Trump: Der undenkbare Präsident - Joel Pollak - E-Book

Trump: Der undenkbare Präsident E-Book

Joel Pollak

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Beschreibung

Vom Moment seiner Kandidatur bis spät in die Nacht des Wahltags waren sich Medien und Meinungs­forscher sicher, dass Donald Trump nicht Präsident werden würde – nicht Präsident werden könnte! Ihre Abneigung gegen den Außenseiter ließ sie übersehen, wie seine Kampagne Fahrt aufnahm, wie er Wähler aus allen Lagern hinter sich versammelte. Pollak und Schweikart, beide Trump-Anhänger, erkannten hingegen frühzeitig, dass Trumps Siegchancen mit jedem Tag größer wurden. Ihre Chronologie des Wahlkampfs begleitet den Immobilien-Tycoon auf seinem Weg ins Weiße Haus. "Trump: Der undenkbare Präsident" erklärt besser als so mancher Kommentar, warum er das Rennen gemacht hat.

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JOEL B. POLLAK · LARRY SCHWEIKART

TRUMP

DER UNDENKBAREPRÄSIDENT

Hinter den Kulissen einer Revolution

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

How Trump Won: The Inside Story of a Revolution

ISBN 978-1-62157-395-1

© Copyright der Originalausgabe 2017:

Copyright © 2017 by Joel B. Pollak and Larry Schweikart

All rights reserved. Published in the United States by

Regnery Publishing, a Division of Salem Media Group.

This translation published by arrangement with Javelin Group,

Keith Urbahn, 203 S Union Street, Alexandria Virginia 22314.

Copyright der deutschen Ausgabe 2018:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Matthias Schulz

Lektorat: Karla Seedorf

Covergestaltung: Johanna Wack

Gestaltung und Satz: Bernd Sabat, VBS-Verlagsservice

Druck: CPI books GmbH, Leck, Germany

ISBN 978-3-86470-481-9eISBN 978-3-86470-482-6

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 • 95305 Kulmbach

Tel: 0 92 21-90 51-0 • Fax: 0 92 21-90 51-44 44

E-Mail: [email protected]

www.boersenbuchverlag.de

Für meine Schwiegermutter, eine wegbereitendeschwarze Feministin, Veteranin im Kampf gegendie Apartheid, Menschenrechtsaktivistin und Autorin,die von Beginn an voller Stolz verkündete,dass Donald Trump gewinnen wird.

—Joel Pollak

Für die „Deplorables“

—Larry Schweikart

INHALT

Einleitung

COLD OPEN

Im Wahlkampf: Las Vegas

19. Oktober 2016

KAPITEL EINS

Die erstaunlichste Wahl in der Geschichte Amerikas

Clinton – und Obama – falsch interpretiert

Ein absolut absehbarer Kantersieg in den Vorwahlen

Donald Trump – Konservativer, Nationalist oder beides?

Der neue Konservativismus ist der alte Konservativismus

KAPITEL ZWEI

Im Wahlkampf: Von Washington über North Carolina bis nach New York

25. Oktober 2016

26. Oktober 2016

KAPITEL DREI

Im Sommer 2015 erkennen wir „Renegade Deplorables“, dass Trump gewinnen wird

Ein Kandidat, der bereit ist zu kämpfen

Wann implodiert er denn endlich?

Planlose Konservative

Herrschende Klasse gegen ländliche Klasse

KAPITEL VIER

Im Wahlkampf: Ohio, New Hampshire, Nevada, Colorado und New Mexico

27. Oktober 2016

28. Oktober 2016

30. Oktober 2016

KAPITEL FÜNF

Ein wilder Ritt: Die Vorwahlen 2015

Es wird konkreter

Ein Social-Media-Monster

Der Elefant im Porzellanladen

Untergang der Establishment-Kandidaten

Trump dominiert die Nachrichten

Hillary Clinton wird gesalbt

Das Undenkbare denken

Bis wir sagen können, was eigentlich los ist

KAPITEL SECHS

Im Wahlkampf: Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und Florida

31. Oktober 2016

1. November 2016

2. November 2016

KAPITEL SIEBEN

„Wann wurden Sie zum Republikaner?“ Von der Geburt der Parteien bis zu Trumps Siegen während der Vorwahlen

Eine Partei, gegründet zur Abschaffung der Sklaverei (kleiner Tipp: Es ist nicht die GOP)

Entfesselt

Trump aufhalten!

Der Zirkusdirektor

New Hampshire wählt

Messerkampf in Palmetto

Die Herde wird ausgedünnt

Romney wirft eine fehlgeleitete Bombe ab

Black Lives Matter? Nicht, wenn Schwarze sie auslöschen

1.237 wird Trump „nicht erreichen“

Sexbombe Nummer 1

KAPITEL ACHT

Im Wahlkampf: Von Florida über North Carolina nach New Hampshire (noch einmal)

3. November 2016

4. November 2016

KAPITEL NEUN

Die Trump-Revolution

Das Hildabeast

Wem schenkt ihr Glauben?

Neue Generäle

Kollaps im September

Sexbombe Nummer 2

Energie, Durchhaltevermögen, Überzeugungskraft

Früher Ansturm

Ein Wunder in Florida?

Eine lange Nacht

Eine Wahl für alle Zeiten

Wann wussten sie es?

Siegestanz

KAPITEL ZEHN

Im Wahlkampf: Vom „Sieben-Staaten-Sonntag“ zum Wahltag

6. November 2016

7. November 2016

8. November 2016

Was Donald Trumps Wahlsieg bedeutet

Epilog

Danksagungen

Fußnoten

EINLEITUNG

Mein Co-Autor Larry Schweikart bezeichnet Trumps Wahlsieg als „erstaunlichste Wahl in der Geschichte Amerikas“. Er hat das Recht, das zu sagen, denn er weiß, wovon er spricht.

Larry ist ausgebildeter Historiker, hat jahrzehntelang an Hochschulen gelehrt, bahnbrechende Geschichtsforschung geleistet und zahlreiche populärwissenschaftliche Bestseller mit historischem Bezug veröffentlicht. Er hat ausführlich über Amerikas Präsidenten geschrieben, vor allem über jene des 19. Jahrhunderts. Das erlaubt es ihm, von einer historischen Perspektive aus, die weit zurückreicht, auf die verblüffenden Ereignisse von 2016 zu blicken, die mit der Wahl von Donald J. Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ihren Höhepunkt fanden.

Gleichzeitig war Larry persönlich in Trumps bahnbrechenden Wahlkampf involviert. Er war Teil einer Gruppe freiwilliger Analysten, die während des Wahlabends das Trump-Lager mit Daten und Analysen zu den alles entscheidenden Staaten fütterte. Larry und die anderen „abtrünnigen Erbärmlichen“, wie sie sich nannten, wussten schon Wochen vor dem Tag der Wahl, dass Trump auf dem besten Weg war, Florida, Pennsylvania und wichtige Staaten im Mittleren Westen zu gewinnen und zum 45. Präsidenten der USA gewählt zu werden. Als am Wahlabend also die ersten Ergebnisse eintrafen und es aussah, als würde doch Hillary Clinton die Wahl gewinnen, konnten sie meinen ehemaligen Boss bei Breitbart News, Stephen K. Bannon – zum damaligen Zeitpunkt Chef des Trumpschen Wahlkampfapparats –, beruhigen: Es handle sich ausschließlich um demokratenlastige „erste“ Stimmen. Der Großteil der „rot“ dominierten Wahlurnen würde erst noch kommen. Woher hatte diese Gruppe ihre Zahlen? Wie konnten sie die Daten korrekt auswerten? Für mich als Reporter war es faszinierend zu erfahren, was bei der Wahl hinter den Kulissen alles geschah.

In den letzten zwei Wahlkampfwochen berichtete ich aus dem ganzen Land über Trumps Veranstaltungen. Wiederholt dachte ich während dieser Zeit darüber nach, dass Trumps „Bewegung“ einerseits ziemlich exakt dem wiedererstarkten konservativen Geist entsprach, den so viele von uns von der Tea Party erwartet hatten, sich andererseits aber auch total davon unterschied. Seit der Reagan-Ära hatten die Konservativen vergeblich auf diesen Stimmungsumschwung gehofft und auf ihn hingearbeitet. In seinen Analysen geht Larry auf diesen Punkt ein und erklärt, Donald Trump stelle eine aktualisierte Version einer älteren Art von amerikanischem Konservatismus dar, eine Version, die Reagan noch als gegeben hinnahm, die wir in unserer postnationalistischen Generation aber jetzt erst wiederentdecken. Larry befasst sich auch mit der Frage, ob Trumps Sieg der Startschuss für eine dritte Partei im amerikanischen „Parteiensystem“ sein könnte. Es wäre das Aus für ein politisches Establishment, das über Jahrzehnte hinweg Diskussionen über zentrale politische Themen verhinderte und den Weg zur Selbstverwaltung des amerikanischen Volkes blockierte. Vielleicht war es das, was die Zehntausende Trump-Anhänger, die ich beobachtete, und die Dutzende, die ich interviewte, auf den letzten Metern des Wahlkampfs spürten. Ihr Kandidat sei nicht perfekt, räumten viele der Trump-Fans ein, mit denen ich sprach. Sie wussten voll und ganz Bescheid über die zahlreichen „Skandale“, die die Medien einen nach dem anderen in der Hoffnung auffuhren, irgendwann werde Trumps Wahlkampf schon „implodieren“. Aber Trump eröffnete den Menschen eine historische Gelegenheit: Endlich konnten sie ihre Regierung – und ihr eigenes Schicksal – einer korrupten Elite entreißen und in die eigenen Hände legen. Diese Gelegenheit ergriffen sie – mit Freuden.

—Joel Pollak

Als er während der letzten Wahlkampfwochen 2016 in Donald Trumps Presseflugzeug durch das Land reiste und für Breitbart News über den Wahlkampf berichtete, konnte mein Mit-Autor Joel Pollak, ein sehr erfahrener Reporter, aus allernächster Nähe mitverfolgen, wie Geschichte geschrieben wurde.

Er zählte zu einer kleinen Schar, die das spektakuläre Finale des Trump-Wahlkampfs als Augenzeuge erlebte, aber nicht nur das: Als „Insider“, als Mitglied des Pressekorps, bestätigte er viele der Dinge, die wir in unserer Analystengruppe der „Deplorables“ nur aus der Distanz beobachten konnten. Selbst wenn ich die konservativen Medien miteinschließe, zählte Breitbart News zu den ganz wenigen Medien, die Trump nicht feindselig gegenüberstanden. Joel war möglicherweise die einzige Person des gesamten Pressetrosses, die echtes Interesse daran hatte, was Trump tat. Man könnte sagen: Joel versuchte, seinen Job zu erledigen, während die anderen Medienleute nur daran interessiert waren, Trump zu erledigen. In ihrer Selbstgefälligkeit und ihrer Fixierung auf die Jagd nach belastendem Material über Trump ignorierten die anderen Mitglieder des Pressekorps das, was den Reiz des Kandidaten ausmachte. So entgingen ihnen die Möglichkeiten, die ihnen der direkte Zugang zum Kandidaten hätte eröffnen können, stattdessen gab es zunehmend lahmere Versuche, ihn zum Stolpern zu bringen (oder wenigstens seine Anhänger möglichst dämlich dastehen zu lassen). Joel dagegen nutzte die Gelegenheit und tauchte tief ein in das einzigartige Phänomen des Trump-Wahlkampfs. Er berichtete über den beispiellosen Umgang des republikanischen Außenseiters mit Medien und mit Spektakeln, über seine frische Botschaft und über die Gründe, warum diese Botschaft auf so fruchtbaren Boden fiel. Tatsächlich passte Joel so wenig zum restlichen Pressetross, dass er um ein Haar aus dem Presseflugzeug verbannt worden wäre, aber es gelang ihm, die aufgebrachten anderen Reporter zu beruhigen und an Bord zu bleiben.

Joel hatte von der Westküste aus von Anfang an über den Wahlkampf berichtet, und zwar aus sämtlichen Blickwinkeln: über Veranstaltungen von Hillary Clinton, Veranstaltungen von Bernie Sanders und die ersten Vorwahlen der Republikaner. Aber als er an Bord des Presseflugzeugs war, stand Trumps Kandidatur an einem wirklich entscheidenden Punkt. Und was er aus erster Hand über diese Zeit zu erzählen hat, könnte faszinierender nicht sein – von Trumps Leistung bei der Fernsehdebatte in Las Vegas, die nach Veröffentlichung der Access Hollywood-Aufzeichnung stattfand und bei der es fast schien, als würde der Kandidat seine Wahlniederlage bereits eingestehen, bis zu den hektischen letzten Tagen des Wahlkampfs, als an einem Tag sieben Bundesstaaten abgeklappert wurden.

Er berichtete vom Ort des Geschehens, sprach dabei Tag für Tag mit Trump-Wählern – mit Männern und Frauen, mit Weißen, Latinos und Schwarzen, mit Heterosexuellen und mit Schwulen, kurzum: mit Menschen, die kurz darauf verantwortlich sein würden für die bahnbrechendste Wahl des Jahrhunderts. Seine Berichterstattung ist die perfekte Ergänzung meiner historischen Perspektive, meines guten Drahts zum Wahlkampfteam und zu den Daten, laut denen Trump der Sieg gewiss war.

Wir beginnen die Geschichte von Trumps historischer Kandidatur für das Weiße Haus mit einem „cold open“, wie die Filmmacher es nennen: Joels Wahlkampftagebuch setzt ein in Las Vegas, und zwar beim Trump-Team kurz vor der dritten Fernsehdebatte. Die letzten, entscheidenden Wochen des Präsidentschaftswahlkampfs brechen gerade an. Von da aus gehen wir einen Schritt zurück und sehen uns in meinem ersten Kapitel das große Ganze an, während ich der Frage nachgehe, wie Donald Trump den verblüffendsten Wahlsieg in der Geschichte der US-Präsidentschaft einfahren konnte. Dann geht es zurück in die hektischen Schlusswochen des Wahlkampfs, während Joel uns vom Presseflugzeug aus über die aufregenden Ereignisse auf dem Laufenden hält.

Im Verlauf des Buches biete ich sowohl eine historische Perspektive als auch die Perspektive von jemandem, der eine Insider-Verbindung zum Trump-Team hatte. Ich betrachte den gesamten Verlauf von Trumps Präsidentschaftswahlkampf, beginnend im Sommer 2015, als eine kleine Analystenschar (aus denen schließlich die „Renegade Deplorables“ wurde, die „abtrünnigen Erbärmlichen“) erstmals erkannte, dass unter den republikanischen Präsidentschaftskandidaten einer herausstach und anders war: Donald Trump. Er zeigte (im Gegensatz zu allen anderen Republikanern), dass er kämpfen würde und dass er denjenigen Wählern Hoffnung machte, die schon fast den Glauben verloren hatten, sie könnten mit ihren Stimmen den Todesgriff sprengen, mit dem das Establishment die Organe der Macht umklammerte.

Außerdem wechseln wir im Verlauf des Buches immer wieder zurück zu Joels Wahlkampftagebuch. So erleben wir noch einmal den wilden Ritt, diese einzigartige Achterbahnfahrt, die Trumps Wahlkampf darstellte. Mit dem Unterschied, dass es dieses Mal noch mehr Spaß bringt, weil wir alle wissen, wer am Ende gewinnt!

—Larry Schweikart

COLD OPEN

IM WAHLKAMPF:

LAS VEGAS

Joel Pollak

19. Oktober 2016

Die Luft über der asphaltierten Promenade des Las Vegas Strips flimmert in der Wüstenhitze.

In einiger Entfernung steht das goldene Massiv des Trump International Hotels und beherrscht scheinbar das Zentrum des Boulevards. Doch es ist nur ein optischer Trick, der entsteht, weil die Straße auf ihrem Weg ins Stadtzentrum nach rechts biegt, während der Tower gerade so weit von den allerbesten Grundstücken des Strips entfernt liegt, dass er dennoch die Skyline dominiert.

Über allem prangt in prunkvollen goldenen Lettern der Name: „TRUMP“.

Hinter einer Phalanx aus Security und Secret Service hat sich in der Lobby des Hotels eine kleine Traube von Mitarbeitern des Wahlkampfteams versammelt. Leise tuscheln sie miteinander, umgeben von neugierigen Hotelgästen. Alle naselang öffnet sich am anderen Ende der Lobby einer der zahlreichen Fahrstühle und ein ranghohes Mitglied des Teams erscheint.

Der Rest, Smartphone in der Hand, läuft nervös auf und ab und führt einen regen SMS-Austausch mit den Kollegen ein Stockwerk über ihnen. Dort oben hockt „er“ höchstpersönlich mit seinem engsten Beraterstab und bereitet sich vor.

Unten läuft eine Reihe vertrauter Gesichter vorbei, eine Anhäufung von Nebendarstellern.

Da ist Patricia Smith, die trauernde „Bengasi-Mutter“. Ihr Sohn Sean wurde getötet, während die Führung seines Landes schlief, und auf dem republikanischen Parteitag in Cleveland hatte Patricia ihrer Trauer öffentlich Luft gemacht. Da sind Diamond und Silk, zwei kräftige schwarze Frauen, die mit Pro-Trump-Videos zu einem echten Internet-Phänomen geworden sind. Selbst Malik Obama, der kenianische Halbbruder von Präsident Barack Obama (die beiden haben sich entfremdet), ist da und posiert mit Fans für Fotos.

Kellyanne Conway, die Meinungsforscherin und Wahlkampfmanagerin, die gemeinhin als die Architektin des kurzlebigen guten Laufs gilt, den die Trump-Kampagne Ende Sommer hinlegte, huscht einmal kurz über den Marmorfußboden, lässt sich fotografieren und verschwindet wieder nach oben.

Die kleine Menschenmenge wird noch kleiner, als eine Reihe Mitarbeiter sich auf den Weg ans andere Ende des Strips macht. Es ist nicht sehr weit, aber der Verkehr fließt nur zäh. Dort, am anderen Ende des Strips, wird die dritte und letzte Fernsehdebatte in diesem brutalen und aufreibenden Präsidentschaftswahlkampf 2016 stattfinden.

Auf ein Signal hin stoppt draußen der Verkehr – überall, kilometerweit. Eine Autokolonne aus örtlicher Polizei, Highway Patrol und Secret Service verlässt das Trump International Hotel und fährt über Nebenstraßen zur Universität von Nevada in Las Vegas. Der Immobilienmogul hatte ziemlich kämpfen müssen, um sich seinen Platz inmitten der feindseligen Oligarchen von Las Vegas zu sichern. Jetzt kann er Sin City noch einige Minuten zum Stillstand bringen, jetzt hat der Außenseiter die volle Aufmerksamkeit seiner Rivalen.

Aber wie wird es nach dem 8. November sein? Ist die Wahl erst einmal vorüber, werden sie ihn wieder ignorieren können, scheint es.

Donald Trump überraschte viele Beobachter, als er im Juni 2015 aus dem Fahrstuhl im Trump Tower in New York stieg und verkündete, er werde für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten kandidieren. Seitdem hatte er gar nicht mehr aufgehört, die politische Landschaft zu überraschen. Bei seinem Bemühen darum, die 45. Präsidentschaft dem ehrgeizigen Griff von Hillary Clinton zu entreißen, der acht Jahre zuvor der große Preis verwehrt worden war, hatte er bereits die Republikanische Partei kräftig durchgerüttelt.

Warum konnte Trump überhaupt so weit kommen? Zu dieser Frage gab es viele Theorien.

Die Lieblingsthese der Demokraten und der meisten Medien besagte, dass Trump den aufkommenden Fanatismus im rechten politischen Lager bediente und Kapital aus den Klagen derjenigen Amerikaner schlug, die das Gefühl hatten, vom Wohlstand des Landes nichts abzubekommen.

Hillary Clinton höchstpersönlich griff diese beiden Erklärungen auf. Ihre Aussage sorgte für negative Schlagzeilen: „Die Hälfte aller Trump-Anhänger könnte man in etwas stecken, was ich den Korb der Erbärmlichen nenne.“ In diesem Korb, diesem „basket of deplorables“, würden sich „Rassisten, Sexisten, Homophobe, Ausländerfeindliche und Islamfeindliche“ finden, und zwar die von der „unbelehrbaren Sorte“, wie sie sagte.

Die restlichen Trump-Anhänger sind laut Clinton „Menschen, die das Gefühl haben, die Regierung habe sie im Stich gelassen, sie seien allen egal, es würde niemanden interessieren, was mit ihrem Leben und ihrer Zukunft geschieht, und die sich verzweifelt einen Wandel herbeisehnen“.1

Trump habe sowohl die Erbärmlichen wie auch die Marginalisierten vor seinen Karren gespannt, so Clinton, indem er zuvor an den äußeren Rändern positionierte Webseiten dazu nutzte, seiner Botschaft mehr Nachdruck zu verleihen. Damit sprach er sowohl altmodisch-bigotte wie auch die wirtschaftlich abgehängten Wähler an und gewann auf diese Weise Millionen Stimmen.

Das unterschied sich nicht allzu sehr von dem, was die Linke standardmäßig mehr oder weniger über alle republikanischen Kandidaten verbreitete. Der damalige Senator Barack Obama erzählte 2008 praktisch dasselbe über die „bitter clingers“ (etwa: „verbitterte Klammerer“). Das seien Menschen, die „sich an Waffen oder Religion oder Antipathie gegen Menschen, die nicht wie sie sind, klammern oder an Ansichten gegen Einwanderer oder gegen den Freihandel, und die damit ihre Frustration erklären“.2

Doch Trump war eine andere Art republikanischer Kandidat. Das geht schon damit los, dass er sich gegen 16 andere Kandidaten und das gesamte republikanische Establishment durchgesetzt hatte. Wie er das gemacht hatte oder warum, das begriffen allerdings nur die allerwenigsten.

Viele konservative Trump-Kritiker – die sogenannte #NeverTrump-Fraktion – führten seinen Erfolg auf die Unterstützung zurück, die er bei beliebten alternativen Medien wie Talkradio, dem Drudge Report und meinem eigenen Arbeitgeber Breitbart News genoss. Diese hätten seinen Aufstieg ermöglicht, und zwar zusammen mit den Mainstreammedien, die während der Vorwahlen Trump gegenüber offen freundlich und zuvorkommend gewesen waren, wie es hieß. Warum sie das taten? Zum Teil, weil es die eigenen Einschaltquoten in die Höhe trieb, zum Teil aber auch, um die Siegeschancen der Republikaner bei der Präsidentschaftswahl zu schmälern. Trump würde sich als schwacher Kandidat erweisen, so die Annahme dahinter.

Aber auf eine Frage verschwendeten die Trump-Kritiker, egal ob aus dem linken oder dem rechten Lager, wenig bis gar keine Energie: Inwieweit trug der Umstand, dass Trump sich von der üblichen republikanischen Kandidatenschar abhob, zu seinem Erfolg bei den Vorwahlen bei? Die Kritiker beschäftigten sich lieber damit, ob diese Unterschiede in der Summe nun autoritäre Tendenzen darstellten und ob er bestimmte Zielgruppen mit rassistischen Subtexten ansprach. Trumps Ansichten zu Mexikanern, Muslimen und anderen seien anstößig, hieß es, außerdem toleriere er Gewalt bei seinen Wahlkampfveranstaltungen, ja, er ermutige sogar zu Vergeltungsmaßnahmen gegen Demonstranten. Den Medien drohte er neue Verleumdungsgesetze an, die die Pressefreiheit beschneiden würden, außerdem praktizierte er eine zentralisierte Art der Entscheidungsfindung, die im Widerspruch zur Rolle steht, die die Verfassung dem Präsidenten einräumt. Trumps Erfolg zeige also nur, dass Amerika mit dem Faschismus flirte, so die These.

Insofern war es für seine Widersacher (links wie rechts) wichtig, dass Trump nicht nur die Wahl verliere, sondern dass seine Anhänger völlig am Boden zerstört wären. So sehr sollten sie am Ende sein, dass sie nie wieder auch nur ansatzweise Geschmack an einem Kandidaten wie ihm finden würden.

Die Demokraten hegten große Hoffnungen: Dieser populistische Außenseiter würde möglicherweise so deutlich verlieren, dass die Republikaner sogar die Kontrolle über das Repräsentantenhaus einbüßen. Endlich würde die politische Linke dann ihre lang aufgeschobenen Träume bis hin zur „umfassenden“ Reform der Einwanderungspolitik umsetzen können. Eine ordentliche Abreibung für Trump wäre ein klares Signal, dass die Menschen seine „ausländerfeindliche“ Haltung in Einwanderungsfragen ablehnen.

Den Republikanern wiederum, die gegen Trump waren, ging es darum, diverse Rechnungen zu begleichen. Vertreter des Partei-Establishments sahen die erwartete Niederlage Trumps als gute Gelegenheit, endlich die lästige Tea-Party-Fraktion loszuwerden. Einige Konservative betrachteten eine Niederlage Trumps auch als Möglichkeit, die Republikanische Partei von den nicht ausreichend konservativen Quertreibern zu säubern, die die Wahlniederlage zu verantworten hätten. Schließlich hatten sie einen Kandidaten durchgeboxt, der nicht mehr war als eine Hollywood-Berühmtheit aus dem Reality-TV, ein lebenslanger Liberaler, der mit seinem eitlen Persönlichkeitskult ihre Partei und ihre Sache gekapert hatte.

Für Trumps Anhänger hingegen war der Kandidat das Gegengift gegen den seit 25 Jahren in Washington herrschenden Konsens, gegen den Freihandel, offene Grenzen und eine „Eine Hand wäscht die andere“-Politik.

Selbst wenn man den politisch rechten Flügel mitzählt, gehörte mein Arbeitgeber Breitbart News zu den wenigen Medien, die Trump freundlich gesinnt waren. Bei Breitbart bezeichneten einige den Kandidaten als „populistischen Nationalisten“. Der New Yorker Milliardär war das Sprachrohr einer breiten, das gesamte politische Spektrum abdeckenden Wählerschaft aus der Arbeiterklasse, Menschen, denen der Wettbewerb mit dem Ausland und mit eingewanderten Arbeitskräften zusetzte.

In seinen vielen Jahrzehnten im Rampenlicht hatte Trump nur wenige deutliche politische Überzeugungen erkennen lassen. Er pflegte sehr freundschaftliche Beziehungen zu Vertretern der politischen Elite aus beiden Lagern, unterstützte beide Seiten im Wahlkampf und fand sogar lobende Worte für Hillary Clinton und Barack Obama.

Äußerte er sich jedoch tatsächlich einmal zu politischen Themen, war er erstaunlich beständig in seinen Zweifeln am Sinn von Handelsabkommen und seiner Überzeugung, Amerikas Führung – egal ob republikanisch oder demokratisch – gelinge es auf der außenpolitischen Bühne nicht, ausreichend Stärke zu vermitteln.

Es war nicht leicht, Trump in eine politische Schublade zu stecken. Bei einigen der wichtigsten Aspekte in den aktuellen politischen Debatten wechselte er wiederholt die Seiten, gelegentlich schien er seine eigene Haltung sogar vergessen zu haben oder er stellte sie zumindest falsch dar. Aber dahinter stand stets ein unerschütterlicher Patriotismus, wie ihn Amerikaner heutzutage nicht mehr von ihren Politikern gewohnt sind.

Mit seinem Slogan „Make America Great Again“ zog sich Trump den Spott erfahrener Politikbeobachter zu – er sollte sich als der mit Abstand beste und wirksamste Slogan aller Kandidaten erweisen, die angetreten waren.

Ein Jahrzehnt zuvor hatten konservative Reformer festgestellt, dass die Parteirhetorik mit ihrer Forderung nach weniger Staat nicht im Einklang stand mit den Nöten der Vorstadtfamilien und der arbeitenden Klasse. Also regten sie eine neue Form des Konservatismus an, was einige als Konservatismus „nationaler Großartigkeit“ bezeichneten.3

Und nun kam Trump daher und lebte ihnen diesen Konservativismus vor. Ohne die politischen Details zwar, dafür begleitet von einer populistischen Rhetorik zu Themen wie Einwanderung und Terrorismus – eine Rhetorik, die bei Millionen Amerikanern gut ankam, aber die kosmopolitische Elite des Landes anwiderte.

Trumps Wahlkampf sei die lang erwartete Gegenreaktion gegen den „Globalismus“, jubelten einige seiner Anhänger. Damit war nicht die „Globalisierung“ gemeint, gegen die die Linken Ende der 1990er-Jahre ins Feld zogen. Die Globalisierungsgegner hatten dagegen protestiert, dass unter der Ägide unnahbarer internationaler Finanzaufsichten die Volkswirtschaften zu eng vernetzt wurden. Auch einigen Trump-Anhängern, die sich über „Globalismus“ beschwerten, bereitete dieses Thema Sorge, aber dem Großteil ging es eher darum, dass mit der neuen Weltwirtschaft nationale Eigenständigkeit und nationale Kultur aufgegeben wurden.

Unter den Trump-Fans, die diese Konfrontation genossen, waren auch Mitglieder der „Alt-Right“-Bewegung, kurz für „Alternative Right“, also „Alternative Rechte“. Gemeinsames Thema dieser heterogenen Gruppe sind im rechten Bereich des politischen Spektrums angesiedelte Ansichten und Standpunkte, die als jenseits des normalen politischen Diskurses gelten.

So findet man dort beispielsweise Monarchisten, die überzeugt sind, dass die Demokratie in Amerika ein gescheitertes Experiment sei. Andere aus dem Alt-Right-Lager vertreten eine Meinung, die nicht so harmlos schrullig daherkommt – es gibt Rassisten (eine Minderheit) und sogar Neonazis. Es gab auch welche, die keine Rassisten waren, aber frustriert darüber, dass vor lauter Political Correctness die Art offener Diskussionen über Rasse und Kultur unmöglich geworden sei, die die Linke vorgeblich führen wollte (wobei die eigentliche Absicht darin bestand, die Widersacher einzuschüchtern).

Doch sie alle hatten ein falsches Bild von dem Mann, den ich im Wahlkampf beobachtete. Später würde er Begriffe wie „Globalist“ in seine Reden einbauen, Trump war jedoch weniger ideologiebehaftet, als einige seiner Fans – oder Feinde – es sich vorstellten. Im Grunde war Trump ein Nationalist und dazu ein ehrgeiziger, gestandener und wettbewerbsorientierter Mann, der mitbekommen hatte, was für schlechte Arbeit die Politiker des Landes leisteten, und überzeugt war, das besser hinzukriegen.

Was den Punkt anbelangt, die Nominierung seiner Partei zu bekommen, sollte er damit recht behalten.

Trump, dieser Meister des Marketings, erkannte in der Republikanischen Partei einen Vermögenswert mit einem ramponierten Markenimage, ein lohnendes Übernahmeziel. Es gab eine gewaltige Nachfrage nach wirksamer politischer Führung und einer starken politischen Opposition.

Theoretisch hätte die Grand Old Party (GOP), so der Spitzname der Republikaner, all dies bieten können, doch während der vergangenen zwei Jahrzehnte war sie zur Zielscheibe des Gespötts geworden, ohne dass der Parteiführung etwas Wirksames eingefallen war, wie man dem entgegentreten könnte.

Trump nutzte die Gelegenheit – und vielleicht hat es ihn selbst überrascht, wie erfolgreich er damit war.

Es lässt sich sehr genau bestimmen, ab welchem Zeitpunkt Trump die Kontrolle über den Präsidentschaftswahlkampf 2016 übernahm. Am 10. Juli 2015 führte Trump seit dreieinhalb Wochen seinen Wahlkampf und lag auf dem sechsten Platz. Bei den Meinungsforschern von RealClearPolitics kam er auf 6,5 Prozent Unterstützung bei den Teilnehmern der republikanischen Vorwahlen. Auf dem ersten Platz lag Floridas ehemaliger Gouverneur Jeb Bush mit 16,3 Prozent.

An diesem Tag traf sich Trump mit den Angehörigen von Amerikanern, die durch illegale Einwanderer getötet worden waren. Die Familien hatten sich an andere Politiker gewandt, stießen jedoch überall auf taube Ohren. Kaum jemand interessierte sich für ihre schmerzlichen Verluste und ihre Beschwerden über die Bundesregierung. Trump war der erste, der aktives öffentliches Interesse an den Tag legte.

Eine der Teilnehmerinnen an diesem Treffen war Sabine Durden, selber Einwanderin und Mutter eines gemischtrassigen Kinds, das von einem illegalen Einwanderer getötet worden war. Durden sprach später exklusiv mit Michelle Moons von Breitbart News:

[Trump] hörte sich jede einzelne unserer Geschichten an und war sichtlich erschüttert und berührt. Wir umarmten uns und er versprach, weiter für uns und unsere Kinder zu kämpfen. Anschließend gingen wir in einen anderen Raum, wo die Presse wartete. Er wandte sich an die Medien und gab jedem von uns Zeit, unsere Geschichte zu erzählen. Die Presse versuchte, ihn bezüglich seiner früheren Äußerungen festzunageln. Er blieb standhaft. Ich hatte eine Coke-Flasche, auf der HERO („Held“) stand, und ich sagte ihm, er verdiene sie. Er ist mein Held, denn er war der einzige, der Aufmerksamkeit auf dieses wirklich wichtige Thema lenkte.4

Am 19. Juli, gerade mal neun Tage später, lag Trump in den Umfragen an erster Stelle. Von da an gab es praktisch kein Zurück mehr. Die Zahl der Menschen, deren Verwandte von illegalen Einwanderern ermordet wurden, ist verschwindend gering. Sie würde vermutlich kaum ausreichen, um einen einzigen Wahlkreis in einem Staat zu gewinnen, geschweige denn, um landesweit ins Gewicht zu fallen. Aber diese Gruppe stand sinnbildlich für all die Amerikaner, die seit so vielen Jahren vom Staat ignoriert worden waren. Endlich war da jemand, der ihnen zuhörte. Trump war auf dem Weg zum Sieg.

Auf dem Weg zu diesem Erfolg sorgte er nicht nur für Umwälzungen im Establishment der Republikaner, er rang auch mit den konservativen Meinungsmachern, die die Parteiführung zwar genauso ablehnten wie er, die die Republikaner aber in eine andere, stärker ideologiegetriebene Richtung lenken wollten.

Für ideologische Argumente schien Trump wenig Verwendung zu haben. Sich an Ideologie zu klammern war für ihn nur ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Führung des Landes in einer Sackgasse befand und den Staat daran hinderte, seinen Aufgaben nachzukommen – die Infrastruktur aufzubauen, das Land zu verteidigen und den Schwächsten zu helfen. Trump bedrohte also nicht nur die politische Macht der republikanischen Insider, sondern auch die intellektuelle Vorherrschaft der professionellen Konservativen. Er stieg an die Spitze der Republikanischen Partei – der Partei von Ronald Reagan – ohne ihre Hilfe auf, ja, trotz ihres Widerstands.

Und sowohl die republikanische Polit-Elite als auch das konservative ideologisch beeinflusste Establishment erkannten eine weitere Gefahr: Falls (oder wenn) Trump scheiterte, würde er möglicherweise das gesamte Gebäude des Republikanismus und des Konservativismus mit sich in den Abgrund reißen. Ob genügend für einen Neuaufbau übrig bleiben würde, war fraglich.

Es herrschte also das Gefühl, mitten in einer existenziellen Bedrohung zu stecken. Dieses Gefühl befeuerte viele interne Kämpfe, die sich die Granden der Partei zum Thema Trump lieferten. Die Debatten nahmen einen sehr persönlichen, nahezu selbstzerstörerischen Ton an. (Mit seiner persönlichen kampflustigen Art der Debattenführung goss Trump gelegentlich noch Öl ins Feuer.) Jede Seite griff nach jeglicher Art von Waffen, die gerade zur Hand waren. Trumps Anhängern vom rechten Flügel reichte es voll und ganz, gemeinsam mit den Medien über die Defizite von Trumps Konkurrenten zu lachen. Die konservativen Widersacher wiederum machten es nur zu gerne den Linken nach und beschimpften Trump und seine Anhänger als Fanatiker.

Wie würde es nach der Wahl – unabhängig von ihrem Ausgang – weitergehen? Was würde passieren, wenn man sich neuen Herausforderungen stellen musste? Würden sich die zerstrittenen republikanischen Lager und die Konservativen zusammenraufen oder würden sie stolpern, sobald sie die ersten gemeinsamen Schritte unternahmen?

2016 würde eine Wahlniederlage die Republikaner möglicherweise teurer zu stehen kommen als je zuvor. Für die neue amerikanische konservative Opposition, die Ende 2008 das Licht der Welt erblickt und in den ersten Monaten von Obamas Amtszeit ersten spürbaren Zulauf erhalten hatte, war 2016 die beste – und mit großer Wahrscheinlichkeit letzte – Gelegenheit, einen echten Erfolg zu erzielen.

Die Finanzkrise von 2008 erschütterte das Vertrauen der Amerikaner in den Kapitalismus. Dass anschließend Banken gerettet werden mussten, erschütterte ihr Vertrauen in den Staat und löste eine neue Gegenreaktion aus – die Tea Party. Sie entstand aus dem Widerstand gegen Obamas Konjunkturprogramm, eine nahezu 1.000 Milliarden Dollar schwere Geldverschwendung, die nur wenige Arbeitsplätze schuf, im Gegenzug aber die Staatsverschuldung explodieren ließ. Einige Monate später führte die Regierung, begleitet von falschen Versprechungen und gegen den einstimmigen Widerstand der Republikaner, Obamacare ein. Nun stieg die Tea Party zu einer starken politischen Kraft auf, die schon bald die Demokraten aus dem Repräsentantenhaus fegte.

Mitt Romney wurde von der Tea Party noch unterstützt, wenn auch widerwillig angesichts seiner gemäßigten Vergangenheit, aber es hatte sich gezeigt, dass kein anderer Kandidat ihm die Nominierung der Republikaner würde nehmen können. Doch als Romney gegen Obama verlor, fühlten sich die Aktivisten der Tea Party enttäuscht und verraten. 2014 sorgten die konservativen Kräfte dafür, dass die Republikaner im Senat die Mehrheit errangen – doch dann mussten sie frustriert miterleben, wie der Senat die Pläne des Präsidenten nicht durchkreuzte, weder bei seiner Einwanderungspolitik noch beim Thema Klimawandel oder beim Atomabkommen mit dem Iran.

Trump präsentierte sich als Antwort auf die schwache Führungsarbeit in Washington – schwach sowohl von Obama auf der globalen Ebene als auch von den Republikanern im Kongress. Seine zentrale Stärke bestand darin, das Thema Stärke zu betonen. Er gewann durch Siege.

Zu verlieren würde jedoch keine anderen Möglichkeiten eröffnen, keinen echten Weg in die Zukunft. Trump war ein Turm – vielleicht ein Turm zu Babel, bei dem das Streben in die Höhe den zentralen gemeinsamen Sinn darstellte. Falls er fiel, würden sich alle, die an diesem Bauwerk mitgewirkt hatten, in sämtliche Himmelsrichtungen zerstreuen. Da sie einander nicht verstehen, würden sie niemals zurückkehren.

Während der letzten Tage des Präsidentschaftswahlkampfs von 2016 hatte ich einen Platz im Presseflugzeug. Gleichzeitig war es ein Platz direkt am Ring, in dem ohne Gnade bis zum Knockout gekämpft werden würde. Es ging um die Zukunft der Tea Party, der konservativen Bewegung, der Republikanischen Partei – und des ganzen Landes.

KAPITEL EINS

DIE ERSTAUNLICHSTE WAHL IN DER GESCHICHTE AMERIKAS

Larry Schweikart

Joels Wahlkampftagebuch wird allen als unerlässliche Primärquelle dienen, die den Wahlkampf von 2016 objektiv und unvoreingenommen historisch aufarbeiten möchten. Wenn eine derartige Geschichte eines Tages niedergeschrieben wird (falls es überhaupt so weit kommt), dann werden die Historiker dies zur erstaunlichsten Wahl in der Geschichte Amerikas erklären: Der Geschäftsmann und ehemalige Reality-TV-Star Donald J. Trump setzt sich gegen ein vielköpfiges, hochkarätig besetztes Feld republikanischer Kandidaten durch und wird von der Partei nominiert. Dann bekommt er es mit seiner demokratischen Widersacherin Hillary Clinton zu tun, die nach allgemeiner Einschätzung die Wahlen nicht nur gewinnen, sondern Trump vernichtend schlagen wird. Doch auch hier triumphiert Trump. Auf die Welt des Sports übertragen ist das wie 1980, als das amerikanische Eishockeyteam bei den Olympischen Spielen die Sowjetunion bezwang.

Trump – ein Mann mit praktisch keinerlei politischer Erfahrung, mit nahezu keinerlei Unterstützung durch die Partei-Insider und abgesehen von seinem persönlichen Vermögen mit wenigen großen finanziellen Quellen – tauchte scheinbar aus dem Nichts auf, schlug das größte Feld echter Kandidaten, das die Republikanische Partei in der Neuzeit je aufgestellt hatte, aus dem Rennen und sicherte sich die Nominierung … und zwar völlig problemlos. Dann wurde er zur Verblüffung seiner Anhänger und seiner Kritiker gleichermaßen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, und zwar ganz ohne die üblichen Heerscharen an Beratern und Meinungsforschern und ohne ein „ground game“, die angeblich so unerlässliche Basisarbeit, die man zum Gewinnen der Vorwahlen und erst recht zum Gewinnen der allgemeinen Wahlen braucht. Seine demokratische Widersacherin wurde nicht nur aktiv von einem amtierenden Präsidenten mit hohen Beliebtheitswerten unterstützt, auch sämtliche Flügel des demokratischen Bündnisses standen hinter ihr, in reinen Wählerregistrierungen ein größerer Block als der republikanische. Und Trump musste nicht nur Clinton schlagen, sondern auch noch drei Kandidaten kleinerer Parteien. All das trotz der Tatsache, dass seine Partei nicht geschlossen hinter ihm stand: Mächtige republikanische Amtsinhaber unterstützten ihn teilweise nur sehr zögerlich und schwankend, während die #NeverTrump-Intellektuellen die angesehenen konservativen Magazine Tag für Tag mit frischer Munition versorgten. Als ob diese Anhäufung vermeintlich unüberwindlicher Nachteile nicht ausreicht, hatte es Trump auch noch mit einer weiteren geschlossenen und ausgesprochen schmutzig kämpfenden Opposition zu tun: Praktisch jedes „Nachrichten“medium stand ihm feindselig gegenüber.

Jerome Hudson von Breitbart News hat aufgelistet, wie oft die „Experten“ voraussagten, dass Trump keine Chance haben werde. Hier nur eine kleine Auswahl:

• Ross Douthat von der New York Times: „Donald Trump wird nicht der Kandidat der Republikaner.“

• Washington Post-Redakteur James Downie: „Verabschieden wir uns von der Vorstellung, dass Trump eine echte Chance hat, im November zu gewinnen.“

• CNN-Autorin Hilary Rosen: Trump hatte die Wahl „am allerersten Tag, an dem er (seine Kandidatur) bekannt gab“, verloren.

• Die Huffington Post: „Donald Trump wird … die Präsidentschaftswahl … nicht gewinnen …“

• Die Los Angeles Times: Hillary Clinton wird Donald Trump „mit sieben Prozentpunkten Vorsprung“ besiegen, vielleicht „ist sogar ein erdrutschartiger Sieg im zweistelligen Prozentbereich“ drin. (Wenn man schon danebenhaut, dann wenigstens richtig!)

• Fox-Kommentator Karl Rove, der in jüngerer Vergangenheit wiederholt danebenlag, erklärte auf MSNBC: „Trump kann die Präsidentschaftswahl nicht gewinnen“, weil die Konservativen zu Hause bleiben werden. (Überraschung, Karl: Die Konservativen gewannen – zusammen mit den entrechteten Weißen und den Gewerkschaftern – die Wahlen für Trump.)

• Der Wahlkampfanalyst Sean Trende von RealClearPolitics sicherte sich am 4. November wenigstens noch etwas ab: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Trump verliert, liegt bei vermutlich 90 Prozent.“

• Der Bloomberg-Kolumnist Jonathan Bernstein: „Ganz im Ernst: Trump wird nicht gewinnen.“

• Die New York Daily News versprach Trump für den November eine massive Wahlniederlage.

• The Nation beruhigte ihre linksgerichteten Leser: „Ruhig Blut, Donald Trump kann nicht gewinnen.“

• Forbes legte sich kleinteiliger fest. „In Wisconsin wird Trump nicht gewinnen.“

• Frank Luntz versuchte, seine auf Twitter abgegebenen Prognosen zu löschen, nachdem Clintons Wahlkampf gegen die Wand fuhr. Am Tag der Wahl gab er sich noch überzeugt: „Der nächste Präsident der Vereinigten Staaten wird Hillary Clinton heißen.“ (Ups.)1

Und trotzdem gewann Trump.

Nur zwei nationale Meinungsforscher sahen Trump am Wahltag des 8. Novembers vorne und beide galten als „Ausreißer“.

Und trotzdem gewann Trump.

Von den großen Fernsehsendern ließ sich nicht ein einziger als auch nur ansatzweise „The Donald“ gegenüber freundlich gesonnen bezeichnen.

Und trotzdem gewann Trump. Wie war das möglich?

Jetzt kann die Geschichte erzählt werden, wie Trump der verblüffendste Wahlsieg in der Geschichte unseres Landes gelang. Um ganz genau zu erklären, was Donald J. Trump tat, um zum 45. Präsidenten gewählt zu werden, werde ich auf den Blickwinkel einer Gruppe Außenstehender zurückgreifen. Abgesehen von meiner Wenigkeit (einem gelernten Historiker) bestand diese Gruppe aus einem Meinungsforscher, einem Luftfahrtingenieur aus der Rüstungsindustrie, einem Augenarzt, einem Investmentbanker und einem Analysten, der weiterhin komplett anonym bleiben möchte. Wir waren keine Vollzeit-Politikexperten, aber dennoch konnten wir mit unseren eigenen Analysen, Prognosen und punktgenauen Ratschlägen für die Trump-Kampagne die Profis schlagen.

Diese Gruppe Amateure erkannte Trumps Stärke schon sehr früh und einige von uns prognostizierten seinen Wahlsieg deutlich früher als alle anderen. Am Tag der Wahl trafen wir uns und lieferten dem Trump-Lager Echtzeitdaten, über die nicht einmal Team Trump verfügte. Dank all unserer Daten konnten die Meinungsforscher in unserer Gruppe der „Renegade Deplorables“, der „abtrünnigen Erbärmlichen“ teilweise eine Stunde eher als die großen Fernsehsender mit Gewissheit erklären, dass Trump bestimmte Staaten gewinnen werde.

Noch wichtiger ist die Geschichte, warum Trump gewann – die Geschichte der „vergessenen“ Amerikaner, zu denen er sprach, und über welche Ideen er redete, um diese Menschen zu überzeugen. Ihm gelang, was keiner ihm zugetraut hatte: Trump richtete die Republikanische Partei neu aus, er machte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder offen für alle und zum ersten Mal seit 1984 lockte er die weiße Arbeiterklasse an. Trump siegte in Staaten, in denen ihm niemand eine ernsthafte Chance eingeräumt hatte, und er schnappte Clinton sicher geglaubte Wählerstimmen vor der Nase weg. Sein Wahlsieg ist eine Revolution in der amerikanischen Politik und er hat das amerikanische Parteiensystem auf dramatische Weise umgewälzt. Möglicherweise ist dies der Auftakt für das erste echte „Drei-Parteien-System“ in der Geschichte Amerikas (auch wenn sich das republikanische Establishment bislang dermaßen an Trump herangeworfen hat, dass diese Form der Neuausrichtung möglicherweise abgewendet werden kann).

Dass Donald Trump 2016 zum Präsidentschaftskandidaten der Republikanischen Partei aufsteigen würde, war noch 18 Monate zuvor überhaupt nicht absehbar gewesen – ganz zu schweigen davon, dass er als Sieger aus dem Wahlkampf hervorgehen würde und am 20. Januar 2017 den Amtseid als neuer Präsident der Vereinigten Staaten ablegen würde. Es war dermaßen unwahrscheinlich, dass nur eine kleine Beobachterschar, zu der Ann Coulter, Bill Mitchell und ich zählte, die Möglichkeit überhaupt in Betracht zog.2 Was hatten wir bemerkt, was praktisch alle Meinungsforscher (bis auf People’s Pundit Daily und die Umfrage von USC/Los Angeles Times) übersahen, was bis auf Rush Limbaugh und Sean Hannity sämtliche Politikkommentatoren nicht erkannten und was allen TV-Experten entging?

Clinton – und Obama – falsch interpretiert

Diejenigen von uns, die Trump bereits sehr früh sehr gute Chancen einräumten, wussten, dass eine Mehrheit der Amerikaner acht Jahre lang zutiefst unzufrieden mit der Arbeit ihrer Regierung, der Regierung Obama, gewesen war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Obama 2012 locker die Wiederwahl gewonnen hatte und dass Obama den Umfragen zufolge auch weiterhin überaus beliebt war und seine Politik hohe Zustimmungsraten erhielt. (Später werde ich mich mit den Meinungsumfragen während des Wahlzyklus von 2016 befassen. Dass sie so durch die Bank weg und absolut danebenlagen, bedeutet, dass auch Obamas Beliebtheitswerte suspekt erscheinen.) Uns war klar, der republikanische Kandidat würde gegen eine angeschlagene, unbeliebte und mit Korruptionsvorwürfen behaftete Hillary Clinton antreten. Kurzum: Die Chancen, dass ein Republikaner ins Weiße Haus einziehen würde, standen definitiv gut. Aber wir (und Donald Trump) waren nicht die einzigen, die das erkannten. Viele Kandidaten erachteten 2016 als den perfekten Moment, ihren Hut für die Präsidentschaft in den Ring zu werfen. Das Resultat war die vermutlich größte Ansammlung ernst zu nehmender republikanischer Kandidaten in der Geschichte der USA, in jedem Fall aber seit Ende des Bürgerkriegs. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten sahen diverse Personen – Jeb Bush, Marco Rubio und Scott Walker – wie sichere Sieger aus und im Hintergrund lauerte Senator Ted Cruz aus Texas, ein aufrührerischer Konservativer und Reagan-Anhänger. Sie alle scheiterten. Walker gelang es nicht, der republikanischen Basis seine Reformbotschaft aus Wisconsin schmackhaft zu machen, er stieg als einer der ersten aus. Bush gelang es nie, Trumps Frotzelei abzuschütteln, er sei „saft- und kraftlos“, auch er verschwand bald von der Bildfläche, obwohl er zuvor atemberaubend viel Geld für Wahlwerbung ausgegeben hatte. Rubio hielt lang genug durch, um Puerto Rico und Minnesota zu gewinnen, aber selbst in seinem Heimatstaat Florida hatte er Trump nur wenig entgegenzusetzen. Während die „sicheren Sieger“ einer nach dem anderen das Handtuch warfen, blieben zum Schluss überraschenderweise nur noch Cruz und Ohios Gouverneur John Kasich im Rennen und versuchten, Trump zu stoppen. Zwar gewannen sie hier und da einen Staat, aber sie fielen immer weiter hinter Trump zurück. Da sie keinerlei Hoffnung hatten, sich noch aus eigener Kraft die Nominierung zu sichern, schmiedeten sie in allerletzter Minute eine unheilige Allianz, deren einziger Zweck darin bestand, Trump die 1.237 Abgeordneten zu verwehren, die er beim Parteitag benötigte, um sich gleich im ersten Wahlgang zum Kandidaten küren zu lassen.

Auch dieses Vorhaben scheiterte.

Sechzehn Monate, nachdem der Wettkampf um die Nominierung begonnen hatte, wurde ein Mann, der über keinerlei politischer Erfahrung verfügte, der noch nie in ein Amt gewählt worden war und der nicht gedient hatte, zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner gekürt – und zwar sehr überzeugend. 13 Millionen Stimmen erhielt Trump bei den Vorwahlen der Republikaner, was einen Rekord darstellte. 1.400 Delegierte sprachen sich für ihn aus, und das, obwohl Nate Silver und die anderen sogenannten Experten bei Silvers Blog FiveThirtyEight zuvor verkündet hatten, Trump werde schon Mühe haben, überhaupt 1.237 Delegiertenstimmen zu bekommen.3 Im Lager der Republikaner fachte Trump eine Begeisterung an wie niemand sonst in der jüngeren Vergangenheit. Zehn Millionen Stimmen mehr wurden bei den Vorwahlen der Republikaner abgegeben als noch 2008.

Und dennoch weigerte sich die Republikanische Partei – insbesondere die alte Garde, Leute wie die Bushs, Mitt Romney und John McCain –, sich voll und ganz hinter ihn zu stellen. Das Partei-Establishment zierte sich und zauderte wie ein Bräutigam bei einer Zwangsheirat.

Der Widerstand der Parteioberen war Ausdruck ihres Unglaubens und ihrer Unfähigkeit, ihren Stolz zu schlucken, zu sehr hatte ihnen Trumps Dominanz wieder und wieder den Atem geraubt. Bei den Vorwahlen gewann er in Florida – wo er gegen zwei gebürtige Floridianer antrat – jeden einzelnen Bezirk bis auf Miami. In Virginia gewann er jeden einzelnen Bezirk. Im Nordosten des Landes gewann er in fünf Staaten jeden einzelnen Bezirk bis auf ein einziges Viertel in New York. In Ohio verlor er gegen den amtierenden Gouverneur, aber als einziger der anderen Kandidaten konnte Trump überhaupt einen Bezirk in dem Staat gewinnen. (Bei der Präsidentschaftswahl siegte er in Ohio mit deutlichen neun Punkten Vorsprung, ein vier Mal so großer Vorsprung, wie er George W. Bush 2004 gelang – und das, obwohl Gouverneur John Kasich Trump nicht das kleinste bisschen Unterstützung zukommen ließ.) In Kalifornien gewann er in sämtlichen Bezirken und erhielt 75 Prozent der Stimmen. Er galt nie als der „evangelikale“ Kandidat – das war die Stärke von Ted Cruz –, aber dennoch setzte sich Trump in nahezu jedem Staat durch und vor allem in den südlichen Staaten des „Bible Belts“ bei den selbst ernannten Evangelikalen. Es hieß, Trump spreche ausschließlich die „Ungebildeten“ an, dennoch gewann er in nahezu jedem Staat bei den Wählern „mit Hochschulabschluss“ und „Studienerfahrung“.

Ein absolut absehbarer Kantersieg in den Vorwahlen

Im April 2016 waren sich die Experten nahezu einig: Niemals würde Trump beim Parteitag die „magische Zahl“ von 1.237 Delegierten erreichen. Nur einen Monat später räumten sie niedergeschlagen ein, dass sich Trump nicht aufhalten ließ. Viele bezeichneten das Ergebnis als unmöglich, unglaublich oder verblüffend.

Für einige von uns war es allerdings absehbar gewesen.

Ich habe bereits im August 2015 öffentlich prognostiziert, dass Trump sowohl die Vorwahlen als auch die eigentlichen Wahlen gewinnen würde.4 Tatsächlich bin ich, wenn ich mich richtig erinnere, sogar noch früher zu dieser Einschätzung gelangt. Im März 2016 würde Trump meinen Schlussfolgerungen zufolge auf mindestens 1.300 Delegierte kommen – zu diesem Zeitpunkt beharrten „Experten“ wie Silver noch immer darauf, es werde ausgesprochen schwer für Trump, auch nur 1.237 zusammenzubekommen.5

Im November 2015 prognostizierte ich, dass Trump die Präsidentschaftswahlen mit einem relativ bequemen Vorsprung bei den Wahlmännern gewinnen werde (ich sprach von 300 bis 320 Wahlmännerstimmen), dass der prozentuale Stimmenanteil aber geringer ausfallen werde. 2016 aktualisierte ich die Vorhersage: Trump werde um die 70 Wahlmännerstimmen aus ehemals „blauen“ Staaten holen, sagte ich, aber die Margen würden bei unter zwei Prozentpunkte liegen. Und zwei Tage vor der Wahl schrieb ich: „300 bis 320 [Wahlmännerstimmen] sind absolut realistisch.“ Die meisten Experten behaupteten zu diesem Zeitpunkt immer noch, Hillary werde mit einem deutlich höheren Vorsprung gewinnen.6

Trump gewann Pennsylvania mit 1,2 Prozentpunkten Vorsprung, Michigan mit 0,3 Punkten, Wisconsin mit 1,3 Punkten und Florida mit 1,3 Punkten. In den „blauen“ Staaten, in denen Trump verlor, waren die Niederlagen in einigen Fällen ebenfalls nur hauchdünn, beispielsweise in New Hampshire (unter 0,5 Prozentpunkte), Minnesota (1,5 Punkte) und Virginia (4,9 Punkte, aber nur 200.000 Stimmen). Es gab für die „Blauen“ auch einige „Kantersiege“, beispielsweise in North Carolina, wo Trump die Marge, mit der Romney dort 2012 gewonnen hatte, verdoppeln konnte, oder in Iowa, wo Trump mit über neun Prozentpunkten Vorsprung gewann. Aber im Großen und Ganzen lässt sich sagen: Wir hatten hier einen „klaren“ Sieg, der durch kleine Vorsprünge in diversen Staaten erzielt wurde. Kurzum: In den 16 Monaten bis zur Präsidentschaftswahl von 2016 lag ich ziemlich richtig, wobei ich Trumps Stärke häufig sogar noch unterschätzte.

Donald Trump – Konservativer, Nationalist oder beides?

Ein Großteil der vom Magazin National Review angeführten sogenannten #NeverTrump-Opposition behauptet (und ich betone hier das „behauptet“), sie sei gegen Trump gewesen, weil er kein echter Konservativer sei. Mal angenommen, dass dies überhaupt ein legitimer Grund sei, womit begründete sie das? Die Opposition berief sich auf Trumps frühere Haltung in einigen sozialen Fragen (Aussagen, die er schon vor einiger Zeit widerrufen hatte), auf seinen Isolationismus in militärischen Belangen und seinen Widerstand gegen reine „Freihandels“-Theorien. Es ging um Trumps Kritik an Handelsvereinbarungen wie dem Nordatlantischen Freihandelsabkommen NAFTA und der Transpazifischen Partnerschaft TPP sowie seinen Vorschlag, eine Mauer zu bauen, um illegale Zuwanderung aus Mexiko zu stoppen.

Tatsächlich jedoch ist es so, dass der moderne „Konservativismus“ nicht die traditionelle Spielart ist, wie sie praktiziert wurde von George Washington, John Adams und Alexander Hamilton (Föderalisten), James Madison (Mitglied der Demokratisch-Republikanischen Partei) oder Abraham Lincoln, Theodore Roosevelt, Warren Harding und Calvin Coolidge (Mitgliedern der GOP, der neuen Republikaner). Es ist eine historische Tatsache, dass Ronald Reagan sich weit von vielen traditionell konservativen Standpunkten entfernte. Ein Eingreifen im Ausland beispielsweise war seiner Meinung nach erforderlich, um zu verhindern, dass sich in den einzigartigen Umständen des Kalten Kriegs die strategische Position der USA verschlechterte. Reagan stimmte auch dem Einwanderungsgesetz Simpson-Mazzoli Act zu. Seine fadenscheinige Begründung: Die Demokraten würden die getroffenen Versprechen schon einhalten. Vor Reagan hätten praktische alle konservativen Anführer der Föderalisten, der Demokratisch-Republikanischen Partei, der Whig Party und der Republikaner in zentralen Punkten Trumps Politik zugestimmt. Und dasselbe gilt für die meisten demokratischen Präsidenten, ausgenommen James Polk und Woodrow Wilson.

Talkshow-Moderator Rush Limbaugh hat es schon viele Male erklärt: Trump ist nicht ideologisch. Er sieht die Dinge nicht durch eine „konservative“ Ideologie-Brille. Er ist Pragmatiker, ein Problemlöser, für den sich Erfolg nicht daran bemisst, wie strikt man sich an eine bestimmte politische Ideologie klammert, sondern daran, ob es den Menschen zu Wohlstand verhilft, zu Arbeit und zu Sicherheit. Der Meinungsforscher Richard Baris von People’s Pundit Daily zählt zu den ganz wenigen Meinungsforschern, die Trumps Beliebtheit richtig einschätzten. Baris erklärt, Trumps Anziehungskraft sei „haltungsabhängig“ und setze sich über Rassengrenzen und ethnische Grenzen hinweg. Das gelte insbesondere für afroamerikanische Männer, die Political Correctness nicht mögen und die „von Anfang an offen für Trump“ gewesen seien.7

Wodurch wurde Donald Trumps Aufstieg begünstigt? Die Antwort scheint naheliegend: Der Konservativismus hat während der vergangenen acht Jahre nichts zustande bekommen. Im Repräsentantenhaus und Senat gelangen überwältigende Siege, dennoch weigerten sich die Republikaner, zu einer der beiden Waffen zu greifen, mit deren Hilfe sie Barack Obama hätten stoppen können – entweder durch ein Amtsenthebungsverfahren oder durch einen Government Shutdown, ein Lahmlegen des Regierungsapparats. Beides wäre natürlich nicht ohne schwere Auseinandersetzungen vonstattengegangen und bei beidem hätten sich die Republikaner durchaus eine blutige Nase holen können. Aber die gewählten Volksvertreter unternahmen nicht einmal den Versuch. Das Repräsentantenhaus hätte probieren können, Obama den Geldhahn zuzudrehen, der Senat hätte versuchen können, den Präsidenten für verfassungswidrige Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Als die konservativen Wähler sahen, dass ihre gewählten Vertreter nichts unternahmen, kamen viele von ihnen zu der Ansicht, Konservativismus sei hohl und zahnlos.

Jim McIngvale, Eigentümer des Möbelgeschäfts Gallery Furniture und anfangs ein Cruz-Anhänger, der sich später für Trump erwärmte, erinnert sich an einen Besuch Trumps bei einer Republikaner-Veranstaltung in Texas. McIngvale fragte den Milliardär bei dem Treffen nach seiner Ansicht zum „amerikanischen Exzeptionalismus“. Trumps Antwort war nicht eine der üblichen ideologischen Antworten, wie man sie in den „Säulen des Exzeptionalismus“ findet, die wir in A Patriot’s History of the Modern World skizzierten.8 Er antwortete nicht mit einer theoretischen Verteidigung der amerikanischen Freiheit, stattdessen antwortete Trump mit einer Gegenfrage: „Wie kann man uns exzeptionell nennen, wenn wir nicht gewinnen? Diese anderen Nationen nehmen uns die Wurst vom Brot. Wir müssen Amerika wieder groß machen.“ Anders formuliert: Ein philosophischer Konservativismus, der seine Menschen im Stich lässt, ist bedeutungslos. Erstrebenswert war nur ein praktischer Konservativismus, der zu einem großen und wohlhabenden Amerika führt. Bevor wir über eine Sonderstellung sprechen können, müssen die Vereinigten Staaten überhaupt erst einmal exzeptionell sein – und das sind sie seit 20 Jahren nicht mehr, wenn man Trump fragt.

Der neue Konservativismus ist der alte Konservativismus

Zum Konservativismus der Trump-Ära gehört dasselbe Programm wie zum Konservativismus von Washington, Lincoln und Theodore Roosevelt: Man handelt Abkommen aus, die auf Stärke basieren und dazu dienen, die USA besser dastehen zu lassen. Man handelt keine einseitigen Vereinbarungen aus, die, um ein Beispiel zu nennen, dazu führen, dass Boeing China all seine Patente überlässt (eine Bedrohung der nationalen Sicherheit). Washington und Hamilton befürworteten Schutzzölle, damit sichergestellt werde, dass Waffen und Uniformen für die Streitkräfte im eigenen Land hergestellt werden (und bei einem Konflikt mit dem Ausland eine zuverlässige Versorgung gewährleistet ist). Heute bedeutet das eine inländische Infrastruktur für die Herstellung von Computern, optischen Geräten und anderen Notwendigkeiten moderner Kriegsführung. Ach, bevor ich es vergesse: Echten Freihandel gibt es, wenn man ausländische Märkte für amerikanische Produkte öffnet. Das kann, falls erforderlich, durch Druck oder Einschüchterung erfolgen und ist es in der amerikanischen Geschichte auch schon (wir erinnern uns an Commodore Perry und die Öffnung Japans 1853). Washington und Lincoln hielten es für erforderlich für die amerikanische Sicherheit, dass die Nation auf der Grundlage gemeinsamer Werte agierte, Werte, die einer Liebe für Amerika und seine Gesetze entsprangen. Jeder illegale Einwanderer verstößt gegen Letzteres, indem er unrechtmäßig ins Land kommt (oder nach Ablauf des Visums bleibt). Und viele verstoßen gegen Ersteres, indem sie ihre eigene Nationalsprache über das Englische stellen oder sich in erster Linie als „Mexikaner“ oder „Muslime“ und erst dann als Amerikaner ansehen. Trump sagt, dass der Eingliederungsprozess neu gestartet werden muss. Das war exakt die Politik unter William McKinley, Teddy Roosevelt und jedem anderen US-Präsidenten bis zu Lyndon Baines Johnson. Über einen Zeitraum von 50 Jahren hinweg verzeichneten wir nahezu keinerlei Einwanderung.

Die politischen Eliten fürchten diesen neuen nationalistischen Konservativismus, denn sie tendieren genauso zum Globalismus wie viele Unternehmenslenker, denen der stete Zustrom billiger Arbeitskräfte in die Karten spielt. Aber das amerikanische Volk ist konservativ nationalistisch. Die Amerikaner wollen ein starkes Amerika, keines, das vor der UNO buckelt, vor internationalen Abkommen oder vor internationalen Bankern, die die Weltwirtschaft an die Wand gefahren haben. Sie wünschen sich, dass wir Amerikaner unseren Weg selbst bestimmen, unabhängig vom Versagen Chinas, Russlands und der Europäer, ihre eigenen Grenzen zu schützen, aus verknöcherten Regionalstrukturen wie der Europäischen Union auszubrechen oder ihren eigenen Nationalgeist auszuüben. Trump war ein Versprechen, zum traditionellen Konservativismus zurückzukehren, zum nationalistischen Konservativismus.

Von Washington über Lincoln bis zu Calvin Coolidge glaubten die Traditionalisten (vielleicht mit Ausnahme Theodore Roosevelts) an eine vergleichsweise isolationistische Außenpolitik. Das Washington-Abkommen, das dem Wettrüsten zur See einen Riegel vorschob, handelte Harding zu einem Zeitpunkt aus, als die USA größte Seemacht waren, was bedeutete, wir würden keine große Flotte benötigen. Trump hat angedeutet, dass die USA möglicherweise zu begierig darauf war, rund um die Welt Truppen zu stationieren. Washington und Lincoln hätten ihm da zugestimmt.

Dieser traditionell amerikanische nationalistische Konservativismus erklärt, warum Trump auf Demokraten und Unabhängige ebenso großen Reiz ausübte wie auf die „konservativen“ und „sehr konservativen“ Republikaner, bei denen die Meinungsforscher einen starken Rückhalt für Trump verzeichneten. Trump ist eine Abkehr vom Reaganschen Konservativismus, so wie Reagan eine Abkehr vom Konservativismus von Washington, Lincoln, Harding und Coolidge war. Reaganismus war das, was in den 1980er-Jahren gebraucht wurde, aber die Zeiten haben sich geändert. Die Welt heute ist eine ganz andere und das gilt auch für die Bedrohungen. Nach acht Jahren des Untätigkeits-Konservativismus stellte Trumps Wahlkampf von 2016 einen völlig anderen Ansatz zur Lösung der Probleme dar, denen sich Amerika ausgesetzt sieht. Der Untätigkeits-Konservativismus war die Hülse einer ungewöhnlichen Spielart traditionellen amerikanischen Konservativismus, der während einer gewissen Zeit im Kalten Krieg genau richtig war.

Bereits in seiner Ankündigung, er werde für das Amt des Präsidenten kandidieren, signalisierte Trump seine Absicht, Amerika wieder groß zu machen. Und seine Anhängerschaft nahm ihn von Anfang an ernst.

Sehr ernst.

In diesem Buch geht es darum, wie Donald J. Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Wir bekommen einen gründlichen Einblick davon, wie es in den Schlüsselstaaten Ohio und Florida hinter den Kulissen lief, während wir eine Bande abtrünniger Teilzeit-Politjunkies begleiten, die als die „Deplorables“ bekannt wurden. Das geht zurück auf Hillary Clinton, die Trumps Anhänger als „einen Korb voll Erbärmlicher“ („a basket of deplorables“) bezeichnete.

Der einzige von uns, der von sich behaupten kann, Vollzeit-Politexperte zu sein, ist der Meinungsforscher Richard Baris, der jedoch von den „wahren“ Meinungsforschern nicht für voll genommen wurde. Baris hatte bei einer Reihe Wahlkämpfe mitgearbeitet und 2013 People’s Pundit Daily (PPD) ins Leben gerufen. Bei seiner ersten Erhebung 2014 stellte er eine geringe Rücklaufquote fest und erkannte, dass die „großen“ Meinungsforscher das noch nicht berücksichtigt hatten. Also entwickelte er eine neue Herangehensweise, bei der er, wie er sagt, ein „großes Netz auswirft“, anschließend lässt er „die Daten selbst sprechen“, anstatt die Ergebnisse in zuvor festgelegte Modelle zu zwängen.9 Bei den Wahlen von 2016 war PPD der treffsicherste aller Meinungsforscher.

Dann war da Donald „Deplorable Don“ Culp, Luft- und Raumfahrtingenieur am Luftwaffenstützpunkt Wright Patterson in Ohio. Er befasste sich mit künstlicher Intelligenz, war aber extrem politikinteressiert und hatte den örtlichen Ableger der Republikanischen Partei bei ihrer Wähleransprache beraten (was sich 2016 als erfolgreich erwies). Culp entwickelte interne Wähler-Bewertungsmodelle, die sich auf geradezu unheimliche Weise als präzise herausstellten.

Ein anderes Mitglied in der Bande der Erbärmlichen war „Deplorable Greg“: Greg Den Hease, Frauenarzt aus der Region von Tampa in Florida. Sein Hobby war die Politik und er kennt sich bestens aus in Südflorida.

Aus Südflorida kam noch ein anonymer Data-Miner namens „Deplorable Drew“, der eigenständig arbeitete und das Team Trump mit Daten versorgte, die, wie sich später herausstellte, nahezu exakt die Einschätzungen von Greg bestätigten.

Ein anonymer Analyst namens „Deplorable Dave“ aus Dayton war ein ausgezeichneter Kenner der politischen Landschaft in Ohio im Allgemeinen und besonders umkämpfter Bezirke im Einzelnen.

Und dann war da noch ich. Nachdem ich als professioneller Politikhistoriker jahrelang über viele Wahlen in Amerika geschrieben hatte, war ich mit den politischen Realitäten in Ohio, Arizona und Florida gut vertraut. Auch Mitglieder der Website FreeRepublic steuerten von Zeit zu Zeit Daten bei, erwähnt werden sollten auf alle Fälle „SpeedyinTexas“ und „Ravi“.

Wir waren Teil eines weiteren ungewöhnlichen und außergewöhnlichen Elements des Trump-Wahlkampfs, bei dem traditionelle Berater und Meinungsforscher außen vor blieben. Trump hatte Zugang zu sachkundigen Freiwilligen, die gerne zu jeder Art von Hilfe bereit waren. Unsere Bande von „Deplorables“ nahm ihre Arbeit weit vor dem eigentlich Wahltag auf und versorgte die Führungsriege des Teams Trump direkt mit einem steten Strom an Informationen über Veränderungen bei den Wählerregistrierungen, über die Zahl der Briefwähler, über Echtzeitdaten während der Frühphase der Wahl, über Meinungsumfragen und andere relevante Erkenntnisse. Am Wahltag selbst bestätigten wir Trends aus „roten“ Bezirken in Florida, Trends, die uns zeigten, dass The Donald den Staat gewinnen würde. Trotz großer Bedenken im Team Trump hatten wir uns bereits auf die Prognose festgelegt, dass Trump in Ohio einen klaren Sieg einfahren würde. Eine Stunde vor den großen Fernsehsendern verkündete unsere Gruppe von Eigenbrötlern und Abtrünnigen, dass Trump der Sieg in Florida nicht mehr zu nehmen sei. Bei Pennsylvania lagen wir Stunden vor den Sendern, bei Michigan waren wir um Tage schneller. Unsere einzige Fehleinschätzung des Abends war Wisconsin, aber das war eine angenehme Überraschung. Dass Trump gewonnen hatte, wusste unser Team „abtrünniger Erbärmlicher“ wohl früher als alle anderen – ausgenommen das Hillary-Lager (eine faszinierende Geschichte, siehe Kapitel 9).

Aber bevor wir in den virtuellen Bunker der „Renegade Deplorables“ steigen und dort hinter die Kulissen schauen, erleben wir noch einmal die Spannung, die während des Wahlkampfs von 2016 herrschte. Der altgediente Reporter Joel Pollak von Breitbart News stand dort inmitten Zehntausender Wähler, die Donald Trump schon bald zum erstaunlichsten Sieg in der amerikanischen Politikgeschichte verhelfen sollten. Aber das wusste Pollak damals noch nicht.

KAPITEL ZWEI

IM WAHLKAMPF:

VON WASHINGTON ÜBER NORTH CAROLINA BIS NACH NEW YORK

Joel Pollak

25. Oktober 2016

In Los Angeles besteige ich den Nachtflug nach Baltimore. Ich habe zwei Tickets gebucht (das andere für Raleigh-Durham in North Carolina), weil ich praktisch bis zur letzten Minute keine Ahnung habe, wo Donald Trump und sein Wahlkampftross sein werden.

Während der vergangenen zwei Tage war ich offline, weil ich die jüdischen Feiertage Schmini Azeret und Simchat Tora begangen habe. Und in jeder der mehr als 48 Stunden Internet-Abstinenz brodelte es in mir leise vor sich hin, während ich danach gierte, mich auf den neuesten Stand zu bringen.

Auch wenn ich offline war, hatte ich selber für Schlagzeilen gesorgt. Kurz vor der letzten Debatte war mein neuestes Stück für Breitbart News erschienen, ein Exposé, für das ich mit dem konservativen Filmemacher James O’Keefe und seinem Project Veritas zusammengearbeitet hatte. Project Veritas hatte enthüllt, dass die Clinton-Kampagne seit einem Jahr bei Trumps Wahlkampfveranstaltungen und anderen republikanischen Events die Gewalt angefacht hatte.1 Nun hatte ich eine Fortsetzung geschrieben, in der ich aufzeigte, dass hinter einer Nebelwand von mit reichlich Geld aus „dunklen Kanälen“ finanzierten Super-PACs eine direkte Verbindung zwischen Clinton und den Methoden ihrer Handlanger bestand.2 Aber nun muss ich wissen, ob es online ist und wie die Reaktionen darauf ausgefallen sind. Alle vier Jahre fällt das jüdische Laubhüttenfest mit der Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfs zusammen. Und alle vier Jahre scheint es, als könnten die liberalen jüdischen Wähler die Feiertage ganz entspannt in dem Wissen genießen, dass ihre Kandidaten gewinnen werden, während die Konservativen betrübt in die Zukunft schauen und für ein Wunder beten.

Auf halbem Weg zwischen dem jüdischen Neujahr Rosch ha-Schana und dem Versöhnungsfest Jom Kippur schlug das berühmt-berüchtigte Access-Hollywood-Video ein – und zwar hart.

Entstanden war die Aufnahme 2005, zu hören ist darauf ein Gespräch zwischen Trump und dem Fernsehmoderator Billy Bush (einem Mitglied der Bush-Familie). Trump prahlt mit seiner Fähigkeit, Frauen betatschen zu können und aufgrund seines Prominentenstatus damit durchzukommen. „Pack sie bei der Pussy“, sagte er und Bush lachte.

Was den Männern nicht bewusst war: Ihre Mikrofone zeichneten das Gespräch auf. Die Kameras liefen nicht, denn die beiden Männer waren noch in einem Bus. Als das Video öffentlich wurde, brachen die Republikaner in Panik aus und die Mainstreammedien in Jubelstürme.

Heute, am 25. Oktober, gerade einmal zwei Wochen vor der Wahl, wirkt es, als habe sich Trump niemals so richtig von diesem Schock erholt. Schon komisch: Von all den Dingen, die Trump hätten zu Fall bringen können, könnte es nun ausgerechnet etwas sein, das so voll und ganz außerhalb des Wahlkampfs geschah. Keiner der zahllosen Wahlkampf-Patzer und -Ausrutscher, bei dem sich die Medien doch jedes Mal so gewiss waren, dass Trumps Wahlkampf nun aber wirklich „implodieren“ werde, sondern eine elf Jahre alte Tonaufnahme, nach der jemand ganz offensichtlich mit sehr viel Mühe gesucht hatte und sich sehr bemüht hatte, sie unter Verschluss zu halten. Ganz offensichtlich handelte es sich dabei um einen Witz – nicht die Art von Sache, an die sich Trump erinnert hätte oder von der er hätte erwarten können, dass sie ihm um die Ohren fliegt.

Anders sieht es da vielleicht bei den Vorwürfen aus, die folgten: Plötzlich brach eine Reihe Frauen ihr – zum Teil seit vielen Jahrzehnten herrschendes – Schweigen und behauptete, Trump habe sich ihnen aufzwingen wollen.

Was Vorwürfe der sexuellen Belästigung angeht, ist das Kleinkram im Vergleich zu Bill Clintons dicker Akte. Selbst in den Anklagen heißt es, Trump habe abgelassen, nachdem die Frauen ihn dazu aufgefordert hatten. Und der Zeitpunkt ist verdächtig: Warum damit bis Oktober warten und diese Vorwürfe nicht früher öffentlich machen, etwa während der Vorwahlen der Republikaner?

Die Antwort ist nicht schwer zu erraten: Das war ein im Voraus geplanter Angriff, eine „Oktober-Überraschung“ sagt man im amerikanischen Wahlkampf dazu. Und die Behauptungen erhielten zusätzliches Gewicht (Achtung, Wortspiel) durch die offensichtlich druckfertig bereitliegende Geschichte über Trumps seit 20 Jahren schwelenden Streit mit der ehemaligen Miss Universe Alicia Machado. Bei der ersten Präsidentschaftsdebatte hatte Hillary Clinton das Thema angesprochen und erzählt, wie sich Machado und Trump wegen ihres Gewichts gestritten hatten (er hatte den Schönheitswettbewerb gerade gekauft, als die neue Titelträgerin zulegte). Im Anschluss folgten mehrere – offenkundig seit Monaten vorbereitete – Interviews mit Machado.

Trump hat möglicherweise gewusst, dass er sich Fragen zu seiner Vergangenheit würde stellen müssen. Tatsächlich weiß jeder bereits Bescheid über sein Geschäker, denn das war während der Vorwahlen Thema gewesen.

Aber das hier ist etwas anderes. Das Access-Hollywood-Video erwischte offenbar selbst Trump kalt. Und es ging einher mit derselben Medienbotschaft, die wir zahllose Male während der Vorwahlen und während des zentralen Wahlkampfs gehört haben, doch nie zuvor mit einer derartigen Glaubwürdigkeit: „Das Rennen um die Präsidentschaft ist vorüber“, wie Chuck Todd von NBC News sagte.3

Jetzt, Ende Oktober, scheint das absolut zutreffend – glaubt man dem Einbruch in den Meinungsumfragen, zu dem es kam, nachdem die Medien ihren Teil zum Ganzen beigetragen haben.

Aber auch Clinton blieb nicht ungeschoren, was peinliche Enthüllungen anbelangt.