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Ursula Ott

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Beschreibung

Wie ich einmal ganz alleine den Staatshaushalt retten sollte Als Durchschnittsverdiener ist man hierzulande arm dran. Da zahlt man nämlich so viel Steuern wie in keinem anderen Land der Welt. Was Wunder also, dass drei Viertel aller Deutschen das Steuersystem ungerecht finden und Steuern auf Platz 5 der Auswanderungsgründe rangieren. Als persönlich leidvoll Betroffene – kürzlich hat eine Steuerprüfung sie ereilt – geht Ursula Ott das Thema mit viel Verve und auch Ironie an. Sie schreibt, warum man sich seinen Steuerberater mindestens so sorgfältig aussuchen sollte wie seinen Friseur. Warum mit Finanzbeamten auf Partys keiner reden will. Warum schon allein der Anblick eines Steuererklärungsformulars entschiedene Unlustgefühle auslöst. Und fragt sich vor allem: Warum bloß verbringen wir so viel wertvolle Lebenszeit damit, unsere Bücherquittungen über € 7,90 zu sortieren, während der Staat den Banken gerade 20 Milliarden Euro überweist?  

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Seitenzahl: 168

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Ursula Ott

Total besteuert

Wie ich einmal ganz alleine den Staatshaushalt retten sollte

Mit Illustrationen von Caroline Ennemoser

Deutscher Taschenbuch Verlag

Originalausgabe 2010

© Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Rechtlicher Hinweis §44 UrhG: Wir behalten uns eine Nutzung der von uns veröffentlichten Werke für Text und Data Mining im Sinne von §44 UrhG ausdrücklich vor.

eBook ISBN 978-3-423-40310-8 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-34597-2

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/​ebooks

Inhaltsübersicht

Vorwort

Lustkiller Steuererklärung

Große Fische, kleine Fische

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen

Mein Steuerberater und ich

Arbeit, das reinste Vergnügen

Gründerfieber oder Gründerschnupfen?

Die Lohnsteuerzahler sind die Doofen!

Sind wir nicht alle ein bisschen rosa?

Lang, lang ist´s her

Der Chi-Quadrat-Test

Das Private ist fiskalisch!

Es ginge auch anders

Steuern klar – aber wofür?

Was macht ihr da mit unserem Geld?

MySteuer

Das ist jetzt aber Kabarett. Oder?

Ein gestörtes Verhältnis

Steuerzahler, kommst du nach Köln, dann bist du schön blöd

Beruf: Finanzbeamter

Liebes Finanzamt!

Vorwort

Manche Leute fragen sich, wo der Staat das ganze Geld hernimmt, das er an die Hypo Real Estate, an das bankrotte Griechenland und an die WestLB bezahlt. Ich frage mich das nicht, denn ich habe die starke Vermutung: Er holt sich’s bei mir! Ich bin alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und habe mich zehn Jahre als freie Journalistin durchgeschlagen. Ich bin ein fleißiges Mädchen, drum habe ich in diesen Jahren gut verdient und viele Steuern bezahlt. Aber da könnte doch noch was zu holen sein, dachte sich offenbar der Staat.

Es fing ganz harmlos an. Im Sommer 2008 lag ein Formschreiben des Finanzamtes in meinem Briefkasten: Betriebsprüfung. Ja, warum auch nicht – der Staat muss schließlich darauf achten, genug Geld für seine Schulen und Straßen einzutreiben.

Schlechtes Gewissen? Nö, ich doch nicht. Ich habe keine Konten im Ausland, habe keine Ahnung, wo die Cayman-Inseln liegen, und weiß von Liechtenstein nur, dass es sich mit ie schreibt. Ich bin der Typ, der sich in die Hose macht, wenn er in der U-Bahn mal schwarzfährt, und der noch nicht mal auf der Frankfurter Buchmesse Bücher klauen kann.

Ahnungslos trug ich meine Kontoauszüge aufs Finanzamt – ja, ich habe nur ein Konto für berufliche und private Zwecke. Sollten die sich ruhig ansehen, ich habe nichts zu verbergen. Dachte ich mir.

Das war im Juli. Ich hörte lange nichts. War ja auch sonst viel los in der Welt. Die Börsen gerieten in Tumult, am 15.September crashte die Lehman Bank in New York. Wenige Tage später hatte ich ein knallgelbes Einschreiben der Staatsanwaltschaft im Briefkasten: Verfahren wegen Steuerhinterziehung. Ich? Eine Frau Zumwinkel? Vorsichtig guckte ich vom Balkon, ob die Bochumer Staatsanwältin Lichtenhagen schon mit dem WDR-Team vor der Tür wartete. Dann las ich noch mal. Steuerhinterziehung? Gerichtsverfahren?

Ich stand in meinem Leben erst einmal vor Gericht, bei meiner Scheidung. Die hatte ich dank vieler teurer Mediations- und Beratungsstunden – übrigens nicht von der Steuer absetzbar – in einer abgelegenen Ecke meines Hirns beerdigt. Nie hätte ich gedacht, dass genau dorthin auch das Finanzamt jetzt gerne Zugang hätte. Wie überhaupt zu meinem Leben der letzten elf Jahre.

Denn dies war der Fortgang der Ereignisse. Vier verschlampte Honorare hatte die Steuerprüferin gefunden, das reicht für eine Strafanzeige. Und für eine Ausdehnung der Prüfung. Elf Jahre Leben diskutierte ich fortan mit meiner Steuerprüferin. Steuerprüfung über den Zeitraum 1996 bis 2006, das bedeutet in meinem Fall: eine Hochzeit, zwei Schwangerschaften, eine Scheidung, eine neue Liebe, vier Bücher, zwei Insolvenzen meiner Arbeitgeber, drei Umzüge.

Und während da draußen eine Bank nach der anderen zusammenbrach, während der Staat allein für die Hypo Real Estate rund 100Milliarden an Bürgschaften zur Verfügung stellte, saß ich in einem schlecht gelüfteten Büro und verhandelte mit der Finanzbeamtin darüber, warum das Buch ›Herr Lehmann‹ von Sven Regener, im Jahr 2002 in einer Ravensburger Buchhandlung für 18,90Euro erstanden, nicht als Fachbuch durchgeht. »Schönes Buch«, sagte sie, »aber das haben Sie doch zum Vergnügen gelesen.« »Nein«, sagte ich, »den habe ich in eine Talkshow eingeladen und für eine Zeitschrift interviewt.« »Aber Vergnügen hatten Sie trotzdem.« Und wieder waren 28,51Prozent Steuern aus 18,90Euro für den Staatshaushalt gerettet.

Ein Jahr lief das so, ein wertvolles Jahr meines Lebens. In dem Jahr ging mir so einiges verloren: viele Euros, ich musste Berater und Gutachter beschäftigen. Viel Nachtschlaf. Ein Zahn, weil ich vor lauter Wut offenbar nachts die Zähne zusammengebissen hatte. Verloren ging mir aber auch das Grundvertrauen, dass es im Großen und Ganzen mit den Steuern schon irgendwie Sinn machen würde. Nein, es macht keinen Sinn. Dieses Steuersystem ist ein Moloch. Es ist so kompliziert, dass auch Steuerberatern reihenweise Fehler unterlaufen. Oder warum hat mein damaliger Steuerberater 1998 nicht kapiert, dass man den Zuschuss zur Altersversorgung als Honorar angeben muss? Es ist ungerecht, weil es Menschen mit mittleren Einkommen übermäßig belastet, also solche wie mich und dich und alle, die sich gerade so durchwursteln mit einem Job, einer Liebe, zwei Kindern and the whole catastrophe, wie Alexis Sorbas sagen würde. Aber der Grieche hat sich, wie man jetzt erst weiß, den unerfreulichen Steuerkram die letzten fünfzig Jahre ohnehin weitgehend vom Hals gehalten. Man kann´s verstehen, irgendwie.

Denn das hat mich in einem Jahr unsinniger Belege-Klauberei am meisten erzürnt: Der Fiskus nervt! Er kostet Zeit! Er mischt sich unerhört in mein Leben ein. Muss ich mir das gefallen lassen, dass eine wildfremde Steuerprüferin fragt, wann mein Ex-Mann zuletzt bei mir übernachtet hat? Muss ich einer Beamtin wirklich erklären, warum an dem Tag, an dem ich ein Ikea-Regal gekauft habe, keine Abbuchung von meinem Kreditkartenkonto erfolgt ist? Dass man bisweilen 500Euro mit sich rumträgt und dann irgendwann ausgibt? Ja, das musste ich.

Und so beschloss ich, um Waffengleichheit herzustellen und meine frisch gewonnenen Erkenntnisse mit der Welt zu teilen: Ab sofort wird zurückgeforscht. Ich schreibe ein Buch! Du, Finanzamt, willst wissen, ob eine Reportagereise nach Mexiko zum Allerheiligenkult nicht vielleicht doch mein Privatvergnügen war? Du verlangst, dass ich jedes Chili con Carne von 1996 als Betriebsausgabe nachweisen kann? Dann will ich jetzt von dir umgekehrt wissen, warum du den Hundefutter-Herstellern Steuergeschenke machst und den Babywindel-Herstellern nicht. Dann will ich wissen, warum du hoffnungsvolle Existenzgründer so lange quälst, bis sie pleite sind. Warum du Ärzten gleich Steuerhinterziehung unterstellst, wenn sie aus Versehen ihre 10-Euro-Praxisquittungen im Arztkittel verknuddelt haben, statt sie korrekt zu verbuchen.

So veränderte sich mein Leben radikal. Seit ich mich mit diesem Buch beschäftige, findet sich in meinem Briefkasten neben ›Psychologie Heute‹ und ›Emma‹ auch die Zeitschrift ›Der Steuerzahler‹. Neben meinem Bett liegt nicht nur der neue Martin Walser, sondern auch das weiße Buch ›Probleme beim Vollzug der Steuergesetze‹ mit dem schwarzrotgoldenen Schriftzug des Bundesbeauftragten für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Ja, so was gibt´s, weil die Verwaltung ist halt nicht wirtschaftlich, und das liegt nicht zuletzt an den Steuern. Darin findet sich der wunderschöne Satz: »In einer weltweiten Erhebung des Weltwirtschaftsforums zur Transparenz und Effizienz der Steuersysteme liegt Deutschland unter 102Staaten auf dem letzten Platz – weit abgeschlagen nach Haiti und der Dominikanischen Republik.« Sorry, Martin Walser, da kannst du nicht mithalten. Haiti vor Deutschland! Das muss man sich mal vorstellen. Warum bloß kommt kein THW und rettet uns aus dieser Steuerkatastrophe?

Ein Jahr lang habe ich Menschen besucht, die den Glauben an die Steuergerechtigkeit in Deutschland verloren haben. Die engagierte Steuerfahnderin aus Frankfurt, die sie kaltgestellt haben, weil sie die wirklich großen Fische aus der Bankenwelt fangen wollte. Den tüchtigen kleinen Kneipengründer aus Ostdeutschland, den sie fast kaputt geprüft haben. Den Stuttgarter Wirtschaftslehrer, der allen Ernstes im Gerichtssaal seinen eigenen Schülern gegenübergestellt werden sollte, nur weil er die ›Financial Times‹ von der Steuer absetzen wollte. Und schließlich die Schweizer Kollegin, die genauso lebt wie ich, Autorin, Mutter, Mittelschicht – und die genau einen Tag im Jahr auf das Thema Steuern verschwendet. Wenn es Fragen gibt, ruft er an, der Steuerkommissär. Anrufen! Na also, geht doch. In Deutschland kommt im Ernstfall gleich mal ein Einschreiben von der Staatsanwaltschaft.

Meine »Steuer-Compliance« hat sich nicht verbessert in diesem Jahr Recherche. Compliance? Hui, dolle Vokabel, habe ich auch neu gelernt. Stammt aus der Medizin, wo sie zum Beispiel die Compliance, also die Therapietreue von Diabetikern testen, ihre Bereitschaft, brav die Medikamente einzunehmen. Das Bild aus der Medizin passt gut, denn dieses Steuersystem ist krank. Und es wundert mich gar nicht, wenn Patienten rebellisch werden.

Ja doch, ich beteilige mich weiter an diesem komischen System, ich zahle meine Steuern und sortiere neuerdings auch brav meine Belege in eine alphabetisch geordnete Mappe. Ich will schließlich nicht noch ein Jahr meines Lebens mit dem Finanzamt verbringen. Aber zwei Dinge verstehe ich jetzt besser denn je. Warum jeder fünfte Auswanderer aus Deutschland sagt, es sei wegen des Steuersystems. Und warum die Steuerprüferin, die mich ein Jahr lang gequält hat, beim Abschlussgespräch jammerte, sie werde auf keine Party eingeladen. Ganz ehrlich, ich würde sie auch nicht einladen.

Lustkiller Steuererklärung

Warum uns die Steuer so nervt

Wolfgang M. ist Professor für Soziologie, wohnt in Köln und arbeitet in Frankfurt. Wenn er am Freitagabend nach Köln kommt, hat er genau 48Stunden bei seiner Familie. Davon gehen jeden Samstag zwei Stunden für Abrechnungen drauf. Welche Ausgaben sind diese Woche für die doppelte Haushaltsführung angefallen, welchen Anteil der Stromrechnung und der Umlagen kann er steuerlich geltend machen? Wie viele Kilometer spuckt der Routenplaner im Internet für die Dienstreisen nach München, Wiesbaden und Mainz aus? Sind wirklich alle Briefmarkenquittungen komplett, hat der Hilfsverein für verfolgte Journalisten seine Spendenquittungen endlich geschickt, und welche Summe bei der Fensterputzer-Rechnung entfällt auf Lohnanteil inklusive Mehrwertsteuer? Seine Frau hasst das Thema »Steuer«. »Erst wenn er am Samstag gegen zwei mit dem Kram durch ist, kann man ihn für irgendwas gebrauchen«, sagt sie, »vorher hat er nur schlechte Laune.«

Sabina F. ist freischaffende Künstlerin in Hamburg. Sie verdient wenig, Geld für einen Steuerberater hat sie nicht. Aber ständig ein schlechtes Gewissen, sie müsste sich eigentlich um die Steuer kümmern. »Aber immer, wenn ich samstags die Schuhschachtel angucke, in der die Quittungen vom Farbengeschäft liegen«, sagt sie, »dann fällt mir ein, dass Geschirrspülen auch ganz schön ist.« Alles besser als Steuer.

Volker N. ist Teamleiter bei einem Autozulieferer in Karlsruhe. Er hat ein paar stressige Jahre hinter sich, Scheidung, Streit ums Kind, neuerdings Angst um den Arbeitsplatz. Die Steuer hat er einfach verdrängt, Briefe vom Finanzamt ungeöffnet auf einen Stapel geworfen. Geht natürlich nicht, jetzt hat das Finanzamt ihn geschätzt. »Steuererklärung« ist für ihn ein Reizwort. Oder soll man sagen: das Gegenteil. »Wenn ich im Fitnessstudio bin und diese Mädels in ihren ultraknappen Sportsachen sehe«, sagt er, »wusste ich früher nie, wie ich meine Blutzirkulation in den Griff kriege.« Jetzt hat er eine Methode gefunden. »Mir reicht der Gedanke an die Steuererklärung«, sagt er, »und nichts rührt sich mehr bei mir. Echt praktisch.«

Steuer ist – bah. Lustkiller, Spaßbremse, Nervpotenzial. So lästig wie ein Pickel. Warum ist das so? Warum bekommen fast alle Menschen schlechte Laune, wenn sie an ihre Steuererklärung denken?

Da kommen drei Dinge zusammen: erstens das tief sitzende Gefühl, dass es ungerecht zugeht mit unseren Steuern, dass irgendwie alles ein großer Beschiss ist. Zweitens das diffuse schlechte Gewissen, sich im Dickicht von Paragrafen, Steuernovellen und unleserlichen Benzinquittungen verheddert und doch irgendwas falsch gemacht zu haben. Gepaart mit der stillen Wut, dieser Fehler könnte durchaus auch zu unseren Ungunsten sein. Mist, doch was übersehen, was wir noch hätten absetzen können? Und drittens – die große Sinnfrage: Warum müssen wir überhaupt so viele kostbare Stunden unserer Lebenszeit mit diesen Schuhkartons voller unleserlicher Quittungen verbringen? Uns die Laune von diesen hässlichen grauen Briefen vom Finanzamt verderben lassen? Hätte ich in derselben Zeit nicht den neuen Krimi von Martin Suter lesen können, mit meinen Kindern Englischvokabeln pauken, ein Glas österreichischen Rotwein trinken oder entspannten Sex haben können?

Das erste Gefühl– UNGERECHT! – sitzt tief in der deutschen Seele. Was sagen die Deutschen auf die Frage, welche Bereiche in Politik und Sozialem sie als ungerecht empfinden? Nein, es ist nicht die böse, kalte, kinderfeindliche Politik, die so schnöde mit Familien umgeht, es sind noch nicht mal die Managergehälter oder die zu mageren Renten, die ganz vorne genannt werden. Es ist das Steuersystem, das auf dieser Skala auf Platz eins kommt: 82Prozent der Deutschen finden, dass das deutsche Steuersystem ungerecht ist.

Kein Wunder, dass so viele versuchen, ihm zu entkommen. Fragt man deutsche Auswanderer, warum sie das Land verlassen haben, sagt jeder fünfte, wegen der hohen Steuern und Abgaben in Deutschland. Dieser Auswanderungsgrund rangiert noch vor den Motiven »Lebensqualität« und »Lebensstandard«. Goodbye, Deutschland.

175000Deutsche haben 2008 das Land verlassen – eine Rekordzahl seit Kriegsende. Aber selbst wenn einer sich ein Herz gefasst hat und sein Bündel schnürt, entkommt er dem Finanzamt nicht so ohne Weiteres. Besitzt ein Auswanderer zum Beispiel Aktien, hält das Finanzamt flugs die Hand auf: Kaum hat man das Visum für Neuseeland in der Tasche, schon erhebt der deutsche Fiskus Steuern auf bis dahin entstandene Wertsteigerungen. Und das ist auch ganz in Ordnung so, hat der Bundesfinanzhof vor Kurzem entschieden und damit einen Auswanderer zurechtgewiesen, der sich den modernen Wegezoll nicht gefallen lassen wollte. Pech gehabt – je nachdem, in welches Land er zieht, muss der Deutschlandmüde sein Kapital sogar doppelt versteuern, das haben die obersten Richter hiermit bestätigt. Einmal als »Wegzugsteuer« in Good old Germany, einmal als Kapitalsteuer in der neuen Heimat.

Und so wandern viele Deutsche gar nicht selbst aus. Sondern lassen lieber ihr Geld auswandern. Eine Heerschar von Anlagebetrügern lebt vom generellen Steuerfrust der Deutschen. Hauptsache Steuern sparen – mit diesem Argument lassen sich selbst die dubiosesten Investmentfonds verkaufen.

Medard Fuchsgruber ist Wirtschaftsdetektiv in München, er spürt seit 20Jahren Anlagebetrüger auf der ganzen Welt auf. Manchmal wundert er sich, welchen windigen Geldanlagen die Kunden aufgesessen sind. Im wahrsten Sinne des Wortes. »Ein Betrüger verkaufte Beteiligungen an Windkraftanlagen, die er auf ein Schiff stellte«, erzählte Fuchsgruber der ›Süddeutschen Zeitung‹. »Das Schiff fiel um, das Geld war weg.«

Ja, sind die Leute denn total blöd? Nein, sie wollen Steuern sparen. »Das ist den Deutschen wichtiger als Sex«, weiß Fuchsgruber, »drum werben Betrüger fast immer mit steuerlichen Vorteilen.«

Das Gefühl der Ohnmacht überkommt nicht nur Normalverdiener, die auf eben diese Betrüger hereinfallen. Selbst ein mutmaßlicher Großverdiener wie der Karlsruher Philosophie-Professor Peter Sloterdijk wütete auf zwei Seiten in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹ über den Staat als »geldsaugendes und geldspeiendes Ungeheuer«. Klar, einer wie er verdaddelt wahrscheinlich kein Geld mit Windrädern und Schiffen. Nein, der Professor wundert sich vielmehr, dass nicht längst ein »antifiskalischer Bürgerkrieg« der Steuerzahler ausgebrochen ist. Aber der Deutsche macht so schnell keine Revolution. Er schimpft und zahlt. Und ist stinksauer.

Denn zum Gefühl des großen Beschisses kommt noch das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit. Denn eines ist doch klar: Wie du es machst, machst du es falsch. Machst du es dir leicht und erledigst deine Steuererklärung an einem Nachmittag, kannst du sicher sein: Da wär noch was gegangen. Hättest du nicht doch den Verlust aus diesem abgestürzten Investmentfonds angeben können? Wäre es nicht doch besser gewesen, statt des eigenen Autos die Bahntickets abzusetzen für die Fahrten zum Arbeitsplatz?

Bist du hingegen der Typ »Optimierer«, wirst du erst recht unglücklich sein, wenn der Steuerbescheid kommt. Klar, du hast das letzte Urteil zur Pendlerpauschale berücksichtigt und dem Finanzamt belegt, dass dein Lebensmittelpunkt neuerdings 50Kilometer entfernt liegt. Aber, verdammt, hätte man nicht doch noch einen zweiten Wohnsitz nachweisen können? Es ist wie überall im Leben: Wer beim Kauf acht Handys vergleicht, wird nie sicher sein, dass er wirklich das beste ausgewählt hat. Sondern vom diffusen Gefühl beschlichen, das neunte wäre perfekt gewesen.

Also: Egal wie man es anstellt, Steuererklärungen machen unglücklich. Fast alle Steuerzahler. Sowohl die – eher jüngeren, männlichen, sportlichen–, die den mächtigen Staat als Sparringspartner sehen, den sie bekämpfen, aber nie besiegen werden. Als auch die – eher älteren, weiblichen, eingeschüchterten–, die noch richtig Respekt haben vor Vater Staat. Der sie womöglich bestrafen wird, wenn sie nicht alles korrekt ausgefüllt haben.

Deutlich wurde das im August 2008, als das Finanzministerium ankündigte, ab Oktober allen Rentnern einen Kontrollbescheid zuzuschicken, ob sie denn wirklich ihre Rente versteuert hatten. Formal völlig korrekt, das Gesetz wurde bereits 2005 erlassen – natürlich darf der Staat jetzt mal nachfragen, ob Oma das alles richtig verstanden hat und auch brav bezahlt.

Interessant war die Reaktion der Rentner – in Person ihrer Toplobbyistin Ulrike Mascher. Die war bis 2002 selbst für die SPD im Bundestag, ja sie war sogar Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Sprich: Sie war selbst Repräsentantin des Staates.

Jetzt vertritt sie die andere Seite, die der Rentner und Steuerzahler, und schon klingt aus ihren Worten tiefes Misstrauen. »Ältere Menschen fragen sich besorgt: Bin ich denn ein Krimineller, wenn mir das Finanzamt solche Briefe schreibt?«

Post vom Finanzamt – da rutscht offenbar vielen von uns das Herz in die Hose. Oh Gott, habe ich was falsch gemacht?

Dabei kann man – nach vernünftigen mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen – sowieso nur Fehler machen. Bei den Steuerformularen für die Rentner ist es ganz offensichtlich: viel zu kompliziert! Sagen fast alle Experten. Die deutsche Steuergewerkschaft schätzt, dass jeder vierte Rentner das Formblatt fehlerhaft ausgefüllt hat, die gesetzliche Rente an der verkehrten Stelle eingetragen oder die Krankenkassenkosten vergessen hat.

Noch nicht mal Steuerberater kommen mit den permanenten Neuerungen hinterher. Im Jahr 2003 haben sie mal nachgezählt: Sie fanden 205Steuergesetze, sage und schreibe 96000Verwaltungsvorschriften und fast ebenso viele Urteile der Finanzgerichte. Und seither wird es kaum besser geworden sein. Allein das Einkommensteuergesetz wurde seit 1964 mehr als 260Mal geändert, diese Änderungen füllen 170Seiten. Natürlich ist das totaler Blödsinn – übrigens auch wirtschaftlich. »Die deutsche Steuerverwaltung«, schreibt der strenge Präsident des Bundesrechnungshofes, »schneidet beim internationalen Vollzug der Steuersysteme regelmäßig schlecht ab.« Das heißt: viel zu teuer – und zwar für den Staat und für die Bürger. Die Kosten, die deutsche Steuerzahler tragen, also zum Beispiel die Honorare für den Steuerberater, sind sogar höher als die Kosten der Steuerverwaltung. Andere Länder sind uns laut Bundesrechnungshof meilenweit voraus: Holland, Österreich, sogar Estland machen es günstiger. Hilfe, wer stellt dieses System endlich vom Kopf auf die Füße?

Denn immer neue Regeln und vor allem immer neue Ausnahmen machen es wirklich nicht besser. Im Gegenteil: Es ist in Deutschland längst so weit, dass sogar Finanzbeamte bisweilen vor dem organisierten Chaos kapitulieren. In Norddeutschland bekam ein Unternehmer im Dezember 2009 einen Brief vom Finanzamt, in dem wörtlich stand: »Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung wird dazu geraten, Einspruch gegen den Bescheid einzulegen.« Zu Deutsch: Hilfe, wir blicken selbst nicht mehr durch. Doof, doof, doof, bitte hau uns, wir haben bestimmt alles ganz falsch gemacht. Klingt grotesk, ist aber kein Einzelfall. Die ›Süddeutsche Zeitung‹ fand landauf, landab – vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen– Finanzämter, die den Offenbarungseid geleistet hatten und den Bürgern empfahlen, ihre Steuer am besten selbst zu berechnen. Schuld war eine Software, die die letzten Verästelungen der Unternehmenssteuerreform nicht wuppte. Schuld ist aber ganz grundsätzlich der deutsche Steuerdschungel. »Versuchen Sie doch mal als Eltern, die Anlage ›Kind‹ auszufüllen – ohne professionelle Hilfe ist das kaum möglich«, wettert Horst Vinken, Präsident der Bundessteuerberaterkammer.

Und selbst wenn das Finanzamt sich für kompetent hält – was es ja in der Mehrzahl der Fälle tut–, macht es haufenweise Fehler. Jeder dritte Steuerbescheid ist fehlerhaft, hat die Stiftung Warentest festgestellt.

Am häufigsten sind übrigens Zahlendreher, und die haben im Prinzip meine Sympathie. Als jemand, der grundsätzlich »Leibe« statt »Liebe« in den Laptop tippt und beim Handy gern dreimal nacheinander den Pincode der EC-Karte eingibt, habe ich volles Verständnis. Irren ist menschlich. Das Blöde ist nur: Wenn das Finanzamt Fehler macht, muss ich das erst mal merken. Also meine kostbare Freizeit investieren und alles überprüfen. Wieder ein paar Stunden, in denen man besser Rotwein getrunken, Krimis gelesen und mit den Kindern gespielt hätte. Das nervt.

Wenn ich aber einen Fehler mache, merken die das qua Amtes. Ist ja ihr Job, alles nachzurechnen. Und im schlimmsten Fall bekomme ich ein Strafverfahren an den Hals, wenn ich Zahlen verdreht habe. Das ist der größte Witz.