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Es gibt die Sichtweise, dass das Leben nicht nur aus Konsumieren besteht und das wir möglicherweise auch anders ein glückliches, vielleicht sogar vollkommeneres Leben führen könnten. Schon vor ca. 2000 Jahren hat sich Seneca dieser Überlegung gestellt und sie ausführlich beantwortet; zu lesen in der aktualisierten Version "Über das Glücklichsein". Der Text folgt der Albert Forbiger Übersetzung von 1867 und wurde im Jahr 2024 von Darian Voester aktualisiert.
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SENECA
Lucius Annaeus Seneca wurde im Jahr 1 geboren. Eine Zeit lang war es seine Aufgabe, den römischen Kaiser Nero zu unterrichten und zu beraten. Zu Beginn hatte Nero auch durch Seneca Gutes hervorgebracht, dokumentiert sind soziale und wirtschaftliche Reformen. Im fortschreitenden Alter verlor Nero seinen Verstand, er hat den Mord an seiner Ehefrau und seiner eigenen Mutter angeordnet. Das Letzte, womit Seneca vom römischen Kaiser beauftragt wurde, war, dass Seneca sich selbst tötet.
Der Text folgt der Albert Forbiger Übersetzung von 1867 und wurde im Jahr 2024 von Darian Voester aktualisiert.
ISBN: 9783759214539
©2024 Alle Rechte sind vorbehalten.
Darian Voester, Berlin
Kontakt: [email protected]
SENECA
Copyright
Über das Glücklichsein
SENECA
Über das Glücklichsein
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I. Glücklich zu leben, wünscht sich jeder, aber um zu durchschauen, was es ist, wodurch ein glückliches Leben entsteht, das verstehen die Wenigsten. Zu einem glücklichen Leben zu gelangen, ist keine leichte Sache, je mehr sie darauf zu rennen, wenn sie einmal den Weg verfehlt haben; dann führt dieser in die entgegengesetzte Richtung. Man muss daher zuerst darauf achten, was es ist, worauf man seinen Fokus richtet; zu dem uns unser natürliches Verlangen glücklich zu Sein hintreibt.
Solange wir überallhin herumschweifen und uns nach verschiedenen Seiten hin rufen lassen, wird unser so kurzes Leben in Irrwegen verfließen. Deswegen entscheidet man sich, wohin man will. Deshalb haben wir auf Nichts mehr zu achten, als dass wir nicht nach Art des Viehes uns verhalten.
Und doch verwickelt uns nichts in größeres Übel, als dass wir uns nach dem Gerede der Leute richten, indem wir das Gerede für das Beste halten. Auch das wir nicht nach Vernunftgründen, sondern nach Beispielen leben: Das ist leider nur eine Masse von Leuten, in der der Eine über den Anderen stürzt. Was bei einem großen Menschengedränge der Fall ist. Das kannst du dein ganzes Leben lang sehen: Niemand irrt nur für sich allein, sondern er ist auch Grund und Urheber fremden Irrtums.
Und weil fast jeder lieber glauben, als nachdenken will, wird über das Leben nie nachgedacht;
Immer glaubt man nur Anderen und ein von Mund zu Mund fortgepflanzter Irrtum lenkt uns und stürzt uns; denn durch fremde Beispiele gehen wir zu Grunde. Wir werden geheilt werden, sobald wir uns von den Massen absondern; dann stehen dir aber die Massen, die Verteidiger ihres eigenen Verderbens, leider deiner Vernunft feindlich gegenüber. Und so geht es in die Wahlversammlungen, wenn sich die wandelbare Volksgunst gedreht hat.
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II. Wenn es sich um ein glückseliges Leben handelt, darfst du mir nicht mit dieser Äußerung bei Senatsabstimmungen antworten: „Dieser Teil scheint der größere zu sein.“ Denn eben deshalb ist er vielleicht Falsch. Es steht mit der Sache der Menschheit nicht so gut, dass das Bessere der Mehrzahl gefällt. Lass uns daher fragen, was am besten zu tun ist, nicht was den Massen, dem schlechtesten Dolmetscher der Wahrheit ähnelt.
Die Masse, nenne ich eben sowohl die Leute mit Kronen als auch die im Arbeitergewand. Denn ich sehe nicht auf die Farbe der Kleider, womit die Körper geschmückt sind;
denn auch den Augen traue ich nicht bei einem Urteil über den Menschen. Ich habe ein besseres und zuverlässigeres Licht für mich gefunden, womit ich das Wahre vom Falschen unterscheiden kann. Wenn der Geist einmal Zeit gewinnt, sich zu erholen und in sich selbst zurückzuzieht, dann wird er, von sich selbst gefoltert, sich die Wahrheit einzugestehen und fragen: „Alles, was ich bisher getan habe, möchte ich lieber ungeschehen wissen; wenn ich zurückdenke, was ich gesprochen habe, lache ich über Vieles; alles, was ich gewünscht habe, scheint mir ein Fluch von Feinden.
Mit vielen habe ich in Feindschaft gelebt und bin aus dem Hass, wenn es Anlass in einer schlechten Freundschaft gibt, wieder zur Freundschaft zurückgekehrt, das ist dumm; mir selbst bin ich dadurch kein Freund. Siehst du jene Leute, die deine Schlagfertigkeit loben, deinem Reichtum nachgehen, um deine Gunst buhlen, deine Macht in den Himmel erheben? Sie alle sind deine Feinde. Wie groß die Masse der Bewundernden, so groß ist die der Neidenden.“
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III. Nun so will ich lieber etwas suchen, was erprobt gut ist und wovon ich einen Genuss habe. Lass uns etwas suchen, das nicht nur dem äußeren Schein nach gut ist, sondern wertvoll und auf der verborgenen Seite noch schöner ist. Das lass uns suchen; und es liegt nicht weit entfernt; es wird sich finden lassen, nur muss man wissen, wohin man die Hand ausstreckt.
Inzwischen stimme ich, worin alle Stoiker eins sind, der Natur bei; von ihr nicht abzuirren und sich nach ihrem Gesetz und Beispiel zu bilden, ist Weisheit. Glücklich also ist ein Leben, das mit seiner Natur in Einklang steht; dies aber kann uns nicht anders zuteilwerden, als wenn zuerst der Geist gesund und in beständigem Besitz seiner Gesundheit bleibt; wenn er kräftig und entschlossen ist und geduldig ist, sich den Zeitumständen fügt und für den Körper und alles, was dazu zählt, Verantwortung übernimmt, jedoch ohne Angst; achtsam auf die übrigen Dinge, die zum Leben gehören, ohne Bewunderung irgend eines Gegenstandes, bereit, die Gaben des Glückes zu benutzen, aber nicht ihnen sich zu ergeben; denn alle Bosheit entsteht nur aus Schwäche.
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IV. Man mag den Begriff auch so bestimmen, dass man denjenigen einen glücklichen nennt, der Nichts Pech oder Glück nennt, der ein Verehrer des Guten ist, dem seine Tugend genügt, dem Zufälliges weder erhebt oder zum Verzweifeln bringt. Und der sich die Verachtung der Triebe vorschreibt.
Was hindert uns, zu sagen, ein glückliches Leben sei ein freier und über Begierden erhabener Geist.
An dem Tag, an dem wir der Sinnesbetäubung unterliegen, werden wir auch dem Schmerz unterliegen.
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V. In welch einer schlimmen und unheilvollen Knechtschaft Einer lebt, den Betäubungslust und Schmerzen, abwechselnd in Besitz nehmen.
Daher muss man sich davon befreien; denn diese Betäubungslust gewährt uns nichts anderes als die Gleichgültigkeit des eigenen Schicksals. Sobald das überwunden ist, wird jenes unschätzbare Gut erwachsen, eine sichergestellte Ruhe und Stolz der Seele tritt ein. Eine nach Vertreibung alles Erschreckenden aus der Erkenntnis der Wahrheit entspringendes Selbstwertgefühl und ungestörte Freude entsteht; nicht an Gütern, sondern an Früchten unseres eigenen Wachsens erfreuen wir uns.
Glücklich kann auch der genannt werden, der unter der Leitung der Vernunft weder begehrt noch fürchtet.
Dann ist die Seele rein und frei von allen Übeln und entschlossen, stehenzubleiben und ihren Platz auch gegen aufgebrachte Anfeindungen schlagfertig zu behaupten weiß, diese Seelen haben den Olymp erreicht.
Was aber die Sinnenlust betrifft, sie ist von allen Seiten um uns herum, auf allen Wegen heranströmend und der Seele mit ihren unechten Reizen schmeichelnd. Welcher Sterbliche, an dem nur noch eine Spur vom Menschen geblieben ist, würde wohl Tag und Nacht gekitzelt werden wollen, um mit der Verwahrlosung der Seele auch den Körper aufgeben?
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VI. Aber auch die Seele braucht ihren Genuss, sagt man.
Sie soll diesen Genuss auch haben, aber wir müssen lernen gesund zu richten, was im Verhältnis steht.
Weder kann irgendjemand ohne gesunden Verstand glücklich sein noch gesunden Verstandes sein, wenn er, der glückliche Mensch, nach dem Zukünftigen anstatt nach dem Besten sucht. Glückselig also ist, wer ein richtiges Urteil hat, glücklich ist, wer mit dem Gegenwärtigen, wie es auch immer sei, anerkennt und mit seinen Verhältnissen befreundet ist, glücklich ist der, dessen ganze Situation von seiner Vernunft akzeptiert wird. Sie sagen daher, das Vergnügen könne von der Tugend nicht getrennt werden. Ich begreife nicht, wie man diese so ganz verschiedenen Dinge in Eins zusammenbringen kann.
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VII. Füge noch hinzu, dass sinnliche Lust auch zum schändlichsten Leben zugesellt ist, die Tugend aber ein schlechtes Leben gar nicht zulässt und Manche nicht ohne Rausch, ja gerade wegen des Berauschens unglücklich sind.
Warum stellen sie so Unähnliches und ganz Verschiedenes zusammen?
Die Tugend ist etwas Hohes, Erhabenes, Königliches, Unüberwindliches, Unermüdliches; das sinnliche Vergnügen etwas Niedriges, Sklavisches, Ohnmächtiges, Hinfälliges, dessen Aufenthalt und Heimat Hurenhäuser und Straßen sind. Die Tugend wirst du im Palast finden, auf dem Forum, in der Furie, vor den Mauern stehend, mit Staub bedeckt, von frischer Gesichtsfarbe.
Das sinnliche Vergnügen öfters versteckt und in der Finsternis suchend, um Badehäuser und Schwitzstuben und Orte herum, die die Vernunft fürchtet, weichlich, entnervt, von Wein und Salben triefend, bleich oder geschminkt und durch Schönheitsmittel zugestutzt. Das höchste Gut ist unsterblich, es kann nicht untergehen. Das sinnliche Vergnügen aber erlischt gerade dann, wenn es am höchsten befriedigt.
Auch kann eine Sache, deren Natur in Bewegung ist kann nicht zuverlässig Gut sein; was ebenso schnell vorübergeht wie es kommt, und während seines Genusses selbst sich wieder auflöst.
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VIII. Und haben den Genuss des sinnlichen Vergnügens die schlechten Menschen nicht genauso wie die Guten?
Auch feiern sie ihre Schändlichkeiten genauso wie die Guten ihre edlen Taten. Daher denken die Erwachsenen, man solle dem besten, nicht dem angenehmsten Leben nachgehen, das Vergnügen nicht der Führer, sondern ist der Begleiter einer rechtschaffenen und edlen Gesinnung.
Denn die Natur muss man zur Führerin nehmen; auf sie richtet sich die Vernunft, bei ihr holt sich die Vernunft Rat. Glücklich und naturgemäß zu leben, ist also ein und dasselbe. Was dies bedeutet, will ich jetzt erklären. Wenn wir die körperlichen Gaben und was unser Natur angemessen ist sorgfältig und unerschrocken bewahren als etwas, das uns nur für eine Zeit gegeben und flüchtig ist, wenn wir uns nicht in ihre Sklaverei begeben.
Ein Mensch bleibt von Äußerlichkeiten unverführt und unüberwältigt, nur ein Bewunderer seiner selbst, voller Zuversicht der eignen Schaffung seines Lebens.
Sein Selbstvertrauen funktioniert nicht ohne auch die Einsicht erkennen zu können, seine Einsicht nicht ohne Bedacht; in seinen Entschlüssen findet er keine unüberlegte Änderung.
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IX. „Aber auch du, könnte man behaupten, denkst an die Tugend, weil du dir einen Vorteil davon erhoffst.“ An erster Stelle wird die Tugend, auch wenn sie ein Vergnügen erschafft, doch nicht deswegen anvisiert;
denn sie dient dir nicht als eine Zweckmäßigkeit, sondern das Vergnügen, um dies bemüht sich die Tugend nicht, sondern die Bemühung wird, etwas ganz anderes fokussieren, aber früher oder später auch das erreichen. So wie auf dem Feld, das man für die Saat aufgepflügt hat, zwischen dieser auch manche Blumen mit aufwachsen. Die Absicht des Bauers war eine andere, so ist auch das Vergnügen nicht der Lohn oder der Beweggrund zur Tugend, sondern eine Zugabe.
Das höchste Gut liegt in dem Bewusstsein und dem Wesen einer edlen Seele, und wenn diese ihre Aufgabe erfüllt, ist das höchste Gut vollständig. Denn über das Ganze hinaus gibt es nichts, so wenig wie über das Ende hinaus. Daher bist du schon im Irrtum, wenn du fragst, was es ist, weshalb ich nach der Tugend strebe; denn du fragst nach etwas, das über dem Höchsten steht. Du fragst, welchen Gewinn ich aus der Tugend ziehen will? Sie selbst; denn sie hat nichts Besseres, sie ist sich selbst ihr Preis. Ist das etwa nicht großartig genug? Wenn ich dir sage: Das höchste Gut ist eine unbeugsame Beharrlichkeit, Vorsicht, Schärfe, Gesundheit, Freiheit, Harmonie und Schönheit der Seele, verlangst du dann noch etwas Größeres? Was meinst du, ist das sinnliche Vergnügen? Des Menschen Glück suche ich, nicht des Bauches, der beim Vieh und bei Bestien geräumiger ist.
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X. „Sie zeigen sich, als würden sie nicht verstehen, was ich sage. Klar und offen gebe ich zu, dass das Leben, das ich ein angenehmes nenne, niemandem zuteilwerden kann, wenn ihm nicht Tugend beigesellt ist.“ Dass die Schlechtigkeit im Überfluss etwas Angenehmes hat und die Seele selbst nicht schlecht ist, sondern eher viele schlechte Arten des Vergnügens erschafft?
Insbesondere Übermut, Selbstüberschätzung, Egoismus und Aufgeblasenheit, die sich über alle anderen erhebt und blinde Vorliebe für das Eigene erschafft, in Weichlichkeit, Geschwätzigkeit und an Beschimpfungen sich erfreuenden Stolz, Untätigkeit eines trägen Geistes. Dies alles beseitigt die Tugend; sie zupft dich bei den Ohren und prüft erst den Weg des Vergnügens, ehe sie es zulässt, und wenn sie auch Eines und das Andere akzeptiert, legt sie doch keinen Wert darauf und ist nicht über den Genuss, sondern über die Mäßigung darin erfreut. Wenn aber die Mäßigung das Vergnügen vermindert, ist das Vergnügen eine Sünde.
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XI. Wenn sie nun aber von diesem eingenommen sind, wie werden sie der Anstrengung und Gefahr, der Armut und so viele anderen Bedrohungen, die dem Menschen Leben umschwirren, Widerstand leisten?
Wie werden sie den Anblick des Todes, wie den des Schmerzes ertragen? Wie das Krachen der Welt und die heftigsten Feinde? Etwa als ein von einem verweichlichtem Gegner Besiegter? Alles, was das Vergnügen ihm anraten wird, werden sie tun. Wie aber wird die Tugend ein Vergnügen beherrschen können, dem sie nachgeht, da das Nachgehen Sache des Gehorchenden, das Beherrschen aber Sache des Gebietenden ist?
Betrachte einen Nomentanus und Apicius, die die Güter der Länder und Meere, wie sie es nennen, zusammenlesen und die Tiere aller Nationen über Tische mustern.
Siehe, wie ebendieselben von ihrem Rosenlager aus nach ihrer Küche blicken, indem sie ihre Ohren an den Tönen des Gesanges, ihre Augen an Schauspielen, ihren Gaumen an Leckerbissen erfreuen.
Von diesen wirst du doch gewiss sagen, dass sie im Vergnügen leben, und doch wird ihnen nicht wohl sein, weil sie ihre Freude an etwas haben, das kein Gut ist.
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XII. Nicht Wenige, die wenn wir sie prüfen und fragen, sie sich in einander widersprechenden Meinungen verfangen und dies dann auch noch leugnen. Sie leben in einem vergnügten Wahnsinn und lachen sich dabei an.
Die Vergnügungen der Weisen dagegen sind mäßig und bescheiden.
Mögen sie also aufhören, das nicht Zusammenpassende zu verbinden und in die Tugend das Vergnügen zu verflechten, diese Fehler schmeicheln sie nur den Schlechtesten. Diese, die sich in Vergnügungen stürzen, immer rülpsend und berauscht, glauben, weil sie in Vergnügen zu leben verstehen, auch in Tugend zu leben;
denn sie hören und denken, das Vergnügen lasse sich von der Tugend nicht trennen; dann geben sie ihren Lastern den Titel der Weisheit und bekennen sich laut zu Dingen, die sie verbergen sollten. So führen sie ihr nichtssagendes Leben, nicht zum Werden veranlasst, sondern den Lastern ergeben. Sie verstecken ihr Belangloses im Schoß der Philosophie und laufen dahin zusammen, wo sie das Vergnügen vermuten.
Dann loben sie das, worüber sie erröten sollten, und rühmen sich des Lasters; und daher kann sich auch die Jugend nicht wieder aufraffen, da die Untätigkeit einen ehrbaren Titel bekommen hat.