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Pferdespaß im Doppelpack! Sommer, Pferde und die erste Liebe für Mädchen ab 10 Jahren. Dieses eBook enthält die beiden Einzelbände "Erbschaft - Liebe inbegriffen" und "Eine filmreife Freundschaft". Was braucht man mehr zum Glücklichsein als Pferde und eine beste Freundin? Klar, dass Pina begeistert ist, als ihre Eltern ein Haus und ein Pony auf Mallorca erben! Schließlich wohnt dort auch ihre Internetfreundin Andrea. Doch die stellt Pina vor allerhand Rätsel – und dann ist da auch noch dieser tolle, süße Junge ... Reichlich verwirrt ist auch Susan: Ihre Freundin Lotta will nichts mehr von ihr wissen und ihr Schwarm Julian ahnt nicht einmal, dass sie überhaupt existiert. Zum Glück gibt es Blitz, Susans wunderschönen Araberhengst, und die Schauspielertochter Coco. Aber eines Nachts sind Coco und Blitz plötzlich verschwunden.
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Seitenzahl: 275
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Für meine Schwägerin Daniela Siegel
Erbschaft – Liebe inbegriffen
Pferdezöpfchen und Stinktiersträhnchen
Pferdeflüsterin_14: Hi Mädels! Wer hat Tipps für eine romantische Pferdefrisur? Ich möchte Flocke jeden Tag anders frisieren!
Diese Pferdeflüsterin_14 würde ich zu gerne mal kennenlernen. Im Internetforum geht es bei ihr immer nur um das Aussehen ihres Pferdes Flocke. Wie bekommt sie das Fell so richtig schön zum Glänzen? Welches Fett lässt die Hufe schimmern? Und jetzt will sie ihrem Rheinländer offenbar auch noch einen Satz Engelslocken verpassen. Der Ärmste!
Klar ist Körperpflege bei Pferden wichtig. Tante Tamara, um deren wunderschönen Wallach Fire ich mich nach der Schule immer kümmere, legt auch großen Wert darauf. Jeden Tag putze ich ihn gründlich und kontrolliere vor und nach dem Reiten seine Hufe. Und wenn Tante Tamara zu Turnieren fährt, machen wir Fire richtig schön! Dann flechten wir seine Mähne ein und am Schweif bekommt er einen eleganten spanischen Zopf. Toll sieht das aus mit dem rotbraunen Fell! So richtig edel! Aber im Alltag wird Fire mit solchem Schnickschnack in Ruhe gelassen. Die Vorstellung, dass ich ihn täglich anders frisieren würde … Ich glaube, da wäre es mit unserer Freundschaft ganz schnell vorbei.
Trotzdem nehme ich mir ein Herz und beantworte Pferdeflüsterins Frage.
„Auf jeden Fall brauchst du Mähnenspray. Du kannst es selbst herstellen. Nimm Babyöl und Birkenhaarwa…“
„Pina! Wenn du nicht sofort zum Abendessen kommst, werfe ich deine Nudeln in die Biotonne!“
O.k., das war deutlich. Pferdeflüsterin_14 muss wohl oder übel noch ein bisschen auf meine Antwort warten, sonst flippt meine Mutter in der Küche aus. Seit dem Streit heute Morgen mit meinem Vater geht sie bei jeder Kleinigkeit gleich in die Luft.
Ich klappe also eilig den Laptop zu und haste rüber in die Küche. Mama und meine ältere Schwester Hanna-Marie sitzen am Tisch und essen schweigend Spaghetti. Papa ist nirgends zu sehen. Wenn meine Eltern gestritten haben, bleibt er meistens länger im Geschäft und zu Hause herrscht bedrückende Weltuntergangsstimmung.
„Und, wie war euer Tag?“, unterbricht Mama schließlich die Stille und täuscht ein Lächeln vor. „Wie geht es Falk, Hanna-Marie? Was habt ihr heute in der Stadt unternommen?“
Falk ist der Freund meiner Schwester. Die beiden haben sich vor ein paar Monaten auf einem Punkkonzert im Jugendzentrum kennengelernt und seitdem gehen sie miteinander.
Hanna-Marie hat zwar einen altmodischen Namen, aber sie ist ein echt verrücktes Huhn. Ihre Kleidung kauft sie in „Gonzos Klamottenkiste“. Und ihre Haare schneidet eine tätowierte Frau mit Rastazöpfen, von der Mama immer sagt, dass sie sie nie bei uns zu Hause antreffen möchte. Zusammen mit Falk und seinen hochgegelten blauen Haaren bildet Hanna-Marie das neue Skandalpaar des Jahrhunderts. Zumindest hier bei uns auf dem Dorf, wo jeder jeden kennt und die Leute meine Mutter ehrfürchtig „Frau Doktor“ nennen.
„Falk ist so cool!“, schwärmt meine Schwester und saugt schmatzend eine Nudel ein. „Er hat mir bei Gonzo total witzige Schwimmflossen aus den Sixties gekauft. Im Sommer will er nämlich mit mir in den Urlaub fahren.“
Falk hätte meiner Schwester besser mal einen Taschenspiegel gekauft. Mit dem knallroten Lippenstift und den blonden und schwarzen Strähnen sieht sie aus wie Cruella aus „101Dalmatiner“. Ganz zu schweigen von dem unförmigen Knutschfleck an ihrem Hals.
Unsere Mutter knipst ihr angestrengtes Lächeln sofort wieder aus. „Erstens solltest du dir mal Tischmanieren angewöhnen, Hanna-Marie! Zweitens möchte ich, dass du ein Halstuch anziehst, wenn du das Haus verlässt. Und drittens haben Papa und ich auch noch ein Wörtchen bei deinen Ferienplänen mitzureden. Du bist gerade mal 15 und machst ganz sicher nicht mit Falk alleine Urlaub!“
Oje, die ist aber wirklich schlecht gelaunt!
„Wo ist Papa überhaupt?“, fragt Hanna-Marie und schiebt beleidigt ihren Teller zur Seite. Von dem Streit heute Morgen hat sie nichts mitbekommen. Der Bus zur Berufsschule fährt eine halbe Stunde früher als meiner und so bin ich die Einzige, die mitanhören musste, was sich unsere Eltern an den Kopf geworfen haben.
Anlass war, dass Papa vergessen hat, das kaputte Autoradio zu reklamieren, und jetzt ist die Garantie abgelaufen. Vom Autoradio kamen sie nahtlos auf Papas viele Überstunden und irgendwann haben sich meine Eltern nur noch angeschrien.
„Papa kann meinetwegen im Studio übernachten!“, sagt Mama und steht ruckartig auf. Ihr Gesicht ist verschlossen, die Lippen bilden einen schmalen Strich.
„Darf ich mich noch mit Falk im Jugendzentrum treffen?“, fragt Hanna-Marie.
Mama seufzt und nickt. „Aber wehe, du rauchst! Und um neun bist du spätestens wieder zu Hause!“
„Danke!“ Hanna-Marie strahlt. „Dafür darfst du auch auf unsere Hochzeit kommen! Sobald wir 18 sind, wollen Falk und ich heiraten.“
„Hochzeit? Da kann ich dir nur raten, dir schon mal einen guten Scheidungsanwalt zu suchen!“, murmelt Mama und räumt ihren Teller in die Spülmaschine.
Das soll wohl ein Witz sein, aber weder Hanna-Marie noch ich finden ihn lustig. Das Thema Scheidung steht bei uns ständig im Raum. Unsere Eltern sind die Weltmeister im Dauerzoff und vor vier Jahren ist unser Papa schon einmal ausgezogen. Zum Glück haben die beiden sich nach zwei Wochen wieder versöhnt.
Dann verschwindet Mama im Bad und meine hibbelige Punk-Schwester stürmt in ihr Zimmer, um Falk per Handy Bescheid zu geben. Ich bleibe allein vor meinem Teller Spaghetti zurück. Wie mein Tag war, interessiert mal wieder keinen. Schwimmflossen hat mir auch niemand geschenkt. Und wenn ich an meinen Papa denke, der immer noch im Fotostudio steht, möchte ich am liebsten heulen.
Meine Antwort für Pferdeflüsterin_14 ist viel länger geworden als geplant. Ich füge auch noch ein paar Links ein. Im Internet findet man wunderschöne Pferdefrisuren. Eigentlich hätte ich nun auch Lust, Fires feuerrote Mähne mal wieder toll zu frisieren. Und dabei habe ich mich eben noch über die oberflächliche Pferdeflüsterin lustig gemacht!
Ich stöbere weiter im Forum. Die Internetseite für Pferdefreundinnen hat mir Emmi aus meiner Klasse gezeigt. Und seitdem bin ich danach süchtig! Hier kann ich mich mit anderen Mädchen über das Reiten austauschen. Es gibt ständig neue Informationen, Rätsel und Buchempfehlungen. Im Chat geht es gerade um Weltrekorde und ich sehe, dass Andrea einen neuen Beitrag eingestellt hat. „Habe im TV einen Bericht über das größte Pferd der Welt gesehen!“, schreibt sie. „Der Wallach Sampson. 2,19Meter Stockmaß! Gigantisch, oder?“
Ich verlasse das Forum und öffne mein E-Mail-Programm. „Hi Andrea!“, hämmere ich in die Tasten. „Du hast dich ja ewig nicht mehr gemeldet! Treffen wir uns gleich noch im Chat?“
Andrea und ich haben uns vor einigen Wochen im Forum für Pferdefreundinnen kennengelernt. Seitdem ist sie meine allerwichtigste Vertraute. Ich weiß, das klingt seltsam, weil wir uns noch nie in echt begegnet sind. Aber wir haben uns inzwischen so oft gemailt und so viel anvertraut, dass Andrea aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken ist.
Andrea und ich haben total viele Gemeinsamkeiten. Und trotzdem sieht ihr Alltag völlig anders aus als meiner. Vor zwei Jahren ist sie mit ihrer Familie von München nach Mallorca gezogen. Ihre Eltern haben dort einen Reiterhof gekauft und jetzt lebt Andrea umgeben von Pferden mitten auf einer Ferieninsel! Die Glückliche! Andrea ist noch viel besessener von Pferden als ich. Und ein wandelndes Pferdelexikon – sie weiß einfach alles über die Tiere. Hübsch ist sie auch und sie sieht viel älter aus als 14. Mit langen dunklen Haaren und wunderschönen braunen Augen. Klar, ihr Vater ist Italiener – und das sieht man ihr auch an. Andrea ist ganz anders als die anderen Mädchen in meinem Alter. Bei denen geht es ständig nur um Jungs, Kosmetik und die angesagtesten Klamotten. Blöderweise interessiert mich das alles nicht. Mein Lebensinhalt sind und bleiben die Pferde.
„Wir hatten zwei Tage keinen Strom!“, berichtet Andrea mir kurz darauf im Chat. „Das passiert auf Mallorca leider öfter.“
Die Vorstellung, ich könnte zwei Tage lang nicht ins Pferdeforum, ist für mich fürchterlich.
„Meine Eltern haben sich schon wieder gestritten!“, schreibe ich zurück. „Diesmal ging es um ein kaputtes Radio. Meine Mutter hat geheult und mein Vater ist immer noch nicht von der Arbeit zurück. Keine Ahnung, ob sie sich wieder versöhnen.“
Andrea schickt mir ein trauriges Smiley von der Insel herüber. Ach, wie schön es wäre, wenn sie jetzt hier wäre! Wir könnten uns in meine gemütliche Sofaecke verziehen und ganz in Ruhe über alles quatschen.
Hanna-Marie steckt den Kopf durch die Tür. Ihre Stinktierfrisur hat sie mit viel Wachs nach oben geklebt. Vielleicht sollte Pferdefreundin_14 sich davon mal inspirieren lassen. „Ich gehe!“, sagt sie und nickt mir zu. „Mama hat sich schon hingelegt. Um zehn bin ich wieder zu Hause!“
Ich richte mich vor dem Familien-Laptop auf. Das hat mir noch gefehlt, dass meine neugierige Schwester liest, was ich Andrea schreibe!
Schlagartig hat es Hanna-Marie doch nicht mehr so eilig. Sie macht einen Schritt in mein Zimmer herein. „Wieso hängst du nicht endlich diese kindischen Poster ab?“, fragt sie kopfschüttelnd und zeigt an die Wand mit den Pony- und Pferdebildern. Dann fällt ihr Blick auf das Foto auf meinem Nachttisch und sie verzieht das Gesicht. „Krass kitschig!“, lästert sie und macht quietschende Kussgeräusche.
„Das ist mein Zimmer!“, erinnere ich sie.
„Klar!“ Hanna-Marie zuckt mit den Schultern. „Aber irgendwie finde ich es komisch, dass du Tag und Nacht in diesem Pferdeforum verbringst. Es gibt doch noch andere Dinge im Leben!“
„Momentan schreibe ich meiner Freundin Andrea!“, sage ich verletzt. „Und einiges an dir ist übrigens auch komisch.“
Ich mische mich schließlich auch nicht in Hanna-Maries Angelegenheiten ein! Die Wahrheit ist nämlich, ich finde ihren Falk ungefähr genauso langweilig wie sie meine Poster. Und das Foto von Fire auf meinem Nachttisch ist mein größter Schatz. Tante Tamara hat es mir zum Geburtstag geschenkt. Der herzförmige Bilderrahmen hat bestimmt ein Vermögen gekostet.
Hanna-Marie verlässt endlich mein Zimmer und ich wende mich wieder meiner Freundin Andrea zu.
„Meine Schwester ist einfach in mein Zimmer gepoltert und hat sich über meine Pferdeposter lustig gemacht. Echt NERVIG!“
„Wem sagst du das?“, antwortet Andrea prompt. „Meine ist ja auch nicht viel besser! Ich habe dir doch gemailt, dass sie all meine Pferdezeitschriften auf dem Flohmarkt verkauft hat! Meine Schwester hasst Pferde. Und dabei leben wir auf einem Reiterhof!!! :-)“
Ein weiterer Punkt, in dem wir uns prima verstehen. Wir haben beide total anstrengende Schwestern. Und zum Glück findet auch Andrea Jungs doof! Zumindest hat sie nicht widersprochen, als ich ihr zu Beginn unserer Freundschaft eine Liste geschickt habe mit allen Nachteilen, die Jungs so haben.
Mit Jungs kann man sich überhaupt nicht unterhalten.
Jungs haben keinen Sinn für Romantik.
Jungs verstehen es nicht, wenn man Pferde liebt.
Und so weiter.
Die Liste habe ich im Matheunterricht mit Emmi erstellt und sie umfasst vierundvierzig überzeugende Punkte.
„Soll ich dir die Fotos vom Springturnier mailen?“, frage ich Andrea. Tante Tamara hat am Wochenende mit Fire den dritten Platz belegt und Papa hat ganz viele Fotos davon geschossen.
„Klar!“, meldet sich Andrea sofort zurück. „Ich will deinen wunderbaren Fire gewinnen sehen!“
Ein Pferd zum Ausheulen
Sabi_11: Hilfe! Das Fohlen unserer Schimmelstute ist ganz dunkel!!! Dabei habe ich fest mit einem weißen Pferdchen gerechnet!
Sabi_11 braucht dringend Nachhilfe in Sachen Pferde. Jedes Kind weiß doch, dass alle Schimmel dunkel auf die Welt kommen und dann im Lauf der Zeit immer helleres Fell kriegen.
Ich tippe die frohe Botschaft in den Computer. Ungemütlich ist das, so versteckt unter der Decke. Aber wenn Mama und Papa merken, dass ich mitten in der Nacht noch im Forum bin, darf ich den Computer bestimmt nur noch in Ausnahmefällen benutzen.
Meine Tür ist angelehnt, damit ich hören kann, wenn Mama oder Papa aus der Küche kommen. Es ist halb zwölf in der Nacht und die zwei führen mal wieder Krisengespräche.
Obwohl sie versuchen, leise zu reden, bekomme ich fast jedes Wort mit.
„Dein Job kommt doch immer an erster Stelle!“, höre ich den Vorwurf von Mama.
„Und du lässt dir immer die Wochenendschichten geben!“, verteidigt sich Papa. „Dabei sind das meine einzigen zwei freien Tage!“
Mama gibt einen verächtlichen Laut von sich. „Ich kann auch nichts dafür, wenn der Kollege auf Fortbildung ist, oder?“
Papa arbeitet in einem Fotostudio. Mama ist Ärztin im Krankenhaus. Die zwei arbeiten echt ziemlich viel – das ist ein uraltes Streitthema zwischen den beiden.
„Manchmal frage ich mich, ob wir nicht vor vier Jahren die Scheidung hätten durchziehen sollen!“, höre ich Mama sagen.
Papa schweigt. Dann antwortet er müde: „Du hast recht. Vielleicht sollten wir darüber noch mal ernsthaft reden.“
Mein Herz bleibt stehen. Auch wenn ich die Zänkereien zwischen den beiden gewohnt bin, kriege ich jetzt doch einen Schreck. Ganz viele Kinder in meiner Klasse haben geschiedene Eltern und sehen ihren Vater nur noch ab und zu. Ich finde die Vorstellung schrecklich, Papa nicht mehr zu Hause zu haben. Meinen Papa, der so wunderschöne Fotos macht. Der chinesisch und indisch kochen kann. Der mit mir am Wochenende Filme guckt und Mama besänftigt, wenn sie wegen Hanna-Maries Outfit an die Decke geht.
Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen. Diesmal scheint es wirklich ernst zu sein. Verstört klappe ich den Laptop zu. Eine andere Pferdefreundin wird Sabi über ihren schwarzen Schimmel aufklären müssen. In Windeseile schlüpfe ich in meinen Jogginganzug, schnappe mir meine Turnschuhe und klettere durch das Fenster in den Garten hinaus. Wenn meine Eltern meine Abwesenheit bemerken, gibt es ein Donnerwetter, so viel steht fest. Mitten in der Nacht draußen herumzustreunen, dafür haben die beiden überhaupt kein Verständnis. Allerdings streune ich auch nicht herum, sondern laufe nur rasch rüber in den Stall zu Fire. Tante Tamara, Mamas Schwester, wohnt glücklicherweise genau gegenüber.
Für mich ist das natürlich prima. Denn so kann ich Fire zu jeder Tages- und Nachtzeit besuchen!
Ich husche über die nächtliche Straße. Um diese Zeit ist kein Mensch mehr im Dorf unterwegs. Dann schleiche ich mich über den Hof, vorbei an Tante Tamaras Schlafzimmer, und stehle mich in den Stall zu Fire. Als ich das Licht anknipse, schnaubt Fire erfreut und kommt zu mir rübergetrottet.
„Ach, Fire!“ Ich lege meinen Kopf an seine Flanke.
Schon immer bin ich hierhergekommen, wenn ich nicht weiterwusste. Fire kennt so ziemlich alle Sorgen von mir. Bei ihm habe ich mich ausgeheult, als meine beste Freundin weggezogen ist. Ihm habe ich anvertraut, wie es mich verletzt hat, als meine Mathelehrerin vor der versammelten Klasse gesagt hat, ich wäre ein hoffnungsloser Fall. Und Fire weiß auch, wie sehr ich darunter leide, wenn meine Eltern sich streiten.
„Menschen sind schrecklich kompliziert!“, schluchze ich und vergrabe mein Gesicht in seinem Fell. „Sie streiten sich ständig und verstehen einander einfach nicht. Warum können meine Eltern sich nicht endlich versöhnen?“
Mitleidig dreht sich Fire zu mir und stupst mich mit seinen Nüstern an. Meine Heulanfälle ist er gewohnt, geduldig steht er da und bewegt sich nicht von der Stelle. Seine treuen Augen ruhen sanft auf mir. Ist doch alles halb so wild!, scheinen sie zu sagen.
„Pina, wir haben doch schon tausendmal darüber gesprochen!“ Auf einmal erscheint Tante Tamara in der offenen Tür. Vermutlich hat sie mich gehört – im Schlafanzug und mit verstrubbelten Haaren steht sie vor mir.
„Du kannst Fire doch morgen nach der Schule besuchen!“, ermahnt sie mich. „Wenn deine Eltern entdecken, dass du nicht im Bett bist, bekommst du Ärger! Und ich obendrein!“
Erst jetzt bemerkt sie mein verheultes Gesicht. „Pina, was ist denn los?“ Sie unterbricht ihre Standpauke und nimmt mich erschrocken in den Arm. Eine ganze Weile drückt sie mich an sich.
„Haben sich deine Eltern schon wieder gestritten?“, fragt sie und trifft damit den Nagel auf den Kopf. „Oder hast du etwa deinen ersten Liebeskummer?“
Ich höre auf zu heulen und löse mich aus ihrer Umarmung. Ich und Liebeskummer – wie kommt sie denn darauf? Ich werde mich garantiert niemals verlieben! Zuerst kauft man sich Schwimmflossen und will miteinander in den Urlaub fahren … und im nächsten Moment schreit man sich wegen einem kaputten Autoradio an!
„Mama und Papa wollen sich scheiden lassen!“, schniefe ich. Tante Tamara sieht mich mitleidig an. „Ach, Pina. Vielleicht wäre das sogar das Beste. Ist doch auch nicht schön, wenn die beiden immer nur streiten.“
Meine Eltern streiten wirklich immer. Das fing schon an, als Hanna-Marie geboren wurde. Mama wollte unbedingt, dass ihr erstes Kind den Namen ihrer Großmutter Hanna trägt. Papa bestand auf dem Namen seiner Oma Marie. Schließlich haben sie sich auf einen Kompromiss geeinigt und deshalb rennt meine Schwester mit diesem unpassenden Doppelnamen herum.
Als ich dann kam, war die Sache noch komplizierter. Diesmal wollte Mama nämlich, dass ich Nina heiße – wie ihre Freundin von früher. Papa aber verlangte, dass ich Pia genannt würde, wie eine berühmte Fotografin aus seinem Lieblingsbildband.
Nach endlosen Diskussionen hat Tante Tamara schließlich geschlichtet. Sie hat entschieden, dass ich Pina heißen soll. Eine Mischung aus Pia und Nina. Damit war der Streit vom Tisch und meine Eltern zufrieden. Und ich muss seitdem ständig erklären, woher mein ungewöhnlicher Name stammt.
„Aber die beiden streiten sich doch schon ganze 15Jahre lang!“, schniefe ich. „Da kommt es auf die nächsten 15Jahre auch nicht mehr an!“
„Da hast du auch wieder recht!“, sagt Tante Tamara lachend. Komischerweise muss ich nun auch grinsen. Lachen steckt einfach an!
Fire schnaubt zufrieden. Dass es mir wieder gut geht scheint ihn zu erleichtern.
Ich küsse Fires Kopf und streichle ihm vorsichtig durch seine rote Mähne. „Darf ich Fire diese Woche mal richtig frisieren?“, frage ich Tante Tamara. Tante Tamara sieht mich erstaunt an. „Wie kommst du denn mitten in der Nacht ausgerechnet darauf?“
„Ach, nur so!“, murmle ich. „Ich habe heute den ganzen Tag über Pferdefrisuren nachgedacht!“
Tante Tamara nickt. „Apropos: Mit ihrem neuen Haarschnitt sieht deine Schwester aus …“
„… wie ein Stinktier!“, beende ich den Satz.
„Wie Kelly Osbourne, wollte ich sagen!“, protestiert Tante Tamara und löscht das Licht.
Wir beide grinsen uns verschwörerisch an. Sie umarmt mich ein letztes Mal, schließt die Tür des Pferdestalls und dann schleiche ich mich eiligst wieder nach drüben.
Ausgerechnet Mallorca!
Ponyfan_13: Gibt es eigentlich noch Pferde, die wild leben? Hat jemand einen Idee, wo man solche wilden Pferde beobachten kann???
Für Ponyfan_13 habe ich momentan leider keine Zeit. Es ist Samstag, mein nächtlicher Ausflug zu Fire ist drei Tage her und wir sitzen mit unseren Eltern am gedeckten Kaffeetisch.
„Wenn ich nicht bald losgehe, fängt das Tischfußball-Turnier ohne mich an!“, meckert Hanna-Marie und stochert lustlos in ihrem Kuchen.
„Wir haben aber was Wichtiges zu besprechen!“, sagt Papa ernst und legt seine Hand auf die meiner Schwester. Hanna-Marie hat ihre Nägel schwarz lackiert, außerdem trägt sie am Mittelfinger einen rosaroten Totenkopf-Ring aus Plastik.
Mama rutscht ungemütlich auf ihrem Stuhl hin und her. Ich wäre am liebsten drüben bei Fire. Das Treffen hier findet ganz offiziell statt. Mama und Papa haben uns dazu eingeladen.
„Ihr könnt euch doch erinnern, als Papa vor vier Jahren ausgezogen ist?“, eröffnet Mama die Sitzung.
Mein Herz rutscht eine Etage tiefer. Darum geht es also. Eigentlich hätte ich es mir denken können.
„Musst du so mit der Tür ins Haus fallen?“, fragt Papa vorwurfsvoll und die beiden sind schon wieder kurz vor dem Streiten.
„Es bringt ja nichts, um den heißen Brei herumzureden!“, erwidert Mama schroff. „Papa und ich wollen uns scheiden lassen.“
Beklommen starrt Papa auf seinen Teller und Mama reibt an ihrem Auge herum, als wäre ihr eine kleine Mücke hineingeflogen.
Hanna-Marie zieht überrascht ihre Hand unter der von Papa hervor. Ich setze meine Tasse ab und blicke in die Runde. Eigentlich war ich ja vorbereitet. Aber jetzt hat Mama es ausgesprochen und aus einer Drohung wird plötzlich ernst.
„Ihr spinnt!“, sagt Hanna-Marie. „Geht ins Kino und versöhnt euch wieder!“
So macht sie das mit Falk immer. In den vier Monaten, die sie zusammen sind, haben sie sich schon zweimal getrennt. Aber jedes Mal sind sie wieder zusammengekommen.
„Wir glauben einfach, dass es das Beste ist!“, sagt Mama leise.
„Das Beste für euch oder für uns?“, frage ich. Verlegen wechseln Mama und Papa einen Blick, keiner weiß eine Antwort.
An der Tür klingelt es und erleichtert steht Mama auf. Das Krisengespräch scheint ihr nicht wirklich zu gefallen. Sie verschwindet im Flur und quatscht dort ewig lange mit unserer Postbotin.
Danach verzieht sie sich ins Arbeitszimmer im ersten Stock und schließlich hören wir sie telefonieren. Wenn irgendwas ist, ruft sie immer Tante Tamara an. Dabei wohnt die doch genau gegenüber!
Als Mama nach einer Viertelstunde zu uns zurück in die Küche kommt, ist sie sonderbar blass um die Nase.
„Wir müssen das Gespräch vertagen!“, sagt sie und faltet einen Brief in ihren Händen.
„Ist was passiert, Schatz?“, Papa erhebt sich. Er sieht besorgt aus.
„Kannst du dich an Lilo Vamosa erinnern?“
Was für eine Frage! Die alte Frau Vamosa hat vor sieben Jahren wochenlang in unserem Gästezimmer gewohnt. Eine Malerin, die wegen einer komplizierten Operation bei meiner Mutter in Behandlung war. In der Zeit starb ihr Mann, und weil Lilo Vamosa Streit mit ihrer Verwandtschaft hatte, haben meine Eltern vorübergehend für sie gesorgt. Mein Papa hat mit Lilo Vamosa zusammen einen Fotobildband mit ihren Bildern gemacht. Nach vier Wochen ist sie dann wieder ausgezogen. Und wir haben nie mehr was von ihr gehört.
„Was ist mit ihr? Die muss inzwischen ja … 85 sein!“, rechnet Papa im Kopf aus. „Will sie uns besuchen?“
„Sie ist gestorben!“, sagt Mama leise und starrt auf den Brief in ihrer Hand. „Du weißt doch, dass sie recht erfolgreich war. Ihre Bilder hängen in vielen Museen.“
„Hat sie uns etwa eines ihrer Bilder vererbt?“, fragt Papa verwirrt und sein Blick wandert zu dem geknickten Kuvert hinunter.
Mama schüttelt verwirrt den Kopf. „Nein. Aber ihr Ferienhaus auf Mallorca!“
Ich muss ganz dringend mit Andrea chatten. Zum Glück ist sie ebenfalls im Forum und wenige Minuten nachdem ich sie aufgestöbert habe, schreiben wir uns.
Ich bin ganz atemlos, meine Gedanken rasen. Eben noch wollten meine Eltern sich scheiden lassen. Und jetzt ist davon nicht mehr die Rede, sondern sie sitzen im Wohnzimmer und unterhalten sich über unser Haus auf Mallorca.
Unser Haus auf Mallorca. Wie das klingt!
Lilo Vamosa hat meinen Eltern tatsächlich ihr kleines Ferienhaus auf Mallorca vermacht. Komplett eingerichtet und sogar mit Garten. Alle anderen Sachen, ihr Haus in London und das Geld, das sie angespart hat, haben ihre Nichten und Neffen gekriegt. Aber ihr Lieblings-Rückzugsort, der ging an meine Eltern! Zumindest steht das in dem persönlichen Brief, den Mama zusammen mit dem amtlichen Schreiben bekommen hat.
Lilo Vamosa hat sich damals richtig wohlgefühlt bei uns. Obwohl ich zu der Zeit noch recht klein war, kann ich mich genau erinnern. „Deine Familie ist ein Glücksfall für mich!“, hat sie zu mir gesagt. Und dann saß ich stundenlang draußen in der Hängematte und sie durfte mich malen.
Das Bild von mir hat sie leider mitgenommen und bis auf eine Postkarte aus London haben wir nie mehr was von ihr gehört. Aber gut, sie ist Künstlerin. Und mein Papa sagt immer, Künstler sind von Natur aus komisch.
„Stell dir vor, meine Eltern haben ein Haus auf Mallorca geerbt!!!“, schreibe ich Andrea die unglaubliche Nachricht.
Es dauert ganze zehn Minuten, bis eine Antwort kommt. Seltsam. Bei so einer Neuigkeit hätte ich schwören können, dass sich Andrea noch in der gleichen Sekunde meldet.
„Wie bitte???“, schreibt sie verblüfft. „Wo genau? Du hast mir nie erzählt, dass ihr Verwandtschaft auf der Insel habt!“
Ich erkläre ihr in wenigen Worten die Geschichte mit Lilo Vamosa. Dann rase ich ins Wohnzimmer, wo Mama und Papa bei einem Glas Sekt zusammensitzen und in ihrem Weltatlas blättern.
„Wo ist denn unser neues Haus genau?“, frage ich aufgeregt. Vielleicht ist es ja in Andreas Nähe! Komischerweise wirken meine Eltern überhaupt nicht glücklich.
„Santa Maria del Cami!“, murmelt Mama und trinkt einen winzigen Schluck Sekt. An der Haustür ist ein klickendes Geräusch zu hören und Tante Tamara stürzt ins Zimmer. Für Notfälle hat sie einen eigenen Schlüssel und heute scheint so ein Notfall zu sein.
„Das gibt’s nicht!“, jubelt sie atemlos und knutscht zuerst Mama und dann Papa ab. „Ihr habt ein Ferienhaus gewonnen! Herzlichen Glückwunsch!“
„Nicht gewonnen, sondern geerbt!“, verbessert Papa.
Tante Tamara schnappt sich ebenfalls ein Glas und schenkt sich großzügig ein.
„Jetzt freut euch doch! Ihr seht ja aus wie zehn Tage Regenwetter!“, schimpft sie, als niemand Anstalten macht, mit ihr anzustoßen.
„Das Erbe kommt zu einem recht ungünstigen Zeitpunkt!“, sagt Mama leise. „Eben haben wir mit den Kindern über die Scheidung gesprochen.“
Tante Tamara stellt ihr Glas wieder ab. „So ein Unsinn!“, sagt sie. „Ihr packt eure zwei reizenden Töchter ein und dann düst ihr ab in den Süden. Macht zwei Wochen Ferien. An Ostern ist es in Palma wunderschön!“
„Ich bin nicht reizend!“, tönt es aus Hanna-Maries Zimmer. Das Kickerturnier ist offenbar vergessen. Sie hängt am Handy und telefoniert mit ihrer besten Freundin, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen.
„Mallorca ist nichts für uns!“, sagt Mama und trinkt ihren Sekt aus. „Laute Discos, billiger Wein aus Kübeln und Bettenburgen überall. Nein danke!“
Papa nickt. „Wir haben so wenig Freizeit. Da werden wir die Osterferien bestimmt nicht auf einer Partyinsel verbringen.“
Traurig blicke ich meine Eltern an. „Aber anschauen können wir uns das Häuschen doch mal!“, protestiere ich. „Außerdem lerne ich dann endlich Andrea kennen.“
„Was heißt hier endlich kennenlernen? Ich dachte, du hast sie bei Emmi getroffen?“ Meine Mutter sieht mich misstrauisch an, ihre Hand liegt immer noch auf der Karte von Mallorca.
Ich werde knallrot. Mama hat mir strikt verboten, meine E-Mail-Adresse und meinen echten Namen im Pferdeforum zu nennen. Sie hat Angst vor irgendwelchen Spinnern, die sich im Internet tummeln. Aber weil Andrea und ich uns so gut verstanden haben, habe ich mich über das Verbot hinweggesetzt. Andrea hat mir dann auch irgendwann ein Foto von sich geschickt, es ist also alles in bester Ordnung. Meinen Eltern habe ich aber eine Lüge aufgetischt. Und behauptet, ich wäre Andrea bei der Geburtstagsfeier von Emmi begegnet.
„Ich meine …“, stammle ich und verknote die Hände ineinander. „Ich meine doch, dass ich dann ihr Zuhause endlich kennenlerne. Den Reiterhof. Ihre ältere Schwester! Ihr Pferd Rubio!“
Mama schenkt sich noch ein Glas Sekt nach. Seufzend starrt sie in den aufgeschlagenen Atlas.
„Anschauen sollten wir es uns aber wirklich!“, unterstützt mich Papa. „Bestimmt sind Bilder von Lilo Vamosa im Haus, die wir mit nach Deutschland nehmen können. Vielleicht finden wir vor Ort einen Makler, der die Finca für uns verkauft. Wegen der Scheidung können wir das Geld gut gebrauchen.“
Meinen Eltern ist nicht zu helfen. Da schenkt man ihnen ein Ferienhaus – und schon denken sie daran, es gleich wieder zu verkaufen.
„O.k!“, sagt Mama. „Wir haben ja noch nie was geerbt. Und eigentlich bin ich recht neugierig, wie Lilo Vamosa dort gewohnt hat. Sie war ja eine solch außergewöhnliche Frau.“
Ein Stein fällt mir vom Herzen. Wir reisen also nach Mallorca. Gemeinsam. Und wenn ich Glück habe, kann ich bei der Gelegenheit sogar Andrea sehen!
Ich rase zurück zum Computer. „Santa Maria del Cami“, hämmere ich in die Tasten. Toll hört sich das an. Ganz anders als Zwieselbach, das Dorf, in dem wir leben. Santa Maria del Cami … das klingt nach Sonne, Tapas und Ferienzeit.
Es dauert wieder ganze zehn Minuten, bis Andrea sich endlich meldet.
„Wir wohnen nur fünf Kilometer weiter in Alaro, einem Nachbardorf von Santa Maria – verrückt!“, schreibt sie. Komischerweise ohne Smiley. Als ich das lese, flippe ich beinahe aus.
„Das kann nicht wahr sein!!!!“ Am liebsten würde ich sofort meine Koffer packen. „In nur einer Woche reisen wir an. In den Osterferien. Du kannst meine ganze Familie kennenlernen. Ist das nicht super?!“
Diesmal dauert es fast zwanzig Minuten, bis Andrea sich meldet.
Keine Ahnung, was bei der heute los ist. Irgendwie scheint sie jedenfalls überhaupt nicht gut drauf zu sein.
In der Zwischenzeit tippe ich endlich doch noch eine Antwort für Ponyfan_13. „Es gibt noch einige wild lebende Pferde auf der Welt. Zum Beispiel in Australien (die Brumbys) oder in England (z.B. New-Forest-Ponys). In Frankreich gibt es die wild lebenden Camargue-Pferde. He, sogar in Deutschland …“
Noch während ich antworte, meldet sich mein E-Mail-Postfach. Eine Nachricht von Andrea ist eingetroffen.
„Bin total SAUER!!!“, schreibt sie und es folgen vier heulende Smileys. „Ausgerechnet in den Osterferien sind wir nicht da. Ich besuche mit meiner ganzen Familie meine Oma in Deutschland!“
Paradies mit Pferdekoppel
Snoopy_10: Was genau macht eigentlich ein Pferdeflüsterer? Und wo kann man das lernen?
„Die Schwimmflossen brauchst du höchstwahrscheinlich nicht!“, sagt Mama zu Hanna-Marie. „Ich glaube kaum, dass man zu dieser Jahreszeit auf Mallorca schon schwimmen kann. Außerdem ist unser Haus im Landesinneren.“
Hanna-Marie zieht ein Gesicht. „Aber wir machen doch mal einen Ausflug an den Strand, oder, Papa?“
„Klar …“ Papa schiebt den großen Koffer durch den Flur und Falk hüpft beiseite. Er ist gekommen, um sich von Hanna-Marie zu verabschieden. Die beiden sehen schrecklich traurig aus.
„Ich vermisse dich jetzt schon, Skunky!“, raunt Falk, als meine Eltern mit den Koffern in Richtung Taxi verschwinden. „Außerdem bin ich eifersüchtig. Wehe, du lernst einen Typen kennen. Dann flippe ich aus und verabrede mich mit Anke.“
Anke ist die größte Konkurrentin von Hanna-Marie. Eigentlich war nämlich sie in Falk verknallt und hat sich mächtig an ihn rangeschmissen. Dann aber hat meine Schwester ihr Falk vor der Nase weggeschnappt.
„Auf Mallorca gibt es bestimmt keine Punker!“, beruhigt ihn Hanna-Marie. „Außerdem weißt du doch, dass ich viel lieber mit dir wegfahren würde! Aber meine Eltern lassen mich nicht!“ Und dann knutschen die beiden einfach im Flur herum. Ich stehe etwas verloren zwischen den Koffern.
Jemand räuspert sich und die beiden Turteltauben hören endlich auf mit ihrem Theater. Tante Tamara ist noch mal rübergekommen.
„Ich bin so gespannt, was ihr alles zu erzählen habt, Kinder!“ Sie steckt erst mir, dann meiner Schwester einen Schein zu. „Hier, für euch. Ein bisschen Taschengeld für den Urlaub!“
„Schickst du mir eine SMS, wie das Springturnier am Sonntag gelaufen ist?“, frage ich. An Fire will ich im Moment überhaupt nicht denken. Die Vorstellung, ihn ganze zwei Wochen nicht zu sehen, ist fürchterlich. Das Foto im Herzrahmen habe ich eingesteckt. Ohne ein Andenken an ihn würde ich niemals verreisen.
„Sobald das Turnier vorbei ist, schreibe ich dir!“, verspricht Tante Tamara. „Und sei nicht traurig wegen deiner Freundin Andrea. Du kannst ja trotzdem auf ihrem Reiterhof vorbeischauen. Und dir ihr Pferd ansehen. Ich glaube nicht, dass sie ihren Rubio mit nach Deutschland zur Oma nimmt. Oder?“
Tante Tamara hat recht. Auf die Idee bin ich noch überhaupt nicht gekommen! Seit Andrea mir eröffnet hat, dass sie während der Osterferien gar nicht auf der Insel sein wird, ist meine Lust auf die Reise schlagartig verflogen. Normalerweise fahre ich immer gerne in Urlaub. Aber doch nicht, wenn meine Eltern dort ihre Scheidungspläne diskutieren, meine Schwester viel lieber mit ihrem Freund verreisen will und das Pferd meiner Tante am Sonntag ein wichtiges Turnier hat, bei dem ich unbedingt dabei sein wollte.
Irgendwie habe ich es fast bereut, dass ich meine Eltern überredet habe, das geerbte Haus zu besuchen.
Aber Tante Tamaras Vorschlag weckt nun doch mein Reisefieber. Es spricht ja überhaupt nichts dagegen, dass ich mich mal auf Andreas Pferdehof im Nachbardorf umsehe. Vielleicht darf ich sogar auf ihrem Rubio reiten, während sie selbst im kalten Deutschland ist. Mich ärgert, dass ich nicht viel früher auf die Idee gekommen bin. Gleich, wenn wir auf Mallorca angekommen sind, werde ich ihr mailen.
Mama und Papa haben sich darüber gestritten, ob der Computer mit auf die Reise darf. Papa hat Angst, dass während seiner Abwesenheit wichtige Kundenanfragen per E-Mail kommen. Mama war der Meinung, dass ein Urlaub mit Computer im Gepäck kein richtiger Urlaub ist. Nach langen Diskussionen haben sie eine Münze geworfen.
Kopf bedeutete, der Computer darf mit. Zahl bedeutete, der Computer bleibt zu Hause.
Jetzt steht die Laptoptasche gepackt neben meinem Koffer und ich bin erleichtert, dass ich auch im Urlaub nicht auf mein Pferdeforum verzichten muss.
Draußen hupt das Taxi. Tante Tamara schnappt sich meine Tasche. „Los, sonst fahren eure Eltern noch ohne euch ab. Ach, ich wünschte, ich könnte euch begleiten.“
„Und ich erst!“, jammert Falk und macht meiner Schwester absichtlich einen Knutschfleck auf den Arm. Er weiß, dass unsere Mutter das hasst, deshalb macht er es extra. „Wenn ich an die Zeit ohne dich denke, möchte ich am liebsten sterben, Skunky!“
Skunky. Sonderbarer Spitzname. Keine Ahnung, was Falk damit meint. Aber was will man von einem blauhaarigen Jungen mit Knutschfleck-Zwang auch Normales erwarten?
Als ich es mir im Flugzeug bequem mache, fällt mir Snoopy aus dem Pferdeforum wieder ein. Ich habe ganz vergessen, auf ihre Frage zu antworten. Auf dem Flugzeug-Fernseher wird nämlich ausgerechnet „Der Pferdeflüsterer“ gezeigt. Habe ich geheult, als ich den zum ersten Mal auf DVD gesehen habe! Meine Schwester Hanna-Marie kann damit natürlich nichts anfangen. Obwohl es im Flugzeug verboten ist, schickt sie gerade die bestimmt siebte SMS an ihren Falki.
Vor uns sitzen Mama und Papa. Sie scheinen ganz guter Laune zu sein, denn sie unterhalten sich leise und lachen.
Mallorca … Der Flieger ist voller Urlaubstouristen. Eine ganze Gruppe junger Frauen ist dabei, die alle die gleichen Klamotten tragen. Das gleiche Glitzer-T-Shirt, den gleichen Jeansrock von Levis, die gleichen silbernen Stöckelschuhe. Sogar die Schminke ist gleich, irgendwie witzig.
„Langweilige Weiber!“, sagt Hanna-Marie, als sie meine neugierigen Blicke nach hinten bemerkt. „Die bräuchten dringend mal eine Typberatung.“