Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Frisco, Colorado. Es war Mittagszeit. Vor der kleinen Kirche hatte sich die gesamte Einwohnerschaft des Ortes versammelt. Männer, Frauen und Kinder. Orgelmusik wehte ins Freie. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Vince Kelly, der Mann, der die Stadt vom Terror befreit hatte, und Belinda Sheldon heirateten. Ein halbes Jahr war es her, seit sich Gunsmoke Vince Kelly im Kampf gegen Samuel Hodt durchsetzte und anschließend Craig Duncan und dessen Kumpane niederkämpfte. Es sollte der glücklichste Tag im Leben Vince Kellys und Belinda Sheldons werden. Sie liebten sich, sie wollten zusammen Kinder haben, sie großziehen, miteinander alt werden. Das Schicksal wollte es anders. Hass und Tod näherten sich bereits auf trommelnden Hufen der Stadt ... Der Reverend sprach zu Belinda: »Ich frage dich, Belinda Sheldon: Bist du hergekommen, um nach reiflicher Überlegung aus freiem Entschluss mit deinem Bräutigam Vince den Bund der Ehe einzugehen? Dann sage ja.« Mit lauter, präziser und fester Stimme bejahte Belinda. Sie lächelte Vince von der Seite an. Glückseligkeit sprach aus ihren Augen. Erneut erschallte die Stimme des Geistlichen. »Willst du deinen Mann lieben und achten und ihm die Treue halten alle Tage seines Lebens, bis der Tod euch scheidet?« »Ja.« »Bist du bereit, die Kinder, die Gott dir schenken will, anzunehmen und sie im Geiste Christi und seiner Kirche zu erziehen?« »Ja.« Draußen erklangen pochende Hufschläge. Es waren mehrere Pferde. Raue Stimmen mischten sich hinein. In der Kirche entstand Unruhe. Die Menschen drehten sich um und schauten zum Ausgang. Ein Pferd wieherte. Der Reverend nahm seinen Blick von Belinda und richtet ihn ebenfalls auf das offene Portal der Kirche, durch das Sonnenlicht in schräger Bahn auf den Boden fiel. Gelächter ertönte, dann dröhnte ein Schuss. Vince Kelly erhob sich aus seiner knienden Haltung. »Bleib hier, Belinda. Ich sehe nach, was los ist.« Da rief eine staubheisere Stimme: »Ich höre, dass du da drin bist, Gunsmoke Kelly. Komm heraus. Ich habe ein Geschenk für dich.« Wieder erklang das schallende Gelächter. Vince Kellys Miene verschloss sich. Er nagte an seiner Unterlippe. Sekundenlang bereute er es, dass er keine Waffe eingeschoben hatte. Er hatte keine Ahnung, wer draußen war. Doch er ahnte mit untrüglichem Instinkt, dass es keine Freunde waren. Hatte ihn die Vergangenheit eingeholt?
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2014
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
U.S. Marshal Bill Logan
Band 73
Die Geschichte des Vince Kelly
Western von Pete Hackett
U.S. Marshal Bill Logan
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956171789
Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F. Unger eigen war– eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
Cover
Titel
Impressum
Über den Autor
Die Geschichte des Vince Kelly
Teil 1 von 2
Frisco, Colorado. Es war Mittagszeit. Vor der kleinen Kirche hatte sich die gesamte Einwohnerschaft des Ortes versammelt. Männer, Frauen und Kinder. Orgelmusik wehte ins Freie. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Vince Kelly, der Mann, der die Stadt vom Terror befreit hatte, und Belinda Sheldon heirateten.
Ein halbes Jahr war es her, seit sich Gunsmoke Vince Kelly im Kampf gegen Samuel Hodt durchsetzte und anschließend Craig Duncan und dessen Kumpane niederkämpfte.
Es sollte der glücklichste Tag im Leben Vince Kellys und Belinda Sheldons werden. Sie liebten sich, sie wollten zusammen Kinder haben, sie großziehen, miteinander alt werden.
Das Schicksal wollte es anders. Hass und Tod näherten sich bereits auf trommelnden Hufen der Stadt…
Der Reverend sprach zu Belinda: »Ich frage dich, Belinda Sheldon: Bist du hergekommen, um nach reiflicher Überlegung aus freiem Entschluss mit deinem Bräutigam Vince den Bund der Ehe einzugehen? Dann sage ja.«
Mit lauter, präziser und fester Stimme bejahte Belinda. Sie lächelte Vince von der Seite an. Glückseligkeit sprach aus ihren Augen.
Erneut erschallte die Stimme des Geistlichen. »Willst du deinen Mann lieben und achten und ihm die Treue halten alle Tage seines Lebens, bis der Tod euch scheidet?«
»Ja.«
»Bist du bereit, die Kinder, die Gott dir schenken will, anzunehmen und sie im Geiste Christi und seiner Kirche zu erziehen?«
»Ja.«
Draußen erklangen pochende Hufschläge. Es waren mehrere Pferde. Raue Stimmen mischten sich hinein. In der Kirche entstand Unruhe. Die Menschen drehten sich um und schauten zum Ausgang. Ein Pferd wieherte. Der Reverend nahm seinen Blick von Belinda und richtet ihn ebenfalls auf das offene Portal der Kirche, durch das Sonnenlicht in schräger Bahn auf den Boden fiel. Gelächter ertönte, dann dröhnte ein Schuss.
Vince Kelly erhob sich aus seiner knienden Haltung. »Bleib hier, Belinda. Ich sehe nach, was los ist.«
Da rief eine staubheisere Stimme: »Ich höre, dass du da drin bist, Gunsmoke Kelly. Komm heraus. Ich habe ein Geschenk für dich.«
Wieder erklang das schallende Gelächter.
Vince Kellys Miene verschloss sich. Er nagte an seiner Unterlippe. Sekundenlang bereute er es, dass er keine Waffe eingeschoben hatte. Er hatte keine Ahnung, wer draußen war. Doch er ahnte mit untrüglichem Instinkt, dass es keine Freunde waren.
Hatte ihn die Vergangenheit eingeholt?
»Bitte, Vince, geh nicht hinaus«, flüsterte Belinda ängstlich und eindringlich und hielt ihn am Arm fest.
»Dann kommen sie herein.« Vince Kellys Stimme klang belegt. Er machte sich mit sanfter Gewalt frei und ging auf dem Mittelgang in Richtung der Tür.
In der Kirche und draußen war es still. Alles Leben hier schien den Atem anzuhalten. Die Atmosphäre war erdrückend. Die Menschen verspürten Beklemmung. Etwas lag in der Luft; Tod und Unheil.
Vince Kelly erreichte die Tür und trat ins Freie. Das Sonnenlicht blendete ihn sekundenlang, er blinzelte.
Fünf Reiter verharrten auf ihren Pferden. Es waren stoppelbärtige Kerle, verstaubt, verschwitzt, heruntergekommen. Ihre Pferde ließen müde die Köpfe hängen. Staub und Schweiß verklebten das Fell der Tiere. Einer von ihnen hielt den Revolver in der Faust.
Vince Kelly sah sich einem Rudel von Sattelstrolchen gegenüber. Sie starrten ihn an wie Wölfe, die ihre Beute gestellt hatten. Die Augen waren hart und kalt. Die Bande vermittelte einen erschreckenden Eindruck von Erbarmungslosigkeit. Der Hauch einer jähen, tödlichen Gefahr sprang Vince Kelly an. Und erneut schalt er sich einen Narren, weil er seinen Revolver nicht in den Hosenbund geschoben hatte. Unter der Jacke seines Anzugs hätte ihn niemand gesehen.
»Was wollt ihr?«
»Dich, Gunsmoke, nur dich. Deinetwegen sind wir fast zweihundert Meilen geritten. Aber mir wäre kein Weg zu weit gewesen, um dich zu stellen.«
»Das hat sicher einen Grund«, versetzte Vince Kelly.
»Du hast meinen Bruder erschossen.«
»Wer war dein Bruder?«
»Craig Duncan. Mein Name ist Cole Duncan. Ich bin hier, um meinen Bruder zu rächen.«
»Ich bin unbewaffnet.«
»Umso besser«, höhnte Cole Duncan und hob die Hand mit dem Sechsschüsser. Es war ein schwerer, langläufiger Coltrevolver. »Craig wartet in der Hölle auf dich, Gunsmoke. Farewell!«
Mit dem letzten Wort spannte er den Hahn, zielte kurz, und dann feuerte er. Immer wieder bäumte sich der Colt in seiner Faust auf. Vince Kelly wurde von den Treffern herumgerissen und geschüttelt und brach tot zusammen. Verkrümmt lag er unter der Tür der Kirche. Blut rann unter seinem Körper hervor und versickerte in den Ritzen zwischen den Dielen.
Belinda rannte zu ihm hin und warf sich bei ihm auf die Knie nieder. »Vince!«, brach es wie ein Schrei über ihre bleichen, bebenden Lippen. »Mein Gott, er ist tot! Vince…« Ein Weinkrampf schüttelte die junge Frau.
Cole Duncan ließ sich vom Pferd gleiten. Den Revolver hielt er noch in der Hand, doch sein Arm hing schlaff nach unten und die Mündung wies auf den Boden.
Ungerührt starrte er auf den Toten und die junge Frau im Brautkleid hinunter.
»Mörder!«, stieß Belinda mit tränenerstickter Stimme hervor. »Niederträchtiger Mörder!« Aber da war noch etwas. Unter der zerbrechlichen Schale flammte etwas auf, etwas, das stärker war als Leid und Trauer. Es war der Hass– leidenschaftlicher, tödlicher Hass.
»He, was sehe ich denn da?«, sagte Duncan und grinste hämisch. »Eine kleine Wildkatze. Ich schätze, ich werde dir die Krallen ziehen, Schätzchen.« Der Bandit schaute in die Runde. »Eine nette, kleine Gemeinde«, rief er. »Ich denke, hier können wir es eine Weile aushalten.« Er richtete wieder den Blick auf die junge Frau. »Und wir beide werden eine Menge Freude miteinander haben, Honey.«
Die Menschen lauschten den Worten hinterher und erschauerten.
Es war die Verheißung einer düsteren Zukunft für diese Stadt…
*
Duncan O'Leary, ein früherer Marshal-Kollege, der jetzt Sheriff in Amarillo und für das Potter County zuständig war, kam zu mir in die Unterkunft. Es war noch ziemlich früh am Morgen. Ich war gerade dabei, mich anzuziehen. Joe lag noch im Bett. Die anderen Bunks waren leer. Die Kollegen, mit denen wir das Zimmer teilten, waren irgendwo im Land unterwegs.
Duncan trug den rechten Arm in einer Schlinge. Er schaute heute besonders ernst drein, als hätte er schlechte Laune. Da ich ihn gut kannte, wusste ich, dass er nicht launisch war. Also musste etwas vorgefallen sein, das ihn so ernst sein ließ.
»Ich muss mit euch reden«, murmelte Duncan, nachdem er uns einen guten Morgen gewünscht hatte.
Joe richtete seinen Oberkörper auf. »Hört sich ja ziemlich wichtig an, Duncan.«
Der Sheriff nickte und setzte sich an den Tisch beim Fenster, um den vier Stühle gruppiert waren. Mit der Linken griff er in die Innentasche seiner Weste und holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus.
Ich dachte im ersten Moment an einen Steckbrief.
Duncan faltete den Boden auseinander. »Ich habe einen Brief erhalten«, sagte er und schaute mich an. »Aus Frisco in Colorado.«
»Na schön«, sagte ich. »Ein Brief ist ja an und für sich nichts Schlechtes. Nach deinem Gesichtsausdruck zu urteilen muss er jedoch keine besonders erfreuliche Nachricht beinhalten.«
»Es geht um meine Nichte und ihren Mann.« Duncan lachte sarkastisch auf. »Ihre Ehe dauerte nur eine Minute. Der Brief kommt vom Bürgermeister von Frisco. Ihr müsst wissen, dass in dieser Stadt mein Schwager James Sheldon ein Frachtfuhrunternehmen betrieb. Sheldon war mit meiner Schwester verheiratet, die allerdings bei der Geburt Belindas starb. Ein Mann namens Hodt setzte meinem Schwager schwer zu. Und er hätte ihn sicher ruiniert, wenn nicht eines Tages ein Mann namens Vince Kelly aufgetaucht wäre. Man hatte ihm den Namen Gunsmoke Kelly gegeben. Mein Schwager warb ihn an. Und Kelly räumte auf. Er befreite Friso vom Terror. Mein Schwager kam leider ums Leben. Belinda, meine Nichte, führte das Fuhrunternehmen weiter.«
»Das ist doch nicht alles, was in dem Brief steht«, sagte ich.
»Nein. Was ich eben erzählte, hat mir Belinda in mehreren Briefen schon vor längerer Zeit mitgeteilt.«
»Dann erzähle mal weiter, Duncan«, forderte ich und schlüpfte in meine Weste.
»Vor drei Wochen traten meine Nichte und Vince Kelly vor den Traualtar. Die Feier wurde jedoch auf tragische Weise unterbrochen. Während der Reverend die beiden traute, kamen fünf Reiter in die Stadt. Ein Mann namens Cole Duncan schoss Vince Kelly auf der Schwelle des Kirchenportals nieder.«
»Aus welchem Grund?«
»Kelly tötete vor einigen Monaten seinen Bruder. Er nahm blutige Rache. Es war ein kaltblütiger Mord.«
Duncan O'Leary schluckte trocken. Dann fuhr er fort: »Duncan und seine Kumpane übernahmen sozusagen die Stadt und drückten ihr ihren Stempel auf. Er zwang meine Nichte, seine Geliebte zu werden. Vor einer Woche nun verließ die Bande Frisco. Belinda nahmen sie mit.«
»Eine üble Sache«, knurrte Joe.
»Ja. Leider bin ich verwundet. Ein betrunkener Kuhtreiber hat mir eine Kugel in die Schulter geschossen. Darum wollte ich euch bitten, nach Frisco zu reiten und die Bande zu verfolgen. Ich will keine Rache, ich will nur, dass Belinda aus der Gewalt dieser Verbrecher befreit wird und dass sie ihrer gerechten Strafe zugeführt werden.«
»Ob wir reiten können, muss der Richter entscheiden«, murmelte ich. Dann setzte ich gedankenvoll hinzu: »Man nannte ihn Gunsmoke. Was war dieser Vince Kelly für ein Mann? Etwa ein Gunslinger?«
»Belinda hat mir viel über ihn geschrieben. Er war ein guter Mann. Eines Tages tauchte er in Frisco auf. Niemand wusste genau, woher er kam. Er blieb. Nach und nach kam die Wahrheit über ihn heraus. Wollte ihr seine Geschichte hören?«
»Ich bitte darum«, antwortete ich interessiert.
»Dann setz dich nieder, Logan. Es ist eine lange Geschichte.«
Ich ließ mich rittlings auf einen Stuhl nieder und verschränkte die Arme über der Lehne. »Dann fang mal an, Duncan. Erzähle uns von Gunsmoke Kelly, Duncan und deinem Schwager James Sheldon.«
Duncan begann. »Es ist etwas über ein halbes Jahr her, als Kelly in Frisco eintraf. Hinter ihm lag ein langer Ritt. Kelly wurde gejagt. Er war ein Gejagter, ein Verfemter. Sein Schicksal war ungewiss und die Zukunft lag ziemlich trübe vor ihm. Er war mittellos und wollte sich irgendwo verkriechen, einen Job ausüben…«
Duncan brach ab.
Ich schaute ihn auffordernd an. »Weiter.«
Er nickte. Und dann erzählte uns Duncan O'Leary die Story von Gunsmoke Kelly.
Und das ist die Geschichte…
*
Kelly saß im Wagenhof des Mietstalles ab und nahm sein Pferd an der Trense. Im Stalltor zeigte sich der Stallbursche. Er blinzelte Kelly entgegen. Kelly hielt an und sagte: »Ich möchte mein Pferd bei Ihnen unterstellen. Tränken und füttern Sie es und reiben Sie es ab. Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe. Es kommt drauf an, ob ich einen Job finde.«
Kelly war verstaubt und verschwitzt. Tagealte Bartstoppeln wucherten in seinem Gesicht. Er sah nicht gerade Vertrauen erweckend aus.
Der Stallmann knurrte: »Sie scheinen es eilig gehabt zu haben, Fremder. Das Pferd ist ziemlich am Ende. Und Sie sehen auch nicht so aus, als würden Sie noch Bäume ausreißen können. Werden Sie verfolgt?«
Kelly übergab dem Stallburschen die Zügel. Dann zog er sein Gewehr aus dem Sattelschuh und wandte sich wortlos ab. Sein Gesicht hatte sich düster verschlossen.
Der Blick des Stallburschen folgte Kelly. Er hatte die Stirn in Falten gelegt. »Sicher wirst du gesucht, mein Freund«, murmelte der Stallmann vor sich hin. »Dafür habe ich einen besonderen Blick entwickelt.«
Vince Kelly trat auf die Main Street. Sie lag im Sonnenschein. Im Staub glitzerten winzige Kristalle. Hier und dort stand ein Pferd an einem Hitchrack. Passanten bewegten sich auf den Gehsteigen. Ein Fuhrwerk kam die Straße herunter. Die Achsen quietschten in den Naben.
Frisco war eine kleine Stadt, sie besaß aber alles, was für eine städtische Ordnung notwendig war. Kelly machte einen Saloon aus. Es war um die Mitte des Nachmittags. Seine Schritte weckten auf den Gehsteigbohlen ein dumpfes Echo. Er wurde kaum beachtet. Wenig später betrat er den Saloon. Es war düster und kühl im Schankraum. An einem Tisch saßen zwei Männer. Sie musterten Kelly teilnahmslos und widmeten sich schließlich wieder ihrem Gespräch.
Kelly ging zum Tresen. Der Keeper fragte ihn nach seinen Wünschen. Er bestellte ein Bier. Dann sagte er: »Ich suche Arbeit. Können Sie mir einen Tipp geben?«
»Sie sehen aus, als hätten Sie einen weiten Ritt hinter sich«, sagte der Keeper statt einer Antwort und musterte Kelly mit wachem Interesse. »Und es war sicher kein Spazierritt.«
»Ich komme von New Mex herauf«, erklärte Kelly. »Und ich finde, ich bin weit genug geritten. Außerdem verfüge ich nur noch über wenige Dollars. Darum suche ich einen Job.«
»Was können Sie denn?«
»Reiten, das Lasso schwingen, Kühe hüten…«
»Wie steht es mit dem Schießen?« Der Keeper warf einen bezeichnenden Blick auf das Holster an Kellys rechtem Oberschenkel. Es war ziemlich tief geschnallt und mit einer Lederschnur dicht über dem Knie festgebunden. Der Griff eines schweren 45ers ragte daraus hervor.
Kelly presste kurz die Lippen zusammen. »An einen Gunslinger-Job habe ich eigentlich nicht gedacht.«
Der Keeper hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und sagte: »Versuchen Sie's mal bei Samuel Hodt. Ihm gehören die halbe Stadt und eine Ranch am Piney Creek. Er hat immer irgendwelche Jobs zu vergeben.«
»Ihm gehört die halbe Stadt?«
»Ja. Er ist reich und mächtig. Sein Wort ist in Frisco und im Umland Gesetz. Ohne seinen Segen geht gar nichts.«
Da meldete sich einer der Männer, die am Tisch saßen. Er rief: »Ich hätte einen Job für Sie, Mister.«
Kelly wandte sich um. Den Bierkrug hielt er in der Linken. Der Mann, der gesprochen hatte, war um die 50 und grauhaarig. Sein Blick kreuzte sich mit dem Kellys. Er nickte und sagte: »Sie haben schon richtig gehört, Fremder. Mein Name ist Sheldon– James Sheldon. Ich besitze hier in Frisco ein Fuhrunternehmen. Meine Wagen fahren in alle Himmelsrichtungen. Ich könnte einen Wagenbegleiter brauchen. Voraussetzung ist, dass er mit einer Waffe umgehen kann und Mut hat.«
»Sind Ihre Wagen gefährdet?«
»Sie befördern zum Teil wertvolle Ware«, kam die etwas ausweichende Antwort. »Ich zahle Ihnen 40 Dollar im Monat, außerdem erhalten Sie Unterkunft und Verpflegung. Das sind unter dem Strich zehn Dollar mehr, als ein Cowboy verdient.«
»Ein gefährlicher Job, wie?«
»Wollen Sie den Job?«
»Ich nehme ihn.« Kelly zögerte ein wenig. Dann sagte er: »Mein Name ist Lance Hunter.«
»Setzen Sie sich zu uns, Hunter, dann können wir alles Nähere besprechen.
Kelly ging zu dem Tisch, zog einen Stuhl zurück und ließ sich nieder.
»Mein Unternehmen ist im Aufbau begriffen«, begann Sheldon. »Im Moment fahren zehn Fuhrwerke. Mein Bestreben ist es, das Monopol für die Frachtwagenlinie in West-Colorado zu erhalten. Es gibt allerdings einige Widerstände.«
Kelly wurde hellhörig. Dennoch sagte er: »Vielen Dank dafür, dass Sie mir einen Job angeboten haben.«
*
Es waren drei Fuhrwerke, die jeweils von vier Pferden gezogen wurden. Sie fuhren nach Südwesten. In der Gegend um Meredith hatte die Regierung Land für die Besiedlung freigegeben. Menschen waren mit Planwagen angekommen und hatten sich Parzellen abgesteckt. Die Fuhrwerke beförderten Waren für den General Store in Meredith.
Die Siedler brauchten eine Menge Dinge. Stacheldraht, Saatgut, Einrichtungsgegenstände, Nägel, Schrauben, Werkzeuge…
Ein Reiter ritt den drei Fuhrwerken voraus. Auf den Wagenböcken saßen jeweils zwei Männer. Einer lenkte das Gespann, der andere fungierte als Beifahrer. Es war Mittagszeit. Die Sonne brannte vom Himmel und verwandelte das Land in eine Gluthölle. Die Konturen der Hügel ringsum verschwammen. Die ausgefahrene, von Spurrinnen zerfurchte Straße wand sich wie der Leib einer Schlange durch die Ödnis der White River Range. Hier gab es Nadelwald, so weit das Auge reichte. Hier und dort erhob sich ein einsamer Felsen aus dem Boden. Zu beiden Seiten der Straße dehnte sich steppenartiges Grasland.
Der Mann, der voraus ritt, hielt sein Pferd an. »Wir rasten hier eine Stunde!«, rief er. Es war Mittagszeit. Die Sonne brannte heiß vom Himmel. Die Schatten waren scharf und kurz. Die Hitze setzte Mensch und Tier zu.
Die Gespanne kamen zum Stehen. Staub wirbelte. Neben der Straße floss ein kleiner Fluss. Im Ufergebüsch summten die Bienen und zwitscherten die Vögel. Die Männer sprangen von den Wagenböcken. Sie spannten die Pferde aus und brachten sie zur Tränke. Dann wuschen sie sich Staub und Schweiß aus den Gesichtern. Einer verteilte Pemmican.