Träume der Finsternis - Annika Dick - E-Book

Träume der Finsternis E-Book

Annika Dick

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Beschreibung

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, die jungen Zwillingsschwestern Dagny und Dhelia. Dennoch sind sie unzertrennlich wie die zwei Seiten einer Münze. Und genau das stellen sie auch dar: Sie sind die personifizierten Mächte von Licht und Dunkelheit und verfügen über besondere Kräfte. Als so genannte "Santulana" sind sie dazu bestimmt, das Gleichgewicht der Welt zu wahren. Dieses Gleichgewicht gerät jedoch in Gefahr, als die zurückhaltende Dhelia dem undurchsichtigen "Mo" begegnet, der seinen vollständigen Namen aus gutem Grund verbirgt. Denn Mo ist ein Dämon, ein Traumwandler, der es geschickt versteht, Dhelias Vertrauen zu gewinnen und sie in sein Gespinst zu locken. Dhelia schlägt Dagnys Warnungen in den Wind und das enge Verhältnis der Schwestern droht zu zerbrechen. Eine Geschichte voller Spannung und Magie, mystischer Geheimnisse und unerwarteter Wendungen.

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Seitenzahl: 256

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Annika Dick

Träume der Finsternis

Das Buch:

Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, die jungen Zwillingsschwestern Dagny und Dhelia. Dennoch sind sie unzertrennlich wie die zwei Seiten einer Münze. Und genau das stellen sie auch dar: Sie sind die personifizierten Mächte von Licht und Dunkelheit und verfügen über besondere Kräfte. Als so genannte »Santulana« sind sie dazu bestimmt, das Gleichgewicht der Welt zu wahren.

Dieses Gleichgewicht gerät jedoch in Gefahr, als die zurückhaltende Dhelia dem undurchsichtigen »Mo« begegnet, der seinen vollständigen Namen aus gutem Grund verbirgt. Denn Mo ist ein Dämon, ein Traumwandler, der es geschickt versteht, Dhelias Vertrauen zu gewinnen und sie in sein Gespinst zu locken.

Dhelia schlägt Dagnys Warnungen in den Wind und das enge Verhältnis der Schwestern droht zu zerbrechen.

Eine Geschichte voller Spannung und Magie, mystischer Geheimnisse und unerwarteter Wendungen.

Die Autorin

Die 1984 geborene Autorin nennt heute noch das Nordpfälzer Bergland ihre Heimat. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin und arbeitete in der IP-Abteilung einer Wirtschaftskanzlei.

Das Erzählen und Niederschreiben von Geschichten hat sie seit ihrer Kindheit nicht losgelassen.

Seit ihrem Debüt 2011 publiziert Annika Dick regelmäßig und sehr erfolgreich in verschiedenen Genres.

© 2. Auflage 2017 by Fabylon Verlag

Cover: Fotolia/Gestaltung: Shikomo

www.fabylon.de

eMail: [email protected]

Originalausgabe. Alle Rechte vorbehalten.

eISBN: 978-3-943570-91-5

Die ganze Mannigfaltigkeit, der ganze Reiz und die ganze Schönheit des Lebens setzen sich aus Licht und Schatten zusammen.

- Leo Tolstoi -

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Prolog

»Wann?«, fragte Cauan ungehalten, während er sich das Blut seines Opfers von den Fingerspitzen leckte.

»Bald«, kam die Antwort, die den Dämon des Chaos dazu brachte, sich mit einem Fauchen umzudrehen. Er hätte es wissen müssen, tadelte er sich. Was man nicht selbst erledigte, wurde nie richtig gemacht. Aber ihm war es verwehrt, in die Welt der Menschen vorzudringen. Er warf den leblosen Körper, an dessen Blut er sich gelabt hatte, zur Seite. Die Opfergabe war ein jämmerlicher Versuch dieses minderwertigen Wesens vor ihm, das bisherige Versagen auszumerzen. Menschenblut war selten in Aparadha. Eine Delikatesse. Doch auch diese konnte Cauan nicht über die Unfähigkeit seines Schützlings hinwegtäuschen.

»Ich warte schon lange genug! Ich bin es leid!« Sein Gegenüber wusste nur zu gut, wie ungeduldig Dämonen sein konnten, trotzdem reckte sich dessen Kinn um einige Zentimeter in die Höhe.

Nein, dachte Cauan, Angst oder Ehrfurcht vor ihm hatte dieses törichte Ding noch nie bewiesen. Seine bleiche Hand hob sich und die knochigen Finger schlossen sich um den schmalen Hals des Minderwertigen. Das Leben, das durch die Adern dieser Kreatur floss, war pure Verschwendung in Cauans Augen. Aber noch brauchte er sie. Immerhin konnte dieses lächerliche Wesen in die Welt der Menschen reisen.

»Ich habe doch gesagt, dass es bald soweit ist. Ich brauche noch etwas Zeit. Nur noch ein paar Wochen. Bevor der Sommer kommt, haben wir beide, was wir wollen: ich die magischen Kräfte, die mir zustehen, du das völlige Chaos in allen drei Welten. Nicht einmal die mächtigsten Prakasa werden in der Lage sein, etwas dagegen zu unternehmen!«

»Was ist mit den Prakasa? Sie werden die beiden nicht ohne Schutz lassen.«

»Kassandra wurde von ihnen auserwählt. Sie wird sich auf der Erde herumtreiben, hat aber kein Interesse daran, einen anderen außer sich selbst zu schützen. Sie kommt mir nicht in die Quere.«

»Beeil dich! Ich will die beiden endlich tot wissen. Vergiss nie, auch wenn ich nicht in die Welt der Menschen kann, dich kann ich jederzeit hierher zurückholen und vernichten.« Er schob die Kreatur von sich und wandte sich von ihr ab. Dieser Blutsbund war das einzig Nützliche daran.

Gemächlich ging Cauan zu seinem Thron. Wenn es nicht so verdammt schwierig wäre jemanden zu finden, der für einen Dämon arbeiten würde, hätte er sich schon längst dieses jüngsten Fehltrittes entledigt. Aber dazu war ja immer noch Zeit, sobald er am Ziel seiner Träume war.

1. Kapitel

Dagny

Mittwoch, 31. Dezember

Die ersten Feuerwerkskörper explodierten bereits am Himmel. Einige Minuten zu früh. Noch war das alte Jahr nicht vorüber, noch wollte es keinen Platz für das neue machen. War es nicht merkwürdig? Erst vor ein paar Tagen hatten wir um einen geschmückten Tannenbaum gesessen und Weihnachten gefeiert. Der Winter hatte gerade erst richtig begonnen, aber ich sehnte mich schon nach dem Frühling.

»Woran denkst du, Dagny?«

»An den Frühling.« Sobald die Worte heraus waren, musste ich grinsen. Ich hatte das ungläubige Lachen meiner Schwester bereits erwartet. Sie drückte meine Hand und unsere Schultern trafen sich. Dhelia liebte den Winter. Sie liebte diese Kälte, die Ruhe und vor allem den Schnee. All das, worauf ich liebend gerne verzichtet hätte. Aber das war normal bei uns. Es war nur ein winziger Punkt von vielen, in denen wir uns unterschieden.

Wir hätten gegensätzlicher nicht sein können. Sie anzusehen war, als hätte ich ein Negativ von mir selbst vor Augen. Auf meine sonnengebräunte Haut traf ihr blasses Gesicht, dessen Züge mit meinen jedoch völlig gleich waren. Meine glatten, blonden Haare und blauen Augen ähnelten so gar nicht ihren schwarzen Locken und braunen Augen. Die meisten Menschen mussten zweimal hinsehen, um zu glauben, dass wir Zwillinge waren. Dhelia und ich, wir waren wie Licht und Schatten. Sommer und Winter. Tag und Nacht. Verstand und Gefühl. Gegensätze, die jedoch nur gemeinsam existieren können. Genauso wie meine Schwester und ich. Und das sage ich nicht nur einfach daher.

Wir wurden zusammen geboren und eines Tages in ferner Zukunft, wenn wir beide alt und grau sind, werden wir auch zusammen sterben, um Platz zu machen für unsere Erben. Für die nächste Generation Zwillingsschwestern, die das Licht und die Dunkelheit repräsentieren und die Welten damit im Gleichgewicht halten.

Wir sind die Santulana. Nur durch uns bleibt das Gleichgewicht der Welten erhalten. Ohne uns würde das Chaos herrschen. Im wahrsten Sinne des Wortes: Paracha’i, die Wesen der Dunkelheit würden durch den Schleier, der unsere Welt von den beiden anderen Welten trennt, auf die Erde gelangen und sie unter ihre Kontrolle bringen. Ein Krieg würde ausbrechen, der den Menschen den Untergang brächte. Vielleicht würde es den Prakasa, den Wesen des Lichts gelingen, die Dunkelheit zu bezwingen, aber ich bezweifle, dass auch nur eine einzige Menschenseele überleben würde. Wenn es uns, die Santulana-Zwillinge nicht gäbe, würden sich Licht und Dunkelheit in unserer Welt einen unerbittlichen, möglicherweise nie endenden Kampf bieten.

»Das wird unser Jahr«, flüsterte Dhelia. »Endlich achtzehn! Auto fahren, wegbleiben, so lange du willst, grenzenlose Freiheit. Ach ja, und natürlich Omas Intensivkurs zum Thema ›Alles, was ihr schon immer über Uchawis und ihre Welten wissen wolltet – oder auch nicht‹. Müsste sich doch gut für dich anhören, oder?«

»Hört sich alles sehr gut an. Und wer weiß, vielleicht schaff ich es dieses Jahr sogar, dass du abends mit uns mitgehst.«

Dhelias Blick sagte mir deutlich, wie wenig sie davon hielt. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hätte. Seufzend sah ich mich nach unserer Familie um. Vater und Großmutter standen mit der Familie Freund von nebenan einige Schritte von uns entfernt. Weit genug, dass sie unsere Unterhaltung nicht hören konnten.

»He, es ist gleich so weit. Zehn, neun, acht …« Wir stimmten mit ein und zählten bis null. Normalerweise konnte man von unserem Zuhause die Glocken der katholischen Kirche drei Straßen weiter hören. Das Feuerwerk, das gerade in der ganzen Nachbarschaft den Himmel erhellte, ließ die Glockenschläge aber nicht zu uns durchdringen. Im nächsten Augenblick schlang Dhelia ihre Arme um meinen Hals und ich drückte sie an mich, als ich ihr ein frohes neues Jahr wünschte.

»Hier steht ein sich ausgeschlossen fühlender bester Freund.« So sehr er sich auch bemühte, wirklich traurig klang Alex nicht. Trotzdem ließ Dhelia mich los, um ihn zu umarmen und auf die Wange zu küssen. Daran, dass Alex uns beide seit seinem letzten Wachstumsschub um einen Kopf überragte, hatten wir uns inzwischen gewöhnt.

»Ich geh mal zu Papa, bevor der sich auch noch vernachlässigt fühlt.« Hinter Alex’ Rücken warf Dhelia mir einen Blick zu, den ich von ihr nur allzu gut kannte und bisher erfolgreich ignoriert hatte.

»Hey.«

»Hey. Frohes neues Jahr.« Es fühlte sich gut an, Alex zu umarmen, warm und sicher. Und das war etwas, was ich auf keinen Fall verlieren wollte. Egal, was Dhelia davon hielt.

»Küss sie schon endlich!« Als die Stimme von Alex' Bruder Patrick zu uns herüberdrang, ließ ich meine Arme sinken.

»Patrick!« Offensichtlich hatte auch Frau Freund etwas gegen die lose Zunge ihres Erstgeborenen einzuwenden.

»Ach komm schon Ma, es wird höchste Zeit.«

Ich machte einen Schritt von Alex weg und er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Doch es fiel ihm schon wieder in die Augen. Schade. Er hatte nämlich sehr schöne hellbraune Augen, auch wenn sie immer etwas traurig wirkten.

»Mein Bruder ist ein Idiot.« Dabei lächelte er dieses schiefe Lächeln, bei dem sich nur ein Mundwinkel nach oben zog. Patrick hatte die Angewohnheit, seinen kleinen Bruder zu blamieren, wann immer er konnte. Musste wohl so ein Brüderding sein. Zumindest wäre es mir im Traum nicht eingefallen, Dhelia so vorzuführen.

»Weiß ich doch.« Ich wandte mich um und zusammen gingen wir zu unseren Familien, um ihnen allen ein frohes neues Jahr zu wünschen. Dhelias offensichtlich frustriertes Kopfschütteln ignorierte ich. Seit einigen Monaten schon versuchte sie sich erfolglos als Kupplerin zwischen Alex und mir.

Donnerstag, 1. Januar

»Wann machst du endlich reinen Tisch?« Als ich nach dem Duschen zurück in mein Schlafzimmer trat, saß Dhelia auf meinem Bett, meine Katze Sol hatte sich auf ihrem Schoß zusammengerollt. Diese genoss es sichtlich, von Dhelia gestreichelt zu werden und schnurrte so laut, dass ich es quer durchs Zimmer hören konnte.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.« Ich drehte meiner Schwester den Rücken zu und stellte mich vor den Spiegel, um mir die Haare zu bürsten. Wenn ich das nicht direkt nach dem Duschen tat, würden sie am nächsten Tag wie Stroh aussehen. Dhelias Seufzen bestätigte meine Befürchtung. Für sie war das Thema noch nicht vom Tisch.

»Ich rede von Alex und dir. Wann gestehst du dir – und ihm – endlich ein, dass du mehr als nur eine gute Freundin für ihn sein willst? Er will es doch auch, das sieht ein Blinder. Mensch, Patrick sieht es sogar.«

Ein nerviger Knoten hielt die Bürste auf und ich versuchte verzweifelt, sie loszubekommen.

»Wir sind nur Freunde. Nicht mehr, nicht weniger.« Ich musste Dhelia noch nicht einmal ansehen, um ihren Blick zu erahnen: ungläubig, vorwurfsvoll. »Ich denke sowieso, dass es besser ist, wenn zwei Freunde niemals dieses Pärchenexperiment angehen. Das macht doch nur die Freundschaft kaputt. Für immer. Niemand kann mir sagen, dass man danach wieder befreundet sein kann. Entweder man geht erst gar keine Beziehung ein oder man verliert später einen Freund. Ich will Alex nicht verlieren. Dazu bedeutet er mir zu viel.« Endlich löste sich der Knoten und die Bürste fuhr ungehindert weiter durch meine Haare. Als ich den Kopf hob und in den Spiegel sah, stand Dhelia direkt hinter mir.

»Du hörst immer so sehr auf deinen Kopf, dass du darüber das Wichtigste vergisst.«

»Und das wäre?« Schmunzelnd lehnte ich mich gegen sie und neigte den Kopf, bis wir direkt nebeneinander im Spiegel zu sehen waren. Schwarz und Weiß. Dhelias rechte Hand erschien vor mir im Spiegel und tippte auf meine linke Seite, genau über dem Herzen.

»Das hier.«

»Aber darauf zu hören, kann sehr leicht zu Schmerzen führen. Mein Kopf hält mich davon ab. Es ist sicherer. Und tut nicht weh.«

Das Seufzen und die hängenden Schultern zeigten mir, dass das nicht die Antwort war, die sie erhofft hatte.

»Gute Nacht, Dagny.«

Ich sah ihr im Spiegel nach, als sie mein Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloss. Einen Moment starrte ich auf die geschlossene Tür und dachte über Dhelias Worte nach. Auf das Herz zu hören war viel zu gefährlich, auch wenn sie das nicht wahrhaben wollte. Unser Vater hatte auf sein Herz gehört, als er unsere Mutter geheiratet hatte, und sie war einfach davongelaufen. Nein, das brachte einem nur unnötigen Schmerz. Das würde ich nicht zulassen.

»Dann passe ich eben auf uns beide auf. Und auf dich besonders gut.«

Samstag, 3. Januar

»Wie wäre es, wenn wir erst darüber abstimmen, was genau wir überhaupt lernen müssen. Ich meine, kein Mensch kann alles wissen. Richtig? Ich weiß ja kaum genug über unsere eigene Welt, da kann ich doch nicht alles über zwei weitere lernen.«

Oma schmunzelte über Dhelias Worte und schüttelte den Kopf.

»Eines Tages wirst du froh darüber sein, alles über die Uchawi und ihre Welt zu wissen. Und wenn du glaubst, mehr über die Erde lernen zu müssen, können wir sicherlich einen Ferienkurs oder etwas Ähnliches für den Sommer finden.«

»Das heißt also, wirklich alles?« Dhelia seufzte und sah ein, dass sie sich ihrem Schicksal ergeben musste.

»Komm schon, das ist doch interessant.« Ich stieß gegen ihre Schulter und erntete einen skeptischen Blick aus ihren braunen Augen.

»Theoretisch schon, aber wenn ich an die ganzen Vokabeln denke …«

»Du bist diejenige, die zwei Sprachen als Leistungskurse genommen hat! Vokabeln sollten dich am allerwenigsten schrecken.«

»Das ist etwas völlig anderes. Jeder auf der Welt spricht Englisch und selbst Französisch wird im Gegensatz zu deinem Latein auch noch von sehr vielen Lebenden gesprochen. Aber die Sprache der Uchawi? Ich meine, wir werden kaum einen Ausflug in eine ihrer Welten machen, um mit ihnen zu reden, oder?«

»Aber …«

»Es reicht jetzt, ihr beiden! Dhelia, du kannst machen, was du willst, du wirst die Worte genauso lernen wie Dagny. Und das hier wird euch dabei helfen.« Oma zog ein großes, in Leder gebundenes Buch hinter ihrem Rücken hervor und legte es vor uns auf den Tisch. »Ikattha«, sagte sie lächelnd und schob es etwas näher an uns heran. »In diesem Buch steht alles, was die Linie der Zwillinge bisher über die Uchawi weiß. Natürlich kann es noch vieles geben, das hier nicht drinsteht, und es ist sehr gut möglich, dass es niemals vollständig sein wird. Schließlich entwickeln sich deren Welten genauso wie unsere ständig weiter. Aber es ist alles, was wir haben. Also behandelt es gut.«

Ich biss mir auf die Unterlippe und reckte den Kopf, um das Buch besser zu sehen. Was wohl alles darin stehen würde? Welche Geheimnisse es uns erklären würde? Ich drehte mich zu Dhelia um und sah, dass auch sie nicht mehr so desinteressiert wirkte. Wobei fast jedes Buch diese Reaktion bei ihr auslöste, wenn es älter war als wir.

»Dann … sollten wir vielleicht mal anfangen es zu lesen?«, fragte sie zaghaft und ich konnte sehen, wie Oma versuchte, ein Grinsen zu verbergen, als sie großzügig nickte.

»Ich hole mir einen Tee. Möchtet ihr auch etwas?«, fragte sie, als sie sich von ihrem Stuhl erhob und an den Küchenschrank ging, um sich eine Tasse zu holen.

»Kakao.«

»Kaffee.«

Während Oma in der Küche war, schlug Dhelia endlich das Buch vor uns auf und meine Gedanken waren vollkommen von dem Inhalt des alten Leders gefangen genommen. In Omas ordentlicher Handschrift befand sich dort ein Inhaltsverzeichnis, das alle Texte auflistete. Der älteste reichte bis ins Jahr 780 zurück.

»Meinst du wirklich, das kann irgendjemand lesen?«

Dhelia zuckte mit den Schultern und blätterte zu der Seite vor, an der dieser uralte Text über die Santulana-Zwillinge von einem Luitfrid stand.

»Ich glaube schon, dass wir das lesen können.« Dhelia grinste mich an und deutete auf das Buch.

»Wieso …«

»Das Buch wurde über die Jahrhunderte immer wieder erweitert und die alten Texte auf den leeren Seiten neu abgeschrieben, damit es lesbar und in gutem Zustand bleibt«, erklärte Oma, noch bevor ich meine Frage zu Ende stellen konnte.

»Aus eigener Beobachtung kann ich berichten, wie sich das Schicksal der Geburt auf Seiten des Lichts oder der Dunkelheit auf das Leben jener Zwillinge auswirkt, die als Santulana geboren sind«, las Dhelia vor. Doch mit jedem Wort, das sie las, wurde sie leiser. »Während die eine Schwester gut, edel und von unschuldigem Wesen ist, so ist die andere durchtrieben und bösartig. Wie die zwei sehr verschiedenen Arten, in die man die Uchawi, alle Wesen magischen Ursprungs, unterteilt, so kann man auch diese Zwillinge eindeutig je einer Seite zuordnen. Ebenso wie die Uchawi entweder den Guten, den Prakasa, oder den bösen Paracha‘i zuzuordnen sind, spiegeln sich Licht und Schatten auch in ihrem ganzen Äußeren.« Langsam blickte Dhelia von dem Buch auf und sah Oma fragend an. »Der Kerl lässt mich wie die Ausgeburt der Hölle klingen!«

»Dhelia …«

»Was? Es stimmt. Hier:›Für die Zukunft der Menschheit ist es erstrebenswert, dass nur der helle Zwilling, die Sefada, einem Manne versprochen wird und die Familie fortführt. Der dunkle Zwilling, die Kala, sollte in einem Kloster untergebracht werden, wo sie ihre Sünden bereuen kann. Unter keinen Umständen darf man dieses dunkle Wesen ohne Aufsicht unter den Menschen wandeln lassen.‹ Und dann zählt er noch eine ganze Reihe anderer netter Arten auf, wie man mich ›auf heiligem Boden‹ festhalten sollte, damit ich die Menschheit nicht ins Verderben stürze!« Dhelias Stuhl fiel mit einem Knall auf den Boden, als sie aufsprang. »Danke, ich habe genug von diesem dämlichen Buch! Und von Uchawi und allem, was dazugehört! Wenn ihr mich entschuldigt, ich gehe dann in mein Zimmer und bereue meine Sünden.«

»Dhelia, warte …«

»Lass sie.« Oma legte mir die Hand auf die Schulter und hielt mich zurück. »Ich hatte gehofft, sie versteht, was ich meinte, als ich sagte, dass das Buch von Menschen geschrieben wurde. Nicht alles darin muss stimmen.«

»Ich rede mit ihr.«

»Dagny, bleib hier.« Oma drückte mich zurück auf den Stuhl, als ich aufstehen wollte. »Dhelia wird sich schon beruhigen. Ich rede heute Abend noch einmal mit ihr.«

Ich nickte widerwillig und setzte mich wieder hin. Oma stellte mir den Kaffee auf den Tisch und nahm das Buch mit sich, als sie aus der Küche ging. Lange hielt ich es allerdings nicht aus, und sobald ich hörte, wie sich die Tür zur Bibliothek schloss, rannte ich aus der Küche und die Treppen hinauf. Doch schon auf halben Weg in den ersten Stock hörte ich vom Dachgeschoss her Musik. Laut und düster. Dhelia musste ihre Stereoanlage auf volle Lautstärke gedreht haben. Wie sie sich bei diesem Lärm, den sie Musik nannte, beruhigen konnte, war mir ein Rätsel. Aber Oma hatte Recht: Bisher hatte sich Dhelia nach einer solchen Lärmbelästigung immer beruhigt.

Sonntag, 4. Januar

»Mhm … das duftet ja himmlisch. Darf ich mal … Aua!«

»Pfoten weg, Papa, du musst genauso warten wie die anderen auch.« Ich sprang zwischen meinen Vater und die Schüssel mit dem Kartoffelpüree und schob ihn aus der Küche ins Esszimmer. Erst als er sich an den Tisch gesetzt hatte, ging ich zurück in die Küche. Sicherheitshalber brachte ich zuerst den Salat und die Lenden im Blätterteigmantel ins Esszimmer und stellte das Püree als Letztes auf den Tisch. »Okay, jetzt darfst du.«

Das ließ sich mein Vater nicht zweimal sagen, aber immerhin hatte er den Anstand, unseren Gästen, nämlich Alex und meiner besten Freundin Sarah zuerst die Teller zu füllen. Ich hatte mein Bestes gegeben und das bedeutete, dass das Essen super sein musste. Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, auch nur einen Bissen hinunterzuschlucken, bevor ich nicht gesehen hatte, dass es den anderen schmeckte.

»Du übertriffst dich jedes Jahr selbst. Ich glaub, das ist das Beste, was ich je gegessen habe.« Ich grinste über Alex' Worte, bis ich Dhelias und Sarahs vielsagende Blicke auffing. Meine Schwester und meine beste Freundin schienen sich gegen mich verschworen zu haben. Ganz toll. Doch meine vorwurfsvolle Miene schien die beiden noch zu belustigen.

»Ich habe überlegt, das auch an unserem Geburtstag zum Mittagessen zu kochen«, verkündete ich und sah in die Runde. Sarah sah mich ungläubig an.

»Du willst selbst an deinem 18. Geburtstag das Mittagessen kochen? Dagny, du machst das falsch! Der 18. muss eine einzige große Party sein.«

Der Ausdruck auf Dhelias Gesicht ließ mich schmunzeln. Nun waren sich die beiden gar nicht mehr so einig. Dhelia und Partys waren keine gute Kombination.

»Ich koche gern«, erklärte ich schulterzuckend und warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. Zwischen dem 28. Februar und dem 1. März war mit rot eine 29 eingetragen worden. Dhelia tat das jedes Jahr, wenn es kein Schaltjahr war. Wir feierten dann zwar immer am 1. März, aber Dhelia bestand darauf, unseren »richtigen Geburtstag«, wie sie es nannte, im Kalender stehen zu haben. Es war nun einmal unser Los, als Gleichgewicht der Welt auch an dem Tag geboren worden zu sein, der das Gleichgewicht der Zeit darstellt.

»Also, hat sich irgendjemand gute Vorsätze fürs neue Jahr vorgenommen?«

Ich konnte genau sehen, wie die beiden die Augen rollten. Mein Vater sprang glücklicherweise direkt auf das Thema an und verkündete, er wolle versuchen, dieses Jahr weniger Zeit über seinen Artikeln zu verbringen.

Doch eine Stunde später hatte er diesen Vorsatz auch schon wieder vergessen und war in der Bibliothek mit seinem Laptop beschäftigt. Alex war bereits nach Hause gegangen und Sarah machte sich auch gerade fertig zum Gehen.

»Also …«

»Also, was?«

»Also, was ist mit dir und Alex? Komm schon, ich bin deine beste Freundin, ich habe ein Recht darauf, alle schmutzigen Details zu hören.«

»Ich muss dich enttäuschen. Da gibt es nichts zu hören. Alex und ich sind Freunde und ihr könntet endlich alle aufhören, zu behaupten, dass da mehr sei.« Langsam wurde ich wirklich sauer. Hatte Sarah mit Dhelia geredet? Sie hörte sich schon fast so an wie sie. Sarah rollte mit den Augen und das Seufzen, das sie von sich gab, klang auch schon genauso wie das meiner Schwester.

»Fein. Behaupte das weiterhin, aber irgendwann musst du zugeben, dass da mehr ist. Und dann bin ich für dich da und höre mir an, dass ich die ganze Zeit Recht hatte.« Ich konnte gerade noch sehen, wie sie mir die Zunge rausstreckte, als ich die Tür hinter ihr schloss.

Leider kam nach dem Kochen immer irgendwann der Abwasch. Auch wenn ich es liebte, mit den verschiedenen Zutaten herumzuexperimentieren, auf das Spülen danach hätte ich gut und gerne verzichten können. Dummerweise war unsere Großmutter strikt gegen das Einbauen einer Spülmaschine. So musste ich das Geschirr mit der Hand spülen, während sich Dhelia schon aus dem Staub gemacht hatte. Sie behauptete immer, ihre kreative Seele vertrage zu viel Putzen nicht.

Dafür konnte ich mich immerhin darauf verlassen, dass Oma mir helfen würde. Als ich in die Küche kam, war sie bereits dabei, das Geschirr einzuseifen.

»Du und Alex, ist da etwas, worüber du mit mir reden willst?«

Ich hielt inne und hätte beinahe den Teller in meiner Hand fallen gelassen. Ich war wirklich kurz davor meine Geduld zu verlieren.

»Wir sind nur Freunde«, erwiderte ich dennoch gefasst. »Da ist wirklich nichts zwischen Alex und mir und da wird auch nichts sein.«

Da war schon wieder dieses Seufzen. Ich fragte mich, ob das ansteckend war. Oma fuhr mit ihrer Hand über mein Haar und tätschelte mir die Schulter, nachdem sie sich die Hände abgetrocknet hatte.

»Ich weiß ja, dass es nicht in deiner Natur liegt. Die Sefada-Schwester kann nicht anders als auf ihren Kopf zu hören, aber du kannst auch nicht für immer dein Herz verschließen. Das Licht, das die Sefada repräsentiert, ist auch hier drin.« Sie legte ihre rechte Hand auf ihr Herz.

Diesmal musste ich mit den Augen rollen. »Meinst du nicht, dass du dieses Öffnedein-Herz-Gespräch eher mit Dhelia haben solltest? Sie ist diejenige, die niemanden an sich heranlässt und außer Alex keinen einzigen Freund hat. Im Gegensatz zu mir.«

Das Lächeln auf dem Gesicht meiner Oma gefiel mir gar nicht, es war so ein ›Ich weiß es besser‹-Lächeln.

»Alex weiß alles von Dhelia, vielleicht sogar mehr als du. Kannst du das auch über deine Freunde sagen? Weiß Alex alles von dir? Oder Sarah? Oder ein anderer deiner Freunde?«

Was sollte das? Nur weil ich nicht jedem meine Geheimnisse anvertraute, hieß das nicht, dass ich verschlossen war. Jeder Mensch hatte Geheimnisse. Meine Freundschaften waren doch nicht oberflächlich.

Meine Großmutter schien mein Schweigen allerdings als Bestätigung aufzufassen. Sie legte das Handtuch beiseite und streichelte meinen Arm. »Du solltest nicht immer so vorsichtig sein. Ab und zu muss man einfach seinem Herzen folgen und tun, was es einem sagt, ohne vorher an die Konsequenzen zu denken.«

»Genau das hat Mama gemacht.« So leise sie auch waren, ich bereute die Worte sofort. Das Letzte, was ich gewollt hatte, war, meine Oma traurig zu machen. Es war nicht ihre Schuld, dass ihre Tochter abgehauen war und uns im Stich gelassen hatte. Oma hatte alles für uns getan. Und so dankte ich es ihr. »Oma …«

»Deine Mutter war egoistisch. Schon immer. Mit den Jahren wurde sie auch noch verbittert und wollte etwas, das ihr nicht zustand. Weder Dhelia noch du seid in dieser Beziehung wie Mara. Hörst du? Keine von euch würde ihrer Familie so einfach den Rücken zukehren.«

»Tut mir leid.« Ich fühlte mich hundeelend. Oma drückte meinen Arm und küsste mich auf die Stirn.

»Gute Nacht, meine Kleine.«

»Gute Nacht, Oma.«

Mein schlechtes Gewissen plagte mich noch stundenlang, bevor es mich endlich erschöpft einschlafen ließ. Nicht einmal Sol hatte mich aufmuntern können.

Montag, 5. Januar

Ich wippte unruhig mit den Füßen auf dem Boden, während ich mit Dhelia am Küchentisch saß und auf Oma wartete.

»Kannst du das bitte sein lassen?« Dhelia wirkte leicht gereizt und ließ die Hand, auf die sie bis dahin ihren Kopf gestützt hatte, auf den Tisch fallen.

»Was ist denn mit dir los?«

»Nichts. Ich verstehe nur nicht, wieso wir das alles lernen sollen? Wir kamen die letzten 18 Jahre ohne das ganze Wissen über die Uchawi aus und leben noch. Wieso also?«

Bevor ich etwas erwidern konnte, kam Oma in die Küche und legte ein altes, in Leder gebundenes Buch auf den Tisch.

»Weil es euer Erbe ist. Eure Aufgabe. Und darüber solltet ihr so viel wie möglich wissen.« Während Oma Dhelia mit der Hand übers Haar strich, sah meine Schwester das alte Buch angewidert an und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Es reicht doch, wenn Dagny das alles weiß. Ich habe damit sowieso nichts zu tun.«

»Ihr habt beide gleich viel damit zu tun, Dhelia. Ihr seid das Gleichgewicht. Sefada und Kala. Licht und Schatten.« Oma sah von mir zu Dhelia und setzte sich mit einem kleinen Seufzen uns gegenüber an den Tisch. Ihre Hände legte sie auf das Buch, als wollte sie uns davon abhalten, es aufzuschlagen, bevor sie es uns erlaubte. Und um ehrlich zu sein, es kribbelte mir in den Fingerspitzen, es endlich in meine Finger zu bekommen und alles zu lernen, was darin stand. Einiges hatte uns Oma zwar schon über die Jahre gesagt, aber da war noch so viel, was es zu erfahren gab.

»Also, was wisst ihr über die Uchawi?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Oma zu Dhelia und bedeutete mir mit erhobener Hand mich zurückzuhalten. Mit einem Murren ließ sich Dhelia tiefer in den Stuhl sinken und sah Oma trotzig an. Doch sie kam um eine Antwort nicht herum.

»Die Uchawi sind alle magischen Wesen, die es gibt.«

»Und?«

»Oma …«

»Dhelia, bitte, du musst die Sache ernst nehmen. Du kannst nie wissen, wann du es brauchen wirst. Also?«

»Also.« Dhelia räusperte sich. »Neben unserer Welt existieren hinter irgendwelchen sogenannten Schleiern, die wohl mehr metaphorisch als wörtlich zu nehmen sind, denn ich habe noch nirgendwo überdimensionale Schleier entdecken können, zwei weitere Welten: Die magischen Welten der Uchawi. Die Uchawi unterscheiden sich in Wesen des Lichts und des Schattens. Die Wesen des Lichts werden Prakasa genannt und leben in Coti. Angeblich haben die Menschen in früheren Zeiten irgendwie von Coti Wind bekommen und daraus die diversen Varianten des Himmels, Paradieses, Nirwana und was es nicht alles gibt, abgeleitet. Der Rat der Prakasa ist das oberste Gericht und die Entscheidungszentrale aller Uchawi.« Dhelia ratterte die Informationen herunter wie ein Gedicht, das sie gezwungen war, für die Schule zu lernen. Doch Oma ließ sich davon nicht beirren. Sie nickte nur und bedeutete ihr mit der Hand fortzufahren.

»Die Paracha'i sind alle Uchawi, die zu den Schattenwesen zählen. Sie leben in Aparadha, einem wohl düsteren und höllenähnlichen Reich der Qualen und Schrecken, und man sollte sich tunlichst von ihnen fernhalten. Besonders wenn man von Geburt an böse und niederträchtig ist und den Rest seiner Art ausrotten will.«

Oma zog die Hände vom Buch zurück und neigte den Kopf zur Seite. Ihr Gespräch mit Dhelia schien wohl doch nicht so überzeugend gewesen sein. »Wer zählt zu den Paracha'i?«

Jetzt kam Dhelia doch ins Stottern. Sie runzelte für einen Moment die Stirn und hob dann abwehrend die Arme. »Ich weiß es nicht. Wozu auch? Ich sehe doch, ob ich einem Paracha'i oder einem Prakasa gegenüberstehe. Und ich habe nicht vor, mich irgendeinem von beiden zu nähern.«

Das Läuten des Telefons hielt Oma von einer Antwort ab. Mit einem langen Blick auf Dhelia stand sie auf und ging aus der Küche zum Telefon, das im Flur stand.

»Muss das sein?«, fragte ich, als Oma außer Hörweite war. »Egal, was dieses Buch auch sagt, Oma hat es bestimmt nicht verdient, dass du sie so anblaffst.«

»Du hast gut reden. Du bist ja auch das ›goldene Mädchen‹, das ›alles überstrahlende Licht‹. Lass mich einfach mit diesem Buch in Ruhe, okay.«

Ich wollte noch etwas erwidern, doch da kam Oma wieder und teilte Dhelia mit, dass sie von Alex am Telefon verlangt wurde.

»Glaubst du, sie hat ihn beauftragt anzurufen?«, fragte ich. Bevor Oma mir ihre Meinung sagen konnte, streckte Dhelia den Kopf zur Tür herein und verabschiedete sich. Sie wäre zum Abendessen wieder da und wäre nur bei Alex drüben. Oma seufzte, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel und ihre Schultern sackten zusammen.

Langsam streckte ich die Hände nach dem Buch aus. Meine Fingerspitzen fuhren über den eingeprägten Namen Ikattha, als ich Omas fragenden Blick bemerkte.

»Zu den Prakasa, den Wesen des Lichts, zählen die Heiler Karana, die Seher Dekhana und die Krieger Talavara. Wenn ein Prakasa sich vom Licht abwendet, wird er zu einem Pasanda, einem Gefallenen. Er zählt dann genauso zu den Schattenwesen Paracha'i wie die Kinder aus der Verbindung zwischen Mensch und Uchawi, die man Bacca nennt.« Zentimeter für Zentimeter zog ich das Buch näher zu mir. »Außerdem gibt es bei den Paracha'i noch unzählige Arten von Dämonen.« Ich grinste Oma an, als ich das Buch Ikattha aufschlug und über die Tinte auf der ersten Seite fuhr.

Omas Stuhl knarrte, als er über den Fußboden geschoben wurde.

»Eine Stunde, dann nehme ich es wieder an mich.«

Ich nickte eifrig und überflog das Inhaltsverzeichnis. Eine Stunde war nicht viel, also musste ich mich entscheiden, was ich sofort lesen wollte.