Über die Sehnsucht - José Sánchez de Murillo - E-Book

Über die Sehnsucht E-Book

José Sánchez de Murillo

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Beschreibung

Die sprachgeschichtliche Untersuchung des Wortes Sehnsucht führt zum Tiefenphänomen, das sich als verborgene Quelle der Unruhe des Menschen - seiner Verwirrung und seiner Kreativität - erweist. Es werden der Drang zum Du, die Kraft des Aufgangs ("Kindheit"), der Bezug zur Natur (Meer, Berg, Wüste, Weltall) erhellt, die "Labyrinthe der Seele" exemplarisch - von Odysseus bis Einstein - herausgestellt, antike Mythologien sowie Konstruktionen der abendländischen Denkgeschichte (Vernunft, Geist, Wille, Freiheit) neu erläutert.

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JOSÉ SÁNCHEZ

ÜBER DIE SEHNSUCHT

URGRUND UND ABGRÜNDE

José Sánchez

Über

die

Sehnsucht

Urgrund und Abgründe

Aufgang Verlag

© 2015 Aufgang Verlag Augsburg

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagentwurf: Gil Ziner express-graphic.com Caleta de Vélez (MA) Foto auf der Rückseite: Martina Bieräugel

ISBN

978 3-945732-07-6 (Hardcover)

978-3-945732-06-9 (Paperback)

978 3-945732-08-3 (eBook)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte Daten sind im Internet unter http:// dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort – Einstimmung:

Erstes Kapitel: Das Wort, der Begriff, die Gefühle:

1. Ein deutsches Wort für eine menschliche Urerfahrung – Vom Begriff zum Phänomen – Ist Sehnsucht eine deutsche Stimmung? – Die französische Erklärung – Die deutsche Selbstinterpretation

2. Männliches und weibliches Empfinden – Dynamik der geschlechtlichen Sehnsucht

Zweites Kapitel: Wonach sich die Menschen sehnen

Wo bist du? – Die Heimat – Auch unterwegs bin ich zu Hause: Mischa und Tamita (Eine Erzählung) – Das Kind im Menschen – Die Berge – Die Wüste – Die Meere – Das Weltall

Drittes Kapitel: Menschentypen und Schicksale – Labyrinthe der Seele:

Vorbemerkung: Zur Leidenschaft überhaupt. Wort und Begriff

1. Wenn der Leib zu eng wird: Explosive Erotik – Das Phänomen Mechthild von Magdeburg (1207–1282) – Anhang: Katharina von Siena (1347–1380), Jeanne d’Arc (1412–1431), Teresa von Ávila (1515–1582)

2. Die Anziehungskraft der Einsamkeit – Der Fall Niklaus von Flüe (1417–1487)

3. Plus Ultra: Immer weiter – aber wohin? – Eigenart des Aktionsmenschen – Odysseus (ca. 1200 v.Chr.) – Erik der Rote Thorvaldsson (950–1003) – Amerigo Vespucci (1454– 1512) – Christoph Kolumbus (1451–1506)

4. Phantasien der Sehnsucht – Normalität, Verwirrung, Genialität – Novalis (1772– 1801): Die Sehnsucht bringt den Gegenstand ihres Dranges hervor – Sophie von Kühn (1782–1797) – Julie von Charpentier (1778–1811)

5. Über die Trauer Begrifflichkeit: Trennung, Melancholie, Trauer – Der Fall Hölderlin (1770–1843)

6. Warum Denker im Leben scheitern: Drei dramatische Beispiele:Søren Kierkegaard (1813–1855) – Karl Marx (1818–1883) – Friedrich Nietzsche (1844–1900)

7. Aufstand der Elite – Freiheit um jeden Preis: Jean-Paul Sartre (1905–1980) und Simone de Beauvoir (1908–1986) – Existenzialismus als elitäres Märchen

8. Oben glänzen die Sterne – hienieden Ruhm und Geld – Der Mensch im kosmischen Zusammenhang – Albert Einstein (1879–1955)

9. Die Kinderfrage: Wo war ich, bevor ich war?

Viertes Kapitel: Wie sich die Sehnsucht die Ursprünge vorstellt:

1. Urgedächtnis der Menschheit: Mythen und Märchen – 2. Leben, Lust, Kampf: die alten Griechen – 3. Die Lust als Problem: Das biblische Konzept – 4. Verrückt! Ich bin du: Laila und Majnun (Eine islamische Liebesgeschichte) – 5. Wie die Leidenschaft so auch die Ruhe: Begegnung mit Brahman. (Eine Erzählung)

Nachwort:

Vorwort

Wer hat nicht oft von Größe und Liebe geträumt – das Bedürfnis nach Anerkennung, den Drang nach Gerechtigkeit gespürt? Auch Ängste, Hoffnungen und der Wunsch nach Geborgenheit bewegen uns. Die Menschen sprechen dabei von Sehnsüchten (Mehrzahl). Um diese geht es in der vorliegenden Abhandlung, vor allem jedoch um deren Wurzel – um das, worauf das deutsche Wort Sehnsucht (Einzahl) verweist.

Was bedeutet sie eigentlich? Woher rührt sie? Was bewirkt sie?

Langjährige Untersuchungen zu historischen Gestalten, geschichtlichen Ereignissen und Naturphänomenen führten den Autor zu einer Dimension, die ihm tiefer als Denken und Fühlen zu liegen scheint – zu der Ortschaft gleichsam, in der sich die Schicksale schmieden.

Denkansätze hängen von epochalen und individuellen Umständen ab; Gefühle schwanken. Doch das Phänomen Sehnsucht ist von all dem unabhängig; es bezeichnet die Wesensdynamik des Seins selbst. In der Mythologie wird gelegentlich mit aller Selbstverständlichkeit von der Sehnsucht der Natur, ja des Kosmos gesprochen. Ist das nur eine Metapher? Wonach soll sich das Ganze sehnen? Davon wird später ausführlich die Rede sein. Hier sei es nur erwähnt, um den Blickwinkel von Anfang an zu erweitern.

Das Phänomen Sehnsucht betrifft die tiefste Innerlichkeit des Menschen. In unserer Sprache nennen wir es ein oder vielmehr das Tiefenphänomen.1 Es ist allgemein menschlich, überschreitet die Grenzen der Individualität – erscheint jedoch zugleich bei jedem Einzelnen einmalig.

So zeigt die Untersuchung zum einen, dass Menschen, die – wie etwa Atomphysiker, Dichter, Ökonomen oder Seefahrer – durch psychische Eigenart und historische Entwicklung weit voneinander entfernt oder gar entgegengesetzt zu sein scheinen, tatsächlich vom selben Drang beherrscht werden. Ob man von der Kraft der Sehnsucht getrieben in der Dichtung, in der Ökonomie, im Sport, im religiösen Glauben, in der Wissenschaft oder in der Wollust aufgeht, ändert nichts an der Substanz der Problematik. Höhenflüge des Geistes sehen gewiss anders aus als die Niederungen des Fleisches. Doch beide stellen unterschiedliche Verwirklichungsversuche ein und desselben Strebens dar.

Zum anderen verbindet die Urdynamik seiner Wesensart den Menschen mit ausgesprochenen Naturerscheinungen. Exemplarisch wird auf das Meer, auf Berge und Vulkane, auf die Wüste eingegangen. Doch auch das jähe Durchbrechen des Blitzes, die Schnelligkeit des Lichts, die Wirkung des elektrischen Stroms (es funkt!) sind lehrreich, um die Labyrinthe der Seele zu erhellen. Sie spiegeln dem Menschen Inhalte seines Innenlebens wider – mit seiner Schönheit, mit seinen Abgründen, mit seinen Gefahren.

Eine ausgezeichnete Bedeutung kommt Phänomenen wie Heimat und das Kind im Menschen zu. Auch sie werden in einem weiten Horizont situiert. Man findet zwar die Phänomene als solche überall in der Natur; doch uns geht es darum, die Eigenart der menschlichen Erscheinung herauszuarbeiten.

Die Selbstinterpretation des Menschen, die dem gegenwärtigen Zeitalter zugrunde liegt, war von Anfang der Hochkulturen an eng (hauptsächlich vom Kopf her) angelegt; zunehmend wird sie punktuell erfolgreicher, im Ganzen jedoch immer problematischer. Die medizinischen und technischen Errungenschaften erleichtern gewiss das Dasein, der Lebenssinn lässt sich dennoch wissenschaftlich nicht herstellen.

Das epochale Unbehagen zeigt, dass materieller Fortschritt das Wesen des Menschen nicht zu erfüllen vermag. Die herrschende Gier, der Skandal der Weltarmut und ständiger Kriegsführung werden sich wohl in naher Zukunft kaum ändern lassen. Doch immer mehr Menschen sind durch die ge-schichtliche Entwicklung zutiefst beunruhigt.

Wie es anders werden könnte, wissen wir nicht. Dennoch finden sich in vielen Epochen der Menschheitsgeschichte – so auch heute – seelenverwandte Minderheiten, die sich die Lebensbejahung als Ziel setzen und die Bereitschaft bekunden, an sich selbst arbeiten zu wollen. Hier beginnt die wahre Revolution. Das Fehlen dieser Einsicht bei führenden Persönlichkeiten der Weltgeschichte gehört zu den dramatischen Entdeckungen des vorliegenden Buches.

Das menschliche Leben ist ein spannendes Geschehen – von Überraschungen, erfüllenden Glücksmomenten und beängstigenden Abgründen begleitet. Beides – Höhenflug und Niedergang, Erfolg und Katastrophe, Begeisterung und Willenlosigkeit – ereignen sich oft kurz nacheinander, gelegentlich sogar fast gleichzeitig. Den Grund für diesen abrupten Stimmungswechsel, für die mitten in der Üppigkeit nagende Leere, versucht diese Studie aufzudecken. Sie stellt gleichsam eine Röntgenaufnahme des menschlichen Geistes dar. Geheime Wünsche, verborgene Ecken werden offengelegt. In der Regel spricht man kaum davon, aber sie steuern das private wie das öffentliche Leben.

Das geistige Abenteuer, von dem in diesem Buch berichtet wird, begann vor knapp vier Jahrzehnten ganz privat – also ohne akademischen bzw. literarischen Zweck – mit der philologischen Erkundung des Wortes Sehnsucht, das den Autor schon früh fasziniert hatte. Von der muttersprachlichen Gewöhnung nicht betroffen, wirkte in der Frische der jungen Jahre der ursprünglich gehörte Ausdruck geradezu geheimnisvoll. Beim magischen Ton öffnete sich das Tor. Die Welt des Menschen zeigte sich rein – so wie sie erscheint, bevor sie wissenschaftlich seziert wird, um in Kategorien eingepresst zu werden. Der Anblick war schön und zugleich erschütternd.

Unsägliches wollte sich aussprechen. Was Menschen zu allen Zeiten erfahren, was aber als solches – soweit mir bekannt – in anderen Sprachen kaum zum Ausdruck kommt, begegnete mir um 1970, noch in der Vorhalle meines Forscherlebens, als klangvoller Begriff, der Exaktheit und Unbestimmtheit als Seiten desselben aufweist.

Es folgten die Versuche, den Menschen von diesem Urgrund her zu verstehen und das philosophische Geschäft bei dem zu beginnen, worauf das so unerwartet entdeckte Tiefenphänomen Sehnsucht hindeutete. Der jahrelang in Lehrveranstaltungen vorgetragene Ansatz wurde dann ab 1980 zunächst universitätsintern mitgeteilt und seitdem öffentlich in verschiedenen Dimensionen entfaltet. Dabei hat er sich verändert und weiterentwickelt, Doch die ursprüngliche Einsicht bleibt nach wie vor: Denken, diese erhabene Fähigkeit des Menschen, verliert seine Lebendigkeit, wenn es zu einer institutionalisierten, gar bezahlten Beschäftigung wird. Es kann wieder aufblühen, wenn es sich aus dem tätigen Leben des Menschen ereignet – getragen von Stunden der Stille und Besonnenheit.

Nun geht es hier wieder um den Anfang: um die Geburt jener menschlichen Selbsterfahrung, die, gerade weil so nah, immer wieder übersehen –, und weil so innig, meistens sorgfältig verhüllt wird.

Dieses Buch ist in deutscher Sprache gedacht, aber für alle Menschen geschrieben.

Beendet im August 2015,

Axarquía und München

Einstimmung

Gedächtnis des Lebens,

will Freud und Leid aufheben.

Das Herz ist wie ein Meer,

der Leib das Weltall,

als Tempel gilt das Schifflein,

es gibt jedem den Halt.

Unendliches Verlangen

in endlicher Gestalt.

Die Träume sind vergangen.

Nun bleibt allein die Nacht.

Die Sonne untergangen.

Die Tage werden kalt.

Wohlauf! ruft es erneut,

Der Geist hat noch viel Kraft.

Leise aus der Landschaft

steigt empor der Nebel,

und streichelt die Seele,

wie einst so oft getan.

Gestalten, die schweben,

gegangen sind und leben,

erschüttern die Untiefen

und legen fest den Grund.

Wo seid ihr nun?

Die Worte sind ach! stumm,

Gespräch bringt die Musik,

durchdringend wie der Wind.

Einst bebend, die Erde

Ergriffen singt ihr Lied.

Von Düften sei erfüllt

erneut meine Gegend,

das Frühere verhüllt.

Gedächtnis des Lebens,

will Freud und Leid aufheben.

1 Vgl. José SÁNCHEZDE MURILLO, Der Geist der deutschen Romantik. Der Übergang vom logischen zum dichterischen Denken und der Hervorgang der Tiefenphänomenologie. München 1986; insbesondere Seiten 13–47. Hier wurden vor über einem Vierteljahrhundert die geschichtsphilosophische Grundlegung und die methodischen Voraussetzungen der vorliegenden Abhandlung dargestellt.

Erstes Kapitel Das Wort, der Begriff, die Gefühle

2 Männliches und weibliches Empfinden

Der Mensch existiert nicht als solcher, sondern nur in der Gestalt von Mann und Frau. Biologisch sind beide notwendig – rechtlich gleichwertig. Doch ontologisch (seinsmäßig, nicht nur physiologisch) prägt der Unterschied die Eigenart.

Die Rede vom Menschen im Laufe der Menschheitsgeschichte war grundsätzlich unzutreffend und ungerecht. Denn es war – offen oder stillschweigend – immer der Mann gemeint. Von ihm aus wurde auch die Frau und der Mensch überhaupt interpretiert.

Nun haben Frau und Mann gewiss die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten. Aber die Art zu empfinden, wahrzunehmen, zu lieben und zu denken ist verschieden. Die Wesensverschiedenheit betrifft auch das Phänomen Sehnsucht.

Was Frauen fühlen, können Männer nicht nachempfinden, heißt es. Dennoch scheinen die Geschlechter jeweils klare Vorstellungen über die andere Seite zu haben. Frauen seien eher nach innen gekehrt, wärmer, weicher, reiften schneller heran. Männer lebten dagegen nach außen hin, seien machtstrebiger, oberflächlicher, langsamer in der Entwicklung.

Diese Behauptungen müssen mit einem Fragezeichen versehen werden. Man glaubt zu wissen, wie der andere ist, aber man spürt zugleich, dass es nicht ganz zutrifft. Die Vorstellung über die andere Seite ist stets von Unbegreiflichkeit überschattet. Beide Aspekte – Empfindung und Geheimnis – begründen die Anziehung und ermöglichen die Begegnung.

Ich weiß nicht, wie der andere Mensch ist. Aber ich spüre in ihm etwas, das mich anzieht. Die geschlechtliche Anziehung geht dem Bewusstsein und dem Willen des Menschen voraus.

Es sind zu unterscheiden: die leibliche und die seelische Anziehung. Die erste äußert sich physiologisch, die zweite psychisch. Beide hängen zusammen, sind dennoch wesensverschieden. Deshalb können sie auch selbstständig wirken. Im Unterschied zu anderen Tierarten hat die Vereinigung von Frau und Mann nicht die Fortpflanzung als ausschließlichen Zweck, wenngleich sie fundamental ist.

Auf die zwischengeschlechtliche Vereinigung ist die physiologische Entwicklung ab dem Augenblick der Empfängnis ausgerichtet. Aus der anfänglichen Undifferenziertheit im Embryo gestalten sich die Geschlechter auseinander und zugleich aufeinander zu. Frau und Mann sind bis in die Einzelheiten so gebaut, dass sie eins werden können. Dieses biologische Faktum des exakten Aufeinander–abgestimmt-Seins wird in den Mythen so erklärt, dass der Mensch ursprünglich in zwei Hälften auseinanderfiel, die keinen anderen Sinn haben als wieder zusammenzukommen.

Von dieser antiken Vorstellung weicht die sachliche Auffassung der Gegenwart nur scheinbar ab. Zwar lautet die neue Erkenntnis: Frau und Mann können in jeder Hinsicht selbstständig leben. Sie sind trotzdem füreinander entworfen worden. Von wem?

Die geschlechtliche Eigenart geht auf Prinzipien zurück. Diese Prinzipien werden das Weibliche und das Männliche genannt. Das Weibliche bestimmt die Frau, das Männliche den Mann. Doch das Weibliche ist nicht identisch mit der Frau, das Männliche nicht identisch mit dem Mann. In jedem Geschlecht wirken vielmehr beide Prinzipien. Aber sie sind jeweils anders konstelliert. Meistens bestimmt das Männliche den Mann und das Weibliche die Frau – aber nicht immer. Deshalb ist nicht jeder Mann vorwiegend männlich, noch jede Frau vorwiegend weiblich. Dennoch sind die Prinzipien richtungweisend für das Verständnis und die Organisation des menschlichen Haushalts.

Das weibliche Prinzip zieht nach innen, nimmt auf, sammelt. Es gestaltet das Heimliche, pflegt die Erinnerung. Es bewahrt in der Wärme auf, ist wesenhaft Gedächtnis.

Das männliche Prinzip drückt vornehmlich den Drang nach außen aus, treibt nach vorne, kämpft, um zu erobern, durchdringt, um zu beherrschen. Es trachtet danach, den Besitz zu sichern, zu vermehren, zu erweitern.

Die Prinzipien sind nicht statisch. Sie offenbaren die Bedeutung ihrer Eigenart in der geschichtlichen Entwicklung.

Der Urmensch jagte, um zu essen und überleben zu können. Er musste kämpfen, sich wehren, Gebiete erobern, um Weite zu gewinnen. Durchsetzungskraft war lebenswichtig. So prägte sich von Anfang an eine hierarchische Ordnung aus. Die Kraft war für das Überleben wesentlich. Und der Mann, der sie verkörperte, übernahm die Führung. So wurde allmählich das Männliche für das Grundlegende genommen und begrifflich mit dem Menschen überhaupt identifiziert. Das Heimliche, Bergende und Wärmende, welches die Frau darstellte, war nur insofern wertvoll, als es den Mann unterstützte, damit er arbeiten konnte und die Ernährung sicherte. Aus diesem Grund wurde das Weibliche zunächst praktisch als untergeordnet und dann begrifflich als zweitrangig angesehen.