Tobit - Beate Ego - E-Book

Tobit E-Book

Beate Ego

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Beschreibung

This commentary places the ancient Jewish Tobit narrative in the broader context of the history of the tradition by analysing both the ideas it contains about ancient medicine and its conception of the Torah. It also presents a synchronic overall interpretation showing that the narrative is ultimately to be understood in terms of the theology of history. It explaines lucidly the way in which ancient Judaism was able to engage with the threat posed by the aggressive policies of the great empires during the period of Hellenistic rule. In this context, the hymn of praise by the aged Tobit at the end of the narrative in Tob. 13 opens up prospects of hope for those to whom it is addressed.

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Internationaler Exegetischer Kommentar zum Alten Testament (IEKAT)

Herausgegeben von:

Walter Dietrich, David M. Carr, Adele Berlin, Erhard Blum, ­Irmtraud Fischer, Shimon Gesundheit, Walter Groß, Gary Knoppers (†), Bernard M. Levinson, Ed Noort, Helmut Utzschneider und Beate Ego (apokryphe/deuterokanonische Schriften)

Umschlagabbildungen:

Oben: Teil einer viergliedrigen Bildleiste auf dem Schwarzen Obelisken Salmanassars III. (859–824 v. u. Z.), welche die Huldigung des israelitischen Königs Jehu (845–817 v. u. Z.; 2 Kön 9f.) vor dem assyrischen Großkönig darstellt. Der Vasall hat sich vor dem Oberherrn zu Boden geworfen. Hinter diesem stehen königliche Bedienstete, hinter Jehu assyrische Offiziere sowie, auf den weiteren Teilbildern, dreizehn israelitische Lastträger, die schweren und kostbaren Tribut darbringen.© Z. Radovan/BibleLandPictures.comUnten links: Eines von zehn Reliefbildern an den Bronzetüren, die das Ostportal (die sog. Paradiespforte) des Baptisteriums San Giovanni in Florenz bilden, geschaffen 1424–1452 von Lorenzo Ghiberti (um 1378–1455): Ausschnitt aus der Darstellung ‚Adam und Eva‘; im Mittelpunkt steht die Erschaffung Evas: „Und Gott der HERR baute aus der Rippe, die er vom Menschen genommen hatte, eine Frau und brachte sie zu ihm.“ (Gen 2,22) Fotografiert von George Reader.Unten rechts: Detail der von Benno Elkan (1877–1960) geschaffenen Menora vor der Knesset in Jerusalem: Esra liest dem versammelten Volk das Gesetz Moses vor (Neh 8). Die Menora aus Bronze entstand 1956 in London und wurde im selben Jahr von den Briten als Geschenk an den Staat Israel übergeben. Dargestellt sind in insgesamt 29 Reliefs Themen aus der Hebräischen Bibel und aus der Geschichte des jüdischen Volkes.

Beate Ego

Tobit

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-020443-0

E-Book-Formate:

pdf: 978-3-17-038585-6

epub: 978-3-17-038586-3

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Diese Kommentierung stellt die antikjüdische Tobiterzählung in einen breiten traditionsgeschichtlichen Kontext, indem sie sowohl die darin enthaltenen Vorstellungen zu Engeln und Dämonen sowie zur antiken Medizin als auch ihre Torakonzeption analysiert. Außerdem wird eine synchron ausgerichtete Gesamtinterpretation vorgelegt, die zeigt, dass die Erzählung letztlich geschichtstheologisch zu verstehen ist. Sie macht deutlich, wie sich das antike Judentum in der Zeit der hellenistischen Herrschaft mit der Bedrohung durch die aggressive Politik der Großreiche auseinandersetzen konnte. Der Lobgesang des alten Tobit am Ende der Erzählung in Tob 13 eröffnet in diesem Kontext eine Hoffnungsperspektive für ihre Adressaten.

Prof. Dr. Beate Ego lehrt Exegese und Theologie des Alten Testaments an der Ruhr-Universität Bochum.

Inhalt

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

Vorwort der Verfasserin

Einleitung

Zur Anlage dieser Kommentierung

Einführung

Textüberlieferung

Synchrone Aspekte der Tobiterzählung

Gliederung und Struktur der Erzählung

Gattung(en)

Erzählstil

Figuren der Handlung

Wichtige Themen: Leitwörter, bedeutende Motive und Motivfelder

Diachrone Perspektiven der Tobiterzählung

Zur Literarkritik

Datierung und Entstehungsort

Biblische und außerbiblische Bezüge und traditionsgeschichtliche Aspekte

Biblische Referenzen

Außerbiblische antikjüdische Traditionen

Weitere Traditionen

Gesamtinterpretation

Textgeschichtliche Aspekte

Kanonizität und Wirkungsgeschichte

Kanongeschichtliche Aspekte

Wirkungsgeschichte

Die Buchüberschrift: Tobits Herkunft und seine Exilierung (1,1–2)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelanalyse

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Exposition: Tobits und Saras Leid, ihre Gebete und die Entsendung des Engels (1,3–3,17)

Der Lebensweg des frommen Tobit, seine Verzweiflung und sein Gebet (1,3–3,6)

Tobits Lebensmotto: Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (1,3)

Tobits toratreues Leben in der Heimat (1,4–9)

Tobits Barmherzigkeitstaten im Exil und seine Verfolgung (1,10–2,1a)

Die Bestattung eines Landsmanns und Tobits Erblindung (2,1b–10)

Der Streit mit Hanna und die Verhöhnung Tobits (2,11–14)

Tobits Verzweiflung und sein Gebet (3,1–6)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Saras Leid und ihr Gebet (3,7–15)

Saras Schicksal: Vom Dämon heimgesucht und von einer ihrer Mägde verspottet (3,7–10)

Saras Verzweiflung und ihr Gebet (3,11–15)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelexegese

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Erhörung der Gebete und die Entsendung des Engels Rafaël (3,16–17)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelexegese

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Der Hauptteil: Die Reise mit dem Engel und die Heilungen (4,1–14,1a)

Planung der Reise und Tobits Lebenslehre (4,1–21)

Tobit erinnert sich an das Silber bei Gabaël in Medien (4,1–2)

Tobits Lebenslehre (4,3–21)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung, Struktur und Gattung/Formen

Einzelanalyse

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Suche nach einem Reisebegleiter, Vereinbarungen und Abschied (5,1–6,1)

Die Suche nach einem Reisebegleiter und Vereinbarungen für die Reise (5,1–17a)

Verabschiedung und Hannas Schmerz (5,17b–6,1)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelexegese

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Von Ninive nach Ekbatana: ein bedeutsamer Fischfang und die Vorbereitung auf die Begegnung mit Sara (6,2–18)

Am Tigris: ein bedeutsamer Fischfang (6,2–9)

Das Gespräch über die Begegnung mit Sara: Heirat und Dämonenvertreibung (6,10–18)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelexegese

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Der Empfang bei Saras Familie in Ekbatana und Vorbereitungen für die Heirat (7,1–17)

Ankunft und Empfang bei Saras Familie (7,1–9a)

Vorbereitungen für eine außergewöhnliche Eheschließung (7,9b–17)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Vertreibung des Dämons und eine glückliche Hochzeit (8,1–21)

Die Vertreibung des Dämons und die Hochzeitsnacht (8,1–18)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelanalyse

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Rafaël holt das Silber bei Gabaël in Rages (9,1–6)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Heimreise naht (10,1–13)

In Ninive: Tobits und Hannas Sorge um ihren Sohn (10,1–7a)

In Ekbatana: Die Verabschiedung von Tobias und Sara (10,7b–13)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Heimkehr: Tobits Heilung und Saras Ankunft (11,1–18)

Tobias’ Wiedersehen mit den Eltern und Tobits Heilung (11,1–15)

Der Empfang Saras und die Hochzeitsfeier (11,16–18)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung, Struktur und bestimmende Motive

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Die Verabschiedung Rafaëls: Entlohnung, Mahnungen und Selbstoffenbarung (12,1–22)

Die Entlohnung des Reisebegleiters (12,1–5)

Rafaëls Abschiedsrede und seine Offenbarung (12,6–22)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung, Struktur und Gattung

Einzelauslegung

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Tobits Lobgesang: Gottes Erbarmen und das neue Jerusalem (13,1–14,1a)

Lobpreis des Erbarmens Gottes unter den Völkern (13,1–8)

Der Jubel im Neuen Jerusalem (13,9–14,1a)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Gliederung und Struktur

Einzelauslegung

Wichtige buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Der Epilog: Tobits Vermächtnis und seine Lebenserfüllung (14,1b–15)

Tobits Abschiedsrede, Tod und Begräbnis (14,1b–11)

Bis zum Tod des Tobias: Das Ende des Exils naht! (14,12–15)

Anmerkungen zu Text und Übersetzung

Synchrone Analyse

Einführung, Gliederung und Struktur

Einzelanalyse

Buchinterne Bezüge

Diachrone Analyse

Synthese

Anhang

Abkürzungen

Allgemein

Textversionen und Übersetzungen der Tobitüberlieferung

Weitere Quellen

Literatur

1. Tobit: Textausgaben und Kommentare

1.1 Textausgaben

1.2 Kommentare zu Tobit (Auswahl)

2. Weitere Quellen und Hilfsmittel

3. Weitere Forschungsliteratur

Register

Verzeichnis griechischer Wörter

Verzeichnis außerbiblischer Quellen (in Auswahl)

Schlagwortverzeichnis

Bibelstellenverzeichnis (in Auswahl)

Altes Testament

Neues Testament

Editionsplan

Vorwort der Herausgeberinnen und Herausgeber

Der Internationale Exegetische Kommentar zum Alten Testament (IEKAT) möchte einem breiten internationalen Publikum – Fachleuten, Theologen und interessierten Laien – eine multiperspektivische Interpretation der Bücher des Alten Testaments bieten. Damit will IEKAT einer Tendenz in der gegenwärtigen exegetischen Forschung entgegenwirken: dass verschiedene Diskursgemeinschaften ihre je eigenen Zugänge zur Bibel pflegen, sich aber gegenseitig nur noch partiell wahrnehmen.

IEKAT möchte eine Kommentarreihe von internationalem Rang, in ökumenischer Weite und auf der Höhe der Zeit sein.

Der internationale Charakter kommt schon darin zum Ausdruck, dass alle Kommentarbände kurz nacheinander in englischer und deutscher Sprache erscheinen. Zudem wirken im Kreis der Herausgebenden, Autorinnen und Autoren Fachleute unterschiedlicher exegetischer Prägung aus Nordamerika, Europa und Israel zusammen. (Manche Bände werden übrigens nicht von einzelnen Autoren, sondern von Teams erarbeitet, die in sich bereits multiple methodische Zugänge zu dem betreffenden biblischen Buch verkörpern.)

Die ökumenische Dimension zeigt sich erstens darin, dass unter den Mitwirkenden Personen christlicher wie jüdischer Herkunft sind, und dies wiederum in vielfältiger religiöser und konfessioneller Ausrichtung. Zweitens werden bewusst nicht nur die Bücher der Hebräischen Bibel, sondern die des griechischen Kanons (also unter Einschluss der sog. „deuterokanonischen“ oder „apokryphen“ Schriften) ausgelegt.

Auf der Höhe der Zeit will die Reihe insbesondere darin sein, dass sie zwei große exegetische Strömungen zusammenführt, die oft als schwer oder gar nicht vereinbar gelten. Sie werden gern als „synchron“ und „diachron“ bezeichnet. Forschungsgeschichtlich waren diachrone Arbeitsweisen eher in Europa, synchrone eher in Nordamerika und Israel beheimatet. In neuerer Zeit trifft diese Einteilung immer weniger zu, weil intensive synchrone wie diachrone Forschungen hier wie dort und in verschiedensten Zusammenhängen und Kombinationen betrieben werden. Diese Entwicklung weiterführend werden in IEKAT beide Ansätze engstens miteinander verbunden und aufeinander bezogen.

Da die genannte Begrifflichkeit nicht überall gleich verwendet wird, scheint es angebracht, ihren Gebrauch in IEKAT zu klären. Wir verstehen als „synchron“ solche exegetischen Schritte, die sich mit dem Text auf einer bestimmten Stufe seiner Entstehung befassen, insbesondere auf seiner Endstufe. Dazu gehören nicht-historische, narratologische, leserorientierte oder andere literarische Zugänge ebenso wie die durchaus historisch interessierte Untersuchung bestimmter Textstufen. Im Unterschied dazu wird als „diachron“ die Bemühung um Einsicht in das Werden eines Textes über die Zeiten bezeichnet. Dazu gehört das Studium unterschiedlicher Textzeugen, sofern sie über Vorstufen des Textes Auskunft geben, vor allem aber das Achten auf Hinweise im Text auf seine schrittweise Ausformung wie auch die Frage, ob und wie er im Gespräch steht mit älteren biblischen wie außerbiblischen Texten, Motiven, Traditionen, Themen usw. Die diachrone Fragestellung gilt somit dem, was man die geschichtliche „Tiefendimension“ eines Textes nennen könnte: Wie war sein Weg durch die Zeiten bis hin zu seiner jetzigen Form, inwiefern ist er Teil einer breiteren Traditions-, Motiv- oder Kompositionsgeschichte? Synchrone Analyse konzentriert sich auf eine bestimmte Station (oder Stationen) dieses Weges, besonders auf die letzte(n), kanonisch gewordene(n) Textgestalt(en). Nach unserer Überzeugung sind beide Fragehinsichten unentbehrlich für eine Textinterpretation „auf der Höhe der Zeit“.

Natürlich verlangt jedes biblische Buch nach gesonderter Betrachtung und hat jede Autorin, jeder Autor und jedes Autorenteam eigene Vorstellungen davon, wie die beiden Herangehensweisen im konkreten Fall zu verbinden sind. Darüber wird in den Einführungen zu den einzelnen Bänden Auskunft gegeben. Überdies wird von Buch zu Buch, von Text zu Text zu entscheiden sein, wie weitere, im Konzept von IEKAT vorgesehene hermeneutische Perspektiven zur Anwendung kommen: namentlich die genderkritische, die sozialgeschichtliche, die befreiungstheologische und die wirkungsgeschichtliche.

Das Ergebnis, so hoffen und erwarten wir, wird eine Kommentarreihe sein, in der sich verschiedene exegetische Diskurse und Methoden zu einer innovativen und intensiven Interpretation der Schriften des Alten Testaments verbinden.

Die Herausgeberinnen und HerausgeberIm Herbst 2012

Vorwort der Verfasserin

Die Tobiterzählung hat in den letzten Dekaden zunehmend das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Die Veröffentlichung der Textfunde vom Toten Meer von Joseph Fitzmyer im Jahre 1995 stellte dabei einen wichtigen Faktor dar. Ein weiterer Meilenstein war dann die Publikation der mittelalterlichen jüdischen aramäischen und hebräischen Tobittexte durch Stuart Weeks, Simon Gathercole und Loren Stuckenbruck (2004). Somit wurde die Erforschung des Textes auf eine neue Basis gestellt. Da in der Tobiterzählung zudem Themen und Motive wie „jüdische Identität und Diaspora“, „Magie und traditionelle Medizin“, „Engel und Dämonen“, „Tora“ und „Gebetsfrömmigkeit“ eine bedeutende Rolle spielen, kommt ihr auch in Diskursen im Kontext der antikjüdischen Religionsgeschichte eine Schlüsselposition zu. Ich selbst freue mich, dass ich an der Erforschung dieses Textes nunmehr seit Anfang der 90er Jahre teilnehmen darf und dass ich dabei immer Neues entdecken konnte.

Mit der Fertigstellung dieses Kommentars und am Ende eines langen Weges gilt es, Dank zu sagen. An erster Stelle sei hier die VolkswagenStiftung genannt, die meinen Antrag für das Projekt „Historisch-kritische Kommentierung der Tobiterzählung in ihren antik-jüdischen, frühchristlichen und mittelalterlich-jüdischen Versionen“ im Rahmen des Opus Magnum-Förderangebots positiv beschieden hat. Ihre Finanzierung einer Vertretungsprofessur erlaubte es mir, mich über zwei Jahre voll auf die Arbeit an diesem Kommentar zu konzentrieren (10/2016–9/2018). Frau PD Dr. Kathrin Liess, München, hat mich in dieser Zeit in der Lehre so umfassend vertreten, dass der Unterrichtsbetrieb an meinem Lehrstuhl ohne jegliche Einschränkung stattfinden konnte. Dank sei auch der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum sowie der Universitätsleitung für die großzügige Gewährung einer so langen „Auszeit“ vom universitären Alltagsgeschäft. Der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart, danke ich für die Genehmigung, den Tobittext aus „Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, © 2009, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart“ meiner Arbeit zugrunde legen zu dürfen.

Dann richtet sich der Blick auf all jene, die an der Arbeit selbst beteiligt waren, allen voran die wissenschaftlichen Hilfskräfte Sophia Daniel, Natalie Gabisch, Richard Jamison, Leonie Stör und Isabell Wolf; ein besonderer Dank geht an Karina Krainer, die das Projekt von Anfang an bis zum Abschluss mit viel Ausdauer und Sorgfalt begleitete. Dank sei auch dem Hauptherausgeber der IEKAT-Reihe Prof. Dr. Walter Dietrich für sein Engagement bei der Betreuung dieser Kommentierung sowie Florian Specker vom Lektorat des Kohlhammer-Verlages für seine Geduld und seinen Zuspruch bei der Fertigstellung des Manuskripts.

Schließlich danke ich all denen, die sich im Laufe der langen Zeit, in der diese Kommentierung entstanden ist, für Tobit und seine Familie, für Sara und Asmodäus und den Engel Rafaël interessiert und die mich durch ihre Fragen und ihre Geschichten sowie durch Einladungen zu Workshops und Vorträgen bei meiner Arbeit inspiriert haben. Geleitet war meine Arbeit an dieser Erzählung durch die Faszination für einen Text, in dem viele unterschiedliche Motive der antikjüdischen Vorstellungswelt zusammenfließen und dessen Tradenten immer neue Facetten ihres Stoffes erschlossen haben, die sowohl für die jüdische als auch für die christliche Tradition sinnstiftend wurden.

Einleitung

Zur Anlage dieser Kommentierung

Die Tobiterzählung (künftig: Tob) ist sowohl in hebräischer und aramäischer Sprache (so die fragmentarische Überlieferung der Texte von Qumran) bezeugt als auch in drei griechischen (GI, GII und GIII) sowie zwei lateinischen („Vetus Latina“ und „Vulgata“) Versionen. Wegen des fragmentarischen Charakters der Qumrantexte muss eine Kommentierung, die der gesamten Erzählung gerecht werden will, bei der griechischen Überlieferung ansetzen. Da die Langform GII, die hauptsächlich durch Ms. Sinaiticus belegt ist, die älteste und so gut wie vollständige Version der Erzählung repräsentiert und die dort fehlenden Abschnitte 4,7–19b und 13,6c–10 sich mit Hilfe des Kurztextes GI und der Vetus Latina relativ einfach rekonstruieren lassen,1 soll diese Version in der vorliegenden Kommentierung zum Ausgangspunkt genommen werden.2 Als Basis meiner Übersetzung diente die Übersetzung des Tobittextes in „Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung“, hg. von Wolfgang Kraus und Martin Karrer, © 2009, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Soweit keine gesonderten Verweise erfolgen, beziehen sich die Stellenangaben auf den Langtext, also die Version GII; die dort fehlenden Verse 4,7–19b und 13,6c–10 wurden rekonstruiert. Die Versangaben orientieren sich an der Septuaginta-Ausgabe von Robert Hanhart (1983).

Die einzelnen Abschnitte der Kommentierung sind wie folgt gegliedert: Nach einer Übersetzung des Textes nach der Version GII folgen zunächst Anmerkungen zur Übersetzung, in die knappe Hinweise zum Kurztext GI sowie zur Qumranüberlieferung und zur Vulgata eingeschlossen sind. Ziel dabei ist es, inhaltlich relevante Abweichungen knapp zu benennen. Um den Umfang dieses Kommentars in einem überschaubaren Rahmen zu halten, muss im Hinblick auf eine ausführliche Darbietung dieser Textversionen und ihrer einschlägigen Übersetzungen auf die bereits vorliegenden und leicht zugänglichen Publikationen verwiesen werden: Eine umfassende Präsentation aller Qumrantexte mit einem philologischen Fokus bieten Joseph Fitzmyer3 und Michaela Hallermayer4. Der Kurztext GI findet sich in Septuaginta Deutsch (2009)5 und die Überlieferung der Vulgata bietet die jüngst erschienene Übersetzung in der Reihe Tvscvlvm6. Die weiteren Ausführungen zum Text orientieren sich an dem durch die Kommentarreihe „Internationaler exegetischer Kommentar zum Alten Testament“ vorgegebenen Format und differenzieren deutlich zwischen einer synchronen und diachronen Betrachtung der Texte.7 Unter der Überschrift „Synchrone Analyse“ fragt der erste Hauptteil der Kommentierung vornehmlich nach der Struktur des Textes, der Erzählweise, nach wichtigen Motiven und der theologischen Aussage, wie sie dem Text unmittelbar entnommen werden können. Ein weiterer Hauptteil untersucht dann diachrone Aspekte des Textes. Da eine Kommentierung der Gesamterzählung mit einem Übersetzungstext arbeiten muss, erlaubt die Überlieferung des Buches nur begrenzt literarkritische Schlüsse. Vor diesem Hintergrund verzichtet die hier vorliegende Arbeit im Kommentarteil auf eine kleinteilige Literarkritik und bietet vor allem in der Einleitung einige grundlegende Informationen zu diesem Aspekt und ein „großflächiges“ Modell zur Literargeschichte. Umso aufschlussreicher sind im Hinblick auf die diachrone Struktur der Überlieferung jedoch die Bezüge zu älteren biblischen Texten sowie die traditionsgeschichtlichen Kontexte. Eine Synthese wird am Ende eines jeden Kapitels die vorangehenden Darlegungen zu einem knappen Gesamtbild zusammenfassen.

Die wichtigsten Einsichten zur Entwicklung vom Langtext GII zum Kurztext GI, zur Vulgata und zu nach-antiken jüdischen Überlieferungen werden, um den Umfang des Kommentars nicht zu sprengen, zusammenfassend in der Einleitung präsentiert. Eine durchgehende inhaltliche Kommentierung der Vulgata sowie eine ausführliche Präsentation der nach-antiken Texte und ihrer textgeschichtlichen Entwicklungen muss späteren Studien vorbehalten bleiben.

Somit liegt der Schwerpunkt der Kommentierung selbst – neben einer synchronen Betrachtung – auf der Traditionsgeschichte, wohingegen der Einleitungsteil neben den üblichen sog. „Einleitungsfragen“ auch wichtige textgeschichtliche Entwicklungen in ihren inhaltlichen Dimensionen behandelt.

Seit der Publikation der Fragmente aus Qumran ist das Interesse an Tob stetig gestiegen.8 Da diese Kommentierung in einem überschaubaren Umfang gehalten werden musste, war es mir nicht möglich, die zahlreichen Arbeiten zu Tob alle ausführlich zu diskutieren und zu würdigen. Allen Kolleginnen und Kollegen sei an dieser Stelle herzlich für ihre Beiträge gedankt, auch wenn nicht immer explizit auf diese verwiesen werden konnte.

Einführung

Das Tobitbuch erzählt die Geschichte des frommen und gerechten Tobit, der nach der assyrischen Eroberung in der Diaspora leben muss, dort unverschuldet erblindet und auf wundersame Art und Weise durch göttliche Hilfe, vermittelt durch einen Engel, geheilt wird. Dieser Handlungsstrang wird parallelisiert mit der Geschichte der Sara, die sich auch ihrerseits in größter Not befindet, da ein böser Dämon bereits sieben Männer, die sie heiraten wollten, vor der Hochzeit getötet hat, weshalb sie nun Schmach und Hohn ausgesetzt ist. Gott entsendet den Engel Rafaël, der – inkognito in Gestalt des jungen Mannes Azarias – wiederum Tobias, den Sohn Tobits, anweist, Herz, Leber und Galle eines Fisches einzusetzen, um Tobit und Sara von ihren Leiden zu befreien. Tobias und Sara werden zudem ein Paar und können somit das Gebot der Endogamie, das für den Erzähler ein wichtiger Bestandteil des Mosegesetzes ist, erfüllen. Letztlich aber wird die Rückkehr ins Heilige Land und in die herrlich erbaute Stadt Jerusalem erwartet. Das individuelle Schicksal der Protagonisten dient als Paradigma für das Geschick des Volkes und fungiert als Beispielgeschichte für dessen Erlösung.

Textüberlieferung

ÜberblickDie Textüberlieferung des Buches ist komplex. Außer den hebräischen bzw. aramäischen Qumranfragmenten liegen drei verschiedene griechische Textformen vor (der sog. Kurztext GI, der Langtext GII und eine Mischform GIII). Zu den älteren Übersetzungen gehören – neben einer syrischen, sahidischen, äthiopischen und armenischen Version – auch zwei lateinische Fassungen: die Vetus Latina und die Vulgata des Hieronymus. Während die Vetus Latina große Ähnlichkeiten mit dem Langtext GII aufweist, hat die Übersetzung des Hieronymus bei aller Nähe zur Vetus Latina eine ganz eigene Prägung. Darüber hinaus existieren noch fünf spätere, hebräische Textversionen sowie eine aramäische, die sich z. T. bis ins Mittelalter zurückverfolgen lassen. Es handelt sich um Rückübersetzungen der griechischen bzw. lateinischen Texte, die die Überlieferung frei gestalten.9

QumranDie Qumranfunde konnten eindeutig belegen, dass die Erzählung ursprünglich in einer semitischen Sprache verfasst wurde. So wurden im Jahre 1952 in Höhle 4 zahlreiche Einzelfragmente des Textes in aramäischer und hebräischer Sprache gefunden. Insgesamt handelt es sich um vier aramäischsprachige bruchstückhaft erhaltene Rollen (1–4) sowie ein hebräischsprachiges fragmentarisches Manuskript (5):

1. 4QpapToba ar (4Q196) ist auf Papyrus in späthasmonäischer Schrift geschrieben und auf ca. 50 v. Chr. zu datieren. Hier konnten 20 Fragmente von unterschiedlicher Länge identifiziert werden; 30 Teile sind unidentifiziert.

2. 4QTobb ar (4Q197) ist auf braune Lederfragmente geschrieben. Diese Abschrift wurde in frühherodianischer Formalschrift verfasst und kann in die Zeit zwischen ca. 25 v. Chr. und 25 n. Chr. datiert werden. Von dieser Kopie konnten fünf Fragmente identifiziert werden; zwei blieben unidentifiziert.

3. 4QTobc ar (4Q198) besteht aus zwei Fragmenten auf dünnem gegerbtem Leder. Die Schrift kann als späthasmonäische oder frühherodianische „book hand“ mit einigen semikursiven Elementen klassifiziert werden und ist zeitlich ungefähr um 50 v. Chr. anzusetzen. Die beiden Fragmente enthalten anscheinend Teile von Tob 14; allerdings kann das zweite nicht klar zugeordnet werden.

4. 4QTobd ar (4Q199) wird von zwei Einzelfragmenten auf braunem Leder repräsentiert. Der Text ist in hasmonäischer Schrift geschrieben und kann auf ca. 100 v. Chr. datiert werden. Es handelt sich damit um den ältesten uns erhaltenen Text des Tobitbuches.

5. 4QTobe hebr (4Q200), das einzige hebräischsprachige Fragment, besteht aus neun Einzelfragmenten auf Leder. Die Schrift kann als frühe herodianische „formal hand“ bezeichnet werden, die zwischen ca. 25 v. Chr. bis 25 n. Chr. anzusetzen ist. Es sind insgesamt 11 Fragmente enthalten; die Identifizierung von zwei Fragmenten ist unsicher.

Überblick über die Qumranfragmente 4Q196–200

4QpapToba ar4QTobb ar4QTobc ar4QTobd ar4QTobe hebr1 1,172 1,19–2,23 2,34 2,10–115 3,51 3,6–81 i 3,66 3,9–151 ii 3,10–117 3,178 4,29 4,52 4,3–910 4,711 4,21–5,12 4,21–5,13 5,212 5,93 5,12–1413 6,6–84 i 5,19–6,1214 i 6,13–184 ii 6,12–1814 ii 6,18–7,64 iii 6,18–7,101 7,1115 7,135 8,17–9,44 10,7–95 11,10–1416 12,117 i 12,18–13,66 12,20–13,417 ii 13,6–127 i 13,13–1418 13,12–14,31 14,2–67 ii 13,18–14,219 14,72 14,10 (?)2 14,108 ?20–49 ?6–7 ?9 3,3–4

Schließlich existiert noch ein Fragment Schøyen Ms. 5234 zu Tob 14,3–6.

Die Fragmente aus Qumran weisen einige Charakteristika auf, die für die Schreiberpraxis in Qumran typisch sind. Das Aramäische wird als Mittelaramäisch klassifiziert, das anderen nichtbiblischen Texten aus Qumran, wie z. B. dem Genesis-Apokryphon oder dem Hiobtargum, ähnelt und in die Zeit zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem Anfang des 2. Jh.s n. Chr. zu datieren ist. Die Sprache des hebräischen Fragments stellt dagegen ein Beispiel eines spät-nachexilischen Hebräisch dar.

Ein viel diskutiertes Problem seit der Entdeckung dieser Fragmente ist die Frage, welche Textform – die aramäische oder die hebräische – als Original anzusehen ist. Erschwerend für eine Entscheidung ist das Faktum, dass zwar 20 Prozent des aramäischen, aber nur sechs Prozent des hebräischen Textes erhalten sind und es nur wenige Überlappungen der beiden Überlieferungen gibt, sodass ein direkter Vergleich längerer Passagen nicht möglich ist. Insgesamt hat sich in den letzten Jahren die Tendenz zu der Annahme, dass die Erzählung zunächst auf Aramäisch verfasst und dann ins Hebräische übersetzt wurde, verstärkt. Als wichtiges Argument kann angeführt werden, dass die Erzählung aufgrund zahlreicher Motivparallelen als Bestandteil eines breiteren Korpus aramäischer Texte aus der Zeit des Zweiten Tempels verstanden werden kann.10 Durch die Übersetzung des Textes ins Hebräische erhielt das Buch eine größere Autorität.11

Die griechischen VersionenAls weitere Stufe der Textgeschichte lässt sich die Erzählung in den griechischen Versionen greifen, nämlich in

– GI – repräsentiert durch den Codex Vaticanus (4. Jh.), den Codex Alexandrinus (5. Jh.) und den Codex Venetus (8. Jh.) sowie durch eine Anzahl von Minuskelhandschriften;

– GII – repräsentiert durch den Codex Sinaiticus (4. Jh.; es fehlen 4,7–19b und 13,6i–10b) sowie die Minuskelhandschrift 319 (3,6–6,16),

– GIII – repräsentiert durch die Handschriften 106 und 107 (auf 6,9–12,22 beschränkt).12

Seit der Entdeckung des Codex Sinaiticus in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Frage nach dem Verhältnis von GI zu GII zum zentralen Thema der Tobitforschung. Nach langer Diskussion13 hat sich in den letzten Jahren vor dem Hintergrund, dass die Qumrantexte im Wesentlichen der Form des Langtextes entsprechen, zunehmend der Konsens durchgesetzt, dass GII die ältere Textform darstellt, die in GI überarbeitet wurde. Die sprachliche Grundtendenz dieser Revision besteht in einer Kürzung des Textes sowie in seiner Glättung, welche die stark semitisierende Sprachform von GII in ein flüssigeres Griechisch umarbeitet. GIII wiederum kann als eine gegenüber GI und GII nochmals sekundäre Textform bestimmt werden, die grundsätzlich GII zuzuordnen ist, aber auch Textelemente von GI übernommen hat.14 Allerdings gibt es auch Fälle, bei denen die Überlieferung von Qumran mit der Überlieferung von GI zusammengeht. Dies deutet darauf hin, dass die uns vorliegenden Texte der Version GII nicht deren älteste Version repräsentieren, sondern bereits eine spätere Abschrift eines nicht mehr vorhandenen Originals darstellen, in welche sich im Überlieferungsprozess kleine Veränderungen eingeschlichen haben. Ob diese frühere griechische Version eine hebräische oder aramäische Vorlage hatte, kann wegen der geringen Textbezeugung nicht entschieden werden.15

Lateinische VersionenDie griechischen Texte bilden wiederum die Grundlage für die lateinischen Versionen.

Vetus LatinaDie Vetus Latina, von der bislang keine kritische Edition vorliegt, setzt GII als Vorlage voraus16 und spielt deshalb für die Rekonstruktion von GII eine bedeutende Rolle. Wichtige alte Handschriften sind u. a. Codex Regius 3564, die Alcalà-Bibel und Codex Reginensis 7.17

VulgataAls weitere lateinische Übersetzung ist die Vulgata des Hieronymus aus dem Jahre 404 zu nennen. Nach seinem eigenen Zeugnis, das er in der dazugehörenden Vorrede gibt, entstand diese Übersetzung an einem einzigen Tag. Ein Dolmetscher übertrug den Text vom Aramäischen ins Hebräische, aus welchem Hieronymus dann ins Lateinische übersetzte. Diese Schilderung erklärt den paraphrastischen Charakter des Textes, der sowohl zu den aramäischen Texten aus Qumran als auch zu den griechischen Versionen häufig große Differenzen aufweist. Wenn die Vulgata aber oft eine große Nähe zu der Vetus Latina zeigt, so wird deutlich, dass sich Hieronymus bei seiner Arbeit auch dieser als Vorlage bediente.18

Weitere antike ÜbersetzungenNeben den griechischen und lateinischen Übersetzungen liegt noch eine Reihe weiterer alter Übersetzungen ins Syrische, Koptische, Äthiopische, Armenische, Georgische und Arabische vor. Die syrische Version ist ein Mischtext aus allen drei griechischen Versionen mit z. T. ganz eigenständigen Traditionen.19 Für die anderen Überlieferungen spielt GI als Vorlage eine wichtige Rolle, aber auch andere Lesarten (GIII und auch GII) konnten einfließen.20

Die nach-antiken jüdischen ÜberlieferungenSchließlich existieren noch mehrere nach-antike hebräische sowie eine aramäische Version der Erzählung aus mittelalterlicher bzw. noch späterer Zeit, nämlich „Hebraeus Münster“ (1542; basierend auf Ms. Konstantinopel 1516), „Hebraeus Fagius“ (1542; nach Ms. Konstantinopel 1519), „Hebraeus Londini“ (ed. Gaster 1897; nach dem Ms. der British Library, Add. 11639, 13. Jh.); „Hebrew Gaster“ (ed. Gaster 1897, nach einem verloren gegangenen Manuskript aus dem 15. Jh. von Gaster selbst erstellt [Codex Or. Gaster 28]) und Ozar ha-Qodesch (Druck Lemberg 1851, Manuskript unbekannt) sowie einer aramäischen Version (ed. Neubauer 1878; nach Bodleian Hebrew Ms. 2339).21 Diese Texte, die keine direkten Fortführungen der alten semitischsprachigen Tradition darstellen, sondern vielmehr freie Rückübersetzungen aus dem Griechischen bzw. Lateinischen sind, zeigen sowohl midraschähnliche Erweiterungen als auch paraphrastische Verkürzungen und Auslassungen.22

Synchrone Aspekte der Tobiterzählung

Gliederung und Struktur der Erzählung

Vor dem Hintergrund, dass der Langtext GII die älteste uns vorliegende und fast vollständige Fassung der Erzählung bietet, wird diese die Basis für die vorliegende Kommentierung bilden. Die Geschichte lässt sich in Buchüberschrift, Exposition, Hauptteil und Epilog gliedern:

1,1–2 Die Buchüberschrift: Tobits Herkunft und seine Exilierung

1,3–3,17 Die Exposition: Tobits und Saras Leid, ihre Gebete und die Entsendung des Engels

1,3–3,6 Der Lebensweg des frommen Tobit, seine Verzweiflung und sein Gebet

1,3 Tobits Lebensmotto: Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

1,4–9 Tobits toratreues Leben im Land

1,10–2,1a Tobits Barmherzigkeitstaten im Exil und seine Verfolgung

2,1b–10 Die Bestattung eines Landsmanns und Tobits Erblindung

2,11–14 Der Streit mit Hanna

3,1–6 Tobits Verzweiflung und sein Gebet

3,7–15 Saras Schicksal und ihr Gebet

3,7–10 Saras Leben: Vom Dämon heimgesucht und von einer ihrer Mägde verspottet

3,11–15 Saras Verzweiflung und ihr Gebet

3,16–17 Die Rettung naht: Die Entsendung des Engels Rafaël

4,1–14,1a Der Hauptteil: Die Reise mit dem Engel und die Heilungen

4,1–21 Planung der Reise und Tobits Lebenslehre

4,1–2 Tobit erinnert sich an das Silber bei Gabaël

4,3–21 Tobits Lebenslehre

5,1–6,1 Suche nach einem Reisebegleiter, Vereinbarungen und Abschied

5,1–17a Suche nach einem Reisebegleiter und Vereinbarungen

5,17b–6,1 Die Verabschiedung und Hannas Schmerz

6,2–18 Von Ninive nach Ekbatana: ein bedeutsamer Fischfang und die Vorbereitung auf die Begegnung mit Sara

6,2–9 Am Tigris: ein bedeutsamer Fischfang

6,10–18 Das Gespräch über die Begegnung mit Sara: Heirat und Dämonenvertreibung

7,1–17 Der Empfang bei Saras Familie in Ekbatana und die Vorbereitungen für die Heirat

7,1–9a Ankunft und Empfang bei Saras Familie

7,9b–17 Vorbereitungen für eine außergewöhnliche Eheschließung

8,1–21 Die Vertreibung des Dämons und eine glückliche Hochzeit

8,1–18 Die Hochzeitsnacht mit der Vertreibung des Dämons

8,19–21 Das Antrauungsmahl

9,1–6 Rafaël holt das Silber bei Gabaël in Rages

10,1–13 Die Heimreise naht …

10,1–7a In Ninive: Tobits und Hannas Sorge um Tobias

10,7b–13 In Ekbatana: Die Verabschiedung von Tobias und Sara

11,1–18 Die Heimkehr: Die Heilung Tobits und die Ankunft Saras

11,1–15 Tobias’ Wiedersehen mit den Eltern und die Heilung Tobits

11,16–18 Der Empfang Saras und die Hochzeitsfeier

12,1–22 Die Verabschiedung Rafaëls: Entlohnung, Mahnungen und Selbstoffenbarung

12,1–5 Die Entlohnung des Reisebegleiters

12,6–22 Rafaëls Abschiedsrede und seine Offenbarung

13,1–14,1a Tobits Lobgesang: Gottes Erbarmen und das neue Jerusalem

13,1–8 Lobpreis des Erbarmens Gottes unter den Völkern

13,9–14,1a Der Jubel im Neuen Jerusalem und Schluss

14,1b–15 Der Epilog: Tobits Vermächtnis und seine Lebenserfüllung

14,1b–11 Tobits Abschiedsrede, Tod und Begräbnis

14,12–15 Bis zum Tod des Tobias: Das Ende des Exils naht!

In ihrem Hauptteil weist die Erzählung eine konzentrische Struktur23 auf:

Überschrift1,1–2Buch der Geschichte …; Genealogie ­TobitsExposition1,3–3,17Tobits und Saras Not und der Heilsplan GottesA4,1–21Lebenslehre Tobits für Tobias als ­Abschiedsrede vor seiner Reise, um das Geld bei Gabaël zu holenB5,1–6,1Suche eines Reisebegleiters, Lohnvereinbarungen und ­VerabschiedungC6,2–8,17Auf dem Weg von Ninive nach ­Ekbatana, Fischfang, Vertreibung des ­Dämons und Antrauungsmahl mit SaraD9,1–6Rafaël holt das Geld bei GabaëlC'10,1–11,19Gespräche über die Heimkehr,Rückreise von Ekbatana nach Ninive, Heilung Tobits und HochzeitsfeierB'12,1–22Das Entlohnungsangebot für den Reisebegleiter und die Selbstvorstellung des EngelsA'13,1–14,1aTobits LobgesangEpilog14,1b–15Lebenserfüllung und Vermächtnis

Gattung(en)

Die Geschichte kann als eine romanhafte Lehrerzählung mit stark didaktischer Tendenz24 bezeichnet werden. Sie weist im Kernteil Tob 2–12 zahlreiche volkstümliche, humoristische Elemente auf;25 durch die Rahmung in Tob 1; 13 und 14 wird der Ton dann aber weitaus ernster. Die kunstvolle Verschränkung der Handlungsstränge sowie das Motiv der Zusammenführung der beiden Liebenden erinnert an die Gattung des hellenistischen Romans. Allerdings ist die Erzählung im Gegensatz zu den klassischen Beispielen dieser Gattung sehr zurückhaltend im Hinblick auf die Darstellung der Sexualität. Auch das Thema der Zusammenführung der Liebenden ist hier abgewandelt, denn für den hellenistischen Roman ist es typisch, dass die Liebenden getrennt werden, um dann nach vielen Abenteuern und Gefahren wieder zusammenzufinden.26

Diese komplexe Erzählung enthält wiederum weitere literarische Formen, die in die Redeelemente eingebaut sind: Hier ist an erster Stelle Tobits Testament (4,3–19) zu nennen, das aus einer Ansammlung von weisheitlichen Ermahnungen und Sentenzen besteht, sowie – ganz ähnlich im Duktus – die Offenbarungsrede des Engels (12,6–20). Testamentähnlichen Charakter haben auch Tobits Worte kurz vor seinem Tod (14,3–11), wobei hier aber neben den weisheitlichen Ermahnungen zum Tun der Barmherzigkeit (mit dem Verweis auf Achikar als eine Art Beispielgeschichte) (14,8–11) auch ein eschatologischer Geschichtsausblick (14,4–7) enthalten ist.

Als weitere eigenständige Gattung erscheinen Gebete und Dankeshymnen (3,2–6.11–15; 8,5–8.15–17; 13,1–18; siehe unten zu „Wichtige Motive“), die in die Handlung integriert sind und die Protagonisten charakterisieren. Dabei kommt dem Dankeshymnus (13,1–18), der wiederum aus zwei Teilen (Diaspora- und Jerusalemhymnus) besteht, aufgrund seines Umfangs und seiner exponierten Position am Ende der Erzählung besondere Bedeutung zu.

Erzählstil

Für den Großteil der Geschichte ist der Stil szenischen Erzählens, der vor allem aus kürzeren Dialogen besteht, vorherrschend. Durch dieses Stilmittel kommen Erzählzeit und erzählte Zeit oft zur Deckung und so wird die Leserschaft schnell in die Handlung hineingenommen. Darüber hinaus enthält die Erzählung aber auch längere Redeeinheiten (3,1–6; 4,3–21; 12,6–20; 13,1b–18; 14,3–11).27 Die Rahmenteile Tob 1,3–22 und 14,1–15 haben eher summarischen Charakter, insofern hier ein weit gespannter Rückblick auf Tobits Leben gegeben wird. Auffällig ist der Erzählerwechsel. Das Buch beginnt nach der Überschrift (1,1–2) mit der Ich-Erzählung des alten Tobit (ab 1,3) und wechselt dann, wie es der Stoff erfordert, mit der Geschichte der Sara in die 3. Pers. (3,7). Diese Perspektive wird bis zum Buchende beibehalten. Man hat überlegt, diesen Wechsel literarkritisch zu erklären (siehe unten Diachronie), allerdings kongruiert der Erzählerwechsel nicht mit gängigen literarkritischen Modellen. Außerdem kennen auch andere frühjüdische Erzählungen (so Esr, Neh, GenAp) einen solchen Wechsel der Erzählperson.28

Wenn ab Tob 3,7 einerseits ein Erzähler spricht, der einen deutlichen Wissensvorsprung gegenüber seinen Figuren hat, und andererseits auch häufig – durch den szenischen Erzählstil – die Figurenstimmen zu hören sind, die von den metaphysischen Hintergründen des Geschehens zunächst ja noch nichts wissen, so zeigt die Geschichte insgesamt eine ironische Komponente – so insbesondere, wenn von der Begleitung eines „guten Engels“ (vgl. 5,22) die Rede ist. Vor allem die Kernerzählung Tob 2–12 enthält solche Momente, zu denen auch die Episode vom Ausheben des Grabes während der Hochzeitsnacht gehört (8,9f.).29

Die Erzählung weist eine ganz besondere Art der Spannung auf, die man als „anticipatory suspense“ bezeichnet hat. Im Gegensatz zur „suspense of uncertainty“, bei der der Ausgang der Ereignisse tatsächlich noch offen erscheint, ist ab Tob 3,16–17 mit der Nachricht von der Entsendung des Engels klar, dass die Geschichte mit der Heilung Tobits und Saras enden wird. Offen – und auch das erzeugt natürlich wieder Spannung – bleibt allerdings, wie dies im Einzelnen geschehen soll, und die Kunst des Erzählers besteht dabei nicht zuletzt darin, die beiden Lebensfäden von Tobit und Sara miteinander zu verknüpfen.30

Typisch für die Erzählweise des Buches ist es auch, bestimmte Ereignisse, die sich zeitgleich zutragen, nebeneinander zu stellen. Das beste Beispiel hierfür ist die „Parallelschaltung“ der Geschicke Tobits und Saras, die beide in ihrem jeweiligen Gebet kulminieren (1,3–3,6; 3,7–15) und die mit der Entsendung des Engels zusammengeführt werden (3,16f.). Darüber hinaus wird auch von der Hochzeitsnacht sowohl in der Innen- als auch in der Außenperspektive erzählt (8,1–18), und schließlich thematisiert Tob 10,1–13 die Heimkehr Tobias’ sowohl aus dem Blickwinkel seiner Eltern als auch aus dem der Brauteltern. Die kunstvolle Verflechtung der verschiedenen Erzählstränge sowie ihre Zusammenführung können als Stilmittel verstanden werden, das die göttliche Führung des Geschehens zum Ausdruck bringt.31 Sehr gerne gibt der Erzähler auch einen Einblick in die Gefühlswelt und die Emotionen der Protagonisten und bietet somit in rezeptionsästhetischer Hinsicht das Identifikationspotential, das der Leserschaft die mentale Partizipation an dem Geschehen ermöglicht.32

Figuren der Handlung

Im Zentrum der Erzählung stehen die Figuren Tobit, Sara und Tobias, deren Schicksale eng verbunden sind. Weitere wichtige Figuren, die das Geschehen begleiten, sind Hanna, Tobits Frau, die Brauteltern Raguël und Edna sowie Gabaël in Medien. Namentlich genannt werden zudem noch Achikar und sein Neffe Nadab. Durch den Verweis auf die Assyrerkönige Salmanassar V. (726–722 v. Chr.; siehe 1,2.13.15), Sanherib (704–681 v. Chr.; siehe 1,15) und Asarhaddon (680–669 v. Chr.; siehe 1,21f.) spannt der Erzähler ein Koordinatensystem auf, das das Geschehen in einen zeitlichen Rahmen stellt. Weitere Akteure sind Gott, der Engel Rafaël und der Dämon Asmodäus. Wichtige Figuren, die namentlich nicht genannt werden, sind die Person, die Tobit wegen seiner Bestattung der Toten beim König anzeigt (1,19), die Nachbarn, die ihn verspotten (2,8), Tobits mitexilierte Brüder, die ihn bemitleiden (2,10), Saras Mägde (3,8f.) sowie die Einwohner Ninives bzw. die Juden, die sich über Tobits Heilung wundern und sich mit der Familie nach der Ankunft Saras freuen (11,16f.; siehe dort zum Begriff „Juden“.).

Tobit, Tobias und SaraIm Hinblick auf eine Charakterisierung der Figuren sind insbesondere die Figurenstimmen bedeutsam, da der Erzähler selbst in der Erzählstimme keine expliziten Aussagen über den Charakter der Protagonisten macht. Dabei kommt der Figur Tobits eine besondere Rolle zu, da die Erzählform in der 1. Pers. am Anfang des Buches (1,3–3,6) einen deutlichen Blick auf seinen frommen Charakter und seine emotionale Verfasstheit ermöglicht. Für Saras Darstellung ist ihr Gebet (3,11–15) bedeutsam. Tobias wird durch den gesamten Handlungskontext als gehorsamer Sohn porträtiert, für den das Gebot des Vaters höchste Priorität hat. Eine sehr persönliche Zeichnung findet sich bei Hanna, insofern diese sich mit der Lebenshaltung und dem Geschick ihres Mannes auseinandersetzt (2,11–14) und sie zudem ihren Schmerz und ihre Trauer um das Ergehen ihres Sohnes zum Ausdruck bringt (5,18–20; 10,4–7a). Der Erzähler lenkt den Blick immer wieder auf die Welt der Frauenfiguren und ihre emotionale Verfasstheit;33 allerdings fällt dennoch auf, dass Frauen im Vergleich mit den männlichen Protagonisten eine eher passive Rolle spielen.34

Gott als FigurGott wirkt – so das Gottesbild der Tobiterzählung – im Verborgenen; nirgends wird erzählt, dass Gott direkt in das Geschehen eingreift. Er kann Leid bringen, was als Strafe oder Züchtigung verstanden wird (μαστιγόω – so 11,15), erhört aber schließlich die Gebete der Protagonisten, indem er den Engel Rafaël entsendet, der ihnen Hilfe und Rettung bringt (3,16f.). Somit lässt die Erzählung keinen Zweifel daran, dass Gott sich der Frommen erbarmt (8,16f.; 11,17) und all das Gute gewirkt hat, das den Protagonisten begegnet (10,13; 11,17; 12,22). Gottes Handeln erscheint ansonsten noch im Kontext der Geschichte, insofern er in seiner Gerechtigkeit sein Volk bestrafen oder züchtigen kann (μαστιγόω – 13,2.5.9; vgl. auch 3,5 mit dem Hinweis auf Gottes Gerichtshandeln), aber auch hier hat letztlich seine erbarmende Zuwendung das letzte Wort (ἐλεέω – 13,2.5.9).

In diesem Kontext finden sich auch passive Formulierungen, die im Sinne eines passivum divinum verstanden werden können (siehe z. B. 13,10; 14,4). Während in den zahlreichen Abschnitten, in denen die Figurenstimmen reden (sei es direkt oder indirekt), Gott relativ häufig erwähnt wird (siehe insbesondere die Gebete und Tobits Weisheitslehre in 4,3–19, aber auch 10,13; 11,16), kommt er in den Passagen, in denen der Erzähler direkt spricht, selten vor (so nur 3,16f.). Die meisten Nennungen zeigen sich in den drei letzten Kapiteln in der Abschiedsrede des Engels (12,6–20), im Lobgebet Tobits (13) und in seiner Sterberede (14,3–11). Insbesondere der Hymnus in Tob 13 nennt Gott sehr häufig. Wenn so „fast ausschließlich die Figuren der Erzählung Gott im Munde [führen], sei es in ihrem monologischen Erzählen und Reden, sei es in Gesprächen miteinander oder in Gebeten […], erhält das Reden von Gott einen persönlichen Anstrich und die Qualität des Bekennens zu der Gottheit.“ Somit kann das Reden der Figuren „von und zu Gott“ als „exemplarisch vorbildhaft“ beschrieben werden.35

In GII erscheinen v. a. folgende Gottesbezeichnungen bzw. -namen: „Gott“, „Herr“, „Gott/Herr des Himmels“, „Gott Israels“, „Höchster“ sowie „König“, „(heiliger) Name“ und „unser Vater“.

– Die häufigste Gottesbezeichnung ist ὁ θεός, „Gott“. Der Begriff erscheint in GII insgesamt über 50-mal, in der Regel mit dem bestimmten Artikel (vgl. aber 3,11 und 8,15 im Vokativ).36

– An zweiter Stelle steht die Gottesbezeichnung κύριος mit fast 30 Belegen.37 In ungefähr der Hälfte der Fälle ist dieses Wort mit dem bestimmten Artikel verbunden;38 fünf der Belege haben, stets ohne Artikel, den Vokativ κύριε.39

– κύριος und ὁ θεός können auch miteinander kombiniert werden, dann trägt das an zweiter Stelle stehende Wort θεός den Artikel.40

– Manchmal treten beide Gottesbezeichnungen mit dem nachfolgenden Genitivattribut τοῦ οὐρανοῦ41 oder τοῦ οὐρανοῦ καὶ τὴς γής42 auch miteinander verknüpft auf („Herr / Gott des Himmels [und der Erde]“). In diesem Kontext findet sich auch je einmal die Verbindung ὁ θεὸς τῶν πατέρα ἡμῶν, „der Gott unserer Väter“ (8,5).

– GII hat darüber hinaus einmal ὁ θεὸς τοῦ Ισραηλ, „der Gott Israels“ (13,18). Hinzu kommt die Kombination mit Personalpronomina im Genitiv.43

– Die Gottesbezeichnung ὕψιστος, „Höchster“, erscheint nur einmal (1,13).

– Weitere Gottesbezeichnungen sind βασιλεύς, „König“ (auffallend häufig in 13),44 sowie τὸ ὄνομα τὸ ἅγιον, „der heilige Name“45 bzw. τὸ ὄνομα, „der Name“46. Schließlich ist auch die Gottesbezeichnung „unser Vater“ (13,4) belegt.47

Karin Schöpflin weist darauf hin, dass alle Gottesbezeichnungen der profanen Sprache entstammen und – mit Ausnahme der Bezeichnung „der Name“– „jeweils Spitzenpositionen innerhalb eines sozialen Gefüges (beschreiben) und […] somit Relationsbegriffe“ sind. Auch wenn die Texte vom Namen Gottes sprechen, wird dieser selbst doch nie genannt, „sodass Gott streng genommen namenlos bleibt“.48

RafaëlDie Wirksamkeit des Engels Rafaël, der zum Medium des göttlichen Rettungshandelns wird, umfasst eine Vielzahl von Funktionen, und er erscheint in ganz unterschiedlichen Rollen, so als Gebetsmittler (12,12), als Thronengel (12,15; siehe auch 3,16), als Wegbegleiter und Schutzengel (5–11 passim), als Offenbarer medizinischen Wissens (6,5.7–9; 11,4.7f.), als Brautwerber (7,9), als Dämonenvertreiber (8,3) sowie als Unterweiser in der Tora (6,10–18) und als Weisheitslehrer und Lehrer des rechten Gotteslobs (12,6–15.17–20).49

AsmodäusRafaëls Gegenspieler ist der Dämon Asmodäus. Auch diese Figur hat unterschiedliche Facetten: Asmodäus wirkt mit der Tötung der Ehemänner zunächst als Schadensdämon, dessen Aggressivität nicht näher erklärt ist (3,8). In diese Richtung deutet auch der hebr. Name „Aschmodai“ (der allerdings in den Qumranfragmenten nicht erhalten ist und erst in späteren Texten erscheint), denn er weckt Assoziationen an den hebräischen Begriff שׁמד hif., „ausrotten, vernichten“.50 Wenn seine „Entfernung“ oder „Lösung“ im Kontext der Mission Rafaëls als „Heilung“ verstanden werden kann (so 3,17), dann scheint der Dämon eine Art Krankheit zu verkörpern. Asmodäus kann als Symbolisierung einer Infektionskrankheit verstanden werden: Während Sara zwar infektiös ist, aber keine Symptome zeigt, hat diese für die betroffenen Männer einen tödlichen Ausgang. Dies erklärt die Aussage, dass Asmodäus Sara in Liebe verbunden ist (so 4Q196 14 i 4; Ms. 319; 6,15 GI); es klingt hier aber auch die Vorstellung von einem Incubus-Dämon51 an. Solche Dämonen zeigten sich in nächtlichen sexuellen Träumen, die wiederum als Grund für Erkrankungen angesehen werden konnten. Insofern der Dämon die endogamen Ehen Saras verhindert, die wiederum in der Vorstellungswelt der Erzählung dem Gebot der Tora entsprechen, fungiert er als Gegenspieler eines toragemäßen Lebens und als ein Feind Israels. Der Dämon kann mit Räucherwerk vertrieben werden (6,8.14f.17; 8,2f.); außerdem wird er von Rafaël noch gefesselt, sodass er fortan keinen Schaden mehr anrichten kann (8,3).52

Wichtige Themen: Leitwörter, bedeutende Motive und Motivfelder

Die Erzählung enthält verschiedene Leitwörter, die sich wiederum zu Motiven und schließlich auch zu Motivfeldern zusammenfassen lassen und die auf deren zentrale Themen verweisen. Diese Felder können sich berühren oder sogar überschneiden. Wenngleich ihnen unterschiedliche narrative Funktionen und Bedeutungen zukommen (die an anderer Stelle noch weiter zu differenzieren wären), so durchziehen sie doch die gesamte Erzählung.

„Exil vs. Jerusalem“Ein Motiv, das gleich am Anfang der Erzählung erscheint, ist das der Gefangenschaft bzw. des Exils. Hier stehen die Begriffe αἰχμαλωσία, „Gefangenschaft“, αἰχμαλωτεύω/αἰχμαλωτίζω, „in Gefangenschaft führen“, αἰχμάλωτος, „Gefangener“, im Zentrum. Tobit gehört zu der Gruppe der Nordisraeliten, die unter Salmanassar (726–722 v. Chr.) ins Exil nach Ninive geführt wurden (1,2), wo er seinen „Brüdern“ viele Wohltätigkeiten erweist und dafür mit Verfolgung, Enteignung und sozialer Schmach bezahlen muss (1,3.10–20; 2,1–7; zum Begriff siehe 1,3.10). Auch im Verlauf der Kerngeschichte wird immer wieder auf die Exilserfahrung rekurriert: So erklärt Tobit in seinem Gebet die Exilierung mit seinen eigenen Sünden und denen seines Volkes (3,3–6; zum Begriff 3,4). Auch Sara spricht in ihrem Gebet davon, dass sie sich im „Land der Gefangenschaft“ befindet (3,15); zudem verweisen Tobias und sein Reisebegleiter bei ihrer Vorstellung im Hause Raguëls auf ihre Zugehörigkeit zu den Exilierten (7,3).

Die Verbindung zwischen den Sünden des Volkes und der Exilierung findet sich auch in Tobits Hymnus am Ende des Buches unter dem Stichwort διασπείρω (13,3) bzw. διασκορπίζω (13,5) mit der Bedeutung „zerstreuen“. Tobits Hymnus macht deutlich, dass das Exil der Ort sein soll, an dem Gottes mächtiges Handeln vor den Völkern bekannt wird. Israel wird so zum Zeugen seines Gottes in der Völkerwelt (13,1–6). Im Neuen Jerusalem sollen dann auch die Gefangenen erfreut werden (13,10). In seinem Geschichtsausblick schaut Tobit auf das Babylonische Exil (14,4). Das Buch endet mit dem Untergang Ninives, und so ist es schließlich das stolze Reich der Assyrer selbst, das die Schmach und das Leid der Exilierung tragen muss (14,15).53

Gegenpol zur Exilserfahrung ist das Leben im Land und in Jerusalem. Dieses Motiv (und damit die Spannung „Exil vs. Land“) wird ebenfalls gleich am Anfang eingebracht: Explizit verweist der Erzähler auf Tobits Herkunft aus Nordgaliläa und lässt den Protagonisten dann in der Ich-Form auch über sein Leben im Land vor seiner Exilierung berichten, in dem er regelmäßig nach Jerusalem wallfahrtete (1,4–8). Hier findet eine Verbindung mit dem Motiv des „Mosegesetzes“ statt (1,8:νόμοςΜωσῆundἐντολή; 1,6: πρόσταγμα αἰώνιον).

Auch beim Gespräch mit dem künftigen Reisebegleiter seines Sohnes erscheint die Erinnerung an Tobits Wallfahrten nach Jerusalem (5,14). Das Thema ist zudem auch integraler Bestandteil der Zukunftshoffnung: So wird das Endogamiegebot mit der Landgabe verbunden (4,12), und am Ende des Buches erscheint das Motiv der Rückkehr nach Jerusalem als ein breites Thema, insofern Tobit in seinem Hymnus das Neue Jerusalem als eine Stadt des Jubels besingt, in der die Gefangenen erfreut und in die auch die Völker mit ihren Gaben strömen werden (13,8–18). Ebenso verweist Tobit in seinem Geschichtsausblick kurz vor seinem Tod auf die Rückkehr der gesamten Gola und die Erbauung Jerusalems (14,5–7).54 Tobits Pilgerschaft nach Jerusalem kann so als eine Antizipation der eschatologischen Jerusalemwallfahrt gesehen werden; die für die Heilszeit erhofften Ereignisse werden aber alles Frühere überbieten.

Barmherzigkeitstaten, Armut und ReichtumDie Erzählung setzt das Milieu einer wohlhabenden Schicht voraus, und Tobit scheint – zumindest in seinen guten Jahren – ein reicher Mann gewesen zu sein. Hätte er nicht über ein bestimmtes Vermögen verfügt, hätte er seine Landsleute nicht in ihrer Bedürftigkeit unterstützen können (1,16–20; 2,2–7); auch die Mahnungen zum Almosengeben (4,6–11.16–17) oder zur korrekten Bezahlung eines Lohnarbeiters (4,14) ergeben nur dann Sinn, wenn sie sich an ein Publikum richten, das zumindest einen gewissen finanziellen Spielraum hat. Auch die Beschreibung seines Mahls deutet auf diesen Aspekt hin (2,1f.). Ein wichtiges Handlungselement, das mit dem Reichtum der Familie verbunden ist, ist das bei Gabaël im fernen Medien deponierte Vermögen (1,14), das durch die erfolgreiche Reise des Tobias wieder in den unmittelbaren Besitz der Familie kommt (vgl. 4,1.20; 5,3.6; 9,1–6; 10,2; 11,15; 12,3; oft mit expliziten Vor- und Rückverweisen55). Auch die Heirat mit Sara hat positive Auswirkungen auf das Vermögen der Familie (8,21; 10,10; 14,13).

Aber auch Tobits Verwandtschaft macht einen prosperierenden Eindruck. Für Achikar ist das ganz offensichtlich (1,22), ebenso muss Saras Familie über gewisse finanzielle Freiheiten verfügt haben, wenn reichlich aufgetischt werden kann (7,9; 8,19f.; 9,6) und für die Reise der Brautleute auch Dienstpersonal und Reittiere zur Verfügung stehen (9,2.5).

Das Thema des Reichtums klingt auch durch den Namen „Tobit“ an, da er Assoziationen an die Familie der Tobiaden – einer begüterten Adelsfamilie im spät-nachexilischen Judentum – weckt (siehe zu 1,1).

Die Geschichte zeigt aber problematische Seiten des Reichtums: So findet sich in den Worten Hannas nach dem Abschied ihres Sohnes („Es soll ja nicht das Silber zum Silber kommen …“; 5,19f.) eine eindeutige Kritik an dessen Überschätzung, und die Fragilität des Reichtums bzw. des Besitzes wird durch Tobits eigenes Schicksal nur zu deutlich: Wegen der Unsicherheit auf den Straßen ist Tobit nach dem Regierungsantritt Sanheribs (704–681 v. Chr.) in seiner Aktivität als Fernhandelskaufmann eingeschränkt und kann somit nicht mehr seiner Erwerbstätigkeit nachgehen (1,15); als er wegen der Bestattung seiner Landsleute verfolgt wird, verliert er sein Vermögen (1,20), und nach seiner Erblindung ist er nicht mehr in der Lage, für seinen Unterhalt und den seiner Familie zu sorgen (so implizit durch 2,10 und 2,11). In diesen Situationen ist Tobit auf die Solidarität seiner Verwandtschaft (i. e. Achikar; 1,22; 2,10) bzw. seiner Frau (2,11) angewiesen.

Innerhalb dieses breiten biographischen Rahmens kommt der Wertschätzung solidarischen Handelns eine bedeutende Rolle zu. Die Begriffe ἀλήθεια, „Wahrheit“, δικαιοσύνη, „Gerechtigkeit“, und ἐλεημοσύνη, „Barmherzigkeit bzw. Almosen“, durchziehen die Erzählung wie ein roter Faden und können als Leitwörter gelten.56 Alle drei Begriffe finden sich gleich am Anfang (1,3) und kehren sowohl in den erzählenden Abschnitten als auch in Redeelementen unterschiedlichster Art wieder. Dabei können aber auch nur einzelne Begriffe der Trias erscheinen. Durch die verschiedenen Belege ergibt sich eine Sinndimension, welche die gesamte Erzählung überspannt: Die Begriffe werden am Anfang programmatisch eingeführt, dann durch die Handlung bestätigt, um schließlich in der Rede des Engels am Ende der Geschichte reflektiert und gleichzeitig auf die Zukunft hin entfaltet zu werden.57 Speziell die Gabe von Almosen (eine mögliche Übersetzung des Terminus ἐλεημοσύνη, die sich aus dem Kontext ergibt58) wird in der Abschiedsrede Tobits thematisiert (4,6–11.16–17). In diesem Kontext erfolgt des Weiteren eine explizite Verbindung mit den göttlichen Geboten und Weisungen (vgl. die Rahmung 4,5 und 4,19). Zudem wird der Gebotsgehorsam mit der Wendung „Gottes gedenken“ zusammengefasst (4,5f.).59 Ein weiterer Rekurs auf die Thematik findet sich in der Rede des Engels (12,8–10; hier wieder alle drei Begriffe) sowie am Ende der Erzählung, wenn es heißt, dass Tobit auch nach seiner Erblindung weiterhin barmherzige Taten wirkte (14,2). Durch Tobits Rede vor seinem Tod wird der Anspruch einer solchen Praxis an die nächste Generation weitergegeben (14,8.9, ebenfalls alle drei Begriffe) und es erfolgt so eine Art „Verstetigung“ dieser Haltung.60

Tobit wird als Vorbild eines solchen solidarischen Handelns präsentiert (vgl. den programmatischen Einsatz in 1,3), der sich auch in extremen Krisensituationen nicht vom praktischen Tun der Barmherzigkeit abhalten lässt. Er erweist – unter Einsatz seiner gesicherten Existenz – seinen mitexilierten Brüdern viele Barmherzigkeitstaten, indem er sie speist, bekleidet und bestattet (1,16–20; 2,2–7; vgl. ἐλεημοσύνη siehe 1,16). Trotz seiner persönlichen Krise, in der ihm seine Frau vorhält, dass seine Haltung der Barmherzigkeit und Gerechtigkeit zu nichts nütze war (vgl. 2,11–14 mit ἐλεημοσύνη und δικαιοσύνη), bleibt er seinen Idealen treu. In seinem Gebet schickt er sich in seine Situation und betont Gottes Gerechtigkeit und Barmherzigkeit (3,1–6), und im Anschluss daran ermahnt er seinen Sohn zu einem Leben in Gerechtigkeit und Wahrheit (4,5f.).

Die gesamte Motivik impliziert einen narrativen Diskurs über den Tun-Ergehen-Zusammenhang. In Tobits Gebet (3,1–6) wird deutlich, dass „Barmherzigkeit“, „Gerechtigkeit“ (hier als Adjektiv) und „Wahrheit“ nicht nur menschliche Ideale, sondern auch göttliche Wirkgrößen darstellen (3,2). Insofern Gottes Handeln an Tobit als Barmherzigkeitshandeln zusammengefasst werden kann (11,17: ἐλεέω) und Tobit am Ende seines Lebens seinen Wohlstand auch wieder erlangt (14,2), steht die gesamte Motivik im Kontext eines funktionierenden Tun-Ergehen-Zusammenhangs: Derjenige, der seinen Nächsten barmherzige Taten erweist, erfährt auch die Barmherzigkeit Gottes. Dieser Zusammenhang wird in einem Subplot, d. h. einer Art Nebenhandlung, auch durch die Figur Achikars veranschaulicht, der als Exempel dafür dient, dass barmherziges Handeln letztlich belohnt wird (14,10f.).61 Am Ende der Erzählung soll dann in der Beschreibung des „Neuen Jerusalem“ mit seiner Lichtherrlichkeit (13,11; siehe auch 13,16f.) die spirituelle Dimension des Reichtums anklingen.

Tod und BestattungEin Sonderfall der Barmherzigkeitstaten ist die Bestattung. Tobit begräbt die Toten seines Volkes, die zu Opfern der Verfolgung wurden, als Ausdruck der Nächstenliebe (1,17–19; 2,3–8). Dieses Verhalten bringt ihm aber zunächst nur Unglück, da er vom König verfolgt (1,19f.) sowie von den Nachbarn (2,8) und auch seiner Frau (2,14) verspottet wird. Schließlich erblindet Tobit sogar in unmittelbarem Zusammenhang mit einer solchen Tat (2,9f.). In seinem Testament befiehlt er seinem Sohn, dass er ihn und seine Mutter würdig in einem Doppelgrab bestatten solle (4,3f.). Auf diesen Befehl, die Eltern zu bestatten, rekurriert Tobias, um zu begründen, dass er sein Leben nicht durch eine Heirat mit Sara riskieren möchte (6,15). Eine Ironisierung des Motivs findet während der Hochzeitsnacht statt, wenn der Brautvater Raguël in seiner Furcht, seinen künftigen Schwiegersohn könnte dasselbe Unglück ereilen wie dessen Vorgänger, ein Grab ausheben lässt (8,9f.), das dann aber glücklicherweise nicht benötigt wird, sodass er die Grube unbenutzt wieder zuschaufeln kann (8,18). Schließlich bestattet Tobias tatsächlich am Ende der Geschichte – in Entsprechung zur Lebenslehre Tobits (4,3) – seinen hochbetagten Vater (14,1.11), seine Mutter (14,12) und seine Schwiegereltern (14,13). Das Motiv ist nicht nur im Hinblick auf die Demonstration der Frömmigkeit Tobits bedeutsam, sondern zeigt auch, dass diese Frömmigkeit schließlich von Gott belohnt wird – ist es doch dieses Handeln, das den Engel Rafaël dazu bringt, das Gebet Tobits zu Gott zu bringen (12,12). In der Rede des Engels werden die negativen Folgen, die sich aus der Bestattung der Toten ergeben, auch als Probe interpretiert. Wenn der Sohn Tobias das Gebot der Elternbestattung, das zu der Weisheitslehre seines Vaters gehörte, befolgt, so zeigt er sich zudem als gehorsamer und vorbildlicher Sohn.62

Wege und ReisenEin weiterer Schwerpunkt bezieht sich auf das Motivfeld „Wege und Reisen“, vertreten durch die Begriffe ὁδός, „Weg“, πορεύομαι, „reisen“, und εὐοδόω, „Gelingen haben“. Der Begriff πορεύομαι erscheint ebenfalls gleich am Anfang der Erzählung für die Wallfahrt nach Jerusalem (1,6f.), für Tobits Weg ins Exil (1,10), für seine Handelsreisen nach Medien (1,14f.) sowie sein Weg zu den Ärzten nach seiner Erblindung (2,10). Aber auch Tobias’ Suche in der Stadt nach einem Bedürftigen, der mit dem Vater speisen soll (2,3), wird mit diesem Begriff bezeichnet. Im Zentrum stehen allerdings die Aussagen mit πορεύομαι, die sich auf die Reise nach Ekbatana (5,2.3.4.5.6.9.10.16.17.21; 6,1.6.18) bzw. Rages (9,2.5) und den Rückweg von dort (11,4) bzw. die gesamte Reise (10,1.5.6; 11,6; 12,1) beziehen.63 Dabei ist eine Verbindung mit ὁδός häufig. Der Begriff kann aber auch isoliert erscheinen und sich direkt auf den konkreten Weg beziehen, auf dem Hanna ihren Sohn sehnsüchtig erwartet (11,5). Schließlich kann πορεύομαι auch für Tobits freies Einherschreiten nach seiner Heilung auf dem Weg zum Stadttor (11,16) verwendet werden.

Eine besondere Rolle spielt das Wort εὐοδόω: Im Gespräch mit seiner Frau bringt Tobit seine Überzeugung zum Ausdruck, dass die Reise ihres Sohnes gelingen wird (5,22), und schließlich preist Tobias (10,13) bzw. Tobit Gott für den erfolgreichen Ausgang der Reise.64 Zudem findet sich auch eine übertragene Bedeutung des Begriffs εὐοδόω, insofern Raguël wünscht, dass Gott Tobias und seiner Tochter für die Eheschließung Gelingen schenken möge (7,12; 10,11).

Begleitet werden diese konkreten Angaben zu Reise und Weg durch eine metaphorische Verwendung der Begrifflichkeit. Tobit geht auf den Wegen von Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Wahrheit (1,3), bekennt aber in seinem Gebet, dass das Volk („wir“) nicht in Wahrheit auf den Wegen Gottes gewandelt sei (3,5). In seiner Abschiedsrede weist Tobit seinen Sohn an, dass er nicht auf den Wegen der Ungerechtigkeit gehen solle (4,5) bzw. dass er von Gott das Gelingen seiner Pläne erbitten möge (4,19). Diejenigen, die die Wahrheit tun, werden in ihren Werken Gelingen haben (4,6).

Krankheit und HeilungEin weiteres Wortfeld ist dem Thema der „Krankheit“ und „Heilung“ gewidmet. Hier ist zunächst Tobits Blindheit zu nennen. Tob 2,10 erzählt von seiner Erblindung, und nach seinem Gebet wird Rafaël zu seiner Heilung entsandt (3,17). Da Tobit nichts von diesem hintergründigen Wirken Gottes weiß, beklagt er bei der Begegnung mit Azarias seinen Zustand (5,10). Implizit klingt das Motiv der Blindheit auch beim Fischfang und dem Ausnehmen der Innereien an, insofern Rafaël hier von einer Medizin gegen Blindheit sprechen kann (6,9). Dann verweist Raguël bei der Begrüßung von Tobias und Azarias explizit auf Tobits Blindheit (7,7), und der Kreis schließt sich, als Tobit bei der Rückkehr seines Sohnes geheilt werden kann und Gott lobpreist (11,8.10–17). In Tob 12,3 bezieht sich Tobias explizit auf die Heilung des Vaters zurück; Tob 12,13f. deutet die Erblindung Tobits nicht als unglücklichen Zufall, sondern als göttliche Prüfung. Tob 14,2 schließlich wirft einen Blick auf die biographische Einbindung der Erblindung Tobits: Danach erblindete er im Alter von 62 Jahren.65

Die Erzählung kennt zwei verschiedene Begriffe für das Heilungshandeln, nämlich ἰάομαι und θεραπεύω. Der Begriff ἰάομαι findet sich bei der Entsendung des Engels Rafaël (3,17) sowie in dessen Worten (siehe den Zuspruch für Tobit in 5,10 und den Rückblick des Engels in 12,14). Θεραπεύω dagegen erscheint im Kontext des Versuches Tobits, sich bei den Ärzten Hilfe zu holen (2,10), sowie bei Tobias’ Rückblick auf das Geschehen (12,3). So wird deutlich, dass das Heilungsgeschehen hier aus zwei Perspektiven beleuchtet wird: ἰάομαι steht für Heilungen, die im Kontext des göttlichen Rettungshandelns erfolgen, wohingegen bei θεραπεύω ein solcher Referenzrahmen nicht gegeben bzw. dem Sprecher nicht offenbar ist.66

Tob 3,17 (ἰάομαι) sowie Tob 12,3 (θεραπεύω) zeigen, dass auch die Vertreibung des Dämons (ein „böser Geist“), der eine Begegnung (ἀπάντημα) mit einem Menschen hat (6,8), als Heilungshandeln verstanden wird.

Weitere Begriffe aus dem Wortfeld „Heilung“ sind φάρμακον sowie die damit verbundenen Fischinnereien Herz, Leber und Galle, aus denen das Räucherwerk gegen den Dämon und die Augensalbe für den Vater hergestellt werden (6,4.7; 11,8.11; siehe auch 2,10 allgemein als Arznei bei Augenkrankheiten). In Tob 2,10 werden auch die Ärzte (ἰατρός) genannt.

Die Heilungen selbst sind dann ganz unterschiedlich beschrieben: Die Augensalbe soll aufgestrichen (ἐγχρίω) bzw. auf die Augen gehaucht (ἐμφυσάω) (6,9) oder geschmiert (ἐμπλάσσω) werden, sodass sie die weißen Flecken zusammenzieht (ἀποστύφω) und abschält (ἀπολεπίζω) (11,8). Beim Heilungsakt selbst bläst (ἐμφυσάω) Tobias dem Vater in die Augen, er trägt die Salbe auf (ἐπιβάλλω) und reicht sie ihm dar (ἐπιδίδωμι), dann werden die weißen Flecken mit den Händen abgeschält (ἀπολεπίζω) (11,11–13). Diese Unterschiede zwischen den einzelnen Abschnitten könnten darauf hindeuten, dass der Erzähler über die Abfolge der Handlungen („in die Augen blasen“ – „die Salbe aufstreichen“) beim Heilungsakt keine exakten Vorstellungen hatte.

Die Heilung vom Dämon soll dadurch erfolgen, dass dieser „gelöst“ oder „geschieden“ (ἀπολύω) wird (3,17). Bei der eigentlichen Vertreibung (wo allerdings der Begriff ἰάομαι nicht erscheint) wird er dann durch den Geruch zurückgehalten (κωλύω) und entweicht (ἀποτρέχω) nach Ägypten, wo er gefesselt (δέω) wird (8,3).

FamilieEin wichtiges Motiv der Erzählung ist das der Familie. Bereits der Buchanfang (1,1) zeigt durch den detaillierten Stammbaum die Bedeutung von familiären Strukturen.67 Der Wert der Familie äußert sich dann auch im Gespräch Tobits mit dem künftigen Reisebegleiter seines Sohnes, insofern er sich genau nach dessen Herkunft erkundigt und überglücklich ist, dass er die Verwandtschaft des jungen Mannes kennt (siehe 5,11–14). Auch die Begrüßungsszenen mit ihren z. T. stark emotional aufgeladenen Darstellungen unterstreichen die Bedeutung familiärer Strukturen (Tobias bei Raguël und Edna – 7,1–8; Gabaël beim Mahl bei Raguël – 9,6; Tobit und Sara – 11,17). In diesem inhaltlichen Rahmen steht auch die Verabschiedung Saras durch Vater und Mutter (10,12). Eine besondere Form der familiären Bindung äußert sich in Hannas Sorge um ihren Sohn, wobei hier auch, neben der Mutterliebe, materielle Aspekte mitschwingen können (5,18–20; 10,4–7a). Schließlich spielt die Thematik am Ende der Erzählung nochmals eine Rolle, insofern Tobit seinem Sohn und dessen Kindern eine Unterweisung über die künftigen Ereignisse der Geschichte ihres Volkes und die Bedeutung von Barmherzigkeitstaten erteilt (14,8.9).68 Neben dem Vater Tobit (siehe auch 4,3–21) erscheinen auch die Vorfahren, seien es allgemein die Erzväter (4,12) oder konkreter Ahnen aus der Familie (1,8: Debora), als bedeutsame Autoritäten.69

Das Buch kennt aber auch Ansätze, die Familie zur Sippe hin zu entgrenzen; ja sogar das ganze Volk oder zumindest alle Exilierten können als eine Art Familie dargestellt werden. Dies belegt die Verwendung des Begriffes ἀδελφός, „Bruder“, der im Tobitbuch ein weites und manchmal etwas unklares Bedeutungsspektrum hat. Er kann sowohl den leiblichen Bruder bezeichnen (so 1,21) als auch einen Verwandten (so eindeutig 3,15; 7,10) oder eine Person aus derselben Sippe (4,12). Darüber hinaus wird der Begriff auch allgemein für einen Stammesgenossen (5,13.14; evtl. 5,17) oder für einen Menschen aus dem Volk Israel (so 1,10.16f.; 2,2; 14,4) verwendet. In diesem Kontext scheint der Bezug zum Exil eine wichtige Rolle zu spielen (so 1,3.10.16f.; 2,2; siehe auch 4,13). Oft ist auch eine konkrete Zuordnung nicht möglich (z. B. 1,3.5; 5,17; 7,11a). Der Begriff erscheint vor diesem Hintergrund auch häufig in der Anrede der Figuren untereinander. Neben der Zugehörigkeit zum selben Volk sind hier die verwandtschaftlichen Beziehungen bedeutsam (so insbesondere in den Dialogen in Kap. 5, 6 und 7). Die wiederholte, fast monotone Verwendung bringt dabei die enge Verbindung der Figuren untereinander zum Ausdruck. Wird der Begriff für Menschen aus dem Volk Israel verwendet, so werden die Exilierten wie eine große Familie dargestellt. Wenn am Ende der Erzählung ganz Israel in Jerusalem versammelt wird (13,9–18) und zudem alle Völker den Gott Israels preisen (13,11; 14,6f.), so kommt insgesamt eine zunehmende Universalisierung zum Ausdruck.70

Eine andere Abwandlung der Vorstellung einer Familie erfolgt insofern, als der Begriff „Bruder“ bzw. „Schwester“ für den Status des Ehegatten benutzt werden kann (so 7,11: „von nun an bist du ihr Bruder, und sie ist deine Schwester“; für Schwester siehe auch 10,12). In Tob 10,12 verwendet Edna den Begriff „Bruder“ zur Anrede ihres Schwiegersohnes; daneben erscheint der Begriff „Schwester“ auch als Anrede der Ehefrau durch ihren Mann (siehe 5,21; 7,15; 10,6; siehe auch 7,9.11, wo Raguël Sara als Schwester des Tobias bezeichnet).71

Ehe und ­HochzeitIn engem Bezug zur Familie stehen die Motive „Ehe“ und „Hochzeit“.72 Bereits der Verweis auf die Eheschließung Tobits mit Hanna (1,9; die Wendung ἐκ τοῦ σπέρματος τῆς πατριᾶς ἡμῶν) macht deutlich, dass für die Erzählung das Prinzip einer sippeninternen Endogamie wichtig ist.73

Im Kontext der Handlung betont Rafaël in Tob 6,13, dass die Eheschließung mit Sara „nach der Bestimmung des Buches des Mose“ (κατὰ τὴν κρίσιν τῆς βίβλου Μωυσέως) erfolgen soll; in Tob 6,16 wird das Gebot, Sara zu heiraten, zudem explizit mit dem Endogamiegebot verbunden, das bereits Bestandteil der Lebenslehre des Vaters war (allerdings ohne die entsprechende Begrifflichkeit). Die „Tora des Mose“ ist auch die Leitlinie für den Prozess der Eheschließung zwischen Tobias und Sara (7,10–13). Im Hintergrund dieser Anweisung steht die Erbtöchtertora aus Num 36,6–9