Umstellt. Sich umstellen - Marko Ferst - E-Book

Umstellt. Sich umstellen E-Book

Marko Ferst

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Beschreibung

Die Gedichte des Autors gehören zu den provokativsten politischen Gedichten seit Erich Fried. Eine lebensnahe Mystik geht bei ihm fast nahtlos in radikale Gesellschaftskritik über. Er fragt nach einem Zeitalter, das über herkömmliche religiöse Vorstellungen hinausweist, schreibt über die Musik Arvo Pärts, nimmt uns mit in den wendländischen Widerstand gegen einen unbändigen Atomstaat. Darüber hinaus kritisiert er politische Zustände in den USA und in dem von China besetzten Tibet. Unbequeme Fragen stellt er an die NATO-Länder zum Kosovokrieg und prangert die Strukturen an, die in weiten Teilen der Welt zu Verelendung führen. Die deutsche Einheit gerät in seinen Blick und die Sorge um den Erhalt der ökologischen Gleichgewichte bleibt in vielen Passagen des Bandes überaus präsent. Liebesgedichte und Gedichte zu innerem Wachstum nehmen umfangreichen Raum ein. Die Erzählung - Der Freund und das Fensterkreuz - schließt den Band ab.

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„Jeder Poet formuliert Ziel und Regeln der Poesie auf seine Weise. Anders ergibt sich keine ,Fahrt ins Unbekannte‘, sondern eine Fahrt nach Straßenverkehrsordnung.“

Ales Rasanaŭ

in: „Zeichen vertikaler Zeit“

Inhalt

Etwas in uns

Umstellt. Sich umstellen

Gegenlicht

Stimmen

Panorama

Tonvisionen

Die spirituelle Freiheit

Erkenntnisgänge

Festliches Band

Gebot

Überrascht

B. Brecht. Antwort eines Dialektikers. Ein aktueller Blick

Das Urteil

Wendländische Impressionen

Politische Hakenkralle

Risiko

Horno, Hoyersdorf und anderswo

Sicherheitslücken

Begriffsklärung

Die Polizei schlägt zu

Rückwärtsschreiten

Deutsches Lehrstück

Vom Krieg um den Kosovo

Wer bist du?

Kein Präsident. Armes Amerika

Terror in Amerika. Widerreden und Hauptreden

Israelische Schattenseiten

Zur ideologischen Festigung

Gehäufte Fälle

kehrenUm! Alles ist anders herum!

Flucht

Ungewisse Heimkehr

Apokalyptische Spuren

Das Grabmal

Weltenkreuz

Unvermeidliche Provokation

Gegangen

Sanduhr

Sinnfragen

Einspruch

Stiller Verlust

Bahn frei!

Der Park

Rechtfertigung! Du liebe Bauherren.

Vom Ungang der Geschichte

Wenn nichts mehr trägt

Der Tempel

Genopoly

Das Geständnis

Menschenbote

Tibetisches Drama

Gefährlicher Befall

Hochmut

Kinder

Angolanische Rechenart

Afrika

Zerrissene Adern

Die Inländer

Ohne gezüchtete Dornen

Deutscher Einheitstag

Alles klar?

Von der Vergangenheit

Abkehr

89er Wende. Abgelegte Chancen

Auf der Kippe

Vom Zug der Edelmänner

Das Volk kann gehen. Palastgedanken

Freut euch Ihr Wanzen!

Die Weite im Wissen

Zukunftswerkstatt. Utopiephase

Gezeiten

Was wirst du werden?

Rückschlag

Dissidenz

Gestrandet

Karte, Kompaß, Zeitenfahrt

Zusammenhänge

Bequemer Abweg

Umgegangen. Auf zu gehen

Zäsur

Wechselfälle

Von mir selbst getroffen

Abschied

Rauschen

Du

Erotische Streifzüge

Entfesselt

Vermutung

Unvorhergesehen

Sonnengarten

Engpässe

Bitte

Am Morgen

Paradox

Am Rand der Ewigkeit

Festina Lente

Für Alina

Selbstvergessen

Vom Herbst zum Winter

Nachtmeer

Gedankenwahl

Antwort an den Kritiker

Es wird darauf ankommen...

Beutezug Irak

Reformatorische Matrix

Der Freund und das Fensterkreuz (Erzählung)

Etwas in uns

Es lebt von der Hoffnung

zehrt von der Verzweiflung

verbündet sich mit der Liebe

und sucht sich einen Weg

Vertrauen baut es auf

es verändert sich langsam

man erkennt es wieder

die Spur verliert sich nicht

Angenommen, lernt man es schätzen

gibt ihm hin und wieder Nahrung

es ist mehr als Gleichmut

und weniger als Weisheit

Es taktet uns friedvoller

wächst auf innerer Freiheit

wir gehen in seinem Schatten

lassen uns ratlos zurück

Umstellt. Sich umstellen

Du bist frei

lebst in der freien Welt

die Freiheit kann mit dir machen

was sie will

du solltest dich ihr fügen

so kannst du dir

eine eigene Meinung bilden

ohne gegen die Notwendigkeit

zu verstoßen

Auch kommst du so

nicht auf eigene Gedanken

die dich befreien

aus eingenisteten Zwängen

es schont dich

vor der Freiheit

auf etwas zuzugehen

das erst noch die Ketten

verlieren muß

Gegenlicht

Jahre wie geschlossene Blüten

verlieren die eigene Spur

ins nächste Alter

unergründlich der Reichtum

nicht gegangener Pfade

um schon wieder

nicht angekommen zu sein

kein Spähflug

erlöst die Weisheit

vom alten Kokon

noch die Stille

wie der Abglanz

eines nicht gehaltenen Versprechens

doch fließt schon

die unbesprochene Fülle

in ihr eigenes Maß

Stimmen

Geheime Gegenspieler

still und leise

wechselt ihr in mir

die Seiten

und ich verwandle mich

endlos

Seid mir Gefährten

das ich mich nicht verfange

an zu sicheren Orten

kommt setzt euch

zu Tisch

und verteilt die Karten

die auszuspielen

sind

Wenn ich euch

nicht mehr höre

bin ich an mir

taub geworden

doch längst

scheint mir

der Rückweg

abgeschnitten

und nichts schützt

vor euren Stimmen

Panorama

Olivengrün überall bergauf

lauwarmer Gipfelwind

schwarzer Flügelschlag

Bruthöhlen

Kalksandsteinmassive

am Fuß der See

Hundegebell

zwischen verwinkelten Gäßchen

mehrstöckige Häuserwände

grauer Beton

Nachts. Lichterglitzer gegenüber

Ufer mit hohen Bergen

frische Pizza

wird noch serviert

am Gardasee und Monte Baldo Massiv

Tonvisionen

(zu Arvo Pärts musikalischemStück „Litany“)

Stille.

Gottesstille

umborgen von einer Klangwelt

wie klassische Säulen

endlos in den Himmel getrieben

noch im kämpferischen Zug

thront das Schweigen

immer wieder

laufen Wellen

von Zutrauen

heran

Vielleicht will Jesus

endlich erlöst sein

von den menschengemachten Aufträgen

und überkommenem Glauben?

könnte er nicht Vorbote sein

für den Gestus

von einem ausstehenden Zeitalter?

Gewebte Töne

als Vorboten?

Musikräume als Wegkarte

von Innen nach Morgen?

jetzt und hier

heilig sein

ganz irdisch

und branden

mit den Wellen

Die spirituelle Freiheit

Auferstanden

übt das Allzumenschliche

in Demut

aufrecht gehen

an keinen Gott glauben

in uns Gott

mit ihm

durch uns

alltäglich krumm Gewachsenes

überwinden

nicht mehr geradeaus

den eigenen Blindenführer spielen

der Güte

Chancen anvertrauen

das Reich kommt nicht

es ist mitten unter euch

Aufstieg zu Gott

durch ihn hindurch

weitergehen

Buddha, Mohammed und Jesus

sehen staunend

über unsere Schulter

wenn der Glaube

eigene Weisheit

wachsen läßt

freilich ist nichts ferner

als diese Nähe

das Zeitalter der alten Götter

bricht an

in dem es geht

im Wiederkommen

Erkenntnisgänge

Immer hin und her wägen

ob nicht doch noch

etwas abfällt

für die ein oder andere

Sicht der Dinge

dennoch wissen

worauf es ankommt

ohne dabei nicht mehr

ankommen zu können

weil man sich selbst

den Blick verstellt

es gar nicht mehr merkt

Vergiß nicht

den alten Glaubensburgen

den Rücken zu kehren

denke aber an Wegzehrung

verteufle das Alte nicht nur

nimm mit was noch taugt

du könntest es gebrauchen

aber halte dir die Sicht frei

für den Weg

hinterm Horizont!

Festliches Band

Die Türen öffnen Häuser

keine Schranken mehr

gegen den anderen

ein Band von Freundschaft

zu Festlichem

knüpft eigene Netze

anderes Leben scheint herauf

zwischen den Horizonten

still Zufriedenes kehrt ein

ein Frühlingswehen

überzieht Mißlungenes

Umarmungen öffnen

Menschen, Türen und Häuser

Gebot

Besserwissen

ist häufig schlechter

als gar nichts wissen

doch es ist besser

etwas zu wissen

aber das

immer noch schlechter

als wissen

was zu tun ist

im rechten Maß

und trotzdem

noch zweifeln

immer wieder

und nicht schon wieder

hereinfallen

auf das Besserwissen

Überrascht

Keiner weiß davon

plötzlich

kann einer es sehen

glaubt nicht

was er entdeckt hat

das alle anderen irren

und als er beginnt

sich selbst zu glauben

hört niemand zu

andere wissen es besser

und als die Irrtümer auffliegen

ist das Ozonloch

schon gigantisch groß

Wenn das nächste Mal wieder

so spät etwas entdeckt wird

könnten viele

dran glauben müssen

der letzte Irrtum

wird es nicht gewesen sein

auch die Anzeichen davor

ignorieren die meisten

schon aus Gewohnheit

das kommt davon

wenn man sich blind verglaubt

Fortschritt kennt keine Gnade

wer traut den Sehenden

über den Weg?

sieht überhaupt wer was?

B. Brecht. Antwort eines Dialektikers. Ein aktueller Blick

Man wohnt mal wieder in großen Barken.

Dämme gigantischer als je zuvor.

Trockenen Boden sucht man vergebens,

Überall Lecks und Wasserstände.

Die Dammbauer sind unermüdlich

Die Fluten abzuhalten.

Aber überall schaffen sie mehr Schaden als Nutzen.

Indem sie bauen, wird die drohende

Sintflut

Immer unberechenbarer.

Sie zerstört mit ungeheurer Wucht.

Das wissen sie. Fast alle ignorieren das und bauen

weiter.

Man wohnt im Nichtsehen, im Nichtkönnen

und auch im Nichtwollen, aber es nützte

nichts mehr.

Die Sintflut holte sich alles. Nicht in einem Jahr

Sondern nach und nach brachen die Dämme

So gab es immer weniger Dammbauer,

Bis sie eines Tages ausstarben. Mit ihnen trat

das meiste Leben ab.

Das Urteil

Am Firmament

steigt längst

der nächste

finstere Stern hinauf

hören wir nicht

schon die Fäuste

an unsere Türen klopfen

und die Stimmen

die um Gnade bitten

und die letzten

Atemzüge

für deren Ende

wir schuldig sind

weil wir leben

wie wir leben

und alles

in uns liegt

Wendländische Impressionen

Bewehrt

rücken Polizisten vor

die eigene Würde zur Seite

vieltausendmal

friedlichen Protest

und meterweise

spülen Wasserwerfer

Demokratie

von der

Straße

Es zählt nur Vernunft

erbaut auf

blind geglaubter Sicherheit

in atomares Spalten

diktiert von den

Abkassierern

und den harten Worten

im Namen

des Rechtsstaats

im Namen

rasender Blaulichtkolonnen

und dem Kriegsgeschrei

der Hubschrauber

und an jeder

Straßenecke

folgenschwere

Vernunft

IM´s verrichten Spitzeldienst

manchmal auch mehr

um die Regierung

zu schützen

vor ihrer eigenen Enttarnung

doch wer gräbt

hier die Grube

und wer fällt hinein?

Wieviel Courage

werden wir erst brauchen

sollen nicht nur Castorwege

unpassierbar sein

sondern auch

unser tödlicher Lebensstil

und wird der Widerstand je reichen

alle Barrikaden

fort zu räumen

und wer wird

welche Vernunft

schützen?

Politische Hakenkralle

Ein herbeiregierter Kniefall

vor der Atommafia

ist auf die Gleise gekommen

immer in Richtung

Weiterbetrieb von Atomkraft

der abgesichert werden soll

bis zur Verdopplung

des radioaktiven Mülls

und künftiges CDU-Regieren

verteilt Fahrkarten

für die Verewigung

der atomaren Sucht

das alles soll der Ausstieg

aus der Kernkraft sein

Polizeiknüppel, Wasserwerfer

und Staatsspitzel

bekräftigen

die Wahrheitsliebe

der Politik

Auf den Schienen

gibt es viele Haltestellen

an denen man

den Zug verlassen könnte

und den Ausstieg

leibhaftig mit

Demonstranten erfahren

und herabsteigen

aus dem Elfenbeinturm

Bundesregierung

Konsens finden

mit widerständiger Bevölkerung

und die Notbremse ziehen

vor lauter Betriebsjahren

mit atomarer

Katastrophengefahr

und aufgeben

Erfüllungsgehilfe

der Energiekonzerne zu sein

und einen

vorgetäuschten Konsens

zu predigen

Risiko

Der Boden

weicht deinen

Schritten aus

jedes Geländer

auf das du dich

stützen willst

zerbricht

du bist in

eine verbotene Zone

geraten

und wirst

abgezäunt

Erst wenn du weißt

du kannst gar nicht

woanders laufen

du darfst gar nicht

woanders sein

dann fängt der Boden

wieder an zu tragen

und Freunde

stützen dich

vielleicht

Horno, Hoyersdorf und anderswo

Wieviel Dörfer

wollt ihr den Baggern

noch zum Fraß

vorwerfen

mit schwarzer Kohle

einen Himmel zutage fördern

der uns jedes Haus

zur Ödnis trägt

Wiesen und Wälder raubt

für bald verlorene Arbeitsplätze

die schnelle Mark

und Strom

den uns längst

die Sonne spenden könnte

Horno und Hoyersdorf

lassen sich ausradieren

wie so viele andere Dörfer

überall auf der Welt

wenn wir denen

die widerstehen

nicht Rücken, Hände und Köpfe stärken

den fremden Ort

mit eigener Heimat bünden

und wissen

nur Widerstand

reicht schon lange

nicht mehr aus

Kippt erst das Klima

stirbt Stück um Stück

immer mehr

von dir und mir und uns

und jeder Widerstand

wird zu spät sein

zum Leben

Sicherheitslücken

Ein Wasserwerfer

spie gegen

Antiatom-Demonstranten

und versackte

im selbstgelegten Sumpf

Ein Castor-Transportzug

entgleiste

es folgten

keine Folgerungen

Ein Polizist

wurde beim Schützen

atomarer Fracht

von einem Zug

tödlich erfaßt

Immer mal wieder

fand sich allzuviel

Radioaktivität

am Castorenmantel

und keiner will

verantwortlich

gewesen sein

Dieses oder jenes Bauteil

im Atomkraftwerk

könnte zu alt gewesen sein

und menschliches Versagen

kam wohl auch hinzu.

Wir sind jetzt

mit dem Tod versichert

er bewacht seine Zone

mitten in Deutschland

jeden Tag rückt

still und leise

die gewohnte Sichel vor

Mensch für Mensch

Es warten

strahlende Jahrtausendgeschenke

castorverpackt

auf ihren künftigen Einsatz

gegen alles was lebt

und keine Erlasse

aus Ministerien

kein Aufmarsch

von dreißigtausend Polizisten

hätte dagegen

irgendeine Chance

Begriffsklärung

Bei einer Wanne

handelt es sich nicht

um ein Behältnis

in das man Wasser

einfüllt zum Baden

in unserem Fall

geht es um einen Polizeiwagen

Üblicherweise verrichten

die dazu gehörigen Polizisten

und Polizistinnen

eine sinnvolle

und verantwortungsbewußte Arbeit

Wird das Fahrzeug

aber zum Störfall

und betrifft die Assoziation

mit dem Wasser

den übergeordneten Kopf

der fehlfunktioniert

dann spricht man

von einer Wanne

Die Polizei schlägt zu

Angriff aus der Luft

Spezialeinheiten

springen aus

laufenden Hubschraubern

Messerstecherei

über 60 Traktorreifen

platt

Atom-Castoren

längst gen Zwischenlager

die Traktoren blockierten sich selbst

der oberste Polizeieinsatzleiter Hans Reime

bezeichnet die Racheaktion

für die Straßensperre der Bauern

als rechtmäßig

obwohl die Gerichte

auf 80.000 DM Schadensersatz

verurteilten

Was wenn

die wendländische Bevölkerung

und sonstigen Atomkraftausstiegswilligen

diese Aussage so verstehen

sie sollen nicht nur friedlich

auf Schiene und Straße sitzen

und sich verprügeln lassen

sondern auch ganz rechtmäßig

im Sinne der Polizei

die besatzende grün-weiße Fahrzeugarmada

auf platte Füße legen?

Rückwärtsschreiten

Immer noch Kriegstreiberei

aufgeschaukelter Machtpopanz

gestapelte Dummheit

und viele Mitspieler

selbstverständlich fast immer Männer

alles schön geregelt

Die Rechnungen

fürs chirurgische Morden

werden abgebucht von deinem Lohn

hängst schön drin

in der blutigen Tinte

Minen verhökern

ein gutes Geschäft

Bein ab

fürs gesteigerte Bruttosozialprodukt

Wozu Moral

wir haben doch Politik

schon wieder brauchen wir

Geld für modernisierte Waffen

wir haben Erfahrung im Morden

deshalb brauchen wir

immer mehr Gerät

wir wollen nicht abrüsten

das schadet nur dem Frieden

wir müssen bewaffnet sein

um uns zu schützen

vor bösen Machthabern

und dergleichen mehr

immer schön Ordnung schaffen

ein bißchen Deutschland