Tod an der Gera - Katharina Schendel - E-Book

Tod an der Gera E-Book

Katharina Schendel

4,9

Beschreibung

Eine Serie von mysteriösen Mordfällen erschüttert das idyllische Städtchen Arnstadt. Die Polizei steht vor einem Rätsel, denn es scheint keine Verbindung zwischen den Toten zu geben. Ist in Thüringen die blanke Mordlust ausgebrochen, oder sind es die Taten eines Wahnsinnigen, der seine Opfer zufällig auswählt? Der in Berlin lebende japanische Kriminalist Takeo Takeyoshi, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Fallanalyse, glaubt weder das eine noch das andere. Gemeinsam mit Stadtchronist Hubertus Schmunk begibt er sich auf eine Spurensuche, die ihn tief in die Vergangenheit führt.

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Katharina Schendel wurde 1979 in Karlsburg geboren und studierte Geschichte, Kommunikationswissenschaften und Japanologie. Nach längeren Aufenthalten in Tokio und London zog es sie in ihre Heimat Thüringen zurück. Heute lebt sie dort mit ihrem Mann und ist im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit tätig. »Tod an der Gera« ist ihr erster Kriminalroman.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto: photocase.de / cydonna Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-237-1 Thüringen Krimi Originalausgabe

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Für Dorothea und Holger – meine Helden

Teil 1

1

Wenn Maik Brennike geahnt hätte, dass er am Montag sterben würde, dann hätte er das Wochenende blaugemacht. Er wäre bis zum späten Nachmittag im Bett geblieben, um sich ganz seinen drei Lieblingsbeschäftigungen hinzugeben: Schlafen, Fernsehen und Nichtstun. Nach dem Aufstehen hätte er sich ein ordentliches Frühstück gegönnt, mit Sekt statt Bier und mit Bratkartoffeln, Rühreiern und kross gebratenem Speck statt der üblichen fünf Zigaretten. Dann wäre er zu seiner Mutter gefahren und hätte das Kriegsbeil begraben. Das nach all der Zeit langsam schon an zu rosten, und tief in seinem Inneren empfand er tatsächlich so etwas wie Liebe für sie. Nur fiel es ihm schwer, das zuzugeben. Ja, er wäre zu ihr gefahren, hätte sie gedrückt und ihr gesagt, dass er sie lieb habe und sie sich bloß keine Sorgen um ihn machen solle. Dass sie nicht schuld an seinem verkorksten Leben sei. Am Abend hätte er sich mit seinen Kumpels getroffen und die Party des Jahrhunderts steigen lassen. Die Discos und Kneipen der Umgebung gecheckt, ein paar Mädels aufgerissen und sich mit seiner bevorzugten Mischung aus Marihuana, Wodka und lauter Musik in knallbunte Sphären geraucht.

Doch Maik Brennike hatte keine Ahnung, dass sein Leben sehr bald enden würde. Über den Tod machte er sich keine Gedanken. Das hatte er noch nie getan. Nicht einmal, als sein Vater gestorben war. Darum spulte er auch an diesem Wochenende das gleiche Programm ab wie schon in den ganzen Wochen und Monaten zuvor.

Am Samstagmorgen torkelte er schlaftrunken in sein winziges Bad, schaute in einen verdreckten, kaputten Spiegel, der über dem Waschbecken hing, und gähnte. Er bleckte kurz die windschiefen Zähne, dann hielt er seinen Kopf unter den Wasserhahn. Das eiskalte Wasser verursachte einen heftigen Schmerz, als würde sein Kopf in einen Schraubstock gespannt und langsam zermalmt werden. Nach einer Weile ließ der Schmerz nach, und ein Gefühl der Erlösung machte sich in ihm breit. Er tauchte wieder auf, rubbelte erst sein Gesicht, dann seine stoppeligen matschbraunen Haare trocken.

Maik blickte noch einmal in den Spiegel. Wie Anfang vierzig sah er aus, obwohl er gerade erst einundzwanzig geworden war. Strafmündig. Das Wort dröhnte unheilvoll in seinen Ohren.

In den Knast wollte er nie wieder. Das war der Antrieb, der ihn dazu brachte, jeden Abend den Wecker zu stellen, jeden Morgen aufzustehen und den Kopf unter den Wasserhahn zu halten. Sechs Monate Jugendgefängnis hatten ihm voll und ganz gereicht. Mehr war nicht nötig. Danke auch.

Maik Brennikes Karriere als Kleinkrimineller hatte damit begonnen, dass er mit sechzehn die Schule geschmissen hatte und in das blühende Geschäft mit Partydrogen eingestiegen war. Ein waschechter Dealer war er gewesen. Ganz schön cool. Damals. Doch heute sah es anders aus. Sozialdienst und Ausbeuterjobs standen nun auf dem Plan. Für Spaß und Action blieb ihm kaum noch Zeit.

Maik beendete seine morgendliche Körperpflege mit einem billigen Deospray und steckte sich eine Kippe an. Die erste des Tages war immer die Beste.

In der Küche kramte er in einer Dose etwas Kaffeepulver zusammen, entschied sich dann kurzfristig doch für ein kühles Bier. Bei der zweiten Zigarette griff er zum Telefon und wählte die Nummer von Natalie. Sie war seine längste Beziehung bisher: Seit dreieinhalb Monaten hatten sie regelmäßigen Telefonsex. Heute brachte sie ihn besonders gut in Fahrt, und Glimmstängel Nummer drei ging dabei drauf.

Die Zigarette danach genoss er, indem er einfach nur dasaß und ins Leere glotzte. Bei Kippe fünf blätterte er in einem uralten Comic-Heft. An der Stelle, wo Tom der Kater auf eine Rakete geschnallt durch die Luft saust und die kleine Maus Jerry triumphierend das Streichholz auspustet, musste Maik herzhaft lachen.

Zehn Minuten nach neun verließ er seine Wohnung. Die Frühlingssonne schien hell, und es roch nach frischem nassem Grün. In den Bäumen zwitscherten vergnügte Vögel. Er drückte sich die Kopfhörer seines MP3-Players in die Ohren. Im Takt dumpfer Bässe stapfte er in Richtung Schlossgarten. Er achtete nicht auf die Menschen um ihn herum, und auch die frisch erblühten Tulpen und Narzissen fielen ihm nicht auf. Der Weg war für ihn wie eine muffige Röhre aus grauem Beton, und er ging ihn stur und gedankenleer geradeaus.

Sein sozialer Sühneplan sah vor, dass er täglich vier Stunden im Schlossgarten den Dreck wegmachte. Man hatte ihn dazu verdonnert, dort, wo er früher nachts mit seinen Kumpels gefeiert und selbst jede Menge Müll produziert hatte, den Abfall von anderen Menschen wegzuräumen. Im Namen des Volkes. Es war wirklich zum Kotzen.

Was da alles rumlag. Alte Zeitungen und leere Verpackungen waren ja noch harmlos. Aber schmutzige Klobürsten, madenzerfressene Brotreste oder benutzte Kondome waren wirklich eine Schweinerei. Am meisten ekelte er sich vor den braunen Hundehaufen, die überall auf den Wiesen vor sich hin stanken.

Sie waren eine ganze Gruppe von Müllsammlern. Bis auf ihn und den alten Frank, der ebenfalls Pech gehabt hatte und hier seine Strafe ableistete, waren es in der Hauptsache Ein-Euro-Jobber.

So ein Fuck-Mist. Maik klaubte mit der Stockzange leere Bierflaschen und verstreut herumliegende Kippen auf.

Er sah in den Himmel. Ein Flugzeug zog hoch über ihm hinweg und hinterließ einen langen weißen Kondensstreifen im verlockenden Blau. Schon lange träumte er davon, wegzugehen und das alles hier hinter sich zu lassen. Einfach abdüsen. Nach New York oder Chicago.

Arnstadt war keine Weltmetropole. Ein kleines verschlafenes Kaff, das war es. Und ein dreckiges dazu. Was hielt ihn hier nur fest? Er war wirklich eine Memme.

Nach getaner Arbeit ruhte er sich auf einer Parkbank aus und aß eine Bratwurst. Dann nahm er den Bus und fuhr in die Stadtilmer Straße. Die Pizzeria »Mio Mario« hatte ihn vor einigen Wochen als Lieferjungen eingestellt. Miese Bezahlung und eine Schrottkarre von Lieferauto, aber immerhin ein Job.

Zwölf Lieferungen waren es an diesem Abend. Wie ein Roboter fuhr er durch die dunklen leeren Straßen, suchte nach Hausnummern und streckte fremden Menschen lauwarme Pizzaschachteln entgegen. Nicht ein einziges Mal gab es Trinkgeld für ihn. Natürlich nicht.

Kurz vor Mitternacht stopfte er eine Pizza Margarita in sich hinein. Viel lieber hätte er eine mit Schinken und Bockwurst gegessen, doch wenn es schon mal was umsonst gab, konnte man nicht so wählerisch sein. Dann trottete er nach Hause und fiel wie ein Stein ins Bett.

Am Sonntag wiederholte sich das Szenario, allerdings mit zwei Ausnahmen. Natalie hatte ihren Anrufbeantworter eingeschaltet und war nicht zu erreichen. Und Maik Brennike, der sich durch einen weiteren öden Tag schleppte, kam nie wieder zu Hause an.

Es passierte auf dem Heimweg. Maik nahm wie immer die Abkürzung durch den Schlossgarten. Wie immer war er tief in seine Musik versunken. Sein Blick war nach unten gerichtet, und er lief arglos durch die Dunkelheit.

Völlig unerwartet traf ihn ein harter Schlag und ließ ihn ohnmächtig zu Boden gehen.

Als er die Augen wieder aufschlug, pochte ein dumpfer Schmerz in seinem Kopf. Er lag auf dem Rücken und sah über sich die Sterne blinken. Sonst war alles dunkel. Seine Arme und Beine waren taub, und auch mit größter Anstrengung konnte er sie nicht bewegen. Auf der Suche nach der Ursache dieses Problems drehte er den Kopf zur Seite.

Er sah einen dicken eisernen Strang, der unter seinem Haupt entlangführte und sich zu seinen beiden Seiten in der Dunkelheit verlor. Etwas weiter konnte er einen zweiten, parallel laufenden Strang erkennen.

Maik erschrak. Seine Handgelenke waren direkt neben seinem Kopf an eine Bahnschiene gefesselt.

Nur einen halben Meter von ihm entfernt lag sein MP3-Player. Aus den Kopfhörern dröhnten die Bässe. Auch seine Beine waren gefesselt, woran, konnte er aber nicht erkennen. Er versuchte sich loszureißen, doch die Fesseln gaben keinen Millimeter nach.

Sein etwas zögerlicher Versuch, um Hilfe zu schreien, verebbte kläglich in der Dunkelheit. Wer würde ihn hier schon hören können? Doch höchstens derjenige, der ihn hierhergebracht hatte. Ob der Kerl ihn beobachtete? Sich daran aufgeilte, wie er völlig hilflos auf den Schienen lag?

»Komm raus, du Wichser!«, schrie Maik. »Macht dich das etwa an?«

Doch niemand antwortete ihm. Er war allein, umgeben vom dunklen Schatten der Bäume rechts und links der Gleise. Allmählich kroch die Kälte in seinen Körper, der immer mehr schmerzte.

»Feigling!«, schrie er wieder in die Nacht hinein. »Was habe ich dir denn getan?«

Ja, das war eine gute Frage. Was hatte er eigentlich getan? Zugegeben, er hatte in der Vergangenheit ziemlich viel Mist gebaut und sich dabei nicht immer nur Freunde gemacht. In der Drogenszene gab es Leute, die verstanden absolut keinen Spaß. Doch soweit er sich erinnerte, hatte er seine offenen Rechnungen stets beglichen. Fünfmal war er zusammengeschlagen worden, und immer hatte man ihn an Ort und Stelle liegen gelassen. Damit war die Sache erledigt gewesen. Diesmal war es anders, und sosehr Maik auch überlegte, er kam nur zu einem Schluss: Er musste einem völlig Verrückten in die Hände gefallen sein.

Da hörte er entfernt ein Geräusch, das ihn für einen winzigen Moment mit Hoffnung erfüllte. Es war ein sanfter, singender Ton. Doch diese sonderbare Musik drang nicht aus der Dunkelheit zu ihm, sondern schien direkt aus dem Gleis zu kommen. Wenige Augenblicke später begann der Boden unter ihm leicht zu vibrieren, und er vernahm ein Pochen, das nicht von seinem Herzen stammte. Ein Zug näherte sich.

Maik riss die Augen auf und gab einen verzweifelten Schrei von sich. »Verdammt!«

Er zog und zerrte an den Fesseln, bäumte sich auf und versuchte, wenigstens seinen Kopf in Sicherheit zu bringen. Doch es war sinnlos. Er schaffte es gerade, ihn ein paar Zentimeter anzuheben.

Das Pochen wurde lauter, und die Vibration des Bodens stärker. In der Ferne konnte er ein Licht sehen.

Maiks Herz hämmerte jetzt so schnell, als hätte er Ecstasy eingeworfen. Er schrie. Immer näher kam das Geräusch. Er schrie lauter. Immer näher kam das Licht. Schon war es gleißend hell.

Das Wummern in den Gleisen raubte ihm fast den Verstand. Maik schrie aus Leibeskräften. Der Zug war jetzt fast da.

Gebannt starrte er in die riesigen Scheinwerfer der Lokomotive. Wie ein Reh auf der Autobahn, kurz bevor es von einem Lastwagen erfasst wurde, war er zu völliger Bewegungslosigkeit verurteilt. Selbst wenn er nicht gefesselt gewesen wäre, hätte er keinen Finger mehr krümmen können.

Seine Schreie verstummten.

Mach’s gut, Mama. Es tut mir leid.

Die letzten Sekunden seines Lebens zogen sich wie eine Ewigkeit hin. Dann zerquetschte das schwere Eisenrad des Zuges seinen Schädel wie eine reife Wassermelone.

2

Willy Immelmann naschte für sein Leben gern. Ob Schokoladenzipfel, Krokantsplitter, Marzipankugeln, Baiserhauben oder Nougattrüffel – er liebte alles, was süß und klebrig war. Die kleinen Verführungen waren ebenso zahlreich wie teuer, doch Hüftgold, Zahnersatz und Bluthochdruck schienen dem Achtundvierzigjährigen ein akzeptabler Preis zu sein. Denn was soll’s, sagte er sich. Man lebt schließlich nur einmal.

Seine Leidenschaft hatte Willy Immelmann zu seinem Beruf gemacht. Er war gelernter Konditor und hatte vor zwölf Jahren seine Meisterprüfung abgelegt. In der Gothaer Straße besaß er ein dreistöckiges Haus, in dem er mit seiner Frau Roswita und seinen Töchtern Isabell und Vanessa wohnte und eine florierende Konditorei betrieb. Über das Geschäft konnte er wahrlich nicht klagen, seine Torten waren beliebt, und er genoss bestes Ansehen in der kleinen Stadt.

Mit ihm in der Backstube arbeitete sein Auszubildender Pascal, ein lieber, doch tollpatschiger Junge, der gern während der Arbeitszeit ein Nickerchen hielt. Zudem schien Pascal mehr Interesse an den Töchtern seines Meisters als am Erlernen der Backkunst zu haben. Um den Verkauf kümmerte sich Immelmanns Schwester Ute, seine Töchter halfen in den Ferien aus, und wenn es seine Zeit zuließ, stand er auch selbst gern hinter der Ladentheke, um den Kontakt zu seinen Kunden zu pflegen.

In der Immelmann’schen Feinbäckerei konnte man nicht nur traumhafte Torten und zuckersüßes Gebäck kaufen, hier befand sich auch, gleich nach dem Friseurgeschäft »Struppelpeter« in der Kohlgasse, der wichtigste Umschlagplatz für das alltägliche innerstädtische Gemunkel. Es war gar nicht nötig, dass Immelmann hinaus auf die Straße ging, und auch das teure Zeitungsabonnement hätte er sich eigentlich sparen können. Der Stadtklatsch drang sowieso bis in seine Backstube.

Manchmal schien es ihm, als ob die Leute eigentlich bloß zum Knetschen herkamen und so ganz nebenbei Kuchen oder Sonntagsbrötchen kauften. Meistens drehte es sich um die kleinen und großen Sorgen des zwischenmenschlichen Alltags: So erfuhr man in der Konditorei von den Liebeleien, Ehekrächen, Schwangerschaften, Vaterschaftstests, Scheidungen, Krankheiten und geriatrischen Gebrechen seiner Mitbürger, beziehungsweise man erfuhr das, was andere darüber zu wissen glaubten.

Doch seit dem gestrigen Tag war das anders. Seither sprachen die Menschen nur noch von dem schrecklichen Unglück, das sich in der Nacht zugetragen hatte. Ein junger Mann war unweit der Gera auf den Zuggleisen gleich hinter dem Schlossgarten gefunden worden. Viele tuschelten von Selbstmord.

Schlimm, wenn junge Menschen so verzweifelt waren und keinen anderen Ausweg mehr sahen. Das Leben einfach so wegzuwerfen …

Nein, das wäre nichts für Immelmann. Er könnte das nicht. Unter keinen Umständen. Das Leben war zu süß.

Die Verlockungen seiner Erdentage beschränkten sich für Konditormeister Immelmann nicht nur auf Naschwerk, sondern betrafen auch die holde Weiblichkeit. Einer schönen Frau konnte er genauso wenig widerstehen wie einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte.

Zum Beispiel Frau Ballschuh, die junge Lehrerin aus der Fröbelstraße, die war wirklich eine Sünde wert. Wie die ihm immer zulächelte. Einfach herrlich! Daraus könnte noch etwas werden, dachte er und lächelte verschmitzt.

Bei diesem speziellen Laster lag der Preis jedoch um einiges höher, deshalb achtete Immelmann peinlichst darauf, dass seine Frau nichts von seinen gelegentlichen Seitensprüngen erfuhr. Doch das war nicht immer einfach an einem Ort, wo Gerüchte schneller entflammten als das Stroh in der Scheune.

Die sonst so unerschütterliche Ruhe und Beschaulichkeit des Ortes behagten ihm sehr. Er mochte die kauzige kleine Stadt und ihre Bewohner. Thüringen war Immelmanns Heimat, hier fühlte er sich verwurzelt und daheim. In Großstädten lebten die Menschen anonym und nahmen sich gegenseitig gar nicht wahr. Hier kannte man sich, bildete eine Gemeinschaft und stand sich bei in der Not.

Die familiäre Urlaubsplanung hatte Immelmann ein paarmal in andere Städte und Länder geführt. Doch nirgendwo war es so schön wie hier. Nirgendwo gab es dieses besondere Grün, das, einmal tiefdunkel und geheimnisvoll, dann wieder strahlend und funkelnd wie ein Smaragd, den Betrachter so fest in seinen Bann zog und die Dichter und Denker jeder Epoche inspiriert hatte. Völlig zu Recht wurde Thüringen das grüne Herz Deutschlands genannt. Die sanften Hügel und dichten Misch- und Nadelwälder waren einzigartig. Pascal, der gerne die Bücher von Tolkien las, sprach von Thüringen als dem »Auenland«. Denn wo sonst gab es Feengrotten, eine Drachenschlucht oder einen Königsstuhl?

Wozu brauchte man schon den Rest der Welt? Hier gab es doch alles, und das in Hülle und Fülle. Bereits Immelmanns Großvater hatte immer gesagt: Bleib im Lande und nähre dich redlich!

Ja, Willy Immelmann fühlte sich genau am richtigen Fleck, die Sonne schien, und sein Leben hätte nicht besser sein können. An diesem Morgen hatte er schon Cappuccino-Sahne-Schnitten, Mohnbrösel, Bienenstich, Kirschkrönchen und Schokoladen-Pfefferminz-Torten gebacken. Jetzt bereitete er sein berühmtes Thüringer Mandelgebäck zu. Dafür verrührte er Eier, Zucker, gemahlene Mandeln, Vanille und einen Schuss Bittermandelöl. Es war wichtig, den Teig lange und gründlich zu rühren, dann wurde das Gebäck weich und zart. Das würde Pascal wohl nie begreifen. Der ungeschickte Azubi machte gerade eine Pause und saß draußen auf einer Bank in der Sonne. Wahrscheinlich schlief er schon wieder.

Glücklich naschte Immelmann vom Teig. Ein bisschen viel Mandelöl vielleicht. Er fügte noch mehr Zucker und Vanille hinzu, rührte geduldig und kostete erneut. Seltsam, irgendwas schmeckte heute anders als sonst. Was war denn nur los?

Winzige Schweißperlen traten auf seine Stirn. Hatte er etwas falsch gemacht? Das war ihm ja seit seiner Ausbildungszeit nicht mehr passiert. Die Schweißperlen vermehrten sich. Erschöpft wischte er sie mit dem Ärmel ab, öffnete die Fensterluke und ließ sich auf einen kleinen Holzschemel fallen. Ihm war plötzlich ganz heiß und schwindlig, und er fühlte sich schwach. Die Backstube drehte sich wie ein Jahrmarktskarussell. Seine Kehle war trocken und rau. Wasser, er brauchte Wasser. Wie ein Verdurstender streckte er die Arme aus.

Den Wasserhahn erreichte Immelmann nicht mehr. Nach nur zwei Schritten knickten seine Beine ein, und er rang nach Luft. Verzweifelt klammerten sich seine Hände an der Tischplatte fest. Er sah nach oben und erblickte das Fläschchen mit dem Mandelöl.

Da wusste er es.

Der süße Tod war jetzt ganz nah.

3

Am Mittwochnachmittag um fünfzehn Uhr zweiundvierzig fand Hausmeister Jacobi den Dozenten der Arnstädter Kunstakademie, Joachim Kümmel, erhängt in seinem Atelier.

Die Schlinge des drei Zentimeter dicken Seiles war an einem sorgfältig polierten Haken befestigt, der tief in einem schwarz lackierten Holzbalken steckte.

Der Körper des Toten war nackt und mit verschiedenen Acrylfarben bemalt. Auf Brust, Bauch und Rücken leuchteten verschnörkelte Ornamente aus Indischgelb, Karmesinrot und Phthalogrünblau. Umgeben von Skizzen, Porträtzeichnungen und zwei Meter großen Ölgemälden, die an die Wände gelehnt und zu Dutzenden gestapelt waren, baumelte die Leiche wie ein makabres Kunstwerk von der Decke. Die schlaffe kalkweiße Haut des Mannes war zur Leinwand degradiert.

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