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Aufbrechen und Ankommen – neue wunderschöne Geschichten vom Reisen
Auf ihre typisch herzliche, emotionale und direkte Art erzählt Tamina Kallert neue unterhaltsame Geschichten über das Reisen. Sie berichtet von herzerwärmenden und auch skurrilen Begegnungen mit Menschen, von Naturerfahrungen und Eigenheiten verschiedener Landstriche, denn – trotz Stillstand im Leben können wir immer wieder aufbrechen ins Neue. Auch sie wurde durch Corona ausgebremst und umso mehr macht Tamina Kallert deutlich, dass besondere Reiseerlebnisse und vor allem persönliche Begegnungen wichtige Ressourcen sind. Wie es ihr persönlich erging und wie wir alle von mehr Selbstbestimmung und Selbstfürsorge profitieren können, zeigt sie in ihrem neuen Buch. Ihr Motor sind und bleiben dabei Lebensfreude, Optimismus und die Lust auf Reisen Neues zu entdecken.
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Seitenzahl: 273
Auf ihre typisch herzliche, emotionale und direkte Art erzählt Tamina Kallert neue unterhaltsame Geschichten über das Reisen. Sie berichtet von herzerwärmenden und auch skurrilen Begegnungen mit Menschen, von Naturerfahrungen und Eigenheiten verschiedener Landstriche, denn – trotz Stillstand im Leben können wir immer wieder aufbrechen ins Neue. Auch sie wurde durch Corona ausgebremst und umso mehr macht Tamina Kallert deutlich, dass besondere Reiseerlebnisse und vor allem persönliche Begegnungen wichtige Ressourcen sind. Wie es ihr persönlich erging und wie wir alle von mehr Selbstbestimmung und Selbstfürsorge profitieren können, zeigt sie in ihrem neuen Buch. Ihr Motor sind und bleiben dabei Lebensfreude, Optimismus und die Lust auf Reisen Neues zu entdecken.
Tamina Kallert
Wunderschöne Reisegeschichten vom Aufbrechen und Ankommen
Kösel
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Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-28529-6V003
www.koesel.de
Inhalt
Rrrrrraaack!
1. Kapitel
Treffpunkt der Weltumsegler
2. Kapitel
Hashtag Sehnsucht
3. Kapitel
Löwe, Adler, Murmeltier
4. Kapitel
48° Hangneigung, flirrende Hitze und ein grandioser Ausblick
5. Kapitel
»Darf ich den mal anfassen?«
6. Kapitel
Zäng!
7. Kapitel
»Können Sie mal kurz die Füße heben?«
8. Kapitel
Der Lohn der Leidenschaft
9. Kapitel
Eine Reise ins Ich
Danksagung
Eine Reise wird am besten in Freunden gemessen, nicht in Meilen.
Tim Cahill
Rrrrrraaack!
Reisen, Ferien, Auszeit, Urlaub … Es gibt viele Namen für die Zeit, in der man sich Abstand vom Alltag gönnt. Jeder verbindet mit ihr bestimmte Gerüche und Geräusche, Ausblicke und Geschmackserlebnisse. Für die einen sind es die klare, mit einem würzigen Duft nach Kiefernadeln und Schnee gesättigte Bergluft, das Läuten von fernen Kuhglocken und die samtige Oberfläche alter Hüttenwände, deren Holz über Jahrzehnte in Sonne und Eis silbrig-grau geworden ist. Andere bevorzugen große Hotelanlagen und fühlen sich sofort in den Freizeit-Modus versetzt, wenn sie das Lachen und Rufen von Kindern im Swimmingpool hören und den Geruch von Spiritus in der Nase haben, mit dem die Warmhalteplatten der großen Büfetts betrieben werden. Auch der Blick aus einem alten Fischerhäuschen auf einen stillen See, der Spaziergang über mit Buchenblättern bedeckte, weich-federnde Waldwege oder die Farbe und der Duft von Rotwein, der auf einer Piazza genossen wird, können einen umgehend in den Urlaubsmodus beamen.
Bei mir sind es zwei Dinge, die für Reiselust pur stehen. Da ist zum einen das ultimative und unverwechselbare Geräusch des Aufbruchs: Rrrrrraaack! – so klingt die zuschnalzende Tür eines VW-Busses. Nach einem ersten Anfangswiderstand beginnen die Rollen metallisch-satt in der Schiene zu laufen, erst langsam, dann immer schneller. Am Ende dann der finale, ein wenig scheppernde Rumms, der anzeigt: Tür ist zu, es kann losgehen.
Dieses Geräusch hat mich meine ganze Kindheit hindurch begleitet und meine Sehnsüchte nach Ferien und abenteuerlichen Entdeckungen befeuert. Seit ich denken kann, begann jede Reise mit einem Wecken in aller Herrgottsfrühe, einem eiligen Frühstück und – endlich! – dem Einsteigen in den schon am Vortag fertig gepackten VW-Bus. Meine Eltern hatten ihn hinten mit Matratzen ausgepolstert, auf denen mein Bruder und ich uns während der Fahrt tummeln konnten, von Anschnallgurten war noch nicht die Rede. Zur festen Besatzung gehörte auch der Familienhund, der nach anfänglicher Sorge, die sich bis zur Panik steigerte, höchst erleichtert war, dass er auch wirklich mitgenommen wurde.
Oft ging es ans Mittelmeer. Griechenland, Jugoslawien, Italien … Die Berge und Täler des Schwarzwaldes, an dessen Rand meine Heimatstadt Freiburg liegt, wichen zurück, das Land wurde flacher, der Blick weit. Auch auf unseren Fahrten an die französische Atlantikküste war das so. Weil die Ferien in Süddeutschland schon immer etwas später losgingen, hatte der Sommer seinen Zenit meist schon leicht überschritten und auf den für den Osten Frankreichs so typischen, riesigen Feldern bildeten die aufgetürmten Strohballen in unserer Fantasie Schlösser und Burgen. Die Straße führte in Wellen leicht auf und ab, am Himmel türmten sich Schönwetterwolken, durch das offene Seitenfester kam Luft, die so ganz anders roch als daheim, im Radio lief Supertramp. Irgendwann dann das erste Grillenzirpen, die ersten Eidechsen, die in Trockenmauerritzen huschten. Ein Zwischenstopp musste sein, bei Anbruch der Dunkelheit fuhren wir von der Straße ab und suchten ein ruhiges Plätzchen. Das Dach des VW-Busses wurde aufgestellt. Wir Kinder waren dann schon todmüde und bekamen nicht mehr viel mit. Am nächsten Morgen erwachten wir voller Neugier darauf, was wir zu sehen bekommen würden, sobald wir den Reißverschluss des Dachzeltes öffneten. Sssssiippp! Das melodische Singen des Reißverschlusses ist sozusagen die kleine Schwester des Rrrrrraaack! und genauso verheißungsvoll. Ein stiller See, eine grüne Wiese oder ein Wäldchen begrüßte uns, es war ein Lotto ohne Nieten. Ein Kaffee für die Erwachsenen, ein Kakao für die Kinder und ein schnelles Müsli für alle, dann ging es weiter. Die Umgebung wurde immer südländischer, wir passierten die ersten Pinienwälder, in den Dörfern roch es nach Brioches und heißen Pflastersteinen. Die Spannung stieg, denn an manchen Stellen konnten wir in der Ferne schon den Atlantik aufblitzen sehen, aber dann ging es doch noch gefühlte Ewigkeiten durch kleinste Dörfer und sonnenverbrannte Felder. Schließlich stellten meine Eltern den Bus auf einem Parkplatz ab und wenn wir ausstiegen, hatten wir nicht Asphalt unter den Sohlen, sondern Sand zwischen den Zehen.
Das Meer muss ganz nah sein! Wir hören das Möwengekreisch, aber die Dünen versperren noch die Sicht. Wie die Wilden rasen wir die Sandberge hoch, der Hund nebenher, in dem weichen, warmen Sand rutschen wir bei jedem Schritt einen halben wieder zurück. Jetzt sind wir schon fast oben auf dem Dünenkamm und dann kommt endlich, endlich das Meer in Sicht! Diese Weite! Ich höre die Wellen rauschen, eine Brise weht mir die Haare aus dem Gesicht, es riecht nach Sonne und Salz. Das Gefühl maximaler Freiheit durchströmt mich.
Vor mir das Meer – genau dies ist nach dem »Rrrrrraaack« mein zweiter Schlüsselmoment des Loslassens und der Regeneration. Es ist ein großes Aufatmen – das geht mir auch heute noch so. Alle Sehnsüchte sind erfüllt. Und doch bedeutet dieser erste Blick aufs Meer nicht etwa, dass ein Ziel erreicht worden wäre. Ganz im Gegenteil. Als Kind bedeutete das Ankommen am Meer, dass die Ferien begannen. Daran hat sich nichts geändert.
Wenn das Meer in den Blick kommt, geht es erst so richtig los.
Treffpunkt der Weltumsegler
Also wirf die Leinen los und segle fort aus dem sicheren Hafen.Fang den Passatwind in deinen Segeln. Forsche! Träume! Entdecke!
Mark Twain
Ich stehe am Fenster meines kleinen Hotelzimmers, draußen ist es noch stockdunkel und nur ein paar Straßenlampen schicken ihren gelben Schein in die Schwärze. Gestern am späten Nachmittag sind wir auf dem internationalen Flughafen der Hauptinsel der Azoren, der Ilha do São Miguel, angekommen und gleich per Propellermaschine ein paar hundert Kilometer weiter auf eine der kleineren Inseln geflogen. Insgesamt neun winzige Fleckchen vulkanischen Gesteins trotzen mitten im wilden Atlantik den Wellen. Unsere erste Station war laut Drehplan die Insel Faial, gleich neben der Ilha do Pico, die ihren Namen dem riesigen Vulkan Ponta do Pico verdankt. Beim Landeanflug auf Faial waren die beiden Inseln unter einer dichten Wolkendecke versteckt, nur der Vulkankrater ragte aus den Wattebäuschen heraus. Ganz nah flogen wir an ihm vorbei, was für ein erhabener Anblick! Kann man sich eine verlockendere Einladung vorstellen, hinter den Wolkenvorhang zu schauen und die Azoren zu entdecken? Meine Vorfreude auf die kommenden Tage war kaum noch auszuhalten, denn diese Inseln sind für mich völliges Neuland. Dass sie über tausend Kilometer von ihrem Mutterland Portugal entfernt liegen, auf halber Strecke zwischen Europa und Amerika, musste ich erst mal auf einer Karte nachschauen. Auch die klimatischen Verhältnisse ließen sich schnell recherchieren: ein wenig wie in Schottland und Irland, regenreich, nur viel wärmer. Das berühmte Azorenhoch schickt stabile Wetterlagen mit viel Sonnenschein nach Europa, doch auf den Inseln selbst geht es wechselhaft zu, das ganze Jahr über herrscht sozusagen warmes Aprilwetter. So vielfältig wie das Wetter sind auch die Inseln: Verwunschene Nebelwälder und unsagbar grüne Gegenden mit üppigster Vegetation wechseln sich ab mit schroffen Steilklippen und unwirtlichen Lavafeldern.
Die Ankunft in Horta, dem Hauptort von Faial, war allerdings ein kleiner Dämpfer. Es war schon spät geworden, und auf der Fahrt vom Flughafen zu unserer Unterkunft habe ich nicht viel sehen können. Und dann dieses Hotel … naja. Preiswert, sauber, mit freundlichem Personal und günstig gelegen für die Entdeckungstouren des Wunderschön!-Teams. Es hat sogar einen gewissen Charme, aber es ist leider auch ziemlich austauschbar. Hotels wie dieses sind überall auf der Welt anzutreffen, das Einchecken hätte genauso gut in Bukarest oder Kopenhagen stattfinden können. Nichts wies darauf hin, dass wir uns auf einer einzigartigen Inselgruppe weitab von allen Festlandküsten befinden. Müde von der langen Anreise bin ich erst mal in tiefen Schlaf gefallen. Doch jetzt bin ich hellwach. Schlauer wäre es, wenn ich mich noch mal hinlegen würde, um für die kommenden Drehtage fit zu sein. Doch mich hat die Neugier gepackt. Was wartet dort draußen auf mich? Also raus aus dem Zimmer, mal schauen, was es um das Hotel herum zu erkunden gibt. Im Speiseraum ist noch alles verwaist, nur aus der Küche sind Stimmen und das Klappern von Messern auf Schneidebrettern zu hören. Dankbar sehe ich, dass auf dem langen Tisch, auf dem später das Frühstücksbüfett angerichtet sein wird, die Kaffeemaschine schon aufgeheizt ist und Tassen zur Selbstbedienung bereitstehen. Und schon schließe ich unser Hotel viel mehr ins Herz als zuvor. Denn die zur Schlafenszeit vor sich hin blubbernde Kaffeemaschine zeigt, dass das Hotelmanagement auch an jene Menschen denkt, deren Schlafrhythmus aus dem Rahmen fällt. Für mich ist diese Fürsorge ein Zeichen echter Gastlichkeit.
Ich lasse Kaffee in eine der weißen, stapelbaren Kaffeetassen laufen und allein schon das leise Schnorcheln des heißen Wassers stärkt mich für den Tag. Mit der Tasse in der Hand trete ich vor das Hotel und atme erst einmal tief ein. Es ist ganz mild; obwohl der Herbst vor der Tür steht und es kurz vor Sonnenaufgang ja am kältesten ist, reichen mir mein T-Shirt und meine leichte Hose. Diese Luft! Eine feuchte, meeresschwangere Brise mit leichter Hafenwasser- und Dieselnote zieht an mir vorbei. Ein kleiner Weg führt mich zu einer Mauer, von der aus sich der Blick über den Hafen von Madalena öffnet. Ich stelle die Tasse bequem vor mir ab und nehme mit allen Sinnen die Umgebung in mir auf. Die Stadt liegt noch im Schlaf, nur ein paar Jogger traben hinter mir im Dunklen vorbei und unten am Hafenbecken zieht jemand ein quietschendes Wägelchen die Straße entlang. Zur Geräuschkulisse gehört das unverwechselbare Scheppern der Stahlseile, die unentwegt an die Aluminiummasten der im Hafen schaukelnden Boote schlagen – klong, klong, klong, klong. Weiter hinten, am Ende des Kais, ertönt ein noch lauteres Klonkern. Ah, da hämmert schon jemand an seinem Boot herum. Unmerklich ist aus tiefschwarzer Nacht ein verheißungsvolles Morgengrauen geworden. Die Vögel werden lauter, jenseits des Hafens schält sich die majestätische Silhouette des Pico aus dem Grau. Genau hinter dem Vulkan, der den Horizont beherrscht, geht jetzt die Sonne auf und schickt ihre Strahlen über den Himmel. Was für ein Anblick! Es ist ein reiner Glücksmoment. Aus dem »Naja« des gestrigen Abends ist ein großes »Ja!« geworden. Was für ein vielversprechender Start in den Tag ist so ein Sonnenaufgang! Der etwas plörrige Kaffee tut das seine dazu, Schluck für Schluck ein Stück Aufbruch. Den trinkt man schließlich nicht zum Runterkommen, sondern als Initialzündung, bevor es losgeht. Auf einmal – wumm – kommt der Feuerball der Sonne hinter dem Pico hervor und taucht in Sekundenschnelle alles in gleißendes, warmes Licht. In diesem goldenen Morgenmoment entsteht eine ganz neue Stimmung , das Leben beschleunigt sich, nimmt Fahrt auf. Mit strahlend blauem Himmel zeigen sich die Azoren von ihrer schönsten Seite. Alles scheint eine einzige Aufforderung an mich zu sein: »Los! Auf geht’s!« Diese gute halbe Stunde ganz allein für mich habe ich gebraucht, um richtig anzukommen. Jetzt kann ich es gar nicht mehr erwarten, diese in einer endlosen Weite versteckten Inseln kennenzulernen. Ich halte noch einen Moment lang mein Gesicht in die Sonne, genieße die Wärme, dann nehme ich mit dem Handy ein Bild für meine Familie auf, die zu Hause im Schwarzwald im Regen sitzt. Ich weiß, es ist ein bisschen grausam, aber ich schicke es trotzdem los.
***
Nachdem die vorausgereisten Kollegen vom »Motivdreh« gestern die Maskenbildnerin, den zweiten Kameramann und mich unter großem Hallo empfangen haben, ist das Wunderschön!-Team nun komplett. Jetzt ist der »Moderationsdreh« dran, die Stationen stehen schon seit Wochen weitgehend fest, doch wird das Wetter mitspielen? Nach dem sonnigen Morgen hat sich der Himmel schnell zugezogen. Wir haben Glück: Es regnet zwar immer wieder, aber zwischendurch scheint die Sonne und der durch Wind und Regen blankgefegte Himmel bietet uns großartiges Licht und die schönsten Ausblicke. Später im Film ist die Reihenfolge eine andere, doch unser Besuch auf der Ilha do Pico findet in den ersten Tagen unserer Tour statt. Wir wandern durch Nieselregen und Nebelschwaden am Fuße des riesigen Vulkans entlang, nur manchmal erhaschen wir einen Blick auf seine Hänge, der Gipfel bleibt wolkenverhangen. Mit über 2.300 Metern ist der Pico nicht nur der höchste Berg der Azoren, sondern auch des Mutterlandes Portugal. Wie ein König residiert er im Zentrum der Insel, über die etwa zweihundert weitere, deutlich kleinere Vulkane als Fußvolk verstreut sind. Wie gut, dass der Pico schon lange kein Feuer mehr gespuckt hat! Das letzte Mal ist er im Jahr 1720 ausgebrochen. Ich finde das sehr beruhigend.
Die Hochebene, aus der heraus sich der Pico erhebt, erinnert mich an die schottischen Highlands. Alles hier ist wasserdurchzogen, auf Schritt und Tritt tröpfelt und plätschert es. Die Kollegen hatten noch gelacht, weil ich drei Jacken übereinander angezogen habe, plus extra Wärmeunterwäsche. Aber hier oben ist es zwischendurch wirklich ganz schön fröstelig. Die Geräusche sind gedämpft, nur mein Atmen kommt mir unnatürlich laut vor. Wir laufen wie durch Watte, manchmal können wir nur zehn Schritte weit sehen. Was für eine magische, verwunschene Stimmung! Es ist, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt. Vorsichtig tasten wir uns an halbwilden Kuhherden vorbei, die im Nebel herumstromern, und passieren kleine Gruppen von Sträuchern und Bäumchen, die sich vor dem ewigen Wind wegducken. Tanja Hausmann, die aus Deutschland stammt und auf den Azoren lebt, weiht uns in die Geheimnisse der hiesigen Pflanzenwelt ein. Da ist zum Beispiel eine Heidelbeerart, die es nirgendwo anders auf der Welt gibt. Bei uns in Deutschland kennen wir die Heidelbeere als kniehohen Strauch, hier auf der Insel wird sie zweieinhalb Meter groß! Ähnlich ist es mit der Baumheide, die auf der Hochebene der Ilha do Pico als knorziger Baum wächst und doch ganz nah mit der Erika aus unseren Gartencentern verwandt ist. Auf den Azoren gelten eben ganz eigene Maßstäbe.
Dann führt uns Tanja zu einem stillen See. Genau in diesem Moment reißt der Himmel auf, sodass wir ihn in seiner vollen Schönheit genießen können. Wir erahnen jetzt sogar die Umrisse des hinter Wolken versteckten Pico. Er muss sich gar nicht in voller Größe zeigen, wir erkennen auch so voller Respekt an, dass er die Insel beherrscht. Die ruhige Atmosphäre des kleinen Sees lädt ein, die Gedanken wandern zu lassen. Wie merkwürdig ist es, hier am Ufer dieses kleinen Süßwassersees zu sitzen, der seinen Platz im Zentrum einer kargen Vulkaninsel behauptet, die wiederum mitten in einem temperamentvollen, von Horizont zu Horizont reichenden Ozean liegt. Diese Vorstellung von konzentrischen Kreisen, die sich berühren und miteinander existieren, hat für mich eine große Kraft. Die Drohnenkamera macht dieses Ineinandergreifen der Sphären auch für den Zuschauer sichtbar. Langsam steigt sie hoch, zuerst sieht man Tanja und mich am Seeufer sitzen, dann kommen die umliegenden Wiesen und niedrigen Bäume ins Bild, der Blick weitet sich immer mehr, dann kommt das Meer in Sicht. Herrlich!
Gesteuert wird die Drohne vom Autor der Sendung Richard Hofer. Er hat einige Zeit zuvor das Thema »Azoren« vor Ort recherchiert und gemeinsam mit der Redakteurin die Stationen unserer Reise zusammengestellt. Nun ist er beim Dreh dabei, nicht nur als Autor, sondern auch als Drohnenpilot. Denn so wie in vielen anderen Berufen wird es auch für die Mitarbeiter der Fernsehredaktionen immer wichtiger, möglichst viele Fähigkeiten zu beherrschen. Wir sind alle Spezialisten auf unserem Gebiet, und gleichzeitig können und sollen wir sehr flexibel weitere Aufgaben übernehmen. Von mir wird zum Beispiel erwartet, dass ich auf allen möglichen Social-Media-Kanälen präsent bin. Auch landen einige Szenen, die ich mit meinem Handy filme, in den späteren Sendungen. Die sind zwar weder vom Bildaufbau noch von der Bildqualität her zu vergleichen mit den Aufnahmen, die ausgebildete Kameramänner und -frauen machen; dafür sind die Zuschauer ganz nah mit dabei, wenn sich die schnaufende und schwitzende Tamina durchs Unterholz arbeitet oder sich am Kraterrand kaum im Wind halten kann. Früher hätte kein Sender einem Drehteam Bilder durchgehen lassen, die nicht handwerklich perfekt waren, doch die sozialen Medien haben die Sehgewohnheiten komplett verändert. Heute sind spontane Aufnahmen, bei denen es knackt und wackelt, eine willkommene Ergänzung für die mit viel Sorgfalt und dem Fachwissen von gelernten Kameramännern und -frauen entstandenen Filmsequenzen, die großes Kino bieten.
Unser Autor hat sich eine Profi-Drohne zugelegt und sich das Steuern und Filmen selbst beigebracht. Gar nicht so einfach! Noch vor ein paar Jahren wurden ausschließlich externe Drohnen-Profis angeheuert. Bis heute ist es ein teurer Spaß, wenn sie für einen halben oder sogar mehrere Drehtage zum Team stoßen, An- und Abreise müssen auch bezahlt werden. Außerdem sind es oft gleich zwei zusätzliche Operatoren, die den Zuschauern Bilder aus der Vogelperspektive bieten. Der eine übernimmt die Bildregie und steuert mit Blick auf den Monitor die Drohne so, dass sie den perfekten Bildausschnitt einfängt. Der andere behält die Drohne im Auge und passt höllisch darauf auf, dass der Funkkontakt nicht verlorengeht. Denn wenn sich die Drohne zu weit entfernt, kann man noch so verzweifelt den Back-Home-Button drücken, die fliegende Kamera entschwindet auf Nimmerwiedersehen. Genau das ist unserem Autor passiert. Ein paar Tage zuvor ist er abends noch mal allein losgezogen, um am See schönste Stimmungsbilder einzufangen. Ganz versunken in seinen Monitor hatte er seine teure Drohne hochgezogen – und weg war sie … Die Bilder waren zwar noch auf sein Handy überspielt worden, doch die Qualität war zu schlecht, um sie verwenden zu können. Nun hat er eine Ersatz-Drohne dabei und macht erneut den Flug über den See, dieses Mal etwas vorsichtiger. Nachdem die Aufnahmen mit Tanja und mir fertig sind, laufen wir noch zu der Stelle, wo die verlorene Drohne ungefähr niedergegangen sein muss, doch die bleibt verschwunden. Sollte also jemand auf der Ilha do Pico Urlaub machen und in der Nähe des kleinen Sees am Fuße des Vulkans eine teure Kameradrohne finden, weiß ich jemanden, der sich über eine Nachricht freut.
***
Auf São Miguel, der größten Azoren-Insel, ist die Vegetation viel verschwenderischer als auf der Hochebene der Ilha do Pico. Wir sehen XXL-Moospolster und riesige Baumfarne, manche Bäume sind so gigantisch, dass wir kaum über ihre Wurzeln klettern können. Es ist wie ein Spaziergang mitten hinein in die Erdgeschichte, man würde sich nicht wundern, wenn plötzlich ein Dinosaurier um die Ecke käme. Wir wollen aber auch etwas Stadtluft schnuppern, und da kommt Ponta Delgada, der Hauptort von São Miguel, gerade recht. Hier fühle ich mich nicht in eine längst vergangeneZeit versetzt, sondern an einen weit entferntenOrt: Die Architektur der Häuser, der große, zum Meer hin offene Platz, an den sich die Altstadt mit ihren schmalen Gassen anschließt, die kleinen, schattigen Parks … das ist ja wie in Lissabon! Es ist alles ein wenig kleiner, dafür fühlt es sich authentischer an. Ob das an dem fehlenden Touristenansturm liegt? So einen Flashback habe ich bisher erst einmal erlebt, das war auf den Liparischen Inseln, der Inselgruppe nördlich von Sizilien. Dort geht es »italienischer« zu als auf dem Festland selbst.
Vor allem die zu unfassbar schönen Mosaiken gelegten Pflastersteine, die sich durch die ganze Stadt ziehen, lassen mein Herz höher schlagen. Es ist gar nicht vorgesehen, dass wir in dem Wunderschön!-Film so ausführlich auf die Kunst des Calçada portuguesa eingehen, aber meine Begeisterung für die aus dunkelgrauem Basalt und hellem Kalkstein gelegten geometrischen Muster, Blumen und Meerjungfrauen ist auf das Team übergesprungen. Und als ich dann in einem Straßencafé den für Portugal typischen Galão, einen speziellen Milchkaffee, trinken darf, ist mein Glück perfekt. Galão – allein schon dieses wunderbar weiche, vokalreiche Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Das gilt auch für den Begriff, der das portugiesische Lebensgefühl so unvergleichlich ausdrückt: Saudade. Am besten lässt es sich mit »schmerzender Sehnsucht« übersetzen. Ich verbinde Saudade mit dem Gefühl, zurückbleiben zu müssen, auch wenn man aufbrechen möchte.
Nun zu einer weiteren Insel, die das Drehteam besuchte: die Ilha do Faial. Wegen ihrer Hortensienhecken wird sie auch »Ilha Azul«, die blaue Insel, genannt. Die azorischen Hortensien haben nicht viel mit den kleinen, bei uns angebotenen Pflänzchen gemein, von denen man oft vergeblich hofft, dass sie den Winter auf der Fensterbank überleben. Auf Faial säumen ganze Hortensienhecken, nein, Hortensien-Berge die schmalen Sträßchen. Als wir mit dem Auto losfuhren, rief ich immer wieder: »Halt! Stopp! Schaut doch mal! Lasst uns doch aussteigen und diese Wahnsinns-Hortensien filmen!« Aber die Kollegen, die schon einige Tage zuvor erste Filmaufnahmen gemacht hatten und sich bereits auskannten, winkten jedes Mal ab. »Lass mal, Tamina. Weiter hinten kommen noch viel schönere und größere.« Ich konnte es kaum glauben, aber so war es. Nach ein paar Tagen hatte ich mich an den Anblick übermannshoher Hortensienwände in prächtigster Blüte gewöhnt. Schade eigentlich!
Die blauen Blütenbälle täuschen leicht darüber hinweg, dass Faial die vulkanisch aktivste Insel der Azoren ist. Die riesige Caldera in der Mitte der Insel ist der Überrest eines längst erloschenen und von Vegetation überzogenen Vulkans. Doch überall unter der Insel brodelt es. 1958 und 1959 spuckte ein Vulkan im Westen von São Miguel so viel Lava, dass eine neue Halbinsel entstand. Ein Teil dieser Mondlandschaft ist zwar schon wieder vom Meer abgetragen worden, doch der Leuchtturm Farol da Ponta dos Capelinhos steht heute nicht mehr am äußersten Ende einer Landspitze, sondern schaut auf weite Lavafelder. Was für ein kraftvoller Ort! Man muss nicht gleich ins Esoterische abgleiten, um das zu spüren.
***
Der Hauptort Faials heißt Horta. Es ist nur ein kleines Städtchen, doch sein Yachthafen ist ein Drehkreuz für Segler aus aller Welt. Fast alle Weltumsegler legen hier einen Zwischenstopp ein, flicken ihre Sachen und füllen Proviant für die nächste Etappe auf. Wer hier ankommt, hat einiges hinter sich – über tausend Kilometer auf hoher See legt man nicht nur mit Schönwettersegeln zurück. Überstandene Stürme und andere Strapazen müssen erst einmal verdaut werden.
Ich bin keine passionierte Seglerin, trotzdem ist auch für mich das Segeln der Inbegriff von Freiheit und Wagnis. Denn als ich noch in die Schule ging, sangen wir jedes Jahr in der letzten Schulstunde vor den Sommerferien ein ganz bestimmtes Lied:
Dort bläht ein Schiff die Segel,
frisch saust dahin der Wind!
Der Anker wird gelichtet,
das Steuer flugs gerichtet,
nun fliegt’s hinaus geschwind.
Das ganze Schuljahr über fieberten wir dem Moment entgegen, in dem wir dieses Lied gemeinsam in der großen Aula anstimmten, denn dann trennten uns nur noch wenige Minuten von den großen Ferien. Gleich würden wir mit großem Hurrageschrei aus den Türen rennen, sechs Wochen Freiheit vor uns. Das war Aufbruchstimmung pur! Leinen los! Genau diese Lust am Loslassen, dieses Luftholen vor dem Sprung ins Ungewisse begegnete mir im Hafen von Horta. Die Erleichterung, es bis hierher geschafft zu haben, und die Hoffnung, dass die Reise günstig weitergeht, haben dort ein ganz besonderes Ventil gefunden: Seit vielen Jahren verewigen die Durchzügler an der legendären Kaimauer des Hafens mit Farbe und Pinsel ein Symbol ihrer Reise. Manchmal stehen auf der liebevoll bemalten, jeweils handtuchgroßen Fläche nur ein Schiffsname oder ein paar Koordinaten, deren Bedeutung nur Eingeweihte kennen. In anderen Bildern steckt mehr Romantik: zwei Menschen, die vor auf- oder untergehender Sonne Händchen halten, Schiffe, Tauben, Möwen, Seejungfrauen und viele Symbole mehr für Freiheit, Liebe und Zusammengehörigkeit findet man hier. Auf der gut zweihundert Meter langen Kaimauer von Bild zu Bild zu laufen, entwickelt eine Sogwirkung, denn hinter jedem steckt eine einzigartige Geschichte mit Höhen und Tiefen, das lässt auch den hartgesottensten Seemann nicht kalt. Unter Seglern heißt es, dass diejenigen, die dieses Ritual auslassen, auf der Weiterfahrt Schwierigkeiten bekommen – ein kaputter Radar, ein gebrochener Mast … Auch wer nicht daran glaubt, hinterlässt eine Erinnerung auf dem Beton, man kann ja nie wissen.
Eine der Darstellungen springt mir geradezu entgegen, da hat jemand sinngemäß geschrieben: »Der Mensch kann nicht zu neuen Ufern aufbrechen, wenn er nicht den Mut aufbringt, die alten zu verlassen.« Ja, genau!, denke ich. Wo sonst gäbe es einen besseren Platz für diesen Spruch als hier im Segelhafen von Horta? Viele Menschen spüren eine tiefe Sehnsucht, sich auf den Weg zu machen, um sich selbst und die Welt zu erfahren. Aber nur wenige setzen den Wunsch in die Realität um, denn für so eine Pilgerreise muss man sein gesamtes Leben umkrempeln, das geht nicht mal eben in einem Zwei-Wochen-Urlaub. Die Zeit muss man sich mit Mut und Energie freischaufeln, erkämpfen. Nur wer es ernst meint, bringt die Kraft auf, sich aus dem Alltag zu lösen und die Reise seines Lebens zu machen, die einen verändert und wachsen lässt.
Ein Extremfall, bei dem ich mitgefiebert und -gelitten habe, war die Solo-Regatta Vendée Globe, das härteste Segelrennen der Welt. 2021 war mit Boris Herrmann zum ersten Mal ein deutscher Teilnehmer dabei. Im Zweierteam hatte er schon einmal im Segelboot die Welt umrundet, nun wollte er diese Herausforderung allein und nonstop meistern. Die Vorbereitungen dauerten Jahre. Meine Familie und ich verfolgten seinen Weg um die Welt. Die Fragen meiner Kinder zeigten, wie sehr sie dieses elementare Thema beschäftigte: »Warum wird der nicht vom Boot gespült?« und: »Hat der denn kein Heimweh?«
Kurz vor Beginn des Rennens hatte Herrmann etwas über die Möglichkeit eines Scheiterns gesagt: »Es kann sein, dass ich in der dritten Nacht vor der spanischen Küste gegen ein Fischerboot fahre.« Die Vorstellung, dass er mit kaputtem Bug den nächsten Hafen anfahren müsste und die Regatta für ihn dann wegen der strengen Regeln zu Ende wäre, war für ihn der totale Horror: »Das mag man sich nicht so gerne vorstellen. Das find ich schwierig, damit umzugehen.« Und dann passierte ihm genau das: Er kollidierte mit einem spanischen Fischkutter. Nur passierte das nicht drei Tage nach dem Start, sondern nach 80 Tagen voller Strapazen, nach einer ganzen Erdumrundung knapp 160 Kilometer vor dem Ziel. Nach dem Zusammenstoß konnte er das beschädigte Boot nur mit großer Zeitverzögerung in den Zielhafen steuern, seine Aussicht auf einen Platz auf dem Siegerpodest war dahin. War das nicht unendlich grausamer, als gleich nach dem Start aus dem Rennen zu scheiden? Im Hochleistungssport kommt man ohne Ehrgeiz und Siegeswillen nicht weit, und doch konnte Boris Herrmann am Ende sagen: Es ist in Ordnung so, ich bin mit mir im Reinen. Was er sich vor seiner Extremreise als maximales Unglück vorgestellt hatte, hatte seinen Schrecken verloren. Ob er diese Seelenruhe auch schon gehabt hätte, wenn der Unfall gleich am Anfang passiert wäre?
Durch das Reisen kommen Entwicklung und Tiefe ins Leben – es muss ja nicht gleich eine Weltumseglung sein. Es kommt auf die Bereitschaft an, das gewohnte Umfeld zu verlassen und auf neue Ufer neugierig zu sein. Ich denke oft an den Spruch von der Kaimauer in Horta, vor allem dann, wenn wieder einmal ein Aufbruch bevorsteht oder etwas Neues, Unbekanntes auf mich einprasselt, was mich aus meiner Komfortzone reißt.
***
Drei Azoren-Inseln in zehn Tagen – das war echt anspruchsvoll! Auch wenn im Film alles so leicht und locker aussieht, war das Drehen für alle im Team harte Arbeit. Ohne Pause so zu leben, wäre mir viel zu anstrengend. Alles hat seine Zeit. Manchmal ist es eine willkommene Abwechslung, sich in etwas Neues hineinzustürzen. Und manchmal darf es auch gerne etwas gemütlicher sein. Ich finde es sehr gesund, auch mal zu sagen: »Bitte nicht schon wieder eine komplett neue Welt!« Der Gegenentwurf zu meinen beruflichen Reisen ist der Urlaub mit meiner Familie. Es sind meist nur kleine Zeitfenster, in denen die Kinder Schulferien haben, mein Mann Nik sich frei nehmen kann und ich nicht beruflich unterwegs bin. Dann ziehen wir uns gerne zurück in ein kleines Häuschen auf der Schweizer Seite des Bodensees. Da ist keine Rede von »neuen Ufern« und »Aufbruch«. Ganz im Gegenteil! Wir wissen genau, was uns in unserem Nestchen erwartet: raschelndes Schilf, träge schwappende Wellen und gelegentliche Ausflüge ins Dorf, wo wir uns auf die immer gleichen Nuss-Stengeli und Fischknusperli freuen. Alles was wir brauchen, ist da, aber auch nicht mehr. Für das originale Urlaubsgefühl sorgen auch die Ovomaltine für die Kinder und der Instantkaffee für die Großen, bei uns zu Hause in Freiburg gibt es beides nicht. Wir könnten die kleine Kaffeemaschine anwerfen, aber das wäre viel zu kompliziert! Hier am Bodensee soll alles so einfach sein wie möglich, da ist es schon zu viel, den Wasserbehälter einer Kaffeemaschine aufzufüllen. Alles ist friedlich und in sich stimmig, völlig unaufgeregt.
Und doch bewegt sich auch in diesen Verschnaufpausen etwas, das merkt man aber nur im Zeitraffer: Die Kinder werden größer, Interessen verändern sich, das Blickfeld weitet sich. Irgendwann mussten wir keine Windeln mehr ins Auto packen, dafür Kinderbücher zum Selberlesen. Neulich gab es wieder einmal so eine Premiere. Freunde machten auf der deutschen Seite des Sees Urlaub, wir hatten große Lust uns zu treffen. Aber wie? Mit dem Auto um den halben See zu fahren, hätte Stunden gedauert. Da fiel uns ein, dass es ja eine Fähre gibt, die zwischen Schweizer und deutschem Ufer pendelt. Jahrelang haben wir sie im nahegelegenen Hafen ein- und auslaufen sehen, doch unser Bewegungsradius war so klein, dass wir gar nicht auf die Idee gekommen waren, sie zu nutzen. Und nun standen wir zu viert am langen Steg und das kleine, weiße Schiffchen mit unseren Freunden an Bord stampfte auf uns zu. Was für ein idyllisches Bild! Kann man Gäste schöner willkommen heißen als winkend am Hafen und mit einem Wiesenblumensträußchen in der Hand? Gemeinsam verbrachten wir einen entspannten Tag an und auf dem Wasser, das war ein echtes Highlight. Beim nächsten Mal werden wir selbst mal die Fähre ausprobieren und die deutsche Seite des Sees erkunden. Was für eine willkommene Erweiterung der Möglichkeiten!
Nach herausfordernden Reisen, die einen aus der Komfortzone herausholen und mit Eindrücken überschwemmen, tut es gut, sich in einem Hafen zu erholen. Auch bei anderen Themen kommt es darauf an, dass das Leben keine Schlagseite bekommt. Sind die für die Familie und für die Arbeit bereitgestellten Kräfte ausgewogen verteilt? Gibt es neben dem Für-die-anderen-da-sein auch genug Für-sich-selbst-da-sein? Solche Fragen macht man nicht allein mit sich selbst aus, es sind immer auch die Interessen und Bedürfnisse anderer Menschen beteiligt. Das gilt ebenso für die Balance zwischen »Jetzt oder nie!« und »Auf Nummer sicher gehen«, die an jedem Drehtag aufs Neue ausgehandelt werden muss – so wie beim Weinfest auf den Azoren.
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Auf der Ilha do Pico herrscht ein perfektes Mikroklima für den Weinanbau, der Lavaboden ist sehr fruchtbar, kleine Mäuerchen aus Lavabrocken halten den Wind ab und speichern die Wärme. Tanja, unsere Führerin auf dieser Insel, hatte eine Weinverkostung mit einem der wichtigsten Winzer der Insel organisiert. Wir hatten erwartet, dass wir uns durch ein paar Weine probieren würden, aber es wurde ein richtiges Fest. Denn Tanja hatte auch ihre Freunde eingeladen, und die hatten für alles gesorgt, was es für ein zünftiges Grillen braucht. Es wurde ge