Umwege der Liebe - Kristi Ann Hunter - E-Book

Umwege der Liebe E-Book

Kristi Ann Hunter

5,0

Beschreibung

England, 1813: Lady Georgina Hawthorne hat hart dafür gearbeitet, dass ihre Einführung in die Londoner Gesellschaft ein voller Erfolg wird. Sie ist fest entschlossen, einen reichen Ehemann zu finden. Denn nur ein einflussreicher Mann wird ihr helfen, ein Geheimnis zu wahren, von dem selbst ihre Familie und ihre engsten Freunde nichts wissen - und das ihr Leben zerstören könnte. Colin McCrae ist zwar wohlhabend, aber alles andere als ein begehrenswerter Junggeselle. Doch als sich sein Weg und der von Georgina immer wieder kreuzen und die beiden regelmäßig aneinandergeraten, ist Colin der Einzige, der hinter ihr Geheimnis kommt ... Eine romantische und humorvolle Geschichte mit Tiefgang.

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Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen




Über die Autorin

Kristi Ann Hunter hat zwar Informatik studiert, träumte aber immer davon, einmal Autorin zu werden. Mittlerweile hat sie bereits diverse Preise für ihre Romane eingeheimst und war noch viel häufiger nominiert, z. B. für einen Christy Award.

Sie liebt dunkle Schokolade (mindestens 85 %!), romantische Komödien und Gesellschaftsspiele. Sie lebt mit ihrem Ehemann und den drei Kindern in Georgia.

Für den, von dem alles kommt, was gut und vollkommen ist,auch die Gaben, die wir im Moment noch nicht verstehen.nach Jakobus 1,17

Und für Jacob,

die leise Stimme in meinem Kopf, die da war, wenn ich sie brauchte,auch dann, wenn ich sie nicht hören wollte.

Vorbemerkung der Autorin

An die Leserinnen und Leser von Entführung ins Glück: Ich möchte Ihnen zunächst dafür danken, dass Sie auch weiter am Leben der Familie Hawthorne Anteil nehmen. Dieses Buch erzählt die Geschichte von Georgina. Es ist wohl ganz typisch für sie, dass sie einfach nicht warten wollte, bis sie an der Reihe ist.

Sie werden gleich auf den ersten Seiten merken, dass der Bericht über die Geschwister nicht da weitergeht, wo Entführung ins Glück geendet hat. Das liegt daran, dass Georginas Geschichte schon zu einem Zeitpunkt begonnen hat, als die von Miranda noch nicht zu Ende war. Ich hoffe, Sie werden die seltene Gelegenheit genießen, einige der Ereignisse des ersten Buches aus einer anderen Perspektive zu erleben. Aber ich versichere Ihnen, es wird nicht lange dauern, bis Sie sich auf Neuland begeben werden.

Wenn Sie zum ersten Mal bei den Hawthornes zu Gast sind, möchte ich Ihnen versichern, dass Sie auch ohne jegliche Vorkenntnisse Freude an dem Buch haben werden. Wenn die kleinen Einblicke in Mirandas Geschichte Sie neugierig machen, lade ich Sie ein, auch Entführung ins Glück zu lesen und mehr über die junge Frau zu erfahren.

Und jetzt Vorhang auf für Umwege der Liebe …

Prolog

Hertfordshire, England, 1800

Der Rhythmus des Schreibens hatte etwas Faszinierendes an sich – zumindest, wenn jemand anderes schrieb. Die Feder eintauchen … eine Zeile schreiben … die Feder eintauchen … eine Zeile schreiben … Das leise Kratzen der Feder auf dem Papier durchbrach die Stille der Nacht und wurde nur von Lady Georgina Hawthornes gleichmäßigen Atemzügen begleitet. Das kleine Mädchen zerzauste die Haare der blonden Puppe, die sie an ihre Brust gedrückt hatte.

Sie lehnte am Türrahmen und presste ihre Puppe noch fester an sich. Mutter wusste wahrscheinlich, dass sie dort stand. Mutter wusste immer alles, was im Haus vor sich ging, auch dass Georgina sich oft aus der Stube schlich, wenn ihr Kindermädchen schlief.

Ihre mitternächtlichen Ausflüge hatten jedoch nichts Anrüchiges. Die Abende, wenn ihre Mutter umgeben von Büchern, Papieren und dem flackernden Kerzenlicht an ihrem Schreibtisch saß, waren die einzige Zeit, in der sie nicht von Menschen umgeben war.

Sie war so schön, friedvoll und einfach alles, was Georgina einmal sein wollte, wenn sie groß war. Eines Tages würde sie eine Lady sein, die ihren eigenen Schreibtisch und ihre eigene Feder hatte und spätabends wichtige Briefe schrieb. Natürlich musste sie zuerst einmal lernen, den Griffel richtig zu halten und den Buchstaben A auf ihre Schreibtafel zu schreiben. Es war etwas ganz anderes, als den Pinsel zu halten, mit dem sie immer Wasserfarbenbilder malte. Ihr Kindermädchen hatte ihr versichert, dass Georgina mit der Zeit genauso flüssig schreiben würde wie ihre Mutter und ihre Schwester. Alle hatten am Anfang Probleme damit gehabt.

„Du kannst mehr sehen, wenn du dich auf den Stuhl setzt.“ Mit einem Lächeln drehte sich ihre Mutter zu Georgina um und winkte sie zu sich.

Die nackten Füßchen des Kindes waren auf dem kalten Holzboden kaum zu hören, als sie mit ihrer farbverschmierten Puppe langsam an den Schreibtisch herantrat. Sie kletterte auf den blau gepolsterten Stuhl und lugte wie gebannt über die Tischkante. Neugierig starrte sie auf die sich rhythmisch bewegende Schreibfeder in der Hand ihrer Mutter.

„Was machst du da?“

Ihre Mutter hielt inne und legte die Feder beiseite, bevor sie sanft über das Blatt blies, das mit gleichmäßigen Zeilen bedeckt war. „Ich schreibe einen Brief an deine Tante. Sie hat mir heute Morgen von einem ganz besonders schönen Fohlen geschrieben, und ich erzähle ihr von dem neuen Fächer, den du gestern bemalt hast.“

Georgina sah auf das Blatt und konnte sich nicht erklären, wie all diese schwarze Tinte ihrer Tante Elizabeth von dem grünen Fächer voller lila und goldener Blumen berichten konnte. „Warum?“

Mutter lachte und beugte sich zu Georgina, um sie auf den Kopf zu küssen. „Weil eine Dame ihre Briefe immer sofort beantwortet, meine Liebe. Vor allem, wenn es um die Korrespondenz mit der Familie geht. Auf diese Weise bringt eine Dame ihre Wertschätzung für andere zum Ausdruck. Und warum ich ihr von deinem Fächer erzähle? Nun, weil es für ein fünfjähriges Mädchen eine vorzügliche Arbeit war.“

„Oh.“ Georgina dachte an die vielen Male, die sie ihre Mutter an diesem Schreibtisch gesehen hatte, wie sie ihre Feder in das Tintenfass getaucht und stundenlang geschrieben hatte. So kam es ihr zumindest vor. „Du kennst aber viele Menschen.“

Ihre Mutter lächelte, als sie den Brief faltete und dabei sorgfältig darauf achtete, die Ecken glattzustreichen. „Wenn man eine Herzogin ist, scheint dich jeder zu irgendetwas nach deiner Meinung zu fragen, mein Schatz. Manche davon schätze ich mehr als andere, weshalb ich auch einen regen Briefwechsel mit ihnen pflege. Aber eine Dame muss immer höflich sein, auch wenn es um ihre Korrespondenz geht.“

Georgina sah über den Schreibtisch zu dem Stapel von Blättern, die bereits in gleicher Weise gefaltet waren. Links neben den gefalteten Briefen lag ein großes Buch mit Ledereinband. „Wer bekommt das da, Mutter? Diese Person schätzt du wohl am meisten.“

Ein Lachen hallte durch den Raum, als ihre Mutter das Buch zu sich zog. Aber es war ein trauriges Lachen. „Das sind die Konten unseres Anwesens.“

Georgina klemmte sich ihre Puppe unters Kinn. Das wirr abstehende gelbe Haar kitzelte sie im Gesicht. „Hast du darin auch etwas über meinen Fächer geschrieben?“

„Nein, meine Liebe.“ Diesmal klang das Lachen ihrer Mutter beschwingt und fröhlich und sie zog Georgina auf ihren Schoß.

Einen Arm um ihre kleine Tochter gelegt, schlug ihre Mutter den Buchdeckel auf, und Georgina konnte dort noch mehr beschwingte schwarze Linien und Kästchen mit Zahlen sehen.

„Das ist eine Neun.“ Das Mädchen deutete stolz auf eine Zahl auf der rechten Buchseite.

„Ja, richtig. So viel haben wir dem jungen Charles dafür gezahlt, dass er diese Woche die Kohlenbehälter gefüllt hat.“ Ihre Mutter fuhr mit dem Finger von der Zahl zu einem Wort auf der linken Seite. „Siehst du? Hier habe ich seinen Namen aufgeschrieben und wofür ich ihn bezahlt habe.“

Georgina runzelte die Stirn. „Aber letzte Woche hat Timothy meinen Kohlekasten aufgefüllt. Arbeitet er nicht mehr für uns?“

„Doch, aber Charles hat eine kranke Schwester … oder war es ein kranker Bruder?“ Ihre Mutter runzelte die Stirn und griff nach einem anderen Buch, das auf dem Regal neben dem Schreibtisch lag. Es war in hellbraunes Leder eingebunden, aber an den Ecken und am Buchrücken bereits nachgedunkelt, wodurch es sehr gebraucht aussah. Sie legte es auf den Tisch und blätterte durch die Seiten voller ordentlich geschriebener Zeilen. Nachdem sie einige Seiten umgeblättert hatte, fuhr sie mit dem Finger über die letzte Zeile. „Ah, ja, eine Schwester. Seine Schwester ist krank, und es ist sehr schwer für seine Mutter, ihre Puppen auf dem Markt zu verkaufen und sich gleichzeitig um die kleine Clara zu kümmern. Deshalb haben wir Charles eingestellt, um die Familie auf diese Weise eine Weile zu unterstützen.“

Georgina bekam große Augen. „Das weißt du alles aus einem Buch? Ist das ein Zauberbuch? Nanny hat mir eine Geschichte vorgelesen, in der Zauberstiefel vorkamen. Aber ein Zauberbuch wäre viel aufregender.“

„Nein, mein Schatz, das ist kein Zauberbuch, aber es ist mein kleines Geheimnis. Wenn du eines Tages deinen eigenen Haushalt führst und deinem Mann helfen wirst, die Pächter zu beaufsichtigen, wirst du auch ein solches Buch brauchen.“ Ihre Mutter schob das Buch zu ihr hinüber, damit Georgina es besser sehen konnte. „Jedes Mal, wenn mir etwas über einen der Menschen zu Ohren kommt, die auf unserem Anwesen leben und arbeiten, schreibe ich es hier auf. Eine Dame muss immer wissen, was sich in ihrem Haus zuträgt. Wenn sie nachlässig ist, leidet die ganze Familie darunter. Deshalb schreibe ich alles auf.“

„Alles?“ Georgina strich mit den Fingern über eine Seite, die von oben bis unten vollgeschrieben war.

Mutter nickte. „Alles. Jeder Pächter, Diener, Freund und Händler. So kann dein Bruder –“ Sie räusperte sich. „Wenn dein Bruder von der Schule nach Hause kommt, werden seine Leute das Gefühl haben, dass er sie immer noch kennt, sich um sie kümmert und bereit ist, der Herzog dieses Landes zu sein.“

„Und eines Tages werde ich auch so ein Buch haben.“

Mutter nickte. „Ja, das empfehle ich dir.“

Georgina strich über das aufgeschlagene Kontenbuch. „Und werde ich auch so ein Buch haben?“

Mutters Augen wurden feucht und sie legte ihren Arm etwas fester um Georgina. „So Gott will, wirst du nie die Konten eines Anwesens verwalten müssen. Dein Vater –“

Ihre Stimme brach, und es dauerte einige Augenblicke, bis sie in der Lage war weiterzusprechen. „Dein Vater hat sich immer darum gekümmert. Eines Tages wird dein Bruder sie von mir übernehmen. Aber bis er die Schule beendet hat, liegt es an mir, alles am Laufen zu halten. Es gibt noch ein kleineres Buch für den Haushalt. Ich werde dir eines Tages beibringen, wie man es führt.“

Georgina sah in die blauen Augen ihrer Mutter, die weiterhin feucht glänzten, aber mit festem Blick auf ihrer jüngsten Tochter ruhten. „Wenn ich groß bin, will ich auch so eine Herzogin sein wie du, Mutter.“

Ihre Mutter drückte Georgina mit einem breiten Lächeln an sich. „Es gibt nicht so viele Herzöge, du wirst dich vielleicht mit einem Grafen begnügen müssen. Aber mach dir darum keine Sorgen. Wenn du im Verborgenen dein eigenes Büchlein führst, wird jeder davon überzeugt sein, dass du eine sehr aufmerksame Dame bist. Der Adel wird dich beneiden. Wo ist denn dein Kindermädchen? Ist sie wieder beim Vorlesen eingeschlafen?“

Georgina nickte. „Die arme kleine Margery hat nur einen Schuh, aber Tommy hat zwei, und er durfte nach London gehen, Margery nicht, und deshalb ist sie sehr traurig. Aber wenigstens hat der Mann, der Tommy mit nach London genommen hat, ihr zwei Schuhe gegeben, um sie zu trösten.“

Mutter lächelte. „Wenigstens kannst du ihr morgen, wenn sie weiterliest, sagen, wo sie aufgehört hat. Apropos Schuhe, du hast deine wohl auch im Zimmer gelassen. Lass mich das hier zu Ende bringen, dann werde ich dich nach oben begleiten.“

Georgina wartete, während ihre Mutter den letzten Brief mit einem Tropfen Wachs versiegelte und die Kerzen ausblies. Im Schein der verbliebenen Laterne hatte das Schreibzimmer etwas Magisches. Es kam ihr so vor, als sei sie Teil einer der Geschichten, die ihr Kindermädchen ihr jeden Abend vorlas. Jetzt brauchte sie nur noch eine verzauberte Puppe wie die, die Charles’ Mutter anfertigte und auf dem Markt verkaufte. Eines Tages würde Georgina auch so ein Schreibzimmer haben und würde genauso sein wie ihre Mutter.

Aber in ihrem Schreibzimmer würde es Feen geben.

1

London, Frühjahr 1813

Vollkommenheit zu erlangen oder auch nur den Anschein davon zu erwecken, war ein nahezu unmögliches Unterfangen. Lady Georgina Hawthorne sollte es wissen. Sie hatte die vergangenen drei Jahre mit sorgfältigsten Planungen verbracht, fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass ihr Eintritt in die Gesellschaft perfekt werden würde. Oder zumindest alle davon zu überzeugen, er sei perfekt.

Wenn sie sich nicht herausragend präsentierte, bestand die Gefahr, dass jemand hinter die Wahrheit kam – dass sie nicht nur unvollkommen, sondern zutiefst minderwertig war.

Wenn das glitzernde Meisterwerk, das in Seidenpapier gebettet vor ihr lag, ein Hinweis auf das war, was sie in ihrer Zukunft erwartete, würde ihre harte Arbeit Früchte tragen. Die eigens für sie angefertigte Maske war genauso, wie sie es sich erhofft hatte.

„Sie sieht noch schöner aus, als ich sie mir vorgestellt hatte“, flüsterte Harriette, Georginas Zofe und Gefährtin, ehrfürchtig. Sie streckte die Hand aus, um über das Federbüschel am oberen linken Rand der Maske zu streichen. „Sie werden beeindruckend aussehen.“

Georgina lächelte und konnte der Versuchung nicht widerstehen, die Maske zu berühren. Sicher gebührte dem Künstler, der die Maske gestaltet hatte, Anerkennung, aber Georgina fand auch nichts dabei, einen Teil des Lobes für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Sie hatte dem Mann schließlich sehr detailliert aufgezeichnet, was sie wollte.

„Wenn alles andere ebenfalls nach Plan verläuft, werde ich bis zum Ende der Saison unter der Haube sein.“ Mit einem Seufzer schloss Georgina den Deckel der Schachtel, um die filigrane Kreation vor den Blicken anderer zu verbergen. So gern sie die Maske auch während der nächsten drei Tage betrachten würde, sie konnte es nicht riskieren, die weiße Seide oder die strahlend weißen Federn vor dem Ball zu beschädigen. „Ist das Kleid schon eingetroffen?“

„Es ist heute Morgen gekommen.“ Harriette nahm die Schachtel mit der Maske und verschwand in Georginas Ankleidezimmer. Wenige Augenblicke später tauchte sie mit einem riesigen weißen Bündel im Arm wieder auf. „Es ist ebenfalls sehr prächtig.“

Georgina kämpfte gegen ihre anfängliche Begeisterung an und betrachtete das Kleid kritisch. Wenn irgendetwas daran geändert werden musste, mussten sie das jetzt erledigen. Der Ball fand schon in drei Tagen statt. Und selbst wenn es sich dabei um einen Maskenball handelte, so läutete er doch Georginas gesellschaftliches Debüt ein. Und das musste außergewöhnlich sein.

Ihr Auftritt musste einfach spektakulär sein, wollte sie alle vergessen lassen, wie lächerlich sie sich gemacht hatte, als sie im vergangenen Jahr dem Marquis von Raebourne nachgelaufen war – und da war sie offiziell noch eine kleine Schülerin gewesen. Das passierte eben, wenn sie sich durch Gefühle von ihrem Plan abbringen ließ. Der Marquis hätte ihren Bedürfnissen perfekt entsprochen, aber sein absurdes Interesse an einer Frau von niederem Stand hatte dafür gesorgt, dass das Objekt ihrer Anstrengungen außer Reichweite rückte.

Dennoch hätte sie niemals zulassen dürfen, dass ihre aufkommende Panik sie dazu verleitete, Lady Helena Bell davon zu erzählen. Sie hätte wissen müssen, dass Lady Helena nicht in der Lage war, diese Informationen dazu zu benutzen, das Paar auseinanderzubringen. Es war so entsetzlich peinlich gewesen, aber Georgina hatte eine wichtige Lektion gelernt: Es gab nur eine Person, auf die sie sich verlassen konnte, wenn es darum ging, ihre Ziele zu erreichen: sie selbst.

Und deshalb würde sie sich dieses Jahr einzig und allein auf sich verlassen. Sie warf ihrer Zofe einen Blick zu und untersuchte dann den Rock auf mögliche lose Fäden. Und sie konnte sich auf Harriette verlassen. Die zuverlässige, loyale Harriette, auf die man immer zählen konnte. Ja, ohne sie wäre Georgina verloren. „Dein Bruder geht bald auf die Schule, nicht wahr?“

Ihre Zofe blickte von dem Kleid auf, die braunen Augen in ihrem runden Gesicht leicht zusammengekniffen. Sie richtete sich zu ihrer vollen, eher durchschnittlichen Größe auf und rügte Georgina mit einer Stimme, in der ihre außergewöhnliche Intelligenz und Zähigkeit mitschwangen. „Sie haben doch schon für alles gesorgt. Ich will nicht noch mehr von Ihrem Nadelgeld.“

Georgina versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, als ihre Freundin entschlossen nickte und sich wieder dem Kleid zuwandte.

Auch wenn es wohl niemand in London glauben würde, aber die beiden waren Freundinnen. Niemand auf der Welt kannte Georgina so gut wie Harriette. Ohne die Freundschaft der jungen Frau wäre es Georgina niemals gelungen, ihre Schwächen vor ihrer vollkommenen Familie zu verbergen. Aber so hielten alle sie für eine hoffnungslos verwöhnte Göre, was sie so oft wie möglich zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchte. „Ich könnte Griffith bitten, dir mehr Lohn zu zahlen. Er würde mir nicht widersprechen. Er denkt wahrscheinlich, du hast es verdient.“

Harriette drapierte das Kleid auf dem Bett und schritt dann durchs Zimmer, um Georginas Hände zu ergreifen. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin mit Ihnen zusammen, seit Sie sieben waren. Ich werde nirgends hingehen.“

Es war kaum zu glauben, dass Harriette nur zwei Jahre älter war als Georgina mit ihren achtzehn Jahren. Manchmal wirkte sie viel zu gesetzt und reif für ihr junges Alter.

Georgina biss sich auf die Lippe. „Es wird doch alles gutgehen, oder?“

„Lassen Sie das!“ Harriette schalt Georgina mit ausgestrecktem Zeigefinger. „Ihre Lippen werden noch ganz rissig und faltig, wenn Sie darauf herumbeißen.“

Georgina fuhr sich mit dem Finger über die Unterlippe.

Ihre Zofe nickte und fuhr dann fort: „Natürlich wird alles gutgehen. Wir sind die Liste der Adelsfamilien seit der vergangenen Saison dreimal durchgegangen und haben uns alle potenziellen Kandidaten aufgeschrieben. Einer davon wird schon passen. Vier sind sogar Herzöge.“

„Ich kann ja wohl schlecht meinen Bruder heiraten. Also sind es nur drei.“ Georgina hielt sich das Maskenballkleid an, tanzte damit durch den Raum und erfreute sich an dem Kostüm im Elisabethanischen Stil. „Spindlewood wird diese Saison wahrscheinlich seine Enkelin begleiten, obwohl er die Trauerzeit schon lange genug hinter sich hat, um über eine Wiederheirat nachzudenken.“

„Denken Sie nicht, dass er zu alt ist?“ Harriette ließ sich mit großen Augen auf den Stuhl vor Georginas Frisiertisch sinken.

„Doch, in der Tat. Wenn er sterben würde, wäre ich eine sehr junge Herzogenwitwe, ohne jegliche Bindung an den nächsten Herzog. Eine Position, die nicht annähernd genügend Macht verspricht.“ Georgina schlüpfte in ihre Pantinen und betrachtete sich noch ein letztes Mal im Spiegel. „Zu dumm, dass sein Enkel noch so jung ist. Er hat noch nicht einmal die Schule abgeschlossen.“

Harriette neigte den Kopf zur Seite. „Sie könnten ja auf ihn warten. Er wird sicher in einem Jahr in die Gesellschaft eingeführt werden.“

Als ob Georgina es sich leisten könnte, ein ganzes Jahr zu warten, in der Hoffnung, dass der Enkel des Herzogs sich als genauso gesellschaftsfähig erweisen würde wie der Rest der Familie.

Georgina schüttelte den Kopf, bevor sie das Kleid in ihr Ankleidezimmer trug, um es dort zu verwahren. Harriettes leichtfüßige Schritte folgten ihr.

„Was mir helfen würde, Harriette, wäre die Rückkehr des Herzogs von Marshington. Und dass er sich für seinen Wiedereintritt in die Gesellschaft die vorteilhafteste Partie aussucht. Dann wäre ich für den Rest meines Lebens eine gemachte Frau. Wenn das geschähe, könnte ich sogar glauben, dass Gott einen Plan für mich hat.“ Was wiederum bedeutete, dass sie wenig bis gar keine Hoffnung hatte, dass das geschehen würde. Sie war sich sicher, dass Gott zwar irgendwo da oben war, sie aber schon lange aufgegeben hatte.

„Es gibt noch einen weiteren Herzog sowie einen Marquis und zwei Grafen auf unserer Liste, obgleich ich wünschte, Sie würden den Grafen von Ashcombe streichen. Ihre Schwester –“

„– meine Schwester hätte ihn heiraten sollen, als sie die Gelegenheit dazu hatte.“ Georgina prüfte das Handtäschchen, das sie für den bevorstehenden Ball hatte anfertigen lassen. Sie wollte sichergehen, dass alles darin war – von einem Paar Pantinen bis zu Nadel und Faden für Notreparaturen am Kleid. Sie durfte nicht zulassen, dass irgendetwas ihr diesen Abend verdarb. „Ashcombe ist angesehen, wohlhabend, und er ist sich der Bedeutung eines guten Rufes bewusst. Er bleibt auf der Liste.“

Harriette sagte nichts mehr, während sie einen weißen Samtumhang in das Regal neben das Ballkleid legte.

Tief im Inneren verspürte Georgina einen Anflug von Reue. Ashcombe hatte ihrer Schwester in deren erster Saison den Hof gemacht, aber das war schon drei Jahre her. Miranda hatte reichlich Gelegenheit gehabt, den Mann für sich zu gewinnen. Jetzt war Georgina an der Reihe.

Die Tatsache, dass sie den Grafen für äußerst langweilig hielt, rückte ihn auf ihrer Liste etwas weiter nach unten, aber es war immer noch besser, mit einem Langweiler verheiratet, als ruiniert zu sein.

Georgina wünschte sich nicht zum ersten Mal, dass Miranda im vergangenen Jahr geheiratet hätte. Dass ihre Schwester zu Beginn ihrer vierten Saison nun kurz davor stand, eine alte Jungfer zu werden, würde es Georgina erschweren, im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit zu stehen. Zu ihrem Leidwesen brachte diese schwesterliche Verbindung schon einen gewissen Makel mit sich.

Sie presste die Hand an ihre Brust, als könne sie ihre Nerven zum Gehorsam zwingen.

„Alles ist bereit.“ Harriette schüttelte den Rock auf, bis die weißen Stickereien auf dem weißen Stoff perfekt zu sehen waren.

Als sie das Ensemble betrachtete, das sie bei ihrem ersten Auftritt in der Gesellschaft tragen würde, beruhigte sich Georginas Herz. Es war der Höhepunkt all dessen, was sie sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hatte. Wenn sie am Arm ihres Bruders, des mächtigen Herzogs von Riverton, auf dieser gesellschaftlichen Veranstaltung erschien, konnte sie gewiss sein, eine der begehrtesten Damen des Abends zu sein.

Dieser Maskenball würde das großartigste Ereignis ihres Lebens werden.

Dies war einer der schäbigsten Orte, an denen er je gewesen war.

Colin McCrae blickte über die Schulter zurück auf die schiefe Treppe, die er gerade äußerst vorsichtig hinaufgestiegen war. Von oben sah sie noch schlimmer aus als von unten. Wenn er also wieder hinuntermusste, würde er wohl die Luft anhalten.

Vorausgesetzt, er lebte noch so lange. Seinen Freund Ryland ohne Voranmeldung zu besuchen, war keine gute Idee. Und eine ausgesprochen gefährliche noch dazu. Spione der königlichen Krone waren meist sehr argwöhnisch. Glücklicherweise neigte der Mann dazu, zuerst hinzusehen und dann zu schießen, eine Freundlichkeit, die wahrscheinlich der Tatsache zuzuschreiben war, dass er zugleich auch der Herzog von Marshington war. Er mochte sich zwar vor neun Jahren aus der Gesellschaft zurückgezogen haben, aber zuvor hatte er achtzehn Jahre lang erlernt, wie sich ein Gentleman verhielt.

Das Podest am oberen Ende der Treppe sah aus, als hätte jemand in den letzten zehn Jahren zumindest den Versuch unternommen, es instand zu halten. Offen gesagt, war es nicht der schlimmste Ort, an dem Colin Ryland in den fünf Jahren, seit sie sich kannten, besucht hatte. Aber beinahe.

Er bemühte sich, seinen Übermantel von den schmutzigsten Ecken fernzuhalten. Nur weil Ryland beschlossen hatte, den feinen Dingen des Lebens abzusagen, um für König und Vaterland zu spionieren, hieß das nicht, dass Colin das ebenfalls tun musste.

Nachdem er dreimal kräftig an die graue Holztür geklopft hatte, trat Colin einen Schritt zurück. Die Tür öffnete sich gerade weit genug, dass er Jeffreys’ Kopf und Schultern sehen konnte. Er war Rylands Kammerdiener, obgleich seine Pflichten weitaus mysteriösere Aktivitäten umfassten, als nur die Schuhe des Herzogs zu polieren. Dies hier waren wahrscheinlich die einzigen Räumlichkeiten im gesamten Gebäude, die sich mit einem Kammerdiener brüsten konnten.

Colin grinste den dünnen Mann an. „Bitte erschießen Sie mich nicht, Jeffreys. Es wäre sehr schade um den schönen Mantel.“

Jeffreys lachte, als er die Tür ganz öffnete und Colin hereinließ. Dieser hatte zu Recht angenommen, dass Jeffreys hinter seinem Rücken eine Pistole versteckt hatte.

Ein anderes, tieferes Lachen drang aus dem angrenzenden Raum. Als Colin der Stimme folgte, fand er Ryland mit ausgestreckten Beinen auf einem Stuhl sitzend vor, den man mit viel gutem Willen noch als gepolstert bezeichnen konnte. Schließlich waren noch einige der Fäden über die Überreste des Stuhlpolsters gespannt.

Ryland deutete auf den einzigen anderen Stuhl im Raum, einen einfachen Holzstuhl, der alt, aber stabil aussah. „Was bringt dich hierher?“

Colin setzte sich, schlug die Beine übereinander und legte seinen Hut in den Schoß. „Außer, dass ich mich freue, dass du wieder in der Stadt bist, meinst du?“

Ungeachtet der Tatsache, dass Ryland eher wie ein Hafenarbeiter aussah, verriet eine herablassend angehobene dunkle Augenbraue die aristokratische Arroganz des Herzogs. „Ich bin nicht offiziell zurück.“

„Und ich bin nicht offiziell hier.“ Ryland arbeitete für das Kriegsministerium, Colin nicht. Jedenfalls nicht in irgendeiner offiziellen Funktion. Er war dafür bekannt, dass er seine Geschäftskontakte und seine Beobachtungsgabe gelegentlich nutzte, um bei dem einen oder anderen Projekt auszuhelfen. Obgleich er darauf bedacht war, oft genug abzulehnen, damit das Kriegsministerium ihn nicht ausnutzte, hatte er doch Ryland nie eine Bitte abgeschlagen.

Und die Entwicklungen einer solchen Bitte führte ihn auch in dieses heruntergekommene Gebäude.

Ryland setzte sich auf. „Hast du Neuigkeiten?“

Colin nickte. Ryland hatte kürzlich eine Anstellung als Kammerdiener auf dem Besitz der Rivertons angetreten. Da die beiden alte Schulfreunde waren, hatte er Riverton natürlich eingeweiht, und dieser hatte sich bereit erklärt, eine fiktive Korrespondenz zu führen, um die napoleonischen Spione auf dem Gut zu enttarnen. Colins Aufgabe hatte darin bestanden, einige Geschäftsbriefe zu senden, in denen es um ein zum Scheitern verurteiltes Bergbauunternehmen ging.

Und die Verräter hatten den Köder tatsächlich geschluckt. Da nur diejenigen Zugang zu diesen Informationen gehabt hatten, die Geheimnisse an Frankreich verkauften, war jedes Interesse an der Mine verdächtig.

Während Colin Ryland von den neuesten Entwicklungen in Kenntnis setzte, verrichtete Jeffreys im Zimmer still seine Aufgaben.

Der Blick von Rylands grauen Augen zeigte, dass er tief in Gedanken versunken war. Colin machte es sich so gut er konnte auf seinem Holzstuhl bequem. Er wusste, dass sein Gegenüber erwartete, dass er immer noch da war, wenn er die Konsequenzen dessen, was Colin ihm gerade erzählt hatte, durchdacht hatte, ganz gleich, ob es fünf Minuten oder fünf Stunden dauern würde.

„Umso mehr Grund, wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu treten, Hoheit.“ Jeffreys zog eine kleine Kiste unter dem Bett hervor und fing an, Kleidung zusammenzulegen.

Colin richtete sich auf.

Seine leichte Neugier war einer aufrichtigen Überraschung gewichen. Hatte Ryland wirklich vor, offiziell wieder zurückzukehren? Es wäre ein guter Zeitpunkt, da in einer Woche die diesjährige Saison beginnen würde.

Statt seinen Diener zu schelten, weil er seine Gedankengänge unterbrochen hatte, sah Ryland ihn durchdringend an. Hinter Jeffreys Aussage verbarg sich sicher noch etwas anderes. „Hast du auch schon Überlegungen darüber angestellt, wo ich mein Debüt geben soll?“

Nur weil er jahrelange Übung darin besaß, äußerlich ruhig zu bleiben, erhob Colin sich nicht überrascht von seinem Stuhl. Ryland wollte nicht nur nach London zurückkehren, sondern auch noch in die Gesellschaft? War das etwa eine neue Mission? Gab es einen neuen Fall, der erforderte, dass er nicht länger inkognito tätig war? Oder machte er seine Absichten wahr, die Spionagetätigkeiten an den Nagel zu hängen?

Jeffreys zog eine kleine weiße Karte aus seiner Tasche und schnippte sie übers Bett. Ryland fing sie in der Luft und knickte dabei eine Ecke um.

Colin bemühte sich, einen Blick auf die Karte zu erhaschen. Sie sah aus wie eine Einladung. Wer mochte Ryland wohl eine Einladung geschickt haben? Schließlich nahm halb London an, er sei tot.

„Wird sie da sein?“ Ryland strich mit dem Daumen über den Rand der Karte.

Jeffreys nickte. „Die Diener haben ständig von den verschiedenen Kostümen gesprochen, die ihre Herren und die Damen sich zugelegt haben. Diese Einladung war für deine Tante gedacht. Price meinte, es sei eine Schande, dass sie sie nie erhalten hat.“

Ryland schaute auf die Karte und grinste. Ja, wirklich, der abgeklärte, lebensüberdrüssige Spion grinste.

Colin erhob sich und schaute Ryland über die Schulter. Dabei ging er in Gedanken alles durch, was seit seiner Ankunft gesagt oder getan worden war. Es war eine Einladung zu einem Maskenball. Aber diese Tatsache trat in den Hintergrund, als ihm die Bedeutung von Jeffreys’ Aussage klar wurde: Es ging um eine junge Frau, und dem Ausdruck auf Rylands Gesicht nach zu urteilen, hatte sie nichts mit seiner Arbeit zu tun.

Und da es um etwas Persönliches ging, dachte Ryland zweifellos nicht daran, irgendwelche Informationen preiszugeben. Stattdessen wandte Colin sich an seinen Diener. „Es geht um eine Sie?“

„Was für ein Kostüm wird sie tragen?“ Ryland tippte mit der Einladung auf seine Handfläche und hoffte wahrscheinlich, dass Colin ihm keine weiteren Fragen stellen würde. Umso entschlossener war Colin herauszufinden, wer diese Sie war.

Jeffreys packte weiter den Koffer. „Wir wissen nur, dass es blau ist. Sie wurde mit ihrer Schwester und ihrer Mutter bei der Modistin gesehen, wo sie Kleider für dieses gesellschaftliche Ereignis bestellt haben. Ihre Schwester war ziemlich aufgeregt. Die Mutter weniger.“

„Das erstaunt mich nicht.“ Ryland blickte nun wieder nachdenklich. Er schien Colins Anwesenheit völlig vergessen zu haben. „Maskenbälle sind nicht gerade dafür bekannt, dass sie lediglich eine zarte Röte auf das Gesicht einer jungen Dame zaubern. Es verwundert mich, dass Lady Blackstone zulässt, dass dies das erste gesellschaftliche Erscheinen von Lady Georgina ist.“

Colin hatte die Hawthorne-Damen oder ihre kürzlich wieder neu verheiratete Mutter, Lady Blackstone, nie kennengelernt. Aber er hatte geschäftlich mit deren älterem Bruder, dem Herzog von Riverton, zu tun gehabt, dessen Anwesen Ryland kürzlich unter dem Deckmantel eines Kammerdieners ausspioniert hatte.

Das würde böse enden.

Colin räusperte sich. „Lady Georgina Hawthorne?“

Obgleich Colin die junge Dame noch nie getroffen hatte, hatte er doch von ihr gehört. Und nach dem zu urteilen, was ihm zu Ohren gekommen war, wäre sie die Letzte, von der er erwartet hätte, dass Ryland sich für sie interessieren würde.

„Lady Yensworth, die Gastgeberin, ist eine enge Freundin von Lady Blackstone – ansonsten würden sie dieses gesellschaftliche Ereignis sicher übergehen.“ Jeffreys zog ein paar sehr heruntergekommene Stiefel aus dem Schrank. „Behalten wir die?“

„Warum nicht?“, erwiderte Ryland mit hochgezogener Augenbraue.

„Ich bitte Sie.“ Der Kammerdiener neigte den Kopf zur Seite.

Ryland zog die Augenbrauen zusammen. „Was ist?“

„Ich erinnere Sie nur daran, dass Sie ein Herzog sind. Ich weiß nicht viel über den Adel, aber ich weiß, dass man dort keine solchen Stiefel trägt.“

Für gewöhnlich hätte Colin sich still gesetzt und damit begnügt, so viele Informationen wie möglich aus einer Unterhaltung zu ziehen, die in seiner Gegenwart geführt wurde. Aber diesmal konnte er es sich nicht leisten, die Ereignisse falsch zu deuten. Das, was er hier zu hören bekam, klang einfach zu unglaublich.

Er erhob sich, packte Ryland an der Schulter und konnte einen schockierten Gesichtsausdruck nicht unterdrücken. „Du hast die Absicht, Lady Georgina Hawthorne den Hof zu machen?“

Colin konnte sich das nicht vorstellen. Ryland war durch und durch ein Gentleman, aber er hatte zu lange im Untergrund gelebt, als dass seine Manieren noch den nötigen Feinschliff besessen hätten. Er würde eine so zarte Pflanze der gehobenen Gesellschaft ruinieren.

„Was? Nein!“ Ryland rutschte auf seinem Stuhl herum. Er schien sich unbehaglich zu fühlen, etwas, das Colin noch nie erlebt hatte.

Colin sah fragend zu Jeffreys. Etwas beunruhigte den sonst so unerschütterlichen Herzog, und da er ein guter Freund war, stand Colin natürlich auf seiner Seite.

Jeffreys betrachtete stirnrunzelnd die alten Stiefel. „Es geht um die ältere Schwester, Sir.“

„Ah.“ Colin entspannte sich sichtlich und grinste. Er hatte nicht viel über Lady Miranda gehört, aber was er vernommen hatte, reichte aus, um zu wissen, dass sie eine weitaus passendere Partie für einen Mann war, der die vergangenen neun Jahre als Spion tätig gewesen war. Eine Frau, die willens war, mehrere Heiratsanträge abzulehnen, musste sehr mutig sein. Und das könnte vonnöten sein, sollte Ryland weiterhin in Gefahr sein.

Ryland starrte Jeffreys wütend an, während dieser durch den Raum ging und verschiedene Gegenstände aufnahm. „Warum verrätst du Mr McCrae meine Geheimnisse, Jeffreys? Sollte deine Loyalität nicht mir gelten?“

„Natürlich, Hoheit. Deshalb habe ich Mr McCrae ja auch nicht erzählt, dass Sie über die junge Dame nachgrübeln, seit Sie Ihre Anstellung in ihrem Haus vor einigen Monaten aufgegeben haben.“ Jeffreys warf die kaputten Stiefel in den Koffer. „Nur ein sehr indiskreter Diener würde verraten, dass Sie sogar im Zimmer auf und ab gegangen sind, während Sie überlegt haben, was Sie tun würden, wenn sie nach London zurückkäme.“

Colin musste so herzhaft lachen, dass er sich wieder auf seinen Stuhl fallen ließ und sich die Seite hielt. Ryland hatte das Haus der Rivertons bereits vor Weihnachten verlassen. Damals hatten sie die Verräterbande in die Flucht geschlagen. Nun brach der Frühling an. Der Gedanke, dass sein Freund die ganze Zeit nach einer Frau geschmachtet hatte, war in der Tat belustigend.

Ryland wandte seinen finsteren Blick von seinem Diener ab und sah Colin abwägend an. „Ich vermute, du hast keine Einladung zu diesem Ball bekommen?“

Colin unterdrückte sein Lachen und nickte. Er hätte wissen müssen, dass er sich den Machenschaften, die Ryland und sein Diener geplant hatten, nicht entziehen konnte. Und ehrlich gesagt, wenn dazugehörte, dass er miterlebte, wie Ryland am Haken einer jungen Frau zappelte, würde Colin dieses Opfer bringen. „Doch, habe ich. Ich hatte allerdings nicht vor hinzugehen, aber wenn du dort sein wirst, werde ich meine Pläne ändern müssen. Die Leute werden gar nicht wissen, was sie mit so interessantem Klatsch anfangen sollen.“

Ryland tippte sich mit der Karte in die Handfläche. „Ich glaube, ein Maskenball passt bestens zu meinen Plänen. So kann ich sie an den Gedanken gewöhnen, dass ich in der Stadt bin, ohne dass sie mich gleich erkennt.“

Colin stöhnte. Lady Miranda hatte Ryland bereits kennengelernt? Aber nicht in seiner wahren Rolle – als Herzog? Offenbar kannte sie Ryland als den Kammerdiener ihres Bruders, als er in dieser Rolle die französischen Spione in Hertfordshire ausgekundschaftet hatte. Augenscheinlich hatte die Frau auf Ryland einen beträchtlichen Eindruck gemacht, und es war durchaus möglich, dass er ebenfalls Eindruck auf sie gemacht hatte, wenn auch nur als Diener. Doch gleichgültig, wie viel Wertschätzung sie ihm entgegenbrachte – das würde eine Dame nicht darüber hinwegtrösten, dass sie monatelang hintergangen worden war.

Es gab keine Methode, wie man jemandem eine Enthüllung solchen Ausmaßes schonend beibringen konnte.

Ganz zu schweigen davon, dass Ryland, so weit Colin wusste, immer noch aktiv nach dem napoleonischen Spion suchte, der ihm entwischt war. „Was ist mit deinem Fall?“

Sein Gegenüber zuckte nur mit den Achseln. „Mit einer Ausnahme sind alle Spuren im Sande verlaufen. Daher kann genauso gut ein anderer Agent des Kriegsministeriums Lambert verfolgen.“

Colin sah zu Jeffreys, der den Kopf schüttelte und Colin schweigend zu verstehen gab, dass man Ryland nicht mehr umstimmen konnte. Der Herzog konnte eindeutig nicht mehr klar denken.

Rylands Leben würde sehr kompliziert werden. Und Colin hatte vor, die Ereignisse hautnah mitzuerleben.

Zuzusehen, wie Ryland sich winden und sein Täuschungsmanöver rechtfertigen würde – es würde ein Riesenspaß sein, den Colin sich auf keinen Fall entgehen lassen durfte.

2

Ich glaube, die Maske sitzt zu eng“, meinte Harriette mit missbilligendem Gesichtsausdruck. Sie strich Georgina mit dem Finger über die Stirn, auf der der Abdruck der mit Edelsteinen besetzten Maske zu sehen war.

„Lass das.“ Georgina hob die Hand, um Harriette davon abzuhalten, das weiße Seidenband zu lockern. Um ehrlich zu sein, schnitten die Ränder ihr in die Haut, aber sie wollte die Arbeit ihrer Freundin nicht zunichtemachen. Schließlich hatten sie sich stundenlang abgemüht, damit die Maske perfekt zu ihren Augen und ihrer Frisur passte.

„Na schön.“ Harriette zupfte missbilligend eine Locke an Georginas Frisur zurecht.

Georgina drehte den Kopf, um sicherzugehen, dass ihre kunstvoll frisierten blonden Locken über die Bänder der Maske fielen und ihre etwas ungleichen Ohren verbargen. Heute Abend durfte es nicht den geringsten Anlass zur Kritik geben. Sie hatte nur eine Gelegenheit, den richtigen ersten Eindruck zu hinterlassen.

Sie erhob sich und stolzierte durchs Zimmer, um sicherzugehen, dass sie beim Tanzen nicht über den Saum ihres Kleides stolpern würde. Die Seidenröcke strichen ihr angenehm gegen die Beine, aber an das Korsett musste sie sich erst noch gewöhnen. Die klar strukturierte, v-förmige Vorderseite und die tiefe Taille sahen umwerfend aus, aber für eine junge Frau, die es gewohnt war, dass ihre Kleider locker an ihr herabfielen, waren sie auch sehr beengend.

Die weiße Stickerei auf dem weißen Korsett fühlte sich steif an, als sie mit der Hand darüberstrich. Gott sei Dank, dass sie sich nicht jeden Tag in ein solches Kleid zwängen musste.

Georgina schüttelte den Kopf, bevor sie sich noch einmal im Spiegel betrachtete, um sich zu vergewissern, dass die Maske saß. Sie versuchte zu lächeln, zu lachen und tat sogar so, als würde sie etwas trinken. Ja, die Maske war ausgezeichnet gefertigt worden.

„Dieser Abend wird vollkommen sein, Harriette. Alles wird wie geplant laufen.“

Ihre Freundin erwiderte nichts, während sie Georgina in den weißen Samtumhang half.

Georgina setzte ihr unschuldig-verschmitztes Lächeln auf, das sie das ganze Jahr geübt hatte, und machte einen Knicks vor ihrer Zofe. „Wie sehe ich aus?“

„Wie ein Engel.“ Harriettes Lächeln war so aufrichtig, wie das von Georgina gespielt war, aber die beiden waren die einzigen, die das wussten. Jeder, der gesehen hätte, wie die Zofe Georgina sanft umarmte, dabei immer auf deren aufwändige Locken bedacht, hätte geglaubt, beide Frauen freuten sich auf den bevorstehenden Abend. „Viel Glück, Mylady.“

Georgina erwiderte die Umarmung. „Ich habe einen Plan, meine liebe Harriette, ich brauche kein Glück.“ Sie hatte ihr ganzes Glück an dem Tag aufgebraucht, an dem sie Harriette kennengelernt hatte. Das Leben hatte es seither nicht für nötig erachtet, ihr mehr davon zu schenken, und es würde wohl kaum heute damit anfangen.

Der Gang war menschenleer, als sie aus ihrem Zimmer trat und noch einmal tief Luft holte, bevor sie zur Treppe ging. Ihr drohte vor Nervosität übel zu werden.

Als sie die Hand auf das Geländer legte und den Fuß auf die oberste Stufe setzte, kam zu ihren angespannten Nerven noch aufgeregte Vorfreude hinzu. Drei Jahre Üben und sorgfältiges Planen würden nun Frucht tragen.

Im vergangenen Jahr hatte sie die eine oder andere Herausforderung überwinden müssen, aber nun war alles in Ordnung. Sie musste ihren Plan jetzt nur noch ausführen und ganz London würde ihr zu Füßen liegen.

Und dann musste sie bloß noch dafür sorgen, dass sich auch nichts daran änderte.

Griffith, Herzog von Riverton, Georginas großer Bruder, begrüßte sie als Erster am Fuß der Treppe. „Ein Engel in Weiß. Welch ein Unterschied zu deinem gewöhnlichen Auftreten.“

Georgina neigte den Kopf leicht zur Seite und versuchte, angesichts seiner hämischen Bemerkung gelangweilt zu wirken. Sie hatte in den vergangenen beiden Jahren nur Weiß getragen. Die Farbe schmeichelte ihr, machte einen dramatischen Eindruck, und die Kleider konnten leicht geändert werden, sodass es so wirkte, als trüge sie nie zweimal das gleiche Kleid. Zugegeben, es war ermüdend, aber das bestärkte nur den Eindruck legendärer Eleganz. Zumindest hoffte sie das.

Er bot ihr seinen Arm, und Georgina war froh, dass sie das ausreichend geübt hatte. Ihr Bruder war hochgewachsen, breitschultrig und beeindruckend. Das war ein Vorteil, wenn man als Herzog auftreten musste, aber auch äußerst unangenehm für eine Frau, die versuchte, seinen Arm möglichst elegant zu nehmen, auch wenn sie etwas größer war als der Durchschnitt.

Ihre Mutter betrachtete sie von oben bis unten mit einem Lächeln, das dem von Georgina sehr ähnelte. „Hör nicht auf ihn. Du siehst hinreißend aus.“

Lord Blackstone, der Graf, den Mutter vor zwei Jahren geheiratet hatte, murmelte eine Zustimmung. Miranda lächelte wie eine große Schwester. Selbst die blaue Maske vor ihrem Gesicht konnte die Tatsache nicht verbergen, dass Miranda wenig begeistert davon war, diesen Abend mit ihrer jüngeren Schwester zu teilen. Georgina hob ihr Kinn etwas und stolzierte durch die Halle.

Mit jedem Schritt auf die Kutsche zu wurde alles etwas realer. Der Duft der Rosen auf dem Tisch in der Eingangshalle verstärkte sich, je näher sie der Tür kam. Die Nachtluft, die ihnen durch die offene Eingangstür entgegenwehte, war kühler. Selbst das Klappern der vorüberfahrenden Kutschen schien heute Abend lauter zu sein. Alles war lauter und heller, als würde die Tragweite dieses Abends der ganzen Welt mehr Intensität verleihen.

Georgina stieg hinter Miranda in die Kutsche und versuchte, dabei jeden hochtrabenden Gedanken abzuschütteln. Es war ein Abend wie jeder andere. Sie hatte einen Plan, und solange sie nicht zuließ, dass ihre Gefühle ihr den Verstand vernebelten, würde sie diesen Plan bis aufs Letzte durchführen und alles würde gut werden.

Mutter und Lord Blackstone ließen sich den Schwestern gegenüber nieder und Griffith schloss die Tür und ging zu seiner eigenen Kutsche. Georgina würde mit ihm nach Hause fahren, aber Mutter wollte mit ihrer jüngsten Tochter zusammen eintreffen. Immerhin war es Georginas erster Ball.

Ein Kribbeln kroch Georgina durch die Finger die Arme hinauf, als sie neben ihrer großen Schwester saß und ihre Röcke glattstrich. Der Gegensatz zwischen Georginas weißem Kleid und Mirandas leuchtend blauem Kleid machte sie nachdenklich. Hatte sie sich richtig entschieden? Oder ließ ihre Vorliebe für Weiß sie weniger begehrenswert als vielmehr unnahbar erscheinen?

„Wie sehe ich aus?“, platzte sie heraus, noch bevor sie es sich verkneifen konnte.

Ihre Mutter und Lord Blackstone versicherten ihr, dass ihr Kleid ihr gut stand und ihr Haar perfekt saß, aber Miranda drehte sich nur weg und blickte zum Fenster hinaus. Georgina sah ihre Schwester mit zusammengekniffenen Augen an. Es war schließlich nicht ihre Schuld, dass Miranda jetzt schon die vierte Saison ohne vielversprechende Heiratschancen bevorstand. Die junge Frau war einfach zu eigenwillig und hatte mehr als einen durchaus akzeptablen Antrag abgewiesen.

Und wenn die Leute nun dachten, Georgina wäre genauso wie ihre Schwester? Würden die Herren ihr aus dem Weg gehen? Bei dem Gedanken zog sich Georginas Magen so zusammen, dass sie die Kutsche beinahe hätte anhalten lassen.

Sie musste an etwas anderes denken, um sich nicht zu sehr zu sorgen, dass sie vielleicht einfältig lächelnd irgendwo in der Ecke des Ballsaales stehen würde.

„Was bist du noch mal?“ Georgina strich mit der Hand über den hauchdünnen Überrock von Mirandas blauem Kleid. Die Farbe wirkte Wunder für Mirandas Teint. Ihr Teint war dem ihrer Schwester sehr ähnlich, aber doch gerade unterschiedlich genug, dass Miranda Weiß nie wirklich gestanden hatte. Das war ein weiterer Grund, weshalb Georgina zu dieser Farbe neigte. So würden die Leute nie denken, sie sei nicht genauso schön wie ihre Schwester.

„Der Himmel“, murmelte Miranda.

Mutter runzelte die Stirn. „Sagtest du nicht, du seist ein Vogel?“

Lord Blackstone lachte. „Mir hat sie gesagt, sie sei das Meer.“

Miranda grinste. „Dann bin ich vermutlich die mysteriöse Frau.“

Ihre Schwester war ein Dummkopf. Wie konnte Miranda so viel dem Zufall überlassen? Wenn sie die Sache nicht in die Hand nahm und den Leuten vorgab, wie sie sie zu sehen hatten, konnten sie ja alles Mögliche denken. Selbstbewusstsein war eine bewundernswerte Eigenschaft, aber nicht, wenn sie dazu führte, dass eine Frau die zahlreichen Gelegenheiten, die sich Miranda geboten hatten, nicht ergriff.

Ihre dumme Schwester hätte den vergangenen Frühling in der Stadt verbringen sollen, um ihre Zukunft zu sichern. Stattdessen hatte sie ihre Kräfte verschwendet, um dafür zu sorgen, dass Griffiths neues Mündel eine angemessene Partie für den Marquis von Raebourne war. Hätte Miranda getan, was sie hätte tun sollen, würde Georgina heute Abend allein auf dem Ball erscheinen, der Marquis wäre noch zu haben und all ihre sorgfältig zurechtgelegten Heiratspläne wären in greifbarer Nähe. Aber Miranda hatte nicht getan, was sie als gute Schwester hätte tun sollen, und die ganze Situation hatte sich zu einem Desaster entwickelt, das drohte, Georginas Erfolg zunichtezumachen, noch bevor sie zum ersten Mal den Ballsaal betrat.

Das Kribbeln in Georginas Fingern kroch bis hinunter in ihre Zehen. Was, wenn es ihr nicht gelang, den richtigen Eindruck zu vermitteln? Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und achtete nicht länger auf den Rest der Unterhaltung. Schließlich wollte sie sich nicht ablenken lassen. Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, wer sie war, bevor sie aus der Kutsche stieg.

Sie war Lady Georgina Hawthorne, Schwester des Herzogs von Riverton.

Lady Georgina Hawthorne mangelte es nicht an Selbstbewusstsein.

Lady Georgina Hawthorne kannte alle Kniffe einer gepflegten Konversation.

Lady Georgina Hawthorne kannte jede wichtige Neuigkeit von jedem, der etwas darstellte, und konnte mit Leichtigkeit erkennen, wer – nach ihrem Verständnis – ein Niemand war.

Ein frischer Wind wehte durch die Kutsche und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die offene Tür – ein gähnendes Loch, durch das Lärm, Farben und Bewegung zu ihr hereindrang. Finsternis drohte sich in ihr breitzumachen, als sie die Gäste betrachtete, die durch das Kerzenlicht auf den Eingang des Hauses zuströmten.

Sie holte tief Luft und gestand sich selbst die Wahrheit ein.

Lady Georgina Hawthorne hatte Angst.

„Einen wunderbaren Orange-Ton trägst du da.“ Colin versuchte bei dieser hämischen Bemerkung über Rylands Kostüm vergeblich, das leichte Grinsen auf seinem Gesicht zu unterdrücken. Der Herzog von Marshington, neuerdings Spion außer Dienst und Experte für den Umgang mit Messern, trug das schockierend auffällige Kostüm eines französischen Höflings aus dem 18. Jahrhundert.

Das Resultat war noch besser, als Colin erwartet hatte. Schließlich war er es, der Jeffreys auf die Idee gebracht hatte.

Rylands Mundwinkel verzogen sich unter seiner Maske, als er die Rüschen zurechtzupfte, die aus den Ärmeln seines grell orangenen Brokatrocks hervorlugten.

„Die Schuhe sind auch nett.“ Colin stieß mit seinem eleganteren und wesentlich bequemer aussehenden Abendschuh gegen Rylands Schnallenschuh mit Blockabsatz.

„Freut mich, dass dir meine Verkleidung so viel Freude bereitet.“ Angesichts des leisen Grollens in Rylands Stimme wurde Colins Grinsen nur noch breiter.

Ja, er hatte Spaß, und das, obwohl er seit ihrer Ankunft vor zehn Minuten nur hier in der Ecke gestanden hatte. Zum ersten Mal seit einer ganzen Weile nahm Colin nur deshalb an einem gesellschaftlichen Ereignis teil, um sich zu amüsieren. Diese Gesellschaften waren meist erfreulich, allerdings bestand sein „Vergnügen“ häufig darin, geschäftliche Vorteile aus diesen Veranstaltungen zu ziehen – er interessierte sich dazu mit dem gleichen Eifer für vorteilhafte Beziehungen und aufschlussreichen Klatsch wie eine Debütantin für heiratsfähige Adelige.

Aber heute war er nicht geschäftlich hier. Heute Abend würde er sich genüsslich zurücklehnen und zusehen, wie Ryland das Herz der Dame zu erobern versuchte, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Allerdings würde gar nichts geschehen, wenn sie sich den gesamten Abend in einer unscheinbaren Nische hinter den Erfrischungen aufhielten. Colin sah seinen Freund mit zusammengekniffenen Augen an. Konnte es sein, dass Ryland nervös war? Vielleicht musste er sich einen Augenblick auf etwas anderes konzentrieren als auf die Frau, die sein Herz gestohlen hatte.

„Du weißt doch, was man über dich sagt, oder?“ Colin stand mit einer Schulter an die Wand gelehnt da und schlug die Knöchel übereinander.

Ryland sah ihn an. „Wer?“

„Die“, erwiderte Colin mit einem Nicken in Richtung der tanzenden Menge der Londoner Gesellschaft. „Es ist eines ihrer Lieblingsspiele – sie versuchen zu erraten, wo du wohl bist.“

Ryland schnaubte nur verächtlich.

„Manche sagen, du siechst an einer schlimmen Krankheit dahin. Andere vermuten, du verbirgst dich, weil du entstellt seist.“ Colin tat, als wolle er eine Staubfluse von Rylands Schulter wischen. „Meine Lieblingsgeschichte ist allerdings die, dass du davongelaufen seist, um Freibeuter zu werden. Und die Geschichte ist schon recht weit gediehen. Wusstest du, dass du schon eine ganze Bande von rauen Gesellen um dich geschart hast und ihr euch auf einer abgelegenen Orkney-Insel versteckt? Manche behaupten, ihr wärt in der Karibik, aber mir gefällt die Geschichte mit den Orkneys besser. Sie ist origineller.“

Ryland schnaubte erneut.

Colin sah sich um und hoffte auf eine Eingebung. Irgendwann würde jemand sie entdecken und ihre Situation würde nur noch unangenehmer werden. In diesem Moment trat die Ablenkung, nach der er Ausschau gehalten hatte, nur wenige Schritte von ihrem Versteck entfernt an die Schale mit dem Punsch. Wer konnte Ryland besser dazu bringen, etwas zu unternehmen, als der Bruder der Dame, die er hier sehen wollte? Zugegeben, es war nicht ihr ältester Bruder, aber Colin war Lord Trent schon ein- oder zweimal begegnet und wusste, dass er für eine Unterhaltung zu haben war.

Ryland kniff die Augen zusammen, als Colin an die Punschschale trat, aber er folgte ihm ohne einen weiteren Einwand.

„Erinnerst du dich noch an Lord Trent?“ Colin deutete auf den hochgewachsenen, blonden Mann, während er sich selbst ein Glas von dem Punsch nahm.

„Natürlich“, erwiderte Ryland.

Lord Trent zog die Augenbrauen hoch, und man konnte über dem Rand seiner Maske sehen, dass er die Stirn in Falten gelegt hatte. Seine grünen Augen musterten Rylands auffällige Aufmachung von oben bis unten. „Eine äußerst mutige Kostümwahl. Ich bewundere jeden, der wagemutig genug ist, so etwas zu tragen, aber ich kann Sie gerade nicht einordnen. Kennen wir uns?“

Colin nippte an seinem Glas, bemüht, angesichts des faden, säuerlichen Geschmacks nicht das Gesicht zu verziehen. „Der Herzog von Marshington.“

Ryland seufzte.

Colin grinste.

Lord Trents Kiefermuskeln erschlafften sichtlich. „Wirklich? Wäre es nicht Mr McCrae, der das sagte, würde ich es nicht glauben, aber ich habe noch nie gehört, dass er in solchen Dingen zu Scherzen neigt.“

Ryland schüttelte die Rüschen seines Ärmels zurück, wodurch der Siegelring an seiner rechten Hand sichtbar wurde. Jeder in ganz England wusste, dass Ryland diesen Ring sicher verwahrte. Seit seinem Verschwinden hatte sein Vetter Gregory Montgomery mehrfach versucht, den Titel für sich in Anspruch zu nehmen, aber es war schwer, jemanden für tot zu erklären, der immer wieder Briefe mit seinem Siegel schickte. Es war gefährlich für ihn gewesen, auf seinen Einsätzen einen so persönlichen Gegenstand bei sich zu tragen, aber seit er den Titel im Kindesalter geerbt hatte, war er keinen Tag ohne den Ring gewesen.

Lord Trent schlug Ryland grinsend auf die Schulter. „Es ist ja schon eine Ewigkeit her. Ich habe dich seit Eton nicht mehr gesehen.“

Colin nippte an seinem Glas, während die beiden Männer über alte Zeiten sprachen und sich über Erinnerungen an die Schulzeit austauschten. Mit seinen sechsundzwanzig war Colin ein Jahr jünger als Ryland und zwei oder drei Jahre älter als Lord Trent. Die beiden konnten in der Schule nicht viel Zeit zusammen verbracht haben, aber Rylands enge Freundschaft mit Lord Trents älterem Bruder hatte es ihnen wahrscheinlich ermöglicht, mehr miteinander zu tun zu haben als andere Studenten, die deutlich jünger waren.

Obwohl er sich geschworen hatte, die Geschäfte an diesem Abend außen vor zu lassen, ertappte Colin sich dabei, wie er sich prüfend im Saal umsah. Fast alle Damen trugen ein Kostüm, ebenso wie die meisten der Herren. Andere wiederum trugen, wie auch Colin, einfach eine Maske zu ihrem Ausgehanzug. Lord Trent hatte sich an diesem Abend etwas mehr Mühe gegeben und trug einen schwarzen, mittelalterlichen Waffenrock mit einer eng anliegenden, knielangen Hose.

In einer Ecke standen drei Männer, die zweifellos über Pferderennen sprachen. Townsend sprach zumindest selten über etwas anderes.

Lady Elizabeth, die ausgenommen klein und rundlich war – daran konnte leider auch ihr griechisches Kostüm nichts ändern –, tanzte mit Burnside. Das würde seinen Vater, Lord Trotham, sehr glücklich machen. Und wenn Lord Trotham glücklich war, neigte er dazu, manchen seiner Besitztümern weniger Beachtung zu schenken.

Colin nahm sich vor, Trothams Gutsverwalter zu kontaktieren, um sicherzustellen, dass Trothams Sägewerk in Essex ordentlich verwaltet wurde. Die übrigen Güter des adligen Herrn gingen Colin nichts an, aber im vergangenen Jahr hatte er eine Beteiligung an dem Sägewerk erworben. Bisher hatte es sich als gute Investition erwiesen, aber Trotham hatte sich in den vergangenen beiden Jahren darum bemüht, seinem Sohn einen angemessenen Platz in der Gesellschaft zu verschaffen.

Als er den Namen „Gentleman Jack“ vernahm, richtete sich Colins Aufmerksamkeit wieder auf die beiden Herren vor ihm. Lord Trent war schon immer ein herausragender Sportler gewesen, aber Colin hatte nicht gewusst, dass er mit dem legendären Boxer trainiert hatte. Wenn Rylands Geständnis von Lord Trents Schwester nicht gut aufgenommen wurde, könnten diese Fähigkeiten Ryland in die Bredouille bringen. Colins Punschglas war nicht groß genug, um das breite Grinsen auf seinem Gesicht dahinter zu verbergen, aber der säuerliche Geruch und der fade Geschmack halfen ihm, sich zu beherrschen.

Die Unterhaltung plätscherte eine Weile dahin, und Colin wollte sich gerade bei Lord Trent nach seinen Plänen für diese Saison erkundigen, als ein leuchtend weißer Wirbel in ihren Kreis trat und ihm die Worte im Hals stecken blieben.

„Guten Abend.“ Eine weibliche Stimme drang an sein Ohr wie die sanften Wellen in einer geschützten Bucht. Er konnte den Schauer nicht unterdrücken, der ihn überkam, als er seine Augen der Erscheinung zuwandte.

Das weiße Etwas war das wunderbarste Geschöpf, das Colin je gesehen hatte. Goldene Locken, die mit Perlen durchsetzt waren, fielen auf ihre Schultern. Die Maske verbarg einen Großteil ihres Gesichts, aber man konnte unschwer die entzückenden grünen Augen erkennen, deren leicht hochgezogene Winkel ihn neugierig machten. Er musste das Geheimnis dahinter ergründen.

Sein Blick wanderte nach unten, über das weiße Kleid im elisabethanischen Stil, das mit Federn besetzt war, sodass sie zu schweben schien. Gott hatte sicher einen guten Tag gehabt, als er diesen Engel erschaffen hatte.

Lord Trent nickte der Dame zu und bedachte dann jemanden, der hinter ihnen stand, mit einem Lächeln. „Griffith, du wirst nicht glauben, wen ich gefunden habe.“

Colin löste seinen Blick von der Erscheinung in Weiß und sah zu dem beeindruckenden Mann neben ihr. Der Herzog von Riverton war ganz ähnlich gekleidet wie Colin, wenn auch aus einem anderen Grund. Da er einen beträchtlichen Teil von Rivertons Investitionen betreute, wusste Colin, dass der Herzog sich keine Gedanken um die Kosten eines Kostüms machen musste, das er nur einen einzigen Abend lang tragen würde. Andererseits musste Colin das ebenfalls nicht, aber die Angst vor Entbehrungen war auch nach so vielen Jahren nur schwer zu überwinden.

„Welch wunderbarer Rock.“ Riverton betrachtete Rylands Kostüm und machte sich gar nicht erst die Mühe, sein amüsiertes Grinsen zu verbergen. „Ich habe mich gefragt, ob du wohl heute Abend kommen würdest.“

Ryland strich die Rüschen auf seiner Brust glatt. Sein Siegelring blitzte zwischen den Rüschen im Licht einer nahen Kerze auf.

Den Lippen der Schönheit an Lord Trents Seite entwich ein kurzer, heftiger Atemzug. Ihre Augen weiteten sich, und sie biss sich kurz auf die Unterlippe, als sie auf Rylands Hand starrte. Offensichtlich erkannte sie den Ring.

Ryland schien dies nicht zu bemerkten. „Ich hatte dir doch gesagt, dass wir uns in London sehen würden“, meinte er an Riverton gewandt.

Colin hob sein Glas an den Mund, um ein Lächeln zu verbergen, als die junge Dame sich in Positur warf und so dafür sorgte, dass jede Kurve und jede Locke zur Geltung kamen. Aus Angst, ihm könnte ein Lachen entweichen, wagte er nicht, auch nur einen Schluck des ungenießbaren Getränks zu trinken.

Während die drei aristokratischen Herren sich weiter über die Auswirkungen von Rylands Rückkehr unterhielten, beobachtete Colin die zunehmend erregtere Dame in ihrer Mitte. Ihr Lächeln wich nicht von ihrem Gesicht, aber ihr starrer Blick wurde immer durchdringender, als niemand es für nötig hielt, sie Ryland vorzustellen.

Wunderschöne grüne Augen. Goldblondes Haar. Ihre Hand lag auf dem Arm des unverheirateten Herzogs von Riverton, aber sie schenkte ihm so gut wie keine Beachtung. Das musste Lady Georgina sein, die jüngste Schwester des Herzogs. Die Frau befand sich weit außerhalb von Colins Sphäre, was aber in diesem Raum kein herausstechendes Merkmal war. Colin begegnete kaum einmal einer Frau, die ihn aufgrund seines Standes als akzeptable Partie betrachtete.

Auch hatte er nur selten eine Frau von solcher Schönheit gesehen. Selbst mit der Maske und dem überreichen Federschmuck war sie so wunderschön, wie man sich erzählte.

Und man erzählte sich viel über sie. Die junge Frau war beinahe legendär. Er hatte noch nie erlebt, dass der Adel das gesellschaftliche Debüt einer Dame so sehnlich erwartet hatte wie das von Lady Georgina. Er hatte diese Begeisterung nie verstanden, vor allem, da ihre ältere Schwester ja bereits in die Gesellschaft eingeführt worden war.

Bis jetzt.

3

Colin konnte seine Belustigung nur schwer verbergen, als die junge Dame anmutig hüstelte und ihre beiden Brüder finster anstarrte. Deren nichtige Unterhaltung über Rylands unerwartetes Erscheinen zielte zweifellos darauf ab, Lady Georgina zu verärgern. Und ihr Plan schien aufzugehen.

Colin ging ein paar Schritte nach links, um sich ein neues Glas Punsch zu holen. Er trat hinter Lord Trent hervor und hielt Lady Georgina das Glas hin. „Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?“

Sie bekam große Augen, als sie vom Glas zu seinem Gesicht blickte. Versuchte sie, ihn einzuordnen? Fragte sie sich, ob sie ihn kannte? Er hatte zwar schon oft das Haus der Hawthornes aufgesucht, um Riverton zu treffen, hatte aber die beiden Schwestern nie kennengelernt. Nur Lady Miranda hatte er bislang zweimal gesehen. Und da er sehr darauf bedacht war, sich aus den Klatschspalten herauszuhalten, hatte sie wahrscheinlich noch nie von ihm gehört. Sollte sie sich ruhig fragen, wer er war. Vielleicht würde das Ryland genug Zeit verschaffen, um zu verschwinden und Lady Miranda zu suchen.

Ein kurzer Seitenblick auf die drei Männer verriet ihm, dass Ryland nicht die Absicht hatte zu verschwinden. Colin deutete noch einmal auf das Glas in seiner Hand. „Ich weiß, ich bin schrecklich direkt, vor allem, da wir einander noch nicht vorgestellt wurden, aber ich kann es nicht mit ansehen, wenn eine Dame übergangen wird.“

„Ja, natürlich.“ Sie nahm den Punsch, als hätte sie noch nie im Leben ein solches Getränk gesehen. „Ich danke Ihnen.“

Riverton tätschelte Lady Georginas Hand. „Ich bitte um Entschuldigung. Hätten wir euch einander vorstellen sollen? Immerhin ist das ein Maskenball.“

Lady Georgina neigte den Kopf zur Seite, sodass sie gleichzeitig Riverton ansah und Ryland anlächelte. Es war sehr beeindruckend. „Ich kann wohl schlecht mit einem Herrn tanzen, den ich nicht kenne.“

Riverton nickte. „Das stimmt. Meine Herren, darf ich Ihnen meine Schwester Lady Georgina vorstellen. Georgina, das sind der Herzog von Marshington und Mr Mc-“

Lady Georginas hörbarer Atemzug unterbrach Colins Vorstellung. „Hohheit, sind Sie das wirklich? Ich habe schon seit Jahren von Ihnen gehört. Was führt Sie zurück nach London?“

Vorlaut, aber charmant. Colin war glücklicherweise daran gewöhnt, zu denen zu gehören, die man gern übersah. Er gehörte nicht zur Aristokratie, ja nicht einmal zum niederen Adel. Er konnte nur sehr, sehr gut mit Geld umgehen. Er hatte ein Gespür für Investitionen, einen Blick fürs Geschäft und ein glückliches Händchen, wenn es um neue Unternehmungen ging. Daher war er bei denen begehrt, deren Lebensstil sehr viel Geld verschlang.

Aber das hieß nicht, dass er beliebt war.

Ryland stellte sein Glas ab und ergriff Lady Georginas Hand. „Darf ich um den nächsten Tanz bitten?“

Nur weil er darin geübt war, konnte Colin verhindern, dass man ihm seine Überraschung ansah. Ryland war wegen der älteren Hawthorne-Schwester hier. Warum bat er jetzt die jüngere um einen Tanz?

Colins Blick schweifte von seinem Freund zu der Dame in Weiß. Ihr Lächeln vertiefte sich, und sie neigte den Kopf noch weiter zur Seite, was bei ihr sehr anziehend aussah. Hatte sie dies etwa vor dem Spiegel geübt? Es konnte doch das erste oder höchstens das zweite Mal sein, dass Lady Georgina an einem gesellschaftlichen Ereignis teilnahm. Dieses Selbstbewusstsein und dieses Maß an Geschicklichkeit erforderten für gewöhnlich viel Erfahrung.

„Es wäre mir eine außerordentliche Freude, Hohheit.“

Nach wenigen Augenblicken hatten sie sich in der Menge der tanzenden Paare verloren, die gerade eine Quadrille tanzten. Es war ein recht neuer Tanz. Wann hatte Ryland die Zeit gehabt, ihn zu erlernen?

Colin zuckte mit den Achseln und trank seinen Punsch. Ryland unternahm nie etwas, ohne auch einen entsprechenden Plan zu haben, also musste es einen Grund geben, weshalb er Lady Georgina um den Tanz gebeten hatte. Selbst wenn Colin sich ziemlich sicher war, dass es ein schlechter Plan war, so konnte er doch nichts dagegen unternehmen.

„Ich muss mich noch einmal entschuldigen“, unterbrach Riverton in diesem Augenblick seinen Gedankengang.

Colin winkte ab. „Das macht nichts. Die Damen ignorieren mich bei solchen Ereignissen gewöhnlich, es sei denn, sie wurden unglücklicherweise beim Essen neben mich gesetzt.“

Lord Trent grinste. „Ich habe schon einmal beim Essen neben Ihnen gesessen. Sie haben immer nach dem richtigen Besteck gegriffen und die Suppe nicht geschlürft.“

Colin lächelte, hielt es aber nicht für nötig, etwas zu erwidern. Alle drei Männer waren sich der gesellschaftlichen Rangordnung und auf welcher Stufe Colin stand sehr wohl bewusst. Dass die Hawthorne-Brüder den großen Klassenunterschied zwischen ihnen und ihm ignorierten, war ein Segen, aber keiner, den er von den meisten anderen ihres Standes erwarten konnte.

„Bist du schon lange hier?“, fragte Riverton Lord Trent.

„Höchstens eine Viertelstunde. Ich hatte gerade mal Zeit, mich in dem Gewühl umzusehen, bevor ich auch schon Ryland in seiner lächerlichen Aufmachung entdeckte.“

Colin grinste. „Sie sieht noch besser aus, als ich erwartet hatte.“

Riverton wirkte beeindruckt. „Sie sind für diesen Firlefanz verantwortlich?“

„Nur für die Idee“, meinte Colin kopfschüttelnd. „Ich fürchte, die hervorragende Umsetzung ist Jeffreys zuzuschreiben.“

Wo war Lady Miranda? Colin blickte suchend über die Menge, obgleich es sehr unwahrscheinlich war, dass er sie hinter ihrer Maske erkennen würde. Aber sie war hier irgendwo, und Ryland wusste wahrscheinlich, was sie trug, und deshalb fragte sich Colin noch einmal, warum er mit Lady Georgina tanzte. Bedachte man ihre recht offensichtlichen Absichten, würden zukünftige Familienzusammenkünfte recht unangenehm werden, wenn Ryland seinen Plan, Lady Miranda den Hof zu machen, in die Tat umsetzte.

„Werden Sie diese Saison in der Stadt sein, Colin?“, fragte Riverton und wandte sich von der Tanzfläche ab.