Totenkalt - Stuart MacBride - E-Book
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Totenkalt E-Book

Stuart MacBride

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Beschreibung

Martin Milne wird bereits seit drei Tagen vermisst, als Sergeant Logan McRae und sein Team eine Leiche finden. Der Tote liegt nackt, gefesselt und mit einer Plastiktüte über dem Kopf in einem Wald nahe der schottischen Küste. Doch es ist nicht Milne – es ist dessen Geschäftspartner. Ganz in der Nähe hatte man kurz zuvor die Studentin Emily Benton erschlagen aufgefunden. Hängen die Fälle womöglich zusammen? Die Ermittlungen leitet DCI Roberta Steel, die mit ihren Leuten aus Aberdeen in das Küstenstädtchen Banff kommt. Steel war früher McRaes Vorgesetzte, und das Verhältnis der beiden ist äußerst angespannt. Nun müssen sie sich zusammenraufen, um die beiden Morde aufzuklären. Oder sind es längst drei Morde? Von Martin Milne fehlt nämlich noch immer jedes Lebenszeichen …

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Seitenzahl: 818

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Buch

Martin Milne wird bereits seit drei Tagen vermisst, als Sergeant Logan McRae und sein Team eine Leiche finden. Der Tote liegt nackt, gefesselt und mit einer Plastiktüte über dem Kopf in einem Wald nahe der schottischen Küste. Doch es ist nicht Milne – es ist dessen Geschäftspartner. Ganz in der Nähe hatte man kurz zuvor die Studentin Emily Benton erschlagen aufgefunden. Hängen die Fälle womöglich zusammen? Die Ermittlungen leitet DCI Roberta Steel, die mit ihren Leuten aus Aberdeen in das Küstenstädtchen Banff kommt. Steel war früher McRaes Vorgesetzte, und das Verhältnis der beiden ist äußerst angespannt. Nun müssen sie sich zusammenraufen, um die beiden Morde aufzuklären. Oder sind es längst drei Morde? Von Martin Milne fehlt nämlich noch immer jedes Lebenszeichen …

Weitere Informationen zu Stuart MacBride sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Stuart MacBride

––––––––––––––––––––––––––––

Totenkalt

Thriller

Aus dem Englischenvon Andreas Jäger

Die Originalausgabe erschien 2016

unter dem Titel »In the Cold Dark Ground«

bei HarperCollinsPublishers, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe August 2017

Copyright © der Originalausgabe

2016 by Stuart MacBride

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagfoto: © Getty Images/Liam Mcgrady/EyeEm

Neonschrift: Network

Redaktion: Eva Wagner

AB · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-19791-9V003

www.goldmann-verlag.de

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Für Twinkle, Brenda, Dolly Bellfield und Jean.

– Drei Tage zuvor –

Er rollt auf die Seite, das Blut schießt aus seiner zertrümmerten Nase, rötet die Zähne. Blubbernde Bläschen in den Mundwinkeln. Dann ein Sprühregen scharlachroter Tröpfchen, als der Stiefel noch einmal mit voller Wucht seinen entblößten Bauch trifft. Und noch mal. Und noch mal.

Er zuckt nur hilflos. Kann sich nicht einmal wehren – wie auch, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen? Er kann nur bluten und stöhnen, nackt auf dem feuchten Waldboden.

Seine Lippen bewegen sich, aber zwischen den eingeschlagenen Zähnen quellen nur breiige Wortfetzen hervor. »Gnnnnnnfnnnn … mmmmm … nnnngh …«

»Kapierst du jetzt?« Ein Stiefel trampelt auf seinen Kopf. Es knirscht und knackt. »Kapierst du jetzt, was passiert?«

Blut tropft auf den Teppich aus rostbraunen Kiefernnadeln, macht ihn dunkel und glänzend. »Nnnnngh …«

Eine andere Stimme: leise, zitternd. »Bitte. Bitte, ich tu auch alles, was von mir verlangt wird. Bitte.«

»Das will ich verdammt noch mal meinen.«

Ein schwarzer Plastik-Müllbeutel entfaltet sich knisternd und flattert einen Moment lang über ihm wie der Flügel einer riesigen Fledermaus. Dann wird er ihm mit einem Ruck über den Kopf gezogen. Das ratschende Geräusch von Paketklebeband zerreißt die Stille.

Und jetzt endlich bringt er die Luft zum Schreien auf.

– Mittwoch, Tagschicht –

In stillem Gedenken an die (noch nicht) Toten

1

Wo zum Teufel blieb Syd?

Der Song trudelte aus, und der DJ war wieder da. »War das nicht fantastisch? Gleich haben wir J. C. Williams am Mikrofon, die über ihr neuestes Buch, PC Munro und die Katze der Giftmörderin, sprechen wird. Aber jetzt hören wir erst mal Stacy mit den Elf-Uhr-Nachrichten und dem Wetter. Stacy?«

Logan schraubte den Verschluss auf seine Thermoskanne, legte sie aufs Armaturenbrett und schlang dann die Hände um den Plastikbecher. Die Wärme drang in seine Finger, fast bis in die durchgefrorenen Knochen. Dampfkringel mischten sich mit seinem Atem und beschlugen die Windschutzscheibe.

»Danke, Bill. Die Suche nach dem vermissten Geschäftsmann Martin Milne aus Peterhead wird heute fortgesetzt …«

Er schmiegte sich in seinen Sitz und verkroch sich tiefer in der Stichschutzweste wie eine Schildkröte in ihren Panzer. Drückte die Knie zusammen und rieb sie ein bisschen aneinander, um die kratzige schwarze Hose Marke Police Scotland auch so richtig schön zu spüren. Nahm einen Schluck aus dem Thermosbecher.

Tee. Heiß und milchig. Manna vom Himmel. Na ja, eigentlich aus der Teeküche im Revier, aber es kam fast aufs Gleiche raus.

»… um seine Sicherheit besorgt, nachdem sein Wagen verlassen auf einem Rastplatz nahe Portsoy gefunden wurde …«

Logan wischte ein Guckloch in die Scheibe des Beifahrerfensters.

Kahle Bäume ragten zu beiden Seiten des Feldwegs auf. Dunkelgraues Wasser stand in den unregelmäßig geformten Schlaglöchern. Die kahlen Stängel alter Brennnesseln ragten aus dem gelblichen Gras wie die Speere einer längst untergegangenen Armee. Alles eingehüllt in den mattgrauen Kokon eines regnerischen Februartags.

Etwas Helles bewegte sich in der Ferne, dort, wo die Eichen und Buchen den regelmäßigen Reihen von Kiefern wichen – ein signalgelber Fleck, der gleich wieder vom Wald verschluckt wurde.

»… die Null-Eins-Null anzurufen, wenn Sie sachdienliche Informationen haben. Ein jugendlicher Autofahrer, der mit seinem Wagen in das Schaufenster des Poundland in Peterhead gerast war, hatte die Promillegrenze um das Sechsfache überschritten …«

Logans Handy, das neben der Thermoskanne lag, gab einen Glockenton von sich und rutschte vibrierend ein paar Zentimeter nach rechts. Er schnappte es, bevor es vom Armaturenbrett fallen konnte, und drückte mit dem Daumen auf das SMS-Icon.

Laz, ruf mich zurück – asap!

Keine Mätzchen, es ist dringend!

Wo zur Hölle steckst du?!?

DCI Steel wieder mal, diese verdammte Nervensäge. Schon das dritte Mal für heute.

»Lass mich in Ruhe. Ich bin bei der Arbeit, okay? Falls du nichts dagegen hast.«

Er löschte die Nachricht und starrte grimmig das leere Display an.

»… bei der Party zum achtzehnten Geburtstag eines Freundes acht Pints Cider getrunken …«

Zwei Scheinwerfer blitzten im Rückspiegel auf – die Kavallerie war eingetroffen. Und hatte hoffentlich Kekse mitgebracht.

»… bleibt in Untersuchungshaft. Die Leiche einer jungen Frau, die vor zehn Tagen in einem Waldstück bei Inverurie gefunden wurde, konnte jetzt zweifelsfrei identifiziert werden …«

Logan nahm noch einen Schluck Tee, dann klinkte er die Tür auf und kletterte hinaus, während ein verbeulter grüner Renault mit einem Ruck hinter ihm anhielt und mit quietschenden Scheibenwischern stehen blieb.

Alles roch nach Erde und Schimmel und Grünzeug.

»… Emily Benton, eine neunzehnjährige Philosophiestudentin aus Aberdeenshire …«

Die Tür des Renault öffnete sich mit einem Klacken, und ein Mann stieg aus, bekleidet mit einer schmuddeligen Cargohose und einer wattierten schwarzen Fleecejacke. Breites Grinsen im Gesicht, kurze graue Haare, die eine Landebahn aus rosig glänzender Kopfhaut säumten. Sein Atem dampfte in der nieseligen Morgenluft. »Ist ’n guter Tag dafür.« Er zog eine Baseballkappe aus der Gesäßtasche – schwarz, mit dem aufgenähten Schriftzug »Polizei« über einem Streifen mit schwarz-weißem Schachbrettmuster – und setzte sie auf, um seine kahle Stelle vor dem Regen zu schützen.

Logan prostete ihm mit seinem Thermosbecher zu. »Syd. Haben Sie Ihre vierbeinigen Kollegen mitgebracht?«

»Emily wurde zuletzt lebend gesehen, als sie am Samstagabend das Formartine House Hotel verließ …«

Syd bückte sich noch einmal in den Wagen und holte eine dicke lederne Leine hervor, die er sich um den Hals legte, unter den Armen durchzog und hinter dem Rücken festschnallte wie ein Paar Hosenträger Marke Eigenbau. »Ich dachte, Sie hätten diese Ecke schon mit Ihren Helferlein abgesucht.«

»… dringend gesucht wird in diesem Zusammenhang der Fahrer eines roten Ford Fiesta, der in der Nähe gesehen wurde.«

»Haben nichts gefunden.« Achselzucken. »Danke, dass Sie gekommen sind.«

»Keine Ursache.« Syd machte eine wegwerfende Handbewegung. »Irgendwann hat man auch Herr der Ringe mal über.« Er ging zum Heck des Wagens und öffnete die Klappe. Ein Golden Retriever sprang hinaus auf den Feldweg, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, hüpfte um sein Herrchen herum und reckte die Nase zu ihm hinauf, das Maul weit aufgesperrt. »Na, willst du uns zeigen, was für ein guter Schnüffler du bist, Lusso? Hm? Ja, das willst du, nicht wahr?« Er kraulte den Hund hinter den Ohren. »Wird dir guttun, zur Abwechslung mal wieder den Hintern hochzukriegen und ein bisschen was zu arbeiten, du alter Fettkloß.«

»… einen Zeugenaufruf herausgegeben. So, liebe Hörer, haben Sie schon Pläne für den Valentinstag? Da gibt es nämlich einen geschäftstüchtigen Teenager, der seine Reservierung für ein romantisches Dinner für zwei versteigert, und zwar im Restaurant Silver Darling in –«

Logan schaltete das Radio aus und kippte den letzten Schluck Tee hinunter. Er zog eine gefütterte Warnjacke über seine Stichschutzweste. Dann griff er in den Seesack, der zwischen Vordersitz und Rückbank eingeklemmt war, und fischte einen Beweismittelbeutel aus braunem Papier heraus. »Bitte sehr.«

»Socken?«

»Noch besser.« Logan öffnete die Tüte und zog ein rotes T-Shirt hervor. Der Name der Firma war mit Farbflecken gesprenkelt: »Geirrød – Container-Management und Logistik«.

»Na ja, man kann nie wissen. Seit wir uns zur Ruhe gesetzt haben, hat Lusso nichts Anspruchsvolleres mehr ausgeschnüffelt als die Hinterteile anderer Hunde.« Syd entrollte eine Art kleine gelbe Signalweste, zog sie dem Golden Retriever über den Kopf und befestigte die Riemen hinter den Vorderbeinen des Hundes. Dann nahm er das T-Shirt, knüllte es zu einem Ballen zusammen, ging in die Hocke und hielt es Lusso unter die glänzende schwarze Nase. »Schön kräftig schnuppern.«

Logan zog ein Paar gefütterte Lederhandschuhe an. »Sind wir so weit?«

»Zu allen Schandtaten bereit.« Syd stand auf und schwenkte dann einen Arm im Bogen, bis er in den Wald auf der einen Seite des Wegs zeigte. »Auf geht’s, Lusso – such!«

Der Hund sprang eine Weile hin und her, dann senkte er die Nase auf die Erde und setzte sich schnüffelnd in Bewegung.

Sie folgten Lusso über den feuchten Laubteppich in das Dunkel des Waldes, duckten sich unter Ästen hindurch und stapften geräuschvoll durch spröde beigefarbene Büschel von abgestorbenem Farn.

Logan deutete mit einem Nicken auf den Hund. »Was schätzen Sie?«

»Ein Schuss ins Blaue, um ehrlich zu sein.« Syd steckte die Hände in die Hosentaschen. »Wenn Sie hinter Leichen, Bargeld oder Sprengstoff her sind, ist Lusso der Hund Ihrer Wahl, aber diese Fährtenarbeit …« Er lutschte an seinen Zähnen. »Na ja, man kann nie wissen.«

Der braune Moschusgeruch der Erde stieg auf und hüllte sie ein, wurde schärfer und antiseptischer, als sie die Grenze zwischen Laub- und Nadelwald überschritten. Allerdings machten nur die Wipfel der immergrünen Bäume ihrem Namen Ehre – hier unten in Bodennähe war alles schwarz und grau und struppig.

Weiter über eine Lichtung mit Büscheln von Heidekraut, gesäumt von Brombeergestrüpp.

Abwärts in eine kleine Schlucht.

Sie kletterten über einen umgestürzten Baum, dessen Wurzeln wie ein haariger Schild in die Luft ragten.

Dann ging es wieder steil bergauf. Keuchend und schnaufend kamen sie oben an.

Aber besonders beeindruckend war die Aussicht von der Anhöhe nicht – nur noch mehr dunkle Baumstämme, die sich den Hang hinunterzogen und irgendwann im Nebel und Nieselregen verschwammen.

Syd schniefte. »Ist natürlich ein Problem, dass Lusso schon so lange nicht mehr richtig gearbeitet hat – da denkt er vielleicht, dass wir einfach nur einen Spaziergang machen.«

Auch wieder wahr.

»Na ja, wenigstens haben wir –« Logans Handy dudelte mit seinem anonymen Klingelton los. Er schloss die Augen und sackte ein wenig in sich zusammen. Dann richtete er sich wieder auf und lächelte gequält. »Tut mir leid. Ich komm dann nach.«

Er fischte das Telefon aus der Tasche, während Syd den Abhang hinunterkraxelte, immer dem wedelnden Schwanz nach.

»McRae.«

Eine Frauenstimme. »Logan? Hier ist Louise von Sunny Glen.«

Und Logan sackte noch ein bisschen weiter zusammen.

Es knackte und raschelte, als Syd sich durch ein Dickicht aus toten Weidenröschen kämpfte, dann war es wieder still. Irgendwo in der Ferne gurrte eine Taube.

»Logan? Hallo?«

Tief durchgeatmet. »Louise.«

Ein Seufzer drang aus dem Hörer. »Ich weiß, es ist nicht leicht, Logan. Es ist einfach nur furchtbar, aber wir können nichts mehr für sie tun. Wenn es etwas gäbe, ich würde es tun, das wissen Sie.«

Natürlich wusste er das. Das machte es aber auch nicht leichter.

»Schon klar …« Er starrte auf seine Stiefel hinunter. Auf die Büschel von graugrünem Gras, die zwischen den schmutzigen Kiefernnadeln hervorlugten. »Wann?«

»Das liegt ganz bei Ihnen. Samantha ist … Sie waren der beste Freund, den sie sich hätte wünschen können, aber es ist nun mal so weit. Ihre Zeit ist gekommen.« Wieder ein Seufzer. »Es tut mir leid, Logan. Glauben Sie mir.«

»Okay. Ja, ich verstehe.«

»Wir haben eine Therapeutin, eine Spezialistin, mit der Sie reden können. Sie kann Ihnen helfen.«

Wieder blitzte ein neongelber Fleck irgendwo zur Rechten auf und verschwand gleich darauf im Unterholz.

Vier Piepser ertönten unter seiner Warnjacke, gefolgt von einer gedämpften Stimme. »Shire Uniform Sieben, sprechbereit?«

Logan zog den Reißverschluss auf und tastete unter der Weste nach dem Airwave-Handapparat. Er ließ ihn eingehängt, während er die Sprechtaste drückte. »Augenblick noch, Tufty.«

Dann hielt er das Handy wieder ans Ohr.

Louise redete immer noch: »… in Ordnung? Logan? Hallo?«

»Tut mir leid. Ich bin gerade ziemlich beschäftigt.«

»Sie müssen es nicht sofort entscheiden. Wir wollen Sie nicht zu irgendetwas drängen. Lassen Sie sich Zeit.«

»Ja, ich verstehe schon.« Die Stichschutzweste hielt ihn fest in ihrer Klett-Umarmung, quetschte seinen Brustkorb zusammen und sorgte dafür, dass alles schön drinnenblieb. »Freitag. Wir machen es am Freitag.«

»Sind Sie sicher? Wie gesagt, Sie müssen nicht –«

»Nein. Freitag, der Dreizehnte. Das hätte Samantha gefallen.«

»Es tut mir leid, Logan.«

»Ja, mir auch.« Er legte auf und ließ das Handy wieder in die Innentasche gleiten. Dann starrte er in den schweren grauen Himmel auf.

Freitag.

Als er ausatmete, war es, als ob jemand Gewichte an seine Lungenflügel und seinen Magen gehängt hätte, die alles nach unten zogen.

Noch einmal durchgeatmet.

Und noch einmal.

Und noch einmal.

Los, komm.

Er blinzelte. Rieb sich mit der Hand übers Gesicht, wischte einen Film aus kaltem Wasser weg und gab sich einen Ruck.

Dann drückte er wieder die Sprechtaste seines Airwave. »Tufty – bin sprechbereit.«

»Sarge, wir haben noch mal die Runde gedreht. Keine Spur von Milne. Sollen wir mal den Bach absuchen?«

»Warum nicht?«

Die Wassertropfen waren wie ein langsamer Trommelwirbel auf dem Waldboden.

»Sarge?«

»Was?«

»Können wir bald Schluss machen? Ich meine nur, weil Calamity schon ganz blau und lila im Gesicht ist. Das letzte Mal, dass ich jemanden mit so einer Hautfarbe gesehen habe, war im Obduktionssaal. Ist wirklich arschkalt hier draußen.«

»Sag ihr, wir hängen noch eine Stunde dran, und dann geht’s heim aufs Revier zu Tee und Keksen.«

»Sarge.«

Logan schlitterte den Abhang hinunter und folgte Syds Spur zwischen den Bäumen hindurch.

Die Stille lag wie eine Decke über dem Wald – die Nadeln unter seinen Füßen und die Äste über seinem Kopf verschluckten alle Geräusche bis auf die, die er selbst machte. Noch nicht einmal Mittag, und es wurde bereits dunkel. Die Wolken, die oben vorbeizogen, hatten sich schwarz verfärbt und schienen tiefer zu sinken. Als ob sie sich anschickten, von dem frostigen Nieseln auf sintflutartigen Schüttregen umzuschalten. War eine Stunde nicht ein bisschen übertrieben? Wäre vielleicht besser, einzupacken und es morgen noch mal zu versuchen.

Und danach wäre es dann das Problem von jemand anderem.

Ein Ping und ein Summen an seinem Brustkorb signalisierten den Eingang einer weiteren SMS auf dem Handy. Wozu überhaupt nachsehen? Es war bestimmt Steel. Es war immer Steel.

Wah-wah-wah, wieso hast du mich nicht zurückgerufen? Was ich von dir will, ist viel wichtiger als alles, was du gerade tust. Wah-wah-wah …

Er ließ das Handy stecken und ging weiter.

Es war nicht allzu schwierig, Syd zu folgen. Seine Stiefel hatten einen Trampelpfad durch die Nadeln gezogen, und die Schicht darunter war deutlich dunkler als die an der Oberfläche. Der Pfad schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, führte im Zickzack bergab und bog links ab. Und dann –

Hatte da jemand gerufen?

Ja. Irgendwo ziemlich weit weg, aber trotzdem nicht zu überhören.

Logan blieb stehen und formte die Hände zu einem improvisierten Megafon. »SYD?«

Wieder ein Ruf.

Nein, immer noch kein Wort verstanden.

Die Nadeln rutschten unter Logans Füßen weg, als er den Hang hinunter- und auf der anderen Seite wieder hinaufrannte. »SYD?«

Auf der Kuppe angelangt hielt er inne. Ringsum Felsbrocken und Waldkiefern, vor ihm ein steiler Abhang, übersät mit Hunderten von kreisförmigen Stümpfen gefällter Bäume, dazwischen Geröll und Stechginster. Am Fuß des Hangs führte ein Waldweg entlang, jenseits davon wuchs ebenfalls Ginster.

Syd stand vor dem Gebüsch und wedelte mit den Armen wie ein Fluglotse, der eine landende Maschine dirigiert. Lusso lag zu seinen Füßen am Boden und wischte mit seinem haarigen gelben Schwanz über die Erde.

Logan versuchte es noch einmal. »WASGIBT’S?«

Was immer Syd zurückrief, wurde von Wind und Regen verschluckt.

»Verdammter Mist.« Blieb ihm also nichts anderes übrig. Logan machte sich an den Abstieg, setzte die Füße immer quer zum Hang auf und machte einen Bogen um die dunkelgrünen Ginsternadeln. Ruderte wild mit den Armen, als ein Brocken Erde unter ihm wegrutschte und er das Gleichgewicht zu verlieren drohte.

Los, weiter …

Seine Sohlen klatschten auf den Weg, und er bremste schlitternd ab, knapp vor der Kante eines Entwässerungsgrabens, randvoll mit rostfarbenem Wasser.

Syd schniefte. »Na endlich.«

»Was?«

Er hob einen Finger und deutete auf eine mit Stechginster überwucherte Stelle. »Da drin.«

Logan strich seine Warnjacke glatt, dann stieg er über den Graben auf die andere Seite. »Wo? Ich kann nichts –«

»Noch ein Stück weiter.«

Noch zwei Schritte die Böschung hinauf und … Okay.

Da war eine halbkreisförmige Mulde im Boden, mit einem flechtenbewachsenen Granitbrocken an einem Ende. Die Stängel von abgestorbenen Unkräutern ragten durch das vergilbte Gras auf. Und genau in der Mitte lag flach auf dem Rücken der Körper eines Mannes. Nackt, die Hände hinter dem Rücken, ein Bein am Knie abgeknickt, sodass die Fußsohle das andere Schienbein berührte.

Sein Rumpf war ein Batikmuster aus lila, blauen und gelben Flecken mit grünlichem Saum. Die Blutergüsse verteilten sich unregelmäßig über die blassgraue, mit Regenwasser benetzte Haut.

Syds Stimme kam von der anderen Seite des Gebüschs. »Ist er das?«

Logan blies die Backen auf. »Schwer zu sagen …«

Der Kopf war mit schwarzem Plastik bedeckt – sah nach einer Mülltüte aus, die mit silberfarbenem Klebeband um den Hals befestigt war. Da war auch ein merkwürdiger Geruch – vielleicht Bleichmittel?

Die Farbe der Schamhaare war ein unnatürliches gelbliches Weiß. Könnte also Bleichmittel sein.

Wahrscheinlich Bleichmittel.

Da hatte jemand seine Spuren verwischt, hatte sicherstellen wollen, dass er keine identifizierbaren DNS- oder sonstige Spuren hinterließ. Tja, viel Glück auch. Irgendetwas blieb immer zurück.

Und da war noch ein anderer Geruch, fast verdeckt von dem des Bleichmittels – irgendetwas widerlich Süßes. Wie eine Portion Hackfleisch mit überschrittenem Verfallsdatum, die man in einer Ecke des Kühlschranks vergessen hat.

Eindeutig tot.

Logan zog den Reißverschluss seiner Jacke auf und griff nach dem Airwave. Tippte die Nummer der Einsatzleitung ein. »Shire Uniform Sieben an Bravo India, sprechbereit?«

Inspector McGregors Stimme tönte aus dem Lautsprecher. Sie klang ein wenig vernuschelt, als ob sie gerade etwas im Mund hätte. »Schießen Sie los, Logan.«

»Chefin? Ich glaube, wir haben gerade Martin Milne gefunden …«

2

»Sarge?« Tufty zog die Augenbrauen zusammen und riss die wasserblauen Augen weit auf. Der Hundeblick wurde komplettiert durch einen Schmollmund, der seine Wangen noch tiefer in das knochige Gesicht sinken ließ. »Nur für alle Fälle: Jemand plant für Montag eine Überraschungsparty, ja?«

Regentropfen klatschten auf den Schirm seiner Mütze, zischten durch die Nadeln der Bäume und kräuselten die Pfützen zu ihren Füßen.

»Montag?« Logan ging unter einer Kiefer in Deckung, wo das Schutzdach aus Nadeln den gröbsten Regen abhielt. Oben, zwischen den Ästen, berührte der Himmel fast die Baumwipfel. Schwer und dunkel.

»Na ja, eigentlich Dienstagmorgen. Ich weiß, dass die Nachtschicht bis sieben Uhr geht, und da wird kaum noch ein Lokal offen haben, aber irgendjemand organisiert doch was, nicht wahr?«

Logan tippte Calamitys Dienstnummer in sein Airwave. »Constable Nicholson, sprechbereit?«

Es knackte im Lautsprecher, dann war ihre Stimme zu hören: »Bin jetzt auf dem Weg zurück, Sarge. Ich habe die Straße an der Abzweigung abgesperrt.«

Tufty zog eine Schulter bis zum Ohr hoch. »Weil, das ist schließlich eine große Sache, nicht wahr? Kommt nicht alle Tage vor, dass man vom Polizeianwärter zum vollwertigen Gesetzeshüter befördert wird.«

»Hast du die Abdeckplane, Calamity?«

»Was soll das denn heißen? Natürlich hab ich die Abdeckplane.«

»Na, dann beeil dich mal. Tufty wird sich noch eine lebensbedrohliche rektale Stiefelvergiftung zuziehen, wenn ich mir sein Genöle noch länger anhören muss.«

Tufty zog einen Flunsch. Dann trat er vorsichtig einen Schritt näher und starrte auf die Leiche hinunter. »Ist doch komisch, oder? Wenn man das Gesicht so verdeckt, macht man den Menschen irgendwie weniger … menschlich. Als ob er gar keine eigene Persönlichkeit mehr hätte.«

»Es ist immer noch ein Mensch.« Logan hängte sein Airwave wieder in den Clip ein. Dann hielt er sich die hohlen Hände an den Mund und blies hinein, füllte den Hohlraum mit warmem Dampf. »Wie lange er wohl schon hier liegt?«

Tufty duckte sich und zwängte sich zwischen den struppigen Zweigen des Baums neben dem von Logan hindurch, bis er mit dem Rücken am Stamm lehnte. »In meiner ersten Woche im Dienst hatten wir diesen Motorradunfall. Eine junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, hatte die Kurve nicht gekriegt und war ungebremst durch einen Stacheldrahtzaun gerast. Hatte keinen Helm auf.«

»Bei dem vielen Regen dürften an der Leiche kaum noch Spuren zu finden sein. Aber vielleicht können wir an der Mülltüte noch Fasern sichern.«

»Hat ihr glatt den Kopf abrasiert.«

Und dann war da das Bleichmittel. Wenn derjenige, der die Leiche damit bearbeitet hatte, es hier an Ort und Stelle getan hatte, dann hatte er vielleicht nicht daran gedacht, sie umzudrehen, um auch an den Rücken zu gelangen. Da könnte sich noch DNS finden, die vor dem Regen und den Elementen geschützt war.

»Hab ewig danach gesucht.« Tufty runzelte die Stirn. »Gefunden hab ich ihn dann irgendwo in den Brennnesseln. Sie hat mit so einem verwirrten Ausdruck im Gesicht zu mir aufgestarrt. Total surreal …«

Der Feldweg war der offenkundige Zugang zum Ablageort. Allerdings waren keine Reifenspuren zu sehen. Also hatte der Täter die Leiche wahrscheinlich vom Wagen hierher getragen. Komisch, dieser ganze Aufwand, wo er ihn doch einfach aus dem Kofferraum hätte kippen können.

Vielleicht war die Straße gesperrt?

Oder vielleicht hatte das Opfer noch gelebt, als sie hier angekommen waren? Vielleicht hatte der Mörder ihn gezwungen, vom Wagen hierher zu Fuß zu gehen? Gott, welche Ängste der Mann ausgestanden haben musste! Nackt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, wirst du den Waldweg entlanggetrieben, und die ganze Zeit weißt du: Wenn du am Ziel ankommst, bist du tot.

»Jedenfalls haben wir dann die zwei Teile wieder zusammengesetzt, und zack, plötzlich war sie wieder ein Mensch. Hab in meinem ganzen Leben noch nicht so viel gekotzt.« Er schüttelte sich, dann stieß er eine dampfige Atemwolke aus. »Siehst du das? Als Nächstes krieg ich wahrscheinlich Frostbeulen.«

»Du darfst jederzeit gerne die Klappe halten.«

Syd tauchte aus dem Wald hinter ihnen auf, die Hände tief in den Taschen vergraben, während der Golden Retriever gemächlich im Kreis um ihn herumtrabte. »Nichts.«

Logan zuckte mit den Schultern. »War den Versuch wert. Jedenfalls vielen Dank.«

»War nett, zur Abwechslung mal wieder rauszugehen und was zu tun. Das Rentnerleben ist gar nicht so der Hit, wie man immer meint. Ständig gibt’s irgendwas zu tun im Haus und im Garten, wohin man auch schaut …« Er schüttelte sich. »Wie eine Schubkarre – man hat’s immer vor der Nase.«

Lusso trabte zu Tufty hinüber und schnüffelte am Schritt des Constables.

»Ähh …« Tufty drückte sich flach gegen den Baum. »Er beißt doch nicht, oder?«

»Also, wenn ihr mich nicht mehr braucht, pack ich’s dann mal. Die Herrin des Hauses möchte, dass wir in den Baumarkt fahren. Angeblich muss das Gästezimmer neu tapeziert werden.«

»Wir melden uns dann wegen des Protokolls.«

»Und nicht zu vergessen das Bier, das Sie mir schulden.« Syd klatschte in die Hände. »Komm, Lusso, lass den Schniedel von dem armen Burschen in Ruhe. Wir fahren nach Hause.«

Ein Bellen – Tufty zuckte zusammen, dann machte der Golden Retriever kehrt und trottete hinter seinem Herrchen her den Hang hinauf, bis beide im Wald verschwunden waren.

Tufty strich mit der Hand über seinen Hosenlatz, als ob er dem Inhalt versichern wollte, dass der böse Wauwau weg war. Dann schielte er zu dem schweren grauen Himmel auf. »Ob es wohl kalt genug ist für Schnee?«

Wahrscheinlich.

Der Regen fiel.

Und fiel.

Und fiel.

Logan wurde es zu blöd. Er tippte Maggies Nummer in den Apparat. »Sprechbereit, Maggie? Können Sie mir ungefähr sagen, wann die Kollegen hier sind?«

»Soviel ich weiß, sind sie unterwegs, Sergeant McRae.«

»Also … wenn Sie irgendwas hören, sagen Sie uns Bescheid, ja? Es schüttet hier draußen wie aus Eimern.«

Er hängte das Airwave wieder ein, verschränkte die Arme und schob die Hände in die Armlöcher seiner Stichschutzweste.

Tufty machte ein Geräusch wie ein Furzkissen, aus dem die Luft entweicht. »Zum ersten Mal in meinem Leben freue ich mich regelrecht drauf, dass ein Sonderermittlungsteam angetanzt kommt und den Fall übernimmt. Sollen die doch zur Abwechslung mal im Regen rumstehen.« Er stampfte mit den Füßen. »Wie lange braucht man denn von Aberdeen hier rauf? Gehen die vielleicht zu Fuß oder was?«

»Schon vergessen, was ich vorhin über rektale Stiefelvergiftung gesagt habe?«

Und der Regen fiel.

»Noch ein bisschen zu dir rüber …« Logan zog an der Plane. Dann nickte er. »Okay, jetzt mach sie fest.«

Calamity legte einen Stein auf den Rand der blauen Plastikplane. Dann noch einen. Und noch einen. Der Regen hatte ihre schwarze Bobfrisur in wirre Strähnen aufgelöst, die an ihren Wangen klebten und ihr das Aussehen einer klatschnassen Krähe verliehen. Sie schniefte und zog eine behandschuhte Hand unter ihrer spitzen Nase durch. Jedes Mal, wenn sie sich bückte, troff Wasser von der Krempe ihrer Melone und prasselte auf ihre Warnjacke. »Ich kann meine Finger nicht mehr spüren.«

»Nur für alle Fälle – es gibt doch am Dienstagmorgen nach Dienstschluss eine Feier, nicht wahr? Wegen Tuftys Initiation?«

Calamity wuchtete noch einen Stein auf die Plane. »Ich dachte, Isla organisiert was.«

»Sei doch so nett und klär das, ja?« Er zupfte an der Plane und sicherte die letzte Ecke mit einem großen Quarzbrocken. »Wenn wir es nicht machen, wird er monatelang schmollen.«

Sie richtete sich auf und streckte sich, die Hände ins Kreuz gestemmt, während sie ihr improvisiertes Spurensicherungszelt betrachtete. »Was glaubst du – ist es Martin Milne?«

»Ich will’s hoffen.«

»Und wenn er’s nicht ist?«

Logan zog sich wieder unter den Baum zurück, winkte Calamity herbei und holte sein Handy hervor.

Sie schlüpfte unter den Zweigen durch und stellte sich neben ihn, während er durch die Fotos eines nackten Mannes scrollte, der rücklings auf dem Waldboden lag, eine mit Klebeband befestigte Mülltüte über den Kopf gezogen. »Er hat ein besonderes Kennzeichen.« Er zoomte die linke Schulter heran, wo unter dem vielfarbigen Regenbogen aus Blutergüssen gerade so ein Tattoo auszumachen war, und hielt ihr das Telefon hin. »Soll das ein Delfin sein, was denkst du?«

Sie kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. »Könnte ein Wal sein …? Nein, schau mal, es hat einen Stoßzahn – das ist ein Narwal.«

»Tatsächlich?« Er nahm das Handy wieder an sich und betrachtete stirnrunzelnd das Foto. »Könnte sein. Hatte Martin Milne ein Tattoo?«

»Weißt du, was ich glaube?« Calamity deutete mit der Schuhspitze auf die Abdeckplane. »Wir haben es mit einem Serienmörder zu tun.«

»Das ist nicht witzig.«

»Soll es auch nicht sein. Aber überleg doch mal – ein toter Mann, irgendwo in der Pampa abgelegt, mit einer Mülltüte über dem Kopf.«

»Calamity –«

»Und es ist auch nicht der erste Fall. Was ist mit dieser Studentin, Emily Sowieso, die vor anderthalb Wochen in einem Wald bei Inverurie tot aufgefunden wurde?« Calamity nickte, wie um sich selbst beizupflichten. »Wer weiß, ob nicht noch Dutzende Leichen in den Wäldern herumliegen, über den ganzen Nordosten verteilt.«

»Hast du wieder skandinavische Krimis geguckt?«

»Ich wette fünf Pfund, dass die Obduktion sexuelle Aktivitäten sowohl vor als auch nach Eintritt des Todes ergeben wird. Deswegen die Mülltüte – er entmenschlicht das Opfer, indem er sein Gesicht verdeckt. Der Täter will nicht, dass das Opfer ihn ansieht, während er sein Ding durchzieht.«

»Jetzt fang du nicht auch noch an. Tufty mit seinem Gerede von wegen ›sieht gar nicht wie ein Mensch aus‹ hat mir schon vollauf gereicht.«

»Meine Rede. Da liegt ein Mordopfer unter der Plane.« Sie zeigte darauf. »Ein Bruder, ein Vater, ein Sohn, ein Ehemann. Ein Mensch mit Hoffnungen und Träumen, wie du und ich. Und wir stehen hier und schwatzen über Tuftys Party. Entmenschlicht – das trifft’s.«

Ah …

Logan steckte sein Handy ein. »Wenn du meinst.«

»Und ich setze noch einen Fünfer darauf, dass wir die nächste Leiche finden, ehe zwei Wochen um sind.«

»Ruf Isla an. Ich will wissen, ob wir irgendwelche vermissten Personen mit einem Narwal-Tattoo am Arm haben.« Er runzelte die Stirn. »Obwohl, nein. Frag sie einfach nur nach Tätowierungen. Egal, ob es ein Delfin, ein Elefant, ein Narwal oder der Papst auf einem Einrad ist – wenn es einen Vermissten mit einem Tattoo am Arm gibt, will ich informiert werden.«

»Sarge.«

»Mit ein bisschen Glück kriegen wir das geklärt, bevor das SET aufkreuzt und alles zertrampelt.«

Calamity griff nach ihrem Airwave. »Constable Nicholson an Constable Anderson, sprechbereit?«

Eine piepsige Stimme tönte aus dem Lautsprecher – sie klang, als ob sie einem kleinen Mädchen gehörte. »Nur zu, Calamity.«

»Isla, kannst du etwas in der Vermisstendatei recherchieren …«

In diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubender Pfiff. Oben auf der Kuppe stand Tufty und winkte. Ein Mann in einem langen Mantel erklomm hinter ihm mühsam den Hang, dann ein zweiter und ein dritter. Alle drei in Anzughosen, die bis zu den Knien mit Schlamm bespritzt waren.

Wenn man von den Teufeln spricht …

Die drei kamen den Hang heruntergestolpert, wobei sie sich in einer bewundernswert hirnlosen Demonstration von Teamgeist an den Händen hielten. So war sichergestellt, dass der Erste, der ausrutschte, die beiden anderen gleich mitreißen würde.

Immerhin war Tufty klug genug, Abstand zu halten. Er bahnte sich selbst seinen Weg zwischen Stechginster und Baumstümpfen hindurch, bis er vor Logan stand. Dann wies er mit dem Daumen auf die Anzugtypen. »Die hab ich gefunden, wie sie planlos durch den Wald geirrt sind. Können wir sie behalten?«

Der Größte der drei zupfte spitzige grüne Blätter von seinem marineblauen Mantel. »Wir sind nicht planlos umhergeirrt.« Regenwasser tropfte von der Krempe seines Filzhuts, eine andere Flüssigkeit von der Spitze seiner kleinen rosaroten Nase. Er schniefte, dann lüftete er seinen Hut, unter dem ein zur Igelfrisur gegelter blonder Haarschopf zum Vorschein kam. »Logan.«

»Sieh mal einer an. Defective Sergeant Simon Rennie, wie er leibt und lebt.« Logan lächelte, dann senkte er den Blick auf Rennies verdreckte Hosenbeine. »Haben wir in den Pfützen gespielt?«

»Ist ein einziger verdammter Sumpf hier. Mit Bäumen. Und Matsch. Ein matschiger, waldiger Sumpf.« Er setzte seinen Hut wieder auf. »Steel ist unterwegs. Inzwischen darf ich vorstellen: Das ist DC Owen …«

Owen war ein breitschultriger Koloss mit angegrauten Locken, die der Regen an seinen Kopf klatschte. Er nickte. »Sarge.« Seine Zähne sahen aus, als wären sie für einen dreimal so großen Mund bestimmt gewesen – ganz schief und krumm ragten sie aus dem zu kleinen Kiefer.

»… Und das ist DC Anthony ›Spaver‹ Fraser.«

Frasers Nase war für das gleiche überdimensionierte Gesicht bemessen wie Owens Zähne. »Sergeant.« Er wies mit dem Zinken auf die Plane. »Ist das unsere Leiche?«

»Noch nicht.« Logan wandte sich zu Tufty um und streckte die Hand aus. »Constable Quirrel, reichen Sie mir den Heiligen Holzstab der Tatort-Oberhoheit.«

Im ersten Moment blinzelte Tufty ihn nur verdattert an. Dann ging ihm offenbar ein Licht auf, denn zwei Sekunden später bekam Logan einen Ast in die Hand gedrückt. Er war nicht allzu groß – gut einen halben Meter lang, mit einem gegabelten Ende. »Bitte sehr.«

Logan bot ihn Rennie dar. »Nehmen Sie den Heiligen Stab an?«

Ein schiefes Grinsen. Dann nahm Rennie den kleinen Ast und hielt ihn in die Höhe, als ob er gerade Excalibur aus dem Stein gezogen hätte, und warf sich in Pose. »Hiermit nehme ich diesen Tatort für Detective Chief Inspector Roberta Tiberius Steel und das ruhmreiche Imperium der Sontaraner in Besitz!«

»Gratuliere.« Logan wischte sich die Borkenbrösel von der Handfläche. »Die Leiche ist weiß, männlich, mit einer Tätowierung am linken Oberarm. Massive Hämatome am Oberkörper, Kopf mit einer Mülltüte verhüllt. Polizeiarzt, Staatsanwalt, Rechtsmedizin und Spurensicherung sind informiert.« Er drehte sich um. »Tufty, Calamity: zusammenpacken, wir verschwinden hier.«

Calamity nahm das Airwave von einem Ohr ans andere und nickte.

Rennie runzelte die Stirn. »Aber was ist mit der Bewachung des Tatorts? Wollt ihr nicht –«

»Ist nicht mehr unser Tatort. Du hast den Heiligen Stab, schon vergessen?«

Rennies Augenbrauen kletterten in die Höhe, und dazwischen bildete sich eine kurze Reihe von Fältchen. »Aber –«

»Die Leiche wurde vermutlich über den Forstweg hergebracht. Schick jemanden los, nach Reifenspuren suchen. Und steh nicht so mit offener Futterluke da – du siehst aus wie ein Goldfisch.«

Es klickte, als Rennie den Mund zuklappte. »Können wir nicht einfach –«

»Eher nicht. Aber seht zu, dass euer obligatorischer Tatortzugang steht, ehe der Staatsanwalt und der Rechtsmediziner hier eintreffen, sonst zwingen sie dich, deinen Hut zu essen.« Logan klopfte ihm auf die Schulter. »Ach ja, und ich hätte gern meine Plane wieder, wenn ihr sie nicht mehr braucht.«

Bergauf war der Hügel wesentlich steiler als bergab, und als sie endlich oben anlangten, rann der Schweiß zwischen Logans Schulterblättern herunter bis in seine Unterhose. Er hielt auf der Kuppe inne und blickte sich zu dem improvisierten Spurensicherungszelt um, während sein Atem in dicken weißen Wölkchen aufstieg.

Calamitys Gesicht war ganz rot angelaufen und glänzte. Sie sah ihn an und verzog das Gesicht. »Irgendwie hab ich kein gutes Gefühl bei der Sache.«

»Das ist nicht der erste Mordfall, den die bearbeiten.«

»Nur zwei Sorten von Leuten tragen Filzhüte, Sarge: alte Knacker und Idioten.«

»Echt?« Tufty zog den Reißverschluss seiner Sicherheitsjacke herunter und klappte sie auf und zu. Dampf stieg von seiner Stichschutzweste auf. »Ich find die irgendwie cool.«

»Das bestätigt ja wohl meine These.« Sie nahm ihre Melone ab und fächelte sich damit Luft zu. »Und wieso hält er diesen Stecken in der Hand?«

»Er glaubt, dass der ihm Autorität verleiht. Was hat Isla gesagt?«

»Ein merkwürdiger Stock-Fetisch und ein Filzhut.« Calamity zog noch mehr Grimassen. »Er ist ein Idiot, nicht wahr?«

»Detective Sergeant Rennie ist kein Idiot.«

Unten am Fuß des Abhangs erteilte Rennie seinen Constables Anweisungen. Während sie den Tatort in Augenschein nahmen, stand er auf einem Baumstumpf und schwang den Heiligen Stab wie einen Taktstock. Jetzt kam er so richtig in Fahrt, er ruderte wild mit den Armen und ließ den Ast durch die Luft sausen.

Logan bleckte die Zähne. »Okay, er benimmt sich manchmal wie ein Idiot. Aber …«

Rennie rutschte aus und landete mit dem Hintern auf dem Forstweg.

»Korrigiere. Kein ›Aber‹.«

»Und so was machen die zum Detective Sergeant.« Calamity seufzte. »Isla sagt, wir haben ein halbes Dutzend Vermisste mit Tätowierungen in der Kartei. Und zwar in den letzten drei Jahren, einschließlich der ungelösten Fälle.«

»Ein halbes Dutzend?« Tufty stellte das Wedeln ein. »Und wie viele ohne Tattoos?«

»Hundertzwölf.« Sie zuckte mit den Schultern. »In der Hälfte der Fälle kommt ja niemand auf die Idee, uns Bescheid zu sagen, wenn Onkel Stinky wieder nach Hause kommt. Und die andere Hälfte …« Wieder ein Achselzucken.

Einer der Constables – Owen, nicht wahr? – half Rennie auf. Dann hob er den Ast auf und gab ihn seinem Sergeant zurück.

Das war ja auch wirklich eine ganz gute Idee.

Wahrscheinlich würde er früher oder später jemandem damit ein Auge ausstechen.

»Spielt wohl jetzt keine Rolle mehr. Ist ja nicht unser Fall. Sondern ihrer.« Logan steckte die Hände in die Hosentaschen. Trotzdem, konnte ja nicht schaden, ein wenig Interesse zu zeigen, nicht wahr? Nur für alle Fälle. Er räusperte sich. »Und von diesem halben Dutzend hat nicht zufällig einer ein Narwal-Tattoo am linken Oberarm?«

»Nee. Oder wenn, dann ist es nicht in der Datenbank.« Sie verschränkte die Arme und blickte hinunter auf den Drei-Mann-Vortrupp von Steels Sonderermittlungsteam. »Wenn ich mir die nur anschaue. Da läuft ein Serienmörder frei rum, und unsere einzige Hoffnung, ihn zu schnappen, sind Tweedledee, Tweedledum und ihr Chef: Tweedle-Dümmer.«

Dem war eigentlich nichts hinzuzufügen.

»Kommt, wir müssen schließlich auch noch anderswo für Recht und Ordnung sorgen.«

Logan drehte sich um und ging zum Wagen zurück.

3

»BLEIBSTDUWOHLSTEHEN, DUKLEINERMISTKERL!«

Aber Lumpy Patrick sprintete los und schwang die spindeldürren Arme und Beine, was das Zeug hielt. Die langen, fettigen Haarsträhnen flatterten wie nasse Bindfäden hinter ihm her, während er rannte, und das Diebesgut in Form von Frühstücksspeck- und Käsepackungen fiel aus den Taschen seines verdreckten braunen Kapuzenpullis.

Logan schnappte seine Schirmmütze und setzte dem Flüchtigen durch den Regen nach.

In vollem Lauf ging es die High Street hinunter, mit ihrer merkwürdigen Mischung aus alten Granithäusern und Monstrositäten mit Rauputzfassaden.

Bei der kleinen versteckten Bücherei schlug Lumpy einen Haken nach links und rannte über die Straße. Der Fahrer eines rostigen Vauxhall Nova machte eine Vollbremsung, die Hupe kreischte wie ein wütender Dachs. Logan sprintete hinter dem Auto über die Straße. Es ging jetzt bergab, und er verschärfte das Tempo.

Noch mehr winzige schottische Häuser, die dunklen Steinmauern und Schieferdächer glänzend vom Regenwasser.

Eine durchnässte Frau an der Bushaltestelle sah zu, wie sie vorbeistürmten. Zigarette in der einen Hand, Energy-Drink in der anderen, neben sich einen Kinderwagen mit einem schreienden Sprössling drin.

Lumpy war inzwischen an der Kreuzung angelangt. Er schlitterte um die Ecke in die Skene Street und rannte weiter bergab auf das Zentrum von Macduff zu. Zwei Packungen durchwachsener Speck und ein Keil Cheddar flogen auf die Straße und wurden gleich von einem Transit plattgefahren.

Der Pulsschlag dröhnte in Logans Ohren, doch er blieb dran – vorbei an Reihen alter grauer Gebäude, vorbei am Fish-and-Chips-Laden, über die Straße, vorbei am Plough Inn, wo zwei frierende Raucher im Eingang standen und ihre Kippen aus dem Mund nahmen, um Lumpy anzufeuern.

Fast wäre der Flüchtende mit einem alten Männlein kollidiert, das aus dem Buttons & Bobs kam, doch er umkurvte ihn dank exzellenter Beinarbeit in seinen fleckigen Turnschuhen, ließ noch eine Packung Räucherspeck fallen und rannte weiter, ohne auf die Flut von Beschimpfungen und die obszönen Gesten zu achten, die der Senior ihm hinterherschickte.

Logan holte auf. Er verlängerte seine Schritte, atmete durch den Mund in langen, gleichmäßigen Zügen und schwang den freien Arm, während er mit dem anderen seine Mütze festhielt.

Platsch, durch eine Pfütze.

Wo zum Teufel blieb Calamity?

Dann tat sich eine Lücke zwischen den Gebäuden zur Rechten auf – zur Straße hin war das Haus auf dieser Seite nur eingeschossig, doch hinter einer Mauer fiel das Gelände steil ab, sicher an die fünf, sechs Meter.

Lumpy zögerte keine Sekunde – mit einem Satz war er auf der Mauer, und dann sprang er mit rudernden Armen in die Tiefe.

Mist.

Logan bremste schlitternd ab und stützte sich auf die Mauer.

Drei oder vier Meter unter sich erblickte er eine Reihe von Garagen, die quer zur Straße verlief – sie gehörten zu dem vierstöckigen Mietshaus auf der anderen Seite der Lücke. Lumpy hatte sich schon wieder aufgerappelt und humpelte über die Garagendächer hinweg.

Puh.

Tief durchgeatmet. Und dann auf in den Kampf. Logan kletterte auf die Mauer und sprang. Er fiel wie ein Stein. Das Garagendach schoss ihm entgegen, dann krachte es fürchterlich, er brach durch und landete in einem Hagel von Dachplattentrümmern und Staub in der leeren Garage.

Der Garagenboden war weitaus weniger nachgiebig.

Au …

Er lag da, flach auf dem Rücken, und starrte in den Nieselregen hinauf.

Schnaufte mühsam durch.

Alles tat weh. Arme, Beine, Rücken, Kopf. Sogar die Zähne taten ihm weh.

Wahrscheinlich hatte er sich ernsthaft verletzt.

Wahrscheinlich war bei dem Sturz noch mehr zu Bruch gegangen als das Dach.

Wahrscheinlich würde er hier auf dem Garagenboden an einem Lungenriss sterben, und niemand würde es mitbekommen, bis der Mieter der Wohnung, zu der die Garage gehörte, nach Hause kam und seine Leiche entdeckte.

Au …

Und dann piepste sein Airwave ihn an. Calamitys Stimme tönte aus dem Apparat, sie klang außer Atem. »Shire Uniform … Sieben … sprechbereit?«

Los, auf.

Er hob den Kopf ein paar Zentimeter vom Boden. Die Garage sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen – überall lagen die Trümmer des Daches herum. An den Wänden waren Pappkartons gestapelt, alle mit Paketklebeband verschlossen.

Auf!

Nee, geht nicht.

Er ließ den Kopf wieder auf den Boden dotzen.

Hier ruhen die sterblichen Überreste von Logan Balmoral McRae, zwischen alten National-Geographic-Nummern und diesem Fondueset von Tante Christine, das wir nie benutzt haben. Dekorierter Polizeibeamter, abwesender Sohn, pflichtbewusster Lebensgefährte, per Samenspende Vater von zwei kleinen Monstern. Hinterlässt eine Freundin im Koma, eine kleine flauschige Katze namens Cthulhu sowie eine gewaltige Kreditkartenrechnung.

Sein Airwave piepste erneut. »Shire Uniform Sieben? Sarge? Alles in Ordnung mit dir?«

Nein.

Er wälzte sich mühsam auf die Seite. Hievte sich auf die Knie hoch.

Au …

Er drückte die Sprechtaste. »Wo warst du?«

»Hab ihn geschnappt, Sarge. Lumpy ist mit vollem Karacho die Low Shore runtergerannt – bin direkt vor ihm rausgefahren.« Sie lachte. »Das hättest du sehen müssen, wie er da auf der Motorhaube gelegen hat, alle viere von sich gestreckt, garniert mit Edamerpackungen.«

Logan richtete sich mit letzter Kraft auf. Er schwankte ein wenig und lehnte sich an die Wand. »Komm mich holen.«

Die Küste glitt am Fenster vorbei, grau und trüb, vom peitschenden Regen jeglicher Farbe beraubt. Die Scheibenwischer des Großen Wagens rutschten quiekend und ratternd über das Glas, mit einem Klacken am Ende jedes schmierigen Bogens. Der Lärm kämpfte gegen das Rauschen des Gebläses an – voll aufgedreht und doch chancenlos gegen Lumpy Patricks einzigartiges Odeur.

Ranzige Zwiebeln, Knoblauch und gammliger Käse, unterlegt mit einer scharfen, irgendwie ungesunden Ausdünstung.

»Du liebe Zeit …« Calamity ließ ihre Scheibe ein paar Zentimeter herunter, um frische Luft hereinzulassen, vermischt mit dem Dröhnen des Verkehrs und dem Zischen des Regens. »Hast du ein Bad in der Jauchegrube genommen, Lumpy?«

Er kauerte auf dem Rücksitz, die Hände hinter dem Rücken in Handschellen. Die ungewaschenen Haare hingen ihm ins Gesicht und schützten es vor den Blicken im Rückspiegel. »Hab doch gesagt, es tut mir leid.«

Logan wandte sich ab und starrte aus dem Beifahrerfenster. Die Nordseewellen schlugen an die Klippen, schiefergrau gegen schmutzig braun. Oder war das hier der Moray Firth? Was es auch war, es wirkte nicht glücklich.

Calamity schüttelte sich. »Bist du sicher, dass wir nicht mit Blau und Radau fahren können, Sarge?«

»Mit Lumpy Patrick in einem geschlossenen Raum zu sitzen gilt nicht als Notfall. Police Scotland missbilligt so etwas.«

Von hinten kam ein Schniefen. »Kann nichts dafür. Das sind meine Drüsen.«

»Wohl eher deine Allergie gegen Wasser und Seife.«

Noch mehr Regen. Noch mehr Klippen.

Dann machte die Straße einen Schwenk landeinwärts.

Wieder ein Schniefen. »Also, die Geschichte mit den Ladendiebstählen … Könnten wir nicht vielleicht sagen, ’nen Klaps auf die Finger und Schwamm drüber? Hab meine Lektion gelernt. Werd’ in Zukunft ganz brav sein, okay?«

Calamity lachte. »Das soll ein Witz sein, wie? Das wievielte Mal ist das jetzt? Der Amtsrichter wird an dir ein Exempel statuieren, Lumpy. Das geht doch nicht, dass ihr Junkies sämtliche Speck- und Käsebestände in Banff und Macduff zusammenklaut.«

»Ich hab die Sachen nicht geklaut. Es war … Sekunde. Ich hab sie gefunden. Ja, genau. Gefunden.«

»Aber sicher doch.« Logan arrangierte seine Beine im Fußraum neu und verzog das Gesicht, als sich kleine Eissplitter durch seinen linken Knöchel bohrten. Verfluchtes Garagendach. Wozu baute man überhaupt eine Garage, wenn das Dach gleich durchbrach, sobald mal ein ausgewachsener Mann darauf landete?

»Soll ich dir mal was sagen, Lumpy?« Sie warf dem Innenspiegel einen bösen Blick zu. »Gestern wollte ich durchwachsenen Räucherspeck für Sandwiches kaufen, und weder im Tesco noch im Co-op war auch nur eine einzige Packung zu kriegen. Du und deine Junkie-Freunde, ihr hattet schon alles geplündert.«

Noch mehr Eissplitter jagten durch den Knöchel, als er ihn links- und rechtsherum kreisen ließ. Hätte ihn gleich bandagieren und tiefgefrorene Erbsen draufpacken sollen. Wenn sie in Fraserburgh ankämen, würde er wahrscheinlich schon dick wie eine Melone sein.

»Was meinst du, Sarge? Vier Monate? Entlassung nach zwei wegen guter Führung?«

Ganz zu schweigen von dem endlosen Papierkram wegen der Entschädigung für den Garagenbesitzer.

»Du bist geliefert, Lumpy.« Calamity grinste. »Aber sieh’s mal positiv: Im Knast wirst du wenigstens regelmäßig zum Duschen kommen. Für deine Sozialkontakte wird es wahre Wunder wirken, wenn du nicht mehr stinkst wie ein totes Schaf.«

Am Ortsrand von New Aberdour bremste sie ab, um dann eine Minute später wieder Gas zu geben, als sie das Ortsausgangsschild passierten. Dann fuhr sie die Scheibe noch ein Stück herunter. »Ich kann’s nicht glauben, dass wir das noch bis Fraserburgh aushalten müssen.«

Der Wasserkocher bullerte und ratterte vor sich hin. Ein miefiger Blumenkohlgeruch erfüllte die Teeküche und verlieh ihr die unbehagliche Atmosphäre eines Krankenhaus-Wartezimmers. Sie war mindestens viermal so groß wie die drüben in Banff, mit nicht nur einem, sondern gleich zwei Snackautomaten, einem offenen Küchenbereich, einem Panoramafenster, einer Reihe von Wertstoffbehältern, bequemen Sofas, einem großen Flachbildfernseher und genug Platz, um einen gemütlichen Cèilidh zu veranstalten, wenn man die vier Tische an die Wände rückte.

Ein leises Summen kam von dem zweiten Automaten, bei dem die Schokolade aus war. Es konkurrierte mit dem sinnfreien Gelaber einer dieser Schnäppchenjäger-Billigramsch-Möbelflohmarkt-Sendungen, die im Fernseher lief.

Logan griff nach der Fernbedienung und schnitt einem dauergebräunten Idioten mitten in seinem Geschwafel das Wort ab. Zurück blieb nur das Summen und Rattern in dem großen, gelb gestrichenen, nach Krankenhaus riechenden Raum.

Er legte die Fernbedienung hin.

Eine Stimme hinter seinem Rücken sagte: »Was machst du denn für ein Gesicht?«

Logan blickte sich nicht um. »Ich denk nur nach.«

»Klingt gefährlich.«

Er wandte sich dem Kocher zu, als der sich mit einem Klicken abschaltete, versenkte einen Teebeutel in einem leuchtend pinkfarbenen Becher mit der Aufschrift »Bester Duty Sergeant der Welt« und goss kochendes Wasser darauf. »Auch einen Tee?«

»Geht nicht. Apallisches Syndrom, schon vergessen?«

»Stimmt …« Er rührte um, und das Wasser verfärbte sich braun. »Glaubst du, dass du etwas spüren wirst? Wenn sie dich abschalten?«

Ihre Hand war warm auf seiner Schulter. »Wenn sie mich abschalten?«

Logan fischte den Teebeutel mit dem Löffel heraus und drückte ihn gegen die Becherwand, um ihn auszubluten. »Wird es wehtun?«

»Was soll das heißen, ›sie‹? Nach allem, was wir durchgemacht haben, willst du jetzt kneifen?«

Milch.

»Zwing mich nicht …«

»Logan.« Eine Pause. Dann drückte die Hand auf seiner Schulter zu. »Logan, sieh mich an.«

Er blies die Backen auf. Stellte den Karton mit der fettarmen Milch auf die Arbeitsplatte. Und drehte sich um.

Ihr Haar schimmerte scharlachrot im Schein der Deckenleuchten. Tribal-Tattoos schauten unter den Ärmeln ihres Piratenflaggen-T-Shirts hervor. Die Zacken verwoben sich mit Totenschädeln, Herzen und Kringeln. Aber die Farben waren nicht mehr leuchtend und lebhaft, alles war grau und verblasst, als ob man sie einmal zu oft auf den Kopierer gelegt hätte. Ein goldener Ring zog sich durch das eine Nasenloch, Reihen von glitzernden Schmucksteinen säumten ihre Ohren. Sie lächelte ihn an, und das kleine Stahlkügelchen, das unterhalb ihrer Unterlippe aus der Haut ragte, verwandelte sich in ein Grübchen. »Ich werde nichts spüren, okay?« Samantha legte ihm die Arme um die Schultern und schmiegte sich an ihn. »Ich bin vor fünf Jahren gestorben. Das Licht brennt noch, aber es ist niemand mehr zu Hause.«

»Ist das der Grund, warum ich … warum ich eigentlich gar nichts fühle?«

»Hmmm.« Sie seufzte. »Apropos, diese Leiche heute Morgen im Wald. Es gab eine Zeit, da war es dir nicht egal, Logan. Du hast mit den Opfern gefühlt. Du hattest Mitleid mit ihnen. Was ist passiert?«

Draußen vor dem Panoramafenster peitschte der Regen durch die Straßen von Fraserburgh, trommelte auf die Dächer der parkenden Autos und jagte einen alten Mann mit seinem Regenschirm über die Straße.

Logan runzelte die Stirn. Zuckte mit den Schultern. »Ich hab nur meinen Job gemacht. Du hast gehört, was Calamity gesagt hat: Das Verhüllen des Gesichts hat das Opfer entmenschlicht. Ihm seine Individualität genommen. Das heißt noch lange nicht, dass es mir gleichgültig ist.«

»Vielleicht ist es ja nicht das Opfer, das entmenschlicht wurde.«

Der Regenschirm flog dem alten Mann aus der Hand und kullerte vom Wind getrieben davon, drehte Pirouetten und schlug Purzelbäume, während sein Besitzer steifbeinig hinterhereilte.

Zu allem Überfluss kam jetzt auch noch ein kleines rotes Auto vorbeigebrettert, fuhr voll durch eine Pfütze und spritzte das alte Männlein von oben bis unten voll. Mit ausgebreiteten Armen stand er da und triefte, während er dem davonfahrenden Auto nachsah.

»Logan?« Samantha drehte sein Gesicht wieder zu sich um. »Ich mach mir Sorgen um dich.«

»Wenn der Alte da draußen ein waschechter Brocher ist, wird er sich den Kerl schnappen und ihm diesen Regenschirm hinten reinschieben. Und ihn dann aufspannen.«

»Logan, ich meine es ernst.«

Er schloss die Augen und lehnte seine Stirn an ihre. »Ich tu mein Bestes.«

»Das weiß ich. Aber wenn du es jemand anderem überlässt, mich am Freitag abzuschalten, schwör ich bei Gottes heiligem Banjo, dass ich mich aus dem Grab erheben und dir einen solchen Tritt in deinen käsigen –«

»Sarge?«

Logan blinzelte. Er räusperte sich. »Calamity.«

»Wir hätten Lumpy Patrick dann so weit. Er sagt, er will keinen Anwalt, was eine Premiere ist. Mit etwas Glück kriegen wir ihn rechtzeitig geknackt und können vor halb vier wieder in Banff sein.« Sie schielte nach links und nach rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand mithörte. »Oder, wenn du immer noch so knapp bei Kasse bist, könnten wir’s noch ein bisschen in die Länge ziehen von wegen Überstunden?«

Logan ließ die Luft mit einem gedehnten Zischen entweichen. »Okay. Ja. Nein, lass uns nach Hause fahren.«

»Geht’s dir gut, Sarge?«

Er rang sich ein Lächeln ab. »Die Schokolade im Automaten ist aus.«

Kleine Fältchen erschienen zwischen ihren Augenbrauen. »Bist du sicher, dass dir nichts fehlt? Das war ein ziemlich übler Sturz. Wir könnten den Polizeiarzt rufen?«

»Alles gut. Mir geht’s hervorragend. Also, hat –« Sein Handy begann das Darth-Vader-Thema aus Star Wars zu intonieren, düster und ominös. Er schloss die Augen und zog eine Grimasse. »Super.« Mit einem Seufzer zog er das Telefon heraus. Er nickte Calamity zu. »Steck Lumpy in Vernehmungsraum zwei – und sieh zu, dass das Fenster weit offen ist. Ich komme gleich nach.« Sobald sie den Raum verlassen hatte, nahm er das Gespräch an. »Was ist?«

Eine Pause. Dann tönte Steels Stimme aus dem Handy, rau wie in Whisky marinierter Kies. »Redet man so mit einer Detective Chief Inspector, du kleiner Frechsack?« Sie schnaubte. »Und was zum Teufel hast du dir dabei gedacht, hier draußen in der Pampa über eine Leiche zu stolpern, im Matsch und im Regen? Meine Schuhe sind schon wie zwei quatschende Eimer voll Schmodder.«

»Hast du aus einem bestimmten Grund angerufen, oder wolltest du mir nur die Ohren volljammern? Ich meine nur, weil ich in zehn Minuten Feierabend habe und vorher noch einen Verdächtigen vernehmen muss. Also …?«

»Ach ja? Und was sagt dein Verdächtiger dazu? Hast du eine Spur zu meinem Fall, die du mir vorenthältst?«

»Okay, ich leg jetzt auf.«

»Ach, nun sei nicht so eine Heulsuse, Laz.« Ein saugendes Geräusch war zu hören, dann ein Seufzer. »Ich ruf an, weil ich dir einen Gefallen tun will. Unser heißgeliebter Chief Superintendent Napier – der Rothaarige Rächer, der Neugierige Nosferatu, die Karottenkopf-Katastrophe, der Unermüdliche Unhold höchstpersönlich – ist auf der Pirsch. Also sei auf der Hut … Augenblick.« Im Hintergrund war ein gedämpfter Wortwechsel zu hören, doch die Stimmen waren zu weit weg, um irgendetwas zu verstehen.

Samantha zog die Brauen hoch und deutete auf das Telefon. Dazu machte sie eine Wichsgeste. »Ach ja, und ich will einen Abgang mit allem Drum und Dran. Schwarzer Sarg, rot ausgeschlagen, und mein ganzer Krimskrams muss auch mit, okay? Volle Kriegsbemalung. Und dieses Lederkorsett. Hab keine Lust, wie eine alte Schachtel daherzukommen, wenn ich mit den Würmern Bekanntschaft mache.«

»Sonst noch was, gnädige Frau?«

»Ja. Lass dich nicht so hängen, Mensch. Du machst ein Gesicht wie ein versohlter Arsch.«

Und dann war Steel wieder da. »Ich schwör’s dir, dieser Idiot Rennie fängt sich noch eine von mir, eh der Tag um ist.« Sie gab ein knurrendes Geräusch von sich, dann schniefte sie. »Okay, wo waren wir? Genau – Napier. Der schleimige Widerling geht in zwei Monaten in Pension, und er will es zum Abschied noch mal richtig krachen lassen. Sprich, irgendeiner armen Sau eine reinwürgen. Und du weißt, dass er immer schon besonders scharf auf dich und mich war. Da wollen wir ihm doch nicht zu einem flotten Dreier verhelfen, hm?«

Gott, was für eine Vorstellung. »Ist mir egal. Soll er doch rumschnüffeln, ich bin sauber.«

Na ja, mehr oder weniger …

Im Großen und Ganzen …

Wenn man das ganze Fiasko mit dem Verkauf der Wohnung nicht berücksichtigte. Was Napier aber mit Sicherheit tun würde, wenn er je davon erführe. Logan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er würde es nicht erfahren. Niemals.

Das war einfach undenkbar.

Wirklich?

»Laz, bist du noch da?«

Logan räusperte sich. »Es wird schon gutgehen.« Oder es würde alles ganz fürchterlich schiefgehen. »Also, ich muss jetzt Schluss machen, mein Verdächtiger wartet. Grüß Jasmin und Naomi von mir, ja?« Er legte auf, ehe sie etwas erwidern konnte.

Dann schaltete er sein Handy aus, für alle Fälle.

4

Dem offenen Fenster zum Trotz stank es in Vernehmungsraum 2 wie die Pest. Der Verursacher des Gestanks saß auf der niedrigen Bank auf der anderen Seite des kleinen weißen Tischs und zappelte nervös herum.

Lumpy Patricks Arme ragten wie dreckige Pfeifenputzer aus den Ärmeln seines T-Shirts. Sie bestanden fast nur aus Knochen, die Muskeln wie verknotete Gummiseile, straff gespannt und pulsierend. Die Haut war dort, wo sie immer wieder und wieder von Nadeln durchbohrt worden war, mit dunklen Narben gesprenkelt. Seine Hände hatten eine bräunlich graue Färbung angenommen, eine Mischung aus Schmutz und … noch mehr Schmutz. Ausgefranste schwarze Halbmonde anstelle von Fingernägeln. Eingefallene Wangen, Augen, deren Farbe an Tabasco erinnerte, gesäumt mit gelben Flecken. Und wenn er den Mund aufmachte, ergoss sich der Gestank von tausend verstopften Toiletten in den Raum. »Ich will, dass ihr das mit den Ladendiebstählen vergesst.«

Logan lehnte sich so weit wie möglich auf seinem Stuhl zurück und atmete seitlich durch den Mund. »Und warum sollten wir etwas so Dämliches tun?«

»Weil, es ist doch bloß Speck und Käse, oder? Ist ja nicht grad ’n Schwerverbrechen.«

Logan nahm einen transparenten Beweismittelbeutel und hielt ihn Lumpy vor die Nase. »Für die Tonaufzeichnung: Ich zeige Mr Hay jetzt die zwei Briefchen Heroin, die bei seiner Festnahme in seiner Tasche gefunden wurden.« Logan legte sie wieder hin. »Und bevor Sie es zu leugnen versuchen: Wir wissen, dass es Heroin ist, weil wir es analysiert haben.«

»Ah …« Die fettigen Haarbüschel wippten, als er nickte. »Also, angenommen, ich würd’ euch sagen, wo ihr … na ja, noch viel, viel mehr von dem Zeug kriegen könnt? Nich’ wahr, ne?« Lumpys bleiche Zunge schob sich zwischen den aufgesprungenen Lippen hervor, feucht glitzernd. Dann beugte er sich vor und hüllte Logan in seinen Gestank ein. »Was ich so gehört hab, kriegt Ma Campbell demnächst ’ne Lieferung aus Weegietown. Ja?« Er hielt seine dreckigen Hände hoch, ungefähr einen halben Meter auseinander. »’ne richtig fette Lieferung. Gefällt euch das?«

Calamity lehnte sich neben dem offenen Fenster an die Wand. »Für wen ist die Lieferung?«

»O nein. Erst machen wir ’nen Deal, ja? Ich verrat’ euch Sachen, und ihr vergesst die Ladendiebstähle und all das. Abgemacht?«

»Kommt drauf an, ob Sie uns die Wahrheit sagen oder nicht.« Logan zog seinen Stift aus der Tasche und zeigte damit auf Lumpy. »Für wen ist es?«

Lumpy grinste und bot dabei den erhebenden Anblick eines fast zahnlosen Mundes mit grauem Zahnfleisch. »Kennen Sie Ricky Welsh?«

Calamitys Reaktion war ein Stöhnen. »O Gott. Nicht Ricky und Laura …«

»Doch. Fette Lieferung aus Glasgow. Lauter Weegie-Drogen.«

Logan tippte mit seinem Stift auf sein Notizbuch. »Jetzt mal ganz im Ernst, Lumpy, Sie sitzen hier und wollen tatsächlich Ricky und Laura Welsh verpfeifen? Nach dem, was mit Abby Ritchie passiert ist?«

Als Lumpy mit den Schultern zuckte, sackte sein ganzer Körper zur Seite, bis die Spitzen seiner Haare kleine ölige Spuren auf der Tischplatte hinterließen. »Ist meine Bürgerpflicht, nich’ wahr? Das geht ja nicht an, dass so hergelaufene Weegies unseren hiesigen Unternehmen das Geschäft verderben. Das is’ nich’ richtig.«

Klar, weil Lumpy Patrick ja auch ein so vorbildliches, rechtschaffenes Mitglied der Handelskammer von Banff und Macduff war.

Logan entsicherte seinen Kugelschreiber. »Wann und wo?«

»Nee, nee. Erst müssen wir über meine Belohnung für meinen Bürgersinn reden. Ich krieg …« Er neigte den Kopf zur Seite, und wieder schmierten seine Haarspitzen über den Tisch. »Dreitausend Pfund, und ihr belangt mich nicht wegen den Ladendiebstählen und dem Drogenbesitz. Alles klar?«

Ein Auto fuhr draußen vorbei.

Durch das offene Fenster drang das Rauschen des Regens herein, und die Vorhanglamellen schwankten in der Brise.

Irgendwo in den Tiefen des Gebäudes klingelte ein Telefon.

Calamity hielt es als Erste nicht mehr aus. Ein unterdrücktes Prusten, dann lachte sie aus vollem Hals los.

Dann konnte auch Logan nicht mehr an sich halten. Er warf den Kopf in den Nacken und brach in schallendes Gelächter aus.

Lumpy starrte sie nur an.

Endlich verebbte das Lachen.

Logan seufzte. Wischte sich die Augen. »Köstlich, einfach köstlich.«

»Drei Riesen, Lumpy?« Calamity schüttelte den Kopf, sie konnte immer noch nicht aufhören zu grinsen. »Sie können froh sein, wenn wir Sie nicht wegen Vergeudung von Polizeiressourcen verknacken. Erinnern Sie sich noch an den letzten brandheißen Tipp, den Sie uns gegeben haben?«

Er rutschte auf seiner Bank hin und her. Senkte die Stimme und den Blick. »Dafür konnt’ ich nix.«

»Haben Sie eine Vorstellung, wie viele Verbrechen wir hätten aufklären können, wenn wir nicht auf der Suche nach Ihrem imaginären Dealer aus Newcastle kreuz und quer durch die Gegend gelatscht wären?«

»Dafür konnt’ ich nix!«

»Und jetzt kommen Sie uns mit diesem Blödsinn von wegen Ma Campbell und den Welshes?«

Logan tippte wieder auf das Notizbuch. »Wem schulden Sie die dreitausend?«

Keine Antwort.

»Raus mit der Sprache, Lumpy. Sie haben diese Zahl doch nicht einfach aus der Luft gegriffen, Sie schulden jemandem die Summe, stimmt’s? Lassen Sie mich raten …« Logan kaute einen Moment auf seiner Unterlippe herum. »Es ist doch nicht etwa Ricky Welsh, oder? Das wäre ja ein erstaunlicher Zufall. Sie schulden ihm einen Haufen Kohle, und hier sitzen Sie nun und wollen ihn verpfeifen.«

Calamity sog die Luft durch die Zähne ein. »Lumpy, Lumpy, Lumpy. Jemanden verpfeifen, dem Sie Geld schulden, nur damit wir ihn einsperren und Sie Ihre Schulden nicht zurückzahlen müssen. Sie sollten sich was schämen.«

»Nein!« Lumpys Unterlippe zitterte ein wenig. Dann zog er die Schultern hoch und ließ den Oberkörper sinken, bis er mit der Wange auf der abgestoßenen weißen Tischplatte ruhte. »Bürgerpflicht …«

»Okay. Also, wir sind hier fertig.« Logan stand auf. »Viel Glück bei Ihrem Versuch, die Sache mit den Welshes in Ordnung zu bringen. Ich bin sicher, dass Laura sehr verständnisvoll reagieren wird, wenn sie erfährt, dass Sie versucht haben, sich um die Zahlung zu drücken, indem Sie die beiden denunzieren. Sie wird Ihnen wahrscheinlich einen Kuchen backen. Den kann sie Ihnen dann gleich in die Grampian-Haftanstalt schicken, wo Sie die nächsten vier bis sechs Monate verbringen werden.«

»Neiiin …« Er schlug die dürren Arme über dem Kopf zusammen.

»Officer Nicholson wird Sie jetzt in Ihre Zelle zurückbringen.«