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In diesem Buch erfährt der Leser über die Möglichkeit, das heute fast unbekannte geistige Gebiet ohne das Unvollkommene, Böse und Täuschende zu erreichen. Der Weg zu diesem Ziel wurde in dieser Abhandlung in allen wahren religiösen Lehren mehrmals dargestellt und durch die dort angeführten erleuchteten Menschen bestätigt. Im allgemeinen Teil der Abhandlung schildert der Autor die geistige Natur des Menschen. Der Leser findet hier Antwort auf viele philosophische und theologische Fragen, wie zum Beispiel: Gibt es Gott? Was ist Freiheit, Unfreiheit, Erlösung, Wissen, Glaube und der Sinn des Lebens? Im speziellen Teil wird die wahre religiöse Lehre dieser Welt dargestellt. Da alle etablierten religiösen Richtungen dem Prozess der Nivellierung und Assimilation unterliegen, wird das Geschriebene für jeden Menschen von existenzieller Bedeutung sein. Am Ende der Abhandlung des Autors und Mediziners verdient insbesondere das Kapitel über die Krankheiten aktuelle Aufmerksamkeit. Der Leser erfährt darin die einfache Einsicht in die Entstehung von Infektions- und anderen Krankheiten und die Art und Weise ihrer Bekämpfung. An alle, die auf der Suche nach der Wahrheit und dem Sinn des Lebens sind.
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Seitenzahl: 1207
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Jaroslav Josef Vaclavsky wurde im Jahre 1931 im Dorf Drozdov (Drosenau), Nordmähren, in der damaligen Tschechoslowakei geboren. Nach dem Absolvieren des Gymnasiums mit Abitur in Šumperk (Mährisch-Schönberg) studierte er an der medizinischen Fakultät der Universität in Olomouc (Olmütz). Er ist seit 1958 verheiratet und hat zwei Kinder. Die angeborene lebhafte Natur zusammen mit der gewählten wechselhaften Lebensweise führte bei ihm zu einer schweren Lebenskrise. Diese wurde im Jahre 1966 prompt durch die geistige Wende beendet. Während der Dubček-Ära im Sommer 1968 gelangte er mit der Familie nach Schweden und von dort in die Bundesrepublik Deutschland, wo er Asyl beantragte. Seit 01.09.1968 arbeitete er im städtischen Krankenhaus in Heilbronn bis zur Berentung im Jahre 1996. Seitdem widmete er sich vermehrt den religiösen Fragen seiner Zeit.
VORWORT
EINLEITUNG
ALLGEMEINER TEIL
Der Mensch besteht aus Wollen
Das Unheilsame und Böse
Das Gute im Menschen
Das Leiden
Das Wollen als Unwahrheit und Trug
Die Unfreiheit
Determinismus und Willensfreiheit
Der Geist
Die Gerechtigkeit
Die übernatürliche Macht des Guten
Die Macht der Finsternis
Die Erleuchtung
Nachtrag zum allgemeinen Teil
SPEZIELLER TEIL
DIE RELIGIONSLEHREN BIS ZU JESUS VON NAZARETH
Die Urzeit
Die israelitische Offenbarung
Die Religionen Indiens
Die Induskultur
Indische religiöse Literatur und Schulen
Der Yoga
Die Sāmkhya-Lehre
Der Jainismus
Stellungnahme zur Jaina-Lehre
Die Veden
Die Upanishaden
Die Weiterentwicklung der altindischen Lehren
Die Lehre des Gautama Buddha
Stellungnahme zur Lehre Buddhas
Zarathustra und seine Religion
Stellungnahme zur Lehre Zarathustras
Das alte China
Lao-tzu
Lieh-tzu
Chuang-tzu
Konfuzius
Mo-tzu
Der Taoismus
Europa vor der Zeitwende
Heraklit
Platon
Die Stoa-Lehre
Die kritische Zeit vor Jesus Christus
JESUS VON NAZARETH
Überleitung
DIE RELIGIONSLEHREN NACH JESUS CHRISTUS
Der Mahāyāna-Buddhismus
Die mahāyānischen Schulen und Systeme in Indien
Übersicht
Lotos-Sūtra
Prajñāpāramitā-Sūtra
Ashtasāhasrikā-Sutra
Diamant-Schneider-Sūtra
Herz-Sūtra
Vimalakīrti-Nirdesha-Sūtra
Mādhyamaka
Yogācāra
Bodhiruci
Tantrayāna
Mahāsiddhas
Sahajayāna
Der Mahāyāna-Buddhismus in China
Der Mahāyāna-Buddhismus in Japan
Übersicht
Hōnen Shōnin
Shinran Shōnin
Nichiren Shōnin
Weitere Bekenner der Nembutsu-Lehre in Japan
Der Shin-Buddhismus und das Christentum
Der Zen-Buddhismus
Der Hīnayāna-Buddhismus
Rāma-Candra
Der Hinduismus nach Jesus Christus
Einleitung
Erste Manifestationen des neuen Geistes in Indien
Yoga im nachchristlichen Hinduismus
Die Sāmkhya-Lehre nach der Zeitwende
Die Jaina-Religion nach der Zeitwende
Bhagavadgītā
Tiruvalluvar und Appar
Ālvārs und Nammālvār
Mānikka-Vāsaga
Vedānta
Shankara
Rāmānuja
Weitere Vishnu-Anhänger
Pillai Lokācārya
Weitere Shiva-Anhänger
Nāmdev
Kabīr
Nānak und Sikhs
Dādū Dayāl
Der neuzeitliche Hinduismus
Mahatma Gandhi
Stellungnahme zur Abhandlung über den Hinduismus
Die Tao-Lehre nach Jesus Christus
Zarathustras Lehre nach Jesus Christus
Die Stoa-Lehre nach Jesus Christus
Seneca
Epiktet
Kaiser Marc Aurel
Boethius
Der Islam
Einführung
Der Sūfismus und andere esoterische Gemeinschaften
Bedeutende Vertreter der Sūfi-Mystik
Die Bābī-Religion
Stellungnahme zum Islam
Das Christentum
Einführung
Apostel Paulus
Die Gnosis
Ignatius von Antiochien
Montanismus
Justin
Clemens von Alexandrien
Tertullian
Origenes
Stellungnahme zur Lehre des Origenes
Der Manichäismus
Das frühe Mönchtum
Makarius der Ägypter
Laktanz
Augustin
Stellungnahme zu Augustin
Christologie der Konzile des 4. bis 8. Jahrhunderts
Symeon der Neue Theologe
Der Hesychasmus
„Häretische“ Gemeinschaften
Die Bogomilen
Die Katharer
Die Waldenser
Die Teilungen der Großkirche
Franz von Assisi
Thomas von Aquin
Marguerite Porete
Gertrud die Große von Helfta
Jan Hus und Peter von Cheltschitz
Jan Hus
Peter von Cheltschitz
Christen in der Zeit der Reformation
Thomas Müntzer
Kaspar Schwenckfeld von Ossig
Sebastian Franck
Valentin Weigel
Johannes vom Kreuz
Jakob Böhme
Alumbrados
Blaise Pascal
Mystik in Großbritannien
George Fox
Quietismus
Madame Guyon
Gerhard Tersteegen
Jonathan Edwards
Johann Georg Hamann
Die Erweckungsbewegung
Charles Finney
Sören Kierkegaard
Stellungnahme zu Kierkegaard
Mary Baker Eddy
Lew Nikolajewitsch Tolstoi
Die Evolution
Pierre Teilhard de Chardin
Stellungnahme zu Teilhard de Chardin
Simon Kimbangu
Simone Weil
Dag Hammarskjöld
Das Christentum in Israel und in der Diaspora
EINIGE WICHTIGE THEMEN UNSERER ZEIT
Die Erziehung des jungen Menschen
Die Krankheiten
Kultur, Kunst und Wissenschaft
Die Sozialphilosophie
SCHLUSSWORT
LITERATURVERZEICHNIS
Die Vielzahl der großen und kleinen christlichen Gemeinschaften hatte wiederholt meine Aufmerksamkeit geweckt. Manche von ihnen erschienen mir durch ihre gesellschaftliche Absonderung geheimnisvoll. Wir wissen, dass sie sich alle auf die Heilige Schrift berufen, die zur Sittlichkeit anspornt, und dass sie sich alle zu Gott bekennen, der Seine wahren Anbeter an Seiner besonderen Güte und Liebe teilhaben lässt. Auf der anderen Seite betont jede Religionsgemeinschaft, mehr oder weniger, die Rechtgläubigkeit ihrer Mitglieder und verweist auf die falsche Lehre und Verhaltensweise der anderen. Die Frage ist, wer denn dann die wahren Christen oder auch Buddhisten, Hindus und Moslems waren und sind? Diese Frage lässt sich nämlich auf alle Religionsrichtungen erweitern, da sie ebenfalls in viele Gemeinschaften zerteilt sind und diese einander oft nicht anerkennen. Ist es trotzdem möglich, dass nur diejenigen vor Gott bestehen können, welche die Erklärung der heiligen Schrift ihrer Glaubensrichtung für wahr halten? Wir müssen in Betracht ziehen, dass die frommsten und gütigsten Menschen nicht nur einer bestimmten Religionsgemeinschaft angehören. Das Ewige kann doch nicht „das“ für das Entscheidende halten, was die Religionsgemeinschaften voneinander trennt. Wenn an der Religion etwas Wahres sein soll, dann muss sie etwas Einigendes und Wichtiges aufweisen.
Heilbronn, 28.02.2022
Jaroslav Josef Vaclavsky
Der Mensch hat seit jeher über den Sinn des Lebens nachgedacht. Zu diesen Überlegungen wurde er durch verschiedene, für ihn wichtige Ereignisse bewegt. Er konnte sie oft nicht erklären. Viele überlegten, ob sie zufällig waren oder ob sie irgendeine Beziehung zu ihrer Lebensweise hatten. Es lag ihnen nämlich sehr daran, dem Unangenehmen auszuweichen und das Eintreffen des Gewünschten zu fördern.
Immer wieder gab es Einzelne, die behaupteten, dass jedes Geschehen, welches dem Menschen widerfährt, gerecht ist. Es wurde vermutet, dass die Menschheit in dieser Hinsicht entweder einem automatisch wirkenden und alles kontrollierenden Gesetz oder einer allwissenden und allmächtigen übernatürlichen Macht – einem Gott – unterworfen ist. Diese bewirkten, dass die guten Taten mit Gutem und die schlechten mit Unangenehmem vergolten wurden. Die Art und Weise der Kontrolle des Denkens und Handelns jedes Menschen, die Art der Verbindung des herrschenden Gesetzes oder der unsichtbaren überweltlichen Macht mit der Welt blieben ungeklärt.
Die Frage nach der Existenz Gottes hat die Menschheit immer beschäftigt. Die Eingeweihten, die verkündet hatten, Gott erkannt zu haben, behaupteten, dass sie neben der wahrgenommenen Gerechtigkeit einen zuvor ungekannten Zustand von Frieden und Glückseligkeit sowie der Freiheit erfahren hatten, der die Rettung des Menschen bedeutet. Im Bestreben, ihren Nächsten zum Erreichen dieses ersehnten Zustandes zu verhelfen, empfahlen sie, bestimmte Gebote einzuhalten. Diese wurden zunächst mündlich überliefert und später, oft nach dem Tode des Religionslehrers, niedergeschrieben. Zu den bekanntesten zählen die Lehre des israelitischen Propheten Moses, die indischen Veden (Veda, Sanskrit „Wissen”), die Lehre Zarathustras, Buddhas, von Laotzu, Jesus Christus und Mohammed1.
Nachfolgend werde ich mich mit ihnen befassen. Dabei versuche ich vor allem die Gestalt des Jesus Christus und seine Lehre, im Neuen Testament enthalten, zu erhellen. Zahlreiche gelehrte Menschen meinen nämlich, dass es sich um ein wirklichkeitsfremdes Werk handelt, andererseits wird es von seinen Anhängern geschätzt.
Die Propheten (Prophet, griechisch „Verkünder”, „Seher”) beschrieben das Übernatürliche entweder als einen mächtigen Geist oder als eine geistige Sphäre ohne das Böse. Bei Jesus Christus finden wir beides. Seine Lehre ist in den Evangelien (Evangelium, griechisch „frohe Kunde") enthalten. In ihnen nannte er auch den überweltlichen Geist „Abba, Vater”2. Ihm zufolge sollen wir die übersinnliche Macht wegen Ihrer fürsorglichen Tätigkeit erkennen und Sie auch über alles lieben, so wie es schon Moses empfohlen hatte.
Im Zentrum der Lehre Jesu Christi steht die Predigt über das Reich Gottes, auch Himmelreich genannt. Dieses Reich war etwas so Außerordentliches, dass wir alle unsere Bestrebungen und Sorgen beiseitelassen und uns zuerst auf die Suche nach diesem Himmelreich begeben sollen.3 Das Reich sei nicht von dieser Welt,4 aber es soll sich wiederum um etwas Konkretes handeln, das wir auf der Erde finden können.5 Das Entdeckte war sehr wertvoll, mit „einem im Acker verborgenen Schatz”6 oder einer kostbaren Perle7 vergleichbar. Viele Zuhörer hatten seine Worte nicht verstanden, und es lässt sich sagen, dass auch heute der Inhalt dieses Schlüsselbegriffes der Evangelien allgemein nicht klar ist.
Die meisten christlichen Religionsgemeinschaften definieren das Reich Gottes als eine Gemeinschaft von Gläubigen, die auf der Einhaltung ihrer Schriftauslegung beruht. Anderen zufolge sei es zurzeit auf der Erde nicht vorhanden, sondern werde erst kommen. Wiederum andere glauben, dass es nur bei Gott ist und bei Ihm verbleibt. Manche Gelehrte versuchen das Reich Gottes so zu definieren, dass ihre Formulierung möglichst auf alle Textstellen des Neuen Testaments (Sammelbegriff für die Evangelien, die Apostelgeschichte, Apostelbriefe und die Johannesoffenbarung) passt, die das Reich Gottes behandeln. Das Ergebnis dieses Vorgehens sind abstrakte, der Wirklichkeit oft nicht entsprechende Aussagen.
In der nachfolgenden Abhandlung werde ich mich bemühen, das Reich Gottes darzustellen und den Weg zu ihm zu beschreiben. Dabei bringe ich nichts grundsätzlich Neues, sondern weise nur auf das hin, was anderen vor mir bekannt war. Bei der Einsicht in ein Problem konnte ich das Erkannte nicht sofort erweitern, und so war ich gezwungen, die kurzen neuen Erkenntnisse in einen logischen Zusammenhang zu bringen, was nicht immer gelang.
Um Missverständnissen vorzubeugen, möchte ich betonen, dass vieles vom Verkehrten für mich gilt, denn ich erkannte es vorwiegend durch Selbstbeobachtung. Etwaige Gegner des Geschriebenen brauchen sich ihrer Interessen nicht bedroht zu fühlen. Bisher traf ich nur wenige Menschen, die für meine Ansichten Interesse zeigten. Viele hatten beim Gespräch an meinen Ausführungen bald Anstoß genommen. Sie warfen mir Eklektizismus vor und unterbrachen den Wortwechsel. Bei der Suche nach der Lösung der Differenzen zwischen dem Gesprächspartner und mir zeigte sich oft die Notwendigkeit, ihm das Meiste von der ganzen Abhandlung mitzuteilen, was aus praktischen und zeitlichen Gründen nicht möglich war. Lange Zeit war ich auch nicht imstande, auf einige seiner kritischen Fragen eine passende Antwort zu geben. Eine ausführliche Mitteilung, eine längere Erklärung, war auch aus dem Grund nicht vorteilhafter, da sie in der Regel bei meinem Gegenredner nur die Überflutung von Gedanken, aber keinen Fortschritt bewirkte.
Im ersten Teil der Abhandlung beschreibe ich die weltliche geistige Sphäre. Dies gibt mir die Möglichkeit, das Reich Gottes anschaulich darzustellen. Im mittleren Teil befasse ich mich mit der Entwicklung und dem Inhalt der einzelnen religiösen Lehren. Bedeutende gläubige Menschen, aus allen Religionsrichtungen ausgesucht, helfen mir, das Erkannte zu bestätigen. Der Schlussteil ist einigen wichtigen Themen der heutigen Zeit gewidmet.
Abschließend möchte ich bemerken, dass ich die Abhandlung nicht besser schreiben konnte, da ich dazu sprachlich nicht begabt und theologisch bzw. philosophisch nicht gebildet bin. Mir fehlt die Kunst der sprachlichen Darstellung, die ich bei vielen Menschen so bewundere. Der Leser sollte jedoch mit dem Einfachen zufrieden sein. Als Trost dienten mir die Worte des dänischen Religionslehrers Sören Kierkegaard, dass ein wahres religiöses Werk – die Wahrheit – auch ein einfacher Seminarist zustande bringen kann. Denn das Geschriebene sollte für Menschen aller gesellschaftlichen Schichten verständlich sein.
Am Ende möchte ich allen danken, die mir bei der Arbeit behilflich waren. Vor allem gebührt mein Dank dem Herrn, der unbegreiflichen, überweltlichen Macht, die meine Fehler und Schwächen ertragen hatte und mich durch Ihre Lenkung und durch Einsicht zur Erkenntnis der Wahrheit geführt hat. Auf diese Weise hat mich der Herr vor vielen falschen Schritten bewahrt. Es war nicht leicht, mich zu führen. Der Herr musste mich zum Neuen bringen, aber Er durfte es aus Gerechtigkeitsgründen nur unauffällig offenbaren. Nichts kam überraschend, so wie ein Wunder, ohne Zusammenhang mit dem Vergangenen. Das Nichtharmonisierende ist meiner Unvollkommenheit zuzuordnen.
1 Mohammed ist die im Deutschen übliche Form des meist als Vorname gebrauchten arabischen Namens Muhammad.
2 Kirchenrat des Kantons Zürich (Herausgeber): Die Heilige Schrift des Alten und des Neuen Testaments. Zürich: Verlag der Zürcher Bibel 1971, Markus 14,36.
3 Vgl. Matthäus 6,25–33.
4 Vgl. Johannes 18,36.
5 Vgl. Matthäus 6,33.
6 Matthäus 13,44.
7 Vgl. Matthäus 13,46.
Die Gedanken, Worte und Taten eines jeden von uns bewegen sich fast immer im Bereich unserer Ziele, Wünsche, Pläne, Vorhaben, Interessen, Begierden und Anhaften8. Sie zu verfolgen ist interessant, anregend und spannend. Wenn sie sich erfüllen, überkommt uns ein Gefühl der Zufriedenheit. Ohne sie ist das Leben langweilig, leer und öde. Wir streben nach Reichtum, nach einer besseren Stellung am Arbeitsplatz, wir suchen Erfolge in der Schule, Wissenschaft oder Gesellschaft, wir verlangen nach Essen, Trinken und Sex, wir reisen leidenschaftlich gern, sammeln verschiedene Dinge, wir lesen, genießen die Kunst, die Religion, betreiben Sport und so weiter. Dabei versuchen wir die Hindernisse, die sich unseren Vorhaben in den Weg stellen, zu überwinden. Die Interessen und Begierden fixieren uns über die Sinne auf die Umwelt. Das Auftreten und die Entwicklung der Interessen verlaufen direkt und indirekt über die Sinnestätigkeit.
Unsere Wünsche, Interessen, Begierden und Anhaften, die wir allgemein als „Wollen” bezeichnen können, sind verschieden intensiv. Die starken Begierden, die uns oft das ganze Leben lang begleiten, nennen wir Leidenschaften. Im Verlauf des Tages werden wir von diversen, oft wenig intensiven Interessen beherrscht. Zeitweilig möchten wir arbeiten, dann ruhen, lesen, essen oder fernsehen. Was den einen anzieht, kann den anderen abstoßen.
Manchmal geschieht es, dass wir uns mit dem, was wir wollen, nicht beschäftigen können. In der Schule oder bei der Arbeit müssen wir oft das tun, was uns widerwärtig ist. In dem Fall machen wir uns das langweilige Studium oder die unangenehme Arbeit auf irgendeine Weise interessant. Wir ändern den Arbeitsprozess nach unseren Möglichkeiten so, wie es uns passt. Zu Beginn der Arbeit sehnen wir ihr Ende herbei, oder wir verrichten die Arbeit automatisch und denken dabei an unsere Pläne und Wünsche oder an Probleme, die uns belasten. Nur so können wir die Missstimmung, die mit der erzwungenen Tätigkeit verbunden ist, vertreiben oder abschwächen.
Jedes Begehren drängt nach seiner Verwirklichung. Danach verlässt es seinen Besitzer und macht einem anderen Begehren Platz. Die nicht erfüllten Begierden, Vorhaben, Interessen, Pläne, Ziele und Wünsche machen uns traurig, unruhig, nervös oder aggressiv. Die Intensität und Dauer des nachfolgenden Leidens entsprechen der Stärke des verursachenden Wollens. Der Enttäuschte kann jedoch nicht ständig an seinen Misserfolg denken. Nach einer bestimmten Zeit wendet er sich allmählich anderen Vorhaben zu und vergisst das Unangenehme.
Die Abhängigkeit unserer Zufriedenheit von der Verfolgung und Erfüllung der Absichten, Interessen und Ziele und die Unfähigkeit, das angenehme Gefühl der Befriedigung längere Zeit zu bewahren, bedingen das Spiel unserer Wünsche und Vorhaben. Am Anfang, bei der Entstehung eines Interesses, denken wir, dass wir länger zufrieden sein werden, wenn wir das Ersehnte erreichen. Unsere Erwartungen erfüllen sich jedoch nicht. Sobald das Gewollte in unseren Besitz gerät, verliert es für uns an Bedeutung. Es kann nicht mehr unsere Aufmerksamkeit fesseln und hört auf, Quelle unserer Zufriedenheit zu sein. Haben wir ein Ziel erreicht, müssen wir uns ein anderes suchen. Wir wenden uns einer anderen Vorliebe oder Interessensphäre zu. Oft suchen wir das Gegensätzliche. In der Ruhe sehnen wir uns nach Gesellschaft und nach spannenden Ereignissen, aber sobald wir ihnen ausgesetzt sind, suchen wir die Einsamkeit und Ruhe. Zum Gegenstand der vergangenen Interessen kehren wir nur dann zurück, wenn er aus irgendeinem anderen Grund von neuem anziehend geworden ist. Fremde Interessen übernehmen wir nur dann, wenn sie auch für uns nützlich sind und wir uns dadurch vor den Augen anderer nicht erniedrigen.
Jedes Begehren kann anwachsen. Wenn wir ihm folgen, das heißt das Leben genießen, wird es stärker, aufdringlicher oder anormaler. Wir werden dann von ihm, also vom Weltlichen – Vergänglichen –, zunehmend abhängig. Die Interessen und Wünsche belasten auch durch ihre Unersättlichkeit und Unberechenbarkeit. Wenn sich viele von ihnen erfüllen, wird gerade der Wunsch oder dasjenige Ziel für uns wichtig, welches noch aussteht oder welches schwer erreichbar ist. Aus diesem Grund sind wir unvorteilhaft abhängig vom Neuen, vom noch nicht Erlebten. Nur das kann unserem Leben Sinn verleihen, nur das kann die Verstimmung, der wir immer nahe sind, hinausschieben. Bei dieser Lebensweise gewöhnen wir uns auch an einen bestimmten Grad des Interessenwechsels und fordern ihn aufs Neue. Auf eine Minderung dieser Frequenz folgt sogleich eine mehr oder weniger lästige Langeweile und andere Missstimmung. Wenn wir das Leben genießen, geraten wir früher oder später im Bereich unserer Begierden oder Leidenschaften in eine Situation, in der das Gewöhnliche und Normale für uns nicht mehr anziehend sind. Wir werden dann das Ungewöhnliche oder Abwegige suchen.
Aus dem Angeführten ist ersichtlich, dass die willentliche Lebensweise eine geistige Labilität und Unruhe verursacht. Unsere Gedanken, Worte und Taten bewegen sich im Einklang mit den wechselnden Interessen und Wünschen bald hin und bald her. Ähnlich ist es mit den Gefühlen. Jubel und Gram, Freude und Unzufriedenheit, Sicherheit und Zweifel, Spannung und relative Beruhigung wechseln im Laufe des Tages und der Woche in Abhängigkeit von der Erfüllung der Begierden, Gewohnheiten und Interessen. Wenn man den lästigen Gefühlen nachgibt, stellen sie sich auch in eigener Abhängigkeit ein und werden immer unangenehmer. Die Menschen, die wir für ausgeglichen und ruhig halten, sind den Nachteilen dieser Lebensführung ebenfalls unterworfen. Ihr Interessenwechsel ist jedoch weniger häufig.
Es ist bekannt, dass eine Leidenschaft eine andere ersetzen kann. Unerfüllte Begierden können in realisierbare Leidenschaften, Liebhabereien oder Interessen möglichst gleicher Intensität übergehen. Ein Raucher beispielsweise, der das Rauchen aufgegeben hat, entdeckt die Lust am Essen. Ein nicht erfülltes, aggressives Wollen kann sich in Sexualbegierde verwandeln und umgekehrt. Wenn es nicht möglich ist, verschiedene kleine Interessen oder Gewohnheiten zu verwirklichen, taucht eine größere Begierde auf. Nach dem Angeführten ist ersichtlich, dass, wenn wir uns gesellschaftlich gefährlicher Leidenschaften oder Gewohnheiten erwehren wollen, wir unsere Einstellung gegenüber jedem Interesse und jeder Zielbestrebung ändern und sie alle als unerwünscht ansehen müssen. Wenn wir kleine Wünsche und Begierden nicht bekämpfen, finden wir auch nicht die Kraft, uns den stärkeren zu stellen.
Allgemein gilt, dass ein Verbot den Druck des Verbotenen stärkt. Das ständige, systematische Unterdrücken der Begierden, Wünsche, Interessen und Absichten wird als gesundheitsschädlich angesehen. Die Psychologen und Pädagogen bemühen sich, die gefährlichen Begierden und Triebe in andere unschädliche Interessen, wie beispielsweise Sport, Kunst und andere, umzuwandeln. Die Ergebnisse dieser Bestrebung sind aber wenig ermunternd, weil, wie gesagt, eine gefährliche Leidenschaft sich nur durch eine gleich intensive oder besser noch stärkere Begierde ersetzen lässt, und die alltägliche willentliche Lebensweise immer wieder in die bekannten Leidenschaften und Begierden mündet. Eine wirksame Methode zur Beseitigung des Wollens ist allgemein nicht bekannt.
Es ist naheliegend, dass das willentliche Leben verzwickt, umständlich, mühevoll und vor allem stressvoll ist. Der Mensch lebt nur dann einfach und bescheiden, wenn er durch die Umstände dazu gezwungen wird, zum Beispiel durch Armut, im Gefängnis, wenn er erkrankt, oder wenn er durch die entsprechende Eigenschaft oder Begierde dazu angehalten wird.
Unser Hauptmangel besteht darin, dass wir ohne Verfolgung unserer Ziele, Gewohnheiten oder Wünsche, ohne irgendeine Ursache, nur von uns selbst aus, nicht zufrieden und glücklich sein können. Jedes uns angenehme Gefühl ist immer bedingt. Aus diesem Grund bejahen wir das interessenvolle Leben. Längere Perioden von Ziel-, Wunsch- und Interesselosigkeit zählen wir zu Symptomen geistiger oder körperlicher Erkrankungen. Mangel an Interessen finden wir darüber hinaus bei primitiven Menschen. Ohne Ziele, Interessen, Pläne, Wünsche, Leidenschaften, Liebhabereien und Gewohnheiten wollen wir nicht sein. Ohne sie können wir uns das Leben nicht vorstellen. Wir kennen keine andere Lebensweise.
Hinter jeder Begierde, Sucht, Absicht, jedem Motiv oder Interesse, die ineinander übergehen können, kann man etwas Nicht-Spezifisches sehen, das von Gautama Buddha als „der Durst nach Sinnenlust, der Durst nach Werden, der Durst nach Entwerden”9 bezeichnet wurde. Der gemeinsame Nenner, oder besser gesagt, die Quelle aller Wünsche, Gewohnheiten, Triebe und Begehren, lässt sich auch als Selbstbezogenheit, Selbstgeltung, Selbstsucht, Selbstliebe, Selbstbejahung, Selbstgefälligkeit, Selbstmächtigkeit, Eigennutz, Egozentrismus, Seinswille, Ichbezogenheit, Ichhaftigkeit oder Ichsucht bezeichnen, weil diese mit der Persönlichkeit ihres Trägers fest verbunden sind und da von ihnen vorwiegend die Person profitiert, der sie eigen sind. Sie beteiligen sich maßgebend an der Formation ihrer Individualität. Wo das Wollen ist, ist die Selbstbezogenheit, und umgekehrt. Beide lassen sich nicht voneinander trennen.
Die Selbstgeltung bewirkt auch weitere Handlungen, die wir bewundern oder schätzen, wie zum Beispiel Sport, die wissenschaftliche Forschung und die künstlerische Betätigung. Sie ist ferner die Ursache anderer Taten, die wir täglich durchführen und die allgemein für nützlich gehalten werden. Eine Art der stärkeren Begierde bedingt viele Gedanken, Worte und Taten ihres Eigners. Sie bestimmt in hohem Maße seine Lebensweise. Anhand der folgenden drei Beispiele versuche ich dies kurz darzustellen. Zur besseren Veranschaulichung habe ich sie etwas übertrieben beschrieben.
Das Begehren kann sich als Habsucht äußern. Jeder billige Kauf oder vorteilhafter Verkauf machen seinen Besitzer zufrieden. Das Leben scheint ihm in dieser Zeit interessant und sinnvoll zu sein. Das Erreichte genügt ihm jedoch nicht. Er muss über andere Möglichkeiten, seinen Reichtum zu vergrößern, nachdenken, sonst würde ihm etwas fehlen. Hierzu gebraucht er alle seine Fähigkeiten. Die Habsucht erlaubt ihm nicht, seine Geschäfte immer gerecht abzuwickeln. Er benutzt auch verbotene Aktivitäten. Wenn er den Nächsten fest in der Hand hat, dann kann er sich rücksichtslos gegen ihn verhalten. Einige werden durch Geldgier zu Straftaten verleitet.
Bei Misserfolg wird der Gewinnsüchtige verstimmt. Je nach seiner Natur kann er aufgeregt oder depressiv sein. Die Fehler beim Kauf wirft er sich lange Zeit vor. Wenn er verliert, muss er sich einreden, dass sein Handeln ihm irgendwie geholfen hat. Er ist gezwungen, in jedem Misserfolg etwas für ihn Positives zu sehen, sonst wäre er unglücklich.
Übertriebene Sparsamkeit treibt manchmal zu anormalen Handlungen. Der Betroffene lebt wie ein armer Mensch und stirbt, ohne das angehäufte Vermögen zu verwenden. Er weiß zwar um diese negative Zukunft, verdrängt dieses Wissen jedoch aus seinem Bewusstsein. Er muss sich für etwas interessieren, er muss etwas machen. Das Streben nach Reichtum gibt seinem Leben Sinn, bereitet ihm Zufriedenheit, und deshalb verbleibt er bei seiner Lebensführung.
Die intensive Begierde täuscht ihren Besitzer. Sie weckt bei ihm Angstgefühle. Die Befürchtungen um die Entfremdung oder um den Verlust des Vermögens geben ihm keine Ruhe. Er sichert allseitig sein Hab und Gut und verdächtigt die Nächsten, ihn um sein Vermögen bringen zu wollen. Das kommt manchmal vor, aber oft sind seine Ängste übertrieben oder völlig unbegründet. Gelegentlich droht die Gefahr von einer anderen Seite als befürchtet. Zur Trugwirkung der Gewinnsucht gehört auch der Anschein, sein Vermögen sei noch klein und selten glücke ihm etwas so, wie er es sich wünscht.
Der Betreffende nimmt aber nicht wahr, dass er eigennützig ist oder etwas Schlechtes tut. Sein Ich, das durch die Gewinnsucht beherrscht wird, verleiht ihm das Gefühl, sich richtig zu verhalten. Er findet immer eine Rechtfertigung für sein Handeln, das er unter dem Einfluss des Interesses ausübt: die Absicherung für das Alter, für die Zeit von Krankheit oder im Fall eines Unglücks. Mancher Eigennutz wird mit Sparen für die Familie begründet.
Zum weiteren Trug des Gewinnsüchtigen gehört das Empfinden, sein Geld zu verschwenden und freigebig zu sein. Er führt sich häufig seine seltenen Ausgaben vor Augen und hat schließlich den Eindruck, das Geld zu verwirtschaften. Seine gelegentlichen Gaben vergisst er nicht. Für eine lange Zeit halten sie seine Überzeugung aufrecht, dass er wohltätig ist. Außerdem beobachtet er gerne Menschen, die sich ähnlich oder noch schlimmer als er selbst verhalten, und gelangt zur Überzeugung, gut oder jedenfalls besser zu sein als manche Nächsten. Auf seine Schwäche hingewiesen, reagiert er sehr empfindlich. Solche Kritik kann er nicht vergessen.
Die Selbstbezogenheit kann sich auch als auffällige Selbstüberheblichkeit manifestieren. Der Mensch, dem sie eigen ist, will in der Gesellschaft die Oberhand erhalten. Anerkennung oder Bewunderung machen ihn zufrieden. Manchem genügt es nicht, sich mit seinen Fähigkeiten oder fachlichen Kenntnissen durchzusetzen. Deshalb ist er gezwungen, andere Gelegenheiten zu suchen, um sein Ansehen zu vergrößern. Anlässe zur Selbstbestätigung findet er leicht. Bewusst oder unbewusst sucht er die Fehler, die anderen am Arbeitsplatz unterlaufen, und übertreibt sie. Jede Situation betrachtet er – und muss er so betrachten –, wie es ihm passt. Das Wollen in Form des erhöhten Selbstbewusstseins gönnt ihm in dieser Hinsicht keine Ruhe, da er anderenfalls den Eindruck erlangen würde, nicht richtig anerkannt zu sein, dass die Mitmenschen Fehler machen und dass er selbst falsch handelt.
Nach jeder Erfahrung von Unterschätzung ist der Selbstüberhebliche lange unzufrieden. Mancher strebt mit allen Mitteln nach Vergeltung. Wenn er sich nicht rächen kann, dann lässt er seine Unzufriedenheit an den Nächsten aus, die von ihm abhängig sind, oder er versucht, sie durch andere Interessen zu vertreiben.
Die Sehnsucht, in der Gesellschaft etwas zu bedeuten, erzeugt oft den falschen Eindruck, ein nur geringes eigenes Ansehen zu besitzen. Die Befürchtungen um den Verlust der eigenen Position in der Gesellschaft lassen ihn keinen Frieden finden. Er verdächtigt die Nächsten, seine Autorität zu untergraben, und er hasst sie. Das verkehrte Denken kann ihn zu ungerechten Worten und Taten verleiten.
Sein Hochmut bewirkt außerdem die falsche Überzeugung, von den Nächsten unabhängig zu sein, aber in Wirklichkeit fällt ihm das Leben ohne Mitmenschen schwer. Er braucht sie dringend. Vor ihnen kann er seine Kenntnisse und Vorzüge zeigen. Sie verhelfen ihm zu den wertvollen Gefühlen der eigenen Wichtigkeit und Überlegenheit. Er erniedrigt, unterschätzt und verlässt seine Mitmenschen, nur um danach wiederum ihre Nähe aufzusuchen, sie zu loben und sich dann erneut auf ihre Kosten zu erhöhen.
Der Betreffende wird sich seines fehlerhaften Benehmens nicht richtig bewusst. Er ist überzeugt, dass sein Verhalten sowohl für ihn als auch für die Umgebung von Nutzen ist. Für sein falsches Verhalten fühlt er sich nicht verantwortlich. Er weiß, dass er in seiner Situation nicht besser handeln konnte, und lehnt Kritik deshalb ab. Die Schuld an seinem Misserfolg oder seiner Fehlhandlung schiebt er gerne den Nächsten zu, oder er redet von Pech. Ab und zu, besonders wenn es ihm passt oder nicht anders geht, erniedrigt er sich selbst und tritt im Streit zu Gunsten des Nächsten zurück. Darauf vor allem baut er seinen Glauben auf, ein fügsamer und demutsvoller Mensch zu sein.
Die Entwicklung, die Richtungen und die Folgen des Wollens können wir schließlich am Beispiel der Esslust darstellen. Das Gefühl des Hungers hat seinen Zweck. Es verhindert, dass der menschliche Organismus, der von der Nahrung abhängig ist, einen Schaden erleidet. Einer Mahlzeit folgt aber das Gefühl der Sättigung, der Zufriedenheit. Der Mensch, der sich am wohlsten fühlen möchte, isst deshalb öfter und mehr als er braucht, was zu einer hohen Kalorienzufuhr und zu Fettsucht führt. Sein Hungergefühl meldet sich demnach vorzeitig; es entspricht nicht seinem Bedarf an Nahrungsmitteln. Wenn er beispielsweise abends von der Esslust beherrscht wird, aber dennoch kein Essen zu sich nimmt, steht er morgens auf, ohne ein Hungergefühl zu haben. Die Esslust am Abend war trügerisch.
Der Betreffende findet immer einen Grund zum Essen. Alle hält er für wichtig, auch wenn sie unbedeutend sind: Er muss essen, damit er gesund bleibt, damit er arbeiten und die Familie ernähren kann. Er argumentiert mit der Notwendigkeit, dem Körper wichtige Vitamine, Mineralien und wertvolle Eiweiße zuführen zu müssen.
Der Appetit auf ein bestimmtes Nahrungsmittel ist nur von relativ kurzer Dauer und wird bald vom Verlangen nach einem anderen abgelöst. Dieser Wechsel reflektiert in gewissem Maße auch den Bedarf des Organismus nach Stoffen, die er für seine normale Funktion benötigt. Derjenige aber, der das Essen genießt, ernährt sich oft übermäßig und einseitig.
Im Verlauf des Tages und der Woche schwankt die Esslust, in Abhängigkeit von anderen Liebhabereien. Beim Aufkommen eines anderen stärkeren Begehrens oder bei Bedrohung eines wichtigen Interesses schwindet sie. Umgekehrt kann sie anwachsen, sobald man seinen sonstigen Gewohnheiten nicht nachgehen kann. Kann der Betreffende beispielsweise am Sonntag die gewohnte Arbeit, welche am Werktag die Esslust nicht aufkommen ließ, nicht ausüben, verführt ihn das zu einem erhöhten Konsum von Speisen. Diese Tatsache deutet anschaulich auf den gemeinsamen Ursprung und die gleiche Bewertung beider Arten des Verlangens hin.
Die Esslust erzeugt spezifisches Denken und Handeln. Wer das Essen genießt, denkt oft darüber nach. Er überlegt, was er am liebsten zu Mittag essen könnte. Wiederholt erinnert er sich an die Orte, wo er gut getafelt hat. Ist er hungrig, zeigt sich ihm in seinen Vorstellungen ein mit Leckerbissen bedeckter Tisch. Erheiternd erzählt er über das Speisen, kauft gerne Nahrungsmittel ein und kocht mit Vorliebe.
Das Fasten ist für den an Essen gewohnten Menschen sehr unangenehm. Auf einen länger andauernden Nahrungsentzug reagiert sein ganzer Geist. Es stellen sich allgemeine Schwäche, Unruhe, Verwirrung, Angstgefühl, Zittern und andere unangenehme Symptome ein. Der Betreffende sieht, dass ihm das Fasten schadet, und er hört auf, gegen die Esslust zu kämpfen.
Eine große Esslust verleiht dem davon Betroffenen den falschen Eindruck, dass er wenig isst. Er weiß, dass er täglich dagegen angehen sollte. Aus dem Grund ist er ständig auf seinen unangenehmen Kampf gegen das Verlangen fokussiert und es kommt ihm sehr oft in den Sinn, dass er sich beim Essen einschränkt. Am Ende ist er überzeugt, wenig zu essen, und wundert sich, dass er zunimmt.
Haben die Menschen viele andere wichtige Interessen, sind sie umgekehrt mit ihnen und den damit zusammenhängenden Problemen so beschäftigt, dass sie weniger Lust und wenig Zeit zum Essen haben. Sie sind gestresst und an kleinere Nahrungsmengen gewöhnt. Sie gewinnen den Eindruck, dass sie genug essen, und wissen nicht, warum sie nicht zunehmen.
Diese Beispiele gewähren einen Einblick in die Lebensweisen von Menschen, die von einer Art von Leidenschaft beherrscht sind. Aus der täglichen Erfahrung ist uns bekannt, dass die angeführten Begierden in weniger intensiven Ausprägungen häufig in der Gesellschaft vorkommen. Wir sind gewohnt, unsere Nächsten nach der Art ihres Verhaltens in Gute und Böse einzuteilen. Jedoch ist auch ein guter Mensch selbstbezogen. Auch er hat Leidenschaften, Absichten, Ziele, Interessen und Anhaften. Seine guten Eigenschaften erlauben ihm aber nicht, im Bereich seiner Begierden rücksichtslos gegen die Mitbürger vorzugehen. Dagegen kann er unbewusst und bewusst zum Beispiel der Natur schaden und, wie wir noch erkennen werden, sich selbst.
Wenn sich jeder von uns sorgfältig beobachten würde, käme er zu der Erkenntnis, dass er im Verlauf des Tages immer wieder etwas will, verlangt, begehrt, sucht, unternimmt, verfolgt, plant, sich sorgt oder für etwas kämpft. Sein Wollen äußert sich als Trieb, Drang, Gier, Lust, Sucht, Sehnsucht, Hang, Gewohnheit, Streben, Interesse, Motiv, Bedürfnis, Anziehung, Vorliebe, Vorhaben, Absicht, Liebe, Neigung, Wunsch, Tendenz, Intention oder Hintergedanke, sodass man gemäß der alten Upanishade sagen kann: „Der Mensch besteht aus Wollen.”10
Die Begierden und Interessen lassen die Menschen nicht warten, bis ihnen das Ersehnte in den Schoß fällt. Sie nötigen sie, sich das Beliebte und Gewünschte auf verschiedene Weise anzueignen. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen. Das Leben unter Leuten findet er abwechslungsreich und dadurch interessant. In der Gesellschaft kommt es aber auch zur Begegnung gleicher Interessen, Absichten und Gewohnheiten. Dabei setzt sich meistens nur einer der Beteiligten durch, der andere unterliegt. Das absichtliche, mehr oder weniger rücksichtslose Nehmen dessen, was den Mitmenschen gehört, was sie lieben, wonach sie trachten und woran sie gewöhnt sind, oder, anders gesagt, das Denken, Reden und Handeln, welches sie benachteiligt oder verletzt, wird als das Böse bezeichnet.
Die Handlungsweise der Betreffenden hängt nicht nur von der Stärke ihres beliebigen Interesses, sondern vor allem von ihrer Lust oder Neigung, dem Nächsten zu schaden – von der Intensität ihrer Aggressivität – ab. Die Befriedigung auf Kosten des Nächsten wird als besonders angenehm empfunden und deshalb bevorzugt. Die Lust zur Aggression ist die gefährlichste Begierde. Sie ist leidbringend für die Mitmenschen, die Natur und, wie wir noch erkennen werden, unheilvoll und leidbringend für ihren Besitzer.
In ihrer ausgeprägten Form ist sie als böse Eigenschaft angeboren und entwickelt sich beim Kontakt mit der Umgebung. In der Kindheit ahmt oft das Kind seine Eltern nach. In der Jugend wird die Gesellschaft gleichgesinnter Menschen gesucht. Als Vorbild nimmt sich der stigmatisierte Jugendliche diejenigen, die vor Gewalt nicht zurückschrecken und denen es gleichgültig ist, was die Gesellschaft über sie denkt. Das bewundert er, das hält er für mutig und frei. Er findet Interesse an Gewalt in der Literatur, im Fernsehen und Internet. Seine bereits geringe Widerstandskraft gegen die Ausübung gewaltsamer Taten wird dadurch noch schwächer. Gibt er den kleinen aggressiven Neigungen nach, so steigt seine Lust zu größeren Gewalttaten. Nur diese werden interessant und anziehend. Eine schlechte Tat des Betreffenden reift auch im Zusammenhang mit anderen Interessen und wird bei einer günstigen Gelegenheit verwirklicht.
Die Menschen haben ihre Schwächen und sind bisweilen böse, aber die rohe Gewalt kommt in der Gesellschaft relativ selten zum Vorschein. Was bremst sie?
Es handelt sich wiederum um das selbstbewusste „Ich” des aggressiven Menschen, welches nicht zulässt, dass er sich in der Öffentlichkeit im schlechten Licht zeigt. Es erlaubt ihm nicht so aggressiv, so schlecht zu sein, wie er sein will. Andere fürchten das weltliche Gesetz, die Vergeltung, oder sie haben Angst um die Stellung in der Arbeit. Es gibt noch andere höhere Interessen und verschiedene Vorurteile, die eine bremsende Wirkung auf das aggressive Wollen ausüben können.
Jede verborgene Bosheit zeigt sich im wahren Licht, wenn die Umstände, die sie bremsen, wegfallen. Dies geschieht zum Beispiel in der Anarchie während einer Revolution oder in der Nacht. In Friedenszeiten attackiert der gewalttätige Mensch vor allem schwache, schüchterne und unvorbereitete Mitbürger. Er tut Böses, wenn er die Nächsten aus irgendeinem Grund in seiner Gewalt hat oder wenn ihn niemand sieht. Nach dem Angeführten erkennen wir den wahren Charakter unseres Freundes erst dann, wenn wir ihm untergeordnet sind, wenn wir von ihm abhängig sind oder wenn wir uns aus irgendeinem anderen Grund nicht wehren können.
In Friedenszeiten äußert sich das Böse des Menschen meistens in seinen nicht auffälligen oder getarnten Formen. Von Gier, Hass und Neid geblendet, bestiehlt, betrügt oder verleumdet heimlich mancher Mensch seine Nächsten. Er ändert das Gesagte zu seinen Gunsten – er verdreht die Tatsachen, wie es ihm passt. Ein anderer gibt acht auf Übertretungen gesellschaftlicher Normen und wissenschaftlicher Regeln durch seine Mitmenschen und reagiert übertrieben auf sie. Er selbst erfüllt nicht immer diese und andere Vorschriften oder er hält manche ein, nur damit er sein böses Vorgehen begründen und maskieren kann. Mancher erzählt sofort das Negative weiter, welches er über seine Nächsten erfahren hatte, oder er forscht nach der Vergangenheit seiner Gegner, um sie dann herabzuwürdigen, um ihren Ruf zu schädigen. Diese verbreiteten Verhaltensweisen werden oft für harmlos gehalten. Aber derselbe Geist, aus dem dieses Böse stammt, zeigt sich in der Regel unter anderen Umständen in viel schlimmerem Licht.
Zum Bösen gehören selbstverständlich auch alle schlechten, aber nicht artikulierten und nicht verwirklichten Gedanken, Gefühle und Vorstellungen. Zweifellos ist dieses am meisten verbreitet. Noch feinere Arten der Selbstbezogenheit werden nicht als das Böse, sondern als das Unvollkommene bezeichnet. Sie äußern sich beispielsweise als kurze Gefühle der Zufriedenheit beim Beobachten von Sprachfehlern, anderer Hautfarbe, Nationalität, fachlicher Unkenntnis, ungeeigneter Kleidung, schlechtem Verhalten der Nächsten oder beim Bemerken der Schwierigkeiten, in die jene geraten. Auf diese Weise erzielt der Betreffende auf Kosten seiner Mitmenschen die Gefühle der Zufriedenheit, Sicherheit und Unentbehrlichkeit, die Gefühle des eigenen besseren Benehmens, der höheren Kompetenz oder besseren Lage, die er bewusst oder unbewusst sucht und die immer von relativ kurzer Dauer sind. Niemand kann sich dieser Reaktion voll erwehren. Sie verläuft automatisch. Wir registrieren sie oft nicht.
Unter den bösen Leidenschaften, Gewohnheiten, Neigungen und selbstsüchtigen Interessen des Menschen leiden nicht nur seine Mitbürger, sondern vor allem die machtlose lebendige Natur. Die Menge des Leidens, die die Begierden, Gelüste und Liebhabereien ihr direkt oder indirekt angetan haben und antun, war und ist unermesslich, und die Folgen sind gravierend. Dieser Zusammenhang wird oft nicht beachtet oder verharmlost.
Wir müssen ferner in Betracht ziehen, dass die Selbstbezogenheit mit Begierden, Neigungen und Gewohnheiten die Ursache von Krankheiten und langsamer Degeneration des menschlichen Organismus sind. Ich komme in einem der letzten Kapitel auf dieses Thema zurück. Jeder Mensch kennt den leidvollen Zustand einer Erkrankung. Wenn er über den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem willentlichen Leben aller Formen und den Krankheiten Bescheid wüsste, würde er mit Sicherheit nicht zögern, sie als das Böse zu betrachten.
Viele Interessen, Absichten, Pläne und die entsprechenden Gefühle, Gedanken, Vorstellungen, Worte und Taten des selbstbezogenen Menschen, die uns als gut, als positiv erscheinen, dienen oft seiner Selbstbestätigung, seiner Familie, Organisation, Nation oder Religionsgemeinschaft. Für die anderen Mitmenschen zeigt er weniger oder kein Mitgefühl. Da er ichverhaftet ist, betont er seine Ansichten und die eigene Lösung der bestehenden Probleme. Seine gewollte Aktivität ist nicht immer erfolgreich. Das Nichtgewollte oder Notwendige vermehrt sich dadurch. Er macht sich selbst das Leben komplizierter und unruhiger.
Die Verwandtschaft jedes Wollens mit gesellschaftlich unerwünschten, lästigen oder gefährlichen Begierden ist ein zusätzlicher Grund, unsere positive Einstellung gegenüber auch allgemein anerkannten ichbezogenen Interessen, Leidenschaften und Vorhaben zu ändern. Zusammengefasst lässt sich anführen, dass zum Bösen und Unheilsamen nicht nur die Begierden zählen, die gegen den Nächsten gerichtet sind, sondern auch andere Interessen, Bestrebungen, Gewohnheiten, Neigungen, Absichten und die entsprechenden Gedanken, Vorstellungen, Worte und Taten des willentlich lebenden Menschen. Wenn er sie befolgt, begleitet ihn das Unvollkommene, Unheilsame oder das Böse – die Sünde – das ganze Leben lang.
Aus den Beispielen des Lebens mit verschiedenen Formen der Begierden geht hervor, dass der Mensch, der unter ihrem Einfluss steht, sich nicht richtig kennt. Mancher erniedrigt, verleumdet, bestiehlt und verfolgt die Mitmenschen oder übt Gewalttaten aus, ist jedoch mehr oder weniger davon überzeugt, richtig zu handeln und gut zu sein. Wie ist dies möglich?
Wenn die Zufriedenheit eines ichverhafteten Einzelnen aus dem Bereich des willentlichen Lebens stammt und er dadurch auf die Erfüllung seiner Ziele, Anhaften, Vorhaben, Absichten, Neigungen, Wünsche und Gewohnheiten angewiesen ist, dann kann er sein Verhalten nicht für falsch halten. Sein Ich verträgt es nicht, etwas Negatives länger an seiner Lebensweise zu sehen. Er wäre deprimiert. Aus dem Grund versucht er auch jede falsche Tat aus dem Bewusstsein zu verdrängen, sie zu verharmlosen oder sie in positivem Licht zu sehen.
Der gewalttätige Mensch sucht auch alle möglichen Argumente, die sein Verhalten rechtfertigen könnten. So behauptet er, dass er die Nächsten, die er plagt, eigentlich belehrt, dass er sie in die Schule des Lebens einführt. Ein anderer denkt, dass er die Gesellschaft von verdorbenen Menschen reinigt, dass er Ordnung herstellt oder dass er durch seine Taten ein größeres Unglück abwehrt. Er bildet sich ein, durch sein böses Handeln dem Freund, seiner Organisation, der Nation, der Kirche oder der Menschheit nützlich zu sein!
Die Verbrecher töten oder lassen töten nicht ohne Grund. Sie üben etwas Schlechtes, Teuflisches aus, betrachten es aber als ihre Aufgabe, sogar als etwas Edles. Manche achten bei der Durchführung böser Taten auf bestimmte Methoden und pflegen gewisse Grundsätze. Dies gibt ihnen den gesuchten Eindruck, dass sie etwas Nichtalltägliches oder Mutiges tun. Ihre Willkür halten sie für eine Äußerung der Freiheit und sehen ihre Mitbürger in diesem Sinne als minderwertig oder als feige an. Mancher gewalttätige Mensch denkt, die rechte Hand Gottes zu sein. Er sucht und findet Zusammenhänge zwischen seinen Absichten, Vorhaben und Taten und Gottes Gerechtigkeit.
Viele böse Menschen möchten anerkannt sein, ihr Ich will etwas Wertvolles, was generell als positiv bewertet wird, tun. Aus dem Grund verhalten sie sich in bestimmten Situationen zu ihren Nächsten gut und ertragen sogar Gewalt. Sie vergelten nicht, wenn sie dadurch bewundert werden, wenn sie gut gelaunt sind und wenn es ihnen passt. Ein unsittlicher, böser Mensch hat oft eine gute Beziehung zu Gleichgesinnten. Bei bestimmten Gelegenheiten lobt er seine Nächsten und dient ihnen. Er vergisst sein „anständiges Benehmen“ lange nicht und ist überzeugt, dass er sich richtig verhält.
Der Wunsch, etwas zu bedeuten und nicht einer der verachteten Mitglieder der Gesellschaft zu sein, bringt ihn dazu, sich auf andere, ihm ähnliche oder besser noch schlechtere Mitbürger zu fixieren. An deren Handlungsweise sucht er nur das ganz Üble, während er seine eigenen boshaften Taten als etwas Besseres oder Kluges darstellt. Wenn er einen krassen Fehler verursacht, dann sieht er nicht die Schuld bei sich.
Jeder von uns übt gute Taten aus. Woher kommen sie?
Sie stammen vor allem aus unseren guten Eigenschaften. Zu den wichtigsten zählen Friedfertigkeit, Freigebigkeit, Güte, Nachsichtigkeit, Rechtschaffenheit, Demut, Vertraulichkeit, Wahrheitsliebe, Aufrichtigkeit, Bescheidenheit, Geduld, Schüchternheit und andere. Jeder von uns hat mindestens eine von ihnen bekommen. Durch sie überragt der Betreffende auf dem sittlichen Gebiet deutlich die Mitbürger, die sie nicht besitzen.
Die gute Eigenschaft ist angeboren. Sie ist sehr wertvoll, weil sie eine Art der Selbstsucht ausschließt. Da sie den falschen Interessen, Absichten, Wünschen und Begierden des unwissenden Menschen nicht nachkommt, wird sie von ihm nicht immer so geschätzt, wie sie es verdienen sollte. Mancher betrachtet sie als Bremse, die ihn an seinem Vorwärtskommen hindert, die seinem Aufstieg im Wege steht. Deswegen kann er auch unglücklich sein. Ein anderer benutzt sie zu seiner Zufriedenstellung. Sein Selbstbewusstsein oder sein Hochmut wird dadurch verstärkt. Im Idealfall denkt ihr Eigner nicht daran, dass er etwas Edles tut oder getan hat. Er kann nicht anders handeln und weiß meistens nicht, dass er in ihrer Richtung tugendhaft ist. In der Welt, wo alles relativ ist, ist die gute Eigenschaft als das sittlich Beste, was der Mensch besitzt, für sein Schicksal von großer Bedeutung. Durch sie erntet er nämlich das meiste vom Guten, welches ihm begegnet.
Das willentlich Sittliche wird auch von der Gesellschaft bejahend bewertet, hat aber nicht die heilsame Qualität der guten Eigenschaft. Der Mensch hat zum Beispiel vielerlei Gründe, daran interessiert zu sein, zu den Mitbürgern gut zu sein. Er ist freundlich zu seinem Vorgesetzten, zu Verwandten, Freunden, Bekannten, zu Mitgliedern seiner Organisation, Kirche, Rasse oder Nation. Er ist gut zu fremden Menschen, die ihm gefallen und die ihm von Nutzen sind oder sein könnten. Er kann tugendhaft sein aus Angst vor Strafe, aus Vorurteilen oder aus Aberglauben. Mancher ist gut in Situationen, in denen es um nichts geht. Er gibt das, was ihm nicht gehört oder was er nicht für kostbar hält.
Die Mitbürger helfen einander, wenn sie Hass gegen andere oder Gefahr vereint. Viele, sonst böse Einzelne, sind freundlich zu ihren charakterähnlichen Mitbürgern. Manche Menschen müssen gut oder fromm sein; sie müssen sich sittlich gut verhalten, weil das ihre gesellschaftliche Stellung, ihr Beruf, speziell erfordert. Hinter dem guten Benehmen, das wir auf der Straße, im Urlaub, in der Arbeit oder anderswo täglich wahrnehmen, steht vor allem das Ich der Beteiligten, die Sorge um ihr Ansehen, welche ihnen nicht erlauben, sich in der Gesellschaft unhöflich, arrogant oder beleidigend zu ihren Mitbürgern zu verhalten.
Unsere selbstbezogenen guten Interessen bedingen das Meiste, was wir vom Morgen bis zum Abend an Gutem tun. Es handelt sich vor allem um die tägliche körperliche oder geistige Arbeit. Danach beschäftigen wir uns mit Einkauf, Kochen, Hausarbeiten oder mit unseren Hobbys, wie beispielhaft mit Sport, Gartenarbeiten, Autopflege, Fernsehen, Studium, Lesen usw. Dem Nicht-Interessanten, dem, was wir nicht gerne tun, weichen wir möglichst aus. Vieles vom Notwendigen wird automatisch durchgeführt.
Das wertvolle Gute, welches sich der Mensch als seine Leistung anrechnen kann, ist immer das, was er gegen seine Begierden, gegen den Eigennutz, gegen sich selbst – wie bei der Selbstverleugnung (Askese) – tut. Hier ist er aber nicht immer erfolgreich. Wenn doch, dann dient das Gute wieder seiner Selbstbestätigung. Der Mensch verträgt bei der Bewertung seines Handelns keinen strengen Maßstab. Sein Verhalten wird auch relativ beurteilt.
Das Leiden gehört zu den wichtigen negativen Merkmalen der willentlichen Lebensweise. Es ist so konstant, dass es Gautama Buddha zur Grundlage seiner Lehre gemacht hatte. Jemandem könnte dies unbegreiflich vorkommen, da er keinen ständigen Kummer oder keine dauernden Schmerzen hat. Von Zeit zu Zeit wird er von Sorgen in der Familie und am Arbeitsplatz, durch Zahnschmerzen oder Krankheiten geplagt, aber ansonsten kann er sich nicht beklagen. Das Leben scheint ihm oft angenehm zu sein.
Ich versuche nachfolgend, diesen Widerspruch teilweise zu erhellen. Aber eine derartige Erkenntnis, bei welcher der Leser sich seines bisherigen Lebens als eines ständigen Leidens verschiedener Intensität bewusstwird, kann das bloße Durchlesen dieses Kapitels nicht bewirken.
Zum Leiden gehören nicht nur verschiedene Arten von körperlichen Schmerzen, das Älterwerden und Sterben, sondern auch das psychische Leid mit unangenehmen Gefühlen wie Langeweile, Unzufriedenheit, Verdrossenheit, Aufgeregtheit, Spannung, Befürchtungen, Sorgen, Ängsten, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung usw. Das Leiden entsteht durch körperliche und geistige Krankheiten und Unfälle und vor allem bei der Nichterfüllung unserer Leidenschaften, Interessen, Absichten, Pläne und Gewohnheiten, bei der Bedrohung oder beim Verlust dessen, was wir lieben, was uns gehört und gefällt.
Das Leben mit Begierden und Interessen ist schon aus dem einfachen Grund unvorteilhaft, weil sie uns auf die Welt fixieren, auf der es nichts Dauerhaftes gibt. Die ständigen Veränderungen in der Natur, die Vergänglichkeit alles Lebendigen und die unvorhersehbaren Ereignisse und Unglücksfälle bewirken, dass alles auf der Erde kurzlebig und unsicher ist.
Das Leben in der Gesellschaft ist nicht nur unterhaltsam, sondern oft leidbringend. Verschiedene Begierden, Verlangen, Triebe, Süchte, Gewohnheiten, Interessen, Absichten und Pläne der ichverhafteten Menschen verursachen bei anderen Mitbürgern eine Menge geistiger und körperlicher Schmerzen. Die verletzte Ehre und der Hass der Betroffenen garantieren die Fortsetzung des Streites und die Vermehrung des Leidens. Die aggressiven und oft unzufriedenen Menschen trachten nur nach der Gelegenheit, sich durchzusetzen und die Mitmenschen zu verletzen. Sobald sie sehen, dass der Nächste verärgert, traurig oder unzufrieden ist, werden sie zufrieden. Diese Menschen stellen für die Gesellschaft eine ständige Quelle des Leidens dar. Auf ihre Art des Verhaltens – des Abreagierens – können sie sich gewöhnen.
Eine große Fixierung, worauf auch immer, lässt von sich aus mehr oder weniger unbegründete Befürchtungen und Angstgefühle mit einer Vielzahl leidvoller Gedanken und Vorstellungsbilder entstehen. Die Zuneigung zum anderen Geschlecht endet oft in Kummer und Gram. Der Mensch ist ein sehr labiles Wesen. Sein Durst nach dem Leben fordert von ihm, sich mit den eigenen, und wie wir wissen, wechselnden, unberechenbaren Interessen zu beschäftigen. Eine Person, die wir lieben oder hochachten, kann uns nur unter bestimmten Umständen zugeneigt sein.
Die Zufriedenheit, die durch das willentliche Leben erreicht wird, ist relativ kurz. Der Mensch ist deshalb gezwungen, etwas Neues, Nicht-Alltägliches, Seltenes oder Abnormales zu suchen. Nur das bringt ihm wieder die ersehnte Zufriedenheit, nur das kann seine Missstimmung, die sich immer wieder einstellt, zerstreuen. Hier sieht er das Ziel und den Sinn des Lebens und dessen Qualität. Dadurch wird er vom Nicht-Alltäglichen, Seltenen oder Abnormalen, das komplikationsträchtig ist, abhängig. Er muss aber jeden Tag viel Gewöhnliches, sich Wiederholendes tun. Dieses Notwendige wird für ihn uninteressant, nicht anziehend, ermüdend oder abstoßend. Mancher muss es aber tun, da er durch seine höheren Interessen dazu gezwungen wird. Ichbezogen – willentlich – zu leben, bedeutet oft, in Missstimmung zu leben.
Das Streben nach einem Ziel ist immer mit erhöhter Aufmerksamkeit, Ergriffenheit, Erwartung, Anspannung, Erregung oder Aufregung – mit verschieden großer bewusster und unbewusster Spannung – verbunden. Dabei vermehren sich unsere Gedanken und Vorstellungsbilder. Im Bereich der Interessen, Absichten, Begierden und Gewohnheiten treten Komplikationen auf. Die Anspannung nimmt dadurch zu. Da der Mensch wiederholt willentlich tätig ist, muss er ständig mit einer verschieden großen Erregung leben. Im jungen Alter empfindet er sie als anziehend. Er sucht sie auch nach der Arbeit, im Sport und zu Hause (zum Beispiel im Fernsehen oder im Internet) und misst seiner Lebensweise hohe Qualität bei. Später, wenn er feststellt, dass die geistige Unruhe angewachsen und unangenehm ist, versucht er auf eigene Weise ihr vorzubeugen oder sie zu bekämpfen.
Die Stresszustände beruhigen sich während des Schlafes, aber hinterlassen am nachfolgenden Tag morgens eine kleine Rest- oder Grundspannung. Sie wird von ihrem Besitzer nicht registriert und nicht unterschieden. Angewachsen schadet sie dem menschlichen Organismus und verursacht in Verbindung mit anderweitiger falscher Lebensführung wie Mangel an Bewegung, falscher Ernährung und schädlicher Umwelteinflüsse, die auch als Folge des selbstbezogenen Lebens anzusehen sind, sowie den erblichen Faktoren Krankheiten. Sie sind als Hauptursache von Schmerzen und Unwohlsein gefürchtet. Aufgrund ihrer Wichtigkeit gebührt ihnen besondere Aufmerksamkeit. Ich behandle sie in einem speziellen Kapitel.
Das abwechslungsreiche Leben führt zum vorzeitigen Verbrauch der natürlichen Ruhereserven jedes Menschen. Im mittleren oder späteren Lebensabschnitt kann sich bei ihm ein Verstimmungszustand entwickeln, der durch erhöhte Nervosität, Ungeduld, Verdrossenheit, Unruhe oder erhöhte Ermüdbarkeit charakterisiert ist. Der Betreffende kann sich nicht mehr, so wie früher, auf die Arbeit konzentrieren, da ihn seine zahlreichen Gedanken dabei stören. Sein Schlaf wird kürzer und oberflächlicher. In diesem Stadium versucht sich jeder zu helfen, wie er kann (Urlaub, Sport, Lesen, Beruhigungsmittel u.a.). Gleichzeitig reduziert er seine Interessensphären und sucht vermehrt die Einsamkeit. Er spürt, dass häufige Wechsel der Interessen ihm schaden.
Jede Beruhigungsmethode steuert bei unveränderter Lebensweise in eine weitere, sehr verbreitete Form des Leidens: in die Sucht. Es handelt sich um eine zunehmende Unfreiheit, um eine innere Versklavung. Die Gewöhnung an bestimmte Hobbys bringt nur relativ wenige Nachteile mit sich. Viel schlimmer ist es mit der Gewöhnung an beruhigende Stoffe wie Nikotin, Alkohol, Opium, Kokain und andere Rauschmittel. Mit dem gewohnten Stoff schwinden die Spannung und Verstimmung und es treten die ersehnte Zufriedenheit, Ruhe und Sicherheit ein. Diese zeitlich begrenzten Gefühle stellen sich im Laufe der Zeit nur nach höheren Dosen der Droge ein, die dem Organismus schaden. Der Betroffene fürchtet sich davor, im fortgeschrittenen Stadium der Abhängigkeit das gewohnte Mittel abzusetzen, da er vor der Unruhe und Verwirrtheit, die ihn überkommen, wenn er von seiner Droge keinen Gebrauch macht, Angst hat. Deshalb tut er alles Mögliche, um das Beruhigungsmittel zu erhalten. Das Endresultat dieser Gewohnheit ist der geistige und körperliche Verfall mit Schwächung des Abwehrsystems des Organismus und Krankheiten.
Die Wurzel der schweren Gewohnheit – der Sucht – müssen wir in der vererbten erhöhten Reagibilität des Menschen suchen. Es handelt sich meistens um einen sensiblen, unruhig lebenden Menschen mit Sehnsucht nach Anerkennung. Die Aggressivität ist nicht für ihn bezeichnend. Zu Beginn der Sucht ignoriert er die Mahnungen der Nächsten. Später findet er keine Kraft, seine Lebensweise zu ändern.
Das willentliche Leben mit ständiger kleinerer oder größerer Spannung und anderer falscher Lebensweise führt außerdem zu einem langsamen Prozess der Abnutzung, der Degeneration des Organismus – es bewirkt das Altwerden. Im Alter treten schwere Krankheiten auf, die das Leiden verschlimmern und zum Tode führen. Der Mensch denkt nicht richtig an diese negative Zukunft. Sein Ich meidet das Thema. Bei den Mitbürgern findet er in dieser Hinsicht oft keine Belehrung, weil sie sich im Prinzip so wie er verhalten. So kommt es, dass die Menschen in der gleichen Weise leben wie ihre enttäuschten Vorgänger.
Das bisher Angeführte kann noch nicht unsere Leiden erklären. An dieser Stelle muss ich vorab erwähnen, dass auf das selbstsüchtige Verlangen, auf das, was wir wollen, früher oder später aus Gerechtigkeitsgründen unerfreuliche Ereignisse folgen. Das geschieht vor allem dann, wenn die Selbstsucht und das Genussleben auf Kosten der Mitmenschen und vor allem der subhumanen Lebewesen stattfinden. Dieses Verhalten ist als die Hauptursache vieler unserer ungeklärten Leiden anzusehen. Die selbstbezogenen Interessen, die für die Mitmenschen und die lebendige Natur ungefährlich sind, verursachen nur entsprechend leichtere Unannehmlichkeiten oder Komplikationen. Nur das Selbstlose hinterlässt keine negativen Folgen.
Das täglich Notwendige, das wir ausüben müssen, zum Beispiel das frühzeitige Aufstehen, der Weg zur Arbeit und die mehr oder weniger beschwerliche Betätigung, Missstimmungen, Unwohlsein, Schmerzen oder Unglück, stellen das Leiden dar, das wir auch in einen Zusammenhang mit bestimmten willentlichen, begehrlichen Denk- und Handlungsweisen bringen müssen. Am Ende bleiben noch weitere Leiden (z. B. Leid der Kinder) unverständlich.
Hier kann uns nur die indische Karma-Lehre11 mit dem Kreislauf der Wiedergeburten, Samsāra,12 als mögliche Erklärung behilflich sein. Sie stellt manche Leiden im heutigen Leben in den ursächlichen Zusammenhang mit falschen Taten im früheren Leben. Die Wahrhaftigkeit dieser Lehre lässt sich, laut Buddha, nur durch eine meisterhaft geübte tiefe Versenkung, die heute nicht erreichbar ist, bestätigen. Durch die unruhige Lebensweise werden wir in einer ganz oberflächlichen Schicht unseres Bewusstseins gehalten und können uns nicht an frühere Existenzen erinnern.
Nach dem Angeführten scheint die Situation des Menschen ausweglos zu sein. Das willentliche Leben bedeutet für ihn, ein mehr oder weniger ständiges, ermüdendes Suchen, ohne wahre Sättigung und Ruhe zu finden. Das Leben ohne Vorhaben, Wünsche, Ziele und Interessen, denkt er, sei nur mit Depression, Pessimismus und anderen Missstimmungen oder geistigen Krankheiten vereinbar. Der Mensch hat bei seiner Lebensweise scheinbar keine Möglichkeit, dem Leiden auszuweichen oder sich des Leidens zu entledigen. Aber auch derjenige, der sich momentan zufrieden und glücklich fühlt, befindet sich in einer Lage, die eigentlich keinen Grund zu seiner Zufriedenstellung bietet. Er würde nur dann sein Dasein als einen ständigen unangenehmen Zustand wahrnehmen, wenn es ihm gelänge, wenigstens zeitweise einen Zustand außerhalb der Selbstbezogenheit, außerhalb seiner selbst, also außerhalb der willentlichen Seinsweise, zu erreichen.
Nachfolgend versuche ich glaubhaft zu machen, dass unsere Wünsche, Ziele, Interessen, Vorhaben und Begierden oft überflüssig, nutzlos, trügerisch und unwahr sind, dass das selbstmächtige, eigenwillige Leben unvollkommen ist und sich oft als schädlich erweist. Diese Aussage ist, so wie die Behauptung, dass der Begehrende mehr oder weniger ständig leidet, nicht immer einleuchtend. Beim Streben nach einem Ziel, beim Genießen des Lebens, oder anders gesagt, in der Zeit der Präsenz der Begierde, kommt ihre Nutzlosigkeit, Unmäßigkeit oder Falschheit dem Betreffenden selten in den Sinn. Seine Interessen, Ziele, Vorhaben und Wünsche sind seine Produkte. Sie stellen die nicht abtrennbaren Bestandteile seines Geistes dar. Der Begehrende will ja nichts Verkehrtes, nichts Falsches für sich tun. Er versucht, sich das Leben nach seiner Art und den Umständen entsprechend so angenehm wie möglich zu gestalten. Er will sich am Arbeitsplatz oder anderswo in der Gesellschaft durchsetzen. Sein Ziel ist es auch, seiner Familie, Organisation, Kirche oder Nation zu helfen. Jeder verlässt sich dabei auf seine Fähigkeiten. Er denkt, er habe reiche Erfahrung und Wissen gesammelt und sieht seine Ziele, Pläne, Vorhaben und Interessen auch auf lange Sicht als vorteilhaft und als richtig an.
Worin besteht die Trugwirkung der selbstbezogenen Lebensweise?
Sie beeinflusst die geistige Tätigkeit seines Eigners, sie verblendet oft seinen Verstand, dass er das Falsche wählt. Wir können dies am Beispiel der Leidenschaften veranschaulichen. Die Mitbürger sehen beispielsweise, dass der Gierige etwas Verkehrtes, etwas für sich Falsches tut; er dagegen sieht das Gegenteil. Der Süchtige reagiert nicht auf die gut gemeinten Ratschläge oder Mahnungen seiner Freunde und verharmlost die Nachteile seiner falschen Handlungsweise. Er ist überzeugt, dass er den für ihn einzig möglichen Weg geht und dass er noch relativ gut dran ist. Das Ich des eigenwillig handelnden bösartigen Menschen gaukelt den Eindruck der nützlichen, mutigen, gesunden und auch für die Gesellschaft wichtigen Tätigkeit vor. Beim Menschen, der der Natur schadet, kann die verkehrte, aber überzeugte Meinung entstehen, dass er sie pflegt, dass er sich um sie sorgt.
Dem unwissenden Menschen scheint oft, dass die Verblendung nicht von ihm kommt, sondern dass die Umwelt ihn trügt und zum Bösen verleitet. Die Welt selbst kann aber den Einzelnen, der nicht selbstbezogen ist, nicht täuschen. Sie ist für ihn indifferent. Es ist der Eigenwille mit Begierden und Interessen, die ihn über die Sinne an die Umgebung heften und zu falscher Tätigkeit verleiten. Die Welt spielt dann bei der Formation und Entwicklung der Begierden mit. Der Betreffende gehört in die Welt, und das, was ihn auf der Welt blendet, entspricht seinen Schwächen, seinem Anhaften. Er sieht, dass die Ursache seiner falschen Handlungsweise sich außerhalb seiner selbst befindet, dass der Anlass von außen kam, weil er sich nicht richtig kennt, weil er wahrnimmt und unterscheidet oder weil er sich sein eigenes Fehlverhalten nicht gerne eingesteht.
Jetzt wende ich mich weiteren, verbreiteten Formen der Unwahrheit zu, die die Eigensucht entstehen lässt. Über die täuschende Wirkung der Gewinnsucht und Esslust habe ich hinreichend geschrieben. Auf die Verblendung, die den Hochmut begleitet, möchte ich nochmals zurückkommen. Der Hochmut wird oft als übertriebenes Selbstbewusstsein von klein auf gepflegt. Der Überhebliche verlangt wiederholt nach Anerkennung. Er denkt häufig an seine beneidenswerten körperlichen oder geistigen Eigenschaften und übertreibt die Bedeutung seiner Erfolge. In dem Eindruck der Überlegenheit über seine Nächsten lebt er lange, auch wenn er schlimmer dran ist als sie. Er bildet sich eine eigene unwahre Vorstellungswelt, in der er eingeschlossen verbleibt.
Jeder Mensch ist ein machtloses und leicht verletzbares Wesen. Er hat keinen Grund zur Selbstüberhebung. Das Aussehen, die Begabung, die Kenntnisse oder der Erfolg sollten ihn nicht zum Hochmut verleiten. Wie leicht hätte er ohne seine bewundernswerten körperlichen Vorzüge oder geistigen Eigenschaften auskommen müssen (Lotterie der genetischen Faktoren). Wie viel hätte bei der Entstehung eines Erfolges schiefgehen können. Man darf nicht vergessen, dass jeder Mensch seine Vorzüge hat und dass jeder in bestimmter Weise erfolgreich ist. Misserfolge, Unglücksfälle oder Krankheiten können uns leicht um das Erreichte oder Vorzügliche bringen und unser Leben zu einer Plage machen. Das Leben eines einfachen Menschen ist oft vorteilhafter, qualitativ besser.
Der Hochmut bewirkt automatisch weitere falsche Gefühle mit entsprechenden Gedanken, Worten und Taten: die Unterschätzung der Mitmenschen (siehe auch das Kapitel über das Böse). Bestimmte Menschen, die unpassend gekleidet oder die nicht redegewandt sind, mit gewöhnlichem Beruf, niedriger oder anderer Herkunft oder anderer Religion, werden von ihm unterbewertet. Sie werden für weniger fähig gehalten, als sie in Wirklichkeit sind. Gegen dieses falsche Gefühl kann man sich nur schwer wehren. Sicher ist, dass vieles Negative, das er an den Mitmenschen findet, wahr ist, aber die Gefahr, dabei Unrecht zu tun, ist immer vorhanden. Der Mensch darf nicht vergessen, dass er, durch ähnliche Umstände geleitet, früher ebenso handelte und in der Zukunft handeln wird wie die Nächsten, die er kritisiert oder unterschätzt – manchmal sogar noch schlimmer. Er soll auch in Betracht ziehen, dass er selbst Unvollkommenheiten hat und dass er täglich Fehler im Bereich seiner Absichten und Ziele begeht.
Die Selbstunterschätzung stellt ebenfalls ein trügerisches Spiel der Sehnsucht nach Anerkennung dar. Bei jedem von uns treten Zeitabschnitte von Selbstunterschätzung oder von übertriebenem Selbstbewusstsein auf, in Abhängigkeit von Misserfolg oder Erfolg. Einige Mitbürger sind aber viel hochmütiger, wohingegen wieder andere übertrieben selbstkritisch sind. Sie plagen sich auch ohne Grund. Die Ichsucht zusammen mit dem Verstand verleihen dem Betreffenden den Eindruck der Objektivität dieser Verblendung. Er beneidet die souveräne Handlungsweise seiner Nächsten und übersieht, dass sie oft falsch handeln, dass ihnen andere Sorgen und andere Leiden anhaften und dass sie nur das Bewundernswerte zeigen. Einige Menschen plagen sich beispielsweise jahrelang wegen eines Verstoßes gegen die gesellschaftlichen Normen, der an die Öffentlichkeit gelangte, nicht wissend, dass sie jeden Tag verkehrt denken und falsch handeln.
Unter bestimmten Voraussetzungen gerät der Mensch in den Trug, seine Nächsten zu überschätzen oder zu verehren. Er preist oft die Mitbürger mit den körperlichen oder geistigen Eigenschaften, die ihm fehlen und die er für wertvoll hält. Ist er nicht imstande, seine Ziele zu erreichen, bewundert er die „Glücklichen”, denen dies gelungen ist. Er stellt sich an ihrer Stelle vor. Dies und der Mangel an Abwechslung im eigenen Leben führen zur Bewunderung mancher berühmten Persönlichkeiten. Manchmal genügt nur gutes Aussehen, Auftreten, gewandte Rede oder elegante Kleidung, dass wir jemanden bewundern oder verehren, dass wir ihm glauben. Der sonst unnachgiebige und weltlich orientierte Laie, der beispielsweise mit einem Pfarrer oder Arzt während ihrer Berufsausübung in Kontakt kommt, kann von einem trügerischen Gefühl der Fügsamkeit, Frömmigkeit oder des Vertrauens ergriffen werden.
Es lässt sich sagen, dass die Menschen, die wir bewundern, insgesamt nicht viel besser sind als wir. Was wir bewundern, ist oftmals das Verkehrte. Ihre Unvollkommenheiten sind von anderer Art, und ihr Böses überragt manchmal das unsrige. Durch ihre beneidenswerten Merkmale, Eigenschaften und Erfolge getäuscht, bemerken wir nicht ihre Schwächen oder übersehen sie. Das Zusammenleben mit ihnen würde uns bald ernüchtern. Oft geschieht es, dass wir über ihr Böses aus anderen Gründen nicht Bescheid wissen. Bestimmte interessierte Kreise der Gesellschaft erlauben manchmal nicht, dass das Wahre über eine berühmte Person ans Licht kommt. Sie fürchten die Herabsetzung des nationalen Selbstbewusstseins, den Rückgang des guten Ansehens einer gesellschaftlichen Schicht und den Verlust der erzieherischen Wirkung auf die Jugend. Die oft noch unvollständige Wahrheit über die Bosheiten und Schwächen einer berühmten Person kann nur unter geeigneten Umständen, manchmal erst nach Ablauf von Jahrzehnten nach ihrem Ableben, an die Öffentlichkeit gelangen.