Und führe uns in der Versuchung - Franz-Josef Bode - E-Book

Und führe uns in der Versuchung E-Book

Franz-Josef Bode

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Beschreibung

Die sieben großen Versuchungen, denen jeder Mensch früher oder später begegnet, zeigen Beharrungsvermögen, auch wenn die Erscheinungsformen sich mit der Zeit geändert haben. Der innere Schweinehund ist heute nicht weniger träge als früher. Ihn zu überwinden, macht das Leben menschlicher - für einen selbst und für die - Zeitgenossen. Franz-Josef Bode nimmt die Leser mit auf eine nachdenkliche Tour mit geistlichen Impulsen für ein befreiteres Leben.

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Seitenzahl: 91

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Franz-Josef Bode

Und führe uns in der Versuchung

Vom Umgang mit den eigenen Abgründen

Impressum

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Schriftzitate: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift

© 1980Katholische Bibelanstalt Stuttgart

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller

ISBN (E-Book): 978-3-451-33928-8

ISBN (Buch): 978-3-451-33331-6

Inhaltsübersicht

Ein Wort vorweg

Einleitung

1. Superbia: Überheblichkeit und Stolz

2. Avaritia: Habgier und Geiz

3. Luxuria: Wollust und Unkeuschheit

4. Invidia: Missgunst, Neid und Eifersucht

5. Gula: Unmäßigkeit und Völlerei

6. Ira: Zorn und Hass

7. Acedia: Trägheit und Unlust

Epilog - Das Gegenmittel: österlich leben

Anmerkungen

Ein Wort vorweg

»Lasst euch vom Geist leiten«, schreibt der Apostel Paulus (Gal 5,16). »Wir glauben an den guten Geist, der den rechten Pfad uns weist«, so ein Kirchenlied. Wir wissen bei all den Unsicherheiten unseres Lebens, wie sehr wir die Kraft des Heiligen Geistes brauchen zur Aufrichtung, zur Orientierung und zur Ermutigung. Und wie sehr wir mit den Augen des Geistes auch unsere Schattenseiten und unsere Dunkelheiten anschauen müssen, wenn wir weiterkommen wollen. Wer darüber nicht hinwegschaut, wer ehrlich mit sich selbst umgeht, kann einen Weg nach vorn finden. Vertrauen wir uns dem Geist an, mit unseren Schwächen, aber auch mit unseren Stärken in der rechten Weise umzugehen.

Einleitung

Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! Wenn ihr einander beißt und verschlingt, dann gebt acht, dass ihr euch nicht gegenseitig umbringt. Darum sage ich: Lasst euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so dass ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt. Wenn ihr euch aber vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.

Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Trink- und Essgelage und Ähnliches mehr. Ich wiederhole, was ich euch schon früher gesagt habe: Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung; dem allem widerspricht das Gesetz nicht. Alle, die zu Christus Jesus gehören, haben das Fleisch und damit ihre Leidenschaften und Begierden gekreuzigt. Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen.

Gal 5,13–25

Das Freiburger Münster ist weltbekannt wegen seines grandiosen gotischen Turms. Wer ihn besteigt, kann in luftiger Höhe sieben interessante, in Stein gehauene Wesen entdecken: ein fressgieriges Schwein; ein Wesen, halb Mensch, halb Löwe; eine nackte Frau; einen dümmlich lächelnden Ritter; einen Mann mit fettem Gesicht und einem Beutel Geld und noch andere. Was diese seltsame Gesellschaft darstellt, das merkten sich die mittelalterlichen Schüler mit dem Wort SALIGIA.Es ist zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben von sieben lateinischen Wörtern:

Superbia: Überheblichkeit und Stolz

Avaritia: Habgier und Geiz

Luxuria: Wollust und Unkeuschheit

Invidia: Missgunst, Neid und Eifersucht

Gula: Unmäßigkeit und Völlerei

Ira: Zorn und Hass

Acedia: Trägheit und Unlust

Eine findige Lebensmittelfirma unserer Tage hatte vor einigen Jahren sieben verführerische Eissorten entwickelt, die genau so bezeichnet waren, z.B. »Neid«, »Rache«, »Wollust« oder »Habgier«. Mit Erfolg. Offensichtlich sprechen diese Begriffe Grundversuchungen des Menschen an. Dabei verharmlosen die Eissorten, was vom mittelalterlichen Menschen sehr ernst genommen wurde. Er wusste, wie selbst- und fremdzerstörerisch diese Eigenschaften und Haltungen sein können. Für jeden, der das Leben und die menschliche Realität kennt, sollte das heute nicht anders sein.

Wer ehrlich zu sich selbst ist und die Menschen mit unverstelltem Blick anschaut, wird nicht umhin können, auch Schattenseiten wahrzunehmen. Von ihren ersten Seiten an beschreibt die Bibel nicht nur die Zuwendung Gottes zu den Menschen, nicht nur seine überströmende Liebe, aus der er sich den freien Menschen als Dialogpartner erschafft, als sein Ebenbild und Abbild – also die Heilsgeschichte. Auch von der Unheilsgeschichte, von der Versuchung des Menschen wird gesprochen, von seinem Verlangen, selbst wie Gott zu sein, und vom Missbrauch der Freiheit, die Gott ihm geschenkt hat. Was die Schlange am Baum des Paradieses darstellt, ist nichts anderes, als dass es den freien, von Gott geschaffenen Menschen von Anfang an wurmt, nicht selbst der Schöpfer und Macher der Welt und des Lebens zu sein. Diese Kernversuchung, nur das eigene Ich zum Mittelpunkt der Welt zu machen, nur sich selbst zu leben, entfaltet sich in sieben Grundhaltungen des von Gott abgewandten und Gott sich widersetzenden Menschen. Die Tradition nennt sie die sieben Wurzelsünden oder Hauptsünden. Bei Cassian (geboren um 360) finden wir sie schon zusammengestellt, auch bei Gregor dem Großen (geboren um 540) und bei Thomas von Aquin (geboren um 1225).

Es mag viele andere mehr oder weniger schwere Unzulänglichkeiten, Fehler, Sünden und Schuldigkeiten geben, unter denen wir im Miteinander oft leiden. Und es ist wichtig, gegen sie anzukämpfen. Aber wir kurieren letztlich nur an Symptomen und werden im Innersten nicht gesund, wenn wir die Wurzeln des Bösen in uns nicht entdecken, denen unsere alltäglichen größeren und kleineren Schulderfahrungen entspringen. In der Tradition ist dieses Böse oft dargestellt wie ein Baum mit sieben starken Ästen, aus denen viele Früchte des Unheils herauswachsen.

Wurzelbehandlung tut not. Beim Zahnarzt ist sie unangenehm, aber unumgänglich für eine dauerhafte Besserung. Wurzelbehandlung heißt hier, die Wurzeln unserer Sünden und Fehler, des misslingenden Teils unseres Lebens freizulegen und zu kappen, damit sie uns nicht weiter Licht, Luft und Wasser nehmen. Sodann gilt es, den Grund unseres Glaubens neu zu entdecken und diejenigen Wurzeln zu erkennen und zu pflegen, die uns halten und durch die wir leben, damit ›unser Baum‹ wieder ganz mit dem gesunden Wasser des Lebens, aus dem Glauben, der Hoffnung und der Liebe genährt werden kann.

1.Kapitel

Superbia: Überheblichkeit und Stolz

»WER SICH ALSO RÜHMEN WILL, DER RÜHME SICH DES HERRN«

Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat, zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung. Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn; so heißt es schon in der Schrift.

1Kor 1,27–31

Größer, weiter, schneller: Alle und alles streben heute nach Überbietungen des Alten und nach Superlativen, die noch nie da waren. Das führt zu einem Zwang, ständig im Vergleich mit anderen zu leben. Kann ich selbst wohl immer noch ein bisschen besser, ein bisschen stärker, ein bisschen weiter und höher sein? Wachstum ist auch das zentrale Stichwort der Wirtschaft. Wo ich es nicht erreiche, gedeihen Neid und Missgunst. Wo ich meine, es erreicht zu haben, führt das oft zu Hochmut und Stolz. Schließlich bin, kann und habe ich mehr als andere und kann auf sie herabschauen. Nicht von ungefähr sind die Tiere, die das Mittelalter mit dieser Eigenschaft verbindet, der Löwe, der immer der Stärkere sein will, der Adler, der immer höher hinaus will, oder der Pfau in seiner Eitelkeit.

Dabei geht es gar nicht so sehr um die äußere, auffällige Prahlerei oder das Protzgehabe, sondern um die tausend verborgenen und feinen Formen, den anderen spüren zu lassen, dass ich besser bin; ihn spüren zu lassen, dass er kleiner ist, dass er auf mich angewiesen ist, dass er mir doch dankbar sein muss, dass letztlich ohne mich nichts geht.

Diese Haltung steht an der ersten Stelle unserer Siebenerreihe, denn sie kommt der ersten, der Ur-Versuchung des Menschen am nächsten: sein zu wollen wie Gott. Nicht nur Abbild oder Ebenbild von ihm, sondern selbst der zu sein, der Gott und das Geschaffensein nicht mehr nötig hat, die Abhängigkeit vom Größeren. Ihm ist Gott eher eine Last, ein Konkurrent, ein Missgönner als der Halt, Freund und Orientierer des Lebens. Deshalb erscheinen ihm auch die anderen Menschen eher als Last, als Konkurrenten, als Störenfriede der eigenen Freiheit.

Dem entspricht der Wille, über andere verfügen zu wollen, sie kleinzuhalten und ihre Leistungen kleinzureden, ihre Fehler herauszustellen, um selbst umso besser dazustehen; die Schwächen der anderen auszunutzen, um selbst stärker zu sein oder zu erscheinen. Gerade Menschen mit hoher innerer Unsicherheit und mangelnder Identität brauchen oft die Superbia, das Super-sein-Wollen und Sich-super-Geben, um vor sich und anderen bestehen zu können.

Der Mensch, der die ›Religio‹, die Rück-bindung, verloren hat, verliert die Fähigkeit, sich selbst zu relativieren, sich zurückzunehmen, und macht letztlich sein eigenes Selbst, sein Ich zum Götzen. Auch der Humor, mit dem man sich selbst nicht so wichtig nimmt oder sich selbst auf die Schippe nehmen kann, ist ihm fremd, ja unerträglich.

Wer Gott nicht immer größer sein lassen kann, ihn nicht an der ersten Stelle ertragen kann, hält sich schnell selbst für den Größten – die Tyrannen der Weltgeschichte ebenso wie die kleinen Tyrannen des Alltags, die sich über andere erheben, weil sie ihre eigenen Grenzen nicht annehmen können. Dafür gibt es sehr verborgene, sehr subtile Formen. Selbst die Wohltätigkeit kann dazu gehören, die den anderen gefügig oder dankbar machen will, die ihn zu binden sucht für eigene Zwecke.

Freilich soll der Mensch darauf aus sein, aus seinen Talenten und Gaben möglichst viel zu machen (vgl. Mt 25,14–30) und nie mit sich und anderen, mit der Welt und erst recht nicht mit Gott einfach ›fertig‹ zu sein. Ein Mensch, der keine Ziele, kein ›weiter‹, kein ›höher‹, kein ›besser‹ in diesem Sinn mehr für sich kennt, ist nicht mehr wirklich lebendig. Aber bei der Superbia geht es um ein ›weiter‹, ›höher‹ und ›besser‹ auf Kosten anderer und nicht für andere. Letztlich geht es um ein ›weiter‹, ›höher‹ und ›besser‹ auf Kosten Gottes.

Die Urgeschichte dieser Überheblichkeit spielt in Babel. Die Menschen wollen in ihrer Vermessenheit einen Turm bauen, dessen Spitze den Himmel erreicht (Gen 11,1–9). Wenn Gott diesem Stolz durch die Sprachverwirrung ein Ende setzt, so mag das auf den ersten Blick wie ein Willkürakt anmuten, um die Menschen klein zu halten. Doch darum geht es nicht. Vielmehr bewahrt Gott die Menschheit durch sein Eingreifen davor, ihre eigenen Möglichkeiten, ihre Freiheit einzusetzen zur eigenen Selbstzerstörung und zur Zerstörung der Welt.