Blut und Knochen - Stuart MacBride - E-Book
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Blut und Knochen E-Book

Stuart MacBride

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Beschreibung

Ein wahrer Höllentrip – für alle, die ihre Thriller blutig mögen. Sehr blutig

Als in einem Container im Hafen von Aberdeen menschliche Leichenteile in den Fleischvorräten für eine Bohrinsel gefunden werden, beginnt ein wahrer Alptraum. Offenbar ist der „Fleischer“ zurück, ein Killer, der vor vielen Jahren seine Opfer im wahrsten Sinne des Wortes abgeschlachtet hatte. Ken Wiseman war damals zwar gefasst und verurteilt worden, ist seit einiger Zeit aber wieder in Freiheit. Bald werden weitere Leichenteile gefunden, und von einigen offenbar verschleppten Opfern fehlt jede Spur. Nur Unmengen von Blut zeugen von den unvorstellbaren Gräueln, die sich in ihrem Haus zugetragen haben müssen. Fieberhaft suchen Detective Logan McRae und seine Kollegen nach dem „Fleischer“ – doch der ist ihnen stets einen Schritt voraus ...

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Seitenzahl: 702

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Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Flesh House« bei HarperCollinsPublishers, London
Copyright © der Originalausgabe 2008 by Stuart MacBride Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlagagentur: UNO Werbeagentur Umschlagmotiv: Getty Images/Scott Kleinman Redaktion: Eva Wagner
Inhaltsverzeichnis
 
Angst regiert die Welt
 
20 Jahre später
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
 
Vier Tage später
Kapitel 26
Kapitel 27
 
Smoak With Blood
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
 
Sechs Monate später
Danksagung
Anmerkung des Autors
Buch
Eigentlich sollte man belohnt werden, wenn man einen Psychopathen fasst und dessen Opfer rettet. Allerdings nur, wenn man dabei alle Regeln befolgt. Logan McRae, stellvertretender Detective Inspector, erhält also statt einer Beförderung eine "berufliche Entwicklungschance" in einem kleinen Küstenort nördlich von Aberdeen. Psychopathen scheint es dort nicht zu geben, dafür Drogendealer, Ladendiebe und entlaufenes Vieh. Und einige Vermisstenfälle. Da es sich bei den Verschwundenen jedoch um erwachsene Männer handelt, wird der Sache keine größere Bedeutung zugemessen. Das ändert sich, als ein totes Mädchen am Strand angespült wird. Denn Logan kommt einem Zusammenhang zwischen den vermissten Personen und diesem Mordfall auf die Spur ...
Für meine Eltern Stuart und Sheena MacBride
Angst regiert die Welt

30. Oktober 1987

»Nein, jetzt hören Sie mir mal zu: Wenn mein Junge nicht in zehn Minuten zu Hause ist, komm ich zu Ihnen rüber und reiß Ihnen den Arsch auf, haben wir uns verstanden?« Ian McLaughlin legte eine Hand über die Sprechmuschel und schnauzte seine Frau an, sie solle gefälligst diesen verdammten Krach leiser stellen. Dann nahm er sich wieder den Trottel am anderen Ende der Leitung vor: »Wo zum Teufel steckt Jamie?«
»Als ich aus dem Pub zurückkam, waren sie verschwunden, okay? Catherine ist auch nicht hier … vielleicht ist sie mit den Jungen spazieren gegangen?«
»Spazieren? Es schifft in Strömen, es ist stockfinster und schweinekalt -«
»Was ist denn? Was ist passiert?« Sharon stand in der Wohnzimmertür. Sie trug dieses Hexenkostüm, das sie bei Woolworth gekauft hatte; es kaschierte ihren Babybauch, ließ ihre Brüste dafür aber riesengroß aussehen.
Ian grunzte verächtlich, und diesmal machte er sich nicht die Mühe, den Hörer abzudecken. »Es ist dieser Schwachkopf Davidson – er hat Jamie verloren.«
»Jamie ist verschwunden?« Sharon schlug sich die Hand vor den Mund und unterdrückte einen Schrei. Immer musste sie überreagieren, genau wie ihre blöde Mutter.
»Das hab ich nicht gesagt! Ich habe nicht gesagt, er ist verschwunden, ich habe bloß -«
»Wenn wir zu spät zu dieser Scheißparty kommen, werde ich höchstpersönlich dafür sorgen -«
Die Türklingel: laut und beharrlich.
»- dass Sie Ihres Lebens nicht mehr -«
Wieder die Türklingel.
»Herrgott noch mal, Sharon, gehst du vielleicht mal an die Tür? Du siehst doch, dass ich telefoniere …«
Endlich spurte Sharon. Ein Klacken, ein Rasseln, und dann stieß sie einen spitzen Schrei aus. »Jamie! Oh, Jamie, wir haben uns ja solche Sorgen gemacht!«
Ian hielt mitten im Schimpfen inne und starrte die durchnässten Gestalten an, die auf der Schwelle standen: Jamie und sein bester Freund Richard Davidson, Hand in Hand mit irgendeinem Heini in einem Halloween-Kostüm. »Wurde aber auch höchste Zeit«, sagte Ian und knallte den Hörer auf die Gabel. »Ich hab dir ausdrücklich gesagt, du hast um fünf zu Hause zu sein!« Die beiden kleinen Jungen sahen ihn mit großen Augen an. Sie schienen sich vor Angst fast in die Hose zu machen, und dazu hatten sie auch allen Grund. »Wo zum Teufel habt ihr zwei gesteckt?«
Keine Antwort. Typisch. Und es war wirklich schon verdammt spät … »Jamie!« Ian wies mit dem Daumen in Richtung Treppe. »Los, rauf mit dir und zieh dich um. Wenn du nicht in drei Minuten als Wikinger hier stehst, kannst du als Kind in Unterhemd und Unterhose zu der Party gehen.«
Jamie warf seinem Kumpel einen besorgten Blick zu und blickte dann zu dem Fremden auf, der in der Haustür stand – dem Typen mit der blutbespritzten Metzgerschürze und der Margaret-Thatcher-Gruselmaske. Endlich schlich er wie ein begossener Pudel hinauf in sein Zimmer, mit Richard im Schlepptau.
20 Jahre später
1
Krampfhaft bemüht, sich nicht die Finger zu verbrühen, steuerte Detective Sergeant Logan McRae über den dunklen Kai auf einen ramponierten Offshore-Container zu, der im grellen Licht der Polizeischeinwerfer dastand. Das Ding hatte in etwa die Abmessungen eines gewöhnlichen Badezimmers, und es war vom jahrelangen Hin- und Herschippern zwischen dem Hafen und den Ölbohrplattformen in der Nordsee über und über verbeult und zerkratzt, die blaue Farbe mit orangeroten Rostpickeln übersät. Eine dunkelrote Lache glitzerte im Lichtkegel eines Spots, den die Kriminaltechniker aufgebaut hatten: Blut, das sich langsam mit den öligen Pfützen auf dem kalten Beton vermischte, während Gestalten in weißen Overalls mit Kameras, Klebeband und Beweismittelbeuteln umherwuselten.
Vier Uhr morgens – der Tag fing wirklich großartig an.
Der Kühlcontainer war im Grunde nur ein großer Metallkasten, ausgekleidet mit Isoliermaterial. Drei Holzpaletten nahmen den größten Teil der Bodenfläche ein, und darauf stapelten sich Kartons mit tiefgefrorenem Gemüse, Fisch, Hühnerteilen und diversen anderen Fleischstücken. Die graubraune Pappe wellte sich, während der Inhalt langsam auftaute.
Logan duckte sich unter dem blau-weißen Absperrband mit der Aufschrift Polizei hindurch.
Detective Inspector Insch war unmöglich zu übersehen: Der Mann war ein Riese, der Tatort-Overall über seinem mächtigen Wanst zum Zerreißen gespannt. Die Kapuze hatte er zurückgeschlagen, und sein massiger Kahlschädel glänzte im Scheinwerferlicht. Doch selbst er wirkte wie ein Zwerg neben der hoch aufragenden Bordwand der Brae Explorer, eines gewaltigen orangefarbenen Offshore-Versorgungsschiffs, das an der Kaimauer vor Anker lag und mit seiner Bordbeleuchtung die rötlich schwarze Nacht erhellte.
Logan drückte Insch einen der Styroporbecher in die Hand. »Zucker war aus.« Die Reaktion waren ein paar gegrummelte Flüche, die Logan ignorierte. »Sky News ist auch schon aufgekreuzt. Das macht dann drei Fernsehteams, vier Zeitungen und eine Handvoll Gaffer.«
»Wunderbar.« Inschs Stimme war ein dumpfes Grollen. »Das hat uns gerade noch gefehlt.« Er deutete zur Brae Explorer hinauf. »Haben diese Trottel schon irgendwas gefunden?«
»Das Suchteam ist fast fertig. Bis auf ein paar unglaublich miese Pornos ist alles sauber. Der Kapitän des Schiffs sagt, der Container sei erst ein paar Stunden an Bord gewesen. Jemand hat bemerkt, dass das Ding leckte und das ganze Deck vollsaute, und da wollten sie gleich bei dem Abholgroßmarkt anrufen, von dem es geliefert wurde. War aber geschlossen. Anscheinend machen die Jungs auf den Bohrinseln gleich einen Aufstand, wenn ihre Container mal nicht pünktlich ankommen, also hat der Kapitän jemanden losgeschickt, der das Kühlaggregat reparieren sollte.« Logan nippte an seinem brühheißen Tee. »Und dabei haben sie die Teile gefunden. Der Mechaniker musste ein paar von den Kartons mit dem auftauenden Fleisch beiseiteräumen, um an die Leitungen ranzukommen. Dabei ist bei einem der durchgeweichte Boden gerissen, und der ganze Inhalt ist durch die Gegend gekullert.« Er wies auf einen kleinen Haufen Beweismittelbeutel aus transparentem Plastik, die je einen roten Klumpen enthielten. »Sowie er erkannt hat, was es war, hat er uns alarmiert.«
Insch nickte. »Was ist mit dem Großmarkt?«
»Thompson’s Cash and Carry in Altens – beliefern diverse Offshore-Cateringfirmen. Gefrierfleisch, Gemüse, Toilettenpapier, Dosenbohnen … das Übliche. Machen erst um sieben auf, wird also noch eine Weile dauern, bis -«
Der dicke Mann durchbohrte Logan mit einem drohenden Blick. »Nein, das wird es nicht. Finden Sie raus, wer der Chef von dem Laden ist, und dann holen Sie den Kerl aus dem Bett. Ich will sofort ein Suchteam vor Ort haben.«
»Aber es -«
»SOFORT, Sergeant!«
»Ja, Sir.« Es hatte keinen Sinn, noch länger mit Insch herumzustreiten. Logan zog sein Handy aus der Tasche, ging ein paar Schritte den Kai entlang und rief die Leitstelle an, um ein Suchteam zu organisieren und einen Durchsuchungsbeschluss in die Wege zu leiten. Dabei nippte er zwischendurch an seinem Tee und versuchte geflissentlich den Kameramann zu ignorieren, der ihn umkreiste wie ein untersetzter, kahlköpfiger Hai.
Logan beendete das Gespräch, zerdrückte seinen leeren Styroporbecher und … weit und breit kein Abfalleimer zu sehen.Wenn er den Becher loswerden wollte, musste er ihn entweder hier auf dem Kai fallen lassen oder ihn ins Wasser werfen, was beides im Fernsehen nicht besonders gut aussehen würde. Verlegen ließ er ihn hinter seinem Rücken verschwinden.
Der Hai ließ seine HDV-Kamera sinken – nicht größer als ein Schuhkarton, versehen mit dem Logo von BBC Scotland – und grinste. »Perfekt. Ich hatte schon befürchtet, der Ton könnte hier ziemlich mies sein, aber er ist gar nicht so schlecht. Das ist voll der Knaller! Zerstückelte Leichen, Schiffe, Spannung, Geheimnisse. Ooh -« Er deutete auf den zerdrückten Becher in Logans Hand. »… wo haben Sie denn den Tee her? So einen könnt’ ich jetzt auch gebrauchen.«
»Ich dachte, Sie wollten bei uns Mäuschen spielen, Alec, und nicht Nervensäge.«
»Na ja, wir haben alle unsere -«
Inschs dröhnende Stimme kam vom anderen Ende des Kais: »SERGEANT!«
Fluchen. Bis zehn zählen. Seufzen. »Wenn die Serie ein Erfolg wird, könnten Sie mir dann vielleicht einen Job bei der BBC verschaffen?«
»Werd mal sehen, was sich machen lässt.« Und dann ließ Alec ihn einfach stehen, um sich einen günstigen Standort zu suchen, von dem aus er filmen konnte, wie Insch seinen Untergebenen in den Senkel stellte.
Logan schlich hinterher und wünschte, er wäre heute Nacht einem anderen DI zugewiesen worden – zumal, da die Nachrichten von der Leitstelle nicht die besten waren. Mit Insch zu reden glich in letzter Zeit mehr und mehr dem Versuch, in einem Minenfeld einen Stepptanz hinzulegen. Und zwar mit verbundenen Augen. Aber Logan musste es irgendwie hinter sich bringen. »Tut mir leid, Sir, es ist leider niemand frei – sind alle hier am Hafen im Einsatz, und -«
»Himmeldonnerwetter!« Der dicke Mann fuhr sich mit der Hand durch sein rosiges Pfannkuchengesicht. »Warum könnt ihr Kerle nicht einfach mal tun, was man euch sagt?«
»In einer Stunde oder so könnten wir ein paar Leute von dem Team hier abziehen und -«
»Ich sagte doch, ich will, dass das jetzt passiert. Nicht in einer Stunde – jetzt.«
»Aber so lange wird es dauern, bis wir einen Durchsuchungsbeschluss haben.Wir sollten uns doch wohl lieber darauf konzentrieren, hier gründliche Arbeit zu leisten -«
Der Inspector baute sich vor ihm auf: hundertneunzig Zentimeter zornbebendes Fett. »Zwingen Sie mich nicht, es noch einmal zu wiederholen, Sergeant.«
Logan bemühte sich, vernünftig zu klingen. »Auch wenn wir jeden einzelnen Uniformierten auf der Stelle vom Schiff und den Hafenanlagen abziehen, müssten die Leute immer noch rumhocken und Däumchen drehen, bis der Durchsuchungsbeschluss durch ist.«
»Wir haben nicht die Zeit, uns mit albernen Durchsuchungs-«, setzte Insch an, als ihm jemand in einem weißen Tatort-Overall auf die Schulter tippte. Es war eine Frau, und sie sah nicht gerade überglücklich aus.
»Ich warte schon eine geschlagene Viertelstunde auf Sie!« Dr. Isobel MacAlister, Leiterin der Rechtsmedizin von Aberdeen, trug eine Miene zur Schau, bei der man sich noch auf zwanzig Schritt Entfernung Frostbeulen holen konnte. »Sie haben vielleicht nichts Besseres zu tun, aber ich schon, das können Sie mir glauben.Also, wollen Sie sich jetzt meinen vorläufigen Befund anhören, oder soll ich lieber heimfahren und Sie nicht länger bei Ihrer wichtigen Arbeit stören, was immer man sich darunter vorzustellen hat?«
Logan stöhnte. Das hatte ihnen nun wirklich noch gefehlt, dass Isobel Insch noch mehr auf die Palme brachte.Als ob der griesgrämige Fleischklops nicht schon schlimm genug drauf wäre. Der Inspector wandte sich ihr zu, und im Scheinwerferlicht glühte sein Gesicht rot vor Zorn. »Vielen herzlichen Dank, dass Sie auf mich gewartet haben, Doktor; es tut mir wirklich leid, wenn ich Ihnen mit meinen Mordermittlungen irgendwelche Ungelegenheiten bereitet habe. Ich werde versuchen, Sie nicht wieder mit solchen Banalitäten zu belästigen.«
Eine Weile starrten sie einander nur schweigend an. Dann setzte Isobel ein kaltes, unfreundliches Lächeln auf. »Es handelt sich um menschliche Überreste. Die Person ist männlichen Geschlechts, und die Zerstückelung erfolgte dem Anschein nach einige Zeit nach Eintritt des Todes, vermutlich mit einer langen, scharfen Klinge und einer Bügelsäge. Aber das werde ich erst nach der Obduktion mit Sicherheit sagen können.« Sie sah auf ihre Uhr. »Und die findet um Punkt elf Uhr statt.«
Insch schäumte. »O nein, das tut sie nicht! Diese Überreste müssen auf der Stelle untersucht werden -«
»Sie sind gefroren, Inspector. Sie – müssen – zuerst – auftauen.« Isobel betonte jedes Wort, als ob sie es mit einem ungezogenen Bengel zu tun hätte und nicht mit einem ausgewachsenen, mies gelaunten Detective Inspector. »Wenn Sie es unbedingt wünschen, könnte ich sie wohl auch eine halbe Stunde in der Kantine in die Mikrowelle legen. Aber das wäre vielleicht nicht besonders professionell – was meinen Sie?«
Insch funkelte sie nur zähneknirschend an, während seine Gesichtsfarbe von zornrot zu tobsuchtsviolett changierte. »Na schön«, sagte er schließlich, »dann könnten Sie uns ja helfen, indem Sie DS McRae zu einem Abholmarkt in Altens begleiten.«
»Und was bringt Sie auf die Idee, dass ich -«
»Wenn Sie zu beschäftigt sind, kann ich natürlich immer noch einen der anderen Rechtsmediziner bitten, diesen Fall zu übernehmen.« Jetzt war Insch mit dem gehässigen Grinsen an der Reihe. »Mir ist ja durchaus bewusst, welchen Belastungen Sie ausgesetzt sind: berufstätige Mutter mit einem kleinen Kind zu Hause, da kann man wirklich nicht das gleiche dienstliche Engagement erwarten wie -«
Isobel schien drauf und dran, ihm eine zu schmieren. »Wagen Sie es ja nicht, diesen Satz zu beenden!« Mit einer herrischen Geste fuhr sie zu Logan herum. »Den Wagen, Sergeant, es wartet Arbeit auf uns.«
Insch nickte, zückte sein Handy und begann eine Nummer zu wählen. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, ich muss telefonieren … Hallo? … Ist dort die West Midlands Police? … Ja, DI Insch hier, Grampian CID, ich muss dringend Chief Constable Mark Faulds sprechen … Ja, selbstverständlich weiß ich, wie viel Uhr es ist!« Er wandte ihnen den Rücken zu und watschelte davon, aus dem Lichtkegel der Scheinwerfer heraus.
Isobel starrte ihm mit finsterer Miene nach und fuhr dann Logan an: »Was ist? Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit.«
Sie waren auf halbem Weg zum Auto, als hinter ihnen eine Donnerstimme brüllte: »BLEIBEN SIE MIR BLOSS MIT IHRER SCHEISS-KAMERA VOM LEIB!« Als Logan sich umdrehte, sah er Alec hinter ihnen herhasten, während der Inspector sich wieder seinem Telefonat zuwandte.
»Ähm …«, stammelte der Kameramann, als er sie vor Logans verdrecktem CID-Einsatzwagen einholte. »Ich dachte, ich könnte mich vielleicht für ein Weilchen an Sie dranhängen. Insch ist ein bisschen …« Er zuckte mit den Achseln. »Na, Sie wissen schon.«
Logan wusste. »Steigen Sie ein. Ich bin gleich wieder da.«
Es dauert nicht lange, die Nachricht von der Änderung des Plans weiterzuleiten: Er schnappte sich einfach die nächstbeste Kollegin und trug ihr auf, noch fünfundvierzig Minuten zu warten und dann dem ganzen Team die Anweisung zu geben, alles stehen und liegen zu lassen und sich auf schnellstem Weg nach Altens zu begeben.
Alec ließ gerade so richtig Dampf ab, als Logan zum Wagen zurückkam. »Ich meine«, schimpfte der Kameramann und beugte sich auf dem Rücksitz vor, wo er bis zu den Knöcheln in Pommestüten und Fastfood-Kartons versank, »wenn er nicht in der verdammten Serie erscheinen will, wieso hat er sich dann freiwillig gemeldet? Die ganze Zeit schien er richtig scharf drauf zu sein – bis jetzt. Er hat mich vielleicht angebrüllt – wenn ich nicht die Kopfhörer aufgehabt hätte, hätte es mir glatt das Trommelfell zerfetzt!«
Logan zuckte mit den Achseln und manövrierte den Wagen durch die Barrikade aus Pressekameras, Mikrofonen und Scheinwerfern. »Sie können von Glück sagen. Mich brüllt er jeden gottverdammten Tag an.«
Isobel saß nur in frostigem Schweigen da, aber er sah, dass sie innerlich kochte.
 
Thompson’s Cash and Carry war eine langgezogene Lagerhalle aus Hohlblocksteinen in Altens, einem seelenlosen Gewerbegebiet am südlichsten Zipfel von Aberdeen. Das Gebäude war riesig, angefüllt mit Reihen über Reihen hoher, breiter Regale, die sich schier endlos hinzogen. Die flackernden Leuchtstoffröhren an der Decke und die monotone Konservenmusik schufen eine Atmosphäre ungetrübter Trostlosigkeit. Das Büro des Geschäftsführers befand sich in der Mitte der hinteren Schmalseite, wo eine Betontreppe zu einer glänzenden blauen Tür mit der Aufschrift »Dein Lächeln ist dein größtes Kapital« hinaufführte.Wenn dem so war, dann waren sie hier wohl allesamt pleite, denn überall sah man nur lange Gesichter.
Der Mann, der bei Thompson’s Cash and Carry das Sagen hatte, bildete keine Ausnahme. Sie hatten ihn um halb fünf Uhr morgens aus den Federn geholt, und er sah entsprechend aus: dicke Ringe unter den Augen, bläulicher Stoppelrasen auf dem schwabbelnden Doppelkinn, und er steckte in einem Anzug, der wahrscheinlich ein Vermögen gekostet hatte, aber aussah, als wäre jemand darin gestorben. Mr. Thompson spähte durch das Panoramafenster seines Büros auf die uniformierten Beamten hinunter, die sich durch die Regale voller Gummibärchen,Waschpulver und Bohnen in Tomatensauce arbeiteten. »O Gott …«
»Und Sie sind ganz sicher«, fragte Logan, während er sich mit einer Tasse Kaffee und einem Schokokeks auf ein knarzendes Ledersofa sinken ließ, »dass es hier keine Einbrüche gegeben hat?«
»Nein. Ich wollte sagen – ja, ich bin sicher.« Thompson verschränkte die Arme, schritt im Büro auf und ab und ließ die Arme wieder sinken. Setzte sich. Stand wieder auf. »Es kann nicht von hier gekommen sein. Das Gelände wird rund um die Uhr bewacht, sieben Tage die Woche. Ein hochmodernes Sicherheitssystem.«
Logan hatte das hochmoderne Sicherheitssystem schon kennengelernt – es handelte sich um einen achtundsechzigjährigen Mann namens Harold. Logan hatte schon Fußabstreifer gesehen, die mehr auf Zack waren als dieser Typ.
Thompson trat wieder ans Fenster. »Haben Sie sich mal die Schiffsbesatzung vorgenommen? Vielleicht haben die ja -«
»Von wem beziehen Sie Ihr Fleisch, Mr. Thompson?«
»Es … kommt drauf an, was es ist. Ein Teil der fertig verpackten Ware kommt von Metzgern aus der Region – das ist billiger, als jemanden für das Zerteilen zu beschäftigen -, und den Rest beziehen wir von Schlachthöfen. Wir haben Verträge mit drei verschiedenen -« Er zuckte zusammen, als unten in der Halle ein lautes, polterndes Krachen ertönte, gefolgt von höhnischem Gelächter und vereinzeltem Applaus. »Sie haben mir versprochen, dass Ihre Leute aufpassen würden! Wir öffnen in anderthalb Stunden – ich kann doch unseren Kunden nicht so ein Chaos zumuten.«
Logan schüttelte den Kopf. »Ich glaube, Sie haben im Moment größere Sorgen, Sir.«
Thompson starrte ihn an. »Sie können doch nicht denken, dass wir irgendetwas damit zu tun haben! Wir sind ein Familienunternehmen. Wir sind seit fast dreißig Jahren hier.«
»Dieser Container kam aus Ihrem Abholmarkt, und er enthielt Stücke von Menschenfleisch.«
»Aber -«
»Was glauben Sie, wie viele Lieferungen von der Sorte zu den Plattformen rausgegangen sind? Was ist, wenn Sie den Cateringfirmen schon seit Monaten Leichenteile verkaufen? Was glauben Sie, wie begeistert die Jungs da draußen auf den Bohrinseln sein werden, wenn sie erfahren, dass sie die ganze Zeit Mensch gegessen haben?«
Mr. Thompson erbleichte und sagte wieder: »O Gott.«
Logan kippte den letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse hinunter und stand auf. »Woher kam das Fleisch in dem Container?«
»Ich … Da müsste ich auf dem Lieferschein nachsehen.«
»Tun Sie das.«
 
Der Kühlraum des Großmarkts befand sich am anderen Ende des Gebäudes. Von den Regalen mit Konserven und Trockenwaren wurde er durch einen Vorhang aus dicken Plastikstreifen getrennt, der die Kälte drinnen und die Musikberieselung draußen hielt. Eine an der Wand befestigte riesige Kühlanlage ratterte vor sich hin wie permanenter Raucherhusten und machte die Luft so kalt, dass Logan eine feine weiße Atemwolke hinter sich herzog, als er zwischen den Obst- und Gemüsekisten hindurch zur Tiefkühlabteilung marschierte.
Detective Constable Rennie stand neben der schweren Stahltür des Tiefkühlraums, die Hände unter die Achseln geklemmt, die Nase clownrot. Die schwarzen Klamotten, die er in mehreren Schichten übereinandertrug, ließen ihn wie eine Ninja-Version des Michelin-Männchens aussehen.
»Ist echt schweinekalt hier drin«, sagte der Constable bibbernd. »Ich glaub, meine Nippel sind gerade abgefallen.«
Logan hielt im Gehen inne, eine Hand auf dem Türgriff der Tiefkühlkammer. »Dir wäre bestimmt wärmer, wenn du zur Abwechslung mal was tun würdest.«
Rennie zog einen Flunsch. »Die Eiskönigin findet, dass wir alle zu beschränkt sind, um ihr zu helfen. Ich kann ja auch nichts dafür, dass ich nicht weiß, wonach wir suchen, oder?«
»Was?« Logan schloss die Augen und versuchte bis zehn zu zählen. Er kam bis drei. »Herrgott noch mal – du sollst nach menschlichen Überresten suchen!«
»Das weiß ich schon. Ich steh da in diesem Scheiß-Gefrierschrank, der so groß ist wie mein Haus, und guck mir Reihen über Reihen von tiefgefrorenen Fleischstücken an. Woher soll ich denn wissen, was davon ein Schweinekotelett und was ein Menschenkotelett ist? Eine Hand, ein Fuß, ein Kopf – damit könnte ich was anfangen. Aber das sind alles bloß blutige Fleischstücke.« Er stampfte mit den Füßen auf und blies sich in die hohlen Hände. »Ich bin Polizist und kein Arzt, verdammt.«
Logan musste zugeben, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Dass das Stück Fleisch, das sie in dem Offshore-Container gefunden hatten, von einem Menschen stammte, wussten sie auch nur, weil es eine gepiercte Brustwarze hatte. Schottische Bauern waren gewiss ein sonderbarer Menschenschlag, aber so sonderbar nun auch wieder nicht.
Logan zog die schwere Metalltür auf und betrat den Tiefkühlraum … Gott, das war allerdings kalt – wie ein Schlag gegen die Brust mit einem Sack voller Eisbeutel. Das feine Wölkchen seines Atems wurde zu einem undurchdringlichen Nebel. »Hallo?«
Er fand Dr. Isobel MacAlister hinter einem Stapel Kartons, deren braune Oberflächen mit einer harten Schicht aus funkelnden Eiskristallen überzogen waren. Statt ihres weißen Tatort-Overalls trug sie jetzt zwei schmutzig-blaue Parkas übereinander, dazu eine gefütterte Hose und eine rot-weiße Bommelmütze, um die sie noch einen zerschlissenen rotbraunen Schal gewickelt hatte. Nicht ganz ihr gewohntes Laufsteg-Outfit. Im Moment war sie damit beschäftigt, sich durch einen Haufen gefrorener Fleischstücke rätselhafter Provenienz zu wühlen.
»Hast du schon was?«
Sie schoss einen grimmigen Blick auf ihn ab. »Außer Unterkühlung, meinst du?« Als Logan keine Antwort gab, seufzte Isobel und deutete auf eine große Plastikkiste voller vakuumverpackter Fleischstücke. »Wir haben rund drei Dutzend verdächtige Teile. Wenn es noch nicht entbeint wäre, könnte ich es wesentlich leichter identifizieren; Rinder und Schweine haben einen deutlich höheren Fleischanteil im Verhältnis zum Knochen – aber sieh dir das hier an.« Sie hielt eine Packung mit der Aufschrift Schweinefleisch in Würfeln hoch. »Könnte alles Mögliche sein. Ich würde erwarten, dass Menschenfleisch roter wäre – aufgrund des Myoglobinanteils im Gewebe -, aber wenn es ausgeblutet und tiefgefroren ist... Wir werden das alles auftauen und DNS-Tests durchführen müssen, um Gewissheit zu bekommen.«
Isobel zog den nächsten Pappkarton heran, schnitt das Plastikband durch und begann den Inhalt zu inspizieren. »Du kannst Inspector Insch ausrichten, dass es mindestens zwei Wochen dauern wird.«
Logan stöhnte. »Das wird er gar nicht gerne hören.«
»Das ist nicht mein Problem, Sergeant.«
O ja – wenn sie einen Babysitter für ihr Kind brauchte oder jemanden, der ihre endlosen Diashows mit Digitalfotos des kleinen, sabbernden Monsters mit den klebrigen Schokoladenfingern über sich ergehen ließ, dann war er »Logan«, aber wenn sie sich im Dienst über irgendetwas ärgerte, war er wieder der »Sergeant«.
»Mensch, was kann ich denn dafür, dass Insch dir ans Bein gepinkelt hat?«, wehrte er sich. »Fandest du das vorhin etwa schlimm? Ich hab ihn den ganzen verdammten Tag am Hals -« Klonk. Logan erstarrte und ließ den Blick über die Reihen mit Tiefkühlwaren gleiten. Hoffentlich war es nicht Alec mit seiner Kamera. Es war so schon schlimm genug, auch ohne dass sein Geschimpfe über Insch landesweit im Fernsehen ausgestrahlt wurde. »Hallo?«
»Sergeant McRae?« Mr. Thompson lugte hinter einem Stapel Kartons mit der Aufschrift Fischstäbchen hervor. »Ich habe den Lieferschein gefunden …« Er brach ab und starrte den Fleischberg in der Kiste an, während Isobel gerade die nächste Portion hineinwarf. Die gefrorenen Teile schlugen klappernd wie Keramikfliesen aneinander. »Ist … Ist das wirklich alles …?«
»Das werden wir erst wissen, wenn wir es untersucht haben.« Logan streckte die Hand aus, die der zerknautschte Geschäftsführer einen Moment lang verwirrt anglotzte, ehe er Anstalten machte, sie zu schütteln. »Nein.« Logan trat einen Schritt zurück und ließ den Mann mit ausgestreckter Hand stehen. »Den Lieferschein.«
»Ach ja, natürlich. Selbstverständlich.« Er drückte Logan ein zerknittertes gelbes A4-Blatt in die Hand, das mit Kugelschreiber vollgekritzelt war. »Entschuldigung.«
Thompson trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während Logan las.
»Was wird denn jetzt passieren? Ich meine, wenn das …« Er schluckte. »Was soll ich denn meinen Kunden sagen?«
Logan zog sein Handy aus der Tasche und scrollte sich durch das Telefonbuch. »Wir brauchen die Namen und Adressen sämtlicher Personen, die Zugang zu dieser Tiefkühlkammer haben. Ich will die Personalakten, Kunden, Lieferanten, alles.« Eine elektronische Stimme teilte ihm mit, dass die Nummer, die er gewählt hatte, belegt sei und er es doch bitte später noch einmal versuchen solle.
Der Mann in dem zerknitterten Anzug fröstelte, schlang sich die Arme um den Leib und zog ein Gesicht, als ob er gleich losheulen würde. »Wir sind ein Familienunternehmen, seit dreißig Jahren hier …«
»Na ja …« Logan versuchte ein beschwichtigendes Lächeln aufzusetzen. »Wer weiß, vielleicht sind die Testergebnisse ja alle negativ …«
2
Insch war in der Süßwarenabteilung, umgeben von Gastronomie-Großpackungen mit Schoko-Crunchies, Karamellbonbons, Lakritzmischung undWeingummi, die er lüstern beäugte, während er telefonierte. »Ja, ich bin sicher.« Der Inspector lauschte einen Moment und kaute dabei auf seinem Daumen herum. »Nein … nein … ich will, dass der Kerl einkassiert wird, sobald er auch nur einen Fuß vor seine Haustür setzt... Was? … Ist mir egal, weswegen Sie ihn verhaften – verhaften Sie ihn einfach, verflucht noch mal! … Nein, ich habe keinen Haftbefehl …«
Inschs Gesichtsfarbe begann die vertraute Palette von gesundem Schweinchenrosa hin zu hektischem Scharlachrot zu durchwandern. »Weil ich’s Ihnen verdammt noch mal sage, deshalb!« Er klappte sein Handy zu und starrte es wütend an.
Logan räusperte sich, und das grimmige Funkeln richtete sich auf ihn. »Tut mir leid, wenn ich Sie störe, Sir, aber Iso… Dr. MacAlister hat mindestens ein Leichenteil im Tiefkühlraum gefunden, und dazu rund vierzig verdächtige Stücke.«
Die Miene des Inspectors hellte sich auf. »Wurde aber auch Zeit.«
»Das einzige Problem ist, dass es sich teilweise um Würfelfleisch in Gastronomiepackungen handelt. Sie sagt, sie müssten jedes einzelne Stück auftauen und einen DNS-Test durchführen, sonst könnte man unmöglich sagen, ob sich in einer Packung Stücke von einer, zwei oder einem Dutzend Personen befinden.« Einmal tief durchgeatmet. »Es wird mindestens zwei Wochen dauern.«
Und schon schlug Inschs Farbe von hektischem Scharlachrot in Tobsuchtsviolett um. »WAS?«
»Sie … Das hat sie nun mal gesagt, okay?« Logan wich mit erhobenen Händen zurück.
Insch knirschte mit den Zähnen und schäumte eine Weile vor sich hin. Und dann: »Sagen Sie ihr, ich will diese Leichenteile analysiert haben, und zwar auf der Stelle. Es ist mir gleich, wen sie dafür alles um einen Gefallen bitten muss – die Sache hat allerhöchste Priorität.«
»Ähm … würde es nicht vielleicht besser wirken, wenn es von Ihnen persönlich käme, Sir? Ich -« Ein Blick von Insch genügte, um Logan verstummen zu lassen. »Okay, gut, ich sag’s ihr.« Isobel würde ihn umbringen. Falls der Inspector ihr nicht zuvorkam. Der Dicke sah aus wie eine Bombe kurz vor der Explosion.
Logan unternahm einen tapferen Versuch, ihn zu entschärfen. »Laut den Papieren des Großmarkts stammt das Fleisch in dem Container von einer Metzgerei in der Holburn Street: McFarlane’s.«
»McFarlane’s?« Ein fieses Grinsen zerrte an Inschs Zügen.
Logan zog den Lieferschein aus der Tasche. »Zwei Rinderlenden, ein halbes Dutzend Schinken, eine Packung Kalbfleisch …«
Doch der Inspector stiefelte schon in Richtung Ausgang, während uniformierte Constables und Spurensicherer hastig die Bahn frei machten. »Ich will einen Durchsuchungsbeschluss für diese Metzgerei. Schicken Sie die ganze Truppe dorthin, sobald der Wisch durch ist.«
»Was? Aber wir sind hier doch noch gar nicht fertig!«
»Die Leichenteile stammen von McFarlane’s.«
»Aber das wissen wir doch gar nicht. Es ist nicht gerade schwierig, in so einen Laden einzubrechen. Jeder könnte -«
»Und ich will einen Haftbefehl für Kenneth Wiseman.«
»Wer zum Teufel ist -«
»Und sagen Sie unseren Pressefuzzis, dass sie ihren Hintern in Bewegung setzen sollen: Pressekonferenz um Punkt zwölf Uhr.«
 
Anderthalb Stunden später saßen Logan und Insch in einem Einsatzwagen vor McFarlane’s Metzgerei – »GOOD EATS, GOOD MEATS«, wie das Schild über dem großen dunklen Schaufenster verkündete.
Die Holburn Street war so gut wie menschenleer; einsame Verkehrsampeln sprangen von Rot auf Grün und wieder zurück, ohne dass irgendjemand ihnen dabei zusah – außer den Beamten in den zwei zivilenVauxhalls aus dem CID-Fuhrpark, dem Suchtrupp, der in einem Polizeitransporter angerückt war, den Insassen des ehemals blütenweißen Transporters der Spurensicherung und den Besatzungen von zwei Streifenwagen. Alle warteten darauf, dass die Staatsanwältin mit dem Durchsuchungsbeschluss und dem Haftbefehl aufkreuzte.
Insch starrte grimmig auf seine Uhr. »Wieso dauert das denn so lange?«
Logan sah ihm zu, wie er mit einer kleinen Tablettenflasche kämpfte – seine dicken Wurstfinger hatten große Mühe mit dem kindersicheren Deckel – und dann zwei der kleinen weißen Pillen einwarf. »Alles in Ordnung mit Ihnen, Sir?«
Insch zog eine Grimasse und schluckte. »Wie lange brauchen Sie von hier zum Flughafen?«
»Kommt drauf an, ob auf dem Drive viel Verkehr ist – vielleicht eine Stunde, anderthalb?«
»Ein Chief Constable Faulds aus Birmingham trifft heute mit der Frühmaschine der British Midland aus London ein. Ich will, dass Sie ihn abholen und hierher bringen.«
»Können wir nicht einen der Uniformierten schicken? Ich bin -«
»Nein, ich will, dass Sie das machen.«
»Ich sollte doch helfen, die Suche zu organisieren, und nicht Taxifahrer spielen!«
»Ich sagte NEIN!« Insch sah ihn an, und seine dröhnende Stimme ließ die Fensterscheiben erzittern. »Faulds ist ein schleimiger Wichser, eine falsche, hinterhältige Schlange, aber er ist nun mal Polizeipräsident, also kriecht alles vor ihm, als ob er der gottverdammte Messias wäre. Ich will nicht, dass irgendein dämlicher Constable anfängt, aus dem Nähkästchen zu plaudern, während er ihn chauffiert.«
»Aber -«
»Nein. Nix aber. Sie holen ihn ab, und Sie sagen ihm kein Wort mehr, als er unbedingt wissen muss. Und mit ein bisschen Glück haben wir diese ganze Geschichte schon in trockenen Tüchern, bevor er überhaupt hier ankommt.«
 
Der Anderson Drive zog sich durch die ganze Stadt – von einem scheußlichen Kreisverkehr bei Garthdee bis zu einem noch viel scheußlicheren am anderen Ende. Es war halb acht, und Logan steckte in einer langen Schlange aus roten Rücklichtern fest, die im Zeitlupentempo zum Kreisverkehr von Haudagain vorrückte. Die Morgendämmerung war kaum mehr als ein blassgelber, verwaschener Streifen am Horizont, dessen schwacher Schein gegen die dicke Decke aus grauen Wolken, die drohend über der Stadt hing, nichts ausrichten konnte.
Irgendein Schwachkopf hatte die Stereoanlage des Wagens ruiniert, sodass Logan nichts anderes übrig blieb, als sich das Gekrächze und Geplapper des Polizeifunks anzuhören – zumeist Kollegen, die von A nach B und wieder zurück eilten, immer bemüht, nur ja nicht DI Insch in die Quere zu kommen, während die »Operation Hackebeil« auf denWeg gebracht wurde. Der fette Sack war einfach unerträglich, seit er mit dieser blöden Diät angefangen hatte. Achtzehn Monate nur auf Zehenspitzen gehen, um nur ja nicht eine seiner legendären Schimpfkanonaden auszulösen.
»Hier Alpha-Neun-Eins, sind in Position. Over!«
Es hörte sich an, als wären sie bereit zum Zugriff.
»Alpha-Drei-Zwo, in Position.«
»Aye, hier is‘Alpha-Mike-Sieben, wir wär’n dann auch so weit. Sagt einfach Bescheid.«
Logan hätte bei ihnen sein sollen, mit ihnen Türen eintreten und Personalien aufnehmen, anstatt für irgendeinen Heini aus Birmingham den Babysitter zu spielen.
Als er endlich die Stadtgrenze erreichte, setzte ein leichter Nieselregen ein; ein dünner, feuchter Nebelschleier legte sich über die Frontscheibe und ließ die Rücklichter des Taxis vor ihm wie Vulkanasche glimmen, während DI Inschs Motivationsrede aus dem Funkgerät tönte.
»Alle mal herhören: Ich will, dass alles streng nach Vorschrift abläuft, kapiert? Wenn auch nur einer aus der Reihe tanzt, reiß ich ihm persönlich die Eier ab und schieb sie ihm in den Arsch – habe ich mich klar ausgedrückt?«
Niemand war so dumm, auf diese Frage zu antworten.
»Gut. Alle Einheiten – Zugriff in fünf, vier, drei, zwo … GO! GO! GO!«
Und dann nur noch Gebrüll. Das Geräusch einer Tür, die mit einem Rammbock aus den Angeln gehoben wurde. Krachen. Dumpfe Schläge …
Logan schaltete das Funkgerät aus, saß in der langen Autoschlange, die sich in Richtung Aberdeen Airport wälzte, und schmollte.
 
Am Flughafen ging es an diesem Morgen schon recht lebhaft zu – die Schlange an der Sicherheitskontrolle zog sich durch das ganze Gebäude und fast bis zur Tür hinaus: Geschäftsreisende und Touristen, die nervös auf ihre Armbanduhren schielten, die Bordkarte schon in der Hand, und sich sorgten, ob sie ihre Maschine noch erwischen würden, während sie per Lautsprecher aufgefordert wurden, ihr Gepäck nicht unbeaufsichtigt zu lassen.
Flug BD672 sollte eigentlich schon vor acht Minuten gelandet sein, aber noch war von den Passagieren nichts zu sehen. Logan stand in der Wartehalle neben dem kleinen Laden, der Schottland-Souvenirs verkaufte, in der Hand ein Blatt Papier, auf das er mit Kugelschreiber in großen Lettern »CC FAULDS« geschrieben hatte.
Endlich ging die Tür am Ende der Halle auf, und die Passagiere des 7:05-Fluges aus London Heathrow wankten heraus.
Logan dachte nicht, dass es ein Problem sein würde, Faulds zu erkennen – der Mann war schließlich Chief Constable. Er würde seine große Galauniform tragen – in der Hoffnung, dass sie ihn durch die Sicherheitskontrolle winken und ihm an Bord ein Extratütchen Erdnüsse zustecken würden -, und sicherlich hatte er irgendeinen diensteifrigen Chief Superintendent mitgebracht, der seine Koffer tragen und ihm versichern durfte, wie klug und witzig er war.
Entsprechend überrascht war er, als ein schlaksiger Mann in Jeans, langer schwarzer Lederjacke, Hawaiihemd, Haifischzahn-Halskette und einem kleinen grau melierten Kinnbart auf das Schild in Logans Hand tippte und sagte: »Faulds – das bin ich. Sie sind dann sicher …?«
»Äh … DS McRae, Sir.«
War das wirklich ein Ohrring? Tatsächlich: In Chief Constable Faulds’ linkem Ohr funkelte ein kleiner Diamantstecker.
Faulds streckte die Hand aus. »Ich nehme an, Insch hat Sie geschickt?« Der Akzent war nicht sehr ausgeprägt, nur ein Hauch von Birmingham unter der südenglischen Standardaussprache.
»Ja, Sir.«
»Darf ich raten: Sie sollen mir nichts erzählen und mehr oder weniger dafür sorgen, dass ich ihm nicht in die Quere komme. Stimmt’s?«
»Nein, Sir, ich soll Sie nur in die Stadt bringen.«
»Ah, ja. Und dafür braucht man einen Detective Sergeant, wie?« Faulds beobachtete eine Weile, wie Logan sich wand, und lachte dann. »Keine Sorge – ich hab’s ganz genauso gemacht, wenn ich ungebetenen Besuch von hohen Tieren aus anderen Divisionen hatte. Wäre ja noch schöner, wenn da so ein Schreibtischhengst daherkommt und einem vorschreiben will, wie man seine Ermittlung zu führen hat.«
»Äh … Okay... Das Auto steht -«
»Haben Sie auch einen Vornamen, Sergeant, oder würde es Ihre geheimnisvolle Aura zerstören, wenn Sie mir den verraten?«
»Logan, Sir.« Er machte Anstalten, nach der Tasche des Chief Constable zu greifen, aber Faulds scheuchte ihn weg.
»Ich habe noch ein paar Jahre bis zur Pensionierung, Logan.«
 
Durch den morgendlichen Berufsverkehr schlichen sie zurück nach Aberdeen. Faulds telefonierte während der Fahrt und verwickelte Logan dabei in eine seltsame Dreierkonferenz über die in der Nacht gefundenen Leichenteile.
»Was? Natürlich regnet es – das hier ist schließlich Aberdeen. … Nein, ich glaube nicht – Moment mal, bitte …« Der Chief Constable deckte das Handy mit der Hand ab. »Haben Sie schon irgendeines der Opfer identifiziert?«
»Noch nicht, wir -«
»Noch nicht die Vermisstendatei konsultiert oder die DNS-Analysedatei?«
»Wir haben die Leichenteile ja gerade erst gefunden. Sie sind noch steinhart gefroren. Die Rechtsmedizinerin -«
Aber Faulds telefonierte schon wieder. »Nein, die DNS haben sie noch nicht analysiert. … Ich weiß. … Sie haben mitgehört? … Ja, das habe ich mir auch gedacht.« Er wandte sich wieder an Logan. »Sie müssen nicht das ganze Stück auftauen – die Probe, die Sie für einen DNS-Test brauchen, ist so klein, dass man sie binnen Sekunden auf die entsprechende Temperatur bringen kann. Am besten rede ich gleich mal mit Ihrer Rechtsmedizinerin, sobald wir dort sind.«
»Ich weiß nicht, Sir, das ist vielleicht keine so gute -«
Aber Faulds sprach schon wieder in sein Handy. »Mhm … Da haben Sie sicher recht. … Hat er das wirklich gesagt?« Er lachte. »Blödmann …«
Er beendete das Gespräch, als Logan sich durch die lange Schlange zu quälen begann, die sich vor dem Haudagain-Kreisverkehr gebildet hatte. Zwei Spuren, dicht gepackt mit Autos, dazu eine Busspur voll mit orangefarbenen Leitkegeln. Faulds ließ den Blick über die Ansammlung funkelnagelneuer Pkw schweifen, die im Nieselregen herumstanden, während ihre Insassen mit gelangweilter Miene das Innere ihrer Nasen erforschten. »Wird das länger dauern, Logan?«
»Wahrscheinlich, Sir. Angeblich ist das hier der schlimmste Kreisverkehr im ganzen Land. Es gab schon Anfragen dazu im schottischen Parlament.«
Faulds lächelte. »Zu einem Kreisverkehr? Ihr Schotten seid echt schräg. Und da heißt es immer, die Selbstverwaltung würde nicht funktionieren.«
»Man schätzt, dass sie die hiesige Wirtschaft rund dreißig Millionen Pfund im Jahr kostet. Sir.«
»Dreißig Millionen, echt? Das sind eine Menge frittierte Haggis-Pasteten.«
Logan biss sich auf die Zunge. Den Chief Constable ein arrogantes englisches Arschloch zu nennen, wäre seiner Karriere sicher nicht förderlich gewesen.
Dann saßen sie in unbehaglichem Schweigen da. Nur das Quietschen der Scheibenwischer war zu hören, unterlegt vom An- und Abschwellen des Motorgeräuschs, als Logan im Stop-and-go-Verkehr Meter um Meter vorrückte. Immerhin konnte er den verdammten Kreisel inzwischen schon sehen.
Und dann lachte Faulds plötzlich schallend. »Es ist ja so leicht, Sie aufzuziehen!« Er lehnte sich in seinem Sitz zurück. »Na los, ich weiß doch, dass Sie es kaum erwarten können, mich zu fragen.«
»Sir?«
Faulds lächelte ihn nur an.
»Na ja … Ich hatte …« Logan beäugte verstohlen seinen Fahrgast – die Klamotten, den Ohrring. »Ehrlich gesagt, ich hatte Sie mir ein bisschen anders vorgestellt, Sir.«
»Sie haben nur ›Chief Constable‹ gehört und gedacht: tatteriger alter Sack mit null Humor, der rumläuft wie ein Dressman, weil er sich für seinen kleinen Penis schämt und unter Schlagstockneid leidet.«
»Eigentlich habe ich mich eher gefragt, wieso ein so hochrangiger Beamter wie Sie eigens zu uns hier in den hohen Norden reist, um bei einer lokalen Mordermittlung dabei zu sein.«
»Ach, tatsächlich?«
»Ja, Sir.« Logan beschleunigte, fädelte den Wagen in den Verkehrsstrom ein, umkurvte den Kreisel – wobei er aufpassen musste, dass sie nicht von einem Lkw zermalmt wurden, der direkt auf sie zuhielt -, und dann waren sie auf dem North Anderson Drive. Halleluja! Er trat das Gaspedal durch und überholte ein altes Mütterchen in einem klapprigen Mercedes. »Ich meine, wieso schickt man da nicht einen DI oder einen Superintendent?«
Eine Pause trat ein. »Nun, Logan, es gibt Dinge, die kann man einfach nicht delegieren.« Er sah auf seine Uhr. »Diese Razzia von DI Insch -?«
»Da fahren wir gerade hin.«
»Wunderbar.« Faulds zog wieder sein Handy aus der Tasche und begann zu wählen. »Kümmern Sie sich nicht um mich, muss nur noch ein paar Anrufe erledigen; wir – Fiona? … Fiona, ich bin’s, Mark – Mark Faulds... Aber sicher, Schatz …«
 
Sie stellten den Wagen in einer kleinen Seitenstraße ab und sprinteten durch den Nieselregen los.
»Wissen Sie«, sagte Faulds, als sie mit hochgestelltem Kragen und gesenktem Kopf an der Ampel vor dem Reitsportladen Country Ways die Straße überquerten, »ich war sicher schon ein Dutzend Mal in Aberdeen, und immer hat es geschifft wie aus Kübeln.«
»Wir tun, was wir können.«
»Ihr müsst doch hier oben schon mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen auf die Welt kommen.«
»Nur die aus Ellon, Sir.«
Der Verkehr auf der Holburn Street war praktisch zum Erliegen gekommen – zwei uniformierte Beamte spielten Ampel und leiteten die wartenden Autos abwechselnd über die eine freie Spur. Die Metzgerei war hinter einer Absperrung aus zweieinhalb Meter hohen weißen Plastik-Trennwänden verborgen, die bis in die Mitte der Straße reichte.
Ein Übertragungswagen der BBC parkte auf den gelben Halteverbotslinien gleich hinter dem Ort des Geschehens, und eine Frau mit Pferdeschwanz, Regenschirm und einer seltsam ins Orangefarbene spielenden Sonnenbräune versuchte eine Politesse davon abzubringen, ihr einen Strafzettel zu verpassen. Ein Blitzlichtgewitter und ein Sperrfeuer von Fragen prasselten auf Logan und Faulds nieder, als sie unter dem blau-weißen Absperrband hindurchschlüpften, und dann waren sie hinter der Plastikwand und in Sicherheit.
Der verdreckte Transporter der Spurensicherung parkte innerhalb der Sperrzone. Die Hecktür stand offen, und einer der Spusis machte sich sogleich auf die Suche nach Tatort-Schutzanzügen für Logan und den Chief Constable.
Die Wände des Ladens waren kreuz und quer mit bunten Rezeptkarten gepflastert: Gulasch, Rippchen, Lammspieße mit Minzsauce … Ein Feinkostregal und eine kleine Gemüseabteilung waren vis-à-vis der verglasten, mit bunten Aufklebern übersäten Fleischtheke untergebracht. Die Theke selbst war nicht besetzt, dafür wimmelte es im Laden von Leuten in weißen Papieroveralls, und es roch durchdringend nach Fleisch.
Sie fanden DI Insch hinten im Kühllager, wo er zusammen mit Isobel und zwei Kriminaltechnikern weitere Fleischstücke begutachtete.
Faulds warf einen Blick auf den Inspector in seinem zum Bersten gespannten Tatort-Outfit und rief: »Du liebe Zeit, David, Sie sind ja tierisch auseinandergegangen!« Er hielt ihm die Hand zur Begrüßung hin, doch Insch starrte sie nur an. »Ja, nun …« Faulds zog seine Hand zurück und nestelte an der Kapuze seines Overalls herum, als wäre das von Anfang an seine Absicht gewesen. »Haben Sie Wiseman schon einkassiert?«
Inschs Miene verfinsterte sich. »Haben ihm heute früh um sieben Uhr fünfundvierzig die Tür eingetreten. Er war nicht zu Hause.«
»Sie haben ihn entkommen lassen?«
»Nein, hab ich nicht, verdammt – ich habe einen zivilen Einsatzwagen vor seinem Haus postiert, gleich nachdem wir die Leichenteile unten im Hafen gefunden hatten. Er ist gar nicht nach Hause gekommen, okay?«
»O Gott …« Faulds schloss die Augen und fluchte leise. »Okay, gut, was soll‘s – ist nun mal passiert.« Ein Seufzer. »Also, wonach suchen wir hier?«
»Danach.« Insch deutete zur hinteren Ecke des Kühlraums, wo Isobel gerade ein Stück Fleisch an einem Haken inspizierte. Es war rund sechzig Zentimeter lang und knapp zwanzig breit; das Muskelfleisch dunkelrosa, das Fett goldgelb, die Oberfläche mit bleichen Knochenenden durchsetzt. Keine Haut.
»Schweinelende?«, fragte Faulds, während er zögernd nähertrat.
»Knapp daneben. ›Langschwein‹, wie es bei den Kannibalen heißt.« Isobel richtete sich auf und wischte sich die in Latexhandschuhen steckenden Hände an ihrem Overall ab. »Das Fleisch ist dunkler als Schwein, eher wie Kalb – es stammt eindeutig von einem Menschen. Die Rippen wurden auf halber Länge durchtrennt, aber die Form ist unverkennbar.«
Der Chief Constable dachte einen Moment lang darüber nach und fragte dann: »Würden Sie eine Vermutung hinsichtlich des Todeszeitpunkts riskieren?«
Isobel starrte ihn an. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
Faulds ließ sie sein charmantestes Lächeln sehen. »Mark Faulds, West Midlands Police. DI Insch hat mich gebeten zu kommen und mir den Fall einmal anzuschauen.«
Das kam Logan allerdings höchst unwahrscheinlich vor. Insch würde nie irgendjemanden um Hilfe bitten, und wenn seine Hose in Flammen stünde. Nach Isobels Miene zu schließen, glaubte sie es ebenso wenig.
»Ich weiß nicht, mit welcher Sorte Rechtsmediziner Sie es da unten normalerweise zu tun haben, Mr. Faulds, aber wir hier in Aberdeen ziehen keine voreiligen Schlüsse, solange wir noch keine Obduktion durchgeführt haben.« Sie wandte sich wieder ihrem Fleischstück zu und murmelte vor sich hin: »Gott, diese Polizisten – halten uns wohl alle für Hellseher …«
»Verstehe.« Faulds zwinkerte Logan zu und flüsterte: »Ich liebe Herausforderungen.« Er räusperte sich. »Übrigens, die korrekte Anrede lautet ›Chief Constable‹, nicht ›Mr.‹.« Falls er geglaubt hatte, Isobel damit beeindrucken zu können, sah er sich getäuscht. Ohne sich auch nur für einen Augenblick aus der Ruhe bringen zu lassen, nahm sie das Fleischstück vom Haken und steckte es in einen großen Beweismittelbeutel.
»Okay«, sagte sie, während sie einem der Kriminaltechniker den Beutel in die Hand drückte, »ich will, dass jedes einzelne Stück Fleisch in diesem Raum ins Leichenschauhaus gebracht wird. Hackfleisch,Würstchen, alles.« Sie riss sich die Handschuhe herunter und nickte Insch zu. »Inspector, auf ein Wort.«
Faulds sah den beiden nach, als sie die Kühlkammer verließen. »Ist sie immer so liebenswürdig?«
Logan grinste. »Nein, Sir. Anscheinend mag sie Sie – normalerweise ist sie viel schlimmer.«
 
Der Inhaber der Metzgerei – der namengebende Mr. McFarlane – hatte eine großen Wohnung direkt über dem Laden; es wäre also nicht unbedingt eine Operation Hackebeil vonnöten gewesen, um ihn dingfest zu machen. McFarlane war ein untersetzter Fleischklops mit besorgter Miene, schütterem Haar, rot geäderter Nase und Ringen unter den Augen. Er hatte sich literweise Aftershave ins Gesicht geklatscht, aber es reichte immer noch nicht aus, um den Gestank nach saurem Schweiß und dem Alkohol vom Vorabend zu überdecken.
McFarlane saß in einem kleinen Büro hinter dem Laden am Schreibtisch und sah zu, wie ein Kriminaltechniker einen vergilbten Computer abbaute und in einer Beweismittelkiste verschwinden ließ.
»Ich … Ich verstehe nicht«, stammelte McFarlane, und seine roten Triefaugen zuckten hin und her. »Wir müssen doch um neun aufmachen …«
Insch beugte sich über den Schreibtisch und baute sich drohend vor dem Metzger auf. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie mit Leuten wie Ihnen im Gefängnis umgesprungen wird?«
McFarlane zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden. »Ich... Aber ich habe doch nichts getan!«
»Und warum haben Sie dann ein Stück Menschenfleisch IN IHREM KÜHLRAUM HÄNGEN?«
»Davon habe ich nichts gewusst! Wirklich nicht! Ich war es nicht! Ich habe nie etwas Verbotenes getan – noch nicht mal einen Strafzettel für falsches Parken hab ich kassiert. Ich bin ein gesetzestreuer Bürger, ich veranstalte Wohltätigkeits-Barbecues, ich schummle noch nicht mal beim Abwiegen! Ich habe keinen -«
»Sie haben Leichenteile an Thompson’s Cash and Carry verkauft . Und die haben sie an Cateringfirmen weiterverkauft.«
»O Gott …« McFarlane war plötzlich leichenblass. »Aber -«
»MENSCHEN HABEN DAVON GEGESSEN!«
»David …« Faulds legte Insch die Hand auf den Arm. »Es wäre vielleicht ganz hilfreich, wenn Sie den Mann auch mal einen Satz zu Ende bringen ließen.«
Der Tatort-Overall des Chief Constable raschelte, als er sich auf die Schreibtischkante setzte. »Sehen Sie mal, Mr. McFarlane, Sie sind der Inhaber einer Metzgerei, die Teile von toten Menschen verkauft. Können Sie denn nicht nachvollziehen, dass wir damit ein kleines Problem haben?«
»Ich habe davon nichts gewusst!«
»Mhm … Mr. McFarlane, Sie sind doch ausgebildeter Fleischer, ja?«
Der Mann nickte, dass seine Hängebacken wabbelten, und Faulds schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Und da sollen wir Ihnen glauben, dass Sie Schweinefleisch nicht von Menschenfleisch unterscheiden können?«
»Ich … Ich … Ich arbeite kaum noch selbst in der Schlachterei …« Er hielt seine zitternden Hände hoch. »Kann das Messer nicht stillhalten.«
»Verstehe.«
Insch pflanzte seine massige Pranke auf den Schreibtisch. »Sie erinnern sich wohl nicht mehr an mich, oder, Mr. McFarlane?«
»Was?« Er zog die Stirn in Falten. »Nein.Worauf wollen Sie -«
»Vor zwanzig Jahren. Drei Menschen, zerstückelt und verkauft an -«
»O nein!« McFarlane hielt sich eine zitternde Hand vor den Mund. »Nicht … Sie irren sich! Ich habe nichts getan! Ich …« Sein panischer Blick suchte Faulds. »Wirklich nicht! Ich war es nicht! Sagen Sie ihm, dass ich es nicht war!«
»Wo ist Ken Wiseman?«
»O Gott, das darf doch nicht wahr sein – nicht schon wieder …«
»WO – IST – ER?«
Und plötzlich schoss das ganze Blut wieder in McFarlanes Gesicht zurück. »Ich weiß es nicht! Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen.« Der Metzger hievte sich mühsam auf die Füße. »Jetzt erinnere ich mich an Sie – Sie und dieses Schwein … wie hieß er noch mal …? Brooks! Ken hatte überhaupt nichts getan, Sie haben ihm das alles bloß angehängt!«
»Wo ist er?«
Logan hörte sich noch eine Weile an, wie Faulds und Insch böser Bulle und noch böserer Bulle spielten, ließ dann seine Aufmerksamkeit abschweifen und sah sich in dem kleinen Büro um. In der Ecke waren ein paar leere Präsentationsständer gestapelt, daneben ein Haufen staubige Picknickkörbe; unter einem vergitterten Fenster standen zwei Aktenschränke … Logan stöberte in einem der beiden herum, während er mit einem Ohr die Vernehmung hinter seinem Rücken verfolgte.
Insch: »Verraten Sie mir, wo das Schwein steckt!«
McFarlane: »Ich habe keine Ahnung. Ich habe Ken seit Jahren nicht mehr gesehen.«
Insch: »Quatsch.«
Der Aktenschrank war voll mit Rechnungen, Lieferscheinen, Lohnzetteln – nichts, was direkt ins Auge sprang. Logan zog eine Kladde mit der Aufschrift »Überstunden« aus der Schublade.
Faulds: »Sie müssen das mal aus unserem Blickwinkel betrachten -«
Wieder Insch: »- sorge dafür, dass Sie viele, viele Jahre hinter Gittern -«
Faulds: »Am besten sagen Sie uns einfach alles, was Sie wissen -«
McFarlane: »Aber ich weiß doch gar nichts!«
Die Eintragungen waren nahezu unleserlich – Seiten über Seiten mit Daten, Uhrzeiten, Zahlungen und Namen, alles in der zittrigen Handschrift des Metzgers. Logan blätterte vor bis zu den jüngsten Einträgen.
Insch: »- in Peterhead Prison mit Leuten wie Ihnen anstellen -«
»Sir!« Logan fiel dem Inspector ins Wort, und in der folgenden ominösen Stille drehte Insch sich zu ihm um und funkelte ihn böse an. Logan hielt ihm die Kladde hin. »Letzte Seite. Dritter Name von unten.«
3
Eine Pause trat ein, und dann kam vom Eingang her eine Stimme: »Sorry, Leute, mir ist der Film ausgegangen. Könnten wir vielleicht das letzte Stück noch mal haben?« Es war Alec, der mit seiner HDV-Kamera in der Tür stand.
Insch verdrehte die Augen, seufzte und fragte schließlich: »Von wo an?«
»Wo er das Buch findet.«
Faulds schaute verwirrt drein, bis Logan ihm den Kameramann vorstellte und erklärte: »Er ist von der BBC – sie drehen da gerade einen Dokumentarfilm, Titel: Granite City 999. Wird nächsten Sommer ausgestrahlt.«
»Ah …« Faulds fuhr sich mit der Hand durch die Haare, um dann das gleiche Lächeln aufzusetzen, mit dem er es bei Isobel versucht hatte. »Chief Constable Mark Faulds,West Midlands Police. Ob Sie’s glauben oder nicht, ich war auch mal im Fernsehen, als ich noch jünger war. Es war eine Kindersendung, so eine Art Mischung aus Wilhelm Tell und der Muppet-Show, nur ein bisschen -«
»Könnten wir bitte fortfahren?«, unterbrach ihn Insch.
»Ich wollte nur -«
»McRae.« Insch gab Logan die Kladde zurück und forderte ihn auf, sie wieder in den Aktenschrank zu legen und sie noch einmal zu finden.
Logan stöhnte. »Aber wir sind hier mitten in einer -«
»Sergeant, dieser Fund ist von entscheidender Bedeutung für die Lösung des Falls: Sie werden auf den Fernsehschirmen als Held der Nation dastehen. Und jetzt legen Sie die verdammte Kladde zurück und vergessen Sie nicht, ganz überrascht zu tun, wenn Sie sie finden.«
»Übrigens, Logan«, sagte Faulds, »wenn es Ihnen peinlich ist, die Szene nachzustellen, dann hätte DI Insch sicher kein Problem damit, für Sie einzuspringen. Oder ich könnte auch selbst -«
»Nein. DS McRae hat das Ding gefunden, also steht ihm auch die Anerkennung dafür zu.«
»O ja, durchaus … Ich wollte ihm keineswegs die Anerkennung für seine harte Arbeit streitig machen, ich dachte nur … wenn es ihm peinlich sein sollte -«
»Es ist ihm nicht peinlich. Nicht wahr, Sergeant.« Es war keine Frage.
»Ja, Sir.« Logan legte die Überstunden-Kladde zurück in den Aktenschrank, wartete, bis Alec »ACTION!« rief, und spielte die ganze Szene noch einmal durch.
»Fantastisch!« Der Kameramann reckte die Daumen in die Höhe, als alles im Kasten war. »Jetzt brauche ich nur noch jemanden, der erklärt, wer dieser Wiseman eigentlich ist, und wir haben eine Superszene. Achten Sie nur darauf, dass es nicht zu aufgesetzt klingt, okay? Es soll alles schön natürlich wirken.«
 
»Sie wissen natürlich, was das bedeutet?«, fragte Insch, als McFarlane mit einer Decke über dem Kopf auf den Rücksitz eines Streifenwagens bugsiert wurde.
Faulds nickte. »Wir haben die Chance, diesmal alles richtig zu machen.«
Zwei Constables zogen die Absperrung zur Seite, worauf der Streifenwagen hinausfuhr, begleitet von blitzenden Fotografen und hektisch durcheinanderrufenden Reportern.
»Wir haben das letzte Mal schon alles richtig gemacht.«
»Und wieso ist die Anklage dann in der Berufungsverhandlung abgeschmettert worden?«
Der Inspector seufzte. »Weil die Geschworenen Idioten waren. McRae!«
Logan hielt eine Hand hoch, während er mit der anderen das Handy ans Ohr presste und sich den Bericht von Alpha-Sieben-Zwo über ihre Nachforschungen in Wisemans Straße anhörte. »Okay, alles klar, danke.« Er legte auf. »Ein paar Nachbarn glauben, gesehen zu haben, wie Wiseman gestern Abend gegen zehn das Haus verließ. Seitdem ist er nicht mehr gesichtet worden. Die Zeugen sagen aus, dass er ziemlich regelmäßig über Nacht wegbleibt.«
Insch fluchte. »Sämtliche verfügbaren Uniformierten sollen sich auf die Socken machen und nach ihm suchen. Straßensperren an sämtlichen Hauptausfallstraßen Aberdeens. Sie sollen sich den Hafen vornehmen, die Busstation, den Bahnhof und den Flughafen. Durchsuchen Sie sein Haus – ich will, dass ein neueres Foto von ihm in Umlauf gebracht wird. Plakate an allen üblichen Stellen. Informieren Sie sämtliche Polizeidienststellen im Lande.«
Logan stöhnte. »Aber es ist gleich elf Uhr – ich bin seit gestern Nachmittag zwei Uhr im Dienst!«
»Elf?« Insch sah auf seine Uhr, runzelte die Stirn, rieb sich mit einer fetten Pranke übers Gesicht und seufzte erneut. »Die Obduktion beginnt in drei Minuten.« Er wandte sich um und marschierte auf die Absperrung zu, während er sich den Tatort-Overall vom Leib riss und ihn einem pickelgesichtigen Constable in die Hand drückte.
Faulds sah ihm nach. Dann legte er Logan die Hand auf die Schulter und tätschelte sie aufmunternd. »Das haben Sie prima gemacht, Sergeant. Gute Arbeit.«
»Äh … danke.« Logan brachte sich unauffällig außer Reichweite des Chief Constable, ehe der sich in seinem Bestreben, den Teamgeist zu stärken, noch zu einer Umarmung versteigen konnte. »Wieso regt McFarlane sich wegen diesem Wiseman eigentlich so auf?«
»›Wegen diesem Wiseman‹?« Faulds schüttelte den Kopf. »Hat man Ihnen in der Schule denn gar nichts beigebracht? Andrew McFarlane war mit Ken Wisemans Schwester verheiratet, als das alles zum ersten Mal passierte. Das ist auch der Grund, weshalb er auf Ihren DI Insch nicht allzu gut zu sprechen ist.«
Logan versuchte ein Gähnen zu unterdrücken, doch es ging einfach mit ihm durch. »Mein Gott... Also schön – Suchteams …«
4
Innen: Ein überfülltes kleines Büro. Zwei Gestalten unscharf im Hintergrund, eine räumt einen Aktenschrank aus. In der Bildmitte Chief Constable Faulds, der einen weißen Tatort-Overall trägt.
Einblendung: Chief Constable Mark Faulds – West Midlands Police
Faulds: Überall im Land tauchten Leichen auf: in London, Birmingham, Glasgow, sogar in Dublin. So etwas hatten wir alle noch nicht erlebt. Er brach in die Häuser seiner Opfer ein und schlachtete sie ab. Und damit meine ich nicht, dass er sie einfach massakrierte – nein, er zerlegte sie nach allen Regeln der Kunst in handelsübliche Fleischportionen. Und nie hinterließ er irgendeine Spur … oder muss das heißen ›irgendwelche Spuren‹?
Off-Kommentar: Wie es für Sie am besten klingt.
Faulds: Ist ein komisches Gefühl, so ganz ohne Drehbuch.
Off-Kommentar: Wenn das für Sie ein Problem ist, wird DI Insch sicher gerne -
Faulds: Nein, nein. Als ich klein war, hab ich so was doch ständig gemacht – das ist wie Fahrradfahren … Okay, setzen wir noch mal ein bei ›handelsübliche Fleischportionen‹. [Schüttelt sich ein wenig] Jedes Mal, wenn er wieder zugeschlagen hatte, verpassten die Medien ihm einen neuen Namen: der Schlachter von Birmingham, der Clydeside-Ripper. Erst als die sterblichen Überreste von Ian und Sharon McLaughlin gefunden wurden, bekam er schließlich seinen wahren Namen: der Fleischer.
[Pause]
Klingt das nicht zu melodramatisch? Schon, oder? Mist … Sorry, ich fang noch mal von vorne an.
[Räuspert sich]
Aus dem ganzen Land wurden Fälle gemeldet …
 
Im Zimmer roch es nach Instant-Nudeln. Es war ein kleines Büro an der Rückseite des Präsidiums, das man halbherzig zum Schneideraum umfunktioniert hatte. Logan unterdrückte ein Gähnen und sah aus dem winzigen Fenster. Die Aussicht war nicht gerade atemberaubend – nur eine kleine Ecke des regennassen Parkplatzes und die Treppe, die zum Leichenschauhaus hinunterführte. Nicht mal den Himmel konnte man von hier aus sehen.
Es war ihm gelungen, sich in seiner Wohnung ein paar Stunden aufs Ohr zu legen – ganz allein in seinem kalten, leeren Bett. Irgendwie war es nicht mehr dasselbe ohne Jackie.
Ein ersticktes Wurrrrr ertönte, als Alec das Band zurückspulte, und dann drang Faulds’ Stimme aus dem Fernseher: »Mist … Sorry, ich fang noch mal von vorne an.«
Alec drückte die Pausetaste, kritzelte etwas in sein Notizbuch und schaufelte sich noch eine Gabel voll rehydrierter Nudeln in den Mund. »Mmmmpf, mmm, mmmpf?«
Logan drehte sich vom Fenster weg. »Ihnen läuft die Soße übers Kinn, und außerdem verstehe ich kein Wort.«
Alec kaute, schluckte und lud sich gleich wieder die Gabel voll. »Ich sagte: ›Wollen Sie die Pressekonferenz sehen?‹«
»Muss nicht sein.«
»Nein?« Alec drückte ein paar Knöpfe an seiner kunterbunten Schnitt-Tastatur, worauf Faulds’ Gesicht durch einen Raum voller Journalisten ersetzt wurde. DI Insch, ein Mitarbeiter des Pressebüros und Aberdeens eigener Chief Constable saßen vorne auf dem Podium und parierten Fragen wie: »Warum wurde Ken Wiseman überhaupt auf freien Fuß gesetzt?« – »Wie viele Menschen hat der Fleischer auf dem Gewissen?« – »Warum hat die Grampian Police 1990 keine stichhaltigeren Beweise gegen Wiseman vorgelegt?« und – immer wieder beliebt: »Wird es eine öffentliche Untersuchung geben?«
Die Kamera machte einen Schwenk und richtete sich auf DI Inschs massigen, rosigen Schädel. Er sah nicht sehr glücklich aus.
Alec deutete mit seiner Gabel auf den Bildschirm. »Sehen Sie sich doch bloß seinen Gesichtsausdruck an. Da kriegt man ja Alpträume.«
»Willkommen in meiner Welt.«
»War er schon immer so ein mürrischer alter Fettsack?« Alec kratzte die letzten Nudeln aus dem Plastikbecher und setzte ihn dann an die Lippen, um die Soße zu schlürfen.