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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau,
herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
Kommissar Jörgensen und der Asphaltkiller
von Alfred Bekker
1
Mein Name ist Uwe Jörgensen und ich bin in einer
Sonderabteilung der Kripo in Hamburg. Mein Kollege ist
Kriminalhauptkommissar Roy Müller. Wir sind schon seit einer
Ewigkeit ein Team. Manche sagen, nichtmal eine Ehe hält so lange.
Naja.
Nebel hing tief über die Außenalster. Roy und ich waren mit
dem Sportwagen zu einem Parkplatz an dem Ufer gefahren, um einen
Informanten zu treffen. Jetzt warteten wir schon eine
Viertelstunde.
Roy blickte auf die Uhr.
»Bernd Maynert lässt sich heute Zeit!«
»Hoffen wir, dass ihm nichts zugestoßen ist!«
»Er ist vorsichtig!«
In diesem Augenblick hörten wir den Motor eines Motorrads
aufheulen. Es fuhr die Uferstraße entlang, bremste ab und bog
anschließend auf den Parkplatz. Der Fahrer steckte in einer
schwarzen Ledermontur. Das Visier war dunkel. Er ließ den Motor
seiner Harley noch einmal aufheulen und raste dann auf uns zu. Im
letzten Moment bremste er. Der Hinterreifen brach ein wenig aus.
Eine deutlich sichtbare Spur zog sich über den Asphalt. Er setzte
den Helm ab.
»Hey, was soll das?«, schimpfte Roy, der sicherheitshalber zur
Seite gesprungen war. »Wollen Sie mit uns Easy Rider
spielen?«
Bernd Maynert strich sich das gelockte, dunkle Haar zurück und
grinste breit.
»Wie wär’s denn stattdessen mit Asphaltkiller?«
2
»Von unserer Dienststelle ist es zwar nicht sehr weit, aber
der Verkehr mörderisch!«, ereiferte sich Roy. »Wenn Sie glauben,
dass wir diese Strecke fahren, um uns irgendwelche Mätzchen
gefallen zu lassen, sind Sie schief gewickelt, Herr Maynert!«
Maynert verdrehte die Augen.
»Tut mir leid!«, lenkte er ein. »Ich habe seit zwei Tagen eine
neue Maschine und da …«
»Ist das ein Grund, den Verstand auszuschalten?«
»Schon gut, Roy!«, mischte ich mich ein, obwohl ich den Ärger
meines Kollegen durchaus teilte. »Ich bin überzeugt davon, dass
Herr Maynert uns nicht hierher bestellt hätte, wenn es keine
wichtigen Neuigkeiten gäbe.«
»Sehr richtig!«, stimmte Maynert zu. »Ich habe was ganz Großes
für Sie. Aber wenn Sie nicht interessiert sind …«
»Wir sind durchaus interessiert«, sagte ich sachlich.
Er grinste.
»Okay! Sie werden Augen machen und ich würde sagen, diesmal
ist ein kleiner Bonus drin!«
»Darüber reden wir, wenn wir wissen, worum es geht«, entschied
ich.
Bernd Maynert war 38 Jahre alt und Barkeeper in einem Club
namens Latin Pop auf St. Pauli. Der Name war Programm, was die
Musikauswahl betraf. Mehr oder minder regelmäßig versorgte er uns
mit Neuigkeiten aus St. Pauli. Hauptsächlich natürlich über das
kriminelle Netzwerk der Rumänen, das dort das Zentrum seiner
Aktivitäten hatte.
Maynert hatte uns immer zuverlässig beliefert. Insofern hatten
wir keinen Grund, uns über ihn zu beklagen. Allerdings war ihm auch
ein Hang zur Wichtigtuerei und Selbstdarstellung eigen, der ihm
irgendwann noch einmal das Genick brechen konnte. Die Tatsache,
dass er sich eine Harley leisten konnte, sprach dafür, dass er in
letzter Zeit irgendwelche krummen Geschäfte nebenher laufen
hatte.
»Wir haben lange nichts voneinander gehört, Herr Maynert«,
stellte ich fest.
Er zuckte die Schultern.
»War eben nichts zu berichten, Herr Jörgensen.«
»Aber es scheint Ihnen ja gut zu gehen …« Während ich das
sagte, deutete ich auf die Harley.
»Man tut, was man kann.«
»So, wie ich das sehe, werden Sie nicht lange Freude an Ihrem
heißen Ofen haben«, mischte sich mein Kollege Roy Müller ein. »Bei
Ihrer Fahrweise bringen Sie früher oder später sich selbst oder
jemand anderen um.«
»Sorry, Herr Müller! Aber ich habe das Ding völlig unter
Kontrolle.«
»Warum wollten Sie sich mit uns treffen?«, fragte ich.
»Ich hoffe, Ihre Story ist so gut wie die Ankündigung vorhin«,
ergänzte Roy.
»Das mit Easy Rider und Asphaltkiller gerade eben war kein
Witz.« Er sah mich an, hob die Augenbrauen und wartete meine
Reaktion ab. »Na, klingelt es bei Ihnen? Es geht um den legendären
Asphaltkiller …«
Dieser Name war mir durchaus ein Begriff. Es war das Pseudonym
eines skrupellosen Lohnkillers, den man für Dutzende von Morden im
Umfeld der Drogenbanden verantwortlich machte. Das einzige, was man
definitiv über ihn wusste, war, dass es sich um einen exzellenten
Motorradfahrer handeln musste. In sämtlichen Mordfällen, die mit
ihm in Verbindung gebracht wurden, hatten Motorräder eine Rolle
gespielt. Daher auch der Spitzname, den man ihm gegeben hatte. Seit
Jahren stand er auf der Fahndungsliste, aber bislang gab es keinen
vielversprechenden Ermittlungsansatz.
»Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Asphaltkiller zurzeit
in Hamburg ist«, eröffnete Maynert.
»Von wem haben Sie das?«, hakte ich nach.
»Kann ich Ihnen nicht sagen, sonst beträgt meine
Lebenserwartung noch eine halbe Stunde oder so.« Er grinste. »Sie
kennen das Spiel doch, Herr Jörgensen. Aber wenn Sie die Quelle
auch nicht kennen, so müssen Sie doch zugeben, dass ich Ihnen noch
nie Mist erzählt habe.«
»Ich nehme an, der Asphaltkiller ist aus beruflichen Gründen
hier in Hamburg«, schloss Roy.
»So ist es.«
»Wissen Sie Näheres darüber?«
Maynert nickte.
»Wo denken Sie hin? Er hat angeblich einen Auftrag. Mehr weiß
ich nicht. Aber an Ihrer Stelle würde ich diesen Hinweis sehr ernst
nehmen. Ich wäre nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich das nur für die
üblichen Gerüchte halten würde. Was ist mit dem Bonus?«
»Ob wir Ihnen mehr zahlen können, hängt davon ab, ob sich das
Ganze wirklich als heiße Spur erweist, Herr Maynert«, schränkte ich
ein. »Sie wissen ja, dass sich die Beträge für Informanten in einem
engen Rahmen bewegen.«
Er setzte sich den Helm wieder auf. Für ihn schien die
Unterhaltung mehr oder weniger beendet zu sein. Ich trat etwas
näher an seine Harley heran.
»Einen Moment noch, Herr Maynert.«
Er klappte das Visier hoch.
»Ich muss dringend wieder zurück. Termine – Sie
verstehen?«
»Ich dachte, die Arbeitszeit eines Barkeepers im Latin Pop
beginnt nicht vor dem frühen Abend«, wandte ich ein.
»Man hat ja auch noch ein Privatleben, Herr Jörgensen.«
»Oder Geschäfte, die nebenbei laufen und es einem Barkeeper
ermöglichen, sich eine Harley zu leisten?«
Er lachte.
»Mit Verlaub, aber das geht Sie nichts an. Im Übrigen bin ich
einfach nur ein sparsamer Mensch.«
»Natürlich …«
»Das meine ich vollkommen ernst!«
»Wie frisch ist die Information? Das werden Sie mir doch sagen
können, ohne Ihre Quelle zu verraten?«
»Ich habe gestern Abend davon erfahren. Meine Quelle erfuhr
maximal einen halben Tag früher davon. Und jetzt rechnen Sie mal
schön, ob Ihnen das noch frisch genug ist!«
»Wir sprachen ja gerade über Gerüchte.«
»Ja?«
»Man redet davon, dass sich angeblich ein neuer Anbieter auf
dem Drogenmarkt etablieren will. Ist da was dran?«
Er zuckte die Achseln.
»Ich habe auch schon davon gehört, Herr Jörgensen. Aber was
davon jetzt den Tatsachen entspricht, davon habe ich keine Ahnung.
Eigentlich müssten dann die Straßenpreise für Heroin ins Bodenlose
fallen, aber das tun sie nicht. Also, wenn eine derartige Aktion
geplant ist, kann sie meiner Ansicht nach noch nicht begonnen
haben.«
»Verstehe.«
»Nur das mit dem Asphaltkiller, das ist ziemlich sicher – und
wenn Sie beide Puzzleteile zusammenbringen, dann ergibt das doch
ein Bild, das Sinn macht, finde ich.« Er klappte das Visier
herunter. »Ich melde mich, wenn ich mehr weiß«, versprach er und
brauste mit durchdrehendem Hinterreifen davon. Er drehte das Gas
voll auf und raste mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf die
Ausfahrt zu. Wenig später fuhr er die Uferstraße zurück in Richtung
St. Pauli.
»Man sollte ihm die Fahrerlaubnis wegnehmen!«, meinte Roy.
»Der Kerl ist doch gemeingefährlich!«
Ich wandte den Blick in Richtung meines Kollegen und fragte:
»Sprichst du jetzt von Maynert oder dem Asphaltkiller?«
Roy machte eine wegwerfende Handbewegung. Wir stiegen in den
Sportwagen ein. Schließlich fragte er: »Was hältst du von der
Story, die uns Maynert erzählt hat?«, fragte Roy.
»Mehr als ein Tipp war das nicht – aber bislang konnte man
sich auf Maynert immer verlassen. Wir tun also gut daran, diesen
Hinweis ernst zu nehmen.«
»Ich kann diesen Wichtigtuer nicht leiden!«
»Wenn es stimmt, was er sagt, haben wir in nächster Zeit jede
Menge Arbeit, Roy. Auswärtige Kriminelle schicken einen
Profi-Killer, der die Konkurrenz aus dem Weg räumen soll. Ich
hoffe, dass Maynert sich geirrt hat!«
3
Bernd Maynert jagte mit seiner Harley die Uferstraße entlang.
Zurzeit war nur wenig Verkehr.
Die Nebelschwaden über der Außenalster zogen jetzt nach und
nach in die Uferzone. Normalerweise konnte man von hier aus die
Silhouetten der Hochhäuser von Hamburg City sehen. Aber jetzt war
da nichts weiter als eine hellgraue, undurchdringliche Wand.
Und die ersten Schwaden zogen nun auch über die Straße. Die
Sichtweite sank innerhalb kurzer Zeit dramatisch.
Maynert drosselte die Geschwindigkeit.
Der Nebel wurde rasch dichter. Bald fuhr er in ein graues
Nichts hinein. Selbst die Uferlinie war kaum noch zu erkennen. Die
Bäume und Begrenzungspfähle am Straßenrand waren nur noch dunkle,
drohende Schatten. Auf dreißig bis vierzig Meter schätzte er die
Sichtweite. Ein LKW kam ihm donnernd entgegen. Er war erst in
letzter Sekunde zu erkennen und tauchte als düsterer, übermächtiger
Schatten aus dem Nebel heraus.
Im Rückspiel sah Bernd Maynert zwei Lichter herannahen. Ein
Geländewagen schloss mit ziemlich hoher Geschwindigkeit zu ihm auf,
hielt sich dann aber hinter ihm.
Die schlechte Sicht zwang Bernd Maynert dazu, die
Geschwindigkeit noch etwas weiter abzusenken. Einfach ins Nichts
hineinzurasen war selbst ihm zu riskant, obwohl er ansonsten stets
dazu neigte, sich als Fahrer zu viel zuzutrauen.
Der Geländewagen scherte plötzlich auf die Gegenfahrbahn aus,
beschleunigte und zog dann wieder nach rechts. Dabei touchierte er
die Harley. Maynert verlor die Kontrolle über das Motorrad, brach
seitlich aus und geriet von der Fahrbahn.
Ehe er bremsen konnte, knallte die Harley gegen einen der
zahlreichen Bäume, die an der dem Ufer abgewandte Seite der
Fahrbahn zu finden waren.
Der Geländewagen hielt mit quietschenden Reifen.
Ein Mann stieg aus.
Er trug eine Mütze mit der Aufschrift WINNER. In der Linken
schwang er einen Baseballschläger.
Bernd Maynert lag in verrenkter Haltung auf dem Boden. Er
stöhnte auf, war aber zu schwer verletzt, um sich aufzurappeln. Der
Mann mit der WINNER-Mütze näherte sich. Er verzog das Gesicht, als
er Maynert in seiner Blutlache liegen sah. Der Verletzte schaffte
es, den Helm vom Kopf zu nehmen. Er keuchte, rang nach Luft und
versuchte, die Blutung am Bein stillen.
Dann sah er den Mann mit der WINNER-Mütze auf sich zukommen.
Er stierte ihn gläubig an. Maynert hob abwehrend die Hand.
»Nein!«, schrie der Verletzte mit heiserer, schwacher Stimme.
Er versuchte die letzten Kräfte zu mobilisieren.
Vergeblich!
Zweimal holte der Mann mit der WINNER-Mütze aus. Ein dumpfes
Geräusch entstand, wenn das Holz des Baseballschlägers
auftraf.
Danach schwieg Bernd Maynert für immer.
4
Wir fuhren erst zehn Minuten später nach Beendigung unserer
Zusammenkunft mit Bernd Maynert zurück in Richtung
Bruno-Georges-Platz. Das gehörte zu den Regeln, die wir einzuhalten
hatten, wenn wir uns mit Maynert trafen. Er bestand darauf, da er
sich ständig verfolgt gefühlt hatte.
Wir nutzten die Zeit, um mit Kriminaldirektor Bock Kontakt
aufzunehmen und mit Hilfe des im Sportwagen installierten Rechners
eine Online-Verbindung zum Datensystem der Polizei zu schalten.
Über dieses landesweit allen Polizeieinheiten zur Verfügung
stehende Datenverbundsystem konnten wir uns den aktuellen Stand der
Fahndung in Bezug auf den Asphaltkiller ansehen.
Der letzte Mord, der mit ihm in Verbindung gebracht werden
konnte, lag drei Jahre zurück und war in Frankfurt an einem
abtrünnigen Rocker namens Michael Pachmeister verübt worden.
Der Asphaltkiller hatte aus einem präparierten Motorradlenker
mit einem Explosivgeschoss auf den Wagen Pachmeisters gefeuert, der
daraufhin explodiert war.
»Es bestand schon die Hoffnung, dass der Asphaltkiller sich
aus dem Auftragskiller-Geschäft zurückgezogen hätte«, sagte
Kriminaldirektor Bock, unser Chef, über die Freisprechanlage des
Sportwagens. »Schließlich dürfte er für seine Morde gut bezahlt
worden sein und langsam ausgesorgt haben.«
»Vorausgesetzt, er ist mit seinem Geld auch geschickt
umgegangen und hat es richtig investiert«, meinte Roy.
»Jedenfalls werde ich die Kollegen des Innendienstes anweisen,
nach Ermittlungsansätzen zu suchen«, erklärte unser Chef.
»Schließlich haben wir in diesem Fall vielleicht die Möglichkeit,
ein Verbrechen zu verhindern, anstatt wie üblich erst dann tätig zu
werden, wenn es bereits geschehen ist. Sehen Sie irgendeine
Möglichkeit, an Maynerts Quelle heranzukommen?«
»Wenn wir anfangen, in seinem Umfeld zu ermitteln, gefährden
wir ihn«, gab ich zu bedenken.
»Die Fakten stellen sich so dar: Der Asphaltkiller ist eine
der ausgebufftesten Tötungsmaschinen, die je im Dienst des
organisierten Verbrechens gestanden hat«, sagte Kriminaldirektor
Bock. »Wer immer ihn für einen Auftrag gewinnen will, muss in der
Lage sein, ein Spitzenhonorar zu zahlen.«
»Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang zu den Gerüchten um
ein auswärtiges Drogensyndikat, das seinen Einfluss auf Hamburg
ausdehnen will«, glaubte Roy.
»Wir bekommen in der Tat fast täglich Hinweise darauf, dass
sich in diese Richtung irgendetwas auf St. Pauli tun wird«, stimmte
Kriminaldirektor Bock zu. »Und wenn der von Ihnen skizzierte
Zusammenhang tatsächlich besteht, dann müssen wir uns auf blutige
Machtkämpfe einstellen.«
Kriminaldirektor Bock unterbrach die Verbindung. Roy und ich
sahen uns das vorliegende Datenmaterial über den Asphaltkiller an.
Abgesehen von ein paar nicht sehr brauchbaren Zeugenaussagen, gab
es kaum Spuren.
»Dieser Mann ist ein Profi durch und durch«, sagte ich,
während ich den Sportwagen die Uferstraße entlang lenkte. »Wir
müssen uns wohl oder übel darauf einstellen, dass er kaum Fehler
machen wird, die uns helfen könnten, ihn in unser Netz laufen zu
lassen.«
»Jeder macht Fehler«, widersprach Roy. »Früher oder später
jedenfalls.«
»Beim Asphaltkiller warten wir allerdings schon ziemlich lange
darauf.«
Der Nebel nahm immer mehr zu, denn auch wir befanden uns noch
auf der Uferstraße.
Plötzlich tauchten Warnleuchten aus dem Nebel auf.
Ich drosselte die Geschwindigkeit und fuhr im Schritttempo
weiter. Mehrere Einsatzfahrzeuge der zuständigen Polizei sowie ein
Rettungswagen waren zu sehen.
Ein Polizist trat an unsere Seitenscheibe. Ich ließ sie
herunter. Der Polizist machte eine Handbewegung.
»Fahren Sie bitte weiter!«
»Was ist hier passiert?«
»Schwerer Motorradunfall. Ist immer dasselbe: Überhöhte
Geschwindigkeit im Nebel. Die Kerle überschätzen ihre Fähigkeiten,
verlieren die Kontrolle über die Maschine und dann rasen sie
frontal gegen den Baum. Aber jetzt fahren Sie bitte weiter! Sonst
gibt es hier noch einen Auffahrunfall.«
Ich holte meinen Ausweis hervor.
»Jörgensen, Kriminalpolizei. Handelte es sich bei der
verunglückten Maschine zufällig um eine Harley?«
Der Polizist nickte.
»Ja, woher wissen Sie das?«
»Nur eine Vermutung. Aber es könnte sein, dass dies unser Fall
ist!«
5
Ich parkte den Wagen am Straßenrand. Wir stiegen aus.
Der polizeibeamte, der den Einsatz leitete hieß Harald Brandt.
Harald Brandt war ein breitschultriger Mann mit einem grau
melierten Kinnbart und schätzungsweise zwanzig Kilo Übergewicht.
Wir zeigten auch Brandt unsere Ausweise vor. Er schob sich
seinen Hut in den Nacken und runzelte die Stirn.
»Ich will Ihnen ja nicht in die Suppe spucken, aber wie kommen
Sie darauf, dass das etwas mit Ihren Ermittlungen zu tun hat? Für
uns sah das nach einem Routinefall aus!«
»Wir haben uns vor circa fünfzehn Minuten mit einem
Harley-Fahrer namens Bernd Maynert auf einem Parkplatz ganz hier in
der Nähe getroffen.«
Harald Brandt atmete tief durch und kratzte sich am Kinn.
»Das war auch der Name, der im Führerschein des Verunglückten
angegeben war. Der Tote liegt im Krankenwagen. Der Notarzt konnte
leider nur noch den Tod feststellen.«
»Die Leiche darf auf keinen Fall abtransportiert werden«,
sagte ich bestimmt.
»Sie wollen eine Obduktion durchführen lassen?«
»Falls es nur den geringsten Verdacht eines Fremdverschuldens
gibt – ja.«
»Hören Sie, Herr …«
»Jörgensen.«
»Wir sind selbst erst vor kurzem hier eingetroffen und konnten
gerade mal die Unfallstelle einigermaßen absichern. Zu weiteren
Ermittlungen sind wir noch nicht gekommen.«
»Wir werden unsere eigenen Spurensicherer hierher beordern«,
kündigte ich an. »Herr Maynert war ein wichtiger Informant für
unsere Abteilung.«
»Sie glauben an einen Mord?«
»Wir müssen diese Möglichkeit jedenfalls ausschließen, bevor
wir von einem normalen Verkehrsunfall ausgehen können. Gibt es
Anhaltspunkte dafür, dass ein zweites Fahrzeug an dem
Unfallgeschehen beteiligt war?«
Brandt zuckte die Schultern. »Sagen wir so: Ausgeschlossen ist
das nicht.«
Brandt führte uns zu dem Baum, gegen den Maynert gerast war.
Er rief einen seiner Leute herbei, die uns den Führerschein
brachten, den er bei sich getragen hatte. Außerdem sein Handy und
seine Brieftasche.
»Aber was eine Obduktion angeht, glaube ich, die Mühe können
Sie sich sparen. Wenn man frontal gegen einen Baum wie diesen rast,
dann kann das die schwersten Verletzungen nach sich ziehen.«
Ich blickte mich um.
»Wie haben Sie von dem Unfall erfahren?«, fragte ich an Brandt
gerichtet. »Schließlich waren Sie ziemlich schnell am Ort des
Geschehens, wenn ich das richtig nachrechne …«
»War purer Zufall. Wir befanden uns gerade etwa zehn Minuten
von hier auf Streife. Da kam der Anruf aus dem Büro. Jemand hatte
sich dort gemeldet, der das verunglückte Motorrad am Straßenrand
liegen sah.«
»Haben Sie die Personalien dieses Fahrers?«
»Ja.« Er langte zu einem kleinen Block, der aus seiner
Jackentasche herausragte und sah darauf nach. »Ein Herr Bodo
Matuschewski aus Hamburg-Mitte, von Beruf Handelsvertreter. Er hat
hier gewartet, bis wir eintrafen. Ich habe ihn weiterfahren lassen.
Vom eigentlichen Unfallgeschehen hat er nichts mitbekommen, und
außerdem schien er mir ziemlich fix und fertig zu sein.«
»Dieser Matuschewski hat nicht versucht, Maynert zu helfen,
als er ihn gefunden hat?«
Brandt schüttelte den Kopf.
»Er hielt ihn für tot. Wir haben aber trotzdem
sicherheitshalber den Notarzt verständigt. Schließlich wollten wir
uns nicht auf die Einschätzung eines Laien verlassen. Ich kann
Ihnen sagen, da habe ich schon die dollsten Dinger erlebt.«
6
Wir setzten uns telefonisch mit Kriminaldirektor Bock in
Verbindung und erstatteten ihm Bericht.
»Bleiben Sie an der Sache dran, bis wirklich ausgeschlossen
ist, dass es sich um einen Mord handelt!«, ordnete unser Chef an.
»So lange das nicht der Fall ist, betrachten wir den Unfall als
Teil des Asphaltkiller-Falls.«
»Ja, Herr Bock«, bestätigte ich.
»Sie haben im Übrigen jetzt alle Freiheiten, im Umfeld von
Herr Maynert zu ermitteln – auch was seine mögliche Quelle angeht.
Schließlich besteht ja jetzt nicht mehr die Möglichkeit, dass wir
ihn in Gefahr bringen.«
Im Verlauf der nächsten zwei Stunden trafen unsere Kollegen
Frank Folder und Martin Horster ein. Die beiden Erkennungsdienstler
suchten insbesondere nach Spuren eines eventuell vorhandenen
zweiten Verkehrsteilnehmers, der an dem Unfallgeschehen beteiligt
war.
Bevor der tote Maynert abtransportiert wurde, durchsuchten wir
noch einmal gründlich seine Taschen. Dann nahmen wir uns das Handy
vor und überprüften mit Hilfe unseres Online-Anschlusses im
Sportwagen die im Menü gespeicherten Nummern.
Es waren viele Nummern von Prepaid-Handys darunter, die sich
keinem Vertragsnehmer zuordnen ließen und daher gerne benutzt
wurden, wenn der Betreffende in jeder Hinsicht anonym bleiben oder
sich vor Abhörmaßnahmen durch die Polizei schützen wollte.
Die Nummer, die er zuletzt angerufen hatte, gehörte einem
Handy, dessen Vertrag unter dem Namen Rita Clemens abgeschlossen
worden war, wie wir schnell über unseren Rechner im Sportwagen
ermitteln konnten.
Die Adresse war interessant.
Sie stimmte mit dem Apartment überein, das Maynert in St.
Pauli bewohnt hatte.
»Vielleicht seine Freundin«, vermutete Roy.
»Wir sollten uns mit ihr unterhalten – ganz gleich, was jetzt
bei dieser Untersuchung herauskommt und ob wir es nun mit einem
Verkehrsunfall oder einem Mordanschlag zu tun haben.«
Roy stimmte mir in dieser Hinsicht zu. Aber schon wenig später
hatten unsere Erkennungsdienstler herausgefunden, dass es an
Maynerts Harley verdächtige Lackspuren gab.
»Wir müssen natürlich genauere Untersuchungen abwarten«,
meinte Martin Horster. »Aber es scheint sehr wahrscheinlich zu
sein, dass das Motorrad von einem anderen Fahrzeug touchiert wurde
und dies die Ursache des Unfalls war.«
»Dann handelt es sich auf jeden Fall um Fahrerflucht«, stellte
Roy fest.
»Oder um Mord!«, ergänzte ich. »Vielleicht war Maynert doch
nicht vorsichtig genug. Es ist ihm jemand gefolgt, hat beobachtet,
wie er sich mit uns traf und später dafür gesorgt, dass ein
Informant ausgeschaltet wird.«
»Bis jetzt ist das noch reine Spekulation, Uwe«, gab Martin
Horster zu bedenken. »Das einzige, was in diese Richtung weist, ist
die Lage der Lackspuren. Sie sind auf der rechten Seite des
Motorrads.«
Ich hob die Augenbrauen.
»Das bedeutet, dass der unbekannte Fahrer Maynerts überholt
haben oder es zumindest versucht haben muss.«
Brandt schüttelte den Kopf.
»Wer so etwas tut, muss wahnsinnig sein! Sehen Sie sich diese
Nebelsuppe an! Wer da überholt, ist doch lebensmüde.«
»Wenn der Unbekannte Maynerts Harley von hinten erwischt
hätte, würde man annehmen, dass er ihn im Nebel übersehen hat –
aber nicht, wenn der Zusammenstoß ganz offensichtlich von der Seite
stattfand«, erklärte Martin Horster.
»Der Unbekannte könnte überholt haben und dann plötzlich auf
Gegenverkehr gestoßen sein, der ihn zwang, sofort wieder auf die
linke Fahrbahn zurückzuziehen«, sagte Roy.
»Wir werden die Straße auf Bremsspuren, Reifenprofilen und so
weiter untersuchen müssen«, kündigte Martin an.
»Dann sollten wir uns auch noch einmal die Umgebung des
Parkplatzes genauer ansehen, auf dem wir uns mit Maynert getroffen
haben«, schlug ich vor. »Wenn es nur ein Unfall mit Fahrerflucht
war, werden wir dort kaum etwas finden. Aber wenn es sich um
geplanten Mord handelt, dann wird der Täter uns dort wahrscheinlich
vorher beobachtet haben.«
7
Für Roy und mich gab es zunächst am Tatort nichts mehr zu tun.
So fuhren wir die paar Kilometer zurück zu dem Parkplatz, auf dem
das kurze Treffen mit Maynert stattgefunden hatte. Wir stiegen
aus.
»Wo könnte sich jemand postiert haben, um uns zu beobachten?«,
fragte ich.
Roy deutete mit ausgestrecktem Arm zur Böschung, die die
Uferstraße begrenzte. Dort waren einige Sträucher, hinter denen
sich jemand hätte verbergen können.
»Versetz dich mal in die Lage eines potentiellen Verfolgers!
Er hat gesehen, dass Maynert auf den Parkplatz abbog. Also wird er
seinen Wagen irgendwo in der Nähe abgestellt haben, ist dann zu Fuß
bis zur Böschung gegangen und hat uns beobachtet.«
»Sehen wir einfach mal nach, Roy!«
Wir stiegen die Böschung empor und sahen uns an den Stellen
um, die uns als geeignete Beobachtungsposten erschienen. An einer
Stelle waren Gras und Sträucher niedergetreten. Ein Indiz für die
Anwesenheit eines Menschen – mehr aber auch nicht. Hundert Meter
entfernt gab es an der dem Meeresufer abgewandten Straßenseite eine
Stelle am Straßenrand, wo zweifellos ein Wagen für einige Zeit
abgestellt worden war. Wir fanden einen Reifenabdruck und
telefonierten mit unseren Erkennungsdienstlern, damit die Spur
gesichert werden konnte.
Ich hatte Frank Folder am Apparat.
»Wir haben hier inzwischen auch ein paar Reifenspuren
gefunden«, berichtete er mir. »Die Hypothese, dass Maynert
abgedrängt wurde, scheint sich zu erhärten. Es gibt noch ein
weiteres interessantes Detail.«
»Und das wäre?«
»Es gibt Anzeichen dafür, dass der Unbekannte keineswegs
einfach davongefahren ist. Er hat auf jeden Fall stark abgebremst
und sich vielleicht sogar angesehen, was er angerichtet hat. Aber
Genaueres können wir wahrscheinlich frühestens morgen sagen, wenn
wir alle Erkenntnisse ausgewertet haben. Im Moment suchen wir noch
nach Fußspuren. Der Täter könnte ausgestiegen sein und sich erst
dann zur Fahrerflucht entschlossen haben, als er merkte, dass er
einen Menschen auf dem Gewissen hatte.«
8
Es war später Nachmittag, als wir den Parkplatz verließen und
Maynerts Wohnung in St. Pauli aufsuchten. Sie lag im dritten Stock
eines Hauses der mittleren bis unteren Kategorie. Zwar gab es einen
funktionierenden Fahrstuhl, aber dafür so gut wie keine
Sicherheitsvorkehrungen. Nur im Eingangsbereich befand sich eine
Überwachungskamera, wobei ich mich fragte, wer sich deren Bilder
überhaupt ansah. Von einem privaten Sicherheitsdienst war nämlich
weit und breit nichts zu sehen.
Wir klingelten an der Wohnungstür und eine junge Frau mit
seidigem, bis über die Schultern fallendem, schwarzem Haar und
dunklem Teint öffnetet uns.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei«, stellte ich mich vor und
zeigte ihr meinen Dienstausweis. Anschließend deutete ich auf Roy.
»Dies ist mein Kollege Müller. Ich nehme an, Sie sind Rita
Clemens?«
»Ja«, nickte etwas irritiert. »Woher kennen Sie meinen Namen
und was wollen Sie hier?«
»Es geht um Herr Bernd Maynert.«
»Bernd ist nicht hier. Was wollen Sie denn von ihm?«
Es gibt Dinge in unserem Beruf, die niemals zur Routine
werden. Dazu gehört es auch, die Nachricht vom Tod eines nahen
Angehörigen oder Freundes zu überbringen.
»Er ist heute mit seinem Motorrad verunglückt«, eröffnete ich.
»Leider konnte man nichts mehr für ihn tun.«
»Nein«, flüsterte die junge Frau. Sie schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht wahr!«
»Leider doch, Frau Clemens«, erwiderte ich.
Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie barg das Gesicht in
ihren Händen und unterdrückte ein Schluchzen.
»Ich weiß, dass es schwer für Sie sein muss, mit dieser
Nachricht konfrontiert zu werden«, begann ich vorsichtig nach einer
kurzen Pause das Gespräch wieder aufzunehmen. »Dennoch muss ich
Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Sie schluckte und antwortete zunächst nicht. Ihr Blick wirkte
glasig.
»Vielleicht können wir dazu zu Ihnen hereinkommen«, schlug Roy
vor.
Sie nickte geistesabwesend.
»Kommen Sie«, murmelte sie tonlos und führte uns in das
Wohnzimmer. Sie ließ sich in einen der Sessel fallen. Dann blickte
Rita Clemens auf. »Wieso interessiert sich die Kriminalpolizei für
einen Verkehrsunfall?«, fragte sie. »Da stimmt doch etwas
nicht!«
»Sie haben recht«, bestätigte ich. »Es besteht der Verdacht,
dass ein Fahrzeug Herr Maynert mit seiner Maschine von der Straße
abgedrängt hat, so dass er frontal gegen einen Baum raste.«
»Ein Fahrerflüchtiger? So ein Schwein!«
»Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass Herr Maynert von der
Fahrbahn gedrängt wurde.«
»Was?« Sie sah mich fassungslos an. Dann schüttelte sie stumm
den Kopf. »Wer tut denn so etwas?«, murmelte sie leise vor sich
hin.
»Ich will Sie nicht beunruhigen, aber wir ziehen auch die
Möglichkeit in Erwägung, dass dieser Unfall vorsätzlich verursacht
wurde.«
»Mord?«, flüsterte sie.
»Herr Maynert starb, kurz nachdem er sich mit uns getroffen
hatte«, eröffnete ich. »Wusste Sie, dass er als Informant für uns
tätig war?«
Sie sah mich völlig entgeistert an und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich hatte keine Ahnung.«
»Das ist auch der Grund dafür, dass wir in dieser Sache
ermitteln. Es kann natürlich Zufall sein, dass ein
Kriminalpolizei-Informant kurz nach einem Treffen mit uns ermordet
wurde. Aber genauso gut besteht die Möglichkeit, dass man mit ihm
abgerechnet hat.«
Roy mischte sich jetzt in das Gespräch ein.
»Sie wohnten doch hier zusammen, nicht wahr?«
»Ja«, nickte sie.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns etwas umsehen? Wir
würden auch einen Durchsuchungsbefehl bekommen, da bin ich mir
sicher. Nur würde das unsere Ermittlungen unnötig aufhalten – und
ich denke, Sie sind auch daran interessiert, dass der Mörder Ihres
Freundes gefasst wird!«
Noch befand sich dieser Fall in einer Grauzone. In einem
Mordfall war die Durchsuchung der Wohnung des Opfers Routine, aber
noch war dies offiziell keine Morduntersuchung.
Sie erhob sich wieder und verschränkte die Arme vor der Brust.
Anschließend wanderte ihr Blick zwischen ihr und Roy zweimal hin
und her. Sie nicke schließlich.
»Tun Sie Ihre Pflicht!«, sagte sie, an Roy gerichtet. »Aber
bringen Sie nicht zu viel durcheinander.« Rita Clemens drehte ihr
Gesicht in meine Richtung und musterte mich prüfend. »Ich möchte
wissen, was los ist! Jede Einzelheit! Ich habe das Gefühl, dass Sie
mir das meiste verschweigen – aus welchem Grund auch immer!«
»Ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches an Bernd
Maynert aufgefallen?«, fragte ich.
»Nein. Über seine Informantentätigkeit hat er nie mit mir
darüber gesprochen. Allerdings …«
»Was?«, hakte ich nach.
»Im Nachhinein wird mir jetzt einiges klarer.«
»Was denn zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, wie er sich mit dem Geld, das er als Barkeeper
verdiente, plötzlich eine Harley leisten konnte …« Sie schluchzte.
»Er bekam Geld von Ihnen, damit er die Gäste des Latin Pop
aushorcht - oder wie darf ich das verstehen?«
»So viel bekommen Informanten nicht für ihre Dienste«,
widersprach ich. »Die Harley ist ganz sicher ausschließlich den
Geschäften zu verdanken, die Bernd Maynert so nebenher laufen
hatte. Wissen Sie etwas Genaueres darüber?«
Sie hob das Kinn und schien abzuwägen, ob sie mit mir darüber
sprechen sollte.
Roy ging unterdessen ins Schlafzimmer und anschließend in
einen weiteren Raum in der Wohnung.
»Frau Clemens, was wissen Sie über die Personen, mit denen
Bernd Maynert Geschäfte machte?«, fragte ich inzwischen.
»Gar nichts.«
Ich befragte sie eingehend nach den Lebensumständen, die die
beiden geteilt hatten. Rita Clemens gab an, in einem Coffee Shop in
der Nähe zu jobben und hin und wieder im Latin Pop als
Gogo-Tänzerin auszuhelfen. »Dort habe ich Bernd auch kennen
gelernt.«
»Wissen Sie etwas über die Geschäfte, die er neben seiner
Tätigkeit als Barkeeper so laufen hatte?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf.
»Er hat mich nie einbezogen.«
»Aber Sie werden doch Ihre Vermutungen gehabt haben. Nun
kommen Sie schon! Bernd können Sie damit nicht mehr schaden – aber
falls er ermordet wurde, könnten wir vielleicht durch einen Hinweis
von Ihnen sein Mörder fangen.«
Sie biss sich auf die Unterlippe, war erneut einem Schluchzen
sehr nahe und nickte stumm. Ich begann mich zu fragen, wieviel Sinn
diese Vernehmung noch hatte.
Rita Clemens konnte den Tod Ihres Freundes offenbar nicht
verwinden.
»Er sagte mir, dass seine Geschäfte sehr gut gingen«,
berichtete sie mit tonloser Stimme. »Wir wollten uns eine bessere
Wohnung suchen und die Zukunftsaussichten sahen blendend aus.
Jedenfalls habe ich das gedacht.«
»Hat er gedealt?«, fragte ich.
»Nein! Wie können Sie so etwas behaupten?«
»Weil es nahe liegt. In welcher Branche käme man ansonsten so
schnell zu Geld?«
»Wer sagt denn, dass Bernd schnell zu Geld gekommen ist? Er
hat eisern gespart! Eine Harley zu besitzen, war der Traum seines
Lebens, seit er ein Junge war. Und jetzt hatte er das Geld eben
zusammen - was ist dabei?«
»Haben Sie schon mal den Begriff Asphaltkiller gehört?«
Ein Ruck ging durch ihren Körper. Energisch schüttelte sie den
Kopf.
»Keine Ahnung, was das sein soll!«, behauptete sie. »Ein
Computerspiel vielleicht?«
Roy kam inzwischen aus dem Nachbarraum zurück.
»Ich habe hier ein Telefonregister, das ich beschlagnahmen
werde«, kündigte er an.
Ich beugte mich vor.
»Asphaltkiller ist die Bezeichnung für einen professionellen
Lohnkiller, von dem Bernd Maynert zu wissen glaubte, dass er in
Hamburg sei und einen Auftrag angenommen habe.«
Sie schüttelte energisch den Kopf und verschränkte die Arme
vor der Brust.
»Wie kommen Sie darauf, dass ich von diesen Dingen etwas
wüsste? Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass Bernd mich nie in
seine Geschäfte einbezogen hat. Warum glauben Sie mir nicht? Fragen
Sie besser seine Kumpel, mit denen er herumhing. Ich kann Ihnen
gerne Namen und Adressen geben.«
»Aber gerne!«
»Allerdings finde ich es unmöglich, dass Sie ihn mit
irgendwelchen Geschichten von Lohnkillern in Verbindung bringen.
Bernd hat immer nur seine Arbeit gemacht. Und zwar gut!«
»Das ist durchaus möglich, Frau Clemens. Aber wir müssen alle
Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
Ich war überzeugt, dass sie mehr wusste.
Sie wich meinem Blick aus.
Ich reichte ihr meine Karte.
»Wenn Sie es sich doch noch anders überlegen oder Ihnen etwas
einfällt, das wichtig sein könnte, dann rufen Sie mich bitte
an.«
Sie antwortete darauf nicht, steckte meine Karte zwar weg,
würdigte sie aber keines Blickes.
»Danke«, sagte sie tonlos.
»Die Leute, mit denen Ihr Freund zu tun hatte, verstehen
keinen Spaß«, versuchte ich ihr klar zu machen. »Sie könnten auch
in Gefahr sein, bedenken Sie das!«
»Ich bin in St. Pauli aufgewachsen. Da lernt man auf sich
selbst aufzupassen!«
Ich wollte noch etwas erwidern, aber Roy schüttelte den Kopf,
so als wollte er mir signalisieren, dass es keinen Sinn hatte, Rita
Clemens zu überzeugen. Noch nicht.
9
Am nächsten Morgen fanden wir uns zur Besprechung im Büro von
Kriminaldirektor Bock ein. Mandy, die Sekretärin unseres Chefs,
versorgte uns mit ihrem vorzüglichen Kaffee.
Außer Roy und mir nahmen noch die Kollegen Stefan Czerwinski
und Ollie Medina, sowie die Kollegen Tobias Kronburg und Ludger
Mathies teil.
Max Warter aus der Fahndungsabteilung des Innendienstes gab
uns einen Überblick über den Stand der Fahndung nach dem
Asphaltkiller.
»Wir wissen, dass dieser Mann das Motorrad als Verkehrsmittel
bevorzugt«, erklärte er. »Außerdem wissen wir, dass er eine
Vorliebe für Explosiv-Geschosse hat, die mit Hilfe speziell
umgerüsteter Handfeuerwaffen abgefeuert werden. In mindestens einem
Fall benutzte er Abschussvorrichtungen, die in den Lenker seines
Motorrades integriert waren.« Max Warter betätigte den Beamer
seines Laptops und projizierte damit ein Foto an die Wand. Es war
die recht grobkörnige Aufnahme von einem Motorradfahrer.
Einzelheiten waren darauf nicht zu erkennen.
»Diese Aufnahme entstand in einem Parkhaus in Berlin durch
eine Überwachungskamera. Sie sehen, dass man nicht viel darauf
erkennt. Immerhin können wir Rückschlüsse auf die Körpergröße des
Asphaltkillers schließen. Er muss um die ein Meter achtzig
sein.«
»Ein Merkmal, dass er leider mit knapp der Hälfte der
männlichen Bevölkerung über 18 Jahre teilt!«, warf Stefan
Czerwinski ein.
Max zoomte das Lenkrad näher heran. Mit dem Laserpointer
markierte er ein Rohr, das auf den ersten Blick wie ein Teil des
Lenkrades wirkte.
»Die Experten aus der Zentrale halten dies für die
Abschussvorrichtung. Diese Aufnahme ist vier Jahre alt und entstand
kurz nachdem der Asphaltkiller Jennifer Gärtner, eine
Staatsanwältin, samt ihren Personenschützern ermordete, als sie in
ihren Wagen steigen wollte. Die abgeschossene Brandgranate war mit
einem napalmähnlichen Stoff bestückt und verwandelte einen Teil des
Parkhauses in eine Feuerhölle. Da gab es kein Entkommen.«
»Der Asphaltkiller scheint es bedenkenlos in Kauf zu nehmen,
wenn Unbeteiligte getroffen werden«, stellte Kriminaldirektor Bock
fest.
»Ich frage mich, wie man mit einem Motorradlenker zielen
kann«, wandte unser Kollege Medina ein.
Max nickte.
»Du sprichst ein Problem an, dass auch die Experten in Berlin
schon beschäftigt hat«, erklärte Max Warter. »Wir nehmen an, dass
die Abschussvorrichtung mit einem elektronischen Helmdisplay
verbunden ist und der Schütze auf diese Weise sehr treffsicher
agieren kann. Im Übrigen hat der Täter durchaus ganz gewöhnliche
Morde mit einer Schalldämpferwaffe begangen. In einem Fall benutzte
er sogar eine Drahtschlinge. In dieser Hinsicht scheint er nicht
festgelegt zu sein – genauso wenig wie er wahrscheinlich immer
wieder ANDERE Maschinen benutzte. Nur in einem blieb er sich
treu.«
»Und das wäre?«, fragte Kriminaldirektor Bock.
Max wandte den Kopf in Richtung unseres Chefs.
»Er scheint einen sehr rutschfesten Reifentyp mit tiefem
Profil zu bevorzugen, der normalerweise bei Motorradrallyes zum
Einsatz kommt. Wir konnten bei verschiedenen Morden, die wir dem
Asphaltkiller zuschreiben, Reifenprofile dieses Typs sichern. Ich
habe bereits veranlasst, dass systematisch nach Personen gesucht
wird, die solche Reifen bestellt und gekauft haben.«
»Der Asphaltkiller wird nicht so dumm sein, sich das Zubehör
für seine Maschine irgendwo zu besorgen, wo er auffallen könnte«,
war Stefan überzeugt.
»Andererseits ist er mit Sicherheit auf technische
Unterstützung angewiesen«, gab Max zu bedenken. »Die Herkunft der
Explosiv-Munition ist etwas, was möglicherweise am ehesten zu ihm
führt. Schließlich braucht er regelmäßig Nachschub und wir
vermuten, dass es sich um speziell nach seinen Wünschen
angefertigte Spezialmunition handelt. Die Wirkung war bei den
bisherigen Mordanschlägen, die wir ihm zur Last legen, sehr
unterschiedlich. Mal verwendete er panzerbrechende Projektile, ein
anderes Mal Brandgranaten.«
»Offenbar bereitet er sich sehr gründlich vor«, stellte Stefan
fest. »Je nach dem, was für einen Job er zu erledigen hat. Aber
gerade über die Herkunft der Munition müsste man doch an den Kerl
herankommen.«
»Er hat offensichtlich ein Team von Helfern im Hintergrund,
auf die er sich absolut verlassen kann«, sagte Max. »Die andere
Möglichkeit wäre, dass er selbst technisch außerordentlich
vielseitig begabt ist.«
»Für den vielversprechendsten Ansatz, um an den Asphaltkiller
heranzukommen, halte ich immer noch Ermittlungen in Maynerts
Umfeld«, meinte ich. »Unser Informant muss seine Neuigkeiten ja
schließlich irgendwo her haben. Er hätte es auch kaum riskiert, uns
etwas anzubieten, was nicht Hand und Fuß hat.«
»Wir haben das Handy inzwischen im Labor untersucht und eine
Liste der Personen zusammengestellt, die zu den im Menü
gespeicherten Nummern gehören. Außerdem gibt es da noch das
Telefonregister, das Uwe und Roy uns mitgebracht haben. Dort finden
sich vor allem Nummern von persönlichen Freunden und Bekannten.
Einer davon heißt Carlo Bentos und ist dafür bekannt, dass er der
Mann fürs Grobe bei Marco Zorner ist!«
Zorner war eine bekannte Größe im Heroin-Handel in Hamburg. Es
war durchaus möglich, dass Carlo Bentos der Kanal war, über den
Maynert seine Informationen über den Asphaltkiller bekommen
hatte.
»Es kommt in letzter Zeit immer wieder der Verdacht auf, dass
eine fremde kriminelle Vereinigung die etablierten Drogenanbieter
verdrängen will. Vor allem auf dem Heroinmarkt«, berichtete Tobias
Kronburg. »Es liegt doch nahe, dass dieses kriminelle Netzwerk
einen Super-Lohnkiller engagiert hat, um hier in Hamburg richtig
aufzuräumen.«
»Oder jemand wie Zorner streut ganz bewusst solche Gerüchte,
um seine Konkurrenz zu verunsichern«, bot Kriminaldirektor Bock
eine andere Erklärung. Er wandte sich an Roy und mich. »Sprechen
Sie mit diesem Bentos! Was Zorner angeht, werden Sie da kein Glück
haben.«
»Weshalb?«, fragte ich.
»Weil Marco Zorner von den Kollegen gestern Abend verhaftet
wurde. Staatsanwalt Thornow hat offenbar genug Beweismaterial, um
eine Anklage vorbringen zu können. Heute Mittag ist der
Haftprüfungstermin. Ich würde mich sehr wundern, wenn Zorner als
freier Mann das Gerichtsgebäude verlässt.« Der Kriminaldirektor
wandte sich an die anderen. »Die Suche nach dem Asphaltkiller wird
eine Sisyphusarbeit werden, dass kann ich Ihnen jetzt schon
versprechen. Aber je mehr Merkmale wir über ihn kennen, desto
engmaschiger wird das Netz werden, das wir über ihn werfen. Und was
wir wissen, ist nicht wenig. Ein Mann mit derart erstaunlichen
technischen Fähigkeiten, der darüber hinaus ein exzellenter
Motorradfahrer ist, müsste doch zu identifizieren sein.«
Im Anschluss bekam Kommissar Frank Folder das Wort, um die
Erkenntnisse über den Unfall zusammenzufassen.
Es klopfte an der Tür. Mit etwas Verspätung traf Dr. Bernd
Claus, ein Gerichtsmediziner im Dienst der Polizei, ein. Er hatte
noch am Abend die Obduktion durchgeführt. Entsprechend übernächtigt
wirkte er jetzt.
Mandy servierte ihm einen dampfenden Becher ihres vorzüglichen
Kaffees.
»Die Tatort-Analyse ergab, dass Bernd Maynert von der Fahrbahn
abgedrängt wurde«, erklärte Frank Folder. Am Vortag hatte das noch
wie eine Möglichkeit geklungen. Jetzt stand es offenbar definitiv
fest. »Wir haben entsprechende Reifenspuren gefunden, die dazu
passen. Der Bereifung nach handelt es sich höchst wahrscheinlich um
einen Geländewagen. Die am Motorrad gefundenen Lackspuren werden
noch genauer untersucht, da müssen wir noch abwarteten.« Frank
wandte den Blick in meine Richtung. »Das Reifenprofil, das wir in
der Nähe eures Treffpunkts gesichert haben, ist übrigens mit dem
identisch, das am Unfallort vorhanden war.«
»Das bedeutet, es war keine Fahrerflucht, sondern Mord!«,
stellte ich fest.
Frank Folder wollte mir in dieser Einschätzung noch nicht zu
hundert Prozent folgen, gab mir im Prinzip aber recht. »Es spricht
zumindest jetzt sehr viel dafür, dass jemand Maynert gefolgt ist,
das Gespräch mit euch beobachtetet hat und Maynert später von der
Straße abdrängte. Wir wissen aber noch mehr! Das Tatfahrzeug hielt
am Unfallort an, und es ist sehr wahrscheinlich sogar jemand
ausgestiegen. Wir haben einen Schuhabdruck der Größe 44 gefunden.
Es handelt sich um den Abdruck eines Cowboy-Stiefels.«
Jetzt meldete sich Dr. Bernd Claus zu Wort: »Das passt
haargenau zu den Ergebnissen meiner Obduktion, die ich mir bislang
nicht erklären konnte«, berichtete der Gerichtsmediziner.
Kriminaldirektor Bock wandte den Blick in Claus’ Richtung.
»Inwiefern?«
Dr. Claus hob die Augenbrauen.
»Habe ich jetzt bereits das Wort oder ist von Ihrer Seite noch
etwas Abschließendes zu bemerken, Herr Folder?«
»Nur zu, ich bin gespannt, was Sie dazu zu sagen haben«, sagte
Frank.
Dr. Claus holte eine Mappe aus seiner Aktentasche und legte
sie auf den Tisch.
»Dies ist der vorläufige Obduktionsbericht. Herr Maynert
erlitt durch den Aufprall seines Motorrads gegen einen Baum schwere
Verletzungen. Insbesondere waren beide Beine in Höhe des
Oberschenkels gebrochen – Verletzungen, die üblicherweise durch den
Lenker hervorgerufen werden. Er hatte außerdem eine stark blutende
Wunde am Oberschenkel. Darüber hinaus Prellungen an Brust und
Schultern durch den Aufprall. Der Kopf war durch den Helm
geschützt, aber der Fahrer erlitt dennoch eine schwere
Gehirnerschütterung und ein Schulter-Hals-Trauma.«
»Aber Sie gehen davon aus, dass er noch gelebt hat«, schloss
Kriminaldirektor Bock.
Dr. Claus nickte.
»Maynert hat auf jeden Fall noch gelebt. Aber er erhielt
mindestens zwei Schläge mit einem stumpfen Gegenstand gegen
Oberkörper und Hals. Letzterer war tödlich. Es gibt für mich keinen
Zweifel, dass Herr Maynert ermordet wurde!«
10
Die gepanzerte, schneeweiße und überlange Limousine bog von
der Wilhelmstraße in den Kurdamm. Rechts befanden sich die
Grünanlagen des Wilhelmsburger Inselparks, links eine Front von
Apartmenthäusern der besseren Sorte.
Keines von ihnen hatte jedoch mehr als zehn Stockwerke.
Marco Zorner steckte sich seine dicke Havanna in den Mund,
während der Wagen gegenüber der der Hausnummer 34 hielt. Hier
residierte Zorner. Das Penthouse sowie zwei darunter liegende
Stockwerke gehörten ihm. Insgesamt etwas mehr als 350 Quadratmeter,
was für Hamburger Verhältnisse schon in die Kategorie unverschämt
fiel.
Zusammen mit Zorner saßen noch mehrere Leibwächter sowie sein
Anwalt, ein gewisser Wilm Willemsen, im Wagen.
Willemsen war einer der gewieftesten Strafverteidiger in
Hamburg.
Der Wagen hielt.
»Einen Augenblick noch!«, meinte Zorner, der gar nicht daran
dachte auszusteigen. »Dies ist zwar angeblich ein freies Land, aber
der eigene Wagen ist leider einer der wenigen Orte, an denen man in
Hamburg noch unbehelligt eine Zigarre rauchen kann«, dröhnte sein
Bass. Er ließ die Zigarre aufglühen und blies Willemsen den Rauch
ins Gesicht. »Ich möchte Ihnen gratulieren, Herr Willemsen«, sagte
er. »Ich habe - ehrlich gesagt - schon gedacht, bis zum Prozess im
Knast residieren zu müssen.«
»Um ehrlich zu sein, hatte ich kaum noch Hoffnung, die Kaution
durchzubekommen«, gestand der Anwalt. »Wir haben einen milden
Richter an einem günstigen Tag erwischt – aber glauben Sie nicht,
dass in der eigentlichen Verhandlung sich auch alles so leicht in
Wohlgefallen auflösen wird!«
Zorner schnippste mit den Fingern.
»Wie auch immer, für heute haben wir auf ganzer Linie gesiegt
und das ist Ihr Verdienst. Ich zahle Ihnen einen Extra-Bonus und
lade Sie außerdem noch zu einer Flasche Champagner ein.«
»Danke, Herr Zorner. Ich wäre allerdings dafür, dass wir uns
möglichst schnell treffen, um die weitere Verteidigungsstrategie zu
besprechen.«
Zorner grinste.
»Tun Sie einfach, was Sie für richtig halten, Herr Willemsen!
Sie scheinen da den richtigen Riecher zu haben, was unsere
juristische Strategie angeht.«
»Es kommt vor allem darauf an, zu beweisen, dass die
Gegenseite ihre Beweismittel auf gesetzwidrige Weise erlangt hat.
Andernfalls werden Sie sich auf sechs bis zwölf Jahre einstellen
müssen.«
Zorner seufzte. Sein Blick wirkte nachdenklich.
»Wenn es gar nicht anders geht, machen wir einen Deal und ich
zaubere denen jemanden als Kronzeuge auf den Tisch, nach denen sich
dieser Herr Thornow die Finger lecken wird!«
Willemsen lehnte sich zurück.
»Darauf würde ich nicht setzen, Herr Zorner. Dieser
Staatsanwalt - Thornow - dürfte nicht gut auf Sie zu sprechen sein,
nachdem wir die Kautionsverhandlung für uns entschieden
haben.«
Zorner zuckte die Schultern.
»Was heißt schon für uns entschieden? Ich musste meinen Pass
abgeben, darf Hamburg nicht verlassen und musste fünf Millionen
Euro hinterlegen. Na ja, hätte schlimmer kommen können.«
Ihm schmeckte plötzlich die Havanna nicht mehr. Er ließ das
Fenster herunter und warf sie einfach hinaus über den Bürgersteig
bis zu den ersten Sträuchern des Wilhelmsburger Inselparks.
»Wenigstens in den kleinen Dingen sollten Sie sich bis zum
Prozess an die Gesetze halten«, riet Willemsen.
Aber Zorner machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Immer schön locker bleiben! Mein Fahrer bringt Sie zu Ihrer
Kanzlei, Herr Willemsen. Ich bin überzeugt davon, dass Ihnen eine
Strategie einfallen wird, um mich mit Pauken und Trompeten
rauszuhauen!«
»Sie sind ein Optimist, Herr Zorner!«
Zorner grinste breit.
»Sie nicht? Bis zur Hauptverhandlung ist ja auch noch ein
bisschen Zeit, da kann man ja vielleicht noch den einen oder
anderen Zeugen der Anklage davon überzeugen, dass es besser ist,
sich alles noch einmal genau zu überlegen …«
»Davon will ich gar nichts wissen, Herr Zorner.«
»Wie auch immer. Ich rufe Sie an.«
Die Leibwächter stiegen daraufhin aus. Einer öffnete Zorner
die Tür. Der große Chef quälte sich aus der Stretchlimousine und
rückte seine Krawatte zurecht.
In diesem Moment kam ein Motorrad von der Ziegeleistraße in
den Kurdamm eingebogen. Der Motor heulte auf. Das Motorrad bremste
kurz in Höhe der Limousine.
Aus dem präparierten Lenker schoss etwas heraus und ehe
Zorners Leibwächter etwas unternehmen konnten, explodierte der
Wagen und eine Feuersbrunst breitete sich rasend schnell über den
Boden aus. Ein zweites und ein drittes Explosivgeschoss folgten,
anschließend drehte der Motorradfahrer das Gas voll auf. Das
Vorderrad stieg kurz hoch, dann brauste er auf die Wilhelmsstraße
zu und bog dort nach links in Richtung A75 ein.
11
Jenseits der A75 änderte die Grünstraße ihren Namen in
Rubensstraße. Dort war Carlo Bentos letzte bekannte Adresse. Vor
einem halben Jahr war die Bewährung abgelaufen, die er im
Zusammenhang mit einer Verurteilung wegen Körperverletzung bekommen
hatte. Bis dahin hatte er sich regelmäßig auf dem zuständigen
Revier der Polizei und bei seinem Bewährungshelfer melden müssen.
Aber seitdem hatten beide nichts mehr von ihm gehört.
Haus Nummer 45 war ein etwas heruntergekommener Bau, der
aussah, als wäre er ursprünglich mal als Lagerhaus konzipiert
gewesen.
Ich stellte den Sportwagen an den Straßenrand.
An der Tür stellten wir fest, dass an den meisten Klingeln die
Namensschilder fehlten. Wahrscheinlich war die Fluktuation der
Bewohner so groß, dass es nicht lohnte, die Schilder auf den
neuesten Stand zu bringen. Schmierereien verunzierten die
Wände.
Der Aufzug funktionierte nicht. Carlo Bentos‘ Wohnung lag im
vierten Stock und trug die Nummer 34 D.
Schließlich erreichten wir die Wohnungstür. CAR BEN stand noch
auf dem Namensschild. Der Rest der Buchstaben war nur noch als
blasse Abdrücke erkennbar. Anstatt einer Klinge schaute einem ein
Kabelende entgegen.
Ich klopfte.
»Herr Carlo Bentos? Hier spricht das Kriminalpolizei! Bitte
machen Sie die Tür auf!«
Roy und ich traten zur Seite, um nicht getroffen zu werden,
falls von der anderen Seite jemand mit seiner Waffe einfach auf die
Tür feuerte. Leider kam das hier immer wieder vor und zwar selbst
aus relativ nichtigen Anlässen.
Zunächst erfolgte keine Reaktion.
Roy griff bereits zur Dienstwaffe.
»Herr Bentos! Hier spricht die Kriminalpolizei!«, wiederholte
ich. »Wenn Sie die Tür nicht aufmachen, sind wir gezwungen, uns
gewaltsam Eintritt zu verschaffen!«
»Einen Moment!«, rief eine Männerstimme.
Daraufhin war zu hören, wie jemand die Tür aufschloss.
Ein Mann in den Sechzigern mit schütterem Haar stand vor uns.
Er trug eine verblichene Jeans und ein ärmelloses Unterhemd.
Tätowierungen waren auf den Oberarmen zu sehen. Vor allem Tiger und
Totenköpfe in unterschiedlichen Kombinationen und Größen.
Ich hielt ihm meinen Ausweis unter die Nase. Dass es sich
nicht um Bentos handelte, war schon vom Alter her klar. Außerdem
hatten wir Fotos von ihm auf dem Computerschirm gesehen.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Roy
Müller. Wir suchen Herrn Carlo Bentos.«
»Mein Name ist Javier Bentos, ich bin Carlos Onkel. Was wollen
Sie von ihm? Hat er wieder etwas – angestellt?«
»Nein, wir haben nur ein paar Fragen an ihn. Können wir kurz
hereinkommen?«
»Kommen Sie! Wenn Sie wollen, mache ich Ihnen einen
Milchkaffee.«
»Nein, danke, wir sind gleich wieder weg«, erwiderte
ich.
Wir folgten Javier Bentos ins Wohnzimmer. Die Fensterfront war
zu einem ziemlich schmuddeligen Hinterhof ausgerichtet, der von
heruntergekommenen Bauten eingerahmt wurde. Es gab nur eine schmale
Ausfahrt, die gerade reichte, um sie mit einem Fahrzeug zu
passieren.
»Carlo ist nicht hier«, sagte Javier Bentos.
»Wann kommt er zurück?«, fragte ich.
»Er wohnt nicht mehr hier.«
»Seit wann?«, fragte Roy.