Tiermärchen aus China - Alexander Gruber - E-Book

Tiermärchen aus China E-Book

Alexander Gruber

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Beschreibung

»›Das silberne Tor ist verschlossen. Keiner kommt hindurch!‹ Er wandte sich um und sah im silbernen Licht neben dem Tor eine kleine weiße Schlange …« Bauern, Kaiser und Prinzessinnen, Schlangen, Drachen, Füchse und Tiger - ihre Geschichten werden hier in den »Tiermärchen aus China«, dem 5. Band der Reihe »Tiermärchen vieler Völker«, von Alexander Gruber neu erzählt. Zum großen Teil aus mündlicher Überlieferung des einfachen Volkes stammend, erinnert uns die Tierwelt in den vorliegenden 29 Märchen an die wesentliche Lebensgrundlage von uns Menschen. Zudem bringen uns die Märchen das Geisterreich nahe, welches einen integrativen Bestandteil der chinesischen Kultur darstellt. Auch ein bunter Reigen kleiner und großer Märchenheldinnen und -helden erscheint.

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Alexander Gruber (Hg.) • Tiermärchen vieler Völker

Tiermärchen vieler Völker

Band 5:Tiermärchen aus China

Herausgegeben, neu erzähltund mit einem Vor- und Nachwort versehenvon Alexander Gruber

Inhalt

Vorwort

Die Froschprinzessin

Der Leopard

Ein Drachensohn

Die Fuchshöhle

Die Löwen mit den roten Augen

Warum die Bären kurze Schwänze haben

Das brave Maultier

Vom Vogel Pong

Hund und Katz

Der Ameisenkönig

Schi Yungs Heirat

Die Heimkehr der alten Schildkröte

Fischen in der Schwarzdrachenbucht

Der freche Fuchs

Die Tigerschule

Mitleid mit den Tieren

Hündchen, Wölfin und drei Schwestern

Vom Hasen

Das Boot aus Papier

Das Märchen von der Fledermaus

Schildkröte und Schmetterling

Drachenaugen

Mit dem Tiger kämpfen

Drachenkönigs Tochter und Wang Sanlang

Schlangeneier

Das Fuchsloch

Fuchsfeuer

Der kleine Jagdhund

Der gemalte Hahn

Nachwort

Vorwort

Von Band 4 unserer Reihe, den russischen Tiermärchen, zu den chinesischen, dem jetzt vorliegenden Band 5: das scheint nur ein kleiner Schritt, denn Russland und China sind enge Nachbarn; die gemeinsame Grenze zwischen ihnen ist lang und reicht bis zum Pazifik.

In Wirklichkeit sind es mehrere Riesenschritte, die wir nicht alle machen können. Chinas kulturelle Tradition ist wesentlich älter als unsere westliche, und es gab, außer vielleicht Seide, Porzellan, Papier und Feuerwerk, keine Berührungspunkte. Wir können die Sprache(n) nicht, kennen die Geschichte nicht, kennen die Menschen so gut wie nicht. Und doch ist es das Menschliche, das Menschheitliche, was uns die Annäherung erlaubt.

Ohne Tiere können die Menschen nicht leben; sie leben nicht ohne Tiere, auch unter den heutigen industriellen Produktionsweisen nicht! Allerdings hat es den Anschein, als würden die Tiere, da sie aus den Augen rücken, auch aus dem Bewusstsein der Menschen schwinden, ob in West oder Ost, und mit ihnen das Märchen-Erzählen, das Märchen-Erfinden. Wir sind, zeigt sich, auf das Sammeln und Aufspüren von Vorhandenem verwiesen, das in China zumeist aus den Jahrtausende alten bäuerlichen Überlieferungen stammt, missachtet von den ebenfalls Jahrtausende alten literarischen und philosophischen Traditionen der Gelehrten-Schulen, der Beamten und Hofhaltungen – Volkslieder einmal ausgenommen.

Undinen, Froschkönige, Heinzelmänner, Wölfinnen als Nährmütter, Schätze hütende Drachen – bei uns sind sie lange verschwunden. Da kann es gut sein, dass auch in Fernost Tiergeister, Ungeheuer und mythische Wesen auf dem raschen Rückzug vor der elektronisch befeuerten Globalisierung sind. Aber einige ihrer wichtigen Spuren haben wir hier zusammengetragen. Anschaulich sind sie und, trotz ihres exotischen Äußeren, durchaus verständlich, auch in ihren Grundzügen seltsam vertraut. Ja, auch hier begegnen wir uns Menschen – und den so oft beseelten Tieren.

Die Froschprinzessin

Seit der Jangtsekiang-Strom und sein Tal durch den gewaltigen Staudamm Ende des vorigen Jahrtausends verwandelt worden ist – sein Wasserspiegel hob sich um sechzig bis siebzig Meter! – hat auch die gebirgige Landschaft an seinen Ufern sich verändert: Straßen, Dörfer, Städte und Tempel wurden hangaufwärts verlegt, neu gebaut, auch Fabriken wurde angesiedelt; vieles Alte blieb stehen und liegt jetzt unter Wasser.

In der Zeit unseres Märchens aber war das alles ganz anders. Da wurde am mittleren Verlauf des Stroms der Froschkönig sehr verehrt. Er hatte einen Tempel, der jetzt in den Fluten versunken ist, und dort gab es Frösche zu Tausenden und Abertausenden: kleine Hüpfer, aber auch riesengroße. Wenn ein Mensch den Zorn des Gottes zu spüren bekam, geschahen seltsame Dinge in seinem Haus: Frösche hüpften auf den Tischen und in den Betten herum, glitten an den Wänden auf und ab und aus Truhen und Schränken, Schüsseln und Töpfen, ja, sogar aus den Kesseln und Kasserolen in der Küche kamen sie. Das verkündete Unglück und war schon ein Unglück! Die Hausbewohner gingen und erwarben ein Rind ohne Fehl und brachten es als Opfer im Tempel dar. Und sie hofften, dass nichts weiter geschehen würde.

Damals wuchs ein Knabe in dieser Gegend auf, der hieß Siä Kung-Schong. Ein kluger und schöner Junge war das. Und als er sieben Jahre alt war, kam eine Dame, ganz in Grün gekleidet, ins Haus. Sie sagte, sie sei eine Botin des Froschkönigs und wolle kundtun, dass dieser seine Tochter dem jungen Siä zu vermählen gedenke. Der alte Siä war ein ehrlicher, wenn auch etwas beschränkter Mann, und diese Sache passte ihm nicht, also schlug er sie rundweg aus: sein Sohn sei noch zu jung. Aber später wagte man doch nicht, nach einer anderen Frau für den Sohn Ausschau zu halten.

Nach einigen Jahren – der Junge war inzwischen herangewachsen – verabredete man doch eine Heirat mit einem Fräulein Giang. Doch da ließ der Froschkönig deren Vater mitteilen: »Der junge Siä ist mein Schwiegersohn. Wie kannst du dich unterstehen, Früchte in fremden Gärten pflücken zu wollen?« Und natürlich fürchtete sich Vater Giang deswegen und nahm sein Wort zurück.

Das wiederum betrübte den alten Siä. Er bereitete ein Opfer vor und ging in den Tempel. Dort sagte er im Gebet, er fühle sich unwürdig, mit einem Gott in Verwandtschaft zu treten. Als er sein Gebet beendet hatte, zeigten sich jedoch im Opferfleisch weiße fette Maden, die darin umherwimmelten, und kleine Fliegen im Wein. Voll schlimmer Ahnungen ging er zurück nach Hause. Nun wusste er sich nicht mehr zu helfen; er ließ den Dingen ihren Lauf.

Der junge Siä, als er eines Tages über die Straße ging, wurde von einem Boten angehalten, der ihm Bitte und Auftrag des Froschkönigs überbrachte, sofort zu ihm zu kommen. Was blieb ihm übrig? Er musste dem Boten folgen. Der führte ihn durch ein rotes Tor in prächtige Gemächer. Weit hinten im Saal saß, sieben Stufen erhöht, ein weißhaariger Greis, dem sich Siä ehrerbietig nahte, und vor dem er sich auf den Boden warf. Der Alte hieß ihn aufstehen und wies ihm seitwärts einen Platz am Tisch an. Weiber und Mägde drängten herein, den Gast zu betrachten, aber der Alte hieß sie, im Gemach anzusagen, der Bräutigam sei gekommen. Eilfertig drängten die Weibsen wieder hinaus, und nach einiger Zeit trat eine würdevolle Alte aus dem inneren Gemach, die ein Mädchen an der Hand führte, das sechzehn Jahre alt sein mochte und sehr sehr schön war, schön ohnegleichen.

Der Greis wies auf das Mädchen und sagte: »Dies ist mein zehntes Töchterchen. Ich dachte mir, ihr beide passt gut zusammen. Doch dein Vater hat uns verschmäht, weil unsere Art verschieden ist. Aber die Heirat ist fürs ganze Leben wichtig, und die Eltern können sie nicht allein bestimmen. Auf dich selbst kommt es am allermeisten an.«

Siä sah das Mädchen unentwegt an; sein Herz hüpfte und sagte ›Ja‹. So saß er schweigend.

Die Alte sprach: »Ich weiß und sehe: der junge Herr ist einverstanden. So geh nur voraus, wir bringen euch die Braut.«

»Ja!«, sagte Siä und ging zu seinem Vater, um’s ihm anzusagen. Der erschrak, dachte sich dann einen Vorwand aus, unter dem er ihn zurückschicken und dankend ablehnen lassen wollte. Doch Siä ging nicht. Während sie noch hin- und her redeten, fuhr der Wagen mit der Braut vor. Eine zahlreiche Schar Grünberockter lief voraus, lief auf beiden Seiten und lief dahinter. Die Braut stieg aus und betrat das Haus. Ungemein höflich verbeugte sie sich vor den Schwiegereltern, die, als sie die schöne und überaus reich gekleidete Braut sahen, hoch erfreut waren. Auf den Abend wurde die Hochzeitsfeier angesetzt, die in Frieden und Freude gehalten wurde.

Sternfunkelnd war die Nacht des jungen Paares, und waren die weiteren Nächte. Einträchtig waren die Tage. Häufig auch kamen die Schwiegereltern zu kurzen Besuchen. Trugen sie rote Kleidung, stand ein glückliches Ereignis ins Haus, trugen sie weiß, kündigte das einen sicheren Gewinn an; so wurde die Familie allmählich reich und begütert.

Doch wie nicht anders möglich, es gab ein Aber: Seit dieser Verbindung mit der Sphäre der Götter waren im Hause, in allen Zimmern, Räumen und Höfen eine Unzahl von Fröschen: Frösche klein und groß, grün und braun, Frösche überall, und niemand wagte, sie zu verscheuchen, oder ihnen etwas zu tun. Nur Siä, der jung war und ganz und gar unerschrocken, ärgerte sich über sie. War er guter Laune, waren sie ihm egal, war er unmutig und ärgerlich, dann fegte er sie beiseite, ja, trat sie wohl absichtlich tot. Die junge Frau, so fügsam und bescheiden sie war, wurde doch leicht heftig und war mit Siäs Verhalten keineswegs einverstanden. Sie tadelte ihn deshalb, und das ließ ihn aufbrausen. »Denkst du denn«, sagte er, »weil deine Eltern Unglück über die Menschen bringen können, fürchtet sich ein richtiger Mann vor einem Frosch?«

Die junge Frau, die den Namen ›Frosch‹ niemals nannte, machte das zornig. Sie sagte: »Seitdem ich in diesem Haus bin, tragen eure Felder das Doppelte, und eure Geschäfte bringen doppelten Gewinn. Das achtest du für Nichts? Jetzt, wo ihr in der Wolle sitzt, wo jeder sich herausgefüttert hat, machst du’s der jungen Eule nach, die der alten die Augen aushackt, sobald sie flügge ist?«

Da entflammte Siäs Zorn noch heftiger, noch schärfer: »Ja, ja, ja!«, rief er. »Dieses Zunehmen, diese Gaben widern mich an! Sie sind unrein! Schleimig! Solchen Besitz auf Söhne und Enkel vererben will ich nicht! Besser wär’s, wir trennten uns auf der Stelle!«

Sie verließ das Haus stehenden Fußes. Noch bevor es seine Eltern erfuhren, war sie fort. Er hatte sie verstoßen. Vater und Mutter schalten ihn und sagten, er solle auf der Stelle gehen und sie zurückholen, doch er gab nicht nach.

Noch in dieser Nacht erkranken Mutter und Sohn, wurden matt, aßen nichts. Der Vater, erschreckt und tief besorgt, eilte in den Tempel und bat um Vergebung – so flehentlich, dass die Kranken nach drei Tagen wieder gesund wurden. Auch die Froschprinzessin kehrte ins Haus zurück, und das junge Paar lebte wieder miteinander so glücklich wie zuvor.

Häusliche Pflichten jedoch nahm die junge Frau nicht mehr wahr. Schminke, Zierrat, Schmuck, Haartracht und Kleidung – damit brachte sie den Tag zu. Das ärgerte die Schwiegermutter, und schließlich sagte sie: »Mein Sohn hat eine Frau, aber alle Arbeit hängt an mir. Anderswo dient die Schwiegertochter der Schwiegermutter, aber hier bediene ich die Schwiegertochter!« Das hörte die junge Frau. »Wie jetzt?«, sagte sie. »Jeden Morgen und jeden Abend sehe ich nach Euch, erkundige mich nach Eurem Wohlergehen und ob Euch etwas fehlt. Soll ich putzen und waschen und arbeiten wie eine Magd? Nicht im Traum!« Die Schwiegermutter blieb still, aber weinte. Sie fühlte sich beschämt.

Der Sohn kam dazu und bemerkte die Tränen. Er fragte nach dem Grund und erfuhr ihn. Wieder wurde er zornig und schalt seine Frau, die alle Vorwürfe zurückwies, bis er erbost sagte: »Eine Schwiegertochter muss der Mutter ihres Mannes Freude machen, sonst wär es besser, keine Frau zu haben. Was kann der alte Frosch mir schließlich tun? Mir Unglück schicken und das Leben nehmen? Soll er doch!« Und so verstieß er seine Frau zum zweiten Mal.

Die Prinzessin verließ das Haus abermals und verschwand. Am nächsten Morgen brach Feuer aus. Vom Wohnhaus sprang es auf die anderen Gebäude über: alles verbrannte.

Siä ging in den Tempel und sagte wütend: »Eine Tochter aufziehen, die ihren Schwiegereltern nicht gefällig ist, das zeigt, dass man keine Zucht im Hause hat. Die Götter sind gerecht, heißt es! Ist es gerecht, meine Eltern zu bestrafen, die mit dem Streit zwischen meiner Frau und mir rein gar nichts zu tun hatten? Wenn Strafe, dann bringt sie über mich! Aber weil Ihr nun Haus und Hof verbrannt habt, verbrenn ich Eures auch!« Er ging hinaus, häufte Holz und Reisig am Tempel auf und wollte ihn anzünden. Die Nachbarn sahen es, kamen gelaufen und hinderten ihn. Da schluckte er seine Wut hinunter und ging nach Hause zu den Brandruinen.

Seine Eltern, als sie davon hörten, wurden bleich und zitterten, doch in derselben Nacht erschien der Gott den Leuten im Nachbardorf und befahl ihnen, das Haus und Gehöft seines Schwiegersohns wieder aufzubauen, und als es Tag wurde, schleppten sie das Bauholz heran, und alle machten sich an die Arbeit. Die Häuser und Scheunen wurden errichtet, die Teppiche und Vorhänge, die Kisten und Kasten herbeigeschleppt, Geschirr und Vasen hereingetragen, alles wurde neu und schöner wiederhergestellt, und als alles fertig war, kam auch die Prinzessin wieder. Sie stieg zum Saal hinauf und versöhnte sich mit den Eltern, gab ihnen zärtliche und liebreiche Worte, blickte ihren Mann verheißungsvoll an und betrat dann ihre Gemächer, wohin er ihr folgte. Freude und Eintracht kehrten wieder ein; zwei Jahre vergingen, in deren Verlauf kein böses Wort fiel.

Dann aber kam es wieder zu einem ernstlichen Vorfall. Die Prinzessin verabscheute Schlangen, ob sie klein oder groß waren, und um sie zu necken, verpackte Siä ein Schlänglein, schenkte ihr das Päckchen und ließ sie es öffnen. Sie wurde weiß vor Schreck, fand’s ganz und gar nicht komisch und schalt ihn aus. Das erboste ihn, und er schalt zurück. Schließlich sagte sie: »Dieses Mal warte ich nicht, bis ich verstoßen werde. Es ist aus!« Sie verließ den Raum und das Haus.

Der Vater Siä wurde bleich, als er es wahrnahm. Er, der ehrwürdiger Herr der Familie, gab seinem Sohn einen Backenstreich und bat den Gott um gnädiges Verzeihen. Alles blieb still.

So verging mehr als ein Jahr. Siä Kung-Schong hatte große Sehnsucht nach seiner schönen Frau, der Prinzessin, und grämte sich, hauptsächlich über sich selbst. Heimlich ging er in den Tempel und klagte, wie sehr er die Prinzessin vermisse. Nichts erfolgte. Schließlich hörte er, der Gott habe seine zehnte Tochter einem anderen Mann verlobt, das ließ seine Hoffnungen sinken: er suchte nach einer anderen Frau für sich. Doch keine hielt dem Vergleich mit der Prinzessin stand, den sein Herz stets anstellte. Seine Sehnsucht wurde nur immer stärker. Schließlich ging er in das Haus Yüan, mit dessen Sohn, wie es hieß, sie verlobt war.

Dort wurden die Wände neu gestrichen, die Fußböden geschrubbt, die Höfe aufgeräumt und gefegt und alles zum Empfang der Braut in ihrem Brautwagen vorbereitet. Er kehrte um, verkroch sich zuhause, wurde krank vor Reue. Er aß nicht und trank nicht, dämmerte hin, hatte zuletzt das süße Gefühl, es streichle eine leichte Hand sein Gesicht, als höre er die Worte: »Wie geht es meinem lieben Mann, der seine Frau verstoßen wollte?«

Da machte er die Augen ein wenig auf und sah: die Prinzessin.

Er sprang auf und sagte: »Du? Du bist wiedergekommen?!« Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände, lächelte und sagte: »Eigentlich hätte ich, so schlecht wie du die Leute behandelst, meinem Vater folgen und einen anderen nehmen sollen. Aber ich konnte nicht, obwohl die Brautgeschenke schon im Haus lagen. Die Hochzeit sollte heute Abend sein, und mein Vater wollte sich nicht die Schmach antun, die Geschenke zurückzubringen. Ich habe sie ihnen vor die Tür gestellt. Und mein Vater lief auf dem Weg zu dir neben mir her. ›Verrücktes Ding!‹, sagte er. ›Glaub nicht, dass ich dir noch einmal helfe, wenn es dir bei den Siäs wieder schlecht geht. Und wenn sie dich totschlagen, sei’s drum! Mir ist es egal!‹« Siä küsste sie unter Tränen. Oh, es war ein Fest der Liebe!

Als Siäs Eltern von einem Diener hörten, die Prinzessin sei wieder da, eilten sie ins Haus des Sohnes, fassten ihre Hände und küssten sie ein ums andere Mal. Sie weinten vor Freude. Und von nun an ließ Siä seinen Mutwillen, seine Empfindlichkeit und seine Eigenliebe fahren. Aufrichtig liebte er seine Frau, und aufrichtig liebte sie ihn.

»Früher«, sagte sie, »hatte ich Angst vor einem Kind. Ich dachte, wenn wir seine Eltern wären, es müsste unglücklich aufwachsen. Aber jetzt möchte ich einen Sohn.« Und neun Monate währte es, da traten die göttlichen Schwiegereltern in roten Gewändern und mit Geschenken wieder ins Haus: ein neugeborenes Zwillingspärchen konnten sie begrüßen: ein Töchterchen und ein Söhnchen.

Von da an, wenn jemand aus dem Volk ein Anliegen hatte an den Gott, ihn gar zum Zorn gereizt hatte, bat er um Vermittlung durch Siä und seine Frau, die Froschprinzessin. Lachte sie, dann war alles gut.

Die Sippe wuchs und wuchs am Jangtsekiang. Die Leute damals nannten deren Angehörige ›Froschmännchen‹. Aber nur hinter ihrem Rücken. Und heute sind sie verschwunden.

Der Leopard

Eine Witwe hatte zwei Töchter und einen kleinen Sohn. Den nahm sie eines Tages an die Hand und sagte zu ihren Töchtern: »Ich geh mit dem Kleinen zur Großmutter. Bleibt ihr daheim und passt gut auf alles auf!« Das versprachen die beiden Mädchen, und Mutter und Sohn machten sich auf den Weg.

Unterwegs begegnete ihnen ein Leopard. Der fragte, wohin sie gehe. »Ich geh mit meinem Buben hier zu meiner Mutter«, sagte sie. »Willst du dich nicht ein bisschen ausruhen?«, fragte der Leopard sie. »Nein, nein.« sagte sie. »Es ist ein weiter Weg und schon spät.« Der Pardel fand das nicht gut und überredete sie, sich’s am Wegrand doch für ein Weilchen bequem zu machen. »Ich ergreife die Gelegenheit«, sagte er, »und kämm dich!« Das ließ sich die Frau gefallen, und so fuhr er ihr mit seinen Krallen durch die Haare – erst ganz behutsam, dann aber stärker und stärker und riss ihr ein Stück Haut ab. Das fraß er. »Lass! Lass!«, schrie die Frau, »Du tust mir weh!« Da riss er ihr noch ein größeres Stück Haut und Haar heraus und fraß das auch. Da schrie die Frau um Hilfe, doch keiner hörte sie, und der Pardel packte sie, zerriss sie und fraß sie auf. Dann schnappte er das Bübchen und biss es tot, zog die Kleider der Frau an, und die Knochen des Kindes, die er noch nicht gefressen hatte, tat er in ihren Korb.

Dann eilte er zu dem Haus der Frau und rief, als er die Tür verschlossen fand: »Macht auf! Macht auf! Eure Mutter ist wieder da!« Die Mädchen lugten durch einen Spalt hinaus, dann sagten sie: »Unsere Mutter? Unsere Mutter hat doch keine so großen Augen!« Da sagte der Pardel: »Bei der Großmutter haben die Hühner so große Eier gelegt – ich hab sie hier im Korb! – da hab ich so große Augen gemacht!« Die Mädchen sagten: »Aber unsere Mutter hat keine solchen Flecken im Gesicht!« Und der Pardel antwortete: »Ich hab mich ausgeruht bei der Großmutter. Aber sie hat ja kein zweites Bett, da hab ich auf den Erbsen geschlafen, und die haben sich mir ins Gesicht gedrückt.« Die Mädchen riefen wiederum: »Aber unsere Mutter hat keine so großen Füße!« – »Was seid ihr so dumm!«, zischte der Pardel, »Das kommt vom langen Laufen. Jetzt macht endlich auf!« Da sagten sich die Töchter, es müsse wohl doch ihre Mutter sein, und machten die Tür auf. Der Pardel ging hinein, und sie sahen, es war doch nicht die Mutter; jedenfalls nicht die richtige. Aber weil es schon spät war, gingen sie zu Bett.

Der Pardel, beinahe noch satt, holte die Knochen des Bübchens aus dem Korb und fing an zu nagen, da fragten die Mädchen: »Mutter, was isst du da?« – »Rüben!«, sagte der Pardel, »Ich nage Rüben!« – »Mutter, gib uns auch welche!«, sagten die Mädchen. »Wir haben solchen Hunger!« – »Nein!«, sagte der Pardel, »Seid still und schlaft!« Die Mädchen aber quengelten und baten, sie möge ihnen etwas geben, bis die falsche Mutter ihnen einen kleinen Finger gab. O weh! Sie erkannten, dass es ein Finger ihres Brüderchens war. »Wir müssen fliehen!«, sagten sie zueinander, »Sonst frisst sie uns auch noch!« Und liefen aus dem Haus, kletterten auf einen Baum im Hof, sahen sich um und riefen: »Komm doch, komm heraus! Bei den Nachbarn wird Hochzeit gefeiert!« Da kam die falsche Mutter heraus, sah sie auf dem Baum sitzen und sagte: »Ich kann ja doch nicht klettern! Erst recht in diesen Kleidern nicht!« Die Mädchen riefen herunter: »Hol einen Korb und wirf uns das Seil herauf, wir ziehen dich herauf!« Die Mutter tat wie geheißen und setzte sich in den Korb. Die Mädchen zogen den Korb empor, auf halber Höhe aber schwangen sie ihn hin und her, hin und her, bis er an den Baumstamm stieß. Da sprang der Pardel aus dem Korb und lief davon.

Als Tag wurde, kletterten die Mädchen wieder vom Baum herunter, setzten sich vor ihre Haustür und weinten bitterlich, weinten um ihre Mutter und ihren kleinen Bruder. Da kam ein Hausierer vorbei, der mit Nadeln aller Art handelte. Der fragte, warum sie denn so bitterlich weinten. »O weh!«, sagten die Mädchen, »Ein Leopard hat unsere Mutter und unser Brüderchen aufgefressen! Jetzt ist er weg, aber bestimmt kommt er wieder und frisst uns auch auf.« Der Verkäufer hatte Mitleid, gab ihnen ein paar Nadeln und sagte: »Da habt ihr ein paar Nadeln! Steckt sie in den Lehnstuhl mit der Spitze nach oben. Das hilft!« Die Mädchen dankten ihm, und als er weiterging, weinten sie wieder.

Ein Kammerjäger, der Skorpione fing, kam vorbei und fragte sie, warum sie denn so bitterlich weinten. »Ach!«, sagten sie, »Ein Leopard hat unsere Mutter und unser Brüderchen gefressen. Jetzt ist er fort, aber bestimmt kommt er wieder und frisst uns auch!« Da gab er ihnen aus Mitleid einen Skorpion, der noch am Leben war, denn Skorpione sind zäh. »Setzt den hinter den Herd!«, sagte er. Die Mädchen dankten ihm, aber weinten weiter.

Schließlich kam der Eiermann vorbei und fragte, warum sie denn so bitterlich weinten. »Ach!«, sagten sie, »Ein Leopard hat unsere Mutter und unser kleines Brüderchen gefressen. Jetzt ist er fort, aber bestimmt kommt er wieder und frisst uns auch!« Der Eiermann bekam Mitleid und schenkte ihnen ein Ei. »Legt das in die Asche auf dem Herd!«, sagte er. Die Mädchen dankten ihm, aber weinten weiter.

Dann kam ein Mann, der Schildkröten feilbot, und auch dem erzählten sie ihre Geschichte. Der bekam auch Mitleid und schenkte ihnen eine Schildkröte. »Setzt sie in das Wasserfass da drüben im Hof!«, sagte er. Sie dankten, und er ging, und sie weinten weiter.

Zu guter Letzt kam ein Mann, der mit geschnitztem Hausrat handelte. Der fragte auch, warum sie denn so bitterlich weinten. Und sie erzählten ihm ebenfalls ihre Geschichte. Auch ihn fasste Mitleid, und da gab er ihnen zwei Holzhämmer und sagte: »Hängt sie oben am Zauntor an der Straße auf!« Da bedankten sie sich auch bei ihm und taten alles, was die Männer ihnen gesagt hatten.

Schon wurde es Abend, da kam der Pardel ins Haus und setzte sich auf den Lehnstuhl. Die Nadeln aber stachen ihn von hinten, da lief er in die Küche, wollte Feuer zünden und nachsehen, was ihn so gestochen hatte, dabei kam er dem Skorpion zu nah, der schlug ihm den Stachel in die Hand. Als schließlich das Feuer doch brannte, platzte das Ei und die Schalen sprangen ihm ins Auge, auf dem wurde er blind. Er lief in den Hof und wollte seine Hand, die böse anschwoll, im Wasserfass kühlen, da biss die Schildkröte zu und ihm die ganze Hand ab. Er heulte jämmerlich und lief auf die Straße, stieß aber, weil er halb blind war, ans Tor, sodass die Holzhämmer herabfielen, und die schlugen ihn tot.

Ein Drachensohn

Ein König und eine Königin hatten eine einzige Tochter. Die war wunderschön. Sie ging eines Tages im Garten spazieren, da erhob sich plötzlich ein Wirbelsturm, der sie emporriss und mit sich führte. Aber es war kein Sturm, es war der Neunköpfige Vogel. Der raubte die Prinzessin und trug sie in seine Höhle. König und Königin wussten nicht, wohin ihre Tochter verschwunden war. Im ganzen Land ließen sie ausrufen, wer die Königstochter wieder heimbringe, der solle sie zur Frau bekommen.

Ein junger Mann, dem bei seiner Geburt vor achtzehn Jahren ein großes Glück durch einen Drachen prophezeit worden war, wovon er aber bislang herzlich wenig gespürt hatte, hatte den großen Vogel gesehen, wie er die Prinzessin in seine Höhle trug, die sich mitten in einer steilen Felswand auftat. Man konnte von unten nicht hinauf, von oben nicht hinunter. Er ging an dem Felsen auf und ab und spähte nach einer Stelle, die ihm den Zugang zur Höhle erlaubte. Wie er suchte, kam ein anderer und fragte ihn, was er da tue. Dem erzählte er, dass der Neunköpfige Vogel die Königstochter geraubt und in seine Felsenhöhle geschleppt habe, er aber keinen Weg dahin finde. Der andere wusste Rat. Er holte seine Freunde, und sie ließen den jungen Mann in einem Korb von oben hinunter zu der Höhle; er solle nur am Seil rucken, wenn er wieder hinaufwolle, dann zögen sie den Korb wieder herauf.

Wie er nun vorsichtig hineinging in die Höhle, sah er, wie die Königstochter dem Neunköpfigen Vogel die blutige Wunde wusch. Der Himmelhund hatte ihm den zehnten Kopf abgebissen, und die Wunde blutete noch immer. Das Mädchen sah den jungen Mann in die Höhle lugen und winkte ihm, er solle sich verstecken, was der vorsichtig tat. Der Vogel aber fühlte sich so wohl, wie die Prinzessin ihn pflegte und verband, dass alle seine neun Köpfe, einer nach dem anderen, niedersanken und einschliefen. Da kam der junge Mann aus seinem Versteck hervor und hieb mit seinem Schwert alle neun Köpfe des Vogels ab. Dann führte er das schöne Mädchen aus der Höhle und sagte ihr, sie solle in den Korb steigen und sich hinaufziehen lassen. Sie aber meinte, er solle als erster hinauf und sie danach. »Nein, nein!«, sagte er. »Ich warte hier, bis du in Sicherheit bist.« Sie widersprach, doch gab schließlich nach und kletterte mit seiner Hilfe in den Korb. Rasch nahm sie noch einen der kostbaren Schmuckpfeile aus ihrem Haar, zerbrach ihn in zwei Hälften, gab ihm die eine und steckte die andere ein. Auch riss sie ihr schönes seidenes Tuch entzwei, gab ihm die eine Hälfte und sagte, er solle Beides, Schmuckpfeil und Seidentuch, gut bei sich verwahren. Er sagte es zu, dann ruckte er an dem Seil, und der Korb mit der Prinzessin wurde hinaufgezogen. Er wurde aber nicht wieder heruntergelassen, der junge Mann vor der Höhle mochte rufen und bitten, so viel er wollte.

Nun ging er wieder in die Höhle und sah sich darin um. Hinten, wo’s finster war, fand er viele Leichname junger Mädchen, die hatte alle der Neunköpfige Vogel geraubt, und sie waren in der Höhle verschmachtet und verhungert. An die Rückwand genagelt, hing ein Fisch, zwischen vier Nägeln ausgespannt. Der verwandelte sich, als er ihn berührte, in einen schönen Jungen, der ihn umarmte und ihm für seine Rettung dankte. Mit einem Kuss schlossen sie Brüderschaft fürs Leben. Doch der Junge verschwand, als der andere aus der Höhle trat, um zu sehen, ob er etwas zu essen finden könnte, denn ihn plagte grimmiger Hunger. Er fand aber nur Steine, überall Steine. Wie er noch suchte, sah er einen regenbogenfarbenen Drachen an der Felswand, der leckte an einem Stein und tat das mit sichtlichem Genuss. Das tat der junge Mann ihm nach, da waren ihm Hunger und Durst gestillt, und er fragte den Drachen, wie er von dieser Höhle und dem Felsen fortkommen könne. Der Drache blickte ihn aus dunkelgrün schimmernden Augen an, neigte den Kopf zum Schwanz und bedeutete ihm so, dass er sich daraufsetzen solle. Das tat er, und im Nu war er unten auf dem Waldboden, und der Drache war verschwunden. Er ging weiter, immerzu, und fand auf seinem Weg eine Schildkrötenschale, die war voller Perlen. Das waren Zauberperlen. Warf man sie ins Feuer, hörte das Feuer auf zu brennen; warf man sie aber ins Wasser, wich das Wasser zurück, und man konnte hindurchgehen. Er steckte die Perlen ein und ging weiter.