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Stellen Sie sich vor, Ihr Unternehmen bietet hervorragenden Service – aber keiner merkt es. Inzwischen blüht es zwar in der Servicewüste Deutschland und viele Firmen bieten innovative Dienstleistungen, doch sie verstehen es nicht, ihr Angebot wirksam zu kommunizieren. Die Kunden von heute lassen sich jedoch keine Angebote von der Stange mehr vorsetzen. Sie wollen Unternehmen menschlich erleben, auf allen Kanälen mit ihnen in Kontakt sein und ihre Marken mitgestalten. Die Service-Spezialistin Sabine Hübner und der Kommunikationsexperte Reiner App zeigen in 18 Kapiteln den Weg zur perfekten Servicekommunikation. Sie führen vor, wie Unternehmen mit packenden Erlebnissen, Inszenierungen und echtem Dialog ihre Zielgruppen begeistern, involvieren und dauerhaft binden. Denn Servicekommunikation ist das Marketing der Zukunft!
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Seitenzahl: 304
Sabine Hübner | Reiner App
Tue dem Kunden Gutes und rede darüber!
Mehr Erfolg durch die richtige Servicekommunikation
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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2. Auflage 2014
© 2013 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
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Redaktion: Ulrike Kroneck, Melle-Buer
E-Book-Umsetzung: Georg Stadler, München
ISBN Print: 978-3-86881-336-4
ISBN E-Book (PDF): 978-3-86414-238-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi): 978-3-86414-480-6
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Service und Kommunikation – es gibt keine stärkere Kombination, um Kunden dauerhaft zu überzeugen. Mehr noch: Heute lassen sich Service und Kommunikation gar nicht mehr trennen. Denn jede Facette von Service wird von Kommunikation getragen. Und je mehr Service individualisiert und personalisiert wird, desto persönlicher muss Kommunikation sein. Wir sind überzeugt: Das Marketing der Zukunft wird personalisierter Service sein.
Marketing mit der Gießkanne funktioniert nicht mehr. Der Kunde möchte auf Augenhöhe mit einem Unternehmen sprechen, und er besteht darauf, dass das Unternehmen ihm zuhört. Leider sind die wenigsten Unternehmen darauf eingerichtet, und die wenigsten nutzen das gewaltige Potenzial eines echten Dialogs mit dem Kunden. Stattdessen werden mit viel Aufwand große Service-Ideen zuerst auf den Markt gebracht und dann an die Wand gefahren: zum Beispiel, weil Unternehmen ihren Kunden gar nicht verraten, welchen Service sie bieten. Weil sie sich für die wirklichen Bedürfnisse des Kunden nicht interessieren und auch nicht dafür, über welche Kanäle sie ihre Kunden erreichen könnten. Oder weil sie zu langweilig, zu kompliziert, zu arrogant, zu aufdringlich oder zu kalt kommunizieren. Kurz: Es geht schief, was nur schiefgehen kann. Unternehmen verschenken so wertvolle Chancen und entwerten hohe Investitionen.
Falsche Kommunikationsstrategien wirken im Service so verheerend wie nirgends sonst. Sie richten massive Vertrauensschäden an und ziehen existenzbedrohende Umsatzeinbrüche nach sich. »Vertrauen kommt so langsam wie ein Fußgänger und verschwindet so schnell wie ein Reiter«, formulierte der niederländische Staatsmann Johann Thorbecke schon im 19. Jahrhundert.
Heute verschwindet Vertrauen in Sekundenschnelle, denn jeder Kunde »teilt« zu jeder Zeit seine Begeisterung oder seinen Unmut via Internet. Höchste Zeit also für Unternehmen, Service- und Marketingstrategien nicht mehr als getrennte Aufgaben anzusehen, sondern als eine einzige Herausforderung. Es geht dabei nicht nur um eine perfekte Verzahnung von Service und Marketing, sondern um eine komplette Integration.
Denn der Kunde der Zukunft interessiert sich nicht für das, was sich Marketingabteilungen für ihn vorstellen, und er will auch nicht von outgesourcten Serviceabteilungen getröstet werden. Er will, dass Unternehmen sich anhören, was er sich selbst vorstellt, er will über alle Kanäle auf Augenhöhe mit den Unternehmen sprechen, und er will, dass Unternehmen ihm genau das liefern, was er sich wirklich wünscht – oder besser noch: gewünscht hätte, wenn er selbst darauf gekommen wäre.
Wir wünschen Ihnen eine angenehme und inspirierende Lektüre!
Sabine Hübner und Reiner App
Service ist wie darstellende Kunst: Er ist nicht materiell, er ist immer wieder einmalig, er entsteht im Zusammenspiel mit dem Kunden, er wird individuell völlig unterschiedlich wahrgenommen, und er lebt via Kommunikation. Deshalb ist Service nur schwer standardisierbar, schwer planbar, schwer kalkulierbar, schwer messbar. Das allein hat exzellenten Service schon immer zu einer besonderen Herausforderung für Unternehmen gemacht. Jetzt kommen weitere Herausforderungen dazu:
> Der Kunde lebt im Dauerstress.> Der Kunde leidet unter der Informationsüberflutung.> Der Kunde kauft und kommuniziert über viele Kanäle.> Der Kunde will Klasse und Masse, Reales und Digitales.> Der Kunde »fühlt« öffentlich im Web 2.0.Wir haben keinen »normalen« 9-to-5-Job mehr, sondern sind sieben Tage in der Woche durchgehend auf Abruf: 24/7 heißt die neue Formel. Wir haben keine durchgeplanten Biografien mehr, die von einer Karrierestufe zur nächsten und bis zur wohlverdienten Rente führen. Stattdessen wird biografischer Wirrwarr zur Normalität: Wir arbeiten immer in mehreren Projekten gleichzeitig, beantworten Kundenanfragen per Smartphone schon um 6 Uhr am Frühstückstisch oder um 23 Uhr aus dem Hotelbett, holen hektisch die Kinder aus der Tagesbetreuung und die Hemden aus der Reinigung, bestellen zwischendurch alles Lebensnotwendige im Internet und sind heilfroh darüber, dass der Friseur nebenan die Pappkartons mit unseren Online-Bestellungen im Hinterzimmer zwischenstapelt. Wir legen Wert auf schöneres Wohnen, sind aber kaum zu Hause.
»Die Herausforderung besteht nicht länger darin, noch mehr oder noch bessere Produkte anzupreisen, sondern auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Dienste anzubieten«, schreibt Dr. Martina Kühne, Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institut. Sie analysiert wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen in Konsum, Shopping, Einzelhandel und Dienstleistungen. »Wir wollen als Kunden nicht noch einen Kühlschrank, sondern einen Service, der dafür sorgt, dass er stets angemessen gefüllt ist. Und wir wollen kein besseres Auto, sondern einen Dienst für Mobilität auf Abruf. Innovation verbessert nicht länger Produkte, sie ermöglicht den Kunden, ihr Leben besser zu bewältigen – so lautet die neue Servicelogik.«1
Das Leben bewältigen: Das heißt heute etwas völlig anderes als für die Generationen vor uns. Lehnten sich zum Beispiel die Menschen in den 1950er- und bis hinein in die 1970er-Jahre noch gegen zu wenig Freiheit, zu enge Moralvorstellungen, zu wenig Wahlfreiheit auf, so haben wir heute das umgekehrte Problem: Nicht ein zu enges soziales Korsett nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern eine geradezu absurde Zahl von Möglichkeiten – ganz gleich, ob es um die Wahl einer medizinischen Behandlung oder eines Toastbrots, eines tragbaren Kleincomputers oder einer Haftpflichtversicherung, einer Religion oder einer Einlegesohle geht. Innerhalb dieser »Zuvielfalt« müssen wir uns zurechtfinden, entscheiden und zugleich selbst verwirklichen – am besten erfolgreich. Denn in einer Zeit, in der unser Geschick unserer Vorstellung nach nicht mehr von oben gelenkt wird (vom gnädigen Fürsten, vom lieben Gott etc.), sondern nur mehr von uns selbst, gibt es niemanden mehr, den wir für unser Scheitern verantwortlich machen können.
So kommt es, dass jede Entscheidung als existenzielle Prüfung empfunden wird, dass Menschen sich orientierungslos, überfordert und erschöpft fühlen. Und so kommt es, dass Kunden sich von jedem Anbieter und am liebsten von jedem Produkt wünschen: »Sprich mit mir!«
Genau hier setzt die »neue Servicelogik« an: Sie bietet »Lösungen statt Produkte, individuelle Hilfestellung statt Massenkonsum« – so jedenfalls sieht es Andreas Steinle, Geschäftsführer des Zukunftsinstituts, Kelkheim.2 Neue Dienstleister werden uns dabei helfen, den Alltag outzusourcen: »Dienstleistungen, Service und Hilfestellungen zwischen Kind und Karriere, Beziehung und Beförderung werden sich in den nächsten Jahren noch stärker zu einer Unterstützungsökonomie formieren.« Vier Märkte zeichnen sich Steinle zufolge in diesem Feld ab:
>Familien-Services wie Baby-Hotels oder Reiseangebote mit Kinderbetreuung,>Health-Services von Tourismus-Anbietern, Versicherungen oder Kosmetikherstellern,>Everyday-Services von persönlichen Assistenten, Trainern oder Ärzten,>Genuss-Services von Wellness-Hotels, Buchläden oder Banken.Doch auch klassische Service-Experten wie Hotels oder Friseure müssen umdenken. Denn exzellenter Service bedeutet nicht unbedingt »mehr« Service und »mehr« Kommunikation, sondern einen »genau richtigen« Service samt Kommunikation. So genießt es der eine Hotelgast, keine unnötige Zeit beim Frühstücken verschwenden zu müssen und dafür eine wunderbare Kaffeemaschine nebst kleinem Snack im Zimmer vorzufinden. Kommunikation mit dem Servicepersonal: Nein, danke! Wohingegen der andere exzellenten Service in einem opulenten Frühstücksbüffett und einem freundlichen Small-Talk sieht. Ähnlich empfindet die eine Friseurbesucherin einen Halbtagesbesuch im Salon inklusive ausführlichem Gespräch über geplante Urlaubsreisen als puren Luxus-Service, wohingegen die andere einen schwatzfreien Blitz-Hausbesuch vor Arbeitsbeginn bevorzugt.
Die universelle Formel für Service und Kommunikation gibt es nicht. Beides muss heute so individuell sein, wie Menschen unterschiedlich leben, arbeiten und konsumieren.
Im Handel hat sich so viel geändert, dass Service und Kommunikation völlig neu gedacht werden müssen. Werfen wir kurz einen Blick zurück:
> Traditionell kauften die Menschen auf Märkten ein. Langsam entwickelten sich Produktehandel, Manufakturwarenhandel und mit der Kolonialzeit auch der Handel mit Kolonialwaren – zumeist in Form kleiner Ladengeschäfte. Service bestand zu dieser Zeit vor allem in einer freundlichen Kommunikation mit dem Kunden und in der Erfüllung der Kundenwünsche.> 1852 öffnete in Paris das erste Warenhaus, das alles unter einem Dach anbot: Das Maison du Bon Marché galt als Palast des Kommerzes, der die Konsumwünsche des Adels und des Großbürgertums zu erfüllen versuchte. »Der Kunde wurde zum König gekrönt, und das Warenhaus blieb mehr als ein Jahrhundert lang sein Königreich«, resümiert die Studie »Einkaufen 4.0« von Deutsche Post DHL und tns Infratest.3 Service wurde zum exklusiven Luxus, die Kommunikation mit dem Kunden zu einem Akt der Demut.> Nur wenige Jahre später entstanden in europäischen Großstädten wie Paris, Brüssel oder Leipzig die ersten Passagen aus Glas und Stahl, besonders prachtvoll zeigt sich zum Beispiel die Galleria Vittorio Emanuele II, die 1867 in Mailand eröffnet wurde und heute Luxusmarken-Läden wie Prada, Gucci oder Louis Vuitton und gehobene Gastronomie beherbergt.> Schon wenige Jahre später verwirklichte der Unternehmer Ernst Mey die Idee, statt Vertretern bebilderte Kataloge in die hintersten Winkel der Provinz zu schicken. So entstand 1886 das Versandhandel-Konzept, das andere Unternehmer sehr schnell kopierten. Service und Kommunikation umfassten nun nicht mehr die persönliche Bedienung des Kunden, sondern vielmehr eine professionelle Abwicklung von Bestellung, Bezahlung und Logistik.> 1930 öffnete der erste Supermarkt in New York – endlich durften Kunden selbst in die Regale greifen. Einfache Einkaufszentren folgten überall in den USA, ab den 1960er-Jahren auch in Deutschland. Mit der zunehmenden Zahl der Privatautos schossen auch die Zahl und die Größe der Einkaufszentren auf der grünen Wiese in die Höhe. Während das Konzept in den USA heute offenbar an seine Grenzen stößt, werden in Asien immer größere Megamalls eröffnet: zum Teil mit mehr als 1000 Geschäften wie die Dubai Mall (350 000 Quadratmeter). Damit wurde die Bandbreite von Service und Kommunikation noch größer: vom angenehmen Parken über perfektes Gebäudemanagement (Beispiel Klimaanlage), Orientierungshilfen, Unterhaltungsangeboten bis hin zu exzellentem Service innerhalb der einzelnen Läden.> 1995 läutete Pionier Jeff Bezos mit seinem ersten Online-Shop (sein damals kleiner Buchladen www.amazon.de) eine neue Ära das Handels ein. Seitdem haben immer mehr Einzelhändler und Filialisten zusätzliche Online-Stores eröffnet, während große, traditionelle Versandhändler wie Neckermann die Revolution nicht überlebt haben. Zugleich ist der Handel mit Gebrauchtwaren über Portale wie eBay, aber auch über Online-Giganten (heute: www.amazon.de) sprunghaft gewachsen. Dieser Wandel zog neue Herausforderungen in Kommunikation und Service nach sich: von zuverlässigen Paketdiensten (hin und retour) in der realen bis hin zu zuverlässigen Bezahlwegen in der digitalen Welt.> 2007 führte die Einführung des Apple-Smartphones iPhone zu einem weiteren Umbruch im Handel. Denn mit ihren intelligenten Mobiltelefonen müssen Konsumenten nun nicht mehr zu Hause oder im Büro am Rechner sitzen, um Waren zu bestellen. Sie können ordern, wann und wo immer sie wollen: nach Ladenschluss beim Window-Shopping in der Fußgängerzone, im Café, im Stau. Das neue Zauberwort heißt »mobile«.»Was wir hier erleben, ist die größte Veränderung des gesellschaftlichen Konsumverhaltens seit der Industrialisierung«, konstatiert Andrej Busch, CEO von DHL Paket Deutschland in der Studie »Einkaufen 4.0«.4 Interessant ist jedoch bei dieser Entwicklung, dass sich trotz der großen Veränderungen sehr vieles überhaupt nicht verändert hat. Unterwegs ist nichts verloren gegangen! Noch immer gibt es Wochenmärkte und Tante-Emma-Läden, Versandkataloge, Supermärkte und Malls.
Neu sind Kreuzungen aus »global« und »local«: zum Beispiel Pop-up-Stores als temporäre Tante-Emma-Läden, die ausgerechnet von Online-Giganten wie eBay in Kooperation mit dem Internet-Bezahlservice PayPal betrieben werden.5 (Dass auch Amazon ein Ladengeschäft in Seattle eröffnen würde, erwies sich als Gerücht.)6 Unsichtbare Händlerriesen werden plötzlich sichtbar und müssen damit ganz andere Servicequalitäten und Kommunikationskünste aus dem Ärmel schütteln – nämlich Tante Emmas.
Umgekehrt kreuzen sich local und global, wenn immer mehr lokale Dealer Produkte über eigene Online-Shops oder über Plattformen wie Amazon oder eBay vertreiben. Laut Studie »Einkaufen 4.0« vertreibt der deutsche Einzelhandel schon fast 10 Prozent seiner Produkte über den Versandweg.7 Damit muss er sich in Sachen Service plötzlich mit den Online-Giganten messen lassen. Denn kein Kunde ist bereit, unsaubere Bezahlvorgänge und lange Lieferzeiten in Kauf zu nehmen.
Der Konsument von heute kennt sich überall aus (Markt, Laden, Mall, Versandkatalog, Online-Shopping), er nutzt alle Kommunikationskanäle (Face-to-Face, Telefon, Online-Bestellung, Mail, Smartphone), zahlt über alle möglichen Transaktionskanäle (bar, Kreditkarte, PayPal etc.) und erhält seine Ware über alle möglichen Lieferkanäle (im Laden, per Post, per Selbstabholung etc.). Damit ist der Kunde so autonom, so informiert, so kritisch und so wählerisch wie noch nie zuvor. Und für Unternehmen wird jeder Kundenkontaktpunkt zur existenziellen Prüfung. Stimmt der Service nicht, ist der Kunde weg.
Doch nicht nur Handel und Konsument haben einen enormen Entwicklungsschub durchlebt, auch die Produkte haben sich radikal verändert – und damit zu völlig neuen und anderen Herausforderungen für Service und Kommunikation geführt.
So läuft zum Beispiel eine Entwicklung zu immer individuelleren oder gar sinnorientierten Produkten parallel zu einem weiterhin enormen Erfolg des Massenkonsums. Zwar hatte Trendforscher Eike Wenzel, Leiter des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ) in Heidelberg, die Prognose ausgegeben: »Der Massenkonsum ist zu Ende«. Doch entgegen jeder Untergangsfantasie möchten wir offenbar immer noch alle zwischen den gleichen Regalen leben (»Billy«, zunehmend auch »Expedit«) und die Kinder in identischen Winterjacken herumlaufen lassen. Anders ist der große Erfolg von Massenprodukt-Spezialisten wie IKEA oder H&M nicht zu erklären. IKEA hat seinen weltweiten Umsatz im Geschäftsjahr 2012 um fast 10 Prozent auf die Rekordmarke von 27,6 Milliarden Euro gesteigert und will allein in Deutschland 20 neue Standorte eröffnen. 8 H&M hat den weltweiten Umsatz trotz Krise um 1,5 Prozent auf 128,8 Milliarden Schwedische Kronen (14,6 Milliarden Euro) gesteigert. 2011 hatte H&M 266 neue Läden aufgemacht, in diesem Jahr sollen 275 neue Filialen folgen.9
Gleichzeitig jedoch wächst auch das Angebot an personalisierten Produkten: T-Shirt, Handyhülle, Fußmatte mit individuellem Aufdruck; Turnschuh und Flip-Flop mit individuellem Fußbett; Müsli mit individuellen Ingredienzien. Etliche Unternehmen gehen dazu über, Produkte in Kooperation mit dem Kunden zu entwickeln (wie Schulranzen, Computer). Oder sie bauen Servicekomponenten in Produkte ein, die vorher nicht mitdenken oder mithelfen konnten. Beispiel Kühlschrank: Früher konnte er nur kühlen, in Zukunft soll er selbstständig Gurken bestellen können.
Kurz: Die digitale Welt dringt in die materielle Welt ein und löst die Grenze zwischen Service und Produkt auf.
»Produkte galten als physische Objekte, die standardisierbar, lagerbar und über weite Distanzen handelbar sind. Dienste hingegen wurden als immateriell und heterogen aufgefasst, ihre Konsumation galt an den Ort und den Zeitpunkt ihrer Verrichtung gebunden«, schreibt GDI-Senior-Researcher Dr. Martina Kühne. »Dem ist jedoch nicht länger so.«
Das gilt nicht zuletzt für die Produkte, die in jüngster Zeit ihren Aggregatzustand verändert haben: von fest zu datenförmig. Von dieser Verwandlung in digitale Produkte sind derzeit vor allem Filme und Musik, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher betroffen. Vergleichsweise »junge Wilde« wie Amazon, Apple und YouTube treiben derzeit die Zunft der Buchdrucker und Buchhändler, der Schallplattenpresser und Musikläden, der Filmverleihe und Lichtspielhäuser mit hohem Tempo in die nächste Ära und versäumen es nicht, auch andere Branchen damit total zu verunsichern.
Nun ist der Schreck im Moment größer als die reale Veränderung: Laut media control E-Book-Halbjahresreport rangierte der E-Book-Anteil am Buchmarkt 2011 bei 1 Prozent und im ersten Halbjahr 2012 bei 2 Prozent.10 Nur! Und die deutsche Musikbranche verdiente 2011 mit CD-Verkäufen immer noch mehr als mit allen anderen Produkten: rund eine Milliarde Euro, also das Vierfache der gesamten Digitaleinnahmen.11
Also: Kein Grund zur Panik. Aber Grund genug, die passenden Service-Strategien zu überdenken. Denn trotz der noch recht zarten Entwicklung scheint der Trend Richtung »mehr digitale Produkte«immerhin eindeutig zu sein. Und eindeutig ist auch, dass ein E-Book, das sich dem Leser über einen Online-Shop automatisch selbst empfiehlt, einen ganz anderen Servicegedanken transportiert als ein Hardcover, das vom Buchhändler persönlich empfohlen und in Glanzpapier gekleidet wird.
Der Witz dabei ist, dass der Leser am Rechner und der Leser am Buchladentisch prinzipiell der gleiche Leser sein kann. Der gleiche Kunde, der seine Bestellung, sein Gefallen oder Missfallen heute schneller mitteilt denn je – und zwar über alle Kanäle. So möchte er den lokalen Buchhändler genau wie den großen Online-Shop per Mail erreichen oder per Online-Bestellformular, er will anrufen können, ein Fax oder eine SMS schicken – wie es gerade passt. Und er bewertet beide Händler genauso gnadenlos offen und öffentlich in seinen Web-2.0-Erfahrungsberichten.
Es sind mächtige Rückkanäle entstanden. Unternehmen kommunizieren nicht mehr einseitig in Richtung Konsumenten, sondern Konsumenten kommunizieren untereinander über Unternehmen und direkt mit Unternehmen. Kunden helfen anderen Kunden in Blogs und Communitys. Und Unternehmen schalten sich hier zunehmend ungefragt ein, um ihrerseits zu helfen.
»Die Unternehmen müssen ganz neue Kommunikations- und Interaktionsformen lernen«, bestätigt G. Günter Voß, Professor für Industrie- und Techniksoziologie an der TU Chemnitz. »Derzeit besteht die Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden aus zwei Einbahnstraßen: In die eine Richtung posaunt das Unternehmen seine Werte und Marken, in die andere Richtung können Kunden auf Hotlines ihre Bedürfnisse, Beschwerden und Anregungen mitteilen. Doch so entsteht kein Dialog.«12
Dass sie ihre Posaunen zum alten Eisen packen müssen, wissen die meisten Unternehmen. In der Detecon-Studie »Kundenservice der Zukunft« gehen 86 Prozent der befragten Experten davon aus, dass eine Neuausrichtung des Kundenservice erforderlich ist, 70 Prozent sehen Social Media als Servicekanal der Zukunft.
Mehr Dialog also – aber nicht unbedingt mehr persönlicher Dialog. Denn 85 Prozent der Befragten rechnen gleichzeitig mit einer höheren Automatisierung von Serviceprozessen.13 Denkbar sind hier Web-Self-Services, Service-Apps, aber auch Sprachcomputer an der Telefon-Hotline.
Experten versprechen sich von dieser Automatisierung eine bessere Qualität bei Serviceprozessen, die immer wieder gleich ablaufen, und somit eine höhere Kundenzufriedenheit. Was konkret heißt, dass Kunden häufiger den »Like-us«-Button drücken.
Aber, ehrlich gesagt: Wir können uns auch lebhaft vorstellen, was Karl Valentins Buchbinder Wanninger erleben könnte, wenn er Baufirma Meisel & Compagnie im Jahr 2020 anzurufen versucht und sich dann mit Automatenstimmen herumärgert.
Der Umbruch in der Servicekommunikation trifft alle Branchen. So müssen serviceorientierte Unternehmen wie Hotels umdenken: Einige Gäste wollen statt gesichtsloser Hotel-Hygiene lieber mit allen Sinnen willkommen geheißen werden. Andere suchen das uniformierte Standardprogramm zu günstigen Preisen, wollen dennoch aber nicht auf Design verzichten. Wieder andere möchten Concierge-Dienste nutzen, dies bitte aber online.
Im B2B-Bereich gibt es ebenfalls Veränderungen: Viele Unternehmen erkennen, dass sie ihr Servicepotenzial noch lange nicht ausgeschöpft haben. Und sie entdecken, dass Servicekommunikation selbst im Anlagenbau nicht nur auf der fachlichen Ebene läuft, sondern immer auch auf der persönlichen Ebene. Auch Hightech-Experten sind schließlich Menschen, die gelegentlich von Unsicherheiten geplagt werden und die sich über Servicekommunikation in Form selbstgezeichneter Comics freuen können.
Wie auch immer es ausgeht: Unternehmen müssen Service und Kommunikation neu und anders denken, weil ihre Kunden heute anders leben, anders kaufen, anders kommunizieren und sich mit anderen Produkten umgeben.
Deshalb bieten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, mit diesem Buch eine Reise durch die aktuelle Entwicklung von Service und Kommunikation an. Wir haben eine Fülle von Geschichten zusammengetragen, die die große Bandbreite von brillanten und zeitgemäßen Service- und Kommunikationsideen einerseits zeigt, andererseits aber auch einen Blick in die Abgründe der jüngsten Service- und Kommunikationskatastrophen erlaubt.
Wir möchten Ihnen zeigen, warum die perfekteste Dienstleistung immer nur so viel wert ist wie die Qualität ihrer Kommunikation (Kapitel 1), warum Service nicht für sich selbst sprechen kann (Kapitel 2), aber auch nicht zu vollmundig angepriesen werden darf (Kapitel 3).
Wir schauen uns die neue Rolle aller (!) Mitarbeiter in der Servicekommunikation an (Kapitel 4) und die neue Rolle des Kunden, der nicht mehr König, sondern vielmehr Partner geworden ist (Kapitel 5).
Außerdem sind wir neugierig darauf, was perfekte Aufmerksamkeit (Kapitel 6) und gelungener Austausch (Kapitel 7) eigentlich ausmachen und warum Sinnlichkeit so eng mit Service zusammenhängt (Kapitel 8).
Wir verraten, wie Ihnen eine niemals endende Service-Geschichte gelingen kann (Kapitel 9), wie Sie Ihre Kunden überraschen (Kapitel 10), verführen (Kapitel 11), ihnen zuhören (Kapitel 12) und sie emotional ansprechen können (Kapitel 13) – und zwar ganz individuell (Kapitel 14) und ehrlich (Kapitel 15).
Schließlich wagen wir einen Blick auf das heikle Feld der Krisenkommunikation (Kapitel 16), auf die Chancen und Grenzen der Authentizität (Kapitel 17) und auf die schwierige Balance zwischen hoch informierter Servicekommunikation und Datensicherheit (Kapitel 18).
Im Nachwort werfen wir dann noch einen Blick in die Zukunft.
Dieses Buch ist kein Lehrbuch, kein Fachbuch, kein Sachbuch und auch kein Ratgeber. Wir sehen es als Geschichtenbuch mit Essaycharakter. Denn als Experten für Service (Sabine Hübner) und Kommunikation (Reiner App) möchten wir Sie nicht belehren, sondern vielmehr inspirieren, ermutigen, unterhalten und beflügeln – damit Sie genau die richtigen Ideen für Ihre erfolgreiche Servicekommunikation entwickeln können!
»Made in Germany« – dieser Stempel ist zur Erfolgslosung einer ganzen Wirtschaftsnation geworden. Die Qualität deutscher Produkte wird in Asien genauso geschätzt wie in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent. Das Problem ist nur: Wir befinden uns mitten in einem Dienstleistungsjahrhundert. Service-Leistungen dominieren inzwischen die volkswirtschaftliche Wertschöpfung nahezu aller ehemaligen Industrieländer. Und das ist auch gut so, denn in keinem Segment sind die Wachstumsaussichten größer. Nur ist die Unternehmenskommunikation noch immer auf das klassische Produkt fixiert. Viele Firmen haben inzwischen mit massiven Investitionen in ihre Dienstleistungen die einstige Servicewüste Deutschland zum Blühen gebracht. Fatalerweise verlassen sie sich aber fast blind darauf, dass sich die Qualität ihrer Angebote schon von selbst herumspricht. Konsequent werden die Bedürfnisse der Kunden ignoriert, und so bleiben entscheidende Ertragspotenziale ungenutzt. Wie lange dauert es noch, bis wir endlich die Chancen eines neuen Labels erkennen: »Excellent Services – offered by Germany«?
Jahreswende 2011/2012 – die deutsche Autobranche ist in Feierlaune. Mit Vollgas sind allen voran die Premiumhersteller aus der Absatzkrise gefahren. Doch in Stuttgart-Untertürkheim, Stammsitz von Daimler, wird Selters statt Sekt ausgeschenkt. Zwar hat die Kernmarke Mercedes-Benz weltweit noch nie so viele Autos verkauft wie im zu Ende gehenden Jahr – aber der Absatz legte weniger stark zu als bei der Konkurrenz. Man muss eine Zäsur hinnehmen: Vor rund fünf Jahren besetzte BMW den Thron der Luxus-Hersteller und verdrängte die Schwaben. Und nun erobert sogar der einstmals kleine Wettbewerber Audi den Folgeplatz. Die stolze Marke mit dem Stern muss sich mit Platz drei begnügen. Die Marktführerschaft ist verloren, man hat ein veritables Imageproblem – und versucht ihm mit traditionellen Methoden beizukommen. In den Verkaufsräumen geht es mehr denn je ums Produkt. Und zwar nur ums Produkt.
»Das Sensationelle an diesem Wagen ist, dass wir seine unbändige Leistung mit reduzierten Verbrauchs- und Emissionswerten abrufen«, wirbt der Mercedes-Verkaufsberater und zählt mit stolzgeschwellter Brust auf: »204 PS bei einem kombinierten Verbrauch von gerade mal 6,0 Litern Diesel pro 100 Kilometern – das kann sich wirklich sehen lassen!« Dabei biete das Fahrzeug an Luxus, was das Herz begehre: Ledersitze, Alu-Beläge, Nachtsichtassistent, Rückfahrkamera, Navigationssystem und Surround Sound System – angesichts der vielen Komfortdetails kann einem ganz schön der Kopf schwirren. »Ist Automobilbaukunst auf Top-Niveau«, zieht der Kfz-Profi sein Fazit.
In der Tat: Was für Linien, welch bulliges Kraftpaket! Dieser martialische Geländewagen ist ein einziger Appell an den Will-haben-Reflex. Nur ein einziger Punkt auf der beeindruckenden Liste der Verkaufsargumente bleibt offen – ist der Service, den mir die Werkstatt nach dem Kauf bietet, von genau derselben Premium-Qualität wie das Auto? Die Ästhetik mag noch so gefallen, nach wenigen Monaten nimmt man sie für selbstverständlich. Auch die Laufruhe, der Verbrauch, das Ambiente, die Begeisterung für all das wird in der Gewohnheit verdämmern. Wenn die Konkurrenz dann erst ein moderneres Produkt an den Markt bringt, spätestens dann zählen für die Kunden andere Fragestellungen. Wie lange muss ich warten, wenn ich mit einem Problem in die Werkstatt oder Niederlassung komme? Wie freundlich und kompetent werde ich bedient? Und selbst wenn es nur ein Routine-Kundendienst oder ein Reifenwechsel sein sollte. Gibt es in diesem Fall Service-Leistungen, die mich in meiner Herstellerwahl bestätigen? Lässt das Unternehmen es bei einer Tasse Kaffee aus dem Vollautomaten bewenden? Oder dokumentiert es seinen Anspruch, indem mich der Verkäufer namentlich begrüßt und sich in aller Ruhe erkundigt, ob ich mit dem Wagen zufrieden bin und was sein Haus sonst für mich tun kann?
Über all das erfahren die Kunden beim Verkaufsgespräch schlichtweg gar nichts. Über den Service mit Stern wird diskret geschwiegen. Aftersales ist ein Totalausfall: Die Erfahrungen des Kunden mit seinem neuen Auto scheinen für den Mercedes-Repräsentanten im Showroom kein Thema mehr zu sein, sobald die Unterschrift unter dem Verkaufsvertrag steht. Was bei jedem potenziellen Käufer düstere Befürchtungen nährt. Denn welcher Autokäufer hat nicht schon prägende, schlechte Service-Erlebnisse gesammelt? Wem es selbst nicht so erging, der wird spätestens beim Blick in die täglich hunderttausendfach besuchten Automobilforen nervös. Sie sind angefüllt mit wütenden Berichten über kapitale Motorschäden, berstende Turbolader, ausgeschlagene Traggelenke und horrende Werkstattkosten. Ob richtig oder falsch, wer vermag das schon zu unterscheiden? Wie sehr diese in ihrer Wucht nie dagewesenen Wogen der Skandalisierung im Social Web Ängste schüren, scheint an meinem Verkäufer bislang vorbeigegangen zu sein. Vertrauensbildende Maßnahmen? Warum denn auch? Service wird als mysteriöse Geheimakte X des Marketing behandelt.
Dabei hat Mercedes eigentlich keinerlei Grund, etwas zu verheimlichen. Ganz im Gegenteil, die Marke mit Stern könnte sogar mit besonderem Stolz auf ihre Leistungen verweisen: Die aktuelle Bilanz des Werkstätten-Tests der renommierten Fachzeitschrift auto motor und sport ergab für die Autobauer aus dem Schwabenland einen sensationellen historischen Bestwert. »Vieles spricht dafür, dass der Mercedes-Kunde derzeit mit einem nahezu optimalen Service und einer Top-Arbeitsleistung rechnen darf«, zollte die Redaktion seltenen Beifall. »Es scheint, als ob die Stuttgarter dem Premium-Anspruch der Marke nun auch im Service gerecht werden.«
Doch Mercedes bleibt wortkarg und verkneift sich die Vermarktung der hervorragenden Zensuren. In den Autohäusern wird über alles mit Begeisterung und Inbrunst gesprochen – nur nicht über das Thema Service. Dabei sind die gebotenen Zusatzleistungen inzwischen ein entscheidendes Argument auf einem Markt, der von einer immer höheren Wechselbereitschaft geprägt ist. Diese Relevanz gilt es zu erkennen. Weltweit sagen acht von zehn Autokäufern, dass Serviceangebote für sie ein wichtiges Kriterium für die Wahl ihrer Automarke bilden.14
»Secret Service« lässt die Potenziale unausgeschöpft
Was ist eigentlich Service? Mit dem Begriff werden in Deutschland Leistungen der Kundenbetreuung und des Kundendienstes oder Dienstleistungen im Allgemeinen bezeichnet. Das Problem dabei: Eine genaue Definition fehlt. Service ist nicht greifbar wie Produkte aus Landwirtschaft, Bergbau oder Industrie. Deswegen wurde die Bedeutung der Service-Leistungen auch erst im 20. Jahrhundert erfasst. Die Dienstleistungsforschung hat inzwischen aber erkannt und vielfach belegt: Service ist ein zentraler Garant für die Identifikation der Kunden mit der Marke. Doch noch immer liegt in vielen Unternehmen der Schwerpunkt der Kommunikation auf Produkt-Marketing. Zwar sind häufig anspruchsvolle Dienstleistungen entwickelt worden, doch sie werden fatalerweise als Verschluss- und Geheimsache betrachtet: als »secret service«. Diese unbedachte Diskretion hat ihren Preis. Es werden entscheidende Potenziale für Umsatz, Ertrag und vor allem Kundenbindung verschenkt. »Dienstleistungen sind Wachstumsmotor, bleiben aber hinter ihren Möglichkeiten zurück.« Zu diesem ernüchternden Fazit kommt die Friedrich-Ebert-Stiftung in ihrer umfassenden Studie »Dienstleistungen in Deutschland: Besser als ihr Ruf, dennoch stark verbesserungsbedürftig!«15
Die Wünsche des Publikums reichen von einer erweiterten Garantie über Ersatzfahrzeuge bis hin zum vorab mit eingekauften Kundendienst. Die Hersteller haben sogar den Bedarf erkannt. Ihr Angebot lässt wenig offen. Ein Mobilitätsservice, der in ganz Europa Pannenhilfe leistet, gehört heute schon zum Standard. Einzelne Anbieter gehen weit darüber hinaus. BMW bietet zum Beispiel einen Tele-Call an, der Werkstattaufenthalte automatisch plant. Wann war noch mal der nächste Kundendienst fällig? Diese Frage stellt sich nicht mehr. Denn die Techniker erhalten per Funk vom Auto Daten, können Ersatzteile bestellen und einen Termin mit dem Fahrzeughalter vereinbaren. Und da Zeit im Business-Alltag ein knappes Gut ist, gibt es auf Wunsch zusätzlich einen Hol- und Bringservice für Flughäfen. Geschickt wird die Reisezeit, in der der Wagen nicht gebraucht wird, für alle anstehenden Arbeiten am Auto genutzt.
Wer mal den Autoschlüssel im Kofferraum eingeschlossen hat oder den Parkplatz seines Wagens nicht mehr findet, auch für den gibt es beeindruckende Lösungen: Bei BMW ConnectedDrive und BMW Assist genügt ein Anruf beim Callcenter, und der Kofferraum öffnet sich wie von Zauberhand – denn das Auto wurde per SMS informiert und hat reagiert. Und der vergessene Parkplatz erscheint auf dem Smartphone des Besitzers, auf Wunsch inklusive Straßenkarte. Viel wichtiger noch: Bei einem Unfall sendet das Auto alle wichtigen Daten an die Rettungskräfte, neben der Position zum Beispiel auch die Schwere des Unfalls und die Zahl der Fahrzeuginsassen. Andere Hersteller arbeiten an ähnlichen Systemen.
Interesse an kostenpflichtigen Zusatzleistungen zeigen aber bei weitem nicht nur die Käufer des Premium-Segments oder die Fahrer nobler Geschäftswagen. Auch eine klare Mehrheit der Gebrauchtwagenkunden wünscht sich heute mehr Service, stellte das Magazin Autohaus 2011 in einer Untersuchung fest. Entsprechende Angebotspakete bieten bereits viele Autohäuser an – gebucht hat sie bislang aber nur eine Minderheit der Käufer. Über sechs Millionen Autos wechseln pro Jahr ihren Besitzer. Der Markenhandel profitiert davon wenig, nicht einmal jeder zweite Gebrauchte wird beim Fachhändler gekauft. Und wer privat kauft, der wird später bei einer Reparatur meist auch nicht in die Vertragswerkstatt kommen. Das heißt, die Umsätze gehen gleich mehrfach verloren. Dabei ist die Nachfrage durchaus vorhanden. Ob es um die Fahrzeugfinanzierung geht oder um Inspektions-, Mobilitäts- und Garantiepakete – die Kaufbereitschaft ist groß. Nur wird dieses hervorragende Instrument der Kundenbindung im Alltag leider zu selten eingesetzt. Im Verkaufsgespräch erfahren die Interessenten viel über das Auto, aber kaum etwas von all den Leistungen drum herum, die ihnen doch so wichtig sind. Angesichts von immer geringer werdenden Umsatzrenditen im Neu- und Gebrauchtwagengeschäft wird ein vielfach überlebenswichtiges Ertragspotenzial verschenkt.
Die Zurückhaltung bei Information und Bewerbung von Dienstleistungen ist umso unverständlicher, als die Automobilbranche unter Hochdruck an neuartigen Mobilitätsangeboten arbeitet. Das zugrunde liegende Konzept lautet: automobiler Service statt automobiler Besitz. Der Grund für das massive Engagement liegt im Wertewandel. In Großstädten und bei jüngeren Bevölkerungsgruppen wird der Autobesitz zunehmend als Belastung empfunden. Parkplatzprobleme, Staus und hohe Kosten mindern die Attraktivität des eigenen Fahrzeugs zusehends.
Dabei ist die Konsumlust an sich keineswegs zurückgegangen. Nur gilt sie jetzt eben nicht mehr dem flotten Sportwagen, sondern Smartphones und Tablet-Computern. In Deutschland hat sich der Anteil der Neuwagen-Interessenten im Alter zwischen 18 und 29 Jahren binnen der letzten zehn Jahre halbiert. In manchen Großstädten fällt der Schwund sogar noch wesentlich dramatischer aus. Schon heute rechnet die Branche damit, dass sie künftig weniger vom Kfz-Verkauf als vielmehr von den Mobilitätsservices leben wird. Kein Wunder also, dass die Hersteller bereits eigene Carsharing-Angebote entwickelt und an den Start gebracht haben. Sollte sich allerdings ein auf die spezifische Firmenkommunikation geeichter Stammkunde der Traditionsunternehmen für die Angebote interessieren, so wird er sein blaues Wunder erleben.
»DriveNow! Auto finden, Auto fahren, ein Tarif« – die Carsharing-Website von BMW und Sixt spricht eine direkte, am Nutzen orientierte Sprache. Schwarz-Weiß und kühles Blau, Straßenkarten und reduktionistische Symbole, es herrscht pure Rationalität. Von wegen »Freude am Fahren« – die bajuwarische Lust am Auto und einer dazu passenden Sprache ist wie weggeblasen. Offensichtlich stellen sich die zuständigen Kommunikationsfachleute den Carsharing-Kunden als roboterhaftes Wesen vor, das über Excel-Tabellen gebeugt mit Trauermiene seinen Wagen ordert. Dass Teilzeit-Fahren der Einstieg in die spezifische Markenbindung sein könnte, scheint undenkbar. Genauso sparsam empfängt Mercedes die Nutzer auf seiner Internet-Präsenz Car2go. Auch hier ist fast alles in sterilem Schwarz, Weiß und Blau gehalten. Die Besucher der Website bekommen zunächst einmal die volle Strenge des württembergisch-pietistischen Beamtentons zu hören und werden über die »ungeahnten Möglichkeiten der innerstädtischen Fortbewegung« belehrt. Eine Buchung entlaste den Verkehr in der Innenstadt, komme der Umwelt und damit »schließlich jedem Einzelnen« zugute, heißt es streng ermahnend. Wie man dem Kunden die Buchung zu erleichtern gedenkt und was er für Services geboten bekommt, ist offenbar zunächst einmal von nachrangigem Interesse. Und das Versprechen eines »revolutionären Mobilitätskonzepts« hätte nun wirklich einen etwas dynamischeren und freundlicheren Auftritt verdient, um Glaubwürdigkeit auszustrahlen.