Todesquelle - Rudolf Jagusch - E-Book
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Todesquelle E-Book

Rudolf Jagusch

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Beschreibung

Stille Wasser sind tödlich … Der fesselnde Regio-Krimi »Todesquelle« von Rudolf Jagusch jetzt als eBook bei dotbooks. Eigentlich ist der ehemalige Kölner Hauptkommissar Stephan Tries in eine kleine Gemeinde im rheinischen Vorgebirge gezogen, um die Schatten seines einstigen Jobs hinter sich zu lassen. Doch dann bittet seine Lebensgefährtin Charlotte ihn darum, noch einmal als Ermittler tätig zu werden: Der Ehemann ihrer Freundin ist bei einem Treppensturz ums Leben gekommen … doch die Witwe schwört, kurz vor seinem Tod einen Eindringling im Haus gesehen zu haben! Tries ahnt, dass hinter dem Fall viel mehr stecken könnte als ein einfacher Unfalltod – und sticht bei seinen Nachforschungen in ein Wespennest aus Eifersucht, brisanten Geheimnissen und Korruption. Schnell ist klar, dass in der Kleinstadtidylle nichts so ist, wie es scheint … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Kriminalroman »Todesquelle« von Rudolf Jagusch ist der dritte Band seiner Reihe um den Kölner Hauptkommissar Stephan Tries, bei der alle Bände unabhängig voneinander gelesen werden können – fesselnde Unterhaltung für alle Fans von Jacques Berndorf und einer der schönsten Gegenden Deutschlands: den Villehang. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 386

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Über dieses Buch:

Eigentlich ist der ehemalige Kölner Hauptkommissar Stephan Tries in eine kleine Gemeinde im rheinischen Vorgebirge gezogen, um die Schatten seines einstigen Jobs hinter sich zu lassen. Doch dann bittet seine Lebensgefährtin Charlotte ihn darum, noch einmal als Ermittler tätig zu werden: Der Ehemann ihrer Freundin ist bei einem Treppensturz ums Leben gekommen … doch die Witwe schwört, kurz vor seinem Tod einen Eindringling im Haus gesehen zu haben! Tries ahnt, dass hinter dem Fall viel mehr stecken könnte als ein einfacher Unfalltod – und sticht bei seinen Nachforschungen in ein Wespennest aus Eifersucht, brisanten Geheimnissen und Korruption. Schnell ist klar, dass in der Kleinstadtidylle nichts so ist, wie es scheint …

Über den Autor:

Rudolf Jagusch wurde 1967 in Bergisch Gladbach geboren. Seit der studierte Verwaltungswirt 2006 seinen ersten Roman veröffentlichte, ist er eine feste Größe in der deutschen Krimi-Landschaft. Er lebt mit seiner Familie im Vorgebirge am Rand der Eifel, wo auch die meisten seiner Romane spielen.

Die Website des Autors: www.rudijagusch.com

Der Autor auf Instagram: www.instagram.com/rudi_jagusch

Rudolf Jagusch veröffentlicht bei dotbooks seine Ermittlerkrimis um den Kölner Hauptkommissar Stephan Tries:

»Grabesruhe«

»Nebelspur«

»Todesquelle«

Außerdem bei dotbooks erschienen sind seine Thriller »Bis zur letzten Sekunde« und »Mordsommer«.

***

eBook-Neuausgabe Januar 2023

Copyright © der Originalausgabe 2010 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Sergej Axt, Ghing

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98690-579-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Rudolf Jagusch

Todesquelle

Kriminalroman

dotbooks.

Für Karl, Wolfgang und Onkel Fritz. Drei Männer, die mir viel gegeben haben.

PROLOG

Sie duckte sich, drängte sich in die Ecke und wimmerte. Ihre Ohren brannten, doch noch immer trafen sie harte Schläge am Kopf die kleinen Arme boten keinen Schutz.

»Hör auf!« Mamas Stimme klang grell, doch es fehlte ihr an Schärfe.

»Ich werde dich lehren, Widerworte zu geben«, lallte er.

Sie versuchte, sich klein wie eine Maus zu machen, und kroch unter die Eckbank. Brutal wurde sie zurückgezogen, seine Fäuste landeten auf ihrem Rücken und in ihrem Nacken.

»Du bringst sie um!« Wieder Mama, schrill, durchdringend.

»Das hat noch niemandem geschadet, stell dich nicht so an«, erwiderte er barsch und holte zum nächsten Schlag aus.

Sie sah seine geballte Faust auf sich zukommen, wuchtig, ihr Kopf flog zur Seite. Vor ihren Augen tanzten Sterne. Dann ließ er von ihr ab.

Als sich ihr Blick wieder schärfte, rang Mama mit ihm, versuchte sie zu schützen. Für einen Moment spürte sie Hoffnung. Mama kämpfte wie eine Löwin, biss, kratzte. Doch dann traf er sie, mit voller Wucht. Irgendetwas knackte wie ein Ast, auf den man trat, und Mama sackte zusammen, blieb stumm und regungslos liegen.

Gebeugt stand er über ihr, die Fäuste geballt, schwer atmend.

Sie hielt den Atem an. Panik erfasste sie, doch sie wagte nicht, erneut unter der Bank Schutz zu suchen, aus Angst, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Was war nur mit Mama? Sie wirkte durchsichtig und bleich wie ein Gespenst.

Er trat noch mal halbherzig in ihre Seite und wankte dann zur Tür hinaus. Sie hörte, wie er den Fernseher einschaltete. Robert Lembke, seine Lieblingssendung. Die würde er nicht verpassen.

Sie kroch aus der Ecke zu dem leblosen Körper, stupste ihn an und wartete. Doch Mama rührte sich nicht. Ängstlich kuschelte sie sich an sie und legte den kraftlosen Arm ihrer Mutter über sich. Sie vermisste das Klopfen von Mamas Herz und wusste, was dies bedeutete.

Sie weinte stumm.

Der Kandidat wünschte sich das blaue Schweinderl.

KAPITEL EINS

Stephan Tries beugte sich über den Motorblock und rückte den Luftfilter zurecht. Vorsichtig drehte er die Schrauben fest und polierte anschließend die Oberfläche mit einem Tuch.

»Fertig«, murmelte er. Zwei Wochen Arbeit lagen hinter ihm. Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. Der Motor des Mercedes De 190 schimmerte mattschwarz, sah aus wie neu.

Auch der beige Lack des Wagens glänzte nach einer ordentlichen Politur am vergangenen Samstag, die brütend heiße Sonne spiegelte sich im Chrom der Stoßstangen.

Stephan reinigte seine Finger mit Verdünner und zog den Zündschlüssel aus der Hosentasche. Dann ließ er sich auf den Fahrersitz fallen und strich andächtig mit flach ausgestreckten Händen über das riesige Lenkrad. Er steckte den Schlüssel ins Zündschloss und drehte ihn vorsichtig. Die Signallämpchen neben dem Bandtachometer leuchteten auf. Er griff mit der linken Hand zum Knopf links neben dem Tacho, zog ihn ein Stück heraus. Die Vorglühüberwachung glich dem Deckel eines Pfefferstreuers. Stephan wartete geduldig, bis die Anzeige orange leuchtete. Er holte noch mal tief Luft, schloss die Augen, trat die Kupplung und zog den Knopf ganz heraus. Der Anlasser klackte, heulte auf, und nach einigen Umdrehungen sprang der Motor an. Er lief zunächst unruhig, dann immer geschmeidiger. Stephan jubelte innerlich, gab vorsichtige Gasstöße, die bereitwillig in höhere Leerlaufdrehzahlen umgesetzt wurden. Im Rückspiegel erkannte er eine riesige graue Wolke. Nicht zu vermeiden bei einem Diesel Baujahr 1962, dachte er. Erst dann bemerkte er, dass in den Abgasen eine Frau torkelte und sich vor Husten krümmte.

Charlotte? Wollten sie sich nicht erst zum Abendessen treffen? Stephan stellte erschrocken den Motor ab, stieg aus und rannte zu ihr.

Charlotte hob abwehrend die rechte Hand, japste nach Luft und stemmte sich in die Höhe.

»Was machst du denn hier?«, fragte Stephan besorgt.

Sie hustete in die hohle Hand. »Schöner Empfang, den du mir hier bereitest«, antwortete sie mit krächzender Stimme.

Ihr Lächeln bewies ihm, dass sie nicht wirklich verärgert war.

Stephan deutete auf den Benz. »Der muss sich noch frei brennen. Ist seit gut und gern zehn Jahren nicht mehr gelaufen. Aber sag schon, was ist los? Du bist zu früh.«

Charlotte räusperte sich. »Wir haben einen Toten«, platzte sie dann heraus.

Stephan wischte mit seinen Fingern über den Overall. »Wir haben einen Toten?«, wiederholte er.

»Ja«, bestätigte sie hastig, »lass uns auf die Terrasse gehen, ich erzähl dir alles, was ich weiß. Hier in der Hitze ist es nicht zum Aushalten.« Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss und zog die Nase kraus. »Du solltest aber vorher duschen.«

Stephan grinste. »Ich rieche nichts.«

Sie schob ihn zur Haustür. »Mach einfach. Wir müssen nachher noch weg.«

Stephan blieb stehen und wehrte sich. »Moment mal. Ich habe heute Nachmittag einen Termin in der Kneipe. Ein Mietinteressent will sich vorstellen.«

Charlotte warf einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr. »Das schaffen wir. Du bist rechtzeitig zurück.«

»Von wo zurück?«

Sie stöhnte. »Mach es doch nicht so kompliziert. Ich hab doch gesagt, ich erkläre dir alles.«

»Ich mag keine Überfälle«, beharrte Stephan und verschränkte die Arme.

Sie zögerte kurz und sagte dann: »Eine Freundin von mir benötigt Hilfe. Sie denkt, dass ihr Mann ermordet wurde.«

»Und was geht mich das an? Ich bin beurlaubt.«

Charlotte verdrehte die Augen und grinste. »Ja, ja, Herr Kriminalhauptkommissar. Jetzt nicht mehr.«

Eine Viertelstunde später setzte sich Stephan frisch geduscht in den Korbsessel zu Charlotte auf die Terrasse. Selbst im Schatten der großen Buche war es heiß. Wie immer prüfte er den Himmel über dem Vorgebirge. Das Wetter in der Kölner Bucht wurde überwiegend durch westliche Strömungen beeinflusst, und Änderungen kündigten sich daher fast immer über dem Kamm an. Von seinem Sitzplatz aus konnte er die reichlich bewaldeten Höhen der Mertener Heide gut erkennen. Ein wenig Regen würde den Pflanzen guttun, dachte er. Doch es zeigte sich keine einzige Wolke.

»Jetzt leg mal los!«, forderte er Charlotte auf.

Die zog an ihrem Zigarillo. »Vorhin rief mich meine Freundin Elfi an, Elfriede Germanus, um genau zu sein«, eröffnete sie ihm. »Ihr Mann Friedrich hatte vorletzte Woche Dienstag einen tödlichen Unfall. Der Arme ist nachts die Treppe runtergestürzt und hat sich das Genick gebrochen.«

»Tragisch.«

Charlottes Miene verdüsterte sich. »Bei dir hört sich immer alles so gefühllos an.«

Stephan straffte sich. »Nein, entschuldige bitte. Es tut mir leid, dass du einen Freund verloren hast. Wie alt war er denn?«

»Er wäre in zwei Monaten siebzig geworden.«

Stephan nickte. »Dann war er vermutlich nicht mehr gut zu Fuß.«

Charlotte schüttelte den Kopf. »Fritz war topfit. Der ging für ein Jahrzehnt jünger durch. Ein sportlicher Typ, immer schon gewesen. Denk nicht, dass er ein alter Tattergreis war.«

Stephan schmunzelte. Charlotte erriet mitunter seine Gedanken. Tatsächlich hatte er einen schlurfenden, gebrechlichen Großvater vor seinem geistigen Auge gesehen, der eine Stufe verfehlte und zu Tode stürzte. »Dann ist der Verlust umso größer. Richte deiner Freundin mein Beileid aus. Ein tragischer Unfall.«

»Das ist der Punkt«, warf Charlotte erregt ein. »Elfi befürchtet, dass der Sturz kein Unfall war.«

Stephan gähnte und sah in den Garten. Der Rasen stand zu hoch, die Obstbäume müssten geschnitten werden, die Brombeerbüsche gestutzt. »Aber was habe ich damit zu schaffen?«, brummte er.

»Wie schon gesagt: Offiziell geht die Polizei von einem Unfall aus«, wiederholte Charlotte. »Elfi fragte mich, ob ich nicht mal nachhören kann, ob du, äh, also sie zweifelt …«

Stephan stöhnte auf.

Charlotte blies eine riesige Rauchwolke aus. »Und?«, fragte sie schlicht.

»Es war ein Unfall. Was soll ich da noch machen?«

»Du kannst dir die Sache zumindest mal anhören.«

Stephan kratzte sich am Haaransatz. »Das gefällt mir irgendwie nicht.« Er kniff die Augen zusammen und sah dem Flugzeug nach, das nach dem Start am Konrad-Adenauer-Flughafen einen Bogen über dem Vorgebirge zog.

Charlotte hustete. Sie zog ein letztes Mal an ihrem Zigarillo und drückte den Stumpen im Aschenbecher aus. »Komm mit, mir zuliebe, ja?«, säuselte sie. »Elfi ist eine liebe Freundin von mir. Ich möchte sie nicht enttäuschen. Tu mir den Gefallen.«

Stephan runzelte die Stirn und musterte Charlotte. »Enttäuschen? Weil ich nicht mitkommen könnte? Seltsame Freundschaft.«

»Ach komm, lass dich nicht so bitten.«

Er wischte sich eine Ameise von den Beinen. Die Viecher hatten den ganzen Garten in Beschlag genommen. »Ich weiß nicht.«

Charlotte lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. Der Saum ihres Kleides rutschte ein Stück nach oben. »Mir zuliebe, ja?«, wiederholte sie.

Stephan zögerte. Der Garten wartete, im Haus sah es aus, als ob dort eine Horde Hunnen durchgezogen wäre, und am Nachmittag hatte er den Termin in der Kneipe in Waldorf, die er von seinem Onkel geerbt hatte und mit der er noch nichts Richtiges anzufangen wusste. Er verspürte überhaupt keine Lust, dem ein Gespräch mit einer »lieben Freundin« hinzuzufügen.

Charlotte streckte die Arme nach hinten und dehnte sich. Ihre festen Brüste zeichneten sich unter ihrem Kleid deutlich ab. »Ich habe heute Abend Zeit«, hauchte sie, »und würde gern über Nacht bleiben.«

Auf der anderen Seite wollte ich sowieso ein Ründchen mit dem Benz drehen, dachte Stephan. Dafür habe ich ihn gestern schließlich angemeldet. Er grinste. »Nette Vorstellung. Grenzt irgendwie schon an Bestechung«, stellte er fest und stand auf. »Also gut, wie sollte ich dir einen Gefallen ausschlagen können. Aber wir fahren mit dem Benz. Auf dem Weg kannst du mir dann mehr erzählen.«

***

Der Diesel brummte gemütlich vor sich hin, als sie am Ortsausgang von Sechtem in die Dahlienstraße in Richtung Bornheim einbogen.

»Elfi kenne ich schon ewig«, informierte ihn Charlotte. »Wenn sie sagt, da stimmt was nicht, dann glaube ich ihr. Sie ist zwar nicht mehr die Jüngste, letztes Jahr haben wir ihren fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert, geistig ist sie aber absolut fit. Nur körperlich leider nicht. Sie ist gebrechlich, das genaue Gegenteil von Friedrich.« Sie öffnete das Fenster einen Spaltbreit und ließ den Fahrtwind über ihr Gesicht streichen. »Wir hätten mein Cabrio nehmen sollen, bei dem Wetter«, murmelte sie.

»Vergiss es«, meinte Stephan bloß und setzte auf der Höhe des Gemüsewegs an, einen Traktor zu überholen. Der Mercedes nahm, einem Hochseedampfer gleich, gemütlich Fahrt auf.

»Wir wären auch schneller gewesen«, lästerte Charlotte. »Ein Beschleunigungswunder ist der Wagen deines Vaters ja nicht gerade.«

»Wirst dich schon dran gewöhnen. Hier zählen andere Werte.« Er steuerte vor dem Traktor auf die rechte Spur zurück. Rechts auf dem Feld erhob sich eine Staubwolke. Ein Mähdrescher erntete das Getreide. »Erzähl mal mehr über deine Freundin«, forderte er Charlotte auf.

»Wir haben uns im Tennisklub kennengelernt, in den Achtzigern. Steffi Graf lässt grüßen. Ich glaube, damals rannten alle in weißer Tenniskleidung rum. Viele im Klub dachten tatsächlich, die große Dame des Tennis würde hier aus unserer Nachbargemeinde Brühl stammen. Dabei kommt sie aus dem Brühl in der Karlsruher Ecke.« Charlotte kicherte. »Elfi fiel mir sofort auf. Sie ist sehr extrovertiert, aber überhaupt nicht nervig. Ich liebe ihre offene und direkte Art. Friedrich war da nicht anders, wenn er auch lieber Golf mochte. Er hat jahrelang in Pulheim gespielt, bis oben auf der Ville die Golfanlage am Römerhof entstand.«

»Golf, so, so. Alte-Männer-Sport«, konnte sich Stephan nicht verkneifen zu sagen. Charlotte hatte vor noch nicht allzu langer Zeit versucht, ihn für eine Sportart zu begeistern. Unter anderem war auch Golf dabei gewesen.

»Du mit deinen Vorurteilen«, erwiderte sie lachend. »Friedrich war alles andere als ein alter Mann. Er spielte nicht nur Golf, sondern trainierte bis zum Schluss jeden Tag im Fitnesscenter. Witz und Charme zeichneten ihn aus, und sein Aussehen …« Sie schnalzte mit der Zunge und grinste.

Stephan hob zweifelnd eine Augenbraue.

»Richard Gere ist nichts dagegen«, ergänzte sie.

Stephan nahm am Ortseingang von Bornheim das Gas weg. »So, so, Richard Gere«, brummte er. »Tennis. Golf. Hört sich nach reichen Verhältnissen an. Nicht nur gut aussehend, auch noch finanziell unabhängig.«

Charlotte nickte. »Das Roisdorfer Mineralwasser wirst du kennen.«

»Natürlich.«

»Weniger bekannt ist die Felsquelle, direkt daneben. Elfi hat das Unternehmen mit ihrem Mann Ende der Fünfziger aufgebaut und bis vor einigen Jahren erfolgreich geführt. Friedrich war damals noch ein junger Kerl. Aber Elfriede war eine starke Frau und wusste, was sie wollte.«

Stephan horchte auf. Er hatte ein Timbre in Charlottes Stimme wahrgenommen, das ihn stutzig machte. »Du hältst doch mit etwas hinter dem Berg.«

Sie schmunzelte. »Dem Kommissör ist nichts zu schwör. Hast direkt gemerkt, wo es hakt. Also, Fakt ist, dass der Betrieb ums Überleben kämpft. Die Konkurrenz auf der anderen Straßenseite ist deutlich erfolgreicher, die Wirtschaftskrise tut ihr Übriges.«

»Wer führt die Geschäfte?«

»In erster Linie Elfis Sohn Rainer. Er ist bei der Felsquelle jetzt Mitinhaber. Sein Vater stand ihm bisher aber immer noch zur Seite.« Charlotte legte eine Pause ein und ergänzte dann: »Oder eben im Weg, je nachdem, wie man es sieht. Es gab Differenzen, wie mir Elfi erzählt hat.«

Stephan nahm die Steigung rechts auf die Königstraße in Bornheim, ohne auf das Stoppschild zu achten. Der Mercedes brummte willig vor sich hin. »Wäre nicht das erste Mal, dass ein Sohn seinen übermächtigen Vater beseitigt, um sich eine freie Bahn zu schaffen.«

Charlotte sah sinnend zum Fenster hinaus. »Den Gedanken hatte ich auch schon. Er liegt ja förmlich auf der Hand.«

Östlich von Waldorf lenkte Stephan den Mercedes vom Rankenberg in die Zufahrt zur Germanus-Villa. Mit dem riesigen Lenkrad in seinen Händen fühlte er sich wie ein Kapitän auf hoher See. Vor ihnen erhob sich das Herrenhaus, etwas weiter rechts ein weiteres Gebäude, das vielleicht mal als Gesindehaus gedient haben könnte, aber kaum kleiner war. Die gelbliche Fassade hob sich deutlich vom weiß bekiesten Innenhof ab. Ein kleiner Turm dominierte das Haupthaus. Das Mansardendach zeigte sich strukturiert und entsprechend des Grundrisses mehrfach gebrochen. Die grauen Pfannen hatten an wenigen Stellen Moos angesetzt. Alles wirkte äußerst penibel gepflegt. Nirgends war Unkraut zu sehen, das Laub der Bäume im kleinen Park rund um die Villa leuchtete in sattem Grün.

Während er den Wagen langsam im Innenhof ausrollen ließ, pfiff Stephan durch die Zähne. »Dagegen sieht deine Burg ja aus wie eine Hütte.«

»Aber nur von außen«, entgegnete Charlotte. »Ist alles eine optische Täuschung. Und Neobarock mag ich überhaupt nicht.«

Stephan hob skeptisch eine Augenbraue. Charlotte bewohnte die Graue Burg in Sechtem. Das schlichte Gebäude stand auf einer kleinen, von einem Wassergraben umschlossenen Insel und wirkte eher wie eine herrschaftliche Villa als ein repräsentativer ehemaliger Rittersitz.

Sie zwinkerte ihm zu. »Kleiner Scherz.«

Sie stiegen aus und schellten. Wenig später schwang die Tür auf.

»Sie wünschen?«

Ihnen gegenüber stand ein kleiner, schmächtiger Mann, bekleidet mit einem weißen Hemd, einer schwarzen Weste und ebenfalls schwarzen Hose mit messerscharfer Bundfalte. Er blickte aus trüben Augen durch sie hindurch.

Stephan sah erstaunt zu Charlotte. Einen solch kühlen Empfang hatte er nicht erwartet.

»Ich bin’s, Robert. Frau Germanus erwartet uns«, sagte sie freundlich. Der Butler lächelte übergangslos, wie eingeschaltet, doch seine Gesichtszüge entspannten sich.

»Ah, Frau von Berg.« Er verneigte sich. »Bitte folgen Sie mir.« Er drehte auf dem Absatz, hielt plötzlich einen weißen Stab in der Hand und ging ins Haus.

Stephan betrat die große Eingangshalle. Ein Spiegel, der mehr Fläche als sein Wohnzimmer hatte, hing rechts an der Wand. Die etwa vier Meter entfernte Stuckdecke strahlte weiß. Ein edler Läufer teilte den Marmorboden und verschluckte das Kläcken von Charlottes Absätzen.

»Ein blinder Butler?«, raunte Stephan.

»Fast blind, ja, aber nicht taub«, entgegnete der Mann, während er zielsicher eine Tür ansteuerte.

Charlotte grinste. »Robert ist der gute Geist des Hauses. Er arbeitet hier schon seit… wie viele Jahre sind es gleich, Robert?«

»Siebenunddreißig, Madam.« Er öffnete die Tür und hielt sie ihnen auf. Ein Flur schloss sich an. Links an der Wand hingen in Öl gemalte Porträts. »Und solange Frau Germanus lebt, werde ich ihr treu zu Diensten sein«, fügte er hinzu und ging wieder voraus.

Rechts konnte Stephan durch deckenhohe Fenster in den Garten schauen. Trotz der andauernden Hitze des Sommers zeigte sich der Rasen frisch und unverbrannt. Blumen leuchteten in allen Farben und erinnerten Stephan sträflich an seinen heruntergekommenen Hinterhof.

Robert führte sie auf eine schattige Terrasse. »Bitte nehmen Sie Platz. Frau Germanus wird in Kürze erscheinen.« Er verneigte sich und verschwand im Inneren des Hauses.

Erscheinen, aha, dachte Stephan, wie Copperfield wahrscheinlich. Er ließ sich in einen der Korbsessel fallen. »Kommt mir vor wie bei Rosamunde Pilcher. Fehlt nur noch ein Pfau.«

Charlotte kicherte und setzte sich ebenfalls. »Ich weiß, nicht dein Stil.«

Stephan winkte ab. »Ach, ich kenne mich bei der Hautevolee doch bestens aus.« Er seufzte theatralisch. »Nur schade, dass zu diesem Stil kein Bier passt.«

»Ein Bier, der Herr, sofort.« Unbemerkt war Robert wieder aufgetaucht. Er schob einen Rollstuhl, in dem eine alte Frau saß, die sich Stephan überhaupt nicht an der Seite von Friedrich Germanus, so wie Charlotte ihn gerade geschildert hatte, vorstellen konnte. Ihre Haut war hellgrau und durchscheinend wie Butterbrotpapier. Das weiße, lichte Haar trug sie offen. Ein dezenter brauner Lidstrich betonte die gezupften Brauen in ihrem runzligen Gesicht, und eine modische graue Kombination hüllte ihren hageren Körper ein.

Elfriede Germanus begrüßte Charlotte entgegen Stephans Erwartung mit einer überraschend kraftvollen Stimme. »Liebste Charlotte. Es freut mich, dich zu sehen.« Sie beugte sich vor und ließ sich von ihr umarmen. »Und das ist der Mann, von dem du immerzu schwärmst?« Sie schenkte Stephan einen koketten Augenaufschlag. »Ein wahrlich gut aussehender Mann, muss ich sagen.«

Von Trauer um ihren Ehemann keine Spur dachte Stephan, lächelte freundlich und reichte ihr die Hand. »Frau Germanus, nehme ich an. Nun, gut aussehend würde ich nicht sagen.« Er klopfte auf seinen Bauch. »Gemütlich passt besser.«

Die beiden Frauen lachten. Elfriede Germanus machte eine einladende Handbewegung. »Kommt, Kinder, setzt euch wieder. Robert, Frau von Berg und ich nehmen einen Champagner!«

Stephan zuckte zusammen, als hinter ihm ein beflissenes »Sehr wohl« erklang und gleichzeitig ein Glas vor ihm abgestellt wurde.

Häuptling schleichender Butler, dachte er und bedankte sich für sein Bier.

In den nächsten fünf Minuten tauschten Frau Germanus und Charlotte Neuigkeiten aus. Kurz streiften sie dabei auch die Beerdigung letzte Woche, eine würdevolle Feier ohne Zwischenfälle.

Als Robert den Champagner brachte, räusperte sich Stephan.

»Sollen wir loslegen?«, fragte er.

Elfriede Germanus nippte an ihrem Glas. »Oh, selbstverständlich, verzeihen Sie.« Doch bevor sie seiner Bitte nachkam, rief sie: »Robert. Kanapees für die Gäste!«

Diesmal war es der Butler, der zusammenzuckte. »Sehr wohl«, gab er zurück und fügte leise an: »Ich bin doch nicht taub.«

Stephan sah dem davonschlurfenden Mann nach und verspürte Mitleid mit ihm.

Elfriede Germanus war mit ihrem Rollstuhl ein Stück vorgerückt und legte Stephan jetzt eine Hand auf den Unterarm. »Es war kein Unfall«, flüsterte sie. Ihre gute Laune von eben war schlagartig verschwunden. »Alle wollen mir das einreden, selbst die Polizei.«

Stephan sah verstohlen zu Charlotte, die mit ernster Miene in ihr Glas starrte. »Eine Autopsie gab es sicherlich nicht, oder?«, fragte er.

»Aber ja doch. Ich habe darauf bestanden und bin für die Kosten aufgekommen«, erwiderte Elfriede Germanus und winkte ab. »Sie haben nichts gefunden.«

Charlotte räusperte sich. »Das ist nicht ganz richtig, oder, Elfi? Friedrich hatte Schlaftabletten genommen.«

Elfriede Germanus zuckte nur mit den Schultern.

Stephan sah ihr an, dass sie wusste, dass diese Tatsache ihre Theorie nicht gerade stärkte. Friedrich Germanus könnte von den Schlaftabletten benommen gewesen sein. Das Einzige, was es dann noch zu klären gäbe, wäre der Grund für sein nächtliches Herumwandern. Mehr nicht. Er biss sich auf die Unterlippe. Was sollte er dazu sagen? »Wieso zweifeln Sie überhaupt?«, fragte er.

Elfriede Germanus setzte eine trotzige Miene auf. »Ich habe jemanden gesehen. Da war jemand im Haus.«

»Schliefen Sie denn nicht?«, fragte Stephan. »Charlotte sagte mir, es sei nachts passiert.«

Elfriede Germanus zögerte mit der Antwort.

Charlotte legte ihr eine Hand auf den Unterarm. »Elfi schlafwandelt.«

»Ich habe nicht geträumt«, fuhr Elfriede Germanus auf. »Da war ein Schatten, ich bin mir ganz sicher.«

Stephan trommelte mit den Fingern auf die Tischoberfläche. Was sollte er nur davon halten? Eine alte Frau, die nachts schlafend durch die Gegend wandelte und Schatten sah.

»Von der Polizei wird das Schlafwandeln als Erklärung dafür angeführt, dass Elfi das, was sie in der Nacht gesehen haben will, wohl nur geträumt hat«, erklärte Charlotte.

Stephan nickte. Er konnte seine Kollegen verstehen. Er selbst dachte nicht anders. »Aber ist man denn dabei nicht eigentlich ganz, wie soll ich sagen, ohne Erinnerungen?«

Elfriede Germanus zupfte nervös an ihrer Hose. »Bei mir ist es schon ein bisschen so, als würde ich träumen. Manchmal weiß ich am nächsten Morgen etwas davon, dann wieder nicht.«

»Gut, in diesen medizinischen Dingen kenne ich mich nicht aus«, sagte Stephan. »Aber Sie sitzen im Rollstuhl. Wie passt das zusammen?«

Elfriede Germanus nickte, stemmte sich hoch und ging einmal um den Stuhl. »Reine Bequemlichkeit des Alters«, erklärte sie und setzte sich wieder.

Robert brachte die Kanapees. Mit schnellen und sicheren Handgriffen drapierte er die beiden silbernen Platten auf dem Tisch und eilte dann wieder ins Haus. Stephan bewunderte seine zielgerichteten Bewegungen.

Elfriede Germanus beugte sich zu ihm rüber. »Ich vermute jedenfalls, dass Friedrich ermordet wurde«, stieß sie hervor. »Dieser Schatten hat ihn geschubst.«

Stephan kratzte sich am Kinn und dachte einen Moment nach. Das Einzige, was gegen einen Unfall sprach, war die zweifelhafte Beobachtung von Elfriede Germanus aufgrund ihres Schlafwandelns. Nicht gerade viel. Er konnte durchaus verstehen, dass seine Kollegen in Bonn den Fall abgeschlossen hatten. Doch irgendwie juckte es ihn in seinen beurlaubten Kommissarsfingern, der Sache auf den Grund zu gehen. Das Unwahrscheinliche zu durchleuchten, reizte ihn.

Elfriede Germanus wechselte einen stummen Blick mit Charlotte und sagte dann: »Wenn es um Geld geht, das wäre kein Problem.«

Stephan lachte. »Das hört sich wie ein Blankoscheck an.«

»Sie dürfen es auch so verstehen«, bestätigte sie.

»Ich bin beurlaubt. Ich darf so ohne Weiteres keinen Nebenjob annehmen«, erklärte Stephan lahm.

Elfriede Germanus zwinkerte ihm zu. »Von mir erfährt es niemand.«

Stephan drehte sein Glas in der Hand und starrte ins Bier. Die Bremsen am Wagen mussten überholt werden. Doch seine Ersparnisse waren durch die Restauration des Oldtimers inzwischen aufgebraucht. Außerdem musste er in die Kneipe investieren, die er von seinem Onkel übernommen hatte, sonst würde er vermutlich nie einen Pächter oder sogar einen Käufer finden. Und dann war da noch das Ferienhaus an der Nordsee, das er gerne behalten wollte, das aber zurzeit nur Kosten verursachte. Hier bot sich eine Gelegenheit, schnell etwas Geld für das Nötigste zu verdienen, ohne dafür in die Tretmühle des Kölner Kommissariats zurückkehren zu müssen. Daher wollte er sich alle Möglichkeiten offenhalten. »Jetzt erzählen Sie mir doch erst mal, wie alles genau passiert ist«, sagte er. »Dann werde ich entscheiden, ob ich den Auftrag annehmen kann.«

Elfriede Germanus lehnte sich zurück, schloss die Augen und erinnerte sich. Leise sagte sie: »Irgendetwas riss mich aus dem Schlaf. Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass es Friedrichs Lachen war. Ich wollte nach dem Rechten sehen und bin auf gestanden.« Sie öffnete die Augen und sah Stephan an. »Ich bin sicher, dass ich das nicht geträumt habe.«

Stephan nickte. Er verstand, was sie ihm damit sagen wollte. »Das hatten wir ja bereits. Sie sind also sicher, nicht im Schlaf herumgewandert zu sein.«

»Richtig, junger Mann«, bestätigte Elfriede Germanus und konzentrierte sich wieder. »Ich zog meinen Bademantel an und wollte raus auf den Flur, um nachzusehen.« Sie runzelte die Stirn.

»Was ist? Warum stocken Sie?«

»Da war ein Geräusch«, murmelte sie. »Ein Poltern. Ein Poltern, als ob jemand …« Sie brach ab, riss die Augen auf und schlug eine Hand vor den Mund.

»Als ob jemand die Treppe runterstürzt«, vollendete Stephan den Satz.

Sie nickte. »Ich habe Friedrichs Sturz gehört, mein Gott.« Ihre Hände zitterten.

»Warum hast du nichts unternommen?«, wollte Charlotte wissen.

Verdattert blickte Elfriede Germanus sie an. »Ich habe gedacht…« Sie brach ab und schluckte heftig, bevor sie neu ansetzte. »Ich weiß nicht, was ich dachte. In dem Moment habe ich das Geräusch gar nicht zuordnen können, und es war ja gleich darauf auch wieder ruhig. Also bin ich wieder zurück ins Bett.« Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. »Wenn ich doch nur …«

»Es hätte nichts geändert«, fiel Stephan ihr ins Wort. »Machen Sie sich keine Vorwürfe.«

Sie schwiegen eine Weile.

»Sie haben gesagt, dass Sie jemanden gesehen haben«, nahm Stephan den Faden wieder auf.

Elfriede Germanus schaute auf. »Allerdings. Jemand ist die Treppe hinuntergehuscht. Lautlos. Ein großer dunkler Schatten. Ich hatte erst gedacht, es sei eine Reflexion von draußen, weil ich keine Schritte hören konnte, aber nachdem Friedrich …« Sie stockte. »Nachdem Friedrich am nächsten Morgen tot auf dem Treppenabsatz lag, war mir klar, dass es genau das war, wonach es ausgesehen hatte: der Schatten eines Menschen.«

Stephan wechselte einen Blick mit Charlotte. Sie presste die Lippen aufeinander. »Aufgrund Ihres Alters möchte ich fragen, ob Sie zufällig ein Augenleiden haben?«, hakte er nach.

Elfriede Germanus zögerte, senkte den Kopf. »Grauer Star. Muss bald operiert werden.«

Scheiße, dachte Stephan, eine blinde Eule erzählt mir, was sie nachts gesehen hat. »Brannte irgendwo Licht?«

»Sicher. Wir lassen nachts immer das Licht im Flur an. Eine alte Gewohnheit, sie rührt noch aus den Tagen, als unsere Kinder klein waren. Sie sollten nicht im Dunkeln zur Toilette irren müssen.«

Stephan fand das übertrieben, schließlich können auch Kinder den Schalter drücken. Seine Tochter zumindest hatte es immer geschafft. Doch er enthielt sich eines Kommentars. In einem so riesigen Haus wie dem der Familie Germanus, wo die Toilette möglicherweise so weit von den Kinderzimmern entfernt lag, dass man mit dem Flugzeug einfliegen könnte, war es womöglich sinnvoll, die Landebahn zu beleuchten. »Sie sind dann wieder zu Bett?«

»Ja«, bestätigte Elfriede Germanus und schnäuzte in ein Taschentuch. Ihre Hände zitterten immer noch.

»Keine Schatten mehr, keine Geräusche?«

Sie schüttelte den Kopf. »Robert hat ihn dann am Morgen gefunden.«

Stephan überlegte kurz. »Wer war noch im Haus ? Ich meine, außer Ihrem Mann, Robert und Ihnen selbst.«

»Nur der Gärtner. Wobei im Haus nicht ganz richtig ist. Er schläft in einer kleinen Gartenlaube im Park.«

»Kann er nachts ins Haus?«

»Ja. Er hat einen Schlüssel.«

»Könnte er der Schatten gewesen sein?«

Elfriede Germanus zuckte hilflos mit den Schultern. »Der hätte doch keinen Grund, meinem Mann etwas anzutun. Immerhin verdankt er ihm seine Anstellung. Die beiden waren fast wie Vater und Sohn, so gut verstanden die sich.«

Stephan holte tief Luft. Viel war es nicht, dem er bisher nachgehen könnte. Er stand auf. »Darf ich mich mal im Haus umsehen? Auf der Treppe, vielleicht auch im Schlafzimmer Ihres Mannes?«

Elfriede Germanus wendete ihren Rollstuhl. »Kommen Sie mit.«

Charlotte stand ebenfalls auf und warf Stephan ein dankbares Lächeln zu. Sie folgten der alten Frau ins Haus.

Zehn Minuten lang musterte Stephan die Treppe, ging einmal rauf und wieder runter, rüttelte dabei am Geländer und klopfte die Stufen mit den Füßen ab. Er konnte nichts Auffälliges erkennen. Die Stufen waren aus massivem Holz, an den Kanten leicht abgetreten, der Handlauf wurde von gedrechselten Stäben gehalten. An der Wand zog sich die Schiene eines Treppenaufzuges nach oben, und am Fuß der Treppe lag ein breiter Teppich.

»Nichts«, fasste er zusammen und wischte sich mit dem Ärmel seines T-Shirts über die Stirn. »Keine Stufe lose, nirgends steht etwas hervor.«

Selbst der Läufer, der sich über die Mitte der Stufen zog und einem grünen Wasserfall glich, war fachmännisch befestigt und bot an keiner Stelle eine Stolperfalle. Der Treppenaufzug störte nicht, wenn man hoch- oder runterwollte.

»Die Schlafzimmer sind oben.« Elfriede Germanus setzte sich auf den Sitz des Aufzuges und ließ sich nach oben fahren. Oben angekommen, wechselte sie in einen anderen bereitstehenden Rollstuhl und deutete auf eine Tür. »Öffne bitte«, bat sie Charlotte.

Die Sonne schien hell durch das Fenster in Friedrich Germanus’ Schlafzimmer. Der Parkettboden glänzte. Es roch nach frischer Bettwäsche. An den Wänden klebten bordeauxfarbene Textiltapeten, die so neu wirkten, als ob die Handwerker gerade erst zur Tür herausgegangen wären.

»Sie schlafen nicht hier?«, fragte Stephan, als er das schmale Bett sah.

Elfriede Germanus prüfte gerade mit der Kuppe ihres Zeigefingers die Sauberkeit der Biedermeierkommode, neben der sie mit ihrem Rollstuhl stand. »Nein, ich schlafe zwei Zimmer weiter.« Offensichtlich war sie zufrieden, denn sie legte die Hände in ihrem Schoß zusammen. »Wissen Sie, Friedrich litt unter Rhonchopathie. Oder sagen wir eher, ich litt darunter.« Sie lächelte traurig.

Stephan runzelte verständnislos die Stirn.

Charlotte, die hinter dem Rollstuhl stand und die Griffe festhielt, erläuterte: »Friedrich schnarchte.«

»Ja, fürchterlich«, bestätigte Elfriede Germanus. »Selbst in meinem Zimmer hat man ihn noch gehört.«

Stephan nickte und zeigte auf das Nachtschränkchen. »Ich darf doch?«

»Selbstverständlich. Sie sind von mir zu allem befugt, was dienlich sein könnte.«

Er zog die oberste Schublade auf. Ein Krimi lag griffbereit. »Edgar Noske: Im Dunkel der Eifel«, las er. Das Lesezeichen, ein schlichter roter Pappstreifen, steckte auf Seite zehn. Neben dem Buch lag eine Taschenuhr, darunter ein kleines Fotoalbum. Stephan nahm es heraus und blätterte darin. Die Innenseiten wurden durch Pergamin, auch Spinnenpapier genannt, getrennt. Es fühlte sich spröde an. Seite für Seite blickten ihm unbekannte Menschen entgegen.

»Unsere Kinder, Freunde und so weiter«, erklärte Elfriede Germanus. »Menschen, die uns was bedeuten. Bei mir stehen die Bilder eingerahmt auf dem Schminktisch. Friedrich zog Alben …« Sie stockte und bedeutete Charlotte, sie etwas näher heranzuschieben. »Da stimmt was nicht«, stellte sie fest. »Blättern Sie bitte mal eine Seite zurück.«

Stephan kam der Aufforderung nach. Links klebte das Porträt eines urwüchsig aussehenden Mannes. Das Alter schätzte Stephan auf fünfzig. Rechts lag lose das Bild einer hübschen schwarzhaarigen Frau.

Elfriede Germanus starrte schweigend auf das Album. Ihre Augen sprangen von links nach rechts.

Stephan sah zu Charlotte, die nur hilflos mit den Schultern zuckte.

»Der Mann oder die Frau?«, fragte er. »Wer passt nicht?«

Elfriede Germanus zuckte zusammen. »Wie bitte?« Sie schien ganz in Gedanken gewesen zu sein.

»Der Mann oder die Frau?«, wiederholte Stephan. »Wer erregt Ihre Aufmerksamkeit?«

»Ach so, ja, das meinen Sie.« Sie tippte auf den Mann. »Das ist Karl Liebknecht, der Gärtner. Aber die Frau, hm, die kenne ich nicht.«

Stephan drehte das Album ein wenig, sodass er besser hineinschauen konnte. »Sind Sie sicher?«

»Absolut«, bestätigte sie ernst, »das Gesicht habe ich noch nie gesehen.«

Er hielt das Album so, dass Charlotte das Foto betrachten konnte, und sah sie fragend an, doch Charlotte schüttelte den Kopf. »Ich kenne viele, aber auch nicht alle. Wer weiß, ob die überhaupt hier in der Nähe wohnt.«

»Hm, ja, klar«, murmelte Stephan und wandte sich wieder an Elfriede Germanus. »Sicherlich haben Sie nichts dagegen, wenn ich es mir ausborge.«

Die alte Frau wedelte mit ihrer Rechten in der Luft herum. »Nein, nein, nehmen Sie ruhig das ganze Album mit.« Sie beugte sich vor und räusperte sich. »Glauben Sie, dass die Frau etwas mit dem Tod meines Mannes zu tun hat?«

Stephan biss sich auf die Unterlippe. Sollte er seine eigentliche Vermutung preisgeben? Er wusste nicht, ob sie ihren Mann noch geliebt hatte, und wollte sie nicht enttäuschen, wollte ihr nicht ihren Glauben an eine perfekte Ehe nehmen.

Charlotte erlöste ihn. »Elfi, ich weiß ja inzwischen, wie Stephan arbeitet. Zurzeit sammelt er nur, ganz wertfrei.« Sie zwinkerte Stephan zu, ohne dass ihre Freundin es bemerkte.

Elfriede Germanus öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Ihr trauriger Gesichtsausdruck zeigte Stephan, dass sie gerade selbst hinter die mögliche Bedeutung des Fotos gekommen war. Sie wirkte plötzlich müde und erschöpft. »Liebchen, kannst du mich bitte nach unten bringen?«, fragte sie Charlotte.

»Klar doch«, antwortete Charlotte rasch und packte die Griffe des Rollstuhls fester.

»Einen kleinen Moment schaue ich mich noch um, falls Sie nichts dagegen haben«, sagte Stephan.

Frau Germanus hob als Antwort nur den Arm.

Die Kirchenglocke der Breniger Pfarrkirche St. Evergislus schlug zwei Uhr, ein Rasenmäher brummte, jemand schritt über den Kies vor der Villa.

Stephan saß auf der Bettkante, die Hände auf den Oberschenkeln. Zwanzig Minuten hatte er das Zimmer durchsucht, aber außer ein paar Staubflusen unter dem Bett nichts gefunden, was den Eindruck erweckte, nicht hierhin zu gehören. Was war geschehen? War Friedrich Germanus wirklich gestoßen worden? Dass er die Treppe heruntergestürzt war, wirkte auf Stephan eher zufällig. Vielleicht war tatsächlich jemand ins Haus eingedrungen, um ihn zu töten, doch bevor der Fremde ins Schlafzimmer des alten Mannes schleichen konnte, war ihm der Zufall zu Hilfe gekommen. Ein Stoß genügte, und alles sah wie ein Unfall aus. Wie wahrscheinlich war das Ganze? Welche Motive kämen infrage? Elfriede Germanus, die doch von der Frau auf dem Foto gewusst hatte, könnte aus Eifersucht getötet haben. Aber würde sie dann einen Schnüffler engagieren? Das konnte Stephan nicht glauben.

Geld könnte eine Rolle gespielt haben. Vielleicht konnten die Erben nicht ab warten? Könnte der Sohn etwas damit zu schaffen haben? Vielleicht war er es leid, dass sein Vater ihm immer noch ins Geschäft reden konnte.

Stephan seufzte. Es gab zurzeit wenig, dem er nachgehen konnte. Am besten wäre es, sich zunächst in die Familie einzuarbeiten, in das persönliche Umfeld des Verstorbenen, um dann mögliche Verbindungen und Machenschaften erkennen zu können.

»Madam sagte, ich solle nach Ihnen sehen.« Roberts feste Stimme ließ Stephan erneut zusammenzucken. Der Mann hatte etwas Leichtfüßiges.

»Meine Katze schleicht genauso wie Sie.«

»Dann haben Sie eine sehr geschmeidige Katze«, entgegnete Robert. Ein Schmunzeln umspielte seine Lippen.

Sieh an, dachte Stephan, der kann auch anders als steif. »Haben Sie einen Moment Zeit, Robert?«

Der Butler stützte sich leicht auf seinen Blindenstock. »Sie möchten mich über Herrn Germanus befragen?«

Stephan nickte, dann wurde ihm klar, wie überflüssig eine solche Geste bei Robert war. »Ja, aber nicht nur. Ich möchte auch ein wenig über die Familie erfahren. Sie wissen schon, all die Dinge, die auch ein Fernsehkommissar fragt.« Er lachte leise. »Alles, was Sie mir erzählen, muss ich nicht bei Frau Germanus nachfragen, Sie verstehen schon.«

Roberts Miene nahm einen sanften Ausdruck an. »Ja, danke, Madam sollte geschont werden.«

»Sie mögen Frau Germanus, habe ich recht?«

»Ich arbeite gerne hier«, wich Robert aus.

Stephan stand auf. Die Federn quietschten. »Ich denke, wir sollten uns irgendwohin verziehen, wo wir ein wenig bequemer sitzen. Was meinen Sie?«

»Die Küche befindet sich im Souterrain. Den Keller ausgenommen, ist dies der kühlste Raum im ganzen Haus.«

Stephan zupfte an seinem T-Shirt, das an der Brust klebte. »Da sage ich doch nicht Nein.«

Der Rückweg führte sie wieder über die Treppe.

»Die Stufen sind tückisch«, erklärte Robert. »Sie neigen sich. Wenn man hinaufgeht, ist das kein großes Problem. Hinunter dagegen rutscht man leicht aus.«

Stephan schwieg. Dass die Stufen für den blinden Butler gefährlich waren, verstand er. Aber Friedrich Germanus hatte fast sein ganzes Leben hier verbracht. Die Bewältigung der Stufen musste ihm in Fleisch und Blut übergegangen sein. Allerdings hatte er Schlaftabletten genommen. Möglicherweise waren sie der Grund für den Unfall. Stephan stellte sich den alten Mann vor, der, bereits im Halbschlaf, noch rasch hinunterwill, um sich … ja, um was eigentlich?

»Was könnte er mitten in der Nacht unten gewollt haben?«, fragte Stephan. »Gibt es hier oben eine Toilette?«

»Zwei«, antwortete Robert, »eine für die Gäste und ein Bad für die Familie.«

Stephan rieb sich den Nacken. »Was treibt einen alten Mann mitten in der Nacht durch das Haus?«, murmelte er.

Am unteren Treppenabsatz wandte Robert sich, ohne zu zögern, nach links.

»Wie machen Sie das?«, fragte Stephan beeindruckt.

»Wie meinen?«

»Man merkt Ihnen kaum an, dass Sie blind sind«, konkretisierte Stephan.

Robert lachte. »Ich habe jahrelang hart trainiert. Vieles kann ich mit dem Gehör kompensieren, und das ist bei mir Gott sei Dank noch ausgezeichnet. Dazu kommt etwas Restsehfähigkeit. Ein paar Schatten und Umrisse kann ich noch erkennen. Mein Blindenstock schafft die absolute Sicherheit.«

Sie betraten die Küche. Tatsächlich war es hier deutlich kühler als im übrigen Haus. Der Temperaturabfall trieb Stephans Kreislauf an. Schweiß lief ihm über den Rücken.

»Möchten Sie noch ein Bier?«, fragte Robert.

»Vielleicht später. Wasser wäre nett.«

Während Robert ein Glas aus dem Schrank holte und eisgekühltes Wasser auf dem Tisch bereitstellte, sah sich Stephan um. Seine Erwartungen hatten sich erfüllt. Die Küche präsentierte sich im rustikalen Landhausstil, mit großer Esse über dem Herd, an der Kupferpfannen hingen. Die groben Keramikfliesen glänzten geölt. Frische Kräuter standen auf der Arbeitsplatte und verströmten einen Geruch von Basilikum, Estragon und Minze.

»Nehmen Sie doch bitte Platz«, sagte Robert. Er wartete geduldig, bis Stephan sich gesetzt hatte, bevor er sich selbst auf einem Stuhl niederließ.

»Wer kocht denn hier?«, erkundigte sich Stephan.

Robert lachte und schüttelte den Kopf.

Erstaunt hob Stephan die Augenbrauen. »Was ist?«

»Nichts, nein. Ich bitte um Entschuldigung.« Robert hob die Hand. »Es ist nur, dass Sie offensichtlich nicht aus Ihrer Haut können.«

»Ich verstehe immer noch nicht«, gab Stephan zu.

Robert lehnte sich zurück. »Sie fragen, wer hier kocht, wollen aber eigentlich wissen, wer hier sonst noch arbeitet. Somit suchen Sie nach potenziellen Verdächtigen.«

Stephan grinste. »Na, da haben Sie sich aber schön was zusammengereimt. Ganz so berechenbar sind wir Bullen auch nicht. Aber von mir aus, fangen wir damit an. Wer gehört zum Kreis Ihrer Kollegen?«

»Nicht mehr viele, leider«, klagte Robert. »Die Köchin kommt am Nachmittag. Ihr Name ist Katharina Klawartzki. Wir rufen Sie Kaka. Und dann gibt es noch einen Gärtner, Karl Liebknecht.«

Stephan sah aus dem großen Fenster über der Steinspüle. Die untere Kante lag auf Bodenniveau des gepflegten Gartens, in dem alles blühte. Eine Meise hüpfte am Fenster vorbei, hielt an, rupfte einen Wurm aus dem Boden und flog davon. Mit der Einstellung des Gärtners hatte der alte Germanus ohne Zweifel ein glückliches Händchen bewiesen.

»Soll ich ein Treffen für Sie arrangieren?«, fragte Robert.

»Vielleicht später«, antwortete Stephan. »Ich muss mir erst einen Überblick verschaffen, um zu wissen, wo ich ansetzen muss. Erzählen Sie mir doch bitte von dem Abend, an dem Herr Germanus gestorben ist. Ist Ihnen irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

Robert befeuchtete seine Lippen und ließ sich mit der Antwort Zeit. »Nichts, leider. Alles war wie immer«, antwortete er schließlich und senkte den Kopf. »Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich die Tragödie ja vielleicht auf halten können.« Er hob den Kopf wieder und blickte Stephan aus trüben Augen an. Er schien plötzlich um Jahre gealtert zu sein. »Nachts liege ich wach und frage mich das immer und immer wieder. Ich hätte Frau Germanus dies alles gern erspart.«

Stephan trank einen Schluck Wasser, um dem Butler Zeit zu geben, sich zu sammeln. Eiskalt rann die Flüssigkeit seine Kehle hinunter und nahm den pelzigen Nachgeschmack des Bieres mit. Von der Terrasse drang leises Gelächter zu ihnen durch. Eine lustige Witwe, dachte Stephan. So leidend kam sie ihm gar nicht vor.

Robert schien seine Gedanken erraten zu haben. »Alles nur oberflächlich, lassen Sie sich davon nicht täuschen.«

Stephan musterte ihn und nickte. »Wenn Sie das sagen, wird es wohl stimmen. Schließlich dürfte kaum jemand Frau Germanus besser kennen als Sie, vielleicht mit Ausnahme ihrer eigenen Kinder.«

Verächtlich stieß Robert Luft aus, sagte aber nichts.

»Oder nicht?«, hakte Stephan nach.

Robert winkte ab. »Ich wollte damit nur kundtun, dass es mir nicht zusteht, die Familienverhältnisse zu beurteilen. Mehr nicht.«

Eine Ausrede, dachte Stephan. Er weiß mehr, wird es dir aber nicht verraten. Seine Loyalität zur Familie ist ungebrochen. »Kann ich verstehen«, gab er sich einsichtig und nahm sich vor, dieser Sache später nachzugehen.

Roberts Miene entspannte sich. Offensichtlich war er froh, dass er nicht weiter bedrängte wurde.

Stephan beugte sich vor. »Die Tragödie, mir ist noch nicht klar, wie das alles passieren konnte. Haben Sie eine Erklärung?«

Robert wiegte den Kopf. »Also wenn ich ehrlich sein darf: Bei Herrn Germanus hat das fast zwangsweise irgendwann geschehen müssen.« Er presste die Lippen aufeinander.

»Jetzt machen Sie mich neugierig«, gab Stephan zu.

Der Butler zögerte. »Wissen Sie«, begann er dann, stockte und fing wieder an. »Herr Germanus pflegte ungewöhnliche Bräuche.«

Stephan beugte sich noch weiter vor.

»Jeden Abend eine warme Milch, dazu eine kleine Mahlzeit und zwei Schlaftabletten. Dann ein Fußbad im Eiswasser, anschließend bei Kerzenschein lesen, bis die Augen zufallen. Nachts in den Keller und Rotwein holen, alles solche Dinge.«

Damit hatte Stephan eine Erklärung, was Friedrich Germanus mitten in der Nacht umtrieb. »Nun ja, so abnorm ist das ja nun auch nicht«, stellte er fest. »Ungewöhnliche Bräuche würde ich das nicht unbedingt nennen.«

»Vielleicht«, bestätigte Robert. »Doch dass man stolpert und sich den Hals bricht, kann dann schon eher passieren, oder nicht? Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Keinesfalls will ich über den Hausherrn herziehen. Nichts läge mir ferner. Herr Germanus war ein gutmütiger Mensch, immer zu Späßen aufgelegt. Ich denke, das gefiel allen, die in seinen Bannkreis gerieten. Aber gleichzeitig benahm er sich mitunter wie ein Kind und kam auf die dümmsten Ideen.«

Stephan lehnte sich zurück und dachte nach. Vermutlich fühlte sich Robert nur in seiner Berufsehre gekränkt. Welcher Butler sieht es schon gerne, wenn sein Arbeitgeber selbst durchs Haus schleicht, um sich mit Genussmitteln zu versorgen?

»Sie denken also, es war ein Unfall.«

Robert zog die Stirn kraus. »Warum sollte ich daran zweifeln?«

»Ja, warum?«, gab Stephan zurück. »Aber nehmen wir einfach mal an, es wäre kein Unfall gewesen.«

Robert nickte. »Das alte Spiel: Was wäre, wenn?«

»Genau. Wer käme als Täter in Frage?«

Der alte Butler lachte auf. In Stephans Ohren klang es höhnisch.

»Er stritt sich oft mit seinem Sohn«, sagte er dann.

So kommen wir den Dingen näher, dachte Stephan. Vater und Sohn also, die klassische Konfliktsituation: Jugenddrang gegen Altersstarrsinn. Er schmunzelte. »Eben wollten Sie doch nicht über die Familienverhältnisse urteilen.«

Robert straffte sich. »Ehrlich gesagt: Ich kann den Junior nicht besonders leiden«, brummte er. »Ich hatte mich einen Augenblick nicht unter Kontrolle, und daher ist es mir so raus gepurzelt.« Er verschränkte die Arme und setzte eine verschlossene Miene auf.

»Hatte Herr Germanus Feinde? Klammern Sie die Familie ruhig aus, wenn es Ihnen lieber ist.«

Jetzt lächelte Robert wieder. »Feinde, die ihn lieber tot als lebendig gesehen hätten?«

»Wenn Sie so wollen.«

»Feinde, die einen Unfall fingieren könnten?«

»Die Annahme ist grenzwertig, ja, aber nicht ausgeschlossen. Lassen wir das Wie vorerst beiseite. Erzählen Sie einfach, was Ihnen durch den Kopf geht.«

»Herr Germanus war Geschäftsmann. Sicherlich wird in der Geschäftswelt hin und wieder mit harten Bandagen gekämpft, soweit ich das mit meinen bescheidenen Kenntnissen überhaupt beurteilen kann«, ließ sich Robert darauf ein. »Aber ein Mord, nein, das finde ich schon ziemlich weit hergeholt.«

»Hatte er Streit mit jemandem?«

»Außer seinem Sohn?«

»Ja, den hatten wir ja schon.«

Robert holte Luft, schien etwas sagen zu wollen, schüttelte dann aber schweigend den Kopf. Aus ihm würde Stephan im Moment nicht mehr rauskriegen, das wusste er.

Das Gelächter oben wurde alberner, drang nun deutlich zu ihnen ins Souterrain. Stephan klopfte mit der flachen Hand auf den Tisch und stand auf. »Ich denke, ich schau jetzt lieber mal nach Charlotte. Sie haben sicherlich nichts dagegen, wenn wir uns in den nächsten Tagen noch mal unterhalten?« Als Robert nickte, fügte er hinzu: »Sie haben mir schon sehr geholfen, danke.«

Er verabschiedete sich und ging die Treppe hinauf.

Elfriede Germanus’ Laune hatte sich deutlich gebessert, seit sie im Fotoalbum ihres verstorbenen Mannes das Bild der fremden Frau entdeckt hatte, denn sie lächelte Stephan an und sagte: »Charlie und ich erzählen von der guten alten Zeit, als wir noch jung und knackig waren und die Männer schon schwitzten, wenn sie uns nur kommen sahen.« Sie kicherte in die vorgehaltene Hand. Dann zwinkerte sie ihm zu und grinste. »Sie schwitzen ja auch, Herr Tries.« Ihre leicht schleppende Aussprache zeugte von reichlichem Champagnergenuss.

Auch Charlotte schien einige Gläser getrunken zu haben, denn ihre Wangen glänzten rosig. »Den kriegst du nicht, den kriegst du nicht«, prustete sie. »Der gehört mir.«

Frauen und Alkohol, dachte Stephan. Fangen sie mittags an zu saufen, können sie abends nicht mehr laufen.

»Wir müssen leider los«, sagte er und blickte demonstrativ auf seine Uhr.

»Och, schade.« Elfriede Germanus formte einen Schmollmund.

Schwankend stand Charlotte auf, umarmte sie linkisch und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich melde mich.«

Auch Stephan verabschiedete sich.