Thronräuber - K.B. Wagers - E-Book

Thronräuber E-Book

K.B. Wagers

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Beschreibung

Sie ist mutig, tough und mit allen Wassern gewaschen: Hail Bristol, seit zwanzig Jahren Waffenschmugglerin und Raumschiffkapitänin. Niemand ahnt, dass sie eigentlich eine Prinzessin des großen Imperiums Indrana ist. Selbst Hail hat es fast vergessen, bis sie eines Tages an den Hof zurückgerufen wird und Blaster gegen Zepter eintauschen muss. Denn Indrana steht kurz vor einem Krieg – aber damit kennt Hail sich bestens aus …

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Seitenzahl: 562

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Das Buch

Sie ist mutig, tough und mit allen Wassern gewaschen: Hail Bristol, seit zwanzig Jahren Waffenschmugglerin und Raumschiffkapitänin. Niemand ahnt, dass sie eigentlich eine Prinzessin des großen Sternen-Imperiums Indrana ist. Selbst Hail hat ihre royale Herkunft fast vergessen, bis sie eines Tages relativ unsanft von ihrer Mutter, der Kaiserin, an den Hof zurückgerufen wird und Blaster gegen Zepter eintauschen muss. Denn Indrana steht kurz vor einem Krieg – aber damit kennt Hail sich ja bestens aus …

Die Autorin

K. B. Wagers wuchs in Colorado auf, studierte Russisch und wurde für ihre Sachbücher bereits zweimal mit dem Air Force Space Command Media Contest Award ausgezeichnet. Thronräuber ist der Auftakt zu ihrer großen neuen Weltraum-Saga um die mutige Space-Piratin Hail Bristol. K. B. Wagers lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn am Fuße der Rocky Mountains.

Mehr über K. B. Wagers und ihren Roman erfahren Sie auf:

diezukunft.de

K. B. WAGERS

THRONRÄUBER

DER INDRANA-KRIEG

ROMAN

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

BEHIND THE THRONE – THE INDRANIAN WAR: BOOK 1

Deutsche Übersetzung von Kristof Kurz

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 01/2018

Redaktion: Ralf Dürr

Copyright © 2016 by Katy B. Wagers

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,nach einem Originalentwurf von Lauren Panepinto

Umschlagmotive: Arcangel / Rekha Garton,iStock / sololos, Shutterstock / tsuneomp

Cover © 2016 Hachette Book Group, Inc.

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN 978-3-641-21118-9V001

www.diezukunft.de

Für alle Frauen, die mich tagtäglich inspirieren.

Für alle vergangenen, gegenwärtigenund zukünftigen Generationen.

Ich stehe auf den Schultern von Amazonen.

· 1 ·

Hail. Steh auf.

Die Stimme, die durch die Übelkeit in meinen Kopf drang, klang etwas zu sehr nach meinem Vater. Was auf perverse Art Sinn ergab: Wenn ich tot war, konnte es ja durchaus sein, dass ich die Stimme eines Mannes hörte, der vor einundzwanzig Jahren vor meinen Augen erschossen worden war.

Beim Einatmen erfüllte bitterer Blutgeschmack meinen Mund und meine Nase. Rostiges Eisen und der Gestank des Todes. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wieso es im Laderaum meines Schiffes plötzlich wie in einem Schlachthaus roch.

Hail, steh sofort auf.

Wem die Stimme in meinem Kopf auch gehörte, sie brachte mich dazu, mich zu bewegen – oder es zumindest zu versuchen. Wenig anmutig rappelte ich mich auf. Meine Stiefel – erstklassige schwarz-rote Holycon IV, die ich erst vor einem halben Jahr einem toten Plünderer abgenommen hatte – rutschten über den vom Blut glitschigen Metallboden. Ich verlor das Gleichgewicht und schlug hart mit meinem bereits lädierten Gesicht auf dem Deck auf. Einen Augenblick lang wurde mir schwarz vor Augen.

Vergebens versuchte ich, mich auf den Rücken zu rollen. Die Schmerzen wurden stärker. Auch gut – immerhin war ich nicht tot. Trotz allen Zynismus glaubte ich nicht, dass einen die Götter auch im Jenseits Schmerzen empfinden ließen. Das kam mir einfach unanständig vor.

»Was für eine Schweinerei.«

Diese Stimme war nicht in meinem Kopf, was sie umso gefährlicher machte. Ich rührte mich nicht, obwohl ich mit dem Gesicht in den Eingeweiden von jemandem lag. Zumindest roch es so.

Allmählich fiel mir alles wieder ein. Die Eingeweide gehörten höchstwahrscheinlich meiner Navigatorin. Vage erinnerte ich mich daran, dass ich sie mit ihren eigenen Gedärmen hatte erwürgen wollen. Memz war eine harte Nuss gewesen und hatte ein paar gute Treffer gelandet, bevor es mir zur blöd wurde und ich ihr das Genick brach.

»Mögen die Wochenheiligen uns beschützen.«

Hinter mir ertönte eine Reihe von Flüchen, doch die hohe, trällernde Anrufung der Heiligen zu meiner Linken weckte meine Aufmerksamkeit. Ein farianischer Akzent – Grund genug, um weiter reglos liegen zu bleiben.

Farianer. Außerirdische, die mit einer Berührung töten oder heilen konnten. Das Einzige, was sie von der Eroberung des Universums abhielt, waren ihre merkwürdigen religiösen Vorschriften, an denen sie mit einem Fanatismus festhielten, um den sie jede Diktatur beneidet hätte. Sie hatten sieben Heilige – einen für jeden Tag der Woche. Wenn ich mich recht erinnerte, waren dem Donnerstagsheiligen Gewalttaten ein Gräuel.

Der Überlieferung nach hatte dieser Heilige ihnen geboten, mit ihrer Macht zu heilen, aber keinesfalls zu schaden. Wenn ein Farianer mit seinen Kräften jemanden tötete, fiel er selbst dem Wahnsinn anheim. Das hatte ich zwar noch nie hautnah miterlebt, aber ich kannte Videos, die einem die Haare zu Berge stehen ließen: Völlig aufgelöste, von Trauer übermannte Farianer wurden von ihren Kameraden festgehalten und von einem Henker von ihren Leiden erlöst.

Still liegen zu bleiben war also keine so üble Idee. Religiöses Gebot hin oder her: Es war nicht auszuschließen, dass dieser Farianer den Verstand bereits verloren hatte. Und ich hatte noch nicht mal eine Waffe.

»Sergeant, Sie haben ein Lebenszeichen gemeldet«, sagte eine weibliche, mehrere Oktaven tiefere Stimme. Der Satz war keine Frage, sondern knüpfte offenbar an eine vorherige Unterhaltung an.

»Genau, Cap. Ein einzelnes, in diesem Raum«, antwortete die trällernde Stimme. »Näher kann ich es nicht eingrenzen.«

»Na schön. Ausschwärmen und dieses …« Eine dramatische Pause. Ich widerstand der Versuchung, den Kopf zu heben und nachzusehen, ob sie bereits in den Laderaum vorgedrungen waren. »… Durcheinander durchsuchen«, beendete sie den Satz endlich. »Sergeant Terass behauptet, dass eines dieser armen Schweine noch lebt. Also findet raus, welches.«

Ich schloss die Augen und zählte die Schritte meiner ungebetenen Gäste. Es waren insgesamt fünf Personen, die sich mit militärischer Präzision vorwärtsbewegten. Womöglich Söldner, die Ansprüche auf mein Schiff erhoben. Ich hatte nicht herausfinden können, wem Portis – dieses Riesenarschloch von Erstem Offizier – die Sophie nach seiner kleinen Meuterei hatte verkaufen wollen.

Weil du ihn vorher umgebracht hast.

Die Trauer schlug ihre scharfen Krallen in meine Kehle, und ich musste ein Schluchzen unterdrücken. Mögen dich die Götter verfluchen, Portis. Warum hast du mich verraten?

Um ehrlich zu sein, war ich mir nicht ganz sicher, ob er mich oder ich ihn hatte töten wollen. Die Erinnerung an den Kampf war so trüb wie die Ozeane von Pasicol und ebenso ätzend. Sobald ich versuchte, die Bilder zu einem einigermaßen zusammenhängenden Ganzen zu ordnen, stürzten sich die Kopfschmerzen mit Gebrüll auf mich.

Ich brüllte zurück, bis sie sich wimmernd in den hintersten Winkel meines Hirns zurückzogen. Momentan gab es Wichtigeres: zum Beispiel, diese Arschlöcher von meinem Schiff zu werfen und mich dann so schnell wie möglich aus dem Staub zu machen.

Ich ließ meine Hand über das trocknende Blut gleiten und vergrub sie tief in der dicken, matschigen Masse. Als ich das Kampfmesser ertastete, überkam mich ein leichtes Triumphgefühl. Es gehörte mir, die Kerbe am Griff war unverkennbar.

Was für ein Scheißtag. Immerhin war ich jetzt bewaffnet.

Die Eindringlinge marschierten an mir vorbei. Durch einen glücklichen Zufall war ich unter der Treppe und somit außer Sichtweite gelandet. Ich rollte mich zur Seite, über Portis’ Torso hinweg und aus dem abstrakten Blutgemälde auf dem Boden. Sobald ich sein Profil sah, hätte ich ihn am liebsten getreten und seinen Namen verflucht – nur um ihn dann auf Knien anzuflehen, mich nicht alleinzulassen.

Du hast keine Zeit für so was, Hail. Setz dich in Bewegung. Die Stimme meines Überlebensinstinkts hallte so scharf und präzise wie die eines imperialen Ausbildungsoffiziers durch meinen Kopf. Ich ging in die Hocke. Mein linkes Bein protestierte zwar, gab aber nicht nach.

Die Eindringlinge hatten mir den Rücken zugekehrt. Beinahe hätte ich den Göttern dafür gedankt, bis mir einfiel, dass die Götter meiner Heimatwelt in letzter Zeit nicht viel für mich getan hatten. Portis war der Gläubige von uns beiden gewesen. In der schummrigen Notbeleuchtung war es vielleicht möglich, ungesehen in den Schatten der Tür zu huschen.

Die Schiffs-KI reagierte nicht auf die Anfragen meines smati. Ob es daran lag, dass ein Störsignal die in mein Gehirn implantierte Hardware kurzgeschlossen hatte oder der Bordcomputer der Sophie defekt war, ließ sich von hier aus nicht eindeutig bestimmen. Egal. Ich musste die Brücke erreichen und den Computer manuell bedienen. Wenn es mir gelang, diese Spaßvögel ins All zu pusten, war ich über alle Berge, noch bevor ihre Schädel implodierten.

Wenn.

Bevor ich mir über dieses Wenn weitere Gedanken machen konnte, lief ich direkt in den sechsten Eindringling hinein.

Er verbarg sich in den Schatten, in denen ich mich eigentlich hatte verstecken wollen. Ich wirbelte herum und rammte die rechte Hand in seine Rippen. Er gab kein Geräusch von sich, nur sein Personenschild blitzte mit blauem Schimmer auf. Ich stieß einen leisen Fluch aus. Der Schild würde jeden meiner Schläge absorbieren – viel Schaden konnte ich also nicht anrichten. Glücklicherweise war sein Kopf nicht von derselben kinetischen Technologie geschützt. Meine linke Hand schoss mit der Klinge voran auf seine Kehle zu. Er packte mein Handgelenk, drehte es um und von seinem Hals weg.

Ich war so groß wie er und − dem überraschten Blick aus seinen dunklen Augen nach zu schließen − beinahe so kräftig. Einen Herzschlag lang rangen wir miteinander, dann drängte er mich einen Schritt zurück. In der Notbeleuchtung der Sophie glühte die silberne Tätowierung auf seinem linken Wangenknochen blutrot.

Beim Anblick des komplizierten Rautenmusters, dessen vier Spitzen sich leicht gegen den Uhrzeigersinn neigten, setzte mein Herz vor Schreck aus: der imperiale Stern, eine der höchsten Auszeichnungen überhaupt. Das verschlungene schwarze Symbol auf seinem Kragen dagegen brachte mein Herz wieder auf Hochtouren: ein imperialer Jäger.

»Ach du Scheiße.«

Den Fluch konnte ich mir nicht verkneifen – vor Überraschung entschlüpfte er mir sogar in der alten Sprache. Ein Jägerteam konnte nur aus einem einzigen Grund hier sein – aus genau dem Grund, aus dem ich zwanzig Jahre lang jeden Kontakt mit dem indranischen Imperium gemieden hatte.

Ach du Scheiße.

Jäger arbeiteten immer in Zweierteams. Dummerweise konnte ich den vor mir nicht aus den Augen lassen und mich nach seinem Partner umsehen. Ich trat einen Schritt zurück und überlegte fieberhaft, wie ich mich aus diesem Albtraum befreien konnte.

Der Jäger lächelte leicht – weiße Zähne vor dunkler Haut. Auf seiner rechten Wange wurde ein kleines Grübchen sichtbar. Er verstärkte den Griff um mein Handgelenk, was die Symphonie meiner Schmerzen um eine schrille Note bereicherte.

»Eure kaiserliche Hoheit, ich will Euch nichts tun. Bitte lasst das Messer fallen.«

Ach du Scheiße.

»Keine Ahnung, wovon du da redest.« Die Lüge kam mir mühelos über die Lippen. »Ich bin nur eine Waffenhändlerin.«

Er tippte sich mit dem Finger knapp über der Tätowierung auf die Wange. Nun bemerkte ich den silbernen Schimmer der Augenmodifikation in den tiefdunklen Pupillen. »Ich weiß, wer Ihr wirklich seid. Versucht nicht, mich für dumm zu verkaufen.«

Ich stieß eine Reihe saftiger Flüche aus, die eines Weltraumpiraten würdig gewesen wären. Die Körpermodifikationen, für die ich nach der Flucht von meinem Heimatplaneten ein Vermögen ausgegeben hatte, hatten in den letzten zwanzig Jahren nach indranischer Zeitrechnung jeden Scanner im bekannten Universum getäuscht, aber gegen eine solche Technologie waren sie natürlich machtlos.

Alle Jäger waren voll modifiziert und verfügten über smatis vom Feinsten. Wahrscheinlich hatte er einen DNA-Scanner aktiviert, sobald er mein Handgelenk gepackt hatte. Der und die Sensoren in seinen Augen hatten meine Identität eindeutig bestätigt. Mein Schicksal war besiegelt.

Ich konnte ihn nicht täuschen. Nun blieb nur noch eine Lösung: brutale Gewalt.

»Bitte, Euer Hoheit«, wiederholte er. Seine Stimme stieg wie ein Rauchfaden in die Luft auf. »Eure Mutter, die Kaiserin, verlangt, Euch zu sehen.«

»Das verlangt sie, ja?«, rief ich mit brüchiger Stimme. »Willst du mich verarschen? Sie verlangt, mich zu sehen?« Ich riss mich von ihm los und landete einen Tritt gegen seine Brust.

Das hatte denselben Effekt, wie gegen das Armaturenbrett der Sophie zu treten, wenn die Triebwerke nicht starten wollten – es war schmerzhaft und wenig effektiv. Dieser beschissene Personenschild. Der Jäger trat einen Schritt zurück. Das Energiefeld seines Anzugs hatte die Wucht des Tritts mit einem leichten blauen Schimmer absorbiert.

Kräftige Hände umklammerten meine Oberarme.

Da also war der zweite Jäger.

In der Hoffnung, dass auch dieser keinen Helm trug, warf ich den Kopf nach hinten. Ich hörte das süße Knacken einer brechenden Nase, gefolgt von einem überraschten Fluch. Ich hatte richtig geraten.

Ich wirbelte herum, packte die Kehle des Mannes mit einer Hand und drehte das Messer in der anderen Hand herum. Dann grinste ich Jäger Nummer eins hämisch an. »Einen Schritt weiter, und ich schneide ihm die Kehle durch.«

Das war im Prinzip kein schlechter Bluff. Ein Jäger riskierte niemals das Leben seines Partners. Und das aus gutem Grund: Sobald einer starb, folgte ihm auch der andere in die Umarmung der dunklen Mutter. Das war der Preis für diese enge, schon seit Kindertagen bestehende Verbindung.

»Ich weiß weder, wer ihr seid, noch, warum ihr Memz auf mich gehetzt habt, aber heute habt ihr kein Glück.«

»Euer Hoheit, damit haben wir nichts zu tun.« Der Jäger ging einen Schritt auf mich zu.

»Zurück und runter von meinem …«

Ich wurde durch das Geräusch mehrerer hochfahrender Phasengewehre unterbrochen. Scheiße. Die anderen Typen hatte ich ganz vergessen.

»Nicht.« Der Jäger hob eine Hand. Ich wagte einen Blick nach links. Wie erwartet, hatten sie sich mit ihren Gewehren im Anschlag um uns gruppiert.

»Euer Hoheit, Eure Schwestern sind in den Tempel heimgegangen«, sagte er förmlich. Seine Worte bohrten sich wie eine glühende Klinge in meine Eingeweide. Ich lockerte den Griff, in dem ich den halb bewusstlosen Jäger hielt.

Cire. Pace. Bei den Göttern, das durfte nicht sein.

Einen kurzen Augenblick lang sah ich Cire vor meinem geistigen Auge – meine zwei Jahre ältere Schwester, wie sie mit wogenden pechschwarzen Locken über die handbemalten Fliesen unserer Gemächer lief. Cire, wie sie der kleinen blonden Pace hinterherjagte. Pace, deren Lachen sprudelte wie die bronzenen Wasserfälle der Palastgärten.

»Prinzessin Hailimi Mercedes Jaya Bristol, Eure Mutter, die Kaiserin, sowie das Imperium erwarten sehnlichst Eure Rückkehr.«

»Niemals«, flüsterte ich. Keine Ahnung, ob das der Nachricht vom Tod meiner Schwestern oder seinen Worten galt.

War da Mitleid in der Miene des Jägers? Er hielt mir die Hand vors Gesicht und streckte die Finger in einer unglaublich anmutigen Bewegung aus. Blasser, lilafarbener Rauch trieb auf mich zu, glitt in meinen Mund und meine Nase, bevor ich mich abwenden konnte.

»Du blödes verräteri…«

Mitten im Fluch verlor ich das Bewusstsein und fiel auf den Jäger, dessen Nase ich soeben gebrochen hatte.

Ich erwachte im Dunklen. Mein Kopf tat immer noch weh. Sobald ich mich wieder an alles erinnerte, murmelte ich einen saftigen Fluch.

»Ganz ruhig, Euer Hoheit.«

Eine Stimme, plötzlich grelles Licht. Ich sprang aus dem Bett und landete auf meinen nackten Füßen. Sofort ging ich in Angriffsstellung und sah mich um. Neben der Tür stand der Jäger, der mich gefangen genommen hatte. Der andere, der sich gegenüber des Bettes postiert hatte, war dann wohl sein Partner.

Seine Nase sah völlig unversehrt aus. Die Farianerin hatte sie geheilt. Dieser Jäger war etwas kleiner als ich und hatte bronzefarbene Haut. Seine Augen erinnerten an den graugrünen Sand auf Granzier. Und genau wie die Dünen auf Granzier waren sie ständig in Bewegung.

»Wir wollen Euch nichts tun, Eure Hoheit.« Jäger Nummer zwei hob besänftigend die Hände; bei seinem höflichen Ton und dem demütig gesenkten Kopf wurde mir schlecht.

Tja, Hail. Da wären wir wieder. Ich erwiderte diese Bemerkung mit einem wütenden Schnauben und warf dem Jäger an der Tür einen eiskalten Blick zu.

»Ich will meine Klamotten, meine Stiefel und mein Schiff zurück«, sagte ich und deutete auf die graubraune Hose und das Tanktop, in die man mich während meiner Ohnmacht gesteckt hatte. »Mein Name ist Cressen Stone. Ich weiß ja nicht, mit wem ihr mich verwechselt, aber …«

»Lügnerin«, sagte Jäger Nummer eins. Seine Stimme war so bedrohlich wie die glimmenden Überreste eines Feuers, das jeden Moment neu entfacht werden konnte. Das Wort tanzte durch den Raum und brannte schmerzhaft, sobald es mich traf.

Ich war lange von zu Hause weg gewesen und wusste, wie es im übrigen Universum zuging. Trotzdem war ich verblüfft, mit welcher Selbstverständlichkeit dieser Mann, der immerhin ein Diener des Imperiums war, eine solche Beleidigung aussprach.

»Emmory.« Jäger Nummer zwei wies seinen Partner zurecht, ließ mich dabei jedoch nicht aus den Augen.

Emmory schien das wenig zu kümmern. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und schien mich mit seinem Blick durchbohren zu wollen. Endlich nickte er beinahe unmerklich. Das Minimum an Ehrerbietung, das das Protokoll verlangte. »Bitte entschuldigt. Ihr seid eine Lügnerin, Euer Hoheit.«

»Dhatt.« Jäger Nummer zwei verdrehte die Augen und ließ die Zunge über die Zähne gleiten. Dann schenkte er mir ein überraschend ehrliches Lächeln. »Euer Hoheit, bitte vergebt meinem Partner. Seine Umgangsformen lassen etwas zu wünschen übrig.«

»Na schön«, sagte ich, aber nur, um das Ganze zu beschleunigen. So ungebührlich die Bemerkung auch gewesen war, er hatte ja recht. Ich war ganz offensichtlich eine Lügnerin.

Als Jäger hatten sie vollen Zugang zu meiner Akte. Sie hatten mich studiert, sich in mich hineinversetzt, soweit das einem anderen Menschen möglich war – allein zu dem Zweck, mich aufzuspüren. Ich fragte mich, ob sie wussten, warum ich meine Heimatwelt verlassen hatte, oder ob sie nur die offizielle Version meiner Flucht kannten. Ihrer Einstellung nach zu urteilen eher Letzteres.

»Fangen wir doch von vorne an, ja? Eure Mutter, die Kaiserin, hat uns geschickt. Versprecht Ihr, auf Gewalt gegen mich und meinen Partner zu verzichten?«

Ich dachte darüber nach und zuckte mit den Schultern. »Ich verspreche es«, sagte ich. »Vorerst«, fügte ich hinzu, da ich mich nur ungern auf unbestimmte Zeit zu etwas verpflichtete. »Wer seid ihr überhaupt? Ihr dürft mich hier nicht festhalten.« Ich sprach so gefasst und ruhig, wie es mir angesichts der Umstände möglich war. »Ihr Penner könnt mich mal kreuzweise. Ich hab Kopfschmerzen.« Ich legte eine Hand an die Schläfe. Das Pochen wurde stärker.

»Wem sagt Ihr das«, entfuhr es Jäger Nummer zwei, dann verzog er das Gesicht. Wenigstens er achtete auf die korrekten Umgangsformen. »Entschuldigt, Euer Hoheit. Das sapne war zu Eurer eigenen Sicherheit.«

»Fauler Lavendelrauch«, murmelte ich. Erst jetzt fiel mir auf, dass nur mein Kopf schmerzte. Alle anderen Verletzungen und Blessuren waren wie weggeblasen. »Ihr habt zugelassen, dass mich diese Farianerin berührt«, empörte ich mich schockiert.

»Euer Hoheit, Sergeant Terass ist absolut vertrauenswürdig«, sagte Emmory. »In ihrer Obhut bestand nicht die geringste Gefahr für Euch. Angesichts der Umstände wollten wir Euch in bester körperlicher Verfassung nach Hause bringen.«

Ich funkelte ihn böse an, dann wandte ich mich dem anderen Mann zu. »Wer seid ihr?«

»Entschuldigt die Unhöflichkeit, Euer Hoheit. Ich bin Starzin Hafin, Jäger der fünften Stufe. Dies ist mein Partner Emmorlien Tresk. Wir wurden damit beauftragt, Euch aufzuspüren und nach Hause zu bringen. Ihr werdet gebraucht.« Starzin war bis hinunter zur korrekten Handhaltung in den höfischen Umgangsformen bewandert. Was mich sofort auf die Palme brachte. Da war mir ja Emmorys Feindseligkeit noch lieber als diese Kriecherei.

»Okay.« Emmory hatte mich berührt und damit meine Identität zweifelsfrei festgestellt. Es hatte keinen Zweck mehr, sie anzuschwindeln. »Was will Mutter von mir? Über den Tod meiner Schwestern plaudern? Kann ich mir nicht vorstellen. Wir sind damals nicht gerade im Guten auseinandergegangen.«

Das war noch weit untertrieben. Die offizielle Version der Geschichte lautete, dass ich kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag geflohen war, um nicht gegen meinen Willen verheiratet zu werden. Die weniger offizielle, von meiner Mutter aber immer noch nicht akzeptierte Fassung? Ich hatte mich auf die Jagd nach dem letzten der drei Mörder meines Vaters gemacht.

Dieser Unbekannte hatte sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Und egal, wie weit ich seither meine Fühler nach ihm ausgestreckt hatte, er blieb verschwunden. Trotzdem war ich nicht nach Hause zurückgekehrt. Eigentlich hatte ich schon damals erwartet, dass mir Generalin Saito oder Direktor Britlen die Jäger auf den Hals hetzen würden. Aber ich hatte Geschmack am Universum gefunden. Es war nicht perfekt, aber immer noch besser als das rückständige Indrana. Ich war weder willens, dorthin zurückzukehren, noch die Suche nach dem Mörder meines Vaters einzustellen. Ich hatte immer nach ihm gesucht, selbst als die Spur längst erkaltet war.

Beide Jäger zuckten bei meinen harschen Worten zusammen. Ich trat jede nur vorstellbare Benimmregel mit Füßen, stellte ungehörige Fragen und hatte die Nachricht vom Tod meiner Schwestern scheinbar teilnahmslos aufgenommen. Dabei wollte ich am liebsten meine Trauer einfach nur ins All hinausschreien. Das jedoch verbarg ich so gut wie möglich. Besser, sie hielten mich für zu hart als zu weich. So blieb mir zumindest die Möglichkeit, diesen Schlamassel mit einem Rest von Selbstachtung hinter mich zu bringen.

»Euer Hoheit, Eure Schwestern sind in den Tempel heimgegangen«, sagte Starzin mit tiefer, trauernder Stimme. »Ihr seid die Thronfolgerin. Ihr müsst heimkehren.«

Diese Worte trafen mich bis ins Mark. Sie brannten wie die Zehntausend-Volt-Polizeitaser des Solarkonglomerats.

»Was?« Ich rang nach Luft. »Unmöglich. Cire hat eine Tochter. Das hab ich in den Nachrichten gesehen. Atmikha ist die Thronfolgerin, nicht ich.«

»Prinzessin Atmikha starb durch dieselbe Explosion wie ihre Mutter.«

Ich schnappte nach Luft. Nun musste ich auch noch um eine Nichte trauern, die ich nie kennengelernt hatte. Ein weiterer Holzklotz auf dem Scheiterhaufen, auf dem meine Freiheit zu Asche verbrannte. Jetzt war jede Hoffnung, aus dieser Sache herauszukommen, dahin. Ich sah Emmory entmutigt und schockiert an.

»Emmory, verdammt noch mal!«

Auf die scharfe Ermahnung seines Partners hin wandte Emmory den Blick ab. Ich schluckte meine Trauer herunter und nutzte die Gelegenheit, um mich nach einer Waffe umzusehen. Auf dem Nachttisch neben dem Bett stand eine schwere – vermutlich mit Wasser gefüllte – Metallflasche. Ich machte einen Schritt darauf zu.

»Zin, sie muss es erfahren«, sagte er.

Zin schüttelte mit weit aufgerissenen Augen den Kopf. So über die Toten zu reden geziemte sich nicht. Allein ihre Erwähnung konnte ihre Seelen erneut an ihre Körper fesseln. Nur ein Priester hatte das Recht, über die Umstände ihres Todes zu sprechen. Ihre Namen zu nennen war streng verboten.

Doch Emmory hatte dies bereits getan, und ich hatte mich zwanzig Jahre lang nicht an unsere sozialen Konventionen gehalten und würde jetzt nicht wieder damit anfangen. Außerdem glaubte ich nicht, dass es meinen Schwestern schadete, ihre Namen auszusprechen. Sie waren tot.

So tot wie Portis.

Ich verkniff mir die Tränen und richtete den Blick auf Emmory. Meine Schwestern und meine Nichte waren tot, also lief auf meiner Heimatwelt irgendetwas ganz fürchterlich schief. Egal, wie ich zu meiner Mutter und meiner Heimat stehen mochte – meine Schwestern bedeuteten mir alles. Sie zurückzulassen, jeden Kontakt abzubrechen und aus ihrem Leben zu verschwinden hatte mir das Herz gebrochen. Sobald ich mich Hao angeschlossen hatte, war jeder Kontakt undenkbar gewesen: Hätte jemand mitgehört und herausgefunden, wer ich war, hätte er mich umgebracht oder, noch schlimmer, mich meiner Mutter gegen ein Lösegeld ausgeliefert. »Wie ist Pace gestorben?« Meine Frage hing lange unbeantwortet in der Luft.

»Eure Hoheit, es ist uns nicht gestattet, darüber zu sprechen. Dazu müsst ihr den Priester befragen.« Wieder war es Zin, der sich bemühte, die Situation unter Kontrolle zu bringen.

Das konnte ich unmöglich auf sich beruhen lassen. Erneut funkelte ich Emmory böse an.

Portis hatte immer gesagt, ich könnte einen Mann allein mit einem Blick aus meinen haselnussbraunen Augen töten. Er hatte behauptet, dass sie sich grün färbten, wenn ich wütend war, und heller glänzten als ein sterbender Stern. Der gute Portis hatte ein Faible fürs Dramatische gehabt.

Emmory ließ sich trotzdem nicht erweichen. Seine Miene war völlig ausdruckslos.

»Wie ist Pace gestorben?«, fragte ich noch einmal.

»Ebolenza, Eure Hoheit.«

Nun war mir, als wäre die Luft aus dem Raum verschwunden. Meine Knie gaben nach, ich taumelte gegen die Wand und rutschte daran herunter. Beim Gedanken daran, dass meine süße kleine Schwester den grässlichen, blutigen Ebolenza-Tod gestorben war, kam mir die Galle hoch. Cire und Ami hatten wenigstens nicht lange leiden müssen. Aber Pace …

Es gab nur drei Menschen im Universum, denen ich einen solchen Tod wünschte. Selbst meine Mutter zählte nicht dazu.

Und Pace erst recht nicht.

Ebolenza war keine natürliche Krankheit, sondern die schlimmste Ausgeburt biologischer Kriegsführung, die man sich vorstellen konnte. Dass meine Schwester daran gestorben war, konnte nur eines bedeuten: Auch sie war ermordet worden.

Ich riss die Augen auf, bevor mir Zin zu Hilfe eilen konnte, und schlug seine Hand beiseite. Angesichts seines verwirrten, verletzten Blicks eine dumme und kleinliche Geste, doch ich musste meine Gefühle im Zaum halten. Ich durfte mir vor diesen Männern keine Schwäche erlauben. Wie Po-Sin immer gesagt hatte: Zeig niemals deine Furcht. Weder deinen Freunden noch deinen Feinden und am allerwenigsten irgendwelchen Fremden.

Die Erinnerung an meinen früheren Arbeitgeber brachte mich wieder zur Vernunft. Ich hatte für den berüchtigtsten Cheng-Gangsterboss des Universums Waffen geschmuggelt. Fortan hatte ich für mich selbst gesorgt, mir mein eigenes Schiff und einen gewissen Ruf erarbeitet. Ohne fremde Hilfe. Dass man mich in meiner Heimat nicht mit offenen Armen willkommen heißen würde, war mir egal. Ich war lieber an tausend anderen Orten als in diesem goldenen Käfig.

Ich rappelte mich auf, öffnete die Hände und schenkte den beiden mein schönstes Waffenschmugglerlächeln. »Also gut. Man hat meine Schwestern und meine Nichte getötet und wollte anscheinend auch mich umbringen, da diese kleine Meuterei ja wohl kaum Zufall war. Und jetzt will meine Mutter, dass ich die brave Tochter spiele und nach Hause komme. Warum? Damit ich noch mal zur Zielscheibe werde? Irgendwie habe ich da keine große Lust zu. Was hat das Imperium denn jemals für mich getan?«

Vor Schreck über meinen Wutausbruch blieb beiden Männern die Sprache weg. Zumindest schien es so. Ich hätte zehn Credits darauf verwettet, dass sie gerade über den privaten Kommunikationskanal ihrer smatis eine hitzige Diskussion führten.

Wie beiläufig stellte ich mich neben den Nachttisch und griff nach der Flasche. Emmory ging sofort in Angriffsstellung. Ich grinste ihn über die Schulter hinweg an.

»Nur die Ruhe, Jäger. Ich hab bloß Durst.« Ich ignorierte den Becher und trank aus der Flasche. Kühles Wasser, das den vertrauten metallischen Geschmack der bordeigenen Wiederaufbereitungsanlage angenommen hatte, glitt über meine Zunge und spülte das hartnäckige, bittere Aroma des Schlafmittels fort. Ich ließ den Arm sinken, zwei Finger locker um den Flaschenhals gelegt.

Noch wusste ich nicht, wie ich aus dieser Situation wieder herauskommen sollte. Während die Jäger miteinander redeten, spielte ich mehrere Szenarien durch und verwarf sie ausnahmslos. Trotz der Drohungen, die ich auf der Sophie ausgestoßen hatte, wollte ich vorerst keinen von beiden töten. Immerhin machten sie nur ihre Arbeit.

Wieso nicht nach Hause zurückkehren und rausfinden, wer meine Schwestern auf dem Gewissen hat? Ein Gedanke, der meiner Wut geschuldet war: Diese Taten verlangten nach Rache – auf die eine oder andere Weise. Doch dazu musste ich nicht im Palast sein. Tatsächlich würden mich die Etikette und die endlosen Verpflichtungen als Teil der kaiserlichen Familie nur aufhalten. Ich wollte weder meine Mutter wiedersehen noch die Thronfolgerin des götterverdammten idranischen Imperiums werden.

Nachdem ich mich gegen einen Frontalangriff entschieden hatte, nahm ich noch einen Schluck und stellte die Flasche auf den Tisch zurück. Dann verschränkte ich die Arme vor der Brust, lehnte mich gegen die Wand und lächelte Emmory an, um meine verzweifelte Ratlosigkeit zu verbergen.

»Hör mal, Emmy …« Als er den Spitznamen hörte, presste er die Lippen leicht aufeinander. Also konnte man seine harte Schale doch ankratzen. Schön. »Ich werde mit Mutter reden, das verspreche ich. Aber zuerst brauche ich Klamotten, und ich würde es vorziehen, mit meinem eigenen Schiff zu reisen.«

»Kleidung für Euch ist vorhanden, Hoheit«, antwortete er, und ein Hauch von Verlegenheit huschte über sein scharf geschnittenes Gesicht.

»Ich will meine Klamotten, Jäger. Und mein Schiff.«

»Kleidung ist in der Garderobe.« Er deutete hinter mich. »Euer Schiff wurde bedauerlicherweise aus der Gleichung entfernt.«

»Was?« Eine eiskalte Faust bohrte sich in meine Brust. »Was habt ihr mit der Sophie gemacht?«

Emmory warf Zin einen Blick zu, dann sah er zur Decke auf. »Mehrere Sprengladungen in Reaktornähe. Ich habe sie selbst dort angebracht. Euer Schiff ist Weltraumschrott.«

»Ihr habt mein Schiff gesprengt?« Irgendwie gelang es mir, die Stimme nicht zu heben. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Die kurzen Nägel bohrten sich in meine Haut. »Vorerstist hiermit vorbei, Jäger.«

Die Warnung überraschte selbst mich. Ich hätte einfach das Überraschungsmoment nutzen und zuschlagen sollen, Versprechen hin oder her. Ihr Götter, wie schnell war ich doch in die sozialen Konventionen des Imperiums zurückgefallen. Mein Hass hätte alle Konventionen sprengen müssen. An einem anderen Ort hätte ich ohne Vorwarnung angegriffen.

Beide Männer legten die Hände auf ihre Waffen, gefährlich aussehende .45er Hessians mit einer Betäubungsfunktion, die selbst die der Sonnenkonglomeratsmodelle in den Schatten stellte. Nun bereute ich, meine einzige Waffe gerade auf den Tisch gestellt zu haben.

»Eurer Hoheit, es war unabdingbar, jeden Beweis Eurer Verbrechen zu beseitigen«, erklärte Zin.

Unabdingbar. Ich war noch nicht einmal auf dem goldenen Käfigplaneten, und schon konnte ich dieses Wort nicht mehr hören. Mein Hab und Gut war vernichtet, die gute alte Sophie zerstört. Meine …

»Moment, was? Welche Verbrechen? Meine eigene götterverdammte Crew ist auf mich losgegangen. Ich habe mich nur verteidigt. Wen kümmert’s, dass ich ein paar Waffenhändler ins Jenseits befördert habe?«

Ein schwer zu lesender, beinahe schmerzlicher Ausdruck huschte über Emmorys Gesicht. »Portis war bei den ISK, Hoheit. Er hatte geschworen, Euch mit seinem Leben zu beschützen. Er hätte niemals versucht, Euch zu töten. Er wollte Euch lediglich nach Hause zurückbringen.«

Ich lachte auf, was sie zu schockieren schien. »Portis war bei den ISK. Mit Betonung auf war. Sie haben ihn rausgeworfen.«

»Eine Lüge wirkt glaubhafter, wenn sie auf der Wahrheit gründet«, sagte Zin mit leiser Stimme. »In Portis’ Akte stand, dass er unehrenhaft entlassen wurde, Eure Hoheit. Aber das war nur ein Täuschungsmanöver. Er war undercover im Auftrag von Direktor Britlen und Eurer BodyGuards unterwegs. Das war unabdingbar, um Eure Sicherheit zu garantieren.«

Zum dritten Mal innerhalb kürzester Zeit entwich die Luft schneller aus meinen Lungen als aus einer offenen Druckschleuse. Deshalb hatte Generalin Saito damals nicht versucht, mich umzustimmen, und mir auch keine Jäger auf den Hals gehetzt: Sie hatten bereits einen Spion in meiner Nähe platziert. Mein erster BodyGuard hatte Portis auf mich angesetzt?

Jetzt erst fügte mein Verstand die Einzelteile des Puzzles zusammen. »Tresk. Dein Name ist Emmory Tresk?«

Mit offenem Mund ließ ich den Blick von Zin zu Emmory und wieder zurück schnellen. Sie logen, das war die einzig vernünftige Erklärung. Andernfalls …

Ach du Scheiße. Mein ganzes Leben war eine Lüge.

»Portis war mein Bruder, Euer Hoheit. Er kam der Bitte Eures Ekam nach und opferte eine vielversprechende Karriere, um Euer Kindermädchen zu spielen. Er starb, damit eine verhätschelte Prinzessin ihrer Pflicht nicht nachkommen musste.« Emmorys höhnische, wütende Bemerkung war höchst unangemessen, doch das spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Ich musste erst einmal verarbeiten, dass man mir soeben meine Vergangenheit wie einen Teppich unter den Füßen weggezogen hatte.

»Heilige Kuhscheiße«, zischte ich und versuchte, mich durch Wut vor der Trauer zu schützen. »Was immer Portis hier wollte, beschützt hat er mich sicher nicht. Aber das lässt sich selbstverständlich kaum beweisen, nicht wahr? Ich kann mich an nichts erinnern, und Euer Farianer hat alle Beweise bequemerweise beseitigt!«

Damit meinte ich die Schramme, die ein schlecht gezielter Laserschuss auf meiner Hüfte hinterlassen hatte. Außerdem waren ein, zwei Rippen gebrochen, als sich Portis auf mich gestürzt hatte.

»Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass er mich umbringen wollte.«

Emmory stürzte so schnell durch den Raum, dass ich keine Zeit zur Gegenwehr hatte. Er packte mich an der Kehle und knallte mich gegen die Wand.

Ich glaubte sogar, das Spiegelbild meiner braunen Augen in seinen glänzenden schwarzen Pupillen zu erkennen.

»Kein Wort mehr, Eure Hoheit. Ich werde nicht zulassen, dass Ihr Portis’ Vermächtnis mit Euren Lügen beschmutzt.« Es war ihm todernst. Trotz seiner Wut war seine Stimme so ruhig, als würde er übers Wetter reden.

»Emmory!« Zin packte ihn und drehte ihn herum. Der Griff um meinen Hals löste sich. Zin drückte seine Stirn gegen die seines Partners und redete mit sanfter Stimme auf ihn ein. Emmory antwortete mit knurrender Stimme, kämpfte aber nicht dagegen an.

Sobald ich wieder Luft bekam, sah ich sie neugierig an. Ob sie auch miteinander schliefen? Unter Jägern, die nicht miteinander verwandt waren, war das durchaus üblich. Außerdem war es ziemlich offensichtlich, dass sie schon sehr lange zusammenarbeiteten. Sie kannten die Bewegungen und Gedanken des anderen und konnten dessen Reaktionen voraussagen. So ähnlich, wie es bei mir und Portis gewesen war – oder beinahe.

Zin beendete seine Ansprache und wandte sich mir zu. »Bitte vergebt Emmory, Eure Hoheit.«

Ich starrte Zin schockiert an. Der faltete die Hände und verbeugte sich. Er brachte die Entschuldigung so ängstlich und beinahe verzweifelt vor, als wäre ich die Dunkle Mutter persönlich.

»Emmorys Familie musste jahrelang in dem Glauben leben, dass Portis ein Verräter sei. Nun dürfen sie endlich erfahren, wie heldenhaft er tatsächlich war. Wenn Ihr behauptet, dass Portis Euch das Leben nehmen wollte, zerstört Ihr alles, wofür er gearbeitet hat. Sein Opfer war umsonst.« Zin ging vor mir auf ein Knie und streckte mir die Handflächen entgegen. »Bitte nehmt an seinem Benehmen keinen Anstoß.«

Sobald er sich wieder erhob, bemerkte ich, dass mich Emmory mit einer Mischung aus Furcht und Wut anstarrte. Dabei fürchtete er nicht um sich, obwohl ich ihn für den tätlichen Angriff auf meine Person bei lebendigem Leib die Haut hätte abziehen lassen können. Er fürchtete, dass Portis’ Name für alle Ewigkeit in den Schmutz gezogen würde.

Die Erkenntnis, dass Zin es ehrlich meinte und tatsächlich Angst davor hatte, dass sich Emmory mir gegenüber zu viel herausgenommen hatte, versetzte mir einen Stich ins Herz.

Er hatte sich tatsächlich zu viel herausgenommen, aber ich war kein zimperliches Edelfräulein, das ihn deshalb zur Rechenschaft zog. Mir machte es nichts aus, dass er mich nicht nur einmal, sondern mehrmals geschlagen hatte. Darüber konnten sich meinetwegen andere Leute den Kopf zerbrechen.

Was mich interessierte, war Emmorys Temperament und seine Loyalität seiner Familie gegenüber. Eine Schwäche, die ich später womöglich ausnutzen konnte. Doch zunächst musste ich Zins Bedenken zerstreuen.

Ich hatte zwar meinen Stolz, aber der war kein Menschenleben wert.

Ich umrundete Zin, baute mich direkt vor Emmory auf und musterte ihn eine Weile.

»Sei gewarnt. Wenn du das nächste Mal Hand an mich legst«, sagte ich, »dann wirst du dafür büßen.«

»Euer Hoheit.« Täuschte ich mich, oder hatte ich wirklich so etwas wie Respekt in seinem Blick erkannt?

»Und jetzt raus hier«, knurrte ich. »Raus hier, alle beide, oder ich …« Ich ließ die Drohung unausgesprochen, denn andernfalls hätte ich ihr auch Taten folgen lassen müssen. Und trotz meiner Wut hatte ich gegen diese Männer im Kampf keine Chance. Jedenfalls nicht im Augenblick.

Zin sah aus, als wollte er noch etwas anmerken, ließ dann aber den Kopf sinken und ging zur Tür. Emmory deutete eine Verbeugung an und entfernte sich ebenfalls, ohne mich aus den Augen zu lassen.

»Wir werden bald in den Warp gleiten. Die Heimreise wird ungefähr einen Tag dauern, Hoheit«, sagte er. Dann schloss er die Tür hinter sich.

· 2 ·

Zitternd warf ich mich aufs Bett, starrte meine Hände an und kämpfte gegen Trauer und Zorn. Zweifellos zeichneten meine Gastgeber jede meiner Bewegungen auf. Lass dir nichts anmerken, Hail. Gib ihnen nichts, was sie gegen dich verwenden könnten.

Portis – tot. Cire – tot. Pace – tot.

Der Schmerz übermannte mich gegen meinen Willen, und auch die schadenfrohe Stimme in meinem Kopf ließ sich nicht abschalten:

Du musst nach Hause zurück.

Das war das Allerschlimmste. Allein bei der Vorstellung schnürte sich mir die Kehle zusammen. Ich hatte mich Piraten und Polizisten gestellt, war unbewaffnet in von den Zhou kontrollierte Gebäude marschiert und hatte sie ohne einen Kratzer wieder verlassen. Auf unzähligen Planeten hatte ich einen Ruf wie Donnerhall.

Ich war geschlagen, herumgeschubst und oft genug beinahe getötet worden; aber die Aussicht, meine götterverdammte Mutter wiederzusehen, ließ mich beinahe in Tränen ausbrechen.

Hail, reiß dich verdammt noch mal zusammen.

Ich öffnete die Augen und betrachtete die helle Narbe, die quer über die dunkle Haut meines linken Arms verlief. Bei einem Banküberfall auf Marrakesch war ich mit dem Unterarm in eine Drahtschlinge geraten. Der letzte Auftrag, bevor uns Po-Sin in die Freiheit entlassen hatte. Als Portis mich losschnitt, hatte sich der Draht fast bis zum Knochen in meinen Arm gefressen.

Mit Panik in den grünen Augen und vor Erschütterung belegter Stimme hatte er mich gegen seine Brust gepresst. Und dann dafür gesorgt, dass wir den Abflug machten, bevor die Behörden auftauchten. Wir hatten es in eine Klinik geschafft, wo man das Gröbste wieder zusammenflickte. Nur die lange, gewundene Narbe war geblieben.

Ich verscheuchte die Erinnerung und verfluchte Portis. Dann verschränkte ich die Hände hinter meinem Kopf.

Vor langer Zeit war meine Haut viel heller gewesen – so hell wie das Holz der Teakbäume, die auf Pashati wuchsen. Nun war sie dunkler, wenn auch nicht so dunkel wie die Paces, deren goldenes Haar einen auffälligen Kontrast zu einer Haut gebildet hatte, die so schwarz wie Emmorys war.

Meine kleine Schwester. Wieder bohrte sich glühendes Metall in mein Herz. Bei meiner Flucht hatte ich um sie und Cire getrauert, aber es hatte sich mehr nach meinem Tod als nach ihrem angefühlt. Nun musste ich mich damit abfinden, dass sie gestorben waren – eine unmögliche Vorstellung.

Und Portis kein verbannter, krimineller Außenseiter? Auch das war unvorstellbar. Nur dass …

Ich fluchte laut. Nur dass er nie über seine Vergangenheit geredet und ich immer den Verdacht gehabt hatte, dass er mir etwas Wichtiges verschwieg.

Zum Beispiel, dass er bei den Imperialen Spezialkräften gewesen war? Die Stimme in meinem Kopf triefte vor Hohn, und ich floh vor ihr in eine weitere bruchstückhafte Erinnerung.

»Baby, bleib unten. Bleib einfach unten, ja?« Der Schmerz in Portis’ Stimme war deutlich zu hören.

Schüsse übertönten meine Antwort und zerfetzten unsere Deckung. Portis sprang zur Seite. Ich folgte ihm und hechtete in den fragwürdigen Schutz eines Stapels kostbarer Stoffe, die eigentlich für das Solarkonglomerat bestimmt waren.

»Scheiße, was geht hier vor?«

»Keine Zeit für Erklärungen. Bleib einfach unten.«

»Tresk, du wirst dieses Schiff niemals lebend verlassen. Ihr beide nicht.«

Memz’ Stimme hallte durch die Finsternis. Portis blickte mit einem Mal so finster drein, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief.

Ich fuhr mit den Händen über mein Gesicht. Warum war diese Erinnerung nur so undeutlich? Hatten sie mich unter Drogen gesetzt? Diese Fragmente und Gedankensplitter waren alles andere als nützlich. Ich konnte ihnen nicht vertrauen. Warum hätte Portis mich töten wollen? Um das Schiff zu stehlen? Das ergab doch alles keinen Sinn.

Es war unser Schiff gewesen. Es hatte zur Hälfte ihm gehört, sein Anteil an der Beute war so groß wie meiner. Meistens wollte er gar kein Geld und hatte behauptet, das alles nur zum Spaß zu tun.

Jetzt begriff ich, warum er es nicht hatte haben wollen: weil er auf der Gehaltsliste des Imperiums gestanden hatte.

Wir hatten miteinander gekämpft. Die Erinnerungen an das Feuergefecht und das anschließende Handgemenge, glänzend wie kleine Glassplitter, waren einigermaßen verlässlich. Die Entschuldigung, die er mit seinem letzten Atemzug gehaucht hatte, bewies jedoch noch lange nicht, dass Emmory die Wahrheit sprach und dass er mich wirklich nach Hause hatte bringen wollen.

Nach Hause. Auf keinen Fall würde ich nach Hause zurückkehren und meine Zeit damit verschwenden, die Vergangenheit zu betrauern, wenn es die Zukunft zu planen galt. Ich musste von diesem Schiff, bevor es in den Warp glitt. Sonst war ich geliefert.

Ich sprang auf, ging zur gegenüberliegenden Wand und schlug mit der Handfläche auf die sanft leuchtende Schaltfläche. Eine Tür in der Wand glitt auf. Ich stöhnte.

»Da soll mich doch …«

Die Garderobe war bis zum Bersten mit unvorstellbar grässlichen Klamotten gefüllt. Weiß und Gold, die traditionellen Farben des Herrscherhauses, hatte ich noch nie leiden können. Alles, was ich in der quadratmetergroßen Öffnung erkennen konnte, sah aus wie die Verzierungen einer Hochzeitstorte. Zuckersüß, aber nutzlos.

Wenn ich schon auf einem Raumschiff herumschlich, wollte ich dabei nicht wie ein Appetithäppchen aussehen. Was bedeutete, dass ich mich vorerst mit dem Militärschlafanzug zufriedengeben musste, in den sie mich gesteckt hatten.

Unter gemurmelten Flüchen machte ich mich auf die Suche nach einer halbwegs brauchbaren Waffe. Ich fand eine Schachtel mit Haarklammern, mit denen ich zur Not ein Auge ausstechen konnte. Sonst musste ich darauf hoffen, dass meine Feinde bei meinem Anblick vor Angst – oder vor Lachen – starben.

Ich schleuderte eine weiße Seidenhose auf den Boden. Die Aufschläge waren mit Goldfäden verziert, an denen kleine Goldperlen klimperten.

Nutzlos.

Mit einem verächtlichen Schnauben warf ich meinen schweren grünen Zopf zurück und durchquerte den Raum. Es sollte so aussehen, als würde ich gereizt auf und ab tigern.

Das Bedienfeld neben der Tür wurde per Handabdruck aktiviert. Wie zu erwarten, hatten mich meine neuen Freunde nicht im System registriert.

Aber das war kein Problem.

Ich lehnte mich gegen die Wand und fuhr meinen smati hoch. Als er sich mit dem Schiffscomputer verband, stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus. Der Grund, weshalb ich nicht auf die Sophie hatte zugreifen können, war jedenfalls nicht in meinem Kopf zu suchen.

Leider konnte ich nicht allzu tief ins System eintauchen. Meine Jägerkumpel hatten mir nur eingeschränkten Zugang gewährt, aber das konnte man ihnen ja schlecht verübeln.

Ich war an Bord der Para Sahi, dem Flaggschiff der imperialen Flotte. Das war einer entlaufenen Prinzessin nur angemessen. Ich blickte zur makellosen weißen Decke auf und stieß ein weiteres angewidertes Schnauben aus. Wie sehr ich die beschissene Sterilität der imperialen Schiffe hasste. Ich wollte auf die Sophie mit ihren knallbunten Wänden und den Graffiti zurück, die Pip an den unmöglichsten Stellen hinterlassen hatte.

Beim Gedanken an die kleine Weltraumwaise, die wir auf Xi 5 gerettet hatten, brachen erneut Erinnerungen über mich herein. Pip hatte auf mich geschossen, ich hatte das Feuer erwidert und ihn direkt zwischen den Augen getroffen. Vor Scham bedeckte ich das Gesicht mit den Händen. Er war erst sechzehn gewesen.

Ich schüttelte auch diese Erinnerung ab und konzentrierte mich auf dringlichere Probleme. Das System zu hacken kam nicht infrage. Emmory wartete sicher nur darauf. Indem sie mir Zugang zum Computer der Para Sahi gegeben hatten, konnten sie mich leichter überwachen. Trotzdem war ich gewieft genug, um mein Signal im Notfall vor ihm zu verbergen. Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging zur Garderobe zurück. Dabei prägte ich mir die Einrichtung des Zimmers und die Standorte der Digitalkameras genau ein.

Anfangs war ich über die verpatzte Körpermodifikation, die mir das grüne Kraushaar verpasst hatte, stocksauer gewesen. Doch nach und nach hatte ich mich damit und mit den übrigen Veränderungen – der dunkleren Haut, dem größeren, langgliedrigen Körper, dem schmalen Gesicht mit dem spitzen Kinn – angefreundet. Jetzt freute ich mich sogar auf das Entsetzen, das meine Haarfarbe zu Hause hervorrufen würde. Wahrscheinlich war allein der Schock auf dem Gesicht meiner Mutter die Heimreise wert.

Hail, du spinnst. Gedanklich schloss ich die Faust um diese wild wuchernden Gedanken und riss sie aus meinem Gehirn. Ich würde nicht nach Hause zurückkehren. Weil ich nicht wollte.

Ich musste hier raus.

Ich sprang in die Garderobe und warf mit Klamotten um mich, als hätte ich tatsächlich einen Tobsuchtsanfall. Emmory hielt mich für eine verwöhnte Prinzessin, da konnte ich mich genauso gut wie eine aufführen. Das würde ihn ablenken.

Unterdessen gelang es mir, einen Tiegel mit Make-up aus einer Schublade zu nehmen und in die gegenüberliegende Ecke zu pfeffern. Blaues Puder bedeckte die Linse der versteckten Kamera und raubte ihr hoffentlich die Sicht. Zwei weitere Tiegel, zwei weitere Farbflecken – rot und schwarz –, und schon war meine Flucht völlig unbeobachtet.

Ich griff mir eine lange goldene Haarnadel aus der Schachtel und riss die rosa Perlen daran ab, die sich wie Bunshinbeeren über den Fußboden verstreuten. Dann ließ ich die dünne Metallnadel zwischen Wand und Bedienfeld gleiten und hebelte es heraus.

Einige kurzgeschlossene Drähte später glitt die Tür lautlos auf. Die beiden ISK-Soldatinnen davor drehten sich überrascht um. Ein wohlplatzierter Schlag ließ die erste Frau würgend und nach Luft ringend in die Knie gehen. Das würde sie nicht umbringen, aber für die nächste Zeit außer Gefecht setzen.

Die zweite Frau brachte noch ein erschrecktes Quieken heraus, bevor ich ihren Kopf gegen die Wand knallte. Sie rutschte wie ein nasser Sack daran zu Boden.

Barfüßig lief ich durch den verlassenen Korridor, bewegte mich so schnell und leise wie möglich, rechnete jeden Moment mit losplärrenden Sirenen. Mit einem leichten Anflug von Enttäuschung bemerkte ich, dass außer dem charakteristischen Summen des Schlachtschiffes nichts zu hören war. »Tresk, da hätte ich mehr von dir erwartet«, murmelte ich und rannte weiter zum Flugdeck.

Der röhrenartige Korridor war so steril und weiß wie mein Quartier. Glücklicherweise waren alle Schiffe der kaiserlichen Flotte nach demselben Prinzip konstruiert. Wenn ich ein Shuttle erreichte, bevor die Überlichtgeschwindigkeitsblase vollständig ausgebildet war, konnte ich unbemerkt fliehen.

Wenn.

Stimmen hallten durch den Flur. Ich unterdrückte einen Fluch und sprang über das Geländer auf den darunterliegenden Laufsteg. Beim Aufprall ging ich in die Knie, rollte mich ab und huschte lautlos in den Schutz einer Türnische. Zwei imperiale Flottenoffiziere in blauen Uniformen schlenderten über mir hinweg. Ich hielt den Atem an und presste mich so dicht wie möglich an die Wand.

»Warum schicken sie uns so weit raus? Wir sind doch kein Jäger-Transportschiff.«

»Keine Ahnung. So langsam versinkt das ganze Imperium im Chaos. Alle Kinder und Enkel der Kaiserin sind entweder tot oder werden vermisst. Na ja, jedenfalls mussten die Jäger irgendwohin, und wir waren gerade verfügbar«, meinte der Stämmigere der beiden.

»Haben die nichts Besseres zu tun, als nach irgendeiner Waffenschmugglerin zu suchen? Da kann sie noch so gefährlich sein. Ich hab mal kurz in ihre Akte auf dem Computer des Kapitäns gucken können; sie gehört zu Po-Sin.«

»Vielleicht hat sie was mit dem Tod der Prinzessinnen zu tun?«

»Möge ihre Reise zum Tempel mit Licht erfüllt sein«, entgegnete der erste Offizier automatisch. »In diesem Fall tut sie mir fast leid. Krank oder nicht, die Kaiserin wird sie in Stücke reißen.«

Die beiden gerieten außer Hörweite. Wie betäubt stand ich da. Mutter war krank? Was hatte sie, und wie schlimm war es? Nun fand ich die belauschte Unterhaltung nicht mehr so lustig. Einen wahnwitzigen Moment lang wollte ich ihnen folgen, nur um weitere Neuigkeiten über meine Mutter zu erfahren.

Das Gitter unter meinen nackten Füßen war kalt; die scharfen Metallkanten, die Stiefeln perfekten Halt boten, schnitten in meine ungeschützten Fußsohlen und holten mich in die Wirklichkeit zurück. Ich musste runter von diesem Schiff. Über alles andere konnte ich mir später Gedanken machen.

Ich schaffte es drei weitere Ebenen hinunter und glitt durch die Türen zum Shuttledeck. Geduckt schlich ich um die nächsten Shuttles herum und hielt auf das letzte neben dem Kraftfeld zu. Das Weltall dahinter zeichnete sich als nachtschwarzes Rechteck vor den weißen Wänden des Decks ab. Lediglich ein leichtes Schimmern verriet die Existenz des Kraftfelds.

Die Shuttletür stand offen. Ich kroch in den dunklen Innenraum und wollte mich bis zum Pilotensitz vortasten, hielt jedoch nach zwei Schritten inne.

Im Shuttle war schon jemand.

»Meine Instinkte haben mich nicht getäuscht, was Euch anbelangt. Zin hat Euer Ehrgefühl überschätzt. Ihr habt uns Euer Wort gegeben.«

»Ich habe versprochen, nach Hause zurückzukehren und mit Mutter zu sprechen. Niemand hat gesagt, dass ich das unbedingt in eurer Begleitung tun muss.«

»Gut, daran werde ich mich beim nächsten Mal erinnern. Zin dachte wirklich, dass Ihr wie eine brave kleine Prinzessin mit uns nach Hause kommen würdet und die Vorstellung in Eurem Gemach tatsächlich ein Wutanfall war.«

Das Licht ging an. Emmory saß im Pilotensessel, einen Fuß auf die Mittelkonsole gestützt. Ein höhnisches Grinsen spielte um die Winkel seines breiten Mundes.

»Hoheit«, sagte er und legte den Kopf schief.

»Jäger«, sagte ich. »Du warst also anderer Ansicht, ja? Obwohl du mich als verwöhnte Prinzessin bezeichnet hast?«

»Ich war wütend.«

»Bist du immer noch.« Weil ich vielleicht deinen Bruder getötet habe.

Er zuckte mit den Schultern. »Für so einen Tobsuchtsanfall seid Ihr nicht der Typ. Außerdem habt Ihr Eure Wächter nicht getötet.«

Ich starrte ihn an. »Weshalb hätte ich das tun sollen?«

Schulterzucken. »Das war nur eine Feststellung.«

In Lichtgeschwindigkeit ging ich die Optionen durch, die ich hatte. Weglaufen? Vielleicht konnte ich ja in ein anderes Shuttle gelangen und die Tür hinter mir schließen, bevor er mich erwischte.

Wenn er draußen niemanden postiert hatte. Sonst würde meine Flucht ein schnelles Ende nehmen. Nach wie vor war ich unbewaffnet.

Mir blieben nur zwei Möglichkeiten: kämpfen oder bestechen.

Falls seine Leute auf dem Deck warteten, würden sie wohl kaum das Shuttle stürmen. Zum einen standen sie dann Emmory im Weg, wenn er mich überwältigen wollte, zum anderen konnte jeder in diesem engen Raum abgefeuerte Schuss ihn so gut wie mich treffen. Vorsichtshalber tippte ich gegen das Bedienfeld, woraufhin sich die Tür hinter mir mit einem fröhlichen Piepen schloss.

Ich lächelte Emmory an, breitete die Arme aus und ging auf ihn zu. »Nun, wie steht es zwischen uns, Jäger?« Ohne Vorwarnung trat ich ihm ins Gesicht. Er starrte mich überrascht an, bevor mein nackter Fuß seinen Kopf nach hinten schleuderte.

Ich stürzte mich auf ihn, um ihn außer Gefecht zu setzen, bevor er sich von dem Tritt erholt hatte. Leider war der Jäger besser als gedacht. Sein Stiefel rammte meinen Solarplexus wie ein Vorschlaghammer. Ich taumelte zurück und schnappte nach Luft.

»Wie töricht, Eure Hoheit.« Emmory wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und stand auf. Er bewegte sich wie ein Panther: muskulöse Anmut und tödliche Präzision.

»Erst trittst du mich, dann nennst du mich Hoheit. Entzückend. Du hältst nicht viel vom höfischen Protokoll, oder?«

»Ich befolge es, wenn es mir angebracht scheint. Und momentan erscheint es mir angebrachter, Euch nach Hause zu bringen, als Euch wie eine Prinzessin zu behandeln.«

»Ich will aber nicht nach Hause. Ich bin nicht ohne Grund abgehauen.« Ich verabscheute mich für diese Worte. Es klang so, als hätte ich meine Schwestern im Stich gelassen. Aber im goldenen Käfig des Palastes hätte ich nichts für sie tun können. »Hier werde ich schneller Antworten finden als zu Hause. Ich will dieses Leben nicht wieder zurück.«

»Ihr habt keine Wahl.« Emmorys leise Stimme durchschnitt die Luft wie ein Peitschenschlag. »Dies ist Euer Leben, Eure Hoheit. Dafür wurdet Ihr geboren.«

»Spar dir diesen Schicksalsscheiß.«

»Also gut«, knurrte er und kam mit erhobenen Händen auf mich zu. »Mein Bruder gab sein Leben, um Euch heimzuholen. Ich werde nicht zulassen, dass sein Opfer umsonst war.«

Mein sprödes Lachen zersprang auf dem Metallboden. »Dann lass dir eines gesagt sein, Jäger: So ist das Imperium. Es benutzt dich und wirft dich weg. Auch mein Vater hat sein Leben für das Imperium gegeben. Weißt du, was sein Lohn war, als ihn eine Verrückte über den Haufen geschossen hat? Er wurde verspottet und vergessen. Angeblich war sein Tod der Grund, warum meine Mutter im Krieg gegen das saxonische Königreich nachgegeben hat. Wenn du glaubst, dass sich das Imperium auch nur einen Scheiß für deinen Bruder interessiert, dann ist dir nicht mehr zu helfen. Er war nur ein Mann, nützlich als Kanonenfutter – oder um Töchter zu zeugen. Mehr nicht.«

Emmory starrte mich so lange an – oder durch mich hindurch –, bis ich nicht mehr weiterwusste. »Das glaubt Ihr nicht wirklich, Eure Hoheit«, sagte er schließlich.

»Es ist völlig egal, was ich glaube. So ist Indrana. Es benutzt uns alle und wirft uns weg. Ich bin mit gutem Grund von dort abgehauen. Und ich werde mein Leben nicht für ein Imperium geben, dem ich völlig egal bin.« Nun versuchte ich mein Glück mit Bestechung. »Hör mal, ich will nicht dorthin zurück, und das Imperium will mich auch nicht haben. Vertrau mir. Ich habe Geld. Setz mich irgendwo ab. Du kannst ihnen sagen, dass ich dich außer Gefecht gesetzt habe.«

»Ihr wisst, dass ich das nicht tun kann, Eure Hoheit«, sagte er und machte eine Bewegung mit der linken Hand. Als das sapne-Pulver diesmal aus seinen Fingerspitzen schoss, war ich darauf vorbereitet.

Ich trat seinen Arm beiseite. Das Lavendelpulver wurde in den Luftfilter gesaugt. Ich ließ mich vom Schwung des Trittes mittragen, stellte den linken Fuß fest auf den Boden und rammte den anderen kräftig in seine Rippen. Endlich hatte ich Glück: Der Jäger hatte vergessen, seinen Schild einzuschalten.

Er taumelte zurück, während die Luft zischend seinen Lungen entwich.

Wir waren beide nicht für den Nahkampf gebaut. Unsere überdurchschnittliche Körpergröße und die Reichweite unserer Arme waren in dem engen Shuttle eher hinderlich. Ein paar Sekunden später fand ich heraus, wie falsch ich Emmory eingeschätzt hatte. Er konnte sich genauso gut prügeln wie ich und war sich auch nicht zu fein für schmutzige Tricks. Außerdem war ich erschöpft, und sein erster Tritt hatte so richtig wehgetan.

Das würde mich den Sieg kosten.

Ich wehrte einen Schlag zu spät ab, und seine Handfläche landete auf meinem Wangenknochen. Ich prallte mit dem Kopf gegen ein Bullauge und sah Sternchen.

Meinen nächsten, halb blind ausgeführten Hieb blockierte er mühelos, dann drehte er meinen rechten Arm um und trat einen Schritt auf mich zu. Mehr durch schieres Glück als durch Können gelang es mir, seinen Hals zu packen. Als ich eine Klinge unter meinem Kinn spürte, ließ ich ihn schnell wieder los.

»Euer Hoheit, ich glaube, Sergeant Terass wartet vor dem Shuttle, aber es wäre mir lieber, wenn wir auf ihre Dienste verzichten könnten. Eine falsche Bewegung, und ich kann nicht länger für Eure Sicherheit garantieren.«

»Wenn das keine götterverdammte Ironie ist«, zischte ich und blickte in seine dunklen Augen. »Du kannst mich ganz offensichtlich nicht leiden. Irgendjemand will mich umbringen, und dass Mutter euch nicht geschickt hat, um mich nach Hause zu bringen, ist so sicher wie die Feuer von Naraka. Nicht nach so langer Zeit. Also, warum bringst du mich nicht einfach um? Dann hast du’s hinter dir.«

Dieser Vorschlag schien ihn zu verblüffen, und er starrte mich ungläubig an. Ich musste mir ein Lachen verkneifen.

»Euer Hoheit, wir sollen Euch tatsächlich zurückbringen. Ihr seid in Gefahr. Das, was auf Eurem Schiff geschah, ist doch Beweis genug.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Das Imperium braucht Euch.«

»Das Imperium ist zwanzig Jahre lang gut ohne mich zurechtgekommen«, sagte ich und sah zu Boden. »Mutter hat Ganda wahrscheinlich schon bestens auf den Thron vorbereitet. Glaub mir, über meine Rückkehr wird niemand erfreut sein.«

»Euer Hoheit, es handelt sich hier um eine sehr delikate Situation. Ihr müsst über gewisse Dinge in Kenntnis gesetzt werden. Aber nicht hier und nicht jetzt.«

Ich runzelte die Stirn. Die Wut in seiner Miene war ernsthafter Besorgnis gewichen, und die Verzweiflung in seiner Stimme stand in krassem Gegensatz zu seiner Kälte von vorhin. »Was für Dinge?«

»Seht euch das hier an.« Er drückte mir eine Miniaturdatei in die Handfläche. »Eure Hoheit, werdet Ihr mir schwören, keinen weiteren Fluchtversuch zu unternehmen?«, fragte er mit lauter Stimme.

Mit einem weiteren Fluch schloss ich die Augen. Dummerweise konnte ich weder das kalte Shuttlebullauge, gegen das ich gedrückt wurde, Emmorys Knie auf meinem Oberschenkel noch seinen Daumen auf meinem rasenden Puls ausblenden. Genauso wenig wie Portis’ letzte Bitte um Vergebung oder meine Angst davor, nach Hause zurückzukehren.

»Also gut.«

»Euer Hoheit?«

Ich öffnete die Augen, biss die Zähne zusammen und suchte nach den richtigen Worten. »Ich schwöre es, Jäger. Ich schwöre, dass ich nicht versuchen werde, von diesem Schiff zu fliehen.«

Bei diesen Worten zuckten seine Kiefermuskeln. »Schwört Ihr auch, mir oder der Crew nichts zuleide zu tun? Schwört Ihr, anstandslos mit mir in Eure Heimat zurückzukehren und Eure Pflicht zu tun?«

Er war wirklich gut. Das musste ich ihm zugestehen, obwohl er mich in der Falle hatte. Ich konnte meinen Schwur nicht zurücknehmen. Meine Ehre war alles, was mir noch geblieben war – und das wusste er ganz genau.

»Und wenn nicht?«

»Dann schlage ich Euch bewusstlos und schleppe Euch wie die Kriminelle nach Hause, die Ihr ja auch seid.«

In Ketten heimzukehren behagte mir gar nicht. Ich kannte Emmory zwar erst seit einer Stunde, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er mich, ohne zu zögern, über den Boden des Thronsaals schleifen würde. Wenn ich schon nach Hause zurückkehren musste, dann auf eigenen Beinen stehend. Außerdem war ich allein meinen Schwestern verpflichtet und sonst niemandem, aber das musste er ja nicht wissen. Daher nickte ich. »Also gut, Jäger. Ich schwöre es.«

»Abgemacht«, sagte er und ließ mich los. Er trat zurück, und die winzige Klinge verschwand wieder im Daumen seines Handschuhs. Dann drehte er sich zur Wand um, tippte gegen das Bedienfeld und deutete mit einer Verbeugung auf die sich öffnende Tür. »Nach Euch, Hoheit.«

Hocherhobenen Hauptes ging ich an Zin und den sieben ISK-Soldaten vorbei, die das Shuttle umringt hatten, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Diese wandten den Blick ebenfalls ab und verbeugten sich, sobald ich an ihnen vorüberkam.

Zin ging schweigend vor mir her. Emmory hing als stummer Schatten in meinem rechten Augenwinkel, als ich zu meinem Zimmer zurückmarschierte. Dort setzte ich mich aufs Bett, legte die Hände in den Schoß und starrte den Boden an. Emmory durfte auf keinen Fall den Eindruck gewinnen, als hätte er diese Runde gewonnen.

»Vor Eurer Tür sind jetzt andere Wachen, Eure Hoheit«, sagte Emmory. »Ich würde es nicht noch einmal versuchen.« Damit glitt die Tür zu, und ich blieb allein mit dem unausgesprochenen Vorwurf, dass ich mein Wort gebrochen hatte.

Die Sirene, die den Warp ankündigte, hallte durch den Raum. Ich machte mich bereit. Sobald der Alcubierre/White-Antrieb der Para Sahi auf Touren kam, machte sich die vertraute Übelkeit in meinem Magen breit. Die Wände der Blase dehnten sich aus, bis sie das komplette Schiff umschlossen, aus der Normal-Raumzeit zerrten und an einen Ort brachten, an dem Überlichtgeschwindigkeit möglich war.

Der Alcubierre/White-Antrieb war so alt wie der erste Flug der Menschheit zu den Sternen. Seitdem hatte kein Mensch eine bessere Lösung gefunden, und falls die nichtmenschlichen Völker eine hatten, so waren sie nicht bereit, diese mit uns zu teilen.

Ein AWA erschuf eine Blase in der Raumzeit, die sich hinter dem Schiff verbreiterte und vor ihm zusammenzog. So transportierte er das Schiff außerhalb des konventionellen Raumes mit einer Geschwindigkeit, die die des Lichts weit übertraf. Sobald sich das Schiff in der Blase befand, wurde es von der Welle mitgerissen – lediglich beim Ein- und Austritt aus der Welle wurde Energie verbraucht.

Sobald wir die Wand durchbrochen hatten, verstummte der Warpantrieb. Plötzlich herrschte völlige Stille. Sobald sich die Übelkeit gelegt hatte, streckte ich die Finger aus und starrte das flache schwarze Viereck auf meiner Handfläche an. Ich ließ mich aufs Bett fallen, legte den Kopf auf die Hände und schob die Karte in den unter meinen grünen Locken verborgenen Schacht.

Mein smati erkannte Cires kaiserlichen Code, mit dem die Dateien versehen waren, und reagierte entsprechend. Durch diesen Code wusste ich, dass ihre Botschaft weder manipuliert noch gegen ihren Willen aufgezeichnet worden war. Außer uns wusste niemand von der Existenz dieser Codes; unser Vater hatte sie uns gegeben, als wir noch Kinder waren, damit wir uns gegenseitig Geheimnachrichten schicken konnten.

Ich versuchte, diese Erinnerungen nicht zu nahe an mich heranzulassen, während der Computer die Datei hochlud. Nach Emmorys Warnung war es wohl offensichtlich, dass ihr Inhalt gefährlich war. Ich spielte das Video hinter meinen geschlossenen Augen ab.

Cire erschien. Aus der hübschen Schwester, die ich in Erinnerung hatte, war eine wunderschöne Prinzessin geworden. Ihre blauschwarzen Locken waren hochgesteckt, damit ihr puppenhaftes Antlitz besser zur Geltung kam. Ein erschöpftes Antlitz, wie die Waffenschmugglerin in mir unwillkürlich bemerkte.

»Hail«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln. Ihre makellose, sanfte Stimme hüllte mich regelrecht ein. »Wenn du dies siehst, bedeutet das zu meinem großen Bedauern, dass wir uns nicht mehr von Angesicht zu Angesicht begegnen werden. Emmory hat den Befehl, dir diese Nachricht im Falle meines Ablebens zukommen zu lassen.« Eine Träne rollte Cires runde Wange hinab. Sie wischte sie mit einer ungeduldigen Fingerbewegung beiseite.

»Verflucht. Tut mir leid. Tut mir leid, dass das nicht die einzige traurige Nachricht ist, die ich dir mitteilen muss, und es tut mir leid, dass wir uns nie mehr wiedersehen werden. Irgendwie hatte ich das immer gehofft. Du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich vermisst habe. Pace ist tot …«