nähere Erkenntnisse.«
Von nun an schwiegen wir. Jeder hing seinen eigenen Gedanken
nach. Der morgendliche Verkehr war wieder einmal extrem. Stop and
go. Immer wieder glühten die Bremslichter des vor uns fahrenden
Wagens auf. Bremsen, anfahren, bremsen … Es brachte die Nerven zum
Schwingen, aber ich zwang mich wie jeden Tag, gelassen zu bleiben.
Man musste es einfach akzeptieren.
Irgendwann erreicht man auch in Manhattan sein Ziel. Von der
Federal Plaza aus lenkte ich den Sportwagen in die Tiefgarage des
Bundesgebäudes. Dann fuhren wir mit dem Aufzug hinauf in den
dreiundzwanzigsten Stock. Als wir unser Büro betraten, läutete
schon das Telefon.
Ich schnappte mir den Hörer, hob ihn vor mein Gesicht und
nannte meinen Namen. Es war Mr. McKee. »Guten Morgen, Jesse. Kommen
Sie und Milo doch bitte gleich zu mir.«
»In Ordnung.« Ich legte auf. »Zum Chef.« Mein Zeigefinger
stach, während ich das sagte, in Richtung der Tür.
Wenig später betraten wir das Büro des Assistant Directors. Er
kam um seinen Schreibtisch herum und begrüßte uns per Handschlag,
dann forderte er uns auf, am Besprechungstisch Platz zu nehmen. Als
wir saßen, ergriff er sogleich das Wort, indem er sagte: »Ich
denke, Sie haben es bereits in den Nachrichten gehört. Gegen
Mitternacht gab es einen Massenmord in einer Diskothek in Brooklyn.
Fünfundzwanzig Menschen wurden getötet, unter ihnen Joshua
Hollister.«
Milo kniff die Augen zusammen.
»Joshua Hollister!«, stieß ich hervor. »Der Joshua
Hollister?«
Mr. McKee nickte. »Ja, der Mafioso. Auch Mathew Holbrock war
anwesend. Er erlitt einen Oberarmdurchschuss.«
»Damit stellt sich die Angelegenheit in einem völlig neuen
Licht dar«, erklärte Milo.
»Was meinst du?«, fragte ich.
»Nun, wenn es jemand auf die beiden Bosse abgesehen hat, muss
das jemand sein, der ins Geschäft drängt. Hollister kontrollierte
das Gebiet nördlich der siebenundfünfzigste Straße, Holbrock hat
sich das Gebiet südlich der siebenundfünfzigsten unter den Nagel
gerissen. Wir alle wissen, was Sache ist. Leider ist es uns bisher
nicht gelungen, den beiden Schurken etwas am Zeug zu
flicken.«
»Sie denken an einen Bandenkrieg, Milo?«, fragte der Assistant
Director und fixierte meinen Partner.
»Es ist nicht auszuschließen«, knurrte Milo.
Der Chef spitzte die Lippen. »Kümmern Sie sich um die
Angelegenheit. Nehmen Sie mit der Mordkommission Verbindung auf.
Das Schlimmste, das uns passieren könnte, wäre ein Bandenkrieg.
Versuchen Sie, das Übel an der Wurzel zu packen und im Keim zu
ersticken.«
»Wir werden unser Möglichstes tun, Sir«, versprach ich.
»Ich weiß. Bei Ihnen ist der Fall in den besten Händen.«
Wir waren entlassen. Zurück in unserem Büro rief ich das
Police Department an und hatte wenig später Detective Lieutenant
Harry Easton, genannt Cleary, von der Mordkommission an der
Strippe. Ich sprach ihn auf die Ereignisse in der Nacht an.
Harry seufzte, dann sagte er: »Entsprechend der Zeugenaussagen
handelte es sich um ein halbes Dutzend Maskierter. Sie drangen in
die Disco ein und eröffneten ohne jede Warnung das Feuer. Ebenso
schnell, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden sie wieder. Wie es
aussieht, hinterließen sie keine Spuren. Wir nehmen an, dass jemand
versucht, Hollister und Holbrock aus dem Geschäft zu schießen, um
deren Reviere zu übernehmen. Im Moment haben wir jedoch keine
Ahnung, wo wir ansetzen sollen.«
»Das FBI übernimmt den Fall«, sagte ich. »Darum bitte ich
dich, Harry, uns die Ergebnisse der Spurensicherung
zuzuleiten.«
»Die erste gute Nachricht an diesem Tag«, gab Harry Easton
brummig zu verstehen. »Ich muss allerdings zugeben, dass ihr nicht
zu beneiden seid.«
»Wenigstens einer, der Mitleid mit uns hat«, sagte Milo, der
via Lautsprecher hören konnte, was Cleary sprach.
Harry Easton lachte, dann sagte er mir die Unterstützung des
Police Departments zu und verabschiedete sich.
Ich fuhr meinen Computer hoch, loggte mich ein und klickte
schließlich das Zentralarchiv her. Wenig später hatte ich die Akte
von Joshua Hollister auf dem Bildschirm. Gegen den Mafioso war des
Öfteren ermittelt worden. Alle Verfahren wurden eingestellt. Mangel
an Beweisen. Potentielle Zeugen waren umgekippt, Aussagen wurden
widerrufen.
Hollister war fünfundvierzig Jahre alt geworden. Seine
Anschrift lautete 1063, Broadway. Er war verheiratet mit Lana,
geborene Mallory. Hollister hatte einen Sohn, achtzehn Jahre alt,
sowie eine Tochter von fünfzehn Jahren.
Ich gab den Namen Mathew Holbrock in den Suchlauf. Auch dieser
Gangster war registriert. Es war ähnlich wie bei Hollister. Auch
Holbrock hatte seinen Kopf bisher erfolgreich aus der Schlinge
ziehen können. Er war neunundvierzig. Sein Bild verriet, dass er zu
Übergewicht neigte. Auch Holbrock war verheiratet, und er hatte
einen siebzehnjährigen Sohn. Er wohnte in Clinton, 52nd Street,
Nummer 248.
Mein Computer meldete, dass eine E-Mail eingetroffen war. Ich
öffnete mein elektronisches Postfach und sah, dass Absender der
Nachricht Harry Easton war. Bei dem Anhang, der der Mail beigefügt
war, handelte es sich um eine Liste der Augenzeugen des Verbrechens
der vergangenen Nacht. Ich druckte sie aus. Es handelte sich um
mehr als hundert Namen. Es waren auch einige Vernehmungsprotokolle
angehängt. Ich überflog sie. Die Aussagen waren identisch. Ein
Schluss auf die Mörder war nicht möglich.
»Sprechen wir mit Hollisters Frau«, sagte ich. »Und dann
sollten wir uns Holbrock vorknöpfen. Der Anschlag galt Hollister
und Holbrock. Das ist Fakt. Vielleicht wurden sie bedroht. Hören
wir uns an, was Mistress Hollister und Mathew Holbrock zu sagen
haben.«
Wir verloren keine Zeit. Wenig später bewegten wir uns auf dem
Broadway nach Norden. In der 87th Street fand ich einen Parkplatz.
Wir mussten ein Stück laufen. Die Wohnung Hollisters lag in der
siebzehnten Etage. Der Aufzug trug uns nach oben.
Eine Frau mit rot gefärbten Haaren öffnete uns. Ihre Augen
waren gerötet und verquollen vom Weinen. Fragend schaute sie uns
an. Ich übernahm es, uns vorzustellen. Lana Hollister bat uns in
die Wohnung. Wir betraten das riesige Wohnzimmer. Es war luxuriös
eingerichtet.
Als wir saßen, ergriff die Frau das Wort: »Es war schrecklich.
Plötzlich waren die Maskierten da, und dann begannen auch schon die
Waffen zu krachen. Es dauerte etwa eine Minute, dann verschwanden
sie wieder. Mein Mann verblutete in meinen Armen.«
Ihre Gefühle drohten sie einen Augenblick lang zu übermannen.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schniefte.
»Wurde Ihr Mann bedroht?«, fragte Milo.
»Er besaß einige Bars und Clubs«, erwiderte Lana Hollister und
wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Das Geschäft ist
hart, es wird einem nichts geschenkt.« Sie machte eine kleine
Pause, dann sprach sie weiter: »Wenn Josh bedroht wurde, dann
sprach er mit mir nicht darüber.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich
glaube nicht, dass er bedroht wurde. Josh war ein angesehener Mann,
der viele Freunde in Politik und Wirtschaft besaß. Er hat niemandem
etwas zu Leide getan.«
Milo und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Wusste sie
wirklich nicht, womit ihr Mann seinen Lebensunterhalt verdiente?
Ich bezweifelte es und war der Meinung, dass sie uns etwas
vorspielte.
»Wie war sein Verhältnis zu Mathew Holbrock?«
»Die beiden kannten sich. Auch Holbrock besitzt einige
Etablissements.«
»Standen Ihr Mann und Holbrock in Konkurrenz zueinander?«,
wollte Milo wissen.
»Nein, nicht, dass ich wüsste. Es gibt tausende von Bars und
Clubs in New York.«
War sie wirklich so unbedarft? Wir stellten ihr noch einige
Fragen, die sie uns zwar beantwortete, was uns in der Sache
allerdings nicht weiterhalf. Nach einer Viertelstunde
verabschiedeten wir uns. Wir wussten jetzt unter anderem, dass
Ausrichter der Party Hollister und Holbrock gewesen waren. Eine
Antwort auf die Frage, was die beiden veranlasst hatte, gemeinsam
eine Party auszurichten, erhielten wir nicht.
»Was hältst du von ihr?«, fragte Milo, als wir im Sportwagen
saßen und in Richtung 52nd fuhren.
Ich hob die Schultern. »Schwer zu sagen. Ich denke, sie weiß
genau, auf welche Art und Weise ihr Mann seine Brötchen
verdiente.«
»Ganz meine Meinung«, stieß Milo grimmig hervor.
2
Mathew Holbrock sah bleich aus. Seine Augen lagen in dunklen
Höhlen. Ob sein schlechtes Aussehen auf sein Erlebnis in der Nacht
zurückzuführen war, konnte ich nicht beurteilen, aber ich vermutete
es. Er neigte tatsächlich zu Übergewicht. Schätzungsweise wog er
zwanzig Pfund zu viel. Seine Haare begannen sich grau zu verfärben.
Über der Stirn waren sie schon ausgesprochen licht.
Wir saßen ihm in seinem Wohnzimmer gegenüber. Einen Drink, den
er uns angeboten hatte, hatten wir dankend abgelehnt. Neben ihm saß
seine Frau, eine attraktive, dunkelhaarige Lady Anfang der
vierzig.
Holbrock hatte uns vom Ablauf der Blutnacht berichtet. In
seinem Gesicht zuckten die Muskeln. Manchmal brach seine Stimme,
wenn ihn die Erinnerung überwältigte. Er griff sich an die Stirn.
»Ich weiß nicht, wer diesen Überfall initiierte«, murmelte er
schließlich. »Er ist jedenfalls an Brutalität kaum zu
überbieten.«
»Sie wurden verwundet«, sagte ich.
Er nickte und winkte ab. »Ja, am Arm. Ein glatter Durchschuss.
Kaum der Rede wert.«
»Gegen Sie wurde schon des Öfteren ermittelt«, kam es von
Milo. »Bandenkriminalität, Drogenhandel, Schutzgelderpressung
…«
Holbrocks Miene verschloss sich. Seine Brauen schoben sich
zusammen, über seiner Nasenwurzel bildeten sich zwei senkrechte
Falten. »Was wollen Sie?«, grollte er.
»War nur ‘ne Feststellung«, antwortete Milo. »Was war der
Grund für die Party?«
Holbrock schien von der Frage etwas überrumpelt worden zu
sein. Düster starrte er meinen Freund an, es schien, als musste er
die Antwort erst im Kopf formulieren. Dann dehnte er: »Bedarf es,
um eine Party zu feiern, eines Grundes?«
»Wenn sich zwei Männer wie Sie und Hollister zusammenschließen
und ein Fest feiern«, sagte ich, »dann geschieht das nicht
grundlos.«
»Hat diese Frage etwas mit der Klärung des Verbrechens zu
tun?«
»Ich denke schon.«
Milo mischte sich ein, indem er sagte: »Machen wir uns doch
nichts vor, Holbrock. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Sie der
große Mann südlich der siebenundfünfzigsten sind. In diesem Terrain
geschieht nichts ohne Ihren Willen. Sie kontrollieren den
Drogenhandel, die Schutzgelderpressung und die illegale
Prostitution. Dieselbe Stellung hielt Hollister nördlich der
siebenundfünfzigsten inne. Haben Sie mit der Party irgendeinen Pakt
bekräftigt? Dass Sie und Hollister Freunde waren, ist nämlich kaum
vorstellbar. Also gehen wir davon aus, dass geschäftliche
Interessen ausschlaggebend waren.«
Holbrock war regelrecht zurückgeprallt. In seinem Gesicht
arbeitete es krampfhaft. »Das wagen Sie mir ins Gesicht zu sagen,
Special Agent!«, schnappte er, als er Milos Worte verarbeitet
hatte. »Jetzt fehlt nur noch, dass Sie behaupten, ich hätte den
Überfall in Szene gesetzt.«
»Immerhin ist Hollister, Ihr Konkurrent, bei dem Anschlag ums
Leben gekommen«, erwiderte Milo unbeeindruckt.
»Was für eine Unterstellung«, keuchte Holbrock. Er holte tief
Luft. »Mein Leben war ebenfalls auf das Höchste gefährdet. Im
Übrigen ist es eine Unverschämtheit, was Sie mir an den Kopf
werfen. Ich bin ein allseits geachteter Mann. Ich – ich werde mich
über Sie beschweren.«
»Das bleibt Ihnen unbenommen«, entgegnete Milo ungerührt.
»Jedenfalls wissen Sie jetzt, wie wir über Sie denken.«
Zorn wütete in Holbrocks Augen. Sie irrlichterten geradezu. Er
schürzte die Lippen. »Ihre Anschuldigungen sind aus der Luft
gegriffen. Sämtliche Verfahren gegen mich wurden eingestellt
…«
»Aus Mangel an Beweisen«, so unterbrach Milo den Mafioso.
»Zeugen haben ihre Aussagen widerrufen. Sie wurden in keinem
einzigen Verfahren wegen erwiesener Unschuld freigesprochen,
Holbrock. Das lässt einen bitteren Beigeschmack zurück.«
Mit einem Ruck erhob sich der Gangster. »Verlassen Sie meine
Wohnung. Mit Ihnen verkehre ich nur noch über meinen Anwalt.«
Auch ich erhob mich, neben mir wuchs Milos Gestalt in die
Höhe. »Sicher«, sagte ich, »hier sind Sie Herr im Ring und Sie
können uns aus der Wohnung werfen. Doch wir sind noch nicht fertig
mit der Vernehmung. Ich bitte Sie daher, morgen Vormittag um zehn
Uhr ins Field Office zu kommen, damit wir fortfahren können. Das
ist eine offizielle Vorladung, Holbrock. Wenn Sie nicht kommen,
kann ich Sie vorführen lassen.«
Seine Zähne mahlten übereinander. Gehässig starrte er mich an.
Dann knirschte er: »Na schön, Sie sitzen am längeren Hebel. Setzen
Sie sich wieder und stellen Sie Ihre Fragen. Dass ich mich über Sie
beide beschwere, dürfte Ihnen aber klar sein.«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, versetzte ich. Ich setzte mich
wieder. »Wurden Sie bedroht?«
Auch Milo und der Gangster ließen sich wieder nieder. Holbrock
schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Haben Sie einen Feind, der es auf Ihr Leben abgesehen haben
könnte?«
Holbrock strich sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn.
»Nein.« Seine Antworten waren jetzt ausgesprochen einsilbig. Milo
schien einen wunden Punkt bei ihm berührt zu haben.
»In welchem Verhältnis standen Sie und Hollister
zueinander?«
»Wir kannten und respektierten uns.«
»Ist das alles?«
»Ja.«
»Zu wenig, um gemeinsam ein rauschendes Fest auszurichten«,
wandte Milo ein.
Holbrock schoss meinem Kollegen einen bösen Blick zu. »Man
kann unser Verhältnis untereinander als freundschaftlich
bezeichnen.«
»Und Sie haben nicht den Hauch einer Ahnung, wer hinter dem
Anschlag stecken könnte?«
»Nicht den leisesten.«
»Sprach Hollister mit Ihnen darüber, dass er gegebenenfalls
bedroht wurde.«
»Wenn es so wäre, hätte er es mir sicher nicht
vorenthalten.«
Ich schaute Milo von der Seite an. »Hast du noch
Fragen?«
Milo verzog grimmig den Mund. »Ja, eine Frage habe ich noch.«
Sein Blick verkrallte sich an Holbrocks Gesicht. »Werden Sie nach
Hollisters Tod das Gebiet nördlich der siebenundfünfzigsten
übernehmen, Holbrock?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, Agent!«, schnappte der
Gangster.
Milo grinste süffisant. Holbrock funkelte ihn wütend an. In
mir entstand eine Frage. Wer würde nach Hollisters Tod dessen
Geschäfte weiterführen? Seine Frau? Kaum anzunehmen. Sie hatte
keine Chance, im Geschäft mit dem Verbrechen zu bestehen. Wenn
doch, bedurfte es eines starken Mannes an ihrer Seite. Ich
beschloss, eine Antwort auf die Frage zu finden.
Ich drückte mich hoch. »Das war es fürs Erste, Holbrock.
Sollten uns noch irgendwelche Fragen einfallen, werden wir uns
wieder an Sie wenden.«
Wir verließen die Wohnung. Milo sagte, als wir auf der Straße
ankamen: »Ist dir aufgefallen, dass sich seine Frau ausgesprochen
passiv verhalten hat?«
»Das hat sicher nichts zu bedeuten«, versetzte ich. »Sie lebt
im Schatten ihres Mannes.«
»Was denkst du?«
Ich hob die Schultern, ließ sie wieder nach unten sacken und
antwortete: »Der Überfall ist nicht auf Holbrocks Mist gewachsen.
Den Aussagen nach haben die Mörder blindlings in die Menge
gefeuert. Sie wollten ein Exempel statuieren. Wenn Holbrock seinen
Konkurrenten ausschalten hätte wollen, hätte er sicher einen für
ihn weniger gefährlichen Weg gewählt.«
Wir erreichten den Sportwagen und ich öffnete per
Fernbedienung die Türen. Dann fuhr ich fort: »In mir ist eine
andere Frage entstanden – die Frage, wer wohl an die Stelle von
Hollister treten wird.«
»Das zu erfahren ist sicher von Interesse für uns. Wer kann
uns die Frage beantworten?«
»Vielleicht Hollisters Ehefrau.«
»Ich rufe sie an«, erklärte Milo.
Als wir im Sportwagen saßen, fuhr er den Computer hoch, dann
suchte er im elektronischen Telefonbuch die Nummer von Hollister
heraus, und gleich darauf tippte er sie in das Handy der
Freisprechanlage. Lana Hollister meldete sich. Milo sagte: »Special
Agent Tucker, FBI. Entschuldigen Sie die Störung, Mistress
Hollister. Aber es ist noch eine Frage entstanden.«
»Welche Frage?«
»Die Frage, wer nach dem Tod Ihres Mannes dessen Geschäfte
führen wird.«
Sekundenlang herrschte Schweigen im Äther. Dann erklang es:
»Der Geschäftsführer meines Mannes heißt Sanders – Broderick
Sanders. Ich werde mich mit ihm kurzschließen müssen. Wenn ich ihm
ein entsprechendes Angebot unterbreite, ist er sicher bereit, die
Geschäfte für mich zu führen.«
»Wo wohnt Sanders?«
»Hundertzweiundneunzig East siebzigste Straße, achte
Etage.«
»Danke.« Milo beendete das Gespräch. »Das heißt sicherlich,
dass es sich bei Sanders um Hollisters rechte Hand handelt«,
mutmaßte mein Kollege. »Wir sollten ihm ein wenig auf den Zahn
fühlen.«
»Ja, das sollten wir«, pflichtete ich bei, dann lenkte ich den
Sportwagen in den Ostteil Manhattans. Wir fuhren auf der Fifth
Avenue ein Stück nach Norden und erreichten die 70th Street. Bei
dem Gebäude, in dem Sanders wohnte, handelte es sich um ein Wohn-
und Geschäftshaus. In der Halle saß hinter einer Rezeption ein
Portier. Er musterte uns abschätzend, und als wir einfach zu einem
der drei Aufzüge gingen, rief er: »Zu wem möchten Sie denn?«
»Zu Mister Sanders«, antwortete ich und wandte mich dem Mann
zu.
»Soll ich Sie anmelden?«
»Nicht nötig.«
Die Tür des Aufzugs glitt fast lautlos auf. Milo und ich
traten in die Kabine, dann schwebten wir nach oben. In der achten
Etage gab es mehrere Wohnungen. Wir lasen die Namensschilder, und
standen schließlich vor Sanders‘ Wohnungstür. Ich läutete. Der
Klingelton war durch die geschlossene Tür zu hören. Gleich darauf
wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet, der Teil eines weiblichen
Gesichts wurde sichtbar, die andere Hälfte wurde von der Türfüllung
verdeckt, die Lady fragte: »Was wünschen Sie?«
»Wir sind die Agents Tucker und Trevellian vom FBI«, erklärte
ich und zeigte ihr meine ID-Card. »Ist Mister Sanders zu
Hause?«
»Wer ist draußen?«, erklang es in der Wohnung. Es war eine
männliche Stimme.
»Zwei FBI-Agents!«, rief die Frau über die Schulter, dann
öffnete sie die Tür. »Bitte, treten Sie ein. Sie kommen sicher
wegen des Überfalls in der Nacht.«
Sie war nur mit einem Morgenmantel bekleidet. Obwohl sie nicht
geschminkt war, ging von ihr etwas aus, dem sich kaum ein Mann
verschließen konnte. Es war eine natürliche Attraktivität, über die
nur wenige Frauen verfügten. Ich nickte ihr zu, sie lächelte etwas
starr. Wahrscheinlich war auch sie in der Nacht dabei gewesen und
stand noch im Banne der Geschehnisse.
Broderick Sanders saß am Wohnzimmertisch. Auf dem Tisch
standen zwei Kaffeetassen. Sanders rauchte. Auch er war nur mit
einem Morgenmantel bekleidet.
Ich stellte uns vor.
3
»Wir kamen gar nicht richtig zum Denken«, berichtete Sanders.
Seine Mundwinkel zuckten. Die Erinnerung holte ihn ein. »Plötzlich
waren diese Kerle da, und sie eröffneten sofort das Feuer. Panik
brach aus. Die Todesschreie gellen mir jetzt noch in den Ohren. Es
war das reinste Massaker.«
»Wir haben mit Mistress Hollister und Mathew Holbrock
gesprochen«, sagte ich. »Wie kamen Hollister und Holbrock dazu,
gemeinsam eine Party zu geben?«
»Es handelte sich um eine Art Betriebsfest«, antwortete
Sanders. »Vor drei Jahren fand die erste Feier dieser Art stand.
Josh und Holbrock haben damals beschlossen, die Party alljährlich
gemeinsam zu veranstalten. Den Grund hierfür habe ich nie
hinterfragt, denn er war meines Erachtens uninteressant.«
Er log. Dessen war ich mir sicher. Er hatte sicher einen
Grund, uns die Wahrheit zu verschweigen. Milos Worte kamen mir in
den Sinn. Haben Sie mit der Party irgendeinen Pakt bekräftigt? Dass
Sie und Hollister Freunde waren, ist nämlich kaum vorstellbar …
Hatte mein Partner damit den Nagel auf den Kopf getroffen?
»Werden Sie Hollisters Geschäfte weiterführen?«, erkundigte
sich Milo und meine Gedanken wurden unterbrochen.
»Das muss Lana entscheiden«, gab Sanders zu verstehen. »Sie
dürfte die Alleinerbin von Josh sein. Was sie vorhat, weiß ich
nicht.«
»Sie will mit einem entsprechenden Angebot an Sie
herantreten.«
»Dann werde ich wohl zusagen. An der Art meiner Tätigkeit wird
sich nicht viel ändern. Die Geschäfte habe ich auch schon unter
Josh geführt. Künftig werde ich dann eben Lana Rechenschaft
schuldig sein.«
»War sie in die Geschäfte ihres Mannes involviert?«, fragte
Milo.
Sanders fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. »Sie
war nur Ehefrau«, murmelte er dann. »Aber ich bin es Josh schuldig,
ihr Loyalität zu erweisen. Ohne meine Erfahrung ist sie
aufgeschmissen.«
»Das heißt, Sie werden in die Fußstapfen von Hollister
treten«, konstatierte ich. Dabei beobachtete ich Sanders‘ Reaktion.
Mir blieb kein Muskelzucken in seinem Gesicht verborgen.
Sanders lehnte sich zurück. »Wenn Sie meinen, dass ich
weiterhin die Geschäfte führen werde, dann haben Sie recht.«
Milo stieß scharf die Luft durch die Nase aus, sagte aber
nichts. Ich ahnte, was meinem Kollegen auf der Zunge brannte. Ich
schoss Milo einen warnenden Blick zu. Er presste die Lippen zu
einem dünnen Strich zusammen.
Sanders musterte mich herausfordernd.
»Werden Sie weiterhin das gute Verhältnis zu Holbrock
pflegen?«, fragte ich.
»Ich kenne Holbrock kaum. Er gehörte zum persönlichen
Bekanntenkreis von Josh.«
»Also nicht«, sagte ich. »Es wird also keine gemeinsamen
Partys mehr geben.«
»Worauf wollen Sie hinaus, Agent?«
Jetzt platzte Milo der Kragen. Er stieß hervor: »Wir wissen
Bescheid, Sanders. Hollister und Holbrock veranstalteten nicht von
ungefähr eine gemeinsame Fete. Nun werden Sie an Hollisters Stelle
treten. Was haben Sie vor? Wollen Sie den Frieden mit Holbrock
wahren, oder werden Sie versuchen, in sein Revier einzudringen? In
diesem Fall dürfte es mit Eintracht und Frieden in Manhattan vorbei
sein.«
»Sie sprechen in Rätseln, Agent!«, schnarrte Sanders.
»Sie wissen genau, wovon ich spreche«, konterte Milo. Er
lehnte sich wieder einmal weit aus dem Fenster. Aber es schadete
nichts, wenn er keinen Zweifel darüber offen ließ, dass wir nicht
von gestern waren. Vielleicht gelang es uns, Sanders aus der
Reserve zu locken.
Ich machte mir meine Gedanken. Unter Umständen hatte Sanders
sogar ein Motiv für den Mord an Hollister. Vielleicht hatte er es
satt, die zweite Geige zu spielen. Die Party bot eine gute
Gelegenheit, Hollister aus dem Weg zu schaffen. Und nicht nur
Hollister. Auch Holbrock konnte sich als Stolperstein auf dem Weg
an die Spitze erweisen. Vielleicht wollte sich derjenige, der
Hollister aus dem Wege räumte, nicht mit der Hälfte begnügen.
Möglicherweise wollte er alles.
So gesehen wäre der Überfall in der Nacht nur ein halber
Erfolg gewesen, weil Holbrock mit dem Leben davongekommen
war.
Als wir im Sportwagen nach Süden fuhren, ließ ich Milo an
meinen Gedankengängen teilhaben. Er sagte: »Also steht Sanders im
Moment zuoberst auf unserer Liste der Verdächtigen.«
»Wir werden ihn im Auge behalten«, erklärte ich. »Dass er ein
Motiv hatte, ist wohl nicht von der Hand zu weisen.«
Zurück im Field Office meldeten wir uns bei Mr. McKee an. Er
nahm sich sofort Zeit für uns. Wir erstatteten ihm Bericht, ich
endete mit den Worten: »Sanders wird an die Stelle von Hollister
treten. Bisher herrschte zwischen den Mafias Frieden. Ob Sanders
diesen Frieden beibehält, ist fraglich. Wir werden jedenfalls am
Ball bleiben.«
»Tun Sie das, Agents.« Der Chef räuspert sich. »Ich glaube,
Ihr Verdacht ist nicht unbegründet. Vielleicht sollten Sie auch
V-Leute einsetzen, die sich ein wenig in der Unterwelt umhören.
Sicher verfolgt man auch dort die Entwicklung mit gespanntem
Interesse.«
»Eine gute Idee«, sagte ich.
Milo nickte beipflichtend. »Hank wäre der richtige Mann«,
sagte er. Er sprach von Hank Hogan, einem unserer besten V-Männer,
der sich in der Zwischenzeit jedoch als Detektiv selbständig
gemacht hatte. Von unserem Büro aus rief ich Hank an.
Nachdem ich meinen Namen genannt hatte, fragte er: »Wo brennt
es diesmal, Jesse? Es brennt doch irgendwo, und zwar lichterloh.
Andernfalls würdest du mich nicht anrufen.«
»Ja«, sagte ich, »es brennt.« Und dann erklärte ich Hank, was
Sache war.
Nachdem ich meinen Bericht abgeschlossen hatte, sagte Hank:
»Ich hab in den Nachrichten von dem Massaker in Brooklyn gehört und
dachte mir schon, dass das FBI den Fall übernimmt. In Ordnung,
Jesse. Ich werde mich ein wenig umhören. Wenn ich was in Erfahrung
bringe, rufe ich dich an.«
»Sei dir unseres Dankes gewiss, Hank.«
Hank Hogan lachte. »Irgendwann wird mir das FBI ein Denkmal
setzen.«
Auch ich lachte, dann beendeten wir das Gespräch. Ich heftete
den Blick auf Milo. »Holbrock scheidet als Initiator aus. Sanders
kommt in Frage, wenn man davon ausgeht, dass er vielleicht eine
eigene Karriere als Mafiaboss starten will. Genauso gut ist es aber
möglich, dass eine Unbekannte im Spiel ist.«
»Wir werden die Entwicklung abwarten müssen, Kollege«, meinte
Milo. »Das bedeutet, wir müssen demjenigen – wer es auch immer ist,
der dahintersteckt – den nächsten Zug überlassen. Wenn Sanders die
Regie in dieser Inszenierung führt, wird er als nächstes auf
Holbrock losgehen. Wenn nicht, steht auch er möglicherweise auf der
Abschussliste.«
»Warum dieses spektakuläre Vorgehen?«, sinnierte ich. »Um
Hollister zu beseitigen, bedurfte es keines Massenmordes.«
»Man wollte Angst und Schrecken verbreiten«, murmelte Milo.
»Derjenige, der das Massaker veranlasste, wollte klar machen, dass
er sein Ziel mit Nachdruck und rücksichtslos verfolgt.«
»Oder er wollte von sich ablenken.« Milo schaute mich fragend
an. »War nur ein Gedanke«, erklärte ich.
»Der nicht von der Hand zu weisen ist«, murmelte Milo. Er
zuckte mit den Schultern. »Es bringt uns nicht weiter, irgendwelche
Vermutungen anzustellen. Wir können nur versuchen, Mosaikstein für
Mosaikstein zusammenzutragen und zusammenzusetzen, bis sich
vielleicht eine brauchbare Spur ergibt.«
»Unser Mann wird nicht ruhen«, sagte ich. »Er wird sich durch
irgendwelche Aktivitäten verraten.«
»Dein Wort in Gottes Ohr, Jesse.«
4
Holbrock telefonierte. Er sagte in die Sprechmuschel des
Hörers: »Ich habe mit Lana gesprochen. Sie will Ihnen die Führung
der Geschäfte übertragen, Sanders. Ihnen ist klar, dass wir einen
gemeinsamen Gegner haben. Und ich hoffe, Sie sind bereit, den
Waffenstillstand, den Hollister und ich vor drei Jahren vereinbart
haben, aufrechtzuerhalten.«
»Das ist doch keine Frage, Holbrock«, erwiderte Sanders. Dann
sagte er: »Bei mir waren Trevellian und Tucker vom FBI. Vor allem
Tucker machte Andeutungen, als wüssten die Feds Bescheid. Wir
werden sehr vorsichtig sein müssen.«
»Bei mir waren sie auch. Und auch bei mir nahm Tucker kein
Blatt vor den Mund. Sei‘s drum. Es fehlt ihnen an Beweisen. Schon
an der Frage, was der Grund für die Party war, scheiterten sie. Ich
glaube auch gar nicht, dass es denen darum geht, einem von uns was
am Zeug zu flicken. Es geht darum, dem Kerl die Maske vom Gesicht
zu reißen, der für den Massenmord verantwortlich ist.«
»Wer, glauben Sie, Holbrock, steckt dahinter?«
»Jemand drängt ins Geschäft. Nur so ist der Anschlag zu
erklären. Ich hatte Glück, dass ich mit dem Leben davonkam. Weil
ich damit rechnen muss, dass man mir weiterhin nach dem Leben
trachtet, habe ich entsprechende Maßnahmen ergriffen. Zwei meiner
Leibwächter weichen mir nicht mehr von der Seite. Außerdem werde
ich – so gut es geht – in der nächsten Zeit die Öffentlichkeit
meiden. Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der vor nichts
zurückschreckt. Um sein Ziel zu erreichen, geht er über Leichen.
Das hat er bewiesen.«
»Ja, das hat er unter Beweis gestellt. Sicher kennt er auch
meinen Namen, und er wird wissen, dass ich Joshuas Stellvertreter
bin. Und er wird erfahren, dass ich Joshuas Part einnehmen werde.
Ich denke, mein Leben ist ebenso gefährdet wie das Ihre, Holbrock.
Aber auch ich werde entsprechende Maßnahmen ergreifen.«
»Das ist sehr ratsam, Sanders. Wir müssen in dieser Sache
zusammenhalten. Versuchen wir, unserem Gegner zuvorzukommen.«
»Sie meinen …«
»Ja, wir müssen versuchen, herauszufinden, um wen es sich
handelt. Und dann müssen wir ihn eliminieren. Wenn wir künftig
unseren Geschäften in Frieden nachgehen wollen, müssen wir den
Bastard ausschalten. Und das bedarf der uneingeschränkten
Kooperation zwischen uns.«
»Ich bin dabei«, erklärte Sanders. »Wir bleiben in Verbindung
und tauschen uns aus. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht dahinter
kämen, wer uns den Krieg erklärt hat.«
»Nur zusammen sind wir stark«, murmelte Holbrock.
5
Gregg Watson befand sich im »Ocean Club« in der 22nd Street.
Es ging auf Mitternacht zu. Der Club war gut besucht. Watson saß
allein an einem Tisch. Vor ihm stand eine Cola. Wenn er im Dienst
war, trank der Dealer keinen Alkohol.
Zwei Männer näherten sich Watsons Tisch. Sie waren nicht älter
als fünfundzwanzig. Einer trug einen Jeansanzug, der andere eine
enge, schwarze Hose und eine braune Wildlederjacke. Watson blickte
den beiden entgegen. Er witterte ein Geschäft.
Die beiden grinsten, als sie sich zu Watson an den Tisch
setzten. Einer sagte: »Du bist uns empfohlen worden.«
»Worum geht es?«
»Was hast du anzubieten?«
»Ich verstehe nur Bahnhof.«
»Stell dich nicht so an, Watson. Wir wissen, dass du mit
Drogen handelst. Keine Sorge, wir sind keine verdeckten Ermittler.
Wir wollen kaufen. Also, was hast du zu bieten?«
»Ich habe euch noch nie hier gesehen.«
»Dann siehst du uns eben heute das erste Mal. Na und? Du
willst doch ein Geschäft machen.«
»Na schön. Ich habe einige Portionen Heroin, Crack und etwas
LSD. Was wollt ihr?«
»Alles.«
Watson schluckte. »Es ist Rauschgift im Wert von zehntausend
Dollar.«
»Wir zahlen bar.«
»Ich habe das Zeug im Auto.« Noch einmal flackerte das
Misstrauen in Gregg Watson hoch. »Ich will das Geld sehen.«
Der Bursche mit der Lederjacke holte ein Bündel Geldscheine
aus der Innentasche der Jacke und hielt es Watson hin. »Das dürfte
genügen.«
»Gehen wir hinaus.«
Die drei verließen den Club. Watson fuhr einen weißen Ford. Er
setzte sich auf den Beifahrersitz und öffnete das Handschuhfach,
nahm einen Plastikbeutel heraus und griff hinein. In dem Moment
wurde er gepackt und aus dem Wagen gezerrt. Der Beutel wurde ihm
aus der Hand gerissen.
»Was soll das?«, entfuhr es Watson. Er bekam einen brutalen
Schlag mitten ins Gesicht. Sein Kopf wurde in den Nacken gerissen.
Blut schoss aus seiner Nase. Sofort füllten sich seine Augen mit
Tränen. Ein Aufschrei stieg aus seiner Kehle.
Eine Faust bohrte sich in seinen Magen. Er knickte in der
Mitte ein. Der Schlag drückte ihm die Luft aus den Lungen. Ein
dumpfer Ton entfuhr ihm. Ein brutaler Schwinger richtete ihn wieder
auf. Er flog gegen sein Auto und rutschte daran zu Boden. Den Rest
erledigten die beiden Schläger mit den Füßen. Erst als sich Gregg
Watson nicht mehr rührte, ließen sie von ihm ab. Sie verschwanden.
Die Drogen nahmen sie mit.
Gregg Watson lag benommen am Boden. Er trieb in der Halbwelt
der Trance. In seinen Eingeweiden rumorte Übelkeit. Er röchelte und
stöhnte, sein Atem ging stoßweise. Es gelang ihm schließlich, seine
größte Not zu überwinden und sich aufzusetzen. Schmerzen pulsierten
durch seinen Körper. Schwindelgefühl erfasste ihn, und einen Moment
lang drohte er die Besinnung zu verlieren.
Mit zitternder Hand griff er in die Tasche und zog sein Handy
heraus. Dann holte er eine Nummer aus dem elektronischen
Telefonbuch auf das Display und stellte eine Verbindung her.
Holbrock meldete sich.
6
Burt Callagher stand auf dem Gehsteig vor »Benny‘s Lounge«.
Soeben hatte er drei Kerlen jeweils zwei Portionen Heroin verkauft.
Sie entfernten sich. Sorgfältig faltete Callagher die Geldscheine
zusammen und schob sie in die Tasche. Dann nahm er eine Schachtel
Lucky Strike aus der Hemdtasche, schüttelte einen der Glimmstängel
heraus und zündete ihn an. Tief inhalierte er den ersten Zug.
Er war zufrieden. Das Geschäft lief wie geschmiert. Er hatte
fast alle Drogen verkauft. Holbrock konnte zufrieden sein.
Callagher schaute auf seine Armbanduhr. Die rote Leuchtschrift
über der Tür der Kneipe produzierte genügend Licht, sodass er die
Uhrzeit gut ablesen konnte. Es war 2.35 Uhr. Er nahm sich vor, noch
bis 3 Uhr auszuharren, und dann den Nachhauseweg anzutreten.
In dem Moment bog ein Chevy in die Barrow Street ein. Langsam
rollte er näher. Das Licht der Scheinwerfer huschte vor dem Wagen
her über den Asphalt. Es sah aus, als suchte der Fahrer einen
Parkplatz. Vielleicht ein neuer Kunde. Callagher strich sich mit
den gespreizten Fingern seiner Linken durch die Haare. Die Rechte
mit der Zigarette führte er zu seinem Mund.
Der Chevy befand sich jetzt auf einer Höhe mit dem Dealer.
Plötzlich blitzte es auf. Zweimal, dreimal. Callagher verspürte
einen Einschlag in die Brust. Detonationen waren nicht zu hören.
Ein Schalldämpfer schluckte sie. Der Dealer spürte keinen Schmerz,
nur eine grenzenlose Schwäche. Seine Beine gaben nach, er brach
zusammen. Der Chevyfahrer gab Gas und jagte davon. Das Quietschen
der durchdrehenden Reifen in den Ohren starb Burt Callagher.
7
Mathew Holbrock war wie vor den Kopf gestoßen. Zwei seiner
Männer waren in der Nacht brutal zusammengeschlagen worden, Burt
Callagher war tot. Einem vierten Mann war die Flucht gelungen. Der
Mafioso lief erregt in seinem Wohnzimmer auf und ab. Seine Frau saß
auf der Couch und beobachtete ihn. In zwei Sesseln saßen die
Bodyguards des Gangsters.
»Wer will mich ruinieren?«, fragte er fast verzweifelt. »Wer
hat es auf mich abgesehen? Das war sicher erst der Anfang. Man wird
weiterhin Jagd auf meine Männer machen. Und es ist nur eine Frage
der Zeit, bis die Burschen sich weigern, auf die Straße zu gehen
und den Stoff an den Mann zu bringen.«
Jane Holbrock beobachtete ihren Mann und schwieg. Sie konnte
seine Fragen nicht beantworten. Aber auch die beiden Leibwächter
hüllten sich in Schweigen. Wahrscheinlich erwartete Holbrock auch
gar keine Antwort. Er ging zum Telefon und tippte eine Nummer.
Dreimal ertönte das Freizeichen, dann meldete sich eine Stimme:
»Sanders!«
»Guten Morgen, Sanders«, brummte Holbrock. »Es gibt schlechte
Neuigkeiten. In der Nacht wurden zwei meiner Männer brutal
zusammengeschlagen und ihrer Drogen beraubt. Ein weiterer Mann
wurde erschossen. Ein vierter, der ebenfalls überfallen wurde,
konnte mit Mühe und Not entkommen.«
»Die Kacke ist also am Dampfen!«, stieß Sanders hervor.
»Das kann man wohl sagen!«, knirschte Holbrock. »Und das war
sicher erst der Anfang. Wurden auch Ihre Leute attackiert?«
»Man hat mir nichts gemeldet.«
»Hölle, dann hat man es zunächst wohl auf mich
abgesehen.«
»Das will nichts heißen«, erklärte Sanders. »Schon in der
kommenden Nacht können einige von meinen Männern dran sein.«
»Sie haben recht, Sanders. Was können wir dagegen
unternehmen?«
»Gar nichts. Die andere Seite bestimmt den Zeitpunkt und den
Ort. Wir stehen dem machtlos gegenüber. Wie wollen wir unsere Leute
schützen? Wir können es uns aber auch nicht leisten, sie für einige
Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Der finanzielle Verlust wäre
gravierend. Außerdem würden unsere Stammkunden abspringen und sich
andere Quellen erschließen.«
»Aber wir können doch nicht zusehen, wie unsere Männer der
Reihe nach fertig gemacht werden, Sanders.«
»Haben Sie eine Idee, Holbrock?«
»Nein, verdammt!«
»Sehen Sie? Wir können unsere Verkäufer nicht mit Geleitschutz
versehen.«
»Wir lassen also zu, dass man uns fertig macht!«, keuchte
Sanders. »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Sanders. Man fügt uns
Schaden zu.«
Da läutete es an Holbrocks Wohnungstür. Holbrock sagte in das
Telefon. »Ich sehe nicht tatenlos zu, wie man mir den Todesstoß zu
versetzen versucht, Sanders. Wir bleiben in Verbindung. Sehen wir,
was die kommende Nacht bringt.«
Holbrock legte das Telefon weg. Seine Frau war zur Tür
gegangen und fragte, wer draußen sei.
»Detective Lieutenant Hanson vom Police Department«, erklang
es.
Die Frau öffnete. Zwei Männer standen vor der Tür. Die beiden
Leibwächter hatten sich erhoben und waren an die Wand zu beiden
Seiten der Tür geglitten.
Hanson zeigte seinen Ausweis und sagt: »Das ist Sergeant
Miles. Wir haben einige Fragen an Ihren Mann, Mistress.«
»Lass die Polizisten herein, Jane«, rief Holbrock grollend.
Seine Bodyguards entspannten sich und nahmen die Hände unter den
Jacken hervor, gingen zu den Sesseln und setzten sich.
»Bitte, Gentlemen«, sagte die Frau und trat zur Seite. Die
beiden Polizisten betraten die Wohnung. Dick Hanson streifte die
beiden Leibwächter mit einem schnellen Blick, dann schaute er
Holbrock an und sagte: »Sie sind Mathew Holbrock, nicht
wahr?«
Der Mafioso nickte. »Was führt Sie zu mir.«
»In der Nacht wurde vor Benny‘s Lounge in der Barrow Street
ein Mann namens Burt Callagher erschossen.«
Ein Schatten schien über Holbrocks Gesicht zu laufen. »Warum
kommen Sie damit zu mir?«
»Benny‘s Lounge gehört Ihnen, Mister Holbrock. Wir haben
einige Gäste verhört. Einer berichtete uns, dass Callagher vor dem
Laden Drogen verkaufte. Tatsächlich fand man bei Callagher auch
einige Portionen Heroin, Kokain und Crack.«
»Weshalb erzählen Sie mir das?«, blaffte Holbrock.
»Der Verdacht liegt nahe, dass der Mann für Sie arbeitete,
Mister Holbrock.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Ich sagte es bereits: Es ist nur ein Verdacht, der durch
einige Aussagen untermauert wurde. Ein Insider meinte, dass Sie
nicht dulden würden, dass irgendjemand über Monate hinweg in einem
Ihrer Etablissements Drogen an den Mann bringt.«
»Haben Sie mit meinem Geschäftsführer gesprochen?«
»Er gibt zu, Callagher zu kennen, bestreitet aber, etwas von
dessen Dealertätigkeit gewusst zu haben.«
»Na also.«
»Wir denken, dass der Mord an dem Dealer in einem engen
Zusammenhang mit dem Massenmord in Brooklyn steht«, erklärte Dick
Hanson.
»Haben Sie dafür auch nur den geringsten Beweis?«
»Es ist eine Annahme. – Wir haben mit Burt Callaghers Eltern
gesprochen. Der Vater berichtete uns, dass sein Sohn keiner
geregelten Arbeit nachging. Er erzählte uns aber auch, dass Burt
selbst drogensüchtig war und mit Rauschgift handelte, um seinen
eigenen Bedarf zu finanzieren. Wir erfuhren, dass Callagher für
eine Drogenmafia tätig war. Wer hinter dieser Mafia steckt, konnte
uns der Vater allerdings nicht sagen.«
»Haben Sie etwa mich im Verdacht?«
»Nun, er verkaufte die Drogen in einem Ihrer Läden.«
Holbrocks Linke fuhr durch die Luft. »Bleibt mir bloß mit
irgendwelchen Spekulationen vom Hals. Ich bin Barbesitzer und
handle nicht mit Drogen. Das habe ich euch verdammten Bullen in der
Vergangenheit des Öfteren klarmachen können. Ihr werdet wohl nicht
müde, zu versuchen, mir einen Strick zu drehen.«
»Warum beleidigen Sie uns?«, fragte Hanson gedehnt.
»Auf mich«, Holbrock tippte sich mit dem Daumen gegen die
Brust, »wurde ein Mordanschlag verübt. Und ihr habt nichts anderes
zu tun, als zu versuchen, mir etwas in die Schuhe zu schieben.
Unterstellungen und Verleumdungen! Ich habe es satt,
verdammt!«
»Beruhigen Sie sich«, sagte Hanson. »Es gab Hinweise, dass
Callagher für Sie arbeitete, und wir sind den Hinweisen
nachgegangen. Mehr nicht. Entschuldigen Sie die Störung.«
Hanson und Miles verließen die Wohnung.
Holbrocks Kiefer mahlten. Aus jedem Zug seines Gesichts sprach
die immense Anspannung, unter der er stand. Er nahm wieder seine
unruhige Wanderung auf. Eine tonnenschwere Last schien sich auf
seine Schultern gelegt zu haben und sie nach unten zu drücken.
Schließlich schnappte er sich erneut den Telefonhörer und rief
Sanders an.
»Die Bullen waren eben da«, stieß er hervor, als sich Sanders
meldete.
»Was wollten sie?«
»Sie vermuten, dass Callagher, der in der Nacht erschossen
wurde, für mich arbeitete. Es soll einige entsprechende Aussagen
gegeben haben.«
»Es wäre wohl ratsam, die Geschäfte für einige Zeit auf Eis zu
legen«, sagte Sanders.
»Wieso dieser jähe Gesinnungswandel?«
»Man muss flexibel sein und sich der jeweiligen Situation
anpassen.«
»Das wäre mit einem enormen Verlust verbunden«, gab Holbrock
zu bedenken.
»Den müssen Sie in Kauf nehmen. Die Bullen lassen sich nicht
einfach so abspeisen, wenn sie erst einmal Blut geleckt
haben.«
»Gegen uns scheint sich Gott und die Welt verschworen zu
haben!«, fauchte Holbrock, dann unterbrach er die Verbindung. Er
überlegte kurz, dann stieß er hervor: »Sämtliche Männer sollen sich
heute Abend um acht Uhr im Hinterzimmer des Ocean Clubs einfinden.
Ich muss die Leute instruieren.«
8
Mein Telefon klingelte. Ich angelte mir den Hörer und meldete
mich.
»Hier spricht Detective Lieutenant Dick Hanson vom Police
Department. Sie ermitteln in der Mordsache von Brooklyn?«
»Sie haben es erfasst, Hanson.«
»Vergangene Nacht wurde vor Benny‘s Lounge in der Barrow
Street ein Dealer erschossen. Wir vermuten, dass er für Holbrock
arbeitete. Holbrock bestreitet es zwar – aber das muss er ja wohl,
um unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen.«
»Das ist interessant. Ermitteln Sie in der Mordsache,
Hanson?«
»Ja. Holbrock wurde ziemlich ausfallend, als ich ihn zur Rede
stellte. Mich mutete er an wie ein erschrecktes Huhn. Zwei Kerle
befanden sich bei ihm, ich nehme an, Bodyguards.«
»Wie kommen Sie darauf, dass der Getötete für Holbrock
arbeitete?«, fragte ich.
»Benny‘s Lounge ist eine von Holbrocks Kneipen. Einige Zeugen
berichteten, dass Callagher – das ist der Mann, der ermordet wurde
– in der Bar Drogen verkaufte. Er wurde von Holbrocks
Geschäftsführer geduldet. Der Schluss liegt also nahe.«
»Gibt es Augenzeugen?«
»Nein. Wir haben nicht den geringsten Hinweis auf den oder die
Mörder. Aber wir vermuten einen Zusammenhang mit dem Massaker in
Brooklyn. Deshalb setze ich Sie von dem Mord in Kenntnis,
Trevellian.«
»Senden Sie mir – sobald die Spurensicherung abgeschlossen ist
– die Ergebnisse zu, Hanson. Wir werden uns umhören.«
Hanson sagte es zu und verabschiedete sich. Ich verschränkte
die Arme vor der Brust und sagte: »Hanson hat sicher nicht Unrecht,
wenn er meint, dass ein Zusammenhang zwischen dem Massenmord in
Brooklyn und der Ermordung des Dealers besteht.«
»Holbrock besitzt insgesamt fünf Etablissements«, sagte Milo.
»Und es gibt in jeder dieser Kneipen schätzungsweise einen Mann,
der Drogen an den Mann bringt. Wir sollten uns mal umsehen.«
»Der Abend ist also gerettet«, sagte ich sarkastisch.
»Ja. Wir machen einen Kneipenbummel. Ist doch sicher ‘ne
Abwechslung.«
Ich rief bei Hank Hogan an. »Hast du schon etwas
herausgefunden, Hank?«
»Ich habe in der Nacht verschiedene einschlägige Kneipen
aufgesucht. Der Massenmord in Brooklyn ist Thema Nummer eins. In
Erfahrung habe ich leider nichts gebracht, was einen Schluss auf
die Mörder zuließe. Aber ich bleibe dran.«
»Danke, Hank. Milo und ich nehmen uns heute Abend Holbrocks
Läden vor. In der vergangenen Nacht wurde vor Benny‘s Lounge ein
Dealer erschossen. Wir vermuten einen Zusammenhang mit dem
Massenmord in Brooklyn. Vielleicht solltest du dich in Hollisters
Bars und Clubs ein wenig umhören. Ich gebe dir die Namen der Läden
und die Anschriften durch. Hast du was zum Schreiben?«
»Einen Moment.« Kurz darauf erklang wieder Hanks Stimme. »Du
kannst loslegen, Jesse.«
Ich diktierte ihm die Namen der Etablissements und die jeweils
dazugehörige Anschrift.
»Ich melde mich morgen bei dir, Jesse«, versprach Hank. »Aber
nicht vor Mittag. Du hast sicher nichts dagegen, dass ich
ausschlafen möchte.«
»Ein unausgeschlafener Mann ist nur halbwertig«, lachte ich.
»Ich warte auf deinen Anruf.«
»Wenn ich ausgeschlafen bin.«
»Natürlich.«
Dann war die Leitung tot. Ich legte auf. »Ob Lana Hollister
schon mit Sanders gesprochen hat?«
»Fragen wir Sanders einfach«, sagte Milo. Und schon zwei
Minuten später hatte er Hollisters Geschäftsführer an der Strippe.
Milo formulierte seine Frage.
Sanders sagte: »Ja, Lana hat mit mir gesprochen. Sie hat mir
ein gutes Angebot unterbreitet, und ich habe angenommen. Ich werde
die Lokale treuhänderisch führen und bin an keinerlei Weisungen
gebunden. Ich musste mich lediglich verpflichten, nicht in die
eigene Tasche zu wirtschaften.«
»Dann sind also Sie ab sofort der große Mann nördlich der
siebenundfünfzigsten Straße«, erklärte Milo.
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Doch, das wissen Sie. Aber sei‘s drum. In der Nacht wurde vor
einem von Holbrocks Etablissements ein Dealer erschossen. Es ist
nicht auszuschließen, dass der Mord in einem engen Zusammenhang mit
dem Mord an Joshua Hollister zu sehen ist.«
»Warum sagen Sie mir das?«
»Weil wir nicht ausschließen, dass auch Ihr Leben gefährdet
ist.«
»Ich weiß mich zu schützen.«
»Sie schließen es also selbst nicht aus?«
»Ich weiß nicht, was gespielt wird. Weiß der Teufel, wer
hinter Hollisters Ermordung steckt. Ein Grund für den Mord ist für
mich nicht erkennbar.«
»Aber für uns«, sagte Milo, dann verabschiedete er sich und
knallte den Hörer auf den Apparat. »Wir tappen im Finstern«,
knurrte mein Kollege. »Und das geht mir an die Nieren. Irgendetwas
wird vorbereitet. Was, weiß ich nicht. Aber ich ahne, dass wir wie
zwei Weizenkörner zwischen den Mühlsteinen stehen werden. Und wenn
wir nicht aufpassen, werden wir zermalmt.«
»Du malst den Teufel an die Wand«, brummte ich.
»Nein, Partner. Ich zähle lediglich eins und eins
zusammen.«
9
Um kurz vor 22 Uhr betraten wir den »Ocean Club« in der 22nd
Street. Der Laden war ziemlich voll. Auf einer Bühne tanzte eine
sauber gewachsene Lady mit langen, blonden Haaren. Kaum jemand
achtete auf uns. Wir setzten uns an die Theke. Ein Keeper näherte
sich uns, und wir bestellten Wasser. Er verzog das Gesicht, brachte
aber das Gewünschte.
Ich schaute mich um. Das Publikum war überwiegend männlich.
Gierige Blicke hingen an dem Go-Go-Girl, das sich an einer
verchromten Stange verrenkte und lediglich einen knappen Tanga und
kniehohe Stiefel trug. Die Lady war aber auch eine
Augenweide.
An einem der Tische saß ein Mann allein. Mir fiel auf, dass er
eine Sonnenbrille trug und sein Gesicht einige Blessuren aufwies.
Er war jung, höchstens zwanzig Jahre. Und er interessierte sich
scheinbar nicht für den Tanz der schönen Lady. Er saß da, als würde
er vor sich hin dösen.
Der Tanz endete. Die Blondine verschwand von der Bühne. Die
Gäste begleiteten ihren Abgang mit stürmischem Applaus. Sie winkte
lachend in die Runde. Dem Tisch mit dem ramponierten Burschen
näherte sich ein Mann. Er setzte sich und beugte sich vor, ich sah,
dass sich seine Lippen bewegten. Der Bursche mit dem malträtierten
Gesicht nickte, erwiderte etwas, dann erhoben sich die beiden und
verließen den Club.
Ich folgte ihnen nach draußen. Milo blieb an der Bar sitzen.
Die beiden standen bei einem weißen Ford. Die Beifahrertür stand
offen. Soeben ließ der Bursche, dessen Gesicht Spuren von
Gewaltanwendung aufwies, etwas in seiner Tasche verschwinden. Er
warf die Autotür zu.
Ich zog meine Schlüsse. Der andere Mann übernahm etwas,
schwang herum und schritt davon. Der Bursche mit dem zerschlagenen
Gesicht näherte sich mir. Ich hatte mich ein Stück von der Tür
entfernt und stand im Schatten der Hofeinfahrt. Als der Bursche die
Tür erreichte, rief ich: »Einen Moment.«
Er blieb stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand
gelaufen. Sein Gesicht zuckte zu mir herum. Ich trat aus dem
Schatten und ging auf den Burschen zu.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich habe ein paar Fragen an Sie«, erklärte ich.
Er schien zu begreifen. Unvermittelt warf er sich herum und
ergriff die Flucht. Auch ich spurtete los. Er hatte etwa vier
Schritte Vorsprung.
»Bleiben Sie stehen!«, rief ich. Er dachte nicht daran und
rannte wie ein Wiesel. Meine Schritte trappelten. Ich war gut
trainiert. Der Bursche warf einen Blick über die Schulter und
schien zu der Erkenntnis zu gelangen, dass er mir nicht entkommen
konnte. Er wirbelte herum und griff mich an. Ich unterlief seinen
Schlag, drehte mich in ihn hinein und warf ihn über die Hüfte. Er
krachte der Länge nach auf den Gehsteig und schnappte nach Luft.
Ich packte ihn mit beiden Fäusten am Hemd und zerrte ihn auf die
Beine.
»Was wollen Sie von mir?«, keuchte der Kerl, nachdem er wieder
Luft bekam.
»Was haben Sie eben dem Mann verkauft? Rauschgift?«
»Wer – wer sind Sie?«
»Special Agent Trevellian, FBI. Raus mit der Sprache.
Natürlich können Sie auch schweigen. Aber wir werden Ihren Wagen
durchsuchen und sicher fündig werden.«
Ich holte mein Handy aus der Tasche und wählte Milos Nummer.
Als er sich meldete, sagte ich: »Volltreffer. Du kannst
kommen.«
Ich bugsierte den Dealer zum Sportwagen. Milo trat ins Freie
und kam heran.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte ich den Dealer.
»Gregg Watson.«
»Okay, Watson. Wir haben Sie auf frischer Tat ertappt. Ihr
Wagen wird beschlagnahmt. Wir werden Sie jetzt ins Field Office
bringen und Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Bin ich verhaftet?«
»Vorläufig festgenommen – ja.« Ich klärte den Burschen über
seine Rechte auf. Währenddessen telefonierte Milo mit der SRD. Sie
sollte sich um den weißen Ford kümmern.
Im Bundesgebäude führten wir sofort eine Vernehmung durch.
Watson saß wie ein Häufchen Elend an dem Tisch in der Raummitte.
Weißes Neonlicht fiel auf ihn. Milo hockte auf der Tischkante und
hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Ich hatte Watson
gegenüber Platz genommen.
»Leugnen ist zwecklos«, sagte ich. »Kooperation kann sich für
Sie nur positiv erweisen. Sie verstehen?«
»Von mir erfahrt ihr nichts.«
»Aber Sie leugnen nicht, Drogen vor dem Ocean Club verkauft zu
haben.«
»Es hat wohl keinen Sinn, es bestreiten zu wollen.«
»In wessen Auftrag verkaufen Sie die Drogen?«
»Ich verkaufe sie in eigener Regie. Ich bin süchtig. Mit dem
Gewinn aus dem Drogenhandel decke ich meinen eigenen Bedarf.«
»Der Ocean Club gehört einem Mann namens Mathew Holbrock«,
mischte sich Milo ein.
»Schon möglich.«
»Wer hat Sie zusammengeschlagen?«, fragte ich.
»Es geschah in der vorigen Nacht. Zwei Männer wollten Drogen
kaufen. Als ich ihnen den Stoff übergab, fielen Sie über mich her
und schlugen mich zusammen.«
»Kennen Sie Burt Callagher?«, fragte ich.
Watson presste die Lippen zusammen.
»Sie kennen ihn also.«
»Er wurde in der vergangenen Nacht ermordet«, murmelte
Watson.
»Warum wollen Sie nicht zugeben, dass Sie für Holbrock
arbeiten?«, fragte ich.
Watson blieb mir eine Antwort schuldig und schwieg
verbissen.
»Sprachen die beiden Kerle etwas?«, fragte Milo.
»Nein. Sie schlugen und traten mich zusammen und verschwanden
mit meinen Drogen.«
»Und Sie können den Verlust einfach so verschmerzen? – Gehen
Sie einer geregelten Arbeit nach?«
»Ich – ich übe Gelegenheitsjobs aus.«
»Und das Einkommen hieraus reicht, um die Drogen zu bezahlen,
mit denen Sie handeln?«
»Der Handel wirft Gewinne ab.«
»Mit denen Sie Ihren Eigenbedarf decken«, knurrte Milo.
»Fürchten Sie Konsequenzen, wenn Sie sprechen?«
Watson nagte an seiner Unterlippe. Er schien mit sich zu
kämpfen. Plötzlich nickte er. »Na schön, ich will auspacken. Die
Drogen habe ich von Holbrock. Ich verkaufe sie in seinem Auftrag.
In der vergangenen Nacht wurde nicht nur ich überfallen. James
Hancock, der im Club Andalusia Drogen verkaufte, wurde ebenfalls
zusammengeschlagen. Fred Bailey, der im Club 66 arbeitete, wurde
überfallen, doch ihm gelang die Flucht. Wir hatten am Abend eine
Versammlung im Hinterzimmer des Ocean Clubs. Holbrock hat uns auf
seine Sache eingeschworen. Fred Bailey weigerte sich, weiterhin
Drogen zu verkaufen. Holbrock ließ ihn von seinen Bodyguards
zusammenschlagen.«
Wir wussten genug und ließen Watson abführen.
»Damit dürften wir Holbrock am Wickel haben«, murmelte Milo,
als wir auf dem Weg in die Tiefgarage waren. »Kassieren wir den
Burschen heute noch, oder gewähren wir ihm noch eine Galgenfrist
bis morgen früh?«
»Wir verlieren keine Zeit«, sagte ich.
Minuten später waren wir unterwegs zur 52nd Street.
10
Es waren drei Kerle, die gegen null Uhr »Seymour‘s Inn«
betraten. Sie schauten sich um. Das Lokal war gut besucht. Hinter
der Theke hantierten zwei Keeper. Leise Musik lief im Hintergrund.
Stimmendurcheinander erhob sich.
Die drei Männer bauten sich am Tresen auf. Einer der Keeper
kam heran. »Was darf ich Ihnen bringen?«
»Wir wollen den Geschäftsführer sprechen«, erklärte
einer.
Der Keeper runzelte die Stirn. »Barkley sitzt dort am Tisch.«
Er wies mit dem Kinn in eine bestimmte Richtung.
»Hol ihn her.«
»Was wollt ihr denn von ihm?«
»Das werden wir ihm selber sagen.«
Der Keeper fügte sich. Er kam hinter der Theke hervor und
begab sich zu dem Tisch, beugte sich über Steve Barkley und
flüsterte ihm etwas ins Ohr. Barkleys Blick suchte die drei Kerle,
schließlich erhob er sich und näherte sich ihnen. Als er sie
erreichte, fragte er: »Was darf‘s sein?« Er verhielt sich
reserviert. Es war, als ahnte er das Unheil, das auf ihn
zukam.
»Wir haben das Gefühl, dass dieser Laden unseres Schutzes
bedarf«, sagte einer der Kerle, ein Bursche mit langen blonden
Haaren, die er am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz
zusammengebunden hatte. »Natürlich geht das nicht umsonst.«
Barkleys Mundwinkel sanken nach unten. »Ich begreife. Es geht
um Schutzgeldzahlungen. Was ist, wenn ich mich weigere?«
Der Sprecher des Trios grinste herablassend. »Es würde sich
nicht auszahlen.«
»Wie viel?«
»Dreitausend im Monat.«
»Ihr seid verrückt.«
»Der Laden trägt es«, murmelte der Blondhaarige. »Wir haben
uns kundig gemacht. Du hast keine große Wahl, Barkley. Entweder zu
zahlst, oder du kannst den Laden bald zusperren. – Du hast zwei
Tage Zeit, es dir zu überlegen. Übermorgen Abend holen wir uns die
Antwort ab. Bei dieser Gelegenheit ist auch gleich die erste
Zahlung fällig.«
Die drei verließen die Bar. Barkley holte sein Handy aus der
Tasche und stellte eine Verbindung her.
11
Ich fand vor dem Gebäude Nummer 248 in der 52nd Street einen
Parkplatz, in den ich den Sportwagen rangierte. Wir stiegen aus.
Kühler Nachtwind streifte mein Gesicht. Es war kurz nach
Mitternacht. Ich verspürte eine grimmige Genugtuung. Endlich hatten
wir gegen Holbrock etwas in die Hand bekommen.
Wenig später läuteten wir an Holbrocks Tür. In der Wohnung
rührte sich nichts. Noch einmal legte Milo den Finger auf den
Klingelknopf. Nichts!
»Gehen wir hinein?«, fragte Milo.
Ich zögerte ein wenig. Schließlich nickte ich. »Ja, sperr
auf.« Ich wusste selbst nicht, was mich leitete. Es war ein
unbestimmtes Gefühl. Bei Gefahr im Verzug durften wir eine Wohnung
auch ohne entsprechende richterliche Anordnung betreten.
Milo holte sein Etui mit den Spezialdietrichen aus der
Jackentasche und benötigte keine fünfzehn Sekunden, um das
Türschloss zu knacken. Meine Hand ertastete den Lichtschalter. Das
Licht flammte auf. Das Wohnzimmer war verwaist. Die Tür zu seinem
angrenzenden Raum stand offen. Milo glitt hin und schaltete das
Licht ein.
»Großer Gott!«, entfuhr es ihm. Fassungslosigkeit zeichnete
sein Gesicht.
Ich wandte mich der Tür zu. Es handelte sich um das
Schlafzimmer. Holbrock und seine Frau lagen in den Betten. Es sah
aus, als schliefen sie, aber da war Blut – viel Blut. Die beiden
waren mit Kopfschüssen getötet worden. Beim Austritt hatten die
Geschosse furchtbare Wunden in die Köpfe gerissen.
Ich verspürte ein Würgen in der Kehle. Mein Mund war wie
ausgetrocknet. Die Mörder mussten die beiden im Schlaf überrascht
haben. Ich zog mein Handy aus der Tasche und rief beim Police
Department an.
12
Um 8 Uhr fanden wir uns bei Mr. McKee ein. Wir berichteten.
Der Assistant Director unterbrach uns kein einziges Mal. Ich endete
mit den Worten: »Was den Mördern in Brooklyn nicht gelang, haben
sie in der vergangenen Nacht nachgeholt, Sir. Nun sind beide Bosse
tot. Die Frage wird nun sein, wer Holbrocks Nachfolge
antritt.«
»Erbe dürfte sein Sohn sein«, sagte Milo. »Der Junge befindet
sich in einem Internat.«
»Das Erbe, ja«, sagte ich. »Als Nachfolger Holbrocks dürfte
der Siebzehnjährige aber kaum in Frage kommen.«
»Auf Holbrocks Dealer wurden verschiedene Anschläge verübt«,
murmelte Milo. »Wer immer dahintersteckt, er verfolgte eine Taktik
der Einschüchterung. Holbrock hat seine Leute gezwungen, weiterhin
Drogen zu verkaufen. Die Rechnung des Unbekannten ist nicht
aufgegangen. Also schickte er einen Mörder zu Holbrock.«
»Seltsam ist, dass sich die Attacken nur gegen Holbrock
richteten«, gab ich zu bedenken.
»Dein Verdacht richtet sich gegen Broderick Sanders«, knurrte
Milo.
»Sanders hat sich an den Platz von Joshua Hollister
geschwungen. Es ist nicht auszuschließen, dass er die Hände auch
nach dem Süden Manhattans ausstreckt.«
»Das sollten Sie im Auge behalten, Special Agents«, murmelte
Mr. McKee.
»Wir werden sehen müssen, was die Spurensicherung in Holbrocks
Wohnung ergibt«, sagte ich. »Vielleicht hat der Mörder einen
Hinweis auf seine Identität hinterlassen.«
»Wer immer den Mord auch ausführte«, wandte Milo ein, »er war
kein Dilettant. Da war ein Profi am Werk.«
»Du verstehst es, einen zu desillusionieren«, sagte ich.
Milo zuckte mit den Schultern. »Wir sollten uns keine falschen
Hoffnungen machen.«
»Bringen Sie mir Ergebnisse, G-men«, sagte Mr. McKee. »Egal,
wer dahintersteckt. Er stellt eine Gefahr dar, und darum müssen Sie
ihm das Handwerk legen.«
Wir kehrten in unser Büro zurück. Mein Telefon läutete. Es war
ein Kollege aus dem Police Department. Er sagte: »Uns liegt eine
Anzeige vor. Es geht um Schutzgelderpressung. Ein Mann namens Jack
Seymour hat sich an uns gewandt. Ihm gehört Seymour‘s Inn in der
Greenwich Avenue. In der vergangenen Nacht wandten sich drei Kerle
an Seymours Geschäftsführer und forderten Schutzgeld. Sie wollen
sich morgen Abend die Antwort und die erste Zahlung abholen.«
»Warum wenden Sie sich damit an uns?«, fragte ich den
Beamten.
»Man hat mich an Sie verwiesen. Die Greenwich Avenue gehört zu
Holbrocks Revier. Wir nehmen an, dass ein Zusammenhang zwischen dem
Massenmord in Brooklyn, dem Mord an Callagher und der
Schutzgelderpressung besteht. Und da Sie in diesen Mordsachen die
Ermittlungen betreiben …«
»Wer hat Sie an uns verwiesen?«
»Detective Lieutenant Dick Hanson.«
»Bestellen Sie Hanson schöne Grüße von uns«, sagte ich, dann
fügte ich hinzu: »Wir kümmern uns drum. Wie heißt der
Geschäftsführer von Seymour‘s Inn?«
»Steve Barkley. Er wohnt in zweihundertvierzehn East, dritte
Straße.«
»Danke. Wir werden uns mit ihm unterhalten.«
Milo, der aufgrund des aktivierten Lautsprechers alles hören
hatte können, sagte: »Das bedeutet, dass wir morgen wieder einmal
Überstunden machen werden.«
»Ja«, pflichtete ich bei, »das bedeutet es.« Ich rief bei der
SRD an und ließ mich mit dem Beamten verbinden, der die
Ermittlungen im Mordfall Holbrock leitete. Sein Name war Sherman,
sein Dienstgrad Captain. »Gibt es schon irgendwelche
Erkenntnisse?«, fragte ich, nachdem ich meinen Namen genannt
hatte.
»Wir haben eine Reihe von Fingerabdrücken festgestellt«,
erwiderte der Kollege. »Eine Autopsie der beiden Leichen hat noch
nicht stattgefunden. Die Geschosse, mit denen die beiden erschossen
wurden, haben wir sichergestellt. Aber sie sind dermaßen verformt,
dass sich zwar das Kaliber bestimmen lässt, sonst aber nichts. Wir
haben sie trotzdem an die Ballistik abgegeben. Sollten wir zu
irgendwelchen Ergebnissen gelangen, setze ich Sie unvermittelt in
Kenntnis, Trevellian.«
Ich bedankte mich, legte auf und schaute Milo an. »Kümmern wir
uns um James Hancock und Fred Bailey, die beiden Dealer.«
Fred Bailey wohnte in der 96th Straße. Es handelte sich um
eine Kellerwohnung. Eine Klingel gab es nicht. Ich pochte mit den
Knöcheln meiner Rechten gegen die Tür. Gleich darauf wurde uns
geöffnet. Bailey trug nur eine ausgewaschene Jeans und ein
ärmelloses Unterhemd. Er sah ausgemergelt und krank aus. Auf seinem
Jochbein nahm ich einen dunklen Bluterguss wahr, seine Unterlippe
war geschwollen und wies eine verkrustete Platzwunde auf.
Der Dealer musterte uns misstrauisch.
»Mister Bailey?«, sagte ich fragend.
»Was wollen Sie?«
»Wir sind die Agents Trevellian und …«
Bailey wollte die Tür zuwerfen, aber ich stellte blitzschnell
meinen Fuß zwischen Türschwelle und Türblatt. Und dann warf ich
mich meinerseits gegen die Türfüllung. Ich überrumpelte den Dealer.
Er taumelte zurück, ich folgte ihm in den Raum. Muffige Luft stieg
mir in die Nase.
Der Gangster duckte sich. Es sah aus, als würde er mich im
nächsten Moment anspringen. Seine Augen versprühten geradezu
Blitze.
»Warum so unfreundlich?«, fragte ich.
»Was wollt ihr?«, wiederholte Bailey seine Frage.
»Sie verkaufen vor dem Club 66 Drogen.«
»Wer behauptet das?«
»Wir wissen es. Wir wissen auch, dass Sie sich gestern Abend
weigerten, weiterhin in dem Club Drogen an den Mann zu bringen und
dass Holbrock Sie von seinen Schlägern verprügeln ließ.«
»Verdammt! Wer hat geredet?«
Ich ignorierte diese Frage. »Sie wurden vorgestern in der
Nacht überfallen. Es war die Nacht, in der Watson und Hancock
niedergeschlagen wurden und in der Unbekannte Burt Callagher
ermordeten. Sie konnten sich retten. Wie sehen die Kerle aus, die
Sie aufmischen wollten?«
»Es war finster, und ich habe sie nicht so genau gesehen.
Außerdem hatte ich nicht die Zeit, mir die Kerle so genau
anzusehen. Hm, wie sahen sie aus? Zwischen zwanzig und dreißig
Jahre alt, Allerweltsgesichter. Ihre Beschreibung trifft auf
tausende New Yorker zu.«
»Wir werden Sie vor einen Computer setzen, Bailey«, erklärte
ich. »Und Sie werden sich in Frage kommende Gesichter ansehen. Wenn
es sein muss, führen wir Ihnen die gesamte Verbrecherkartei
vor.«
»Schon gut, schon gut. Bin ich verhaftet?«
»Sicher. Rauschgifthandel ist kein Kavaliersdelikt. Ich denke,
man wird Sie die nächsten Jahre aus dem Verkehr ziehen.«
»Aber …«
»Es gibt keine Entschuldigung«, sagte ich hart, dann brachten
wir den Dealer ins Field Office. In einem leerstehenden Büro
setzten wir ihn vor den Monitor, ich fuhr das Terminal hoch und
klickte das Archiv an. »Nun beschreiben Sie uns mal den Burschen,
den Sie am Besten in der Erinnerung behalten haben«, forderte ich
den Gangster auf.
Bailey wiegte den Kopf. »Wie ich schon sagte, zwischen zwanzig
und dreißig. Etwa eins achtzig groß, schlank, dunkelhaarig. Er
hatte einen Bürstenhaarschnitt.«
Ich gab die entsprechenden Kriterien ein. Der Computer spuckte
über dreihundert Dateien von Männern aus, auf die die Beschreibung
zutraf. Wir ließen die Bilder durchlaufen. Bailey starrte auf den
Bildschirm. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Plötzlich aber
sagte er: »Das ist der Kerl.«
Der Name des Burschen war Herb Granger. Die letzte bekannte
Anschrift lautete: 315, West 74th Street. Granger war
vierundzwanzig Jahre alt und wegen gefährlicher Körperverletzung
vorbestraft.
»Ganz sicher?«, fragte ich.
»Ja. Ein Irrtum ist ausgeschlossen. Er ist es. Jetzt, wo ich
das Gesicht sehe, erkenne ich ihn wieder.«
Bailey wurde arretiert. Milo und ich fuhren los. James
Hancock, den Dealer, der im »Club Andalusia« Drogen verkaufte,
würden wir uns später holen.
13
Die 74th war eine ruhige Straße. Ich parkte den Sportwagen vor
dem Gebäude Nummer 315, dann betraten wir das Haus. Es handelte
sich um einen Wohnblock mit über zwanzig Parteien. Granger wohnte
in der vierten Etage. Das Türschild verriet uns, dass wir richtig
waren. Milo läutete. In der Wohnung erklangen Schritte, dann
ertönte es: »Wer ist draußen?«
»Die Agents Trevellian und Tucker vom FBI!«, erwiderte
Milo.
Eine Verwünschung war zu hören. Ich fackelte nicht lange und
warf mich mit der Schulter gegen das Türblatt. Es hielt meinem
Anprall nicht stand und flog krachend auf. Die SIG in der Faust
wirbelte ich in die Wohnung. »Stehen bleiben!«
Granger wollte gerade in einen der anderen Räume flüchten.
Jetzt riss es ihn herum. Geduckt wie ein Mann, der im nächsten
Moment seine Flucht fortsetzen würde, stand er da. Ich hatte die
Waffe auf ihn gerichtet. Hinter mir kam Milo in das Apartment. Auch
er hielt die Dienstwaffe in der Hand.
Granger richtete sich auf. Ohne dazu aufgefordert zu werden,
hob er die Hände in Schulterhöhe. Er biss die Zähne zusammen. Hart
traten die Backenknochen in seinem Gesicht hervor.
Milo fesselte ihm die Hände auf den Rücken, dann sagte er ihm
den Grund seiner Verhaftung und klärte ihn über seine Rechte auf.
Zurück im Field Office verhörten wir Granger. Zuerst stellte er
sich an. Dann aber rückte er langsam heraus mit der Sprache. Er gab
zu, zu dem Trio zu gehören, das die Dealer überfiel und
zusammenschlug. Dass er an dem Mord an Burt Callagher beteiligt
war, bestritt er.
»Von wem hatten Sie den Auftrag?«
»Von Hal Cassidy.«
»Wer ist das?«
»Ich weiß nichts über ihn, kenne lediglich seinen Namen. Er
ist nicht der Boss, sondern dessen Sprachrohr. Hal schickte uns
los.«
»Nannte er Ihnen einen Grund?«
»Er sprach davon, dass wir uns den Platz in Manhattan
erkämpfen müssten.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer der Hintermann sein
könnte?«
»Nicht die geringste.«
»Nennen Sie uns die Namen Ihrer Komplizen.«
Granger nannte sie, Milo schrieb sie in sein Notizbüchlein.
Nachdem Granger abgeführt worden war, begaben wir uns in unser
Büro. Hal Cassidy war nicht registriert. Ich schaute im Telefonbuch
nach. Es gab drei Männer mit diesem Namen. Einer wohnte in East
44th Street, einer in Staten Island, der dritte in Brooklyn.
Ich tippte, dass Hal Cassidy in der 44th Street unser Mann
war. Also machten wir uns auf die Socken. Cassidy wohnte in der
neunten Etage. Wir benutzten den Aufzug. Ich läutete. Niemand
öffnete uns. Wir versuchten es bei der Nachbarwohnung. Ein älterer
Mann öffnete uns und musterte uns fragend. Ich erklärte, wer wir
waren, dann fragte ich nach Hal Cassidy.
»Wir haben ein paar Fragen an Mister Cassidy«, sagte ich.
»Allerdings ist er nicht zu Hause. Ist er vielleicht auf der
Arbeit?«
»Kaum vorstellbar. Cassidy geht keiner geregelten Arbeit nach.
An den Abenden verlässt er immer die Wohnung. Kein Mensch weiß, was
er treibt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wo er sich gegebenenfalls
herumtreibt. Es ist ein komischer Kauz, der nicht mal grüßt. Ich
habe keinerlei Kontakt zu ihm.«
»Wie sieht Cassidy aus?«
»Eins fünfundachtzig groß, durchtrainiert, solariengebräunt.
Er hat lange, schwarze Haare, die er am Hinterkopf meistens
zusammengebunden hat. Er dürfte um die vierzig sein.«
Wir verließen die Wohnung und setzten uns in den Sportwagen.
Nach einer Stunde etwa fuhr ein dunkelgrüner Chevy vor. Ein Mann,
auf den die Beschreibung von Cassidy passte, stieg aus.
»Das ist er!«, stieß Milo hervor.
»Ja. Schnappen wir ihn uns.«