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Jahr für Jahr strömen sie aus den Schauspielschulen, die angehenden Stars und KünstlerInnen, und in der Regel wissen sie nicht genau, wo es hingehen soll. Theater? Film? Fernsehen? Synchron? Alles zusammen, oder nichts davon? Gibt es abseits von Drehen und Stadttheater noch andere lukrative Arbeitsfelder für mich? Wie bin ich versichert? Habe ich steuerliche Vorteile? Gibt es in Gastverträgen an freien Theatern so etwas wie Gehaltstarife? Was steht mir als Gage bei einem Fernseh-Dreh zu? Wie gehe ich meine Film-Karriere an? Wie sieht ein gutes Demoband, ein gutes Schauspieler-Porträt aus? Wie bewerbe ich mich um Fördergelder für mein eigenes Projekt, und gibt es Tricks, wie ich sie am besten erhalte? Wie mache ich generell auf mich aufmerksam? Und schlichtweg: Wie überlebe ich? Dieses Buch bietet durch Gespräche mit nahezu 50 ExpertInnen einen Wegweiser für alle SchauspielerInnen, die sich auf "den freien Markt" werfen. Es beleuchtet die Palette diverser Arbeits- und Problemfelder, die die Schauspielertätigkeit von heute ausmacht. Es zeigt, wohin dieser wunderschöne, aber brutale Beruf in den kommenden Jahren geht und gehen kann, und ist ein Angebot für Menschen, denen Spielen das Leben bedeutet, sich mit diesen vielen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. "Kopetzki gefällt mir: Er denkt, fragt und schreibt mit offenem Visier - frisch und fast forward!" Jan Josef Liefers
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Seitenzahl: 535
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Mathias Kopetzki hat im Laufe seiner über 20-jährigen Schauspielkarriere so ziemlich alle Bereiche seines Berufes tangiert – weil ihn seit jeher die Vielseitigkeit daran interessiert. Geboren 1973 in Osnabrück, absolvierte er seine Schauspielausbildung an der Universität für Musik und darstellende Kunst «Mozarteum» in Salzburg und war anschließend knapp zehn Jahre in Festverträgen engagiert (am Schauspiel Köln, Berliner Ensemble, Schauspielhaus Graz, etc.), bevor er sich 2006 entschloss, seiner eigentlichen Berufung nachzugehen und freischaffend tätig zu sein. Seitdem arbeitet er schauspielerisch weiterhin in den unterschiedlichsten Genres am Theater (an kommunalen Bühnen, wie auch bei Freilichtspielen, an der Oper, im Tanztheater, in Musicals, in der Off-Szene, im Boulevard oder auf Tournee), dreht aber auch für Film und Fernsehen, synchronisiert unzählige Filme und Serien, spricht Dokumentationen, Videospiele, Hörspiele und -bücher, macht Werbung, entwickelt eigene Produktionen, Liederabende und Performances, doziert an Schauspielschulen, tourte als Sänger in einer Rockband und arbeitet nicht zuletzt seit vielen Jahren erfolgreich als Schriftsteller. 2011 erschien sein autobiografisches Romandebüt Teheran im Bauch bei Random House. Es folgten Im Sarg nach Prag (Piper, 2012), Bombenstimmung (Lübbe, 2017) und 2018 die Politsatire Deutschland, ein Sommertrip – Wie die 68er mir mein Leben versifften. Mit allen Büchern ist er für zahllose Lesungen und Vorträge quer durch den deutschsprachigen Raum unterwegs. Kopetzki lebt in Berlin und hat einen Sohn.
Wegweiser für freischaffendeSchauspielerInnen
von Mathias Kopetzki
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Schüren Verlag GmbH
Universitätsstr. 55 • 35037 Marburg
www.schueren-verlag.de
© Schüren 2020
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung: Erik Schüßler
Umschlaggestaltung: Wolfgang Diemer, Köln, unter Verwendung eines Fotos von Simon Hegenberg, das anlässlich der 2. bundesweiten Ensembleversammlung des «Ensemble-Netzwerkes e. V» am Schauspielhaus Bochum aufgenommen wurde. Es zeigt die Schauspielerin Friederike Drews.
ISBN 978-3-7410-0353-0
eISBN 978-3-7410-0104-8
Prolog – Matz Reinhardt auf dem Weg nach oben
Über dieses Buch
Matz Reinhardts erste Anlaufstelle
ZAV Künstlervermittlung
Der ZAV-Verantwortliche: JÖRG BRÜCKNER
«Es gibt viele interessante Arbeitsfelder außerhalb der klassischen»
Was will ich überhaupt von diesem Beruf?
Die Künstlerberaterin: ALINA GAUSE
«Man sollte immer wieder Bilanz ziehen»
Film und Fernsehen: Wie bringe ich mich dafür ins Spiel?
Der Marketing-Mann: JERRY KWARTENG
«Wenn du nicht bereit bist, in dich zu investieren: Warum sollte es jemand anderes tun?»
Was macht ein gutes Schauspieler-Porträt aus?
Der Schauspieler-Fotograf: GREGORY B. WALDIS
«Das Shooting als Bühne nehmen!»
Wie komme ich an gutes Video-Material, wenn ich noch nicht gedreht habe?
Das Demovideo
Der Demovideo-Entwickler: JOHANNES MUHR
«Das finden, was einen von anderen unterscheidet»
Material vorhanden – und nun?
Filmmakers
Der Filmmakers-Gründer: CLEMENS ERBACH
«Be entertaining from the very close moment»
Brauche ich eine Agentur?
Schauspielagenturen
Der Schauspielagent: ULRICH MEINHARD
«Ein Agent darf schwierig sein, ein Schauspieler nicht»
Wie mache ich mehr aus meinem Typ?
Farb- und Stilberatung
Die Identity-Stylistin: ANJA GRÄFENSTEIN
«Jeder Schauspieler sollte seinen Stil kennen»
Wer sind sie eigentlich, diese «Entscheidungsträger» im Film- und Fernsehbereich? Und wie kann ich dafür sorgen, dass sie etwas für mich tun?
Das Casting
Die Casting-Direktorin: KRISTIN DIEHLE
«Jeder Drehtag, jedes Casting bringt einen weiter!»
Die Fernseh-Redaktion
Der Redakteur: ALEXANDER S. TUNG
«Ich besetze gerne gegen den Strich»
Die Produktion
Regie bei Film und Fernsehen
Der dramatische Filmemacher: KILIAN RIEDHOF
«Schauspieler sind interessant, wenn sie nicht needy wirken»
Der komödiantische Filmemacher: ANDRÉ ERKAU
«Ich bin dankbar, wenn jemand bei sich und im Moment ist»
Der radikale Filmemacher: JAN HENRIK STAHLBERG
«Traumhaft sicher auf dem Ton der Geschichte segeln»
Wer hilft mir bei der Erarbeitung einer Film- oder Fernsehrolle?
Der Schauspiel-Coach: TIM GARDE
«Spielentscheidungen treffen heißt nicht, nur das Drehbuch zu erfüllen»
Wer hilft mir, meine Rechte als Schauspieler wahrzunehmen? Und meine soziale Stellung zu verbessern?
Der Bundesverband Schauspiel e. V.
Der Justiziar: BERHARD F. STÖRKMANN
«Wir sollten alles dafür tun, dass unser System für Schauspieler Besseres zu bieten hat»
Welches Theater-Genre passt zu mir?
Kommunale Bühnen (Staats-, Stadt- und Landestheater)
Der Stadttheater-Intendant: MATTHIAS BRENNER
«Zuschauer möchten sich mit dem Schauspieler verbunden fühlen»
Privattheater
Der Unterhaltungs-Allrounder: FLORIAN BATTERMANN
«Man muss sich gefragt machen und zeigen, dass man gefragt ist»
Freies Theater
Freies Theater Deutschland
Ein Beispiel: «Der Theaterdiscounter», Berlin
Der deutsche Off-Theater-Leiter: GEORG SCHAREGG
«Arbeit auf verschiedensten Levels, nicht nur dem des Spiels»
Freies Theater Schweiz
Ein Beispiel: «Theater Szene», Bern
Die Schweizer Kindertheater-Leiterin: MÄGIE KASPAR
«Kreativ als Schauspieler, nicht nur als Auszuführender»
Freies Theater Österreich
Ein Beispiel: «Werk X», Wien
Der österreichische Theater-Leiter: ALI M. ABDULLAH
«Theater am Arsch der Welt»
Freilichttheater
Der Freilicht-Spieler: ANDREAS KRÄMER
«Querstöße sollte man bei Festspielen nicht suchen»
Tourneetheater
Ein Beispiel: Das Euro-Studio Landgraf
Der Tournee-Unternehmer: JOACHIM LANDGRAF
«Bei uns ist jeden Abend Premiere»
Wie vermeide ich Blindbewerbungen?
Theapolis
Der Theapolis-Gründer: SÖREN FENNER
«Wenn ich nicht weiß, was ich will, wissen andere Leute, was sie mit mir wollen …!»
Wird die Schauspielszene weitgehend nur von Männern bestimmt?
Pro Quote
Die Vorsitzende von «Pro Quote Bühne e.V»: ANGELIKA ZACEK
«Die Zukunft des Theaters ist vielfältig»
Wie gründe ich ein eigenes Theater?
Der Theater-Gründer: SASCHA GLUTH
«Wir sind wie handgemachtes Bier»
Die Kinder- und Jugendtheater-Gründer: NADJA UND MARTIN BRACHVOGEL
«Skepsis für die eigene Arbeit bewahren, um nicht stehenzubleiben»
Wer berät mich beim Beantragen von Fördergeldern? Und wer steht mir bei einem freien Projekt administrativ zur Seite?
ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Die Mitinhaberin des freien Kulturbüros: ANNA MAREIKE HOLTZ
«Wer mit Organisation nichts zu tun haben will, sollte sich fragen, ob eine freie Produktion das richtige ist»
Gibt es abseits des «herkömmlichen» Theaters noch andere Schauspielmöglichkeiten für mich?
Zum Beispiel: Krankenhaus-Clown
Die Krankenhaus-Clownin: MARIA GUNDOLF
«Der Flop wird dein Freund»
Zum Beispiel: Improvisations-Theater
Der Impro-Schauspieler und -Coach: DAN RICHTER
«Den Schauspieler von seinem Ego befreien»
Zum Beispiel: Krimidinner
Die Krimidinner-Theaterleiterin: BEATRIX NIKOLIC
«Wichtig ist, dass die Kompetenzen klar verteilt sind»
Zum Beispiel: EntertainerIn auf Kreuzfahrtschiffen
Der Kreuzfahrt-Gastschauspieler: HARALD EFFENBERG
«Die wollen nur Spaß!»
Der Kreuzfahrt-Entertainer: FRANK BUCHWALD
«Ich habe mein Rentendasein vorgezogen»
Zum Beispiel: Unternehmenstheater
Der Unternehmenstheater-Experte: FABIAN LEMPA
«Die eigene Person in den Hintergrund treten lassen»
Was ist mit Synchron?
Der Synchron-Agent: THOMAS FRENZ
«Persönliches Auftreten ist auch beim Synchron sehr wichtig»
Der Ensemble-Sprecher: UWE JELLINEK
«Grundbedingung: Zur Verfügung stehen»
Die Star-Sprecherin: ALEXANDRA MARISA WILCKE
«Die Klaviatur der eigenen Emotionen beherrschen»
Werbung mit der Stimme: Kann meine verlocken?
Studiofunk
Der Sprecher-Besetzer: OLIVER KLAASS
«Wer seine Texte erst trainieren muss, hat es bei uns schwer»
Wie wärs mit Unterrichten? Und was ist wichtig an der Schauspielausbildung von heute?
Die Schauspiel-Professorin: FRIEDERIKE BELLSTEDT-WILL
«Durchs Lehren eine bessere Schauspielerin geworden»
Sieht «Firmen-Coaching» so aus wie sein Klischee?
Coaching
Die Coachin für jedermann: SUSANNE PLASSMANN
«Das Talent, Leuten dabei helfen zu können, besser gesehen zu werden»
Der Führungskräfte-Trainer: SEVERIN VON HOENSBROECH
«Der Vorteil, dass wir Schauspieler aus einer völlig anderen Welt kommen»
Wer hilft mir bei der Buchhaltung? Und steigt jemand bei meiner Steuerproblematik durch?
Der Schauspieler-Steuerberater: CHRISTIAN KNAPPE
«Schauspieler sind sich ihrer steuerlichen Möglichkeiten oft gar nicht bewusst»
Die Schreibtischkünstlerin: JULIANE KINDLER
«Als Schauspieler fällt man im Grunde durch jedes System»
Kann mir bitte jemand mal diese GVL erklären?
Die GVL
Der GVL-Delegierte: THOMAS SCHMUCKERT
«Man kann nicht von jedem Künstler verlangen, dass er tickt wie ein Buchhalter»
Wie sorge ich fürs Alter vor? Und bin ich ausreichend versichert?
Eine Möglichkeit: Die Künstlersozialversicherung
Eine andere Möglichkeit: Die Versorgungsanstalt deutscher Bühnenangehöriger
Eine dritte Möglichkeit: Die Pensionskasse Rundfunk
Ein Tipp zum Thema Krankenversicherung: Der nachgehende Leistungsanspruch
Wer kümmert sich um SchauspielerInnen, wenn sie alt und arm sind?
Der Stiftungs-Gründer: ULRICH HÄUSLER
«Eine große Künstlerfamilie bilden, die sich hilfreich zur Seite steht»
Epilog: Matz Reinhardt – Still crazy after all these months!
«… Baby, look at me
And tell me what you see
You ain’t seen the best of me yet
Give me time
I’ll make you forget the rest …»
– «Fame», Irene Cara
Ein Wort zur geschlechtsneutralen Schreibweise
Im folgenden Buch benutze ich in erläuternden Texten das große Binnen-I. Innerhalb der Interviews und auch der prosaischen Texte habe ich aus Gründen der besseren Lesbarkeit allerdings nahezu einheitlich darauf verzichtet, und ausschließlich die männliche Form verwendet, die somit (in der Regel) beide Geschlechter einschließt.
Wow. Was für ein Moment. Es ist vorbei. Ich blicke in den dunkelblauen Morgenhimmel, schwanke noch ein wenig. Ein paar Minuten ist es her, da hab ich sie alle nochmal in den Arm genommen. Lena, die bei allen Prüfungen vor Aufregung Pickel bekam, und schließlich doch mit Auszeichnung abschloss. Hannes, unser Akrobatik-Ass, den ich in dieser Nacht zum ersten Mal betrunken sah, und zwar gleich so, dass er sich mit der Hand am Türrahmen festhalten musste als hätte das Lokal Schlagseite. Die hübsche Anne, in die ich heimlich seit der Aufnahmeprüfung verliebt bin, doch der ich das auch an unserem letzten Abend nicht gebeichtet habe. Weil sie mit Leon, meinem besten Freund, zusammen ist, der ständig neue Runden Tequila bestellte (wer hat die eigentlich alle bezahlt?), während die alte Jukebox in Heinos wunderbar verrauchter Eckkneipe zum x-ten Male «Que sera sera» vor sich hin leierte, das wir seit Stunden in Endlosschleife laufen ließen.
Und nun ist es halb sechs. Die Vögel zwitschern, ein sanftes Lüftchen weht durch die Bäume am Bürgersteig, die Straßenbahn bimmelt von Weitem und ich atme tief und bewusst die frische Morgenluft in mich ein, wie ich sie die letzten vier Schauspielschuljahre lang unbewusst ständig in mich eingeatmet habe. Mal gestresst, genervt, hoffnungsvoll, mit Energie und Tatendrang, voll unbändiger Freude, adrenalingeschwängert, dann aber wieder mit gehörigen Portionen Wut und Enttäuschung. Aber letztendlich: voll Wehmut und Dankbarkeit. Denn nun ist es geschafft. Endlich. Mein Traum, den ich vor so vielen Jahren zu träumen begonnen habe, ist nach etlichen Stationen und Hindernissen Wirklichkeit geworden: Ich bin Schauspieler. Kein Schauspielschüler oder «Eleve» mehr. Nein, Schauspieler. Ich artikuliere dieses Wörtchen wie eine Sprechübung vor mich hin, quasi als Beitrag zum morgendlichen Vogelkonzert. Und fühle mich unendlich frei. Und glücklich. Denn nun geht es los, das Leben, das ich mir immer gewünscht habe. Einzig und allein der Kunst verpflichtet und dem, was ich aus all den Fertigkeiten, die ich in den letzen Jahren mit auf den Weg bekommen habe, aus dieser zu machen gedenke. Mein Plan: In der Großstadt bleiben. Und dann? Mal schauen. Sich darauf besinnen, was man will. Mit diesem Beruf. Denn wenn ich ehrlich bin: So ganz ist mir das noch nicht klar. Auf der Schule haben wir uns zwar aufs Spielen konzentriert, auf Klassiker, auf die Moderne und manchmal auf Filme, deren bekannteste Szenen wir nachgeahmt haben. Wir haben unseren Körper in den Fokus gestellt, unsere Gefühle, sind als Eidechsen über den Boden gerobbt, haben Lach-Impros gemacht, Fantasiereisen und Impuls-Übungen. Wir haben das Gretchen und Don Carlos ebenso eingeprobt, wie im Sprechunterricht Kurt Schwitters und in der Abschlussaufführung Medea. Wir haben Prüfungen bestanden und manchmal auch nicht. Wir waren unseren Dozenten mal eine Freude, mal eine Last. Umgekehrt genauso.
Und doch haben wir in all den Jahren etwas Wichtiges ausgespart – vermutlich, weil keine Zeit dafür war. Nämlich zu schauen: Was will ich eigentlich wirklich? Was genau will ich spielen, wo will ich spielen und wie am liebsten? Wie werde, wie will ich in den nächsten Jahrzehnten meinen Alltag bestreiten? Wer genau wird mir Geld für meine Fähigkeiten geben und für welche ganz konkret?
Je länger ich in diesen vielversprechenden Frühsommermorgen hinein wandere, der der erste meiner hoffentlich mindestens bis zur Rente währenden Berufsexistenz sein wird, desto mulmiger wird es mir.
Wie fange ich ihn an, diesen wunderbaren, seltsamen Beruf?, überlege ich, während mein Blick sich langsam auf das Pflaster senkt. Das hat mir noch niemand so genau erklärt. Ich weiß, dass es das Stadttheater gibt, an dem man sich bewerben muss, und natürlich Film und Fernsehen. Aber darüber hinaus? Was gibt es für Möglichkeiten? Wo wird was genau von mir verlangt, erwartet, gefordert? Und was verlange, erwarte, fordere, eigentlich ich? Wohin soll die Reise gehen? Was hält sie für mich offen?
Plötzlich recke ich den Kopf wieder gen Himmel und ein Lächeln huscht über mein Gesicht. «Ich werde mir Zeit geben», flüstere ich ins stetig heller werdende Blau, als würde ich zum ersten Mal einen frisch einstudierten Text räsonieren. «Ich werde die Fühler ausstrecken. Und zu fragen beginnen. Mich durchfragen, durch diesen Dschungel, in den ich mich freiwillig begebe. Den Dschungel der Schauspieler. Auf der Suche nach dem verborgenen Schatz. Und vielleicht …» Ich muss lachen, als ich mich dabei ertappe, wie ich beide Hände zu Fäusten balle. «Vielleicht finde ich ja sogar mehrere!»
Jahr für Jahr strömen sie aus den Schauspielschulen, die angehenden Stars und KünstlerInnen, und in der Regel wissen sie nicht genau, wo es hingehen soll. Theater? Film? Fernsehen? Synchron? Alles zusammen oder gar nichts davon? Soll ich irgendwo in die Provinz «fest» hingehen? Soll ich «frei» arbeiten? Und wenn ja: Wie konkret soll sie dann überhaupt aussehen, diese «Freiheit»?
Dass sich dieser Beruf darum dreht, darum drehen sollte, möglichst im Rampenlicht zu stehen, Aufmerksamkeit zu bekommen und davon auch noch einigermaßen leben zu können – darauf können sich wohl alle der geschätzten 26 000 im deutschsprachigen Raum ansässigen SchauspielerInnen (hohe Dunkelziffer, da die Berufszeichnung nicht geschützt ist) einigen.
Doch wie genau soll das, wie genau kann das überhaupt stattfinden? Was gibt es für Möglichkeiten für SchauspielerInnen, die die immer noch vorherrschend an Schauspielschulen gelehrte Stadttheaterkarriere aus unterschiedlichen Gründen nicht einschlagen oder abbrechen und die (noch) nicht zu der Handvoll Film- oder Fernsehstars zählen, die es – scheinbar – «geschafft» haben?
Gibt es abseits von Drehen und Theater noch andere lukrative Arbeitsfelder für mich? Habe ich steuerliche Vorteile? Gibt es in Gastverträgen an freien Theatern so etwas wie Gehaltstarife? Was steht mir als Gage bei einem Fernsehdreh zu? Wie gehe ich meine Filmkarriere an? Wie sieht ein gutes Demoband, ein gutes Schauspieler-Porträt aus? Wie bewerbe ich mich um Fördergelder für mein eigenes Projekt, und gibt es Tricks, wie ich sie am besten erhalte? Wie kann ich mich als eigenes Theater, als eigene Gruppe selbstständig machen?
Fragen über Fragen, die SchauspielerInnen beschäftigen, und die, je nachdem, wie gut oder schlecht sie mit Kollegen vernetzt sind, oft unbeantwortet bleiben.
Dieses Buch soll durch Gespräche mit «ExpertInnen» eine Art «Wegweiser» für alle SchauspielerInnen bieten, die sich auf «den freien Markt» werfen – wobei jedeR GesprächspartnerIn dabei einen eigenen «Wegweiser» bildet, deren/dessen Informationen, Ansichten, Erfahrungen man für sich wertvoll erachten kann oder eben auch nicht. Es soll verhindern, dass sich immer mehr KollegInnen im Dschungel dieses Marktes verirren, und dass geheimes Wissen über diesen Beruf und seine Möglichkeiten nur zufällig oder flüsternd von Mund zu Mund verbreitet wird.
Es soll die Palette vieler diverser Arbeitsfelder für die SchauspielerIn von heute darbieten und beleuchten – Arbeitsfelder, die mit dem, was auf den Schauspielschulen gelehrt wird, in engem Zusammenhang stehen.
Es soll zeigen, wohin dieser wunderschöne, aber brutale Beruf in den kommenden Jahren geht und gehen kann, und ein Angebot sein für Menschen, denen Spielen das Leben bedeutet, sich mit diesen Möglichkeiten auseinanderzusetzen.
Dieses Buch erhebt keinen Anspruch darauf, objektiv zu sein. Im Gegenteil: Durch Interviews mit verschiedensten RepräsentantInnen und Fachleuten ihrer jeweiligen Sparte entsteht ein extrem heterogenes Bild dieses Berufes und offenbart damit seine vielfältigen Seiten und auch Tücken – ein kleines Schaupiel-Potpourri, selbstverständlich ohne Vollständigkeitsanspruch. Denn der Dschungel des Spielens ist voll ungeahnter Wege und Möglichkeiten, die sogenannte «Wegweiser» nur äußerst unzureichend abbilden können.
Aber alle diese «Wegweiser» eint die Liebe zu einem Beruf, der sich im Wandel befindet, und dabei ständig und immer mehr, von seinen AkteurInnen verlangt, sich zu positionieren.
Dieses Buch soll auf unterhaltsame und informative Weise einen kleinen Beitrag dazu leisten.
Arbeitsamt. Empfangsschalter. Die dickliche, kleine Dame grinst, als sie meine Personaldaten in ihren PC einspeist. «Oh, ein Schauspieler! Und Sie wollen sich arbeitslos melden? Na, das ist ja mal eine Seltenheit!»
Ich lächle gequält, während sie mir meinen Personalausweis über den Tresen zurückreicht und mich bittet, in der Wartehalle Platz zu nehmen, bis mein Name aufgerufen wird. Ich folge ihrer Anweisung, setze mich zwischen eine junge Mutter mit Kinderwagen und einem Mittfünfziger mit blauem Anzug und Sonnenbrille in eine knarzende Plastikschale. Es dauert nicht lange und eine hochgeschossene Frau mit Pagenschnitt tritt in die Halle. «Herr Reinhardt?», ruft sie. Ich springe auf. «Folgen Sie mir bitte!»
Ich trotte hinter ihr her und gemeinsam nehmen wir in einem schmucklosen Raum Platz, sie hinter dem Ikea-Schreibtisch, ich davor.
«Nun gut», sagt sie, nachdem sie eine Weile wortlos an der Tastatur herumgewerkelt hat. «Ihre Arbeitssuche habe ich registriert. Leistungen von unserer Seite stehen Ihnen nicht zu, da müssten Sie mindestens 360 sozialversicherungspflichtige Arbeitstage innerhalb der letzten 2 1/2 Jahre vorzuweisen haben, um dem Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 zu genügen. Oder alternativ 180 Tage im selben Zeitraum, wenn davon mindestens 91 in kurzfristigen Beschäftigungen bis zu jeweils 14 Wochen lagen. Und auch für Fortbildungsanträge ist es noch zu früh – Sie haben ja gerade erst eine Ausbildung absolviert.»
Sie blickt auf ihren Monitor, lässt die Maus an ihm entlang scrollen. «Ich nehme an, Sie wollen jetzt ganz einfach in Arbeit.»
Ich nicke eifrig.
«Aber …» Sie beugt sich vor und blickt mir tief in die Augen. «Was für eine Arbeit suchen Sie denn?»
Ich schlucke, lehne mich zurück. Ich überlege, ob ich ihr «Fensterputzer» als Antwort geben soll, aber ich bin mir nicht sicher, ob mein Witz so gut ankäme.
«Naja, ich habe ja nun gerade meine Schauspielausbildung beendet. Spielen wäre also ganz schön», sage ich stattdessen.
«Spielen», wiederholt sie gedankenverloren, tippt erneut auf ihrem PC herum. Dann wendet sie sich mir wieder zu. «Konkreter geht es nicht?»
Ich überlege. Und zucke mit den Schultern.
«Theater, Film, Fernsehen», zähle ich auf, und weise auf ihren PC. «Alles, was Sie da drin haben.»
Sie lacht auf. «Da drin?» Sie tippt auf ihren Monitor. «Da drin hab ich leider gar nichts. Nicht für Sie. Für Leute wie Sie, da gibt es doch die ZAV!»
Das stimmt, überlege ich. Schließlich ist die ZAV mein erster Kontakt mit der Arbeitsrealität gewesen, als ich vor gut einem halben Jahr zusammen mit meinen Kommilitonen und drei Monologen bewaffnet vor ihr vorgesprochen habe. Ich kann mich an ermutigende Sätze ihrer Vertreter erinnern und die stolze Verkündung, dass wir nun alle bei ihr aufgenommen seien. Was aber genau das bedeuten sollte, wusste ich nicht. Oder es ging im Trubel der Vorsprechzeit unter.
Aber, nun gut: Wenn diese ZAV also für mich verantwortlich sein soll, lohnt es sich vermutlich, sich ein wenig näher mit ihr zu befassen.
ZAV Künstlervermittlung
ist eine von der Bundesagentur für Arbeit betriebene, aber international agierende Vermittlungsstelle, die den NutzerInnen kostenfrei zur Verfügung steht. Neben den Bühnenberufen, wie SchauspielerInnen, OpernsängerInnen, Musical-DarstellerInnen oder TänzerInnen, sind auch andere Bereiche erfasst, jedoch liegt ihr klarer Schwerpunkt auf dem Bereich der darstellenden Künste. Insgesamt stellt sie eine wichtige Schnittstelle zwischen KünstlerInnen und denen dar, die sie engagieren möchten. Die ZAV hat ihren Sitz in verschiedenen Städten (Hamburg, Berlin, München, Stuttgart, Leipzig und als Zentrale in Bonn), wo sie für die jeweilige Region verantwortlich ist.
Die ZAV wird durch kunsterfahrene MitarbeiterInnen betreut. Einer von ihnen ist Jörg Brückner. Eigentlich ist Brückner Kunsthistoriker und Kulturmanager, hat in dieser Funktion für unterschiedliche Institutionen gearbeitet (zum Beispiel für die Babelsberger Studios oder einem Varieté-Zirkus, für den er als Tour-Manager in den 1990er-Jahren quer durch die ganze Welt reiste. Doch irgendwann wurde die Sehnsucht nach Sicherheit und Beständigkeit größer, sodass er sich bei der ZAV bewarb.
2007 wurde die Künstlervermittlung der Bundesagentur für Arbeit neu aufgestellt. Die ehemalige ZBF (Film- und Fernsehvermittlung) und der sogenannte KD (Künstlerdienst) wurden als vormals zwei eigenständige Bereiche zusammengelegt. Es wurden neue Leitungsfunktionen frei, von denen Brückner seitdem eine bekleidet. Er fungiert als Teamleiter im Bereich Musiktheater/Schauspiel/Bühne/Film/Fernsehen.
JÖRG BRÜCKNER über Karriere-Begleitung, proaktive Mitarbeit und warum es für Schauspieler leichter geworden ist, aufzufallen
Herr Brückner, was kann ich als Schauspieler von der ZAV erwarten?
Wir machen Karriere-Coaching, Karriere-Begleitung. Wir haben Kontakte zu allen wichtigen Arbeitgebern im Bereich Schauspiel. Das sind über Film- und Fernsehproduktionen hinaus, die Theater und die freien Gruppen. Ständig kommen aber mehr potenzielle Arbeitgeber dazu, selbst welche, an die möglicherweise vor einigen Jahren noch gar nicht gedacht wurde. Deswegen sagen wir unseren Kunden: «Wenn es nicht sofort in einer tollen Serie klappt, dann schaut doch mal, was es eventuell an Schulungsfilmen oder Werbevideos gibt, die wir auch vermitteln!» Die Künstler können heute viel selbstbestimmter arbeiten, als noch vor 10 Jahren, wo es die Möglichkeiten, die beispielsweise Social Media bietet, noch nicht gab. Wie man sich bestmöglich im Netz präsentiert, erfahren die Schauspieler in unserer «Social-Media-Beratung». Die Fragen, die wir da gemeinsam stellen, und möglichst beantworten, lauten: Wie stelle ich mich auf? Welche Kanäle nutze ich? Wie streue ich mich, dass ich möglicherweise den richtigen Arbeitgebern damit auffalle? Wir haben zum Beispiel das Format Selfmade Short Stories, kurz SMS, etabliert: Das sind kleine, zwei- bis dreiminütige Szenen, mit dem Handy aufgenommen, die ins Netz gestellt werden können. SMS sind nichts anderes als Bewerbungsfilmchen. Wenn das «Shorty» gut gemacht ist, erreicht man unter Umständen viel mehr Auftraggeber als über eine Hochglanz-Fotostrecke. Es ist für Schauspieler einfacher geworden, aufzufallen!
Was relativ neu ist, weil es das erst seit zwei Jahren gibt: Wenn eine Künstlerbiografie sich dem Ende zuneigt, aus verschiedenen Gründen (sei es das Alter, seien es andere Gründe, die mich zwingen, über Plan B nachzudenken), gibt es jetzt ein «Transition Team». Dieses kann den oft sehr schmerzhaften Prozess des Loslassens begleiten, bis zur Überführung in die Bundesagentur für Arbeit, die dann entsprechende Angebote vorbereitet. Diese Angebote enthalten Arbeitgeberkontakte, die sich auf die Gruppe der Künstler fokussiert haben, da diese Skills mitbringen, mit denen viele Arbeitgeber zunehmend gerne arbeiten.
Das sind die Punkte, für die die ZAV Künstlervermittlung steht, und dies eben für alle darstellenden Genres. Wir sind nicht wirtschaftlich orientiert, sondern können neutral unterwegs sein. Uns geht es ausschließlich um die Vermittlung in Engagements und Projekte. Wir sind eine sogenannte «besondere Dienststelle» der Bundesagentur, das heißt, wir unterscheiden uns insoweit von anderen Bundesagenturen für Arbeit, dass wir mit Transferleistungen sehr wenig, bis gar nichts zu tun haben. Wir unterstützen ausschließlich fachlich.
Die ZAV ist also nicht verantwortlich für Geldleistungen?
Nur insoweit, dass wir ein kleines Vermittlungsbudget besitzen. Wir können, und das ist immer eine Einzelfallentscheidung, Fotokosten fördern und Reisekosten ebenfalls. Wer diese in Anspruch nehmen möchte, fordert einen entsprechenden Antrag, aber bitte vor einer Vorsprechreise oder Fotosession bei uns an – das gilt für die Agentur für Arbeit genauso. Diese Leistungen stehen immer im Zusammenhang mit der konkreten Anbahnung eines Engagements. Ansonsten haben wir mit Leistungsbezug nichts zu tun. Das hängt auch damit zusammen, dass die Kollegen, die hier arbeiten, nicht verwaltungssozialisiert sind. Sie kommen nicht aus der Bundesagentur, sondern aus dem Bereich, in dem sie jetzt auch vermitteln. Das sind ehemalige Dramaturgen, Schauspieldirektoren oder Manager aus allen Bereichen der darstellenden Künste. Die wissen, worum es geht, haben den sogenannten «Stallgeruch». Das ist auch entscheidend, da wir – auch das ist besonders an der ZAV – der einzige Bereich in der Bundesagentur für Arbeit sind, die beide Kundengruppen betreuen: die Arbeitnehmer und eben auch die Arbeitgeber. In der Agenturwelt ist das ansonsten getrennt. Davon kann man halten, was man will: In unserem speziellen Fokus ist unsere Variante, beide Gruppen zu betreuen, die beste Wahl.
Wer darf alles in die ZAV?
Für unseren Kontext brauchen wir konsistente Aufnahmekriterien im Zielberuf Schauspiel, und das ist zum Beispiel und vor allen Dingen die abgeschlossene Schauspielschulausbildung, egal ob privat oder Hochschule. Wir gehen in die privaten Schulen, genauso wie in die staatlichen, und die Studierenden, dann Absolvierenden, werden von uns, zunächst einmal für zwei Jahre, aufgenommen. Alle Absolventen haben einen Rechtsanspruch, in die Vermittlungsleistung der ZAV einbezogen zu werden. Der kann allerdings auf ein paar Jahre befristet sein, wenn wir merken, dass jemand nicht vermittelbar ist. Oder die Zusammenarbeit kann aus anderen Gründen beendet werden.
Nehmen Sie auch Leute auf, die nicht auf der Schauspielschule waren?
Natürlich gibt es immer Ausnahmetalente, aber die finden ihren Weg auch ohne uns. Wir haben im Einzelfall auch schon Schauspieler aufgenommen, die ohne Schauspielausbildung jahrelang in Serien oder am Theater tätig gewesen sind und dort sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Letzter Punkt ist uns wichtig, weil wir aus Beitragskosten finanziert werden und vornehmlich in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen vermitteln.
Vornehmlich? Also nicht ausschließlich?
Wir vermitteln in alle Beschäftigungen, die den Künstlern ein Einkommen sichern, mit denen sie ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Im Großen und Ganzen werden wir natürlich durch unsere Finanzierung an den sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten gemessen, die wir vermitteln, weil wir eben aus Arbeitslosenversicherungsbeiträgen finanziert werden.
Gibt es Angebote, die Sie nicht vermitteln?
Wir vermitteln natürlich nicht alles, was uns zur Vermittlung angeboten wird: Wir achten darauf, dass es nicht sittenwidrig ist und schauen in anderen Fällen danach, ob es eine tarifliche Bindung gibt. Wir versuchen, auf widrige Arbeitsverhältnisse ein Auge zu haben und diese gegebenenfalls auch in den unterschiedlichen Arbeitgeberverbänden anzusprechen, in denen wir aktiv sind – zum Beispiel in der Produzentenallianz oder im Deutschen Kulturrat.
Wie kann sich ein junger Schauspieler bestenfalls für diesen schwierigen Beruf wappnen?
Gerade am Anfang sind die Absolventen noch so gefragt, dass sie sich eventuell sogar aussuchen können, ob sie eine Bühnenkarriere anstreben oder eine bei Film und Fernsehen. Trotzdem sollte man auch schon früh immer im Auge behalten: Wie sieht der Fächer meines Berufes aus? Was kann ich eventuell sonst noch machen? Es gibt in der Karriere immer mal wieder Phasen, in denen man nicht so gut gebucht ist oder dass sich Familie und Beruf nicht miteinander vereinbaren lassen. Und da sollte man sich überlegen, was man denn sonst an beruflichen Möglichkeiten hat.
Natürlich schaut man als Schauspieler vor allen Dingen in Richtung der klassischen Arbeitsmöglichkeiten, Bühne und Film, derentwegen ist man schließlich Schauspieler geworden. Man sollte aber auch immer reflektieren und sich fragen: «Was sind meine Skills, die eventuell auch in anderen Bereichen tragen können?» Und, ohne diese Brücken überqueren zu müssen, hilft es, diese Brücken überhaupt erst einmal zu kennen!
Also bereits am Anfang der Laufbahn über Plan B nachdenken?
Das hören die Absolventen natürlich nicht so gerne. Aber es ist trotzdem Teil der Lebenswirklichkeit. Wir wissen einfach um die Zahl derjenigen Schauspieler, die nicht gut von diesem Beruf leben können. Nur ein einstelliger Prozentsatz kann ordentlich davon existieren. Die Masse aber knappst herum, hat immer wieder richtige Durchhänger und muss dementsprechend oft etwas anderes machen. Da gibt es aber viele interessante Arbeitsfelder im darstellerischen Bereich außerhalb der klassischen und es kommen immer mehr dazu. Da sollte man wachsam sein, und es auch bleiben. Wir können häufig dazu einen Anstoß geben.
Was zum Beispiel gibt es da?
In letzter Zeit etwa viel im Bereich «Gaming», beispielsweise «Motion Capturing», die Transformation von Bewegungen in ein Computerspiel, in Digitalisierung. Dazu braucht man Tänzer oder ausgebildete Schauspieler, die so etwas machen, da die Spiele immer komplexer werden und zunehmend von bekannteren Regisseuren inszeniert werden. Da ist ein großer Tummelplatz entstanden, in denen es sich durchaus lohnt, mal hineinzublicken. Dazu braucht man natürlich Initiative, aber die kann man lernen und die begleiten wir natürlich auch.
Wenn Kunst auf Behörde trifft: Ist das eine Mischung, die sich gut verträgt?
Da ich selber Quereinsteiger bin, kann ich sagen, dass sich für einen künstlerisch denkenden Menschen als Teil einer großen Bundesbehörde vieles nicht so leicht umsetzen lässt. Wir haben zum Beispiel hohe Auflagen, was den Datenschutz betrifft. Dann gibt es das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz: Wir können aber auf eine männliche Spielrolle keine Frau vorschlagen. Also vieles, was in der normalen Arbeitswelt bei einer ausgeschriebenen Stelle funktioniert, ist bei uns halt sehr anders. Dazu gehört, dass die Arbeitsagentur in der Regel jemanden, der arbeitslos ist, schnell wieder in Arbeit bekommen möchte. Und wenn das gelungen ist, hat er dann meistens eine Stelle, die sehr lange Bestand hat. Unsere Kunden dagegen sind dauerhaft arbeitssuchend, weil es in diesem Bereich ja keine Lebensstelle gibt – außer vielleicht im Fall eines Orchestermusikers. Das heißt, wir vermitteln halt immer nur zwei oder drei Drehtage und Zweijahresverträge am Theater. Aber anschließend kommen die Leute wieder! Das ist eine Drehtür! Und auf so etwas ist die Bundesagentur überhaupt nicht ausgerichtet. Auch die Datenbank, mit der wir arbeiten, ist abmeldeorientiert. Dauerhafte Abmeldung passt aber nicht zu unserer Tätigkeit. Und so haben wir unter schwierigen, internen Rahmenbedingungen zu arbeiten. Das klappt aber gut!
Ist die ZAV selbst auch in den sozialen Netzwerken vertreten?
Seit 2017 haben wir einen Social-Media-Auftritt, den ich zusammen mit einem Kollegen betreue. Daneben sind wir auch auf Instagram und Twitter. Zusätzlich haben wir auch noch eine Homepage. Das alles trägt dazu bei, dass sich unser Image ändert. Damit meine ich unser behördliches, etwas angestaubte «Arbeitsamt-Image».
Wie hat sich das ausgewirkt?
Das sehen wir daran, dass viele junge Schauspieler von uns einfach nicht vertreten werden wollen! Insbesondere im Schauspielbereich haben wir ein großes Defizit an jungen Schauspielern, die wandern in der Regel sofort zu freien Agenturen. Wir sind ja nicht die Einzigen, die zu den Ausbildungsstätten gehen. Wir haben im Bereich Film und Fernsehen insbesondere bei jungen Leuten Optimierungsbedarf. Daran arbeiten wir zurzeit.
Was sind die Nachteile der «ZAV Film und Fernsehen» gegenüber einer privaten Agentur?
Was wir natürlich als Bundesagentur im Gegensatz zu einer privaten Agentur oder einem privaten Management nicht leisten können, ist eine individuelle, zeitlich aufwändige Betreuung, die sich zum Beispiel in so etwas wie Vertragsverhandlungen äußert. Dafür haben wir einfach zu viele Schauspieler in der Vermittlung.
Und die Vorteile?
Wir sind provisionsfrei. Wir kennen die Arbeitgeber und arbeiten sehr viel mit Direktkunden, Auftraggebern, den großen Sendeanstalten, aber auch Netflix zusammen, überwiegend auch mit Casting-Direktoren. Diesen Support kann man bei uns erhalten, wenn man will. Wir schlagen auch Leute vor, die werden ausgesucht oder eben nicht.
Sie schlagen Leute vor?
Ja, etwa 50 % schlagen wir vor, bei den anderen 50 kommen Casting-Direktoren mit namentlichen Künstler-Anfragen auf uns zu.
Wie viele Schauspieler vertreten Sie?
In der ZAV Berlin für Film und Fernsehen sind es 1 200 Schauspieler; in der Bühnensparte ungefähr 2 200.
Unterstützen Sie auch Fortbildungen?
Wir befürworten Fortbildungen, zum Beispiel Kamera-Workshops, wenn wir Potenzial sehen. Bildungsgutscheine geben wir allerdings nicht aus. Wenn man diese erhalten will, muss man sich bei seiner zuständigen Agentur für Arbeit melden. Die Kollegen fragen dann gegebenenfalls bei uns nochmal nach, ob die Fortbildung oder Qualifizierung Sinn macht, also die Vermittlungschancen signifikant verbessert. Dazu muss ich aber bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet sein.
Ich muss also nicht arbeitssuchend gemeldet sein, um überhaupt von der ZAV vertreten zu werden?
Nein. Aber es schließt sich nicht gegenseitig aus. Wir können als Fachvermittlung für Kunden der Arbeitsagentur und der Jobcenter tätig werden, aber man muss nicht zwingend dort arbeitsuchend gemeldet sein oder Leistungen beziehen. Wir vermitteln und beraten auch exklusiv.
Wenn ich mich bei der Agentur für Arbeit als «arbeitssuchend» verzeichnen lasse, muss ich mich dann regelmäßig bei ihr melden?
Wenn man nur «arbeitssuchend» gemeldet ist, hat man in der Regel mit der Agentur diesbezüglich nicht so viel zu tun und kaum Verpflichtungen – da werden lediglich regelmäßige Meldungen über die Arbeitssuche angefordert. Anders ist es, wenn man im Leistungsbezug steht, dann muss man sich eventuell bei Drehtagen oder ähnlichem immer mal wieder abmelden, was in der Regel sehr gut über E-Mail funktioniert. Und sich gegebenenfalls nach einem über sechswöchigen Engagement erneut wieder arbeitslos melden.
Wie sollte die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und einem Schauspieler bestenfalls aussehen?
Man muss regelmäßig Kontakt halten und uns darüber informieren, was sich im Hinblick auf Engagements getan hat. Wenn sich Fotos, Demoband oder anderes geändert haben, sollten wir das ebenfalls erfahren. Wenn all dies gewährleistet ist, steht einer guten Zusammenarbeit nichts im Wege. Bei so vielen Schauspielern in der Vermittlung, können wir uns nicht aktiv für jeden Einzelnen engagieren. Da muss schon viel vom Schauspieler selber kommen, denn wir erwarten ein hohes Maß an Eigeninitiative. Bei denen, die regelmäßig in die Beratung kommen, funktioniert das sehr gut. Natürlich auch, weil wir die frisch im Bewusstsein haben. Und es ist hilfreich, uns auch mal einzuladen, wenn er oder sie irgendwo auftritt. Wir sind ja ständig im Außendienst und besuchen Vorstellungen.
Gut. Selbst mitarbeiten. Sich nicht auf andere verlassen. Proaktiv. Aber wie genau soll das aussehen, frage ich mich, als ich das Gebäude der ZAV in der Friedrichstraße verlasse. Wo fange ich damit an?
Ich überlege: Eigentlich sollte es ja kein Problem sein, im Internet nach allen Theatern, allen Castern, allen Filmproduktionen zu forschen und sich bei allen zu bewerben. Bei irgendjemandem von denen wird’s ja wohl schon klappen.
Doch dann schüttle ich den Kopf: Es gibt da eine einfachere Variante, die zeit- und auch frustrationssparend sein kann, wenn man erst mal zu ihrem Kern vorgedrungen ist: Nämlich, herauszufinden, was ich eigentlich von diesem Beruf will und mich gezielt auf Stellen in diesem Zusammenhang zu bewerben! Wenn ich das weiß, wird mir die Jobsuche um einiges leichter fallen!
Ich schlage mir vor den Kopf. Eigentlich eine Binsenweisheit. Und idiotisch, dass mir das erst jetzt, nach der Ausbildung einfällt, wo mir doch davor so eindeutig klar gewesen war, dass ich Schauspieler und nichts anderes werden wollte.
Doch war mir nicht bewusst, dass es so viele Möglichkeiten gibt, diesen Beruf auszuüben. Nur: Wie und wo finde ich nun meinen Weg? Wie bekomme ich ihn heraus? Und kann mich dabei bitte jemand beraten?
Schon als Kind stand die gebürtige Berlinerin auf der dortigen Waldbühne und drehte fürs Fernsehen. Sie tanzte ebenso gerne, wie sie sang und spielte. So war es für sie folgerichtig, ab Ende der 1980er-Jahre in ihrer Heimatstadt eine Musicalschule zu besuchen. Privat – da an deutschen Hochschulen ein solcher Studiengang noch nicht existierte. Die folgenden zehn Jahre arbeitete sie in den unterschiedlichen Genres, spielte am Maxim Gorki Theater, sang Jazz, Oper und Musical (u. a. am Theater des Westens), machte Film und Fernsehen, Synchron und Hörspiele. Doch irgendwann spürte sie, dass sie mit ihrem künstlerischen Leben nicht so glücklich war, wie sie es ihrer Meinung nach hätte sein müssen: «Die Rollen wurden größer, die Gagen wurden größer, die Häuser wurden größer», sagt sie heute, «doch die Zufriedenheit, die wurde nicht größer». Als sie die Chance erhielt, an der Neuköllner Oper zur Zeit ihrer Schwangerschaft einen selbstgeschriebenen Soloabend mit Liedern, Texten und Band auf die Bühne zu bringen, erfuhr sie zum ersten Mal, wie befriedigend es sein konnte, ihre gesamte Künstlerpersönlichkeit zum Tragen zu bringen. «Da merkte ich etwas Seltsames: Das Haus war kleiner, die Gage war kleiner, aber die Zufriedenheit war größer.»
Sie begann ein Psychologiestudium in Freiburg und arbeitet nun seit ihrem Diplom vorwiegend als freischaffende Beraterin für Künstler in Berlin. Zwei Bücher sind zu diesem Thema bisher von ihr erschienen: Kompass für Künstler und Warum Künstler die glücklicheren Menschen sein könnten.
ALINA GAUSE über nachhaltige Karrieren, das Klischee des verrückten Künstlers und warum es wichtig ist, alle Persönlichkeitsanteile gleichwertig zu behandeln
Alina, was ist der Kernkonflikt, dem speziell Schauspieler in ihrem Beruf psychologisch ausgesetzt sind?
Schauspieler sind stärker als viele andere Künstler damit beschäftigt, eine Quadratur des Kreises hinzubekommen: sich ungeschützt, in all ihrer Verletzlichkeit, ihrer Sensibilität, mit ihrer Persönlichkeit zu zeigen und sich gleichzeitig vor schädlichen Einflüssen zu schützen. Den richtigen Moment zu erkennen, in dem man «aufmachen» muss, sich aber auch zuzubilligen, dass man diesen Zustand nicht ständig aufrecht erhalten kann – da einen das unter Umständen ausbrennt oder zu vielen Verletzungen aussetzt. Es ist ein ziemlicher Spagat: einerseits schonend mit den eigenen Gefühlen umzugehen und andererseits diejenigen abrufbar zu haben, die für die Rolle notwendig sind. Das sind, psychologisch betrachtet, ganz unterschiedliche Bewusstseinszustände. Es sind jeweils andere Gehirnwindungen aktiv.
Deine Diplomarbeit trägt den Titel: «Künstler im Spannungsfeld zwischen Beruf und Berufung.» Was genau fandest du durchs Psychologie-Studium diesbezüglich heraus?
Das Psychologiestudium vermittelte mir den wissenschaftlichen Background dafür, die psychologischen Strukturen im Künstlermetier besser verstehen zu können. Es gab mir Werkzeuge an die Hand, zu begreifen, warum ich damals beruflich so unglücklich war, warum der Beruf so ist, wie er ist und warum es so viele ungeschriebene Gesetze gibt. Themen wie Macht, Erfolg, Scham, Angst, Kritik hatte ich bisher intuitiv aufgenommen und konnte sie nun übergreifend einordnen.
Kannst du Beispiele nennen?
Da gibt es zum Beispiel das Klischee des «verrückten Künstlers». Das spielt in meiner Diplomarbeit eine große Rolle. Ich habe mich gefragt, warum in der Gesellschaft die Sichtweise so verbreitet ist, dass Künstler verrückt seien oder labil. Ich fand heraus, dass es zu diesem Thema keine Daten gibt, also fast gar nicht geforscht wurde. Was wiederum bedeutet, dass diese These erst einmal nichts als eine Behauptung ist. Künstler nehmen allerdings dieses Klischee, das vorwiegend von außen kommt, häufig selbst an, weil sie es mit etwas in sich verbinden können. Ich dagegen stellte fest, dass diese Sichtweise überhaupt keinen Sinn ergibt. Zu Spiel, Tanz und Musik ist viel geforscht worden, und zwar mit dem fast einhelligen Ergebnis, dass das alles gesundheitsfördernde Wirkung hat. Wie also hängt dies mit der These der «Verrücktheit» zusammen? Ich sah genauer hin und verstand, dass kreative Persönlichkeiten auf eine bestimmte Art ticken. Zu gestalten, die eigenen Gefühle, Geschichten und Gedanken auszudrücken, ist für sie ein Grundbedürfnis, dem sie intensiv nachgehen. Und das ist zunächst einmal gesund, auch wenn es für die Außenwelt nicht unbedingt so aussieht. Kreative sind häufig freigiebiger mit ihrem Gefühlsausdruck – man sieht sie schneller weinen, schreien, lachen und trauern – und meint infolgedessen: Die haben ein größeres Problem. Das haben sie aber möglicherweise nicht. Sie haben sogar möglicherweise ein kleineres Problem als diejenigen, die all diese Gefühle nicht zeigen. Die Psychologie würde sie «affektiv sehr schwingungsfähig» nennen, und das wird durch die künstlerische Ausbildung natürlich noch einmal befördert. Aber schon während der Ausbildung und erst recht danach treffen diese «schwingungsfähigen» Persönlichkeiten auf ein spezielles Arbeitsfeld. Damit fangen die Probleme an.
Die Probleme?
Ja. Das größte Problem ist die Enge des Marktes. Das Klischee des «verrückten Künstlers» hat vor allem damit zu tun. Denn in erster Linie müssen Künstler Aufmerksamkeit bekommen! Wenn wir nicht gegen die Wohnzimmerwand spielen wollen, brauchen wir Publikum. Und der erste Schritt zum Publikum funktioniert über Aufmerksamkeit. Und alles, was auch nur ein bisschen außerhalb der Norm ist, erregt unsere Aufmerksamkeit. Insofern ist es in diesem Beruf nicht unbedingt förderlich, zu sagen: «Ich bin total normal.» Da ich als Künstler mein eigenes Produkt bin, muss ich immer wieder beweisen, dass es sich lohnt, mich zu hören oder anzuschauen. Mir hat mal eine Schauspielerin in der Beratung gesagt: «Ich bin so uninteressant! Ich rauche nicht, trinke nicht, ziehe nicht um die Häuser, ernähre mich gesund. Sind andere erfolgreicher, weil sie das Gegenteil machen?»
Ein weiteres Problem ist, dass Künstler oft von Nichtkünstlern verwaltet werden. Da begegnen sich zwei Welten, die sich gegebenenfalls einfach nicht verstehen. Zum Beispiel begreifen viele Menschen, die in kunstfernen Bereichen arbeiten, nicht, weshalb in einer Probe unbedingt Ruhe sein muss. Künstlerische Arbeit braucht einen sehr großen Schutzraum, damit Künstler über Grenzen gehen, eventuell Scham überwinden können. Eine tolle Arbeit zeichnet sich in der Regel genau durch diesen Schutzraum aus. Aber das wirkt für Außenstehende oft übertrieben!
Wie läuft ein Coaching bei dir ab?
Wenn sich jemand bei mir meldet, verabreden wir zunächst einmal ein Vorgespräch. Manchmal vis-à-vis, manchmal übers Telefon oder per Skype, da viele meiner Klienten sehr viel unterwegs sind, um herauszufinden, um was es eigentlich geht: Was sind die Ziele? Und bin ich als Coach dafür überhaupt die Richtige? Denn therapeutische Probleme behandle ich grundsätzlich nicht, obwohl ich das von meiner Ausbildung her machen könnte. Aber ich überweise die Menschen dann lieber, weil es Fachleute gibt, die da einfach besser sind, und das ja auch von der Kasse getragen wird.
Wie lange eine Beratung dauert – ob Tage, Wochen oder Monate – ist total individuell. Wenn wir hier zusammen sitzen, dauert die Session in der Regel anderthalb bis zwei Stunden.
Allerdings passiert es auch, dass wir zusammen ihr Atelier aufräumen. Oder dass ich mit jemandem, der ein Jahr lang ein bestimmtes Projekt umsetzen muss, dreimal in der Woche für eine Viertelstunde telefoniere, weil er einen «Partner in Crime» braucht.
Da gibt es also sehr individuelle Konzepte. Man bindet sich auch nicht, wir arbeiten nur so viel, wie es jeweils sein muss. Generell kann ich sagen: Es gibt keine einfachen Antworten auf komplizierte Fragen. Aber natürlich ist es so, dass Künstler, die oft in einer komplizierten Lebenssituation sind, sich nach einfachen Antworten sehnen!
Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Künstler an dich herantreten?
Oft kommen Leute zu mir mit Fragen wie: «Bin ich überhaupt ein Künstler? Soll ich das weiter machen? Oder mache ich es nur, um meinen Eltern zu gefallen? Bin ich gut, bin ich schlecht? Wie bekomme ich mein Inneres nach außen?» Es geht um Ängste, Lampenfieber, Scham, also sehr Psychologisches. Bis hin zu Fragen zum Material oder der Nutzung des Netzwerks – also eher Karrierespezifisches. Bekanntere Künstler, die bei mir sind, treiben oft andere Fragen um. Zum Beispiel, dass sie gerne für anderes wahrgenommen werden wollen, als für das, womit sie Erfolg haben. Darüber hinaus habe ich sehr viel damit zu tun, dass Künstler sich nicht trauen, ihre eigenen, individuellen Wege zu gehen, die vielleicht abseits von dem sind, was sie die Schauspielschule oder irgendein Klischee mal über diesen Beruf gelehrt hat. Denn so etwas lässt sich mitunter sehr schwer ablegen. Zum Beispiel Leitsätze wie: «Spielst du noch oder liest du schon?», die implizieren, dass nur Schauspieler, die keine Engagements mehr erhalten, sich mit Lesungen oder selbstgemachten Programmen über Wasser halten. Meine Klienten fragen sich dann: «Habe ich in meinem Beruf versagt, weil ich viel lieber Lesungen halte, als zu spielen? Oder gerne unterrichte?» Dabei geht es in diesem Beruf doch vor allem darum, seinen eigenen Weg zu gehen, sein eigenes Paket zu packen! Und genau das ist es, was ich hier mit den Leuten tue: Ich versuche ihnen neue Wege aufzuzeigen, sich den eigenen Platz auf dem Markt zu erobern – Wege, die ihrer Persönlichkeit entsprechen.
Die häufigsten Fragen, die die meisten, die zu mir kommen, umtreiben, sind: «Wie schaffe ich es, meinen eigenen Künstler, der jetzt zu meinem Beruf geworden ist, berufstauglich zu machen? Sodass er mich existenziell absichert, ich meine kreative Seele aber dennoch füttere?» Oder: «Was hält mich eigentlich davon ab, etwas für meinen beruflichen Erfolg zu tun? Habe ich vielleicht so etwas wie Angst vor Erfolg? Angst, meine eigene Kreativität auszuleben?»
Wie gehst im Hinblick auf solche Fragen vor?
Eine Grundüberzeugung von mir ist, dass sich Kreative auf dem Markt gut aufstellen können, wenn sie die drei Persönlichkeitsanteile, die sie in sich tragen, miteinander vereinen und nicht einen oder mehrere von ihnen vernachlässigen.
Da gibt es einmal die Privatperson. Also die, die beispielsweise VegetarierIn ist, Kinder hat oder Fußball spielt.
Dann gibt es die kreative Person. Bei der stellt sich die Frage: Was treibt mich künstlerisch um? Was macht mich aus?
Ich stelle nämlich fest: Kreative sind häufig mehrgleisig unterwegs. Oft liebt ein Schauspieler auch das Schreiben oder Malen. Eine kreative Persönlichkeit sagt selten: «Lasst mich einfach nur auf die Bühne gehen, dann spiele ich und will von allem anderen nichts wissen.» Kreativ sein ist eine Persönlichkeitseigenschaft und nicht etwas, was sich auf ein Genre festlegen lässt. Das ist nur häufig in einer einzigen Kunst kanalisiert.
Und dann gibt es noch die dritte Person, die für alles zuständig ist, was nicht eindeutig privat, und nicht eindeutig kreativ ist – zum Beispiel Marketing und Bürokratie.
Die zweite Person, die kreative, ist meist die unkomplizierteste der drei: Sie macht in der Regel Spaß und ist für die Künstlerpersönlichkeit erfüllend und nährend.
Auch mit ihrer ersten Person sind Kreative gut im Kontakt – wenn es auch viele Künstler gibt, die glauben, ihr privates Leben der Kunst unterordnen zu müssen.
Der Schwachpunkt ist oft die dritte Person, die häufig sträflich vernachlässigt wird. Denn: Jeder Künstler muss erst begreifen, dass das Ganze ein Job ist, und man sich mit dieser Person auseinandersetzen muss!
Natürlich gibt es auch Künstler, denen diese dritte Person sehr liegt, die sich herausgefordert fühlen von den Problemen des Marktes und sich ihnen mit Kampfgeist entgegen stemmen. Doch die sind relativ selten. Denn Künstler werden nicht Künstler, wenn diese dritte Person stark ist.
Womit hängt das zusammen?
Oft haben talentierte Leute ein schräges Verhältnis dazu, dass Ergebnisse über Arbeitsaufwand entstehen. Häufig denken sie, dass, wenn ihnen etwas schwer fällt, sie dafür grundsätzlich nicht geeignet sind. Viele sind überzeugt davon, dass andere Künstler über eben dieses Talent verfügen und also – anders als sie selbst – richtiger in diesem Beruf sind. Ich höre oft den Satz: «Ich bin so schlecht darin, mich zu verkaufen! Das können andere viel besser!» So verkennen sie die Notwendigkeit aber auch die Möglichkeit, sich dort einzuarbeiten.
Was bringt einem Künstler das Wissen um diese drei Persönlichkeitsanteile?
Es entlastet ihn. Wenn er sie betrachtet, kommt er eventuell zu der Einsicht: Jetzt begreife ich, warum es mir in manchen Bereichen so gut geht und in den anderen so schlecht! Weil eben nicht alles in einen Topf gehört! Natürlich kann man sich entscheiden, sein Leben allein der Kunst zu widmen und zum Beispiel keine Familie zu haben. Aber man sollte sich damit auseinandersetzen, damit man nicht nach 30 Jahren zurückschaut und denkt, dass alles falsch war. Man sollte immer wieder Bilanz ziehen: Bin ich mit mir und meinem Leben, was diese drei Persönlichkeitsanteile betrifft, noch im Einklang?
Die dritte Person, sage ich oft, ist der perfekte Manager. Und der perfekte Manager schickt einen ja auch nicht dorthin, wo man nicht sein möchte. Sondern er achtet auf einen, pflegt einen, schaut danach, was der Künstler jetzt gerade braucht. Aber er setzt sich auch für einen ein und verfolgt Ziele. Und zwar passgenau.
Selbstverständlich ist es möglich, über diese dritte Person zu sagen: «In diesem Leben werde ich es nicht mehr hinbekommen, gerne Bürokratie zu machen oder gerne Werbung für mich!» Trotzdem sollte ich aber verstehen, dass diese Arbeit sein muss! Und wenn ich das begriffen habe, muss ich unter Umständen dafür sorgen, mir jemand dafür an die Seite zu stellen: Einen Manager, einen Agenten oder Sekretär. Schon mit dieser Suche erledigt die dritte Person bereits ihren Job.
In meinen Workshops gebe ich einen Rat, der häufig befreiend wirkt: «Wählt euch für diese ungeliebte Arbeit euer Lieblingskommunikationsmittel aus!» Zum Beispiel gibt es Leute, die es hassen, zu telefonieren. Andere wiederum schreiben entzückende E-Mails.
Darüber hinaus sage ich: «Ihr dürft mit der Nase dorthin gehen, wo es sich gut anfühlt. Gestaltet eure To-do-Listen nach dem Lustprinzip, und nicht nach der Reihenfolge!» Also am besten das machen, von was man gerade am wenigsten angeekelt ist. Am Ende bleibt sowieso meist die Steuererklärung.
Es ist wichtig, kreative Menschen immer als Kreative abzuholen, sie nicht plötzlich zu Bankangestellten zu machen, die grundlegend anders ticken. Kreative handeln gerne nach dem Lustprinzip und selbstbestimmt. Sie wählen ungewöhnliche Wege. Sie wollen sich die Dinge schön machen. Und genau da docke ich an, nicht beim «Aua-Prinzip». Das nenne ich so, weil es aussagt: «Nur wenn’s wehtut, ist es gut!» Denn es wird ja Künstlern von außen gerne vermittelt, dass sie eh nur nach dem Spaßprinzip handeln, das gesellschaftlich keinen wertvollen Beitrag leistet. Und diesbezüglich gibt es bei Künstlern oft eine Scham, ein schlechtes Gewissen – und sie versuchen unbewusst, diesem «Spaßprinzip» mit dem «Aua-Prinzip» entgegen zu wirken. Dies ist aber speziell für Kreative nicht besonders effizient.
Allerdings muss sich die dritte Person während der Arbeit nicht wohlfühlen. Sie kann schlecht gelaunt sein, müde, genervt, sie kann fluchen währenddessen – aber sie muss ihren Job machen! Sie muss recherchieren, Material zusammentragen, die Buchhaltung machen, sie muss die Website pflegen. Und oft hat es eine entlastende Wirkung, dass ich mich weder gut dabei fühlen noch «gut darin sein» muss!
Ich sollte aber eine gewisse Dosis dabei beachten. Ich plädiere sogar dafür, die Dosis gering zu halten: Möglichst nicht mehr als zwei Stunden am Tag, da die Arbeit der dritten Person psychologisch in der Regel sehr auslaugend ist. Und man sollte einen Tag in der Woche frei haben – und eben nicht den, an dem man sich sowieso schlecht fühlt. Jemand gab mir erst vor Kurzem das Feedback, er wäre in vier Monaten mit diesem Prinzip weiter gekommen, als vorher in vier Jahren!
Ist diese Methode wissenschaftlich fundiert?
Sie basiert einerseits auf psychologischem Hintergrundwissen und andererseits auf meinen Erfahrungswerten in der Begleitung künstlerischer Lebenswege der letzten zehn Jahre. Aber natürlich ist das alles nicht objektiv. Ich kann und will keine Wahrheiten verkünden, die es sowieso nicht gibt. Ich möchte allerdings der persönlichen Wahrheit meines Gegenübers so nah wie möglich kommen. Ich begeistere mich dafür, dass jemand etwas will, und wir versuchen beide, die Mittel, die für das Erreichen dieses Ziels notwendig sind, herauszufinden. Dennoch bin ich natürlich geprägt von meiner eigenen Geschichte und aus der Psychologie. Das Zauberwort für mich, um sich auf dem Markt gut aufzustellen, lautet: Passung! Damit meine ich, dass ich in Fragen, wie ich vorgehe, wie ich mir mein Leben gestalte, und auch, wie ich meine dritte Person losschicke, so nah wie möglich an dem sein sollte, was zu mir passt.
Ich habe dazu einen «Akquise-Teufelskreis» und eine «Akquise-Engelsleiter» für Künstler entwickelt. Der Teufelskreis beschreibt: Je mehr ich nach dem Markt schiele, mich permanent frage, wie ich sein muss, um Leuten, die mir Arbeit geben könnten, zu gefallen, desto mehr entferne ich mich von dem, weswegen ich mal diesen Beruf machen wollte, also dem kreativen Kern. Und damit umso mehr auch von den eigenen Stärken. Denn Kreative haben unglaubliche Stärken: Präsenz, Begeisterungsfähigkeit, Energie. Sie haben sehr viele Fähigkeiten, die wunderbar zu einem guten Marketing passen würden. Doch das alles schrumpft, wenn es nicht entwickelt wird. Dann fragt man sich: «Warum nur kann ich auf der Bühne, während der Aufführung strahlen und auf der Premierenfeier ist es mir peinlich, dass ich überhaupt da bin?» Künstler brauchen das Gefühl, dass sie mit dem, was sie tun, in Verbindung sind – ein Tankwart braucht das nicht unbedingt. Und je weiter sich dieses Gefühl vom Künstler entfernt, desto weniger hat er Lust, sich zu präsentieren. Er ist dann auch weniger sichtbar, weil ein Rückzug von seinen Stärken insgesamt stattfindet, er damit nicht mehr hervortreten möchte. Die Folge: Man sitzt zuhause, rührt sich nicht mehr und alles kommt einem sinnlos vor. Doch die Sehnsucht nach Erfolgen steigt trotzdem – mit noch mehr Blick auf den Markt.
Puh, das klingt düster. Aber zum Glück gibt es noch die «Akquise-Engelsleiter»…
Die beginnt bei mir mit der Pflege der kreativen Substanz: Dass ich beispielsweise als Musiker meine festen Zeiten habe, in denen ich einfach nur spiele, ohne zu wissen wofür. Dass ich als Schauspieler Rollen erarbeite, allein aus dem Grund, weil sie mich interessieren, und nicht, weil sie sich besonders gut fürs Vorsprechen eignen. Es ist wichtig, dass es diese Momente gibt, in denen ich frei bin, in denen ich mir selbst, meinem eigenen kreativen Potenzial bewusst werde. Ich kann natürlich verstehen, dass ein Künstler durch die Enge des Marktes gezwungen ist, sich mehr damit auseinanderzusetzen, einen Job zu kriegen, als das zu machen, wofür er eigentlich angetreten ist. Mich interessiert aber die kreative Kernpersönlichkeit, weil ich denke, genau diese Persönlichkeit brauchen wir in der Welt, auch in der Welt der Zukunft! Ich versuche nicht, die kurzfristige Karriere zu befeuern. Für mich ist die nachhaltige Karriere eines Künstlers interessant. Eine, die auch nach Jahrzehnten im Rückblick noch stimmig ist.
Als Kind war ich in meiner Vorstellung oft der kleine Drache Grisu aus der alten Zeichentrickserie, der seinen Eltern und anderen Erwachsenen spätestens am Ende jeder Folge mit dem leidenschaftlichen Ausruf «Ich werde Feuerwehrmann!» auf die Nerven ging. Ob er es dann tatsächlich geworden ist, weiß ich nicht – schließlich zeigt die Serie nur das Kind Grisu und nicht den Erwachsenen. Aber dieser Wunsch war immerhin so stark bei ihm, dass er zum prägenden Element dieser Serie wurde. Dabei war es Grisu vermutlich egal, welche Strapazen und Schwierigkeiten mit dem Beruf des Feuerwehrmanns zusammenhingen, und auch, warum er es eigentlich werden wollte: Allein der Beruf war es, der zählte! Und genau so ist es bei mir. Das heißt: So war es lange Zeit bei mir. Denn nach dem Gespräch mit Alina Gause bin ich mir um einiges klarer geworden, was genau ich eigentlich mit meinem Beruf möchte: Ich will in die Filmbranche! Yeah! Das ist der alte Kindheitstraum, der mich ursprünglich in diesen Beruf getrieben hat! Das ist das, was ich will!
Nur: Ich habe keinerlei Kontakte und keinerlei Ahnung, wie ich die ersten Schritte erfolgreich beschreiten soll. Auf der Schauspielschule hatten wir zwar einen Workshop zu diesem Thema, aber mehr auch nicht. Der Rest drehte sich ums Theater. Ich muss also mit jemandem sprechen, der mich auf meiner Startrampe zur großen Filmkarriere ein wenig anstupsen kann. Am besten mit jemanden, der die Tücken dieses Berufes selber kennt, und nicht von oben herab darüber urteilt. Ich brauche bestenfalls einen Berufskollegen, der mich kompetent und fürsorglich ein kleines Stück weit an die Hand nimmt. Is there anybody out there?
Jerry wurde 1976 in Hamburg geboren, wuchs dort und in den USA auf. Bereits als Kind und Jugendlicher stand er auf Bühnen und vor der Kamera, entschloss sich jedoch als Erwachsener, beruflich zunächst andere Dinge auszuprobieren. Er studierte Jura, zog nach Barcelona, wo er für viele Jahre im Wirtschaftsbereich für eine Spedition und später für eine Event- und Marketingfirma arbeitete. Doch der Traum, Schauspieler zu werden, ließ ihn wieder zurück nach Deutschland kommen und in Berlin eine private Schauspielausbildung absolvieren – da er erkannte, «nichts anderes machen zu können, ohne dabei Energie zu verlieren». Denn: «Wenn du dich schon für etwas aufreibst, dann wenigstens für das, was du liebst!»
Seit 2011 arbeitet er in seinem geliebten Beruf, vor allen Dingen als Film- und Fernsehdarsteller, und das mit wachsendem Erfolg: Von TATORT bis ROTE ROSEN gibt es kaum ein Format, in dem der 43-Jährige nicht seine eindrücklichen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat. Und das, obwohl er die Erfahrung gemacht hat, dass speziell einer «Person of Colour» wie ihm im deutschen Filmbereich häufig Steine in den Weg gelegt werden. Doch über all die Jahre hat er es verstanden, diese peu à peu aus dem Weg zu räumen und sogar für sich nutzbar zu machen. Mittlerweile produziert er eigene Filme und stellt seit einigen Jahren sein Wissen über «Marketing für Schauspieler im Filmbereich» in zahlreichen Workshops deutschlandweit interessierten KollegInnen zur Verfügung.
JERRY KWARTENG über Filmfeste, Auftritte in sozialen Medien und warum Schauspieler wie iPhones sind
Jerry, was machen viele Schauspieler in puncto Selbstvermarkung falsch?
Sie verstehen sich häufig als zu kreativ für die Filmbranche. Sie denken, Künstler zu sein reicht aus. Aber kein Job der Welt ist so gestrickt, dass du nicht mit dem, was du tust, auf dich hinweisen müsstest. Was den Schauspieler-Beruf im Vergleich zu anderen Berufen ausmacht ist das «Need to act», dieses ungeheure Gefühl, spielen zu müssen. Und das ist bei vielen Kollegen so ausgeprägt, dass sie es sogar riskieren, eventuell nie von ihrem Beruf leben zu können. Jeder Schauspieler, der glaubt, es reiche aus, nur zu spielen, überlässt anderen Menschen ihren Traum. Doch davon gibt es erstaunlich viele! Zu keiner Zeit wird man innerhalb der Ausbildung auf die Tatsache hingewiesen, dass da ein Markt existiert, der einen zwar möchte, aber nicht braucht! Du verlässt die Schauspielschule mit einem gepushten Ego. Und es ist auch wichtig, dass man da mit Energie, Leidenschaft und Liebe für den Beruf und seine eigenen Fähigkeiten heraustritt. Aber jetzt erwartest du, dass die Branche dir Möglichkeiten und Chancen gibt, dich auszuleben und deine Fertigkeiten zu präsentieren. Doch schon sehr bald merkst du: Die Möglichkeiten sind überhaupt nicht da für dich! Die Realität zeigt dir, dass du schwerer vorankommst, als du es dir vorgestellt hast. Dann wird aus Hoffnung Angst und aus Wunsch Frust. Das ist vollkommen normal, denn wenn du etwas machen möchtest, wozu man dir nicht die Möglichkeit gibt, muss einfach Frust entstehen. Häufig richtet sich dieser Frust gegen erfolgreiche Kollegen. Diese Missgunst finde ich vermessen. Es gibt vielleicht 35 Schauspieler in Deutschland, um die herum das gesamte Business und die Stories gebaut werden. Die haben sich das aber in der Regel hart erarbeitet!
Um diesem Frust zu entgehen: Was sollte man stattdessen tun?
Ich sage immer: «Wenn ihr drehen wollt, schaut euch doch die andere Seite an! Wer sind denn die Leute, die euch buchen sollen? Und warum sollten sie euch buchen?» In der Regel ist es ja nicht so, dass da jemand sagt: «Dich will ich nicht!» Um in die Situation zu kommen, von deinem Beruf leben zu können, brauchst du ein gewisses Verständnis für den Markt und für die Leute, die dir Arbeit ermöglichen könnten. Du musst eine Eigenanalyse an den Tag legen, und dazu gehört, dass du die romantische Vorstellung des Schauspielerberufs ein wenig nivellierst.
Was genau meinst du damit?
Damit du präsent bleibst, musst du auf dem Markt auf dich aufmerksam machen, und das kannst du nicht allein damit, dass du spielst. Das ist sicherlich nicht der falsche Weg, aber es gibt noch mehr Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. Ich sage gerne den Schauspielern in meinem Workshop: «Ihr seid wie das iPhone! Wenn Steve Jobs damals in seiner Garage gesagt hätte, er hätte zwar ein geiles Produkt entworfen, würde es aber niemandem verraten, dann hätten wir jetzt alle ein Nokia-Handy. Stattdessen hat er einen kompletten Lifestyle rund um sein Produkt kreiert. Dasselbe musst du als Schauspieler im Prinzip ebenfalls machen. Du musst den Leuten mitteilen: Ich bin etwas wert! Und die Lösung eures Problems!» Jeder Schauspieler ist anders, und vertritt ein dementsprechend anderes Produkt. Und genau das muss man der Branche klarmachen.
Wie mache ich das?
Zunächst einmal, indem du sie verstehst. Als Filmemacher möchtest du einen Film machen, der erfolgreich ist, da wir in Deutschland alle der sogenannten «Quote» erlegen sind. Dazu gehört, dass man keine Schauspieler buchen kann, die niemand kennt. Geldgeber brauchen eine gewisse Sicherheit, damit sie Geld geben. Wenn ich Geld habe, möchte ich das nicht unbedingt aus dem Fenster schmeißen, sondern erwarte, dass ich eine gewisse Rendite zurückbekomme. Sicherheit kann natürlich niemand geben – niemand kann versprechen, dass ein Film ein Riesenerfolg wird. Die einzige Sicherheit, die man mir als Geldgeber eines Films eventuell geben kann, ist die Präsenz von Stars. Aber wenn du als Schauspieler anfängst, bist du das normalerweise nicht. Also kannst du nicht erwarten, dass man dir eine Riesenrolle gibt, wenn du doch gar nicht bewiesen hast, dass du derjenige bist, wegen dem die Leute ins Kino rennen, oder den Fernseher einschalten. Das muss man sich von der Pike auf erarbeiten! Das verstehen viele Schauspieler nicht, oder wollen es nicht verstehen. Der «Need to act» führt manchmal eine gewisse Ungeduld nach sich.
Bezieht sich diese Berufsignoranz vor allem auf junge Kollegen?
Das ist keine Sache des Alters. Viele ältere Schauspieler, so meine Erfahrung, haben zwar den Beruf im Lauf der Jahre besser kennengelernt, aber nicht unbedingt den Markt. Und ich finde, man kann sehen, welche Schauspieler die Branche verstanden haben – nämlich die, die mit der Zeit präsenter werden, mehr arbeiten. Ich kenne viele Schauspieler, die zwar technisch und künstlerisch hervorragend sind, aber sich einfach nicht mit der Branche beschäftigen wollen, weil sie denken, das sei nicht ihr Job. Doch du musst diese Branche verstehen, wenn du in ihr arbeiten willst! Du musst verstehen, warum eine Förderstelle sagt: «Für dieses Projekt möchte ich gerne Geld geben, für dieses nicht.» Ich mag keine Leute, die die Verantwortung für ihre Karriere immer anderen in die Schuhe schieben, mit Sätzen wie: «Die Redakteure machen es den Castern so schwer und deswegen bekomme ich nicht die Rolle!» Oder: «Die casten nicht gut genug. Deswegen nehmen die immer nur dieselben Leute, ohne auf mich zu stoßen!»