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Spirituelle Traumaarbeit für mehr Resilienz: "Trauma-Tools" ist ein einzigartiger Ratgeber, der uns mit heilsamen Achtsamkeitsübungen zeigt, wie wir große oder kleine Traumata in eine Quelle der Stärke umwandeln. Wir alle werden in unserem Leben mit traumatischen Erfahrungen konfrontiert. Der posttraumatische Stress, der durch Kindheits- oder aktuelle Traumata ausgelöst wird, kann mit der richtigen Methode und den passenden Übungen für mehr Selbstmitgefühl in heilsames Wachstum verwandelt werden. Harvard-Dozent und Psychologe Dr. Willard zeigt uns, wie wir mit mitfühlenden Praktiken und Tools, die unsere Resilienz stärken, unsere schwierigen Erfahrungen heilsam überwinden und endlich in Balance leben können. Wir lernen, wie wir - unser Nervensystem durch die Regulierung des Atems und des Körpers ausbalancieren - mit traumainformierten Praktiken für das Herz und unser Selbstmitgefühl widerstandsfähiger gegenüber der Welt werden - Grenzen setzen, um unsere Heilung zu unterstützen
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Seitenzahl: 171
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© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München
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Projektleitung: Franziska Mohrfeldt
Lektorat: Pascal Frank
Bildredaktion: Simone Hoffmann
Covergestaltung: Petra Schmidt, ki 36 Editorial Design, München
eBook-Herstellung: Pia Schwarzmann
ISBN 978-3-8338-9018-5
1. Auflage 2023
Bildnachweis
Coverabbildung: Stocksy
Fotos: Stocksy; Kevin Day 2016; GU/Claudia Klein; iStockphoto
Syndication: www.seasons.agency
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GRÄFE UND UNZER VERLAG Grillparzerstraße 12 81675 Münchenwww.gu.de
Die Gedanken, Methoden und Anregungen in diesem Buch stellen die Meinung bzw. Erfahrung des Verfassers dar. Sie wurden vom Autor nach bestem Wissen erstellt und mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft. Sie bieten jedoch keinen Ersatz für persönlichen kompetenten theratpeutischen Rat. Jede Leserin, jeder Leser ist für das eigene Tun und Lassen auch weiterhin selbst verantwortlich. Weder Autor noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.
Dieses Buch entstand mitten im ersten Jahr der Coronapandemie, während Wälder und Städte brannten, der Klimawandel weiter voranschritt und in den USA eine entscheidende und historische Präsidentschaftswahl sich ankündigte. Solche Zeiten eines persönlichen und globalen Umbruchs verunsichern unser individuelles und kollektives Nervensystem und programmieren es neu, manchmal sogar auf äußerst traumatische Weise. Allerdings stand 2020 das Leben nicht still. Enge Freunde verloren ihren Job. Der beste Freund meines Sohnes zog quer durch Land. Bei meiner Mutter wurde eine seltene, degenerative Demenz namens Lewy-Körper-Demenz diagnostiziert, eine herzzerreißende Spirale aus körperlicher Lähmung und Gedächtnisverlust. Sie starb wenige Wochen, nachdem Impfstoffe verfügbar waren. Leben und Tod und ihre zehntausend Freuden und Sorgen nahmen kein Ende, und all das zusätzlich zu dieser Pandemie, mit der wir zu kämpfen hatten.
Am Freitag, dem 13. März 2020 machte an unserem Wohnort alles dicht. Die Mitreisenden auf meinem Rückflug von Chicago trugen Masken und Handschuhe, und plötzlich schloss die Schule unserer Kinder für die nächsten zwei Wochen. (Erinnern Sie sich, dass die pandemiebedingten Schließungen nur zwei Wochen gelten sollten?) Der gesamte Globus schien plötzlich zum Stillstand zu kommen.
Meine Frau und ich saßen auf der Veranda und schauten in unseren briefmarkengroßen Garten, während die Kinder durch die Schneereste stapften. Wir hatten tatsächlich einen Moment Zeit zum Reden, während wir unseren Kaffee tranken und die Kinder sich ausnahmsweise selbst beschäftigten.
»Die Kinder werden diese Zeit nie vergessen«, sagte ich und versuchte, tiefgründig zu klingen. Meine Frau – eine Medizinhistorikerin, die erforscht, wie Seuchen und Pandemien den Lauf der Geschichte verändern – blickte zu mir hinüber, behielt aber die Kinder im Blick. »Niemand wird diese Zeit vergessen«, sagte sie. »Historiker werden in tausend Jahren von der Coronapandemie 2020 (und der Delta-Variante 2021 und der Omikron-Variante 2022) sprechen.«
Ich saß da und dachte darüber nach, während die Kinder aus dem matschigen Schnee eine imaginäre Eisdiele bauten. Wie möchte ich, dass sie sich an diese Zeit erinnern?, fragte ich mich. Wie möchte ich, dass sie sich an mich in dieser Zeit erinnern?Wie möchte ich mich fühlen, wenn ich mich an diese Zeit erinnere? Die Fragen quälten mich für den Rest des Nachmittags.
Später, als ich voller Panik vier Kilo getrocknete Kichererbsen kaufte, überlegte ich: Will ich der Typ sein, der die letzte Rolle Toilettenpapier kaufte, oder derjenige, der unserem älteren Nachbarn einige extra Rollen vorbeibrachte? Und ich kann derjenige sein, der seinen Nachbarn auch Hummus vorbeibringt, da ich viel zu viele Kichererbsen gekauft habe. Als dann meine eigene Mutter auf dem Höhepunkt der ersten Coronawelle immer wieder ins Krankenhaus musste, fragte ich mich: Was für ein Sohn möchte ich sein, wenn meine Mutter krank ist? Obwohl Freunde in den sozialen Medien auf ihrem Laufband Marathon liefen oder fünf neue Sprachen lernten, ging es in meinen Gesprächen mit Freunden und Klienten weniger darum, was wir in dieser Zeit tun sollten, sondern vielmehr um die Frage, wer wir in der Pandemie und danach sein wollten.
Wer will ich sein? Diese Frage ließ mir in dieser Zeit keine Ruhe, als Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt »drinnen blieben« und zum ersten Mal realisierten, dass »systemrelevante Beschäftigte« trotz der Angst vor einer Infektion weiterschufteten. Das Leben einiger Menschen änderte sich kaum, das der meisten anderen änderte sich gewaltig. Einige erlebten das Trauma des Todes und des Sterbens zusammen mit Familie und Freunden. Andere verabschiedeten sich von geliebten Menschen über das iPad. Millionen Menschen verloren ihre Arbeitsplätze, Wohnungen, Karrieren und Ausbildungen. Die häusliche Gewalt nahm durch Drogen und Missbrauch zu. Und mittendrin brachen neue Bürgerrechtsproteste aus, zuerst in Minneapolis und dann landes- und weltweit, als sich die Aufmerksamkeit auf eine andere Pandemie richtete – eine von Rassismus, Ungerechtigkeit und Gewalt gegen Afroamerikaner, die seit Generationen anhält. Ich dachte weiter nach: Was für ein Verbündeter bin ich? Welche Art von Verbündeter möchte ich in Zukunft sein? Ich traf Entscheidungen aufgrund dieser Fragen, und sie führten mich hierher.
Dieses Buch ist meine Antwort auf diese Fragen – oder, um genau zu sein, meine »Reaktion« auf sie. Als Individuen, als Gemeinschaften, als Menschen können wir zulassen, dass Traumata uns mehr Krankheit, Traurigkeit, Angst und Spaltung bringen – oder wir können sie nutzen, um den Samen für unser Wachstum und unsere Entwicklung zu legen. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist in aller Munde, aber in der Realität ist das posttraumatische Wachstum das weitaus wahrscheinlichere Ergebnis der Herausforderungen des Lebens.
In meiner Forschung habe ich die Grundlagen des posttraumatischen Wachstums nicht nur in den Neurowissenschaften und in der Psychologie entdeckt, sondern auch in der Anthropologie und in der Geschichte der Menschheit. Wir können uns verändern und wachsen. Wir können auf die Werkzeuge in unserem Körper zurückgreifen, um resilienter und handlungsfähiger zu werden. Wir können unseren Verstand und unser Herz trainieren, und durch das Wunder der Neuroplastizität neue Verbindungen in unseren Gehirnen wachsen lassen.
Neuroplastizität beschreibt, wie sich das Gehirn als Reaktion auf unsere Nutzung und auf unsere Erfahrungen physisch »neu verdrahtet« und verändert. Um es mit den Worten des kanadischen Neuropsychologen Donald Hebb zu sagen: »Neuronen, die zusammen feuern, verdrahten sich auch zusammen.« Aktuelle Studien zeigen, dass wir durch Meditation und andere Übungen unser Gehirn nachhaltig verändern können, so wie wir durch regelmäßiges Training Muskeln aufbauen.
Wir können unsere Beziehungen zu uns und anderen ändern, indem wir nutzlose Verbindungen gegen solche austauschen, die uns heilen und wachsen lassen. Wir können dazu Werkzeuge nutzen, die seit Jahrtausenden die menschliche Resilienz trotz aller Widrigkeiten gestärkt haben.
Dieses Buch untersucht drei Arten von Erlebnissen, die die Regulation unseres Körpers, unseres Geists und unserer Beziehungen stören. Ein körperliches Trauma kann Unfälle, Krankheiten oder Verletzungen durch Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung und ähnliche Bedrohungen einschließen. Ein mentales und emotionales Trauma umfasst nicht begreifbare Erlebnisse, die unsere Wahrnehmung von der Sicherheit in der Welt beeinträchtigen. Ein traumatisches Beziehungserlebnis kannMobbing, Verrat, Vernachlässigung, emotionalen Missbrauch,Rassismus und andere Formen von identitätsbasiertem Fanatismus umfassen – dies sowohl auf Makro- als auch auf Mikroebene, explizit und implizit.
Natürlich überschneiden sich diese drei traumatischen Erlebnisse auf vielschichtige Weise. Vielleicht haben Sie alle drei mit kumulierten Folgen bereits erlebt. Wenn wir krank sind, können Menschen uns eventuell verlassen. Ein körperlicher oder sexueller Übergriff ist gleichzeitig Verrat an der Beziehung. Bei Randgruppen ist das Risiko eines Traumas weitaus größer, einschließlich der Furcht, erneut zum Opfer gemacht zu werden, wenn die Mehrheit der Gesellschaft die Betroffenen ignoriert, herabsetzt, leugnet oder ihnen die Schuld am Trauma gibt, das heißt, wenn sie es nicht billigt oder unterstützt. Somit überschneiden sich alle Traumaarten.
Unsere medizinischen Modelle sagen uns, dass wir Traumata heilen müssen, und unsere Kultur sagt uns, dass wir daran wachsen müssen, dabei ist für uns eigentlich am wichtigsten, in unserem Schmerz bei uns zu sein. Und das wiederum ist etwas ganz anderes, als sich in Schmerz oder Mitleid zu verlieren. Dieser Unterschied ist ein Schlüsselaspekt des Selbstmitgefühls, einem zentralen Konzept in diesem Buch. Selbstmitgefühl hilft uns zu akzeptieren, dass Wachstum und Heilung auf unterschiedlichen Zeitachsen ablaufen.
Trauma Tools bietet einfache und wirksame Techniken, um posttraumatisches Wachstum in Körper, Geist und Herz zu fördern. Keine dieser Übungen ist ein Allheilmittel gegen Stress und Streit, aber die meisten helfen und stärken mit der Zeit Ihre Resilienz, wie eine Immunität. Probieren Sie aus, was Ihnen gefällt, und kommen Sie auf das zurück, was Sie anspricht, denn Vorlieben und Trigger entwickeln sich ständig weiter und können sich mit Ihrem Nervensystem schon morgen wieder ändern. Während Sie sich mit diesen Übungen beschäftigen, sie Ihren Bedürfnissen anpassen und sie sich zu eigen machen, entwickeln Sie sich weiter und helfen dadurch auch anderen. Je mehr wir üben, unsere inneren Werkzeuge zu nutzen, desto mehr können wir uns gegenseitig helfen, zu den Menschen zu werden, die wir sein und sehen wollen.
Ein Trauma verändert alles: unseren Körper und unseren Geist sowie unsere Beziehungen zu anderen und der Welt. Wenn wir eine schwere mentale, emotionale oder körperliche Verletzung erfahren, tauschen wir Perspektive, Wachstum und Lernen gegen Sicherheit ein – zumindest vorübergehend.
So gut wie jeder Mensch und jedes Lebewesen erlebt irgendwann eine Form von Trauma, und jeder reagiert individuell und erholt sich anders davon. Laut Berichten erleben Männer häufiger ein Trauma, aber Frauen erfahren häufiger Komplikationen durch das Trauma und entwickeln eine PTBS. Randgruppen – Menschen, die an den Rand einer ungleichen Gesellschaft gedrängt werden – sind noch stärker von Traumata und den kumulierten Auswirkungen des Traumas betroffen und haben weniger Zugang zu Heilressourcen. Bei einigen verfestigt sich die Reaktion des Körpers und hält an; bei anderen klingt sie wieder ab. Aber wir alle sind zu Wachstum und Veränderung fähig, ganz gleich, was wir erlebt haben.
Obwohl 75 Prozent von uns ein Trauma erleben, erleiden nur 8 bis 12 Prozent eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), während 60 Prozent ein posttraumatisches Wachstum erfahren, so besagen es zumindest Studien. Das sind gute Zahlen. Eine noch bessere Nachricht: Es geht hier nicht um ein Entweder-oder. Eine posttraumatische Belastungsstörung und ein posttraumatisches Wachstum können gleichzeitig auftreten. Die Neurowissenschaften zeigen, dass Wachstum und Schmerz zusammen erscheinen, so wie es fast jede spirituelle und philosophische Tradition lehrt.
Ich möchte deutlich sagen, dass ein Trauma und dessen Heilung immer schrecklich, zermürbend, langsam und unvorhersehbar sind und niemals geradlinig verlaufen. Nichts kann unseren Schmerz andauernd und umfassend lindern. Tipps aus dem Freundeskreis, von Therapeutinnen und Therapeuten oder Memes werden uns niemals »heilen« oder uns unser altes Ich zurückgeben. Wir können den Schmerz von anderen Personen nie ganz verstehen, aber wir können ihn wahrnehmen – nicht um ihn zu heilen oder zu verlangen, dass er geheilt wird, nicht um uns selbst zu heilen, sondern um mit unserem Schmerz zu sein und ihn wahrzunehmen. Es ist einfacher, für uns und andere da zu sein, wenn wir einige Werkzeuge haben, um mit Reaktionen auf ein Trauma umzugeben und sie zu lenken.
Sie fragen sich vielleicht, ob Ihr Schmerz derart schlimm ist, dass er als Trauma eingestuft wird. Ein Trauma ist eine normale Reaktion auf ein anormales Erlebnis, wie es so schön heißt, und das stimmt. Es betrifft jeden von uns auf andere Weise, denn »normal« und »anormal« sind rein subjektiv. Unsere eingebauten Stress- und Traumareaktionen sind dazu da, uns während und nach einem schmerzhaften Erlebnis zu schützen – wie auch vor zukünftigen Traumata. Am Ende sind wir dann mit sensorischen Triggern für Menschen, Orte und Dinge, die von unserem Nervensystem noch immer als gefährlich eingestuft werden, neu verdrahtet. Mit der Zeit, wenn diese Reaktion sich automatisiert und ihren Nutzen verliert, wird sie als »Störung« bezeichnet, obwohl unser Nervensystem lediglich versucht, aus dem Chaos eine Ordnung zu schaffen. In der Tat wäre es vielleicht einfacher, dieses Buch als ein Mittel zu sehen, sich um unser aus den Fugen geratenes Nervensystem zu kümmern, sich mit ihm anzufreunden, es zurückzusetzen und neu einzustellen, statt sich auf eine Debatte darüber einzulassen, was als Trauma »angesehen wird«.
Die Abwehrmechanismen, die wir bei Bedrohung aktivieren, sind normal und evolutionär erklärbar. Sie halfen uns und unseren Vorfahren beim Überleben. Je schlimmer oder länger die Bedrohung ist, desto stärker verdrahten diese Abwehrmechanismen unser Gehirn neu. Die Reaktionen werden ausgelöst, sobald wir eine Bedrohung spüren, nicht unbedingt, wenn eine Bedrohung vorliegt.
Lassen Sie es mich wiederholen: Sie werden ausgelöst, sobald wir eine Bedrohung spüren, nicht unbedingt, wenn eine Bedrohung vorliegt.
Vor diesem Hintergrund wollen wir die typischen Reaktionen auf Stress und Trauma untersuchen. Es sind Überbleibsel unserer Vorfahren, die in einer weitaus gefährlicheren Welt lebten, auch wenn es vielleicht nicht so scheinen mag. Was war für unsere Vorfahren ein Trauma, zu einer Zeit, als wir noch den Tieren, aus den wir uns entwickelten, näherstanden? Stellen Sie sich einen Löwen vor, der Sie verfolgt. Was können Sie tun, um zu überleben? Ich stellte diese Frage einmal vor einem Publikum in Texas, und es war tatsächlich eine Löwenbändigerin unter den Zuhörern. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum sie an meinem Achtsamkeitskurs teilnahm, wenn sie sich selbst kontrollieren kann und sich zu einem Löwen in den Käfig traut! Wenn Sie ein Löwenbändiger sind, sollten Sie vielleicht direkt weiterblättern.
Es gibt vier Reaktionen auf den Angriff des Löwen. Jede aktiviert unseren Überlebensinstinkt auf eine von zwei möglichen Arten, Hyperarousal (Übererregung) oder Hypoarousal (Untererregung).
1. Kampf: Abwehr des Angreifers. Das ist eine großartige Lösung, wenn ein wildes Tier Sie jagt, aber nicht, wenn die »Bedrohung« ein Verkehrsstau, ein nerviger Kollege oder etwas ist, was Sie an Ihren eigenen persönlichen Löwen erinnert. Wenn wir auf den Kampf zurückgreifen, reagieren wir mit körperlicher oder sozialer Aggression oder Gereiztheit. Wenn wir uns selbst die Schuld geben, äußert sich das in Aggression gegenüber uns selbst in Form von Selbstverletzung oder riskantem Verhalten.
2. Flucht: Ausweichen oder Abwehr des Angriffs. Das ist gut, wenn der Löwe langsam ist und Sie schnell sind. Weniger gut ist es, wenn wir jeder Situation ausweichen, die unangenehm ist oder uns triggert. Mit der Zeit kann sich Vermeidung als ständige Angst, Panik, Agoraphobie und Ähnliches verfestigen. Sie kann zu einer Hinwendung zu reizstarken Ablenkungen, Süchten und Zwängen führen.
3.Erstarrung: Verstecken oder tarnen Sie sich und fallen Sie möglichst nicht auf. Vielleicht stellen Sie sich tot und geben auf, während Sie warten, bis der Angriff vorbei ist. Hypoarousal kann mit der Zeit zu einem bewussten Vermeidungsverhalten oder zu einer unbewussten Abgrenzung führen. Für Mitglieder von Randgruppen fühlt es sich bedrohlich an oder ist es gefährlich, Aufmerksamkeit zu erregen, und diese Reaktion bezieht sich auch auf die physische, emotionale und sogar finanzielle Sicherheit.
4.Unterwerfung: Man bezeichnet diese Reaktion auch als Ohnmacht oder Harmonisierung. Aufzugeben schützt uns auf andere Weise vor dauerhaften Traumata, nämlich durch »erlernte Hilflosigkeit« – das Gefühl, dass wir keine Kontrolle oder Macht über unser Schicksal haben. Das stürzt unser Gehirn in Depressionen, in ein langsames Aufgeben unserer Person und unserer Welt oder in Vermeidungsstrategien wie Abstumpfen bei einer Sucht.
Ein einzelnes großes traumatisches Erlebnis oder ein tiefgreifendes, länger anhaltendes Trauma verdrahtet unser Gehirn neu, sodass wir stets in diesen Stressreaktionen verharren. Dies ist die dunklere Seite der Neuroplastizität. Wenn Sie kein Löwenbändiger sind, ist der Angriff des Löwen wahrscheinlich eine Metapher für ein Erlebnis in Ihrem Leben. Sie haben dabei vermutlich eine der vier Reaktionen gezeigt. Und so reagieren Sie vielleicht immer noch auf das Leben, wenngleich der Löwe schon längst verschwunden ist.
Es mag seltsam klingen, aber unser Erregungslevel bei alltäglichen Herausforderungen sollte zwischen 60 und 80 Prozent liegen. Liegt er höher, befinden wir uns in einem Hyperarousal, liegen wir darunter, sprechen wir von einem Hypoarousal. Das ist genau die richtige Stressmenge innerhalb des Stresstoleranzfensters, das uns hilft, an den Rändern zu wachsen. Es ist der Bereich, in dem »wahre Magie« geschieht. Auch wenn sie »außerhalb Ihrer Komfortzone« liegt, wie das Meme sagt, so müssen wir doch innerhalb unserer Sicherheitszone bleiben, um wirklich wachsen zu können. Um von einem Trauma geheilt zu werden, müssen Sie wissen, wann Sie Ihre »rote Zone« oder Gefahrenzone betreten, und lernen, wie Sie in Ihre Sicherheits-/Wachstumszone zurückkehren können.
Die Polyvagal-Theorie liefert dazu den wissenschaftlichen Hintergrund. Der Psychologe und Forscher Stephen Porges, PhD, und seine Kollegin Deb Dana, LCSW, waren gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern Vorreiter bei der Entwicklung eines neuen Verständnisses der emotionalen, sozialen und physiologischen Regulation auf Grundlage der Funktion des Vagusnervs. Dieser Nerv – eigentlich sind es zwei Nerven auf beiden Seiten des Körpers – ist praktisch eine Datenautobahn zwischen Geist und Körper. Er ist die Physiologie hinter einem dritten Aspekt unseres Nervensystems, dem sogenannten System für soziale Verbundenheit, so Porges. Die Polyvagal-Theorie ist zentral für das Verständnis und die Behandlung von Traumata geworden, wobei weitere Entdeckungen noch folgen werden.
In Wirklichkeit brauchen wir eine Stress- und Angstreaktion. Das richtige Maß an Angst gibt uns Sicherheit, und Stress kann uns motivieren. Wenn Sie in einer von Missbrauch geprägten Beziehung leben, ist es sicherer, im Hypoarousal-Stadium zu bleiben, bis Sie fliehen können. Wenn Ihre Militäreinheit einberufen wird, ist ein Hyperarousal gefragt. Diese Reaktionen sind angemessen und dienen unserer Sicherheit. Als der Forscher Arthur Kling bei einer Gruppe gefangener Affen die Amygdala – das Alarmsystem des Gehirns – entfernte und die Tiere zurück in die Wildnis entließ (wahrlich nicht das einfühlsamste Forschungsprojekt!), waren die Affen innerhalb weniger Wochen tot, da sie die Gefahren in ihrem Umfeld nicht erkennen und entsprechend darauf reagieren konnten.
Im Grunde sind die vier Traumareaktionen äußerst nützliche Strategien – bis sie es nicht mehr sind! Wie der Soldat, der die Autobahn nach der nächsten Sprengfalle absucht, auch wenn er längst wieder daheim ist, oder der Krebsüberlebende, der bei jedem Wehwehchen die Krankheit zurückerwartet, oder der betrogene Ehepartner, der jede neue Beziehung beendet, sobald sie zu intim wird, so können wir nach einem Trauma hypervigilant – überaufmerksam – werden und ständig nach Gefahren suchen, da wir uns dadurch in Sicherheit wähnen. Bei einigen ist die Gefahr auch lange nach einem Trauma noch sehr präsent, Selbstverletzung und Süchte wirken beruhigend, Essstörungen vermitteln ein Gefühl der Ordnung, Isolation fühlt sich tröstlich an, und Verbundenheit und Mitgefühl scheinen überwältigend. Das ist nicht nur eine mentale Reaktion: Auch unser Körper bleibt in diesen vier Traumareaktionen gefangen. Unsere Reaktionen auf ein Trauma helfen uns in dem Augenblick und halten uns am Leben, aber sie können auch unsere körperliche und geistige Gesundheit sowie unsere Beziehungen beeinträchtigen.
Wenn die vier Traumareaktionen also unsere automatischen Reaktionen sind, die uns unsere Vorfahren vererbt haben und die in unserer DNA verankert sind, was können wir also tun, um uns selbst neu zu ordnen? Die Antwort lautet glücklicherweise: eine ganze Menge. Denn in unserer DNA sind auch andere Reaktionen angelegt, die wir durch etwas Übung stärken können. Die stetig wachsende Forschung zu diesem Thema zeigt, dass es uns schwerfällt, neue Verhaltens- und Denkmuster anzunehmen, aber wir können uns einen Weg zu einer neuen Art des Denkens, Fühlens und Seins bahnen. Doch bevor wir dazu kommen, sollten wir kurz innehalten und nachdenken.
Polyvagal-Übersicht
Erstarrung oder Unterwerfung
Kampf oder Flucht
Erregungslevel
Unter 30 %: Hypoarousal-Stadium, dorsovagales/parasympathisches Nervensystem aktiviert, außerhalb des Toleranzfensters
Über 80 %: Hyperarousal-Stadium, sympathisches Nervensystem aktiviert, außerhalb des Toleranzfensters
Körper
Zusammengesunkene Körperhaltung, langsame, flache Atmung; niedriger Blutdruck, schwache Herzfrequenz, verringerte Immunität, langsamer Stoffwechsel und Heißhunger auf energiereiche Nahrung, Cortisolspiegel führt zu körperlicher Erschöpfung, Unbeweglichkeit