Tiefbauunfälle - Robin Piper - E-Book

Tiefbauunfälle E-Book

Robin Piper

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Beschreibung

Unfälle im Bereich von Baugruben und Gräben bedeuten für Einsatzkräfte eine Vielzahl von Herausforderungen bei zugleich fehlender Routine und Erfahrung. Die Autoren erörtern Hintergründe und Besonderheiten und zeigen der Leserschaft technische und taktische Lösungsansätze zum Befreien von verschütteten Personen auf. Leicht verständlich werden Rettungskräfte auf die unterschiedlichen Szenarien eines Tiefbauunfalls vorbereitet. Zahlreiche Abbildungen sowie Tipps aus der Praxis helfen bei der Umsetzung im eigenen Einsatzbereich; in der zweiten Auflage dieses Buches erfolgt zudem erstmalig auch eine ingenieurstechnische Betrachtung des Rettungsverbaus als Stand der Technik zur Menschenrettung.

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Robin Piper

Patrick Kaminsky

Irakli West

[3]Tiefbauunfälle

Physik, Technik, Taktik

2. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

[4]Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Die Bilder stammen – soweit nicht anders angegeben – von den Autoren.

2. Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-042680-1

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-17-042682-5

epub: ISBN 978-3-17-042683-2

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

[5]Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1

Einführung

2

Definition und Vorschriften

3

Grundlagen

3.1

Begrifflichkeiten

3.2

Bodenmechanik

3.3

Bodenarten

3.4

Erddruck

3.5

Einfluss auf Baugruben

3.6

Einsturzarten

4

Gängige Einsatzszenarien

5

Einsatzablauf

5.1

Die 5 Schritte des Tiefbauunfalls

5.1.1

Schritt 1: Erkunden

5.1.2

Schritt 2: Sichern

5.1.3

Schritt 3: Verbau

5.1.3.1

Waagerechter Verbau

5.1.3.2

Senkrechter Verbau

5.1.3.3

Rettungsverbau

5.1.3.4

Erweiterung des Rettungsverbaus und mögliche Probleme

5.1.4

Schritt 4: Rettung vorbereiten und Patient(en) befreien

5.1.5

Schritt 5: Retten

5.1.6

Abschließende Maßnahmen

6

Berechnungsbasis des Rettungsverbaus

7

Aufbau der Einsatzstelle

8

Persönliche Schutzausrüstung

9

Fahrzeug- und Einsatzkonzepte

10

Aus der Praxis für die Praxis

11

Knoten

Schlusswort der Autoren

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

[7]Gewidmet

Chief Ron »Z« Zawlocki ohne den dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.

For

Chief Ron »Z« Zawlocki without whom this book would not have been possible.

[9]Vorwort

Das vorliegende Fachbuch ist das Ergebnis von rund fünfzehn Jahren Recherche, Erfahrung, Ausbildung und Austausch mit Feuerwehrleuten, Katastrophenschützern und Sachverständigen rund um den Globus.

Seit Veröffentlichung der ersten Auflage sind rund vier Jahre vergangen. Eine Zeit voller Veränderungen und Entwicklungen. All die Ereignisse zu listen, von großen und kleinen Erfolgen rund um das Thema »Tiefbauunfälle« zu berichten, würde den Rahmen dieses Vorwortes ins Unleserliche sprengen – nur so viel sei gesagt: Die positive Resonanz auf unsere Arbeit überrascht uns jeden Tag aufs Neue und dafür bedanken wir uns!

In dieser zweiten, überarbeiteten Auflage lassen wir die Erfahrungen und den Austausch der letzten Jahre einfließen, betrachten die Neu- und Weiterentwicklungen im Ausland und stellen erstmals eine in Deutschland durchgeführte ingenieurstechnische Betrachtung des Rettungsverbaus vor.

Einleitend möchten wir uns kurz vorstellen, ein paar Hintergründe erläutern und erklären, warum wir uns so intensiv mit einem eher als Nischenthema zu sehenden Bereiches der technischen Hilfeleistung beschäftigen.

Irakli West war mehrere Jahre für einen Rettungsgerätehersteller tätig. Im Ehrenamt ist er Zugführer bei der Freiwilligen Feuerwehr und Mitglied von @fire. Seine Tätigkeit führte ihn zu Einsatz- und Ausbildungszwecken in den vergangenen Jahren in die verschiedensten Länder rund um den Globus. Er begann sich erstmalig 2008 im Zuge einer Fortbildung auf der FDIC (Fire Department Instructors Conference) mit der Thematik »Tiefbauunfall« zu befassen. Er besuchte in den vergangenen Jahren diverse Lehrgänge in den USA und Großbritannien.

West bemerkte schnell, dass die in Deutschland von Rettungskräften angewandten Techniken und Taktiken zum Abarbeiten eines Tiefbauunfalls weit hinter denen anderer Länder zurücklagen. 2009 gründete er das Unternehmen Heavy Rescue Germany, kurz »HRG«, und begann unter anderem im Bereich »Tiefbauunfall« Ausbildung zu betreiben.

[10]Bild 1: Logo von Heavy Rescue Germany

Robin Piper war Zugführer bei der Flughafenfeuerwehr Frankfurt/Main, 2023 wechselte er zur Berufsfeuerwehr Wiesbaden und ist dort derzeit als Wachabteilungsführer tätig. Im Zuge einer ehrenamtlichen Tätigkeit war er 2015 als Einsatzkraft an einem schweren Tiefbauunfall beteiligt. Die komplexe und lebensgefährliche Rettung eines verschütteten Bauarbeiters nahm er zum Anlass, sich ausführlicher mit der Thematik zu befassen. Zunächst als Teilnehmer an einem Seminar von Irakli West intensivierte sich die Zusammenarbeit der beiden schnell und Piper begann als freier Mitarbeiter gemeinsam mit West Ausbildung und Recherche zu betreiben. Im weiteren Verlauf reiste Piper ebenfalls zu Fortbildungszwecken in die Vereinigten Staaten.

Patrick Kaminsky hat bis 2007 an der FH Karlsruhe Bauingenieuerwesen studiert. Als Ingenieur arbeitet er heute weltweit im Bereich der Siedlungswasserwirtschaft. Seit 2018 ist er Baufachberater bei der Feuerwehr und war im Rahmen dessen unter anderem im Zuge der Ahrtal-Katastrophe tätig. Er ist außerdem als USAR-Ingenieur bei @fire aktiv. 2020 begann er als freier Mitarbeiter das Team von Heavy Rescue Germany zu ergänzen. Sein beruflicher Hintergrund prädestinierte ihn den Bereich »Tiefbauunfall« bei HRG weiterzuentwickeln.

Es ist uns wichtig darauf hinzuweisen, dass die in diesem Buch aufgezeigten Vorgehensweisen, Werte, Tabellen und Berechnungen nach bestem Wissen, gründlicher Recherche, ausführlichen Überlegungen und Erfahrungen der Autoren zusammengefasst wurden – trotzdem sind Fehler nicht ausgeschlossen.

Das Eintreten von Unfällen hängt in der Regel mit einer nicht vorhersehbaren Entwicklung oder einer Verkettung unglücklicher Umstände zusammen. Von Seiten des Verlages, der Autoren und Heavy Rescue Germany erfolgt keinerlei Haftung für die in dieser Ausarbeitung präsentierten Vorgehensweisen, Werte, Tabellen und Berechnungen.

Die abgedruckten Fotos und Grafiken sind – sofern nicht anders angegeben – das Eigentum der Autoren. Wir bedanken uns bei allen anderen Urhebern für die freundliche Abdruckgenehmigung.

[11]Das geschilderte Vorgehen stellt den Stand der Technik zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dar. Wir arbeiten kontinuierlich an der Verbesserung und Erweiterung unserer Publikationen und stehen Fragen, Anregungen oder Kritik stets offen gegenüber. Nehmen Sie dazu jederzeit Kontakt mit uns unter:[email protected] auf.

Wir bedanken uns bei denjenigen, die dieses Buch aufgeschlagen und damit das Interesse an unserer Arbeit bekundet haben.

Frankfurt am Main, Großkarlbach und Haar, im Mai 2024

Robin Piper, Patrick Kaminsky, Irakli West

[13]1Einführung

Die Feuerwehrfachliteratur hat in den letzten Jahren ein immenses Wachstum verzeichnet. Die Bandbreite scheint dabei grenzenlos. Egal ob Brandbekämpfung, Technische Hilfe bei Verkehrsunfällen oder das Führen und Leiten von Einsätzen, zu nahezu jedem Thema existieren mittlerweile dutzende von Fachbüchern. Eine Besonderheit stellt dabei der Bereich des Tiefbauunfalls dar. Die deutschsprachige Fachliteratur ist in dieser Hinsicht sehr überschaubar.

Einsatzlagen im Bereich Tiefbau sind vergleichsweise selten, die physikalischen und geotechnischen Hintergründe komplex und der Ausbildungsbedarf entsprechend hoch – umso besorgniserregender ist der vielerorts leichtfertige Umgang mit der Thematik.

In diesem Buch gehen die Autoren auf Schwerpunkte ein und erklären die Abarbeitung von Tiefbauunfällen anhand der »HRG 5 Schritte«, einem Konzept zur einsatztaktischen und technischen Vorgehensweise bei komplizierten Einsatzlagen. Dabei sei an dieser Stelle auf die Ausgrenzung von Silounfällen oder anderem Schüttgut hingewiesen – in diesem Buch geht es nur um Tiefbauunfälle in natürlichem Erdreich.

Der Fokus von Heavy Rescue Germany war von jeher die schwere Technische Hilfeleistung. Doch was steckt dahinter? Für uns sind dies Einsätze, die für Rettungskräfte aus verschiedenen Gründen eine Besonderheit darstellen. Schwere Technische Hilfeleistungen sind selten, sie übersteigen den »alltäglichen« Einsatz in Sachen Komplexität, Zeit-, Personal- und Materialaufwand. Beispiele dafür können sein:

Schwere Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Lastkraftwagen,

Zugunfälle,

Tiefbauunfälle,

Maschinenunfälle,

Gebäudeeinstürze.

Ziel unserer Ausbildung ist es, Einsatzkräften Mittel und Wege an die Hand zu geben, diesen Situationen zu begegnen. Damit es Rettern auch unter Stress und in ungewöhnlichen Einsatzsituationen leichter fällt, vorhandenes Wissen abzurufen, wurden die »HRG 5 Schritte« entwickelt. Jede unserer Ausbildungen basiert auf diesem System von fünf aufeinander aufbauenden Schritten. Der Ablauf ist dabei unabhängig von der Lage nahezu identisch, lediglich kleinere Anpassungen wurden für die jeweiligen Einsatzszenarien vorgenommen.

[14]Konkrete Erklärungen zu den Inhalten der einzelnen Schritte werden in den folgenden Kapiteln gegeben. Im Rahmen dieser Einführung soll lediglich ein grober Überblick über den Aufbau und Hintergrund dieser Idee aufgezeigt werden.

Den ein oder anderen Leser mögen sie an die »fünf Phasen der Bergung« erinnern, doch sei darauf hingewiesen, dass es sich bei den 5 Schritten um deutlich konkretere Maßnahmen handelt, als es die fünf Bergungsphasen hergeben.

Das Ziel dieses Fachbuches ist es, dem Leser zu ermöglichen:

die Ursachen und Gefahren eines Tiefbauunfalls zu erkennen,

das Vorgehen zur Rettung, beziehungsweise Bergung, einer verschütteten Person zu planen,

theoretisches Basiswissen über den Rettungsverbau nach US-amerikanischem Vorbild zu erlangen,

Verständnis und Weitblick für den Aufbau einer Einsatzstruktur im Bereich »Tiefbauunfall« zu bekommen sowie

Ideen zur Übertragung der dargestellten Techniken und Taktiken im eigenen Bereich zu entwickeln.

Wie zuvor erwähnt, sind Tiefbauunfälle ein seltenes Einsatzszenario verglichen mit herkömmlichen Schadenlagen wie Bränden oder Verkehrsunfällen.

Einer durch die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) veröffentlichten Statistik lässt sich entnehmen, dass es in der Bundesrepublik pro Jahr durchschnittlich zu etwa 40 Unfällen kommt, von denen zwischen drei und vier Unfällen tödlich enden. Die genannte Statistik inkludiert neben den von der BG Bau untersuchten Fällen auch Unfälle im privaten Bereich, die den Medien entnommen wurden. Das tatsächliche Unfallgeschehen kann folglich geringfügig höher ausfallen (Münch 2022).

Die insgesamt niedrige Zahl an Vorfällen trägt ihren Teil dazu bei, dass Rettungskräfte häufig zu Fehleinschätzungen von Tiefbauunfällen neigen. An dieser Stelle sei gesagt, dass für die Autoren grundsätzlich die Devise gilt, nie über eine Lage zu urteilen, die sie nicht selbst erkundet haben. Die Komplexität von Tiefbauunfällen, einhergehend mit unter Umständen fehlender Ausrüstung und mangelnder Erfahrung, zwingt Einsatzkräfte häufig zu alternativlosen und eigengefährdenden Maßnahmen, um Verschüttete zu retten. Die folgenden Schilderungen sind deswegen ausdrücklich nicht als Kritik, sondern als Analyse der Ausgangssituation in den meisten Feuerwehren und THW-Ortsverbänden zu verstehen.

Unter Betrachtung verschiedenster Einsatzbilder aus Deutschland, Österreich und der Schweiz scheint es, dass unter Einsatzkräften insgesamt mit der von einem Tiefbauunfall ausgehenden Gefahr vergleichsweise leichtfertig umgegangen wird. In [15]der Regel zeigen Einsatzdokumentationen einen unzureichenden bis nicht vorhanden Verbau von Gräben und Baugruben. Für diesen Fakt gibt es verschiedene Ursachen:

Zum einen ist es sicherlich der Wunsch einem Verschütteten schnellstmöglich Hilfe zukommen zu lassen. Die Dramatik, die mit einer ganz oder teilweise verschütteten Person einhergeht, ist immens – Verzögerungen bei der Rettung folglich keine Option. Da liegt der Schritt in die Grube nahe und ist – rein emotional betrachtet – zwar verständlich, er bleibt aber lebensgefährlich.

Der Umstand, dass es in Deutschland so gut wie keine dokumentierten Fälle von verschütteten Einsatzkräften gibt, ist zum Großteil purem Glück geschuldet. Eine gewisse Dunkelziffer ist allerdings sicherlich vorhanden. Den Autoren liegen diesbezüglich Bilder und Berichte über Zwischenfälle vor, deren Veröffentlichung im Rahmen dieses Buches jedoch von Beteiligten ausdrücklich nicht gewünscht wurden.

Ein anderer Aspekt, der außerdem häufig seinen Teil zum gefährlichen Umgang beiträgt, ist der Umstand, dass eine Wand aus Erdreich primär stabil wirkt und Sicherheit suggeriert: Also wann fallen Wände schließlich einfach um?

►Bild 2 zeigt einen solchen Fall. Der Bilderserie kann das Versagen einer freistehenden Erdwand entnommen werden. Der Einsturz geschah unmittelbar nachdem ein Mitarbeiter der BG Bau einen Arbeitsstopp und die umgehende Räumung des ungesicherten Grabens angeordnet hatte. (Münch 2020)

Bild 2: Versagen einer freistehenden Grubenwand auf einer Baustelle (Quelle: Josef Dreier, BG Bau) [zurück]

Ein weiteres Problem stellt die meistens nicht ausreichend vorhandene Ausrüstung (beispielsweise Rüstholz und Rettungsstützen) dar. Nur wenige Feuerwehren und THW-Ortsverbände sind nach Meinung der Autoren tatsächlich adäquat auf einen (Tief-)Bauunfall vorbereitet. Zu guter Letzt haben die wenigsten Einsatzkräfte Erfahrungen in diesem sehr komplexen Bereich. Die individuelle Einsatzerfahrung im Bereich (Tief-)Bauunfall geht gegen null.

Erschwerend kommt hinzu, dass nach einem solchen Einsatz der objektiv kritische Umgang mit dem eigenen Handeln und das Hinterfragen von getroffenen Maß[16]nahmen für viele Feuerwehren nicht einfach ist. Wer offen spricht und Kritik äußert, stößt häufig auf Widerstand und Ablehnung – letztlich ist schließlich alles gut gegangen. Das Stichwort »Fehlerkultur« scheint vielerorts leider nach wie vor ein Fremdwort zu sein und sorgt dafür, dass trotz aufgetretener Probleme eine Besserung oftmals ausbleibt.

Der nachfolgende Erfahrungsbericht der Samtgemeinde Rodenberg (NDS) zeigt, dass es auch anders geht und aus negativen Erfahrungen wichtige Erkenntnisse gezogen und Handlungsbedarf abgeleitet werden kann.

Der Erfahrungsbericht macht deutlich, wie schnell Einsatzgrenzen erreicht und das Leben von Einsatzkräften gefährdet werden können. Der Feuerwehr der Samtgemeinde Rodenberg sei an dieser Stelle ausdrücklich für ihren offenen Umgang mit diesem prägenden Einsatz gedankt.

Da in der Regel Routine und Fachkenntnisse von Seiten der Hilfsorganisationen also kaum bis gar nicht vorhanden sind, muss die logische Konsequenz sein, Rettungskräfte bereits im Vorhinein zumindest mit entsprechender Ausrüstung und einer Ausbildung im Rahmen der Möglichkeiten auszustatten, um die bestmögliche Vorbereitung für derlei seltene Lagen zu garantieren.

Ein schnelles »vor die Lage kommen und vor der Lage bleiben« kann beim Tiefbauunfall häufig nur durch eine adäquate Einsatzplanung im Vorfeld erreicht werden. Die folgenden Kapitel geben die Möglichkeit, ein fundiertes Basiswissen aufzubauen und beinhalten Tipps und Hinweise, die beispielsweise zum Aufbau einer örtlichen Standard-Einsatzregel (SER) und zum Erkennen von Materialengpässen und deren Aufarbeitung genutzt werden können.

Erfahrungsbericht aus der Praxis – »Technische Hilfe 2, zwei Personen in Baugrube verschüttet« – Text: Feuerwehr der Samtgemeinde Rodenberg

Am 29.11.2010 gegen 12:00 Uhr, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wurden die Feuerwehren der Samtgemeinde Rodenberg mit dem Stichwort »Technische Hilfe 2, zwei Personen in Baugrube verschüttet« auf das Gelände eines landwirtschaftlichen Betriebes alarmiert.

Bei Eintreffen fanden wir eine teileingestürzte Grube ohne vorhandenen Verbau mit den Maßen 2 m Breite, 8 m Länge und 6 m Tiefe mit insgesamt drei Personen darin vor. Das Erdreich bestand aus wechselnden Schichten von Sand- und Lehmboden.

Zum Zeitpunkt des Erdabrutsches befand sich eine Person in der Grube, die bis zum Hals von den Erdmassen verschüttet wurde. Noch vor Eintreffen der ersten Rettungskräfte eilte dem Verschütteten eine zweite Person zur Hilfe. Während diesem Befreiungsversuch kam es zu einem zweiten Erdrutsch, der den Helfer erfasste, selbst bis zur Hüfte begrub und schwer verletzte. In Folge sprang eine dritte Person in die Grube und versuchte die beiden Verschütteten zu befreien. Bei allen drei Personen handelte es sich um Angehörige der benachbarten Feuerwehr, die die Arbeiten im Rahmen ihrer Tätigkeit als Landwirte verrichteten. Zweck der Grube waren Arbeiten an Versorgungsleitungen von Futtersilos.

Bereits mit dem Eintreffen erkannten wir, dass zur Rettung der Personen erheblich mehr Personal, Gerätschaften und Material erforderlich sein würde und alarmierten deswegen das THW mit einer Räumgruppe sowie einen weiteren Rüstzug zur Einsatzstelle. Zu Beginn sicherten wir die dritte Person in der Grube mit einer Leine und bauten parallel eine schiefe Ebene über Steckleiterteile in die Grube auf, worüber die dritte Person die Grube verlies.

Zur Sicherung der Grube standen uns nur eine geringe Anzahl an Bohlen, Kanthölzern, Drehsteifen und Kanalstreben zur Verfügung. Für die klassischen Kanalstreben war – aufgrund des Abbruchs der Grubenkante – die Grube zu breit.

Das Sichern der Grubenwände gestaltete sich folglich schwierig. Die Drehsteifen hätten nur durch Betreten der Grube installiert werden können, wobei von einer [17]massiven Eigengefährdung der Feuerwehrkräfte auszugehen war. Erschwerend kam hinzu, dass, bedingt durch die unebene Abbruchkante, eine Sicherung vor weiterem Einsturz ohnehin kaum möglich gewesen wäre. Ein Verbau der Grube konnte mit den vorhandenen Mitteln nicht durchgeführt werden und unterblieb bis auf Weiteres.

Aufgrund des Unfallhergangs kam für die erste Person jede Hilfe zu spät, sie verstarb noch an der Einsatzstelle. Alle weiteren Maßnahmen konzentrierten sich auf die Rettung der zweiten Person. Diese war bis zur Hüfte von den Erdmassen eingeschlossen worden und hatte sich schwere Verletzungen (unter anderem eine Becken- und Oberschenkelfraktur) zugezogen. Da sich die Vitalzeichen zunehmend verschlechterten musste eine Entscheidung getroffen werden.

Aus Sicht der Führungskräfte war ein weiteres Arbeiten innerhalb der Grube zu gefährlich. Aufgrund mangelnder Alternativen und dem dringenden Handlungsbedarf entschlossen sich trotzdem zwei Einsatzkräfte die Grube unter Lebensgefahr zu betreten und schafften es, mit bloßen Händen die zweite Person nach circa 20 Minuten aus ihrer Lage zu befreien. Sie wurde anschließend mittels Schleifkorbtrage über die schiefe Ebene aus der Grube gerettet und per Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen.

Zur Bergung der noch eingeschlossenen Person wurde aufgrund der hohen Wahrscheinlichkeit weiterer Einstürze eine Tiefbaufirma angefordert, die über eine mobile Verbaubox sowie einen Löffelbagger verfügte. Nach dem Eintreffen des Geräts wurden die Grubenwände durch die Fachfirma gesichert. Etwa acht Stunden nach Einsatzbeginn konnte der Verschüttete aus der Grube geborgen und die Einsatzstelle an die Polizei übergeben werden. Im Einsatz waren rund 60 Kräfte von Feuerwehr, Rettungsdienst und THW.

Hintergrundinformationen

Bei der Feuerwehr Rodenberg handelt es sich um eine auf Technische Hilfe spezialisierte Feuerwehr, die auf Jahrzehnte lange Erfahrung in diesem Bereich zurückblicken kann. Die geographische Nähe zur Bundesautobahn 2 und weiteren, viel befahrenen Bundesstraßen hatte über die Jahre unzählige Einsatzszenarien zur Folge. Der geschilderte Einsatz stellte allerdings selbst für die erfahrensten Einsatzkräfte vor Ort eine ganz neue Lage dar.

Seit diesem Ereignis arbeiten wir daran geeignetes Material zu beschaffen, die Ausbildung zu forcieren und eine Standard-Einsatz-Regel für solche Szenarien zu erstellen. Als einzelne Feuerwehr ist es schwierig sich auf solche Einsatzlagen vorzubereiten, sei es geschultes Personal mit dem nötigen Fachwissen und ausreichend Material vorzuhalten oder die Kosten für entsprechende Ausstattung bereitgestellt zu bekommen. Mit diesem Einsatzbericht möchten wir als Feuerwehr [18]Rodenberg dazu beitragen Entscheidungsträger zu sensibilisieren und Feuerwehren dazu auffordern, sich mit der Materie auseinanderzusetzen.

– Rodenberg im Dezember 2018

[19]2Definition und Vorschriften

Das breite Spektrum eines Tiefbauunfalls macht es nötig, dass zunächst folgende Fragen geklärt werden müssen:

Was versteht man unter Tiefbau?

Ab welcher Tiefe muss eine Baugrube gesichert werden?

Welche Dinge sind von besonderer Relevanz?

Die (in Deutschland) bestehenden Vorschriften und Normen sollen hier nur im Ansatz betrachtet werden, um einen groben Überblick über den »Soll-Zustand« einer Baugrube zu geben und den ein oder anderen im Verlauf beschriebenen Einsatzgrundsatz nachvollziehbarer zu machen.

Zu bemerken ist, dass der Normenausschuss zwar in einigen Bereichen Ausnahmen von den beschriebenen Vorschriften zulässt, diese jedoch hier keine weitere Erwähnung finden. Eine Spezifikation wäre weder zielführend noch soll sie Inhalt dieses Kapitels sein. Rettungskräfte sollten grundsätzlich von instabilem Erdreich ausgehen und einen Verbau von Baugruben anstreben. Für tiefergehende Informationen zu den bestehenden (Bau-)Vorschriften sind andere Quellen zu konsultieren.

An dieser Stelle sei ausdrücklich auf die Abgrenzung zwischen einer Baustelle und einer Einsatzstelle hingewiesen. Das Arbeiten auf Baustellen hat entsprechend der nachfolgend dargestellten Regelungen und Vorgaben zu erfolgen.

An Einsatzstellen hat ein wie auch immer gearteter (Teil-)Einsturz stattgefunden, der in der Regel auf eine Missachtung geltender Vorschriften zurückzuführen ist. Die im Regelbetrieb auf einer Baustelle gegebenen Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz können im Falle von Einsatzstellen häufig nicht vollständig erfüllt werden, weil sie im Gegensatz zu den für den Einsatzerfolg notwendigen Maßnahmen stehen. Es ist Aufgabe der Einsatzleitung sowie der darunter eingesetzten Führungskräfte für eine Unfallverhütung zu sorgen und lageabhängig abzuwägen, ob ein Abweichen von geltenden Unfallverhütungsvorschriften vertretbar bzw. notwendig ist oder nicht.

[20]Achtung:

Eine Einsatzstelle ist keine Baustelle! Ungeachtet dessen ist auf eine maximal mögliche Unfallverhütung zu achten.

Im Einzelfall kann bei Einsätzen unter Beachtung des Eigenschutzes zur Rettung von Personen aus Lebensgefahr von den Bestimmungen der Unfallverhütungsvorschriften abgewichen werden (DGUV Vorschrift 49, § 15 (1)).

Was wird nun unter der Begrifflichkeit »Tiefbau« verstanden?

»Als Tiefbau werden gemeinhin Bauarbeiten bezeichnet, die unter, in oder zu ebener Erde stattfinden. Er bildet das Gegenteil zum Hochbau.« (dtv-lexikon, 1999, S. 195)

Die DIN 4124:2012-01 »Baugruben und Gräben – Böschungen, Verbau, Arbeitsraumbreiten« gibt vor, dass in Abhängigkeit zur Bodenart ab einer Tiefe von 1,25 m mit dem Verbau einer Grube zu beginnen ist (►Bild 3). Ausnahmen davon sind allerdings unter definierten Umständen zulässig.

Bild 3: Schematische Darstellung der Vorgaben nach DIN 4124 [zurück]