Thriller Spezial Großband 3008 - 3 Romane - Alfred Bekker - E-Book

Thriller Spezial Großband 3008 - 3 Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Krimis: (339XE) Alfred Bekker: Kubinke und die Verschwundenen Alfred Bekker: Kubinke und der Mord in Wien Alfred Bekker: Burmester und das Foto Kommissar Harry Kubinke ist Ermittler beim BKA in Berlin. Aber plötzlich muss er sich mit einem Fall beschäftigen, der sich in Wien ereignet hat. Doch alle Spuren führen zurück nach Berlin. Kubinke und sein Team gehen auf Mörderjagd und kommen einer schier unglaublichen Verschwörung auf die Spur. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

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Inhaltsverzeichnis

Thriller Spezial Großband 3008 - 3 Romane

​Copyright

Kubinke und die Verschwundenen

​Kubinke und der Mord in Wien

​Burmester und das Foto:

Thriller Spezial Großband 3008 - 3 Romane

Alfred Bekker

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Alfred Bekker: Kubinke und die Verschwundenen

Alfred Bekker: Kubinke und der Mord in Wien

Alfred Bekker: Burmester und das Foto

Kommissar Harry Kubinke ist Ermittler beim BKA in Berlin. Aber plötzlich muss er sich mit einem Fall beschäftigen, der sich in Wien ereignet hat. Doch alle Spuren führen zurück nach Berlin. Kubinke und sein Team gehen auf Mörderjagd und kommen einer schier unglaublichen Verschwörung auf die Spur.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

​Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER TONY MASERO

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

Kubinke und die Verschwundenen

Krimi von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 119 Taschenbuchseiten.

Vor zehn Jahren hat eine Sondereinheit von sieben Polizeibeamten ein kriminelles Netzwerk ausgeschaltet. Jetzt sind vier dieser Beamten spurlos verschwunden. Die Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier ermitteln in dem Fall der verschwundenen Kollegen. Besteht noch eine Chance, sie lebend wiederzufinden?

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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1

Ein Kaufhaus in Berlin…

„Ich werde euch alle töten!”, brüllte die Frau. Ihr Gesicht war rot angelaufen, die Augen unnatürlich geweitet. Sie war Mitte dreißig und völlig durch den Wind. In ihrer Rechten und Linken hielt sie jeweils ein ziemlich langes Messer. Beide Messer waren blutbesudelt.

Sie war wahllos durch das Kaufhaus gelaufen und hatte auf jeden eingestochen, der sich in ihrer Nähe befand. Es gab bereits mehrere Schwerverletzte.

Ich war mehr oder weniger zufällig vor Ort. Nach Dienstschluss wollte ich noch etwas besorgen. Es kam ja ohnehin selten genug vor, dass ich pünktlich Schluss machen konnte. Ermittler beim BKA, das ist eben kein Job wie jeder andere. Die normalen Bürozeiten gelten da nicht unbedingt. Schließlich richten sich weder das organisierte Verbrechen noch der gestörte Serienkiller danach.

Ich hatte meine Dienstwaffe dabei.

Die hatte ich jetzt in der Faust.

„Kubinke, Kriminalpolizei!”, rief ich mit durchdringender Stimme. „Lassen Sie das Messer fallen - und zwar sofort!”

Die Augen der irren Frau flackerten.

Ihre Nasenflügel bebten.

Die großen Pupillen machten mir Sorgen.

Von der Iris war fast nichts mehr zu sehen.

Sowas deutet immer darauf hin, dass jemand Drogen genommen hat. Und dann kann man für nichts mehr garantieren.

„Ich töte alle!”, rief die Messerfrau mit schriller Stimme. Sie fuchtelte mit ihren Messern in der Gegend herum, so als wäre sie nicht nur von Kaufhauskunden und Verkäuferinnen, sondern zusätzlich noch von unsichtbaren Feinden umgeben.

Ihr Gesicht war eine verzerrte Maske.

Sieben Meter gelten als Sicherheitsabstand für einen Messerangreifer. Messer sind nämlich fiese Waffen. Eine blitzschnelle Bewegung, dann eine zweite und dritte und man hat gleich mehrere Einstiche. Dagegen gibt es keine Verteidigung. Man bekommt einen Schock und ist wehrlos. Wehrlos und so gut wie tot. Das geht blitzschnell. Wer immer auch behauptet, er könnte einen Messerangreifer entwaffnen, der lügt. Das kann niemand. So etwas funktioniert nur im Film, aber nicht in der Wirklichkeit. In der Wirklichkeit gibt es nur zwei Dinge, die einen dagegen schützen können: Abstand halten ist das eine.

Das ist die Option, die man hat, wenn man keine Schusswaffe bei sich trägt.

Die andere Option hat man man nur mit einer Pistole.

Sie läuft darauf hinaus, den Messerangriff durch einen gezielten Schuss zu beenden.

Sieben Meter.

Ich war längst näher an ihr dran.

Viel näher.

„Ihr seid keine Menschen!”, rief sie. „Ihr seid in Wahrheit Reptiloide! Ihr seht nur aus wie Menschen! Ihr tarnt euch. Aber ihr seid Reptiloide, die seit Jahrtausenden die Erde heimsuchen und und uns alle beherrschen!”

„Ich bin Harry Kubinke von der Kripo”, wiederholte ich. „Kein Reptiloide. Ich schwörs.”

Sie starrte mich an.

„Du?”

„Die Messer weg, sofort.”

„Du bist der einzige echte Mensch hier!”

„Dann kannst du mir ja vertrauen”, sagte ich. „Also die Messer fallenlassen!”

„Du bist ein guter Mensch!”

„Die Messer weg!”

„Der einzige echte Mensch hier!”

„Ich bring dich in Sicherheit”, sagte ich. „Aber nur, wenn du vorher die Messer ablegst!”

Sie schien unschlüssig zu sein, was sie als nächstes tun sollte.

Immerhin.

Sie überlegte.

Das war mehr, als zu hoffen gewagt hatte. Die Hände mit den Messern sanken etwas nach unten.

Ein gutes Zeichen, dachte ich.

Ich glaubte, dass ich sie erreicht hatte. Dass ich irgendwie zu ihr vorgedrungen war und sie noch zum Guten beeinflussen konnte.

Ein Irrtum, wie sich leider herausstellen sollte.

Sie machte einen Ausfallschritt zur Seite.

Da stand eine junge Verkäuferin. Vermutlich noch in der Ausbildung, so jung, wie sie aussah.

Sie war die ganze Zeit schon wie erstarrt. Der pure Schrecken hatte sie gelähmt und trotz des Zeichens, das ich ihr gemacht hatte, war nicht mehr als zwei Schritt zur Seite gewichen.

Die irre Messerstecherin hatte ihr blitzschnell eine ihrer Klingen durch den Hals gezogen. Blut spritzte bis zu mir hinüber. Die Verkäuferin hielt sich den Hals, aber das Blut strömte ihr durch die Finger.

Ich schoss und traf die irre Messerfrau im Kopf. Sie ruderte mit den Armen, so als wollte sie noch viele unsichtbare Gegner - getarnte Reptiloide vermutlich - abstechen und fiel dann wie ein gefällter Baum mit einem dumpfen Geräusch zu Boden.

Reglos blieb sie liegen.

Ihre Körperhaltung war eigenartig verrenkt.

Die Augen starr.

2

„Es macht Ihnen niemand einen Vorwurf”, sagte mein Chef, Kriminaldirektor Hoch, als ich zusammen mit meinem Kollegen Rudi Meier dort saß und wir über den Vorfall sprachen. Das war Tage später. Und es lagen inzwischen neue Erkenntnisse zu der Sache vor.

„Ich mache mir selbst einen Vorwurf”, sagte ich.

„Die Frau hatte laut Gerichtsmedizin Designer-Drogen genommen. Die genaue chemisch-korrekte Bezeichnung erspare ich Ihnen.. Es handelt sich letztlich um ein starkes Psychopharmakum, das Halluzinationen und Wahnzustände auslösen kann. Genau das ist hier passiert.”

„Ich dachte, dass ich sie retten könnte”, sagte ich.

„So jemand ist unberechenbar”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Sie haben Ihr Bestes getan.”

„Das war leider nicht gut genug.”

„Man kann nicht jeden retten.”

„Ich weiß.”

„Wie gesagt, es macht Ihnen jemand einen Vorwurf.”

„Ich hätte sofort schießen sollen”, sagte ich. „Dann würde wenigstens die Verkäuferin noch leben. Aber ich habe gedacht, dass ich die Situation ohne Blutvergießen beenden kann.”

„Du konntest nicht wissen, was mit der Frau genau los ist”, mischte sich mein Kollege Rudi Meier ein. „Sowas kann jedem von uns passieren.”

„Das mag sein”, sagte ich. „Aber das macht es nicht besser.”

3

Eine regennasse Nacht in Hannover. BKA-Ermittler Kriminalhauptkommissar Theo Görremann verließ das ‘Magic’, eine Nobeldisco, die einst als Umschlagplatz für Kokain und Designer-Drogen galt. Görremann schlug den Kragen seines Mantels hoch. Sein Wagen stand auf der anderen Straßenseite vor einer Snack Bar, die rund um die Uhr geöffnet hatte.

Görremann fühlte das Vibrieren seines Mobiltelefons und nahm das Gerät aus der tiefen Manteltasche.

Auf diesen Anruf schien er gewartet zu haben. „Ich bin gleich bei dir”, sagte er in gedämpftem Tonfall. „Ja, ich habe mit ihm gesprochen… Wir reden später darüber, hörst du? Ich habe da etwas herausgefunden, was kaum zu glauben ist und ehrlich gesagt denke ich auch, dass man das erstmal überprüfen sollte…” Eine kurze Pause folgte, während Theo Görremanns Gesicht einen angestrengt wirkenden Zug bekam. „Am Telefon geht das nicht. Wir reden nachher weiter!”

Görremann beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder ein. Er drehte sich um. Der Türsteher des ‘Magic’ sah in seine Richtung, während er das Walkie-Talkie an den Mund nahm und mit jemandem sprach.

Dann ging Görremann über die Straße. Mit Hilfe seines elektronischen Schlüssels öffneten sich bereits die Türen des Dienst-Chevrolets, den man ihm zur Verfügung gestellt hatte.

Görremann hatte die Straße gerade zur Hälfte überquert, da raste plötzlich ein Wagen heran. Ein Van mit getönten Scheiben und ohne Nummernschilder. Der Motor heulte auf. Ehe Görremann richtig begriffen hatte, was geschah, erfasste ihn der Kuhfänger des Van. Görremann wurde durch die Luft geschleudert und landete dann in eigenartig verrenkter Haltung auf dem Asphalt. Der Van hielt. Ein Mann stieg aus der Beifahrertür und trat an den am Boden liegenden Kommissar heran. In der Hand hielt der Mann eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer. Lächelnd blickte er auf Görremann herab.

Aber er brauchte die Waffe nicht.

Der ist tot, dachte er. Dann steckte er die Waffe ein und machte auf dem Absatz kehrt und stieg in den Van. Der Fahrer ließ ihn sofort davonbrausen. Mit quietschenden Reifen fuhr der Van um die nächste Ecke.

4

Rudi und ich trafen morgens pünktlich in der Zentrale des Bundeskriminalamts in Berlin ein. Trotzdem begegnete uns Dorothea Schneidermann, die Sekretärin des Chefs, mit einem Blick, der so ernst war, dass man hätte vermuten können, dass wir uns verspätet hatten. Ganz instinktiv sah ich deshalb auf die Uhr an meinem Handgelenk. Amüsiert bemerkte ich, dass mein Kollege Rudi Meier offensichtlich derselbe Gedanke gekommen war.

„Herr Hoch erwartet Sie bereits”, sagte Dorothea.

„Bleibt nichtmal Zeit genug, um Guten Morgen zu sagen?”, fragte ich zurück.

Das Lächeln blieb verhalten. „Heute nicht, Herr Kubinke. Sie sollten keine Sekunde mehr vergeuden.” Und damit wies sie in Richtung der Bürotür von Herrn Kriminaldirektor Jonathan Hoch, unserem Chef.

„Können Sie uns wenigstens schonmal sagen, wohin für uns die Reise diesmal geht?”, mischte sich jetzt Rudi ein.

„Bitte!”, sagte Dorothea Schneidermann erneut. Sie wirkte deutlich angespannter als sonst und das lag mit Sicherheit daran, dass Kriminaldirektor Hoch ihr auf seine gewohnt eindringliche Art und Weise ganz eindeutige Anweisungen gegeben hatte. Und die Wichtigste davon lautete offensichtlich, dass sie dafür zu sorgen hatte, dass wir uns unverzüglich in seinem Büro einfanden.

Rudi versuchte es trotzdem noch einmal. Irgendwie hatte er wohl nicht begriffen, wie ernst Dorothea Schneidermann meinte, was sie gesagt hatte. Mir war es aufgefallen. Schließlich kannte ich sie inzwischen schon gut genug, um das beurteilen zu können.

„Sagen Sie uns einfach, wo Sie die Hotels gebucht haben”, verlangte Rudi. „Denn das haben Sie doch sicher schon, wenn die Sache so dringend ist.”

„Das habe ich nicht”, stellte Dorothea Schneidermann klar. „Aber falls Sie im Rahmen Ihrer Ermittlungen ein Hotel oder einen Flug brauchen, dann sagen Sie mir einfach Bescheid und ich erledige das wie üblich.”

„Gut, aber…”

„Sie werden davon noch Gebrauch machen. Und zwar nicht zu knapp!”

In diesem Augenblick ging die Tür des Büros auf und Kriminaldirektor Hoch stand uns gegenüber. Die Hände waren in den weiten Taschen seiner Flanellhose vergraben, die Hemdsärmel aufgekrempelt. Seine Krawatte war gelockert und hing ihm wie ein Strick um den Hals.

So kannten wir Kriminaldirektor Hoch: Morgens war er der erste im Büro und abends war er der letzte, der es verließ.

Allerdings sah ich dann etwas, was mich stutzen ließ - und Rudi ebenfalls.

Kriminaldirektor Hoch unterdrückte offensichtlich ein Gähnen.

Diesen Tag musste man im Kalender wohl rot anstreichen, denn normalerweise vermittelte unser Chef eigentlich immer den Eindruck, dass seine persönlichen Energiereserven unerschöpflich waren.

„Schön, dass Sie endlich da sind”, sagte er. „Kommen Sie herein, ich habe heute Morgen schon unzählige Telefonate führen müssen. Aber es ist nunmal so, dass dann die meisten Gesprächspartner tatsächlich auch ein paar Minuten Zeit für einen haben.”

Rudi und ich wechselten einen kurzen und leicht ratlosen Blick, während unser Chef sich umdrehte und gleichzeitig mit einer energisch wirkenden Handbewegung dafür sorgte, dass wir ihm auch tatsächlich folgten, so wie er es verlangt hatte.

5

„Setzen Sie sich”, bot Kriminaldirektor Hoch an und wir kamen dem gerne nach. „Heute Morgen ist ein Fall an uns übergeben worden, der vielleicht in seiner vollen Tragweite erst etwas zu spät von den Kollegen erkannt worden ist.” Nun erst nahm Herr Hoch hinter seinem Schreibtisch Platz. „Die Gespräche, die ich heute Morgen führen musste, hatten allesamt etwas mit der Sache zu tun. Da mussten noch ein paar Kompetenzgrenzen genau abgesteckt werden.”

Die Tatsache, dass Kriminaldirektor Hoch entgegen seiner sonstigen, eher direkten Art noch nicht auf den Fall selbst zu sprechen gekommen war, sprach dafür, dass es sich dabei um etwas Außergewöhnliches handeln musste. Etwas, das selbst für einen so erfahrenen Kriminalbeamten wie ihn keine Routine war.

„Wir sind ganz Ohr”, sagte Rudi.

„Vier Ermittler sind innerhalb von zwei Wochen spurlos verschwunden”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Die Ermittler gehören unterschiedlichen Dienstellen an. Ihre Dienststellen und Einsatzgebiete waren über ganz Deutschland verteilt. Darum ist den Kollegen wohl auch die Tragweite der ganzen Angelegenheit nicht schnell genug aufgefallen.”

„Sie meinen, es gibt einen Zusammenhang zwischen diesen Fällen?”, schloss ich.

Kriminaldirektor Hoch nickte. „Den gibt es. Vor zehn Jahren gehörten alle diese Kommissare derselben Spezialeinheit in Hannover an.”

„Was war das für eine Spezialeinheit?”, fragte ich.

„Eine Abteilung aus nur sieben Kollegen, die gegen ein kriminelles Netzwerk vorgehen sollten, dass als sogenannte Liga bekannt wurde. Drogen, Zwangsprostitution, Glücksspiel, Geldwäsche, Schutzgelderpressung, illegaler Handel mit antiken Kunstwerken, illegale Müllentsorgung - die haben kein Feld ausgelassen, auf dem das organisierte Verbrechen traditionellerweise Geld verdient.”

„Trotzdem ungewöhnlich, eine Truppe von sieben Ermittlern gegen eine ganze Verbrecher-Organisation zu stellen”, warf Rudi ein. „Normalerweise braucht man da sämtliche Ressourcen des BKA und vielleicht sogar darüber hinaus.“

„Sie haben recht, Rudi”, stimmte Kriminaldirektor Hoch zu. „In diesem Fall war das wohl mehr oder minder ein Akt der Verzweiflung.”

Ich ahnte, worauf das hinauslief.

„Maulwürfe?”, fragte ich.

„Ich habe gerade nochmal mit dem Kollegen Sörgelmeier aus Hannover gesprochen, der damals gerade frisch in seine jetzige Chef-Position gesetzt worden war und auf dessen Initiative diese Maßnahme zurückging. Wie gesagt: Es war ein Akt der Verzweiflung, Harry. Die sogenannte Liga hatte es anscheinend geschafft, die Polizei von Hannover mit Informanten zu durchsetzen. Sie hatten, wie sich später herausstellte, auch ungehinderten Zugriff auf die Rechnersysteme. Wie weitgehend ihre Fähigkeit war, den dienstlichen Informationsfluss abzuschöpfen, konnte nie vollständig ermittelt werden. Aber Tatsache war, dass es damals anscheinend unmöglich gewesen ist, auch nur in irgendeinem Club eine Razzia durchzuführen, ohne dass die Liga davon wusste. Daraus haben diese Leute übrigens ebenfalls ein Geschäftsmodell entwickelt, in dem sie diese Informationen an zahlende Kunden weitergeben haben. Sie können sich vorstellen, was für Leute auf dieser Kundenliste waren.”

„Die Sache lief aus dem Ruder”, schloss ich.

„Der Kollege Sörgelmeier hat damals die Konsequenz gezogen, dass nur eine kleine, vollkommen unabhängig agierende Sondereinheit überhaupt eine Chance hatte, gegen die Liga zu ermitteln. Eine Gruppe von Ermittlern, die keine Berichte auf den üblichen Wegen ablieferte, die mit so wenig Unterstützung wie möglich auskommen musste und weitgehend auf sich gestellt gearbeitet hat.”

„Hatten die Ermittlungen Erfolg?”, fragte ich.

„Ein Jahr lang haben die Kollegen mehr oder minder auf sich gestellt ihren Job gemacht”, berichtete Kriminaldirektor Hoch weiter. „Außer Sörgelmeier und der BKA Zentrale hier in Berlin hat niemand überhaupt auch nur von der Existenz dieser Sondereinheit erfahren. Und dadurch konnten diese sieben Ermittler im Endeffekt mehr erreichen, als es ansonsten möglich gewesen wäre. Nachdem genug Beweis gesammelt worden waren, wurde die Liga in einer konzertierten Aktion zerschlagen und die Hintermänner bis auf einen verhaftet.”

„Bis auf einen?”, hakte ich nach.

„Dorian Rinescu, der als oberste Instanz der Liga galt, kam bei einer Explosion in seinem Haus ums Leben, kurz bevor er verhaftet werden sollte. Es wird angenommen, dass Rinescu damals Beweismaterial vernichten wollte und dabei etwas daneben ging. Jedenfalls hat man danach von der Organisation nichts mehr gehört. Ich habe Ihnen ein Dossier zusammengestellt, darin können Sie sehen, dass es im Zuge der anschließenden Prozesse zahlreiche Verurteilungen gab. Und es wurden im Zuge dieser Untersuchungen auch etliche BKA-Mitarbeiter, Polizisten und sogar Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft angeklagt, verurteilt und vor allem aus ihren Positionen entfernt, die auf der Lohnliste der Liga standen und mit dafür gesorgt haben, dass dieses kriminelle Netzwerk für einige Zeit nahezu unangreifbar war.”

„Ein Erfolg auf ganzer Linie”, lautete Rudis Kommentar.

„So könnte man sagen”, nickte Kriminaldirektor Hoch. „Die Mitglieder der Sondereinheit verstreuten sich anschließend auf unterschiedliche Dienstellen. Vermutlich hing das mit den Beförderungen zusammen, die daraufhin ausgesprochen wurden. Schließlich hatten sie diesen höchst gefährlichen Einsatz auf die bestmögliche Weise zu einem zufriedenstellenden Ende geführt.”

„Und woher kommt die Gewissheit, dass das Verschwinden dieser vier Ermittler tatsächlich mit der alten Geschichte in Hannover zusammenhängt?”, fragte ich.

„Da gibt es keine Gewissheit”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Es ist einfach nur so, dass es außer dem zeitlichen Zusammenhang ihres Verschwindens und der Tatsache, dass sie zusammen in dieser Spezialabteilung in Hannover gewesen sind, bislang kein verbindendes Element gibt. Wir haben auch keinerlei Hinweise darauf, was mit den Verschwundenen geschehen ist. Sie könnten entführt worden sein, es ist möglich, dass sie ermordet wurden und es wäre als letzte Hypothese sogar denkbar, dass sie sich aus eigenem Antrieb abgesetzt haben. Das kann sich zwar niemand aus dem näheren Umfeld der Betreffenden vorstellen - aber außer Acht lassen kann man die Möglichkeit auch nicht.”

„Gibt es irgendeinen konkreten Ansatzpunkt, um die Ermittlungen zu beginnen?”, wollte Rudi wissen.

Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen. „Es gibt nur ein ehemaliges Mitglied dieser Abteilung, mit dem Sie sprechen können: Ein gewisser Reinhold Kahlmann, der heute im Innendienst des BKA BKA-Büro Reichenberg tätig ist.”

„Meiner Rechnung nach fehlen da noch zwei, wenn man auf sieben kommen will”, stellte ich fest. „Was ist mit denen passiert?”

„Kommissar Theo Görremann starb vor zwei Wochen bei einem Unfall mit Fahrerflucht. Dieser Unfall ereignete sich in Hannover, und zwar in unmittelbarer Nähe der Nobel-Disco ‘Magic’, die als Drogenumschlagplatz in den Ermittlungen gegen die Liga eine gewisse Rolle gespielt hat.”

„War Theo Görremann dienstlich dort?”, hakte ich nach.

„Laut Auskunft der Kollegen in Hannover war er privat dort. Dienstlich hatte er dort nichts verloren. Niemand weiß, was er in Hannover wollte, aber zusammen mit der Tatsache, dass vier seiner ehemaligen Kollegen verschwunden sind, deutet das natürlich in eine gewisse Richtung.”

„Was ist mit dem siebten Mitglied?”

„Kommissar Gregor Bellhoff. Er schied vor einiger Zeit wegen körperlicher Beschwerden aus dem Dienst. Es wurde eine Tumorerkrankung festgestellt. Wenig später war er tot.”

6

Eine halbe Stunde später waren wir auf dem Weg, um mit Reinhold Kahlmann zu sprechen, der zurzeit im Innendienst arbeitete.

Rudi hatte sein Laptop auf den Knien, um die Daten des Falls, wie er sich uns nach den bisherigen Erkenntnissen darstellte, parat zu haben.

„Auffällig ist tatsächlich, dass die vier verschwundenen Ermittler innerhalb von wenigen Tagen wie vom Erdboden verschluckt waren”, stellte Rudi fest. „Man hat nichts gefunden, keine Spuren eines Kampfes, keine Hinweise darauf, dass die Betreffenden vielleicht untergetaucht sind.”

„Eigentlich wissen wir nichts”, erwiderte ich. „Alles, was wir von Herr Hoch bekommen haben, sind Vermutungen.”

„Begründete Vermutungen”, wandte Rudi ein. „Dass das alles etwas mit dieser alten Geschichte zu tun hat, ist schon sehr wahrscheinlich, da es wirklich das einzige gemeinsame Merkmal der Opfer ist.”

„Vielleicht gibt es noch ein anderes, das wir im Moment nur noch nicht kennen, Rudi.”

„Ich habe hier die dienstlichen Lebensläufe der vier Verschwundenen mal durchgesehen. Nach ihrer Zeit in Hannover, haben die nie wieder zusammengearbeitet. Und vorher gab es auch keine Berührungspunkte. Ich habe natürlich jetzt nur die dienstlichen Stationen checken können…”

„Rufen wir Dr. Lin-Tai Gansenbrink an”, meinte ich. „Das IT-Genie unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg kann den Rest übernehmen und wird sicher noch herausfinden, ob irgendjemand aus dieser Gruppe mit einem anderen vielleicht zusammen im Kindergarten oder auf derselben Entbindungsstation war.”

„Ich habe Lin-Tai schon gemailt und eine kleine Wunschliste mitgeschickt.”

„Wunschliste?”, echote ich.

„Nenn es Arbeitsaufträge.”

„Das nächste, was wir abchecken müssen, ist, ob der Unfall von Theo Görremann wirklich ein Unfall war”, sagte ich. „Förnheim soll sich darum kümmern und alle Beweise nochmal unter die Lupe nehmen.”

Friedrich G. Förnheim war der Naturwissenschaftler des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts aus Quardenburg, dessen Dienste uns bei unseren Ermittlungen zur Verfügung standen.

„Dann könnte sich Dr. Wildenbacher auch mal die Krankenakte von Gregor Bellhoff ansehen”, meinte Rudi.

„Du meinst, da könnte etwas faul sein?”

„Wir sollten das zumindest ausschließen können - und wer weiß, vielleicht findet Wildenbacher ja etwas.”

Dr. Wildenbacher war der Gerichtsmediziner der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst. Vermutlich hatten bei Gregor Bellhoff keine weitergehenden Untersuchungen stattgefunden, da ja bisher nicht der Verdacht bestanden hatte, dass Bellhoff an irgendetwas anderem als an den Folgen seiner Krankheit gestorben war.

Während der Fahrt telefonierte ich über die Freisprechanlage mit dem Gerichtsmediziner Dr. Wildenbacher.

„Das wird nicht so einfach, Harry”, sagte er. „Es gibt so etwas wie eine ärztliche Schweigepflicht, auch wenn das für viele Ermittler immer wieder ein Fremdwort zu sein scheint und man den Ärzten vorwirft, sie seien nicht kooperativ.” Wildenbacher, der mit einem unverkennbaren bayerischen Akzent sprach, atmete tief und auch durch das Telefon deutlich hörbar durch. „Wir brauchen das Einverständnis der Angehörigen. Und je nachdem, wie kooperativ die sind, kann ich was für euch tun.”

„Wir kümmern uns darum”, versprach ich.

Wildenbacher hatte Recht. Kein Richter hätte angesichts des Standes der Ermittlungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Schweigepflicht aufgehoben, die im Übrigen auch für Patienten galt, die bereits verstorben waren. Und dass Dr. Wildenbacher sich selbst um eine Kooperation mit den Angehörigen bemühte, hielt ich für keine vielversprechende Idee. Wildenbacher hatte manchmal den Charme eines Schlachters und seine direkte bayerische Art war nicht unbedingt jedermanns Sache. Möglicherweise traf er in einer so sensiblen Sache schlicht und ergreifend nicht den richtigen Ton.

„Ich würde euch ja anbieten, dass ich mich selbst darum kümmere”, meinte er dann. „Aber zurzeit habe ich hier ein paar Altlasten abzuarbeiten, die dringend erledigt werden müssen.”

„Mit Altlasten meinen Sie vermutlich Leichen.”

„Das haben Sie gesagt, Harry. Halten Sie mich jetzt nicht für unsensibel, aber der Tag hat nunmal nur vierundzwanzig Stunden.”

„Sie können ja trotzdem mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufnehmen, bis wir weitergehende Befugnisse haben.”

„Sie meinen - ein Gespräch von Arzt zu Arzt?”

„Natürlich unter Beachtung der Schweigepflicht. Aber alles, was offiziell in den Akten steht, in der Zeitung zu lesen war oder sonstwie bereits die Runde macht, kann natürlich auch Gegenstand eines solchen Gesprächs sein. Und vielleicht erfahren Sie zwischen den Zeilen auch etwas, ohne schon in die Einzelheiten gehen zu müssen!”

„Ich sehe zu, was ich tun kann”, sagte Wildenbacher.

„Gut. Rufen Sie uns wieder an, sobald sich auch nur der kleinste Anhaltspunkt dafür ergeben könnte, dass unser Kollege an irgendetwas anderem als den Folgen seiner Erkrankung gestorben ist.”

„Gut.”

Ich beendete das Gespräch mit Wildenbacher. Anschließend rief ich Förnheim an, um mit ihm den Unfall von Theo Görremann durchzusprechen.

Rudi beteiligte sich auch daran. Der Unfall war schließlich von der Polizei in Hannover aufgenommen worden. Die Fahndung nach dem unfallflüchtigen Wagen, der Theo Görremann mit voller Wucht erwischt hatte, war bislang ergebnislos geblieben.

„Es müsste keine Schwierigkeit sein, alle notwendigen Daten zu bekommen”, meinte Förnheim in seinem gestelzten hamburgischen Akzent. „Ich nehme nicht an, dass da überhaupt weitergehende Untersuchungen angestellt wurden.”

„Für uns ist die Frage nach wie vor offen, was Görremann in Hannover wollte”, sagte ich.

„Vielleicht ein paar alte Freunde besuchen”, meinte Förnheim.

„Ja, so etwas in der Art hatten wir uns auch schon gedacht”, meinte ich.

7

Wir fuhren auf direktem Weg zu Kahlmanns gegenwärtiger Dienststelle in Reichenberg. Dienststellenleiter Albrecht Martini, ein korpulenter Mann von Mitte vierzig, empfing uns in seinem Büro. Der dunkle Knebelbart ließ sein Gesicht trotz des Doppelkinns sehr markant erscheinen. Kriminaldirektor Hoch hatte schon mit ihm gesprochen und auch wir hatten bereits während der Fahrt Telefonkontakt mit ihm.

„Ihr Vorgesetzter hat mir gesagt, worum es geht”, sagte Albrecht Martini, nachdem wir uns gesetzt hatten. „Wollen Sie Kaffee?”

„Im Moment würden wir eigentlich gerne so schnell wie möglich mit dem Kollegen Reinhold Kahlmann sprechen.”

Albrecht Martini blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. „Er hat heute eigentlich frei, Sie wissen ja: die vielen Überstunden. Und wenn es dann mal etwas ruhiger ist, muss man die Gelegenheit nutzen, davon etwas abzufeiern.”

„Wir kennen das Problem aus eigener Erfahrung”, bestätigte ich.

„Allerdings habe ich ihn heute Morgen telefonisch erreicht und er hat zugesagt, zu dem abgemachten Termin, hier her zu kommen”, sagte Martini.

„Und jetzt?”

„Er ist eigentlich nie unpünktlich. Ganz im Gegenteil. Kurz bevor Sie kamen, habe ich versucht, ihn zu erreichen, aber er ist nicht an den Apparat gegangen.”

„Ich hoffe nicht, dass wir einen fünften verschwundenen Ermittler haben”, meinte Rudi.

Martinis Lächeln wirkte etwas angespannt. „Nein, bestimmt nicht. Ich könnte mir denken, dass er einfach irgendwo im Stau steht und nicht telefonieren kann.”

„Vielleicht können Sie uns ja ein paar Fragen über Reinhold Kahlmann beantworten”, schlug ich vor.

„Natürlich.” Albrecht Martini lehnte sich in seinem Bürosessel ein Stück zurück. Er faltete die Hände vor dem Bauch und drehte nervös die Daumen umeinander. Wieso er so nervös war, wollte mir nicht einleuchten. Schon gar nicht, wenn mit Reinhold Kahlmann tatsächlich alles in Ordnung war und er sich verabredungsgemäß auf dem Weg nach Reichenberg befand, das in einem mehrstöckigen, modern wirkenden Gebäude untergebracht war, umgeben von ausreichend Parkmöglichkeiten.

„Hat Herr Kahlmann Ihnen gegenüber jemals seine Zeit als Kriminalhauptkommissar in Hannover erwähnt?”, fragte ich.

„Nein, wir haben explizit nie darüber gesprochen. Er war, bevor er hier anfing in einer anderen Abteilung als Spezialist für EDV tätig - auch im Innendienst versteht sich. Dass er früher mal im Außendienst war, ist mir natürlich durch die Personalakten bekannt.”

„Auch, dass er mal Teil einer Sondereinheit war, einer speziellen Task Force, die für die Ermittlungen gegen ein kriminelles Netzwerk namens Liga eingesetzt wurde und es nach einem Jahr Ermittlungsarbeit tatsächlich auch geschafft hat, diese Organisation zu zerschlagen?”

Albrecht Martini runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nein, darüber habe ich nichts gelesen. Und das steht meines Wissens auch nicht in den Akten.”

„Könnten Sie das überprüfen?”

„Sicher.”

Martini rief über die Sprechanlage seine Sekretärin herein, die ihm wenig später die Personalakte von Reinhold Kahlmann zu holen. Das dauerte ein paar Minuten. „Wir könnten natürlich auch die Online-Version über die Personalverwaltung des BKA aufrufen, aber das könnten Sie als Kriminalinspektor erstens auch selbst tun…”

„Das haben wir schon”, erklärte Rudi. „Allerdings nur zu einer kurzen Durchsicht.”

„...und zweitens zählt die Erfahrung in einer solchen Sondereinheit im Außendienst zu den Fähigkeitsnachweisen. Und die müssen schriftlich vorliegen.” Die Sekretärin kam inzwischen herein und gab ihm die Akte. „Jeder Fortbildungskurs, jede Sonderausbildung am Schießstand oder in Forensik muss eigentlich hier drin sein.” Martini blätterte die Akte durch. „Ist sie aber in diesem Fall nicht. Zumindest nicht, was die Tätigkeit in dieser damaligen Task Force betrifft.”

„Herr Kahlmann hat dafür eine Belobigung bekommen und ist außerdem in eine höhere Gehaltsstufe befördert worden”, stellte Rudi fest.

„Keine Ahnung”, stellte Martini fest. „Damit hatte ich nichts zu tun.” Er runzelte die Stirn. Dann blickte er erneut auf die Uhr. Langsam schien ihn die Verspätung von Reinhold Kahlmann auch zu beunruhigen. „Eigenartig ist das schon”, gab er dann zu. „Ich meine, andere motzen ihre Akte mit allem Möglichen auf, wenn sie sich für eine Stelle bewerben. Da quillt so ein Ordner dann mit besonderen Fähigkeitsnachweisen nur so über. Sie ahnen ja gar nicht, was man da alles zusätzlich tun kann!”

„Und jemand wie Kahlmann, der eigentlich wirklich etwas Bedeutendes in dieser Hinsicht vorzuweisen hätte, scheint keinen Wert darauf zu legen”, meinte ich.

„Wir haben seine Akte direkt aus von der letzten Dienstelle bekommen.”

„Dann war der Nachweis schon dort nicht vorhanden”, schloss ich.

„Sowas ist eigentlich nicht möglich”, stellte Martini klar, dessen Vertrauen in die Personalverwaltung des BKA offenbar unerschütterlich war. „Und wenn da ein Fehler vorgekommen wäre, dann hätte er das doch korrigieren können!”

Aber genau das hatte Reinhold Kahlmann aus irgendeinem Grund nicht gewollt. Dass jemand versuchte, einen Verweis oder Ähnliches aus seinen Akten zu entfernen, konnte ich zumindest nachvollziehen. Und es gab ja auch eigentlich genug Sicherheitsmaßnahmen, die so etwas unmöglich machen sollten. Aber das jemand etwas verschwieg, womit andere eher geprahlt hätten, als es zu verbergen, war schon sehr ungewöhnlich.

Genauso ungewöhnlich wie etwas anderes. Ein erfolgreicher Fahnder arbeitete jetzt im Innendienst. Auch dafür musste es einen Grund geben. In manchen Fällen waren traumatische Erlebnisse während eines Einsatzes ein Grund dafür, weshalb ein Kollege nicht mehr in den Außendienst zurück wollte. Ob es so etwas bei Reinhold Kahlmann der Fall gewesen war, ging zumindest aus den Akten nicht hervor. Dass sein sehr erfolgreicher Einsatz gegen die Liga damit zu tun hatte, erschien jedoch andererseits kaum wahrscheinlich, zumal diese Organisation ja auch mehr oder weniger restlos zerschlagen worden war und Kahlmann eigentlich auch nicht mit irgendwelchen Racheakten rechnen musste.

Das Telefon auf Herr Martinis Schreibtisch klingelte.

Der Dienststellenleiter nahm das Gespräch entgegen.

„Reinhold? Wir warten schon auf Sie!”, stieß Martini dann hervor.

Wir konnten natürlich nicht hören, was Kahlmann ihm zu sagen hatte. Es stand für mich allerdings inzwischen fest, dass zu dem Fragenkatalog, den wir ihm stellen wollten, in den letzten Minuten noch ein paar weitere hinzugekommen waren.

Martinis Gesicht wirkte etwas entspannter, als er den Hörer wieder aufgelegt hatte. „Herr Kahlmann fragt, ob es Ihnen etwas ausmachen würde, wenn Sie sich zu seiner Privatadresse bemühen.”

„Da wären wir in Kürze wohl ohnehin aufgetaucht, wenn der Kollege Kahlmann sich nicht noch gemeldet hätte”, sagte Rudi.

„Gibt es einen besonderen Grund dafür?”, fragte ich.

„Kahlmann spielt in seiner Freizeit Tennis. Vor ein paar Tagen hat er sich das rechte Fußgelenk gestaucht. Heute Morgen hat ihn seine Frau zum Arzt gebracht, weil er starke Schmerzen hatte. Er wird in den nächsten Tagen nicht in der Lage sein, das Gaspedal eines Wagens zu treten und da seine Frau jetzt dringend ins Büro muss, wäre er Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn zu Hause besuchen könnten.”

„Könnten wir”, sagte ich.

„Er hatte übrigens sein Handy vergessen. Deshalb war er die letzten anderthalb Stunden nicht erreichbar.”

8

Wir fuhren zu Reinhold Kahlmanns Privatadresse. Der Bungalow unterschied sich nicht groß von den anderen Häuser der Gegend. Ich parkte den Dienst-Porsche am Straßenrand. Dann stiegen Rudi und ich aus.

Wenige Augenblicke später standen wir vor der Haustür. Noch bevor ich die Klingel betätigt hatte, öffnete sich die Tür. Offenbar wurden wir erwartet.

Eine Mittdreißigerin im Business Kostüm begrüßte uns.

„Guten Tag. Ich nehme an, Sie sind die Kollegen meines Mannes?”

Rudi und ich hielten ihr unsere Ausweise entgegen. „Kriminalinspektor Harry Kubinke”, stellte ich mich vor. „Und dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier.”

„Ich bin Melanie Kahlmann und im Augenblick sowieso schon viel zu spät. Mein Chef hatte Verständnis dafür, dass ich meinen Mann zum Arzt bringen musste, aber ich will sein Entgegenkommen jetzt nicht überstrapazieren und verschwinde daher gleich.”

„Das ist vollkommen in Ordnung, Frau Kahlmann”, erklärte ich.

Melanie Kahlmann führte uns ins Wohnzimmer, wo ihr Mann in einem Ledersessel saß. „Schatz, ich fahre dann jetzt”, sagte sie.”

„Bis nachher”, sagte der Mann im Ledersessel. Er war Anfang vierzig und hager. Das Kinn wirkte wie ein spitz zugeschnittenes V und seine Züge waren sehr ernst. Was mir gleich auffiel war, dass sich seine Körperhaltung sichtlich entspannte, als die Haustür ins Schloss gefallen war und seine Frau das Haus verlassen hatte.

„Kriminalinspektor Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Meier”, sagte ich und zeigte ihm dabei meinen Ausweis.

Kahlmann warf einen Blick darauf und lächelte kurz. „Sieht man ziemlich selten diese Dinger”, meinte er. „Und meistens nur dann, wenn es irgendwo internen Ärger gibt.”

„Oder ein Problem mit überregionaler Bedeutung”, sagte Rudi.

Kahlmanns Augen wurden schmal. Er musterte Rudi kurz, anschließend mich. Und ich konnte ihm ansehen, dass er im Moment darüber nachdachte, um welche Sache es in diesem Fall ging.

„Vier Ihrer Kollegen sind innerhalb kurzer Zeit spurlos verschwunden”, eröffnete ich. „Und mit spurlos meine ich tatsächlich spurlos. Es weiß niemand, wo die Kollegen geblieben sind. Und da Sie früher einmal in derselben Abteilung tätig waren, waren Sie für uns in dieser Ermittlung der erste Ansprechpartner.”

„Um wen geht es?”, fragte Kahlmann.

„Jörn Gottlieb, Dieter Reims, Michael Kagolowski und Raimund Lester”, las Rudi ihm die Namen der betroffenen Kollegen vor.

„Das klingt in der Tat nach einem größeren Problem”, murmelte Kahlmann. „Wann ist das geschehen?”

„Innerhalb der letzten zwei Wochen”, sagte Rudi.

„Sie waren zusammen mit diesen Männern vor zehn Jahren Teil einer Sonderabteilung, die ziemlich auf sich allein gestellt gegen die sogenannte Liga operiert hat”, ergänzte ich.

„Und ziemlich erfolgreich, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf”, fügte Rudi noch hinzu. „Dieses kriminelle Netzwerk ist nach den uns vorliegenden Informationen wohl nahezu restlos ausgeschaltet worden. Es gab zahlreiche Verurteilungen.”

„Das ist lange her”, sagte Reinhold Kahlmann nachdenklich. „Ich meine, es stimmt, dass wir damals in Hannover alle dieser speziell eingerichteten Task Force angehörten, aber… Wie kommen Sie darauf, dass das Verschwinden dieser Männer mit dem Fall zu tun hat, in dem wir damals ermittelten?”

„Das wissen wir natürlich nicht. Es war einfach die einzige Gemeinsamkeit der Verschwundenen. Ehrlich gesagt wissen wir noch nicht einmal mit Sicherheit, ob die Verschwundenen aus freien Stücken untergetaucht sind, oder ob ihnen…”

„...etwas zugestoßen ist?”

„Genau”, nickte ich.

„Wir sind tatsächlich sehr auf Ihre Hilfe angewiesen, Herr Kahlmann”, erklärte Rudi. „Denn zwei weitere Mitglieder Ihrer damaligen Gruppe sind nicht mehr am Leben.”

„Ich wusste, dass Gregor Bellhoff Krebs hat, aber…” Sein Blick wanderte stirnrunzelnd von Rudi zu mir. „Theo?”, fragte er dann.

„Theo Görremann starb unmittelbar vor dem Verschwinden Ihrer vier Kollegen durch einen Verkehrsunfall in Hannover”, sagte ich. „Können Sie sich vorstellen, was er dort wollte?”

„Nein, kann ich nicht.”

„Es war in unmittelbarer Nähe zu einer Discothek namens ‘Magic’, die in Ihren damaligen Ermittlungen eine gewisse Rolle spielte.”

„Was heißt hier ‘eine gewisse Rolle’?” Kahlmann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was glauben Sie wohl, von wie vielen Clubs und Discotheken man so etwas hätte sagen können! Abgesehen davon sind damals ja wirklich sehr viele Verhaftungen durchgeführt worden und die Liga ist vollkommen und restlos zerschlagen worden. Wenn er tatsächlich irgendjemanden hätte besuchen wollen, der damals eine Rolle spielte, dann hätte Theo am besten eine Reihe von Bundesgefängnissen abklappern müssen, da hätte er mehr Erfolg gehabt.”

„Wie gesagt, der zeitliche Zusammenhang ist schon augenfällig”, wiederholte ich.

„Denken Sie, das mit Theo war kein Unfall?”

„Der Gedanke kam uns und wir lassen derzeit alles unter diesem Gesichtspunkt überprüfen.”

Kahlmann wirkte auf einmal ziemlich in sich gekehrt. Ich hätte in diesem Augenblick viel darum gegeben, genauer zu wissen, was ihn in diesem Augenblick so sehr getroffen hatte. Und ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass er uns nicht alles offenbarte, was in diesem Fall vielleicht relevant sein konnte.

„Ich würde Ihnen ja gerne weiterhelfen”, erklärte Kahlmann schließlich, nachdem fast eine halbe Minute unbehaglichen Schweigens vergangen war. „Aber ich fürchte, da gibt es nichts, was ich zur Aufklärung Ihres Falles beitragen könnte.”

„Sie sind unser einziger Ansatzpunkt - und der Einzige aus der Task Force aus Hannover, den wir fragen können”, wiederholte ich sehr eindringlich.

„Ich habe ehrlich gesagt zu den Kollegen von damals keinen Kontakt mehr gepflegt. Unsere Wege haben sich ziemlich bald danach getrennt und führten nie wieder zusammen.”

„Aber von Gregor Bellhoffs Erkrankung wussten Sie?”, hakte ich nach.

„Erst ganz am Schluss. Seine Frau rief mich an.”

„Wann war das genau?”

„Ist vielleicht vier Wochen her. Sie sagte, es sei Gregors Wunsch, dass ich ihn noch mal besuche.”

„Haben Sie das getan?”

„Ja, ich bin hingefahren. Aber da war es schon zu spät. Er war nur wenige Stunden vor meiner Ankunft gestorben.”

Reinhold Kahlmann erhob sich. Als er auftrat, verzog er das Gesicht. „Sport ist Mord, sage ich ihnen. Entweder, Sie sterben, an seinen Folgen oder Sie sterben daran, dass Sie ihn gemieden haben. Wie Sie es auch drehen und wenden, der Sport bringt Sie um.”

„Sie haben sich den Fuß beim Tennis verletzt?”, hakte ich nach.

„Ja.” Er verzog das Gesicht. „Vielleicht hätte ich bei ungefährlicheren Sportarten bleiben sollen.”

„Was zum Beispiel?”

„Karate und Kickboxen.”

„Haben Sie sich damit fit gehalten, als Sie noch im Außendienst waren?”

„Sie wissen doch selbst, wie das ist. Es gibt immer Situationen im Außendienst, in denen es brenzlig ist und man besser vorbereitet ist. Und die Dienstwaffe hilft einem da nicht immer weiter.”

„Wieso sind Sie eigentlich in den Innendienst gegangen?”

Jetzt stutzte er. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet und sie war ihm aus irgendeinem Grund auch unangenehm. Er zuckte die Schultern und humpelte zur Fensterfront. Dahinter war eine großzügig angelegte Terrasse. Die Gartenmöbel waren zusammengeklappt. „Wieso nicht?”, fragte er zurück.

„Wenn jemand in den Innendienst wechselt, gibt’s dafür häufig einen besonderen Grund. Irgendein Ereignis, einen Vorfall oder…”

„Ich bin gesund”, unterbrach er mich, etwas heftiger, als er es wohl beabsichtigt hatte. „Der Fuß ist in ein paar Tagen wieder in Ordnung. Aber sowas meinen Sie ja auch wohl nicht.”

„Richtig.”

Er drehte sich wieder um, nachdem er einige Augenblicke hinaus in den Garten gestarrt hatte und meinem Blick ausgewichen war. „Nein, es gab keinen Anlass von der Sorte, wie Sie ihn meinen, Herr Kubinke”, erklärte er.

„Ich meine nur, es ist etwas eigenartig: Sie waren an einem besonderen Spezialeinsatz beteiligt, verfügen offenbar über Fähigkeiten, die nicht jeder Ermittler hat und in ihrer Personalakte sind die alle nicht zu finden!”

Er zuckte mit den Schultern. „War mir nicht mehr wichtig. Ich habe geheiratet und wollte es etwas ruhiger angehen lassen. Außerdem sollte meine Frau nicht dauernd Angst haben müssen, dass ich von einem Einsatz nicht zurückkehre - von den mitunter familienunfreundlichen Arbeitszeiten mal ganz zu schweigen. Drogendealer und Kunstschmuggler und andere Typen aus dem organisierten Verbrechen kümmern sich ja leider nicht darum, ihre Geschäfte so zu organisieren, dass man sie während der normalen Bürozeiten schnappen kann!” Er zuckte mit den Schultern. „Diese Dinge waren mir einfach nicht mehr wichtig. Die Zeit in Hannover gehört nach wie vor zu den Höhepunkten meiner Laufbahn. Wahrscheinlich war es das Wichtigste, was ich je beruflich getan habe - aber es ist Vergangenheit. Und da ich nicht vorhabe, jemals wieder in eine vergleichbare Position zurückzukehren, habe ich damit komplett abgeschlossen.” Er sah mich einen Augenblick lang nachdenklich an und setzte dann noch hinzu: „Glauben Sie mir, dieser Punkt kommt irgendwann bei jedem.”

9

Irgendwie überzeugte mich Kahlmanns Antwort nicht. Es war einfach ein Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmte, ohne dass ich dafür bereits irgendeinen konkreten Grund hatte anführen können.

Der rote Laserstrahl eines Zielerfassungsgerätes brach sich in der Dreifachverglasung der Fensterfront und tanzte zitternd als roter Punkt auf Reinhold Kahlmanns Kopf. Nur ein Sekundenbruchteil blieb mir, um zu reagieren. Aber zwischen mir und Kahlmann lagen mehr als vier Schritte. Ich hatte gerade eine Bewegung gemacht, da traf der erste Schuss Kahlmann bereits. Sein Körper zuckte mehrfach. Er drehte sich halb herum und fiel dann zu Boden.

Die Dreifachverglasung der Fensterfront zersprang nicht. Die Schüsse gingen einfach durch und hinterließen Risse im Glas, die sich wie Spinnennetze verzweigten.

Rudi und ich mussten uns in Deckung werfen.

Als der Beschuss schließlich aufhörte, schnellte ich hoch. Durch die Terrassentür lief ich ins Freie, während Rudi bereits das Handy am Ohr hatte, um Verstärkung zu rufen.

Vor mir lag eine freie Rasenfläche, nur unterbrochen von einem Gartenhaus und ein paar Sträuchern.

Die Grenze zum Nachbargrundstück wurde durch eine Reihe von kniehohen Sträuchern abgegrenzt. Dahinter befand sich ein Haus, das im Moment wohl unbewohnt war. Ein ‘Zu verkaufen’-Schild stand unübersehbar im Garten.

An der Veranda sah ich eine Bewegung. Eine Gestalt im Kapuzenshirt, dem breitschultrigen Körperbau nach eindeutig ein Mann. Er hielt einen länglichen Gegenstand in den Händen. Ein Gewehr. Die Zielerfassung war noch eingeschaltet. Der Laserstrahl tanzte in der Gegend herum.

Ich spurtete los.

Der Kerl im Kapuzenshirt richtete die Waffe in meine Richtung und feuerte. Aber da hatte ich bereits das Gartenhaus erreicht und nahm Deckung. Ein paar Schüsse ließen das kleine Fenster zerspringen. Ich hatte die Dienstpistole in der Faust und wartete ab.

Ich wartete, bis mein Gegner sein Magazin leergeschossen hatte. Zumindest nahm ich das an, nachdem es einmal nur klick machte und kein Schuss folgte.

Offenbar hatte der Killer nicht damit gerechnet, dass sich jemand an seine Fersen heftete. Das machte ihn offenbar nervös.

Ich tauchte aus meiner Deckung hervor, die Pistole in beiden Händen.

„Waffe weg, Polizei!”, rief ich.

Der Kerl im Kapuzenshirt hielt das Gewehr in der Linken. Mit der Rechten griff er unter sein Shirt und zog eine Automatik hervor. Er ballerte sofort drauflos. Ein Schuss ging dicht an mir vorbei. Ich hatte keine andere Wahl, als zurückzuschießen. Meine Kugel traf ihn im Oberkörper. Er schoss noch einmal, aber der Schuss war ungezielt und ging ins Nichts.

Der Killer klappte zusammen wie ein Taschenmesser und blieb regungslos liegen.

Gleichzeitig hörte ich, wie ein Wagen gestartet wurde und mit quietschenden Reifen davonbrauste. Ich konnte ihn nur für einen kurzen Moment sehen, da er ansonsten vom Haus verdeckt wurde. Ein Van mit getönten Scheiben.

Offenbar hatte ein Komplize auf den Killer gewartet.

10

Es dauertet nicht lange und rund um das Haus von Reinhold Kahlmann und das zum Verkauf stehende Gebäude auf dem zur Rückseite angrenzenden Grundstück war der Teufel los. Kollegen waren überall auf den beiden Grundstücken zu sehen. Erkennungsdienstler suchten nach Spuren.

Der Notarzt kam leider zu spät, um den Täter zu retten. Er war tot. Jetzt kümmerte sich der Gerichtsmediziner um ihn, ein hagerer Mann mit schlohweißen Haaren, der eigentlich längst seine Pension hätte genießen können.

„Der kann nicht anders”, verriet mir einer der uniformierten Polizisten. „Das ist Dr. Wollatz - hier in Reichenberg eine Legende. Er sagt immer, den Toten macht es nichts aus, wenn der Arzt etwas zittrige Hände hat.”

„Na, wenn er das sagt…”

Rudi stieß mich an, als der Kollege Albrecht Martini beim Tatort eintraf und geradewegs auf uns zukam. Dass ein Dienststellenleiter sich am Tatort zeigt, ist eher ungewöhnlich. Aber in diesem Fall war das Opfer ein Kollege - und davon abgesehen war nun auch wohl ihm klar, dass dieser Fall eine sehr viel weitergehende Bedeutung haben musste.

Rudi hatte Martini schon am Telefon einen kurzen Bericht gegeben, sodass er über den vorläufigen Stand der Dinge einigermaßen im Bilde war.

„Ich habe gehört, dass wenigstens Sie und Kollege Meier unversehrt geblieben sind”, sagte er.

„Ja, uns ist nichts passiert”, bestätigte ich. Wir gingen zu dem toten Killer. Dr. Wollatz erhob sich etwas mühsam. Einen uniformierten Beamten, der ihm aufhelfen wollte, scheuchte der Pathologe jedoch mit einer unwirschen Bemerkung davon.

Dann wandte sich Wollatz an mich. „Sie waren der Schütze, nicht wahr?”

„War ich”, bestätigte ich. „Leider hat der Kerl mir keine andere Wahl gelassen.”

„Sie haben ihn voll erwischt. Selbst wenn der Notarzt sofort dagewesen wäre, hätte man in nicht retten können.”

Einer der Erkennungsdienstler des BKA-Büro Reichenberg hatte inzwischen einige persönliche Dinge gesichert, die sich in der Kleidung des Täters befinden hatten. Ein Magazin Ersatzmunition war darunter. „Die passt allerdings nur in die Automatik, mit der er auf Sie geschossen hat”, erklärte er mir. „Für die Langwaffe hatte er keine Ersatzmunition dabei.”

„Das Magazin war groß genug”, sagte ich. „Er war für ein paar gezielte Schüsse ausgerüstet, aber er dürfte kaum vorgehabt haben, sich mit einem BKA-Fahnder eine Schießerei aus kurzer Distanz zu liefern.”

„Bei der Waffe handelt es sich übrigens um eine Standard-Waffe, wie sie in der Bundeswehr für Scharfschützen genutzt wird und auch häufig bei SEK-Teams der Polizei zum Einsatz kommt.”

„Wir brauchen die Ergebnisse der ballistischen Untersuchung so schnell wie möglich”, mischte sich Rudi ein. „Am besten vorgestern.”

„Wir tun, was wir können”, sagte der Erkennungsdienstler.

„Und schicken Sie die Ergebnisse nicht nur uns, sondern auch an unser Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg. Geben Sie mir Ihre Handynummer, dann schicke ich Ihnen die Mailadresse. Es kommt wirklich darauf an, dass Sie schnell sind.”

„Der Mann hatte einen Führerschein bei sich, der auf den Namen Alex Ritzko ausgestellt war”, fuhr der Erkennungsdienstler fort. Die Tüte mit dem Führerschein reichte er mir.

„Interessant ist der Ort, an dem diese Fahrlizenz ausgestellt wurde”, stellte ich und wandte mich an Rudi: „Hannover.”

11

Es dauerte nur eine Viertelstunde und die Identität des Täters war ermittelt. Der Name in seinem Führerschein stimmte nicht. Der war falsch. In Wahrheit hieß er Pascal Basemeier. Er war 33 Jahre alt und hatte eine Liste an Vorstrafen, die sich sehen lassen konnte. Zumeist Drogendelikte und Körperverletzung.

Und er war zwei Jahre lang Türsteher einer Discothek namens ‘Magic’ gewesen.

„Wieder eine Verbindung, die auf die Liga-Ermittlungen deutet”, meinte ich.

„Nicht ganz so schnell, Partner!”, bremste mich Rudi. „Das ist nach der Liga-Epoche gewesen - oder wie immer man diese Zeit in der Geschichte des organisierten Verbrechens in Hannover auch immer nennen will.”

Wir saßen zusammen mit dem Kollegen Martini in der Küche von Reinhold Kahlmanns Haus. Inzwischen machte Dr. Wollatz seine Erstuntersuchung der Leiche von Kahlmann und ansonsten überließen wir das Feld im Augenblick den Erkennungsdienstlern, damit die ungestört ihre Arbeit machen konnten. Rudi hatte das Laptop auf den Tisch gestellt, sodass wir online Zugriff auf Datenbanken des Bundeskriminalamtes hatten.

„Dieser Killer dürfte nicht aus eigenem Antrieb gehandelt haben”, meinte Martini. „Den hat jemand beauftragt.”

„Davon gehe ich auch aus”, sagte ich.

„Denken Sie, dass ein Zusammenhang zum Verschwinden der vier Kollegen besteht?”

„Jedenfalls sind jetzt sämtliche Mitglieder der damaligen Spezialabteilung auf die eine oder andere Weise aus dem Verkehr gezogen worden”, stellte ich nüchtern fest.

„Vorausgesetzt, die vier sind nicht aus eigenem Antrieb untergetaucht, Harry”, gab Rudi zu bedenken. „Du selbst sagst immer, dass man sich nicht zu früh festlegen und vor allem keine Ermittlungsrichtung ausschließen sollte. Und den dürftigen Spuren nach, die wir bisher von den Verschwundenen haben, würde das auch Sinn machen. Inzwischen treffen übrigens per Mail die Ergebnisse von Befragungen der Angehörigen ein, die von den jeweiligen BKA-Büros durchgeführt wurden, bei denen die Verschwundenen zuletzt beschäftigt waren.”

„Und?”, hakte ich nach.

„Ich überfliege die Protokolle kurz. Aber soweit ich das sehe…”

Er schüttelte den Kopf. Ich war zwar genauso ungeduldig wie Rudi, aber die Zeit musste ich ihm lassen.

Der Kollege Martini tickte derweil nervös auf dem Tisch herum.

Ein anderer Beamter kam herein und wandte sich an Martini. „Ich habe Frau Kahlmann an ihrem Arbeitsplatz erreicht. Sie ist auf dem Weg hier her.”

„Danke.”

„Sie wird etwa in einer Viertelstunde hier sein.”

Martini atmete tief durch. „Bis dahin ist mir vielleicht irgendwas Passendes eingefallen, was ich der armen Frau sagen kann, die gerade ihren Mann verloren hat”, seufzte er. Ich beneidete ihn um diese Aufgabe nicht. Vieles mag an unserem Job mit der Zeit zur Routine werden - aber für den Moment, da man den Angehörigen eines Opfers eines Gewaltverbrechens gegenübersteht und um die richtigen Worte ringt, gilt das ganz bestimmt zu allerletzt.

Der Beamte verließ die Küche wieder.

Inzwischen hatte Rudi die Protokolle überflogen. „Da ist nichts Brauchbares drin”, meinte er. „Nichts, was uns weiterbringen oder irgendeinen Hinweis geben könnte.”