Unheimlich verliebte Geister: 4 Romantic Thriller - Alfred Bekker - E-Book

Unheimlich verliebte Geister: 4 Romantic Thriller E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieses Buch enthält die Romane von Alfred Bekker: (399) DEIN ALBTRAUM WIRD ZUR WIRKLICHKEIT AHNENGEISTER DIE GRUFT DES BLEICHEN LORDS DAS JUWEL DES DÄMONS „Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird, dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...“ Alfred Bekker schrieb diesen fesselnden Romantic Thriller. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im Dezember 2012 erscheint mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.

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Alfred Bekker

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Inhaltsverzeichnis

Unheimlich verliebte Geister: 4 Romantic Thriller

Copyright

Dein Albtraum wird zur Wirklichkeit

Ahnengeister

Die Gruft des bleichen Lords

Das Juwel des Dämons

Unheimlich verliebte Geister: 4 Romantic Thriller

Alfred Bekker

Dieses Buch enthält die Romane von Alfred Bekker:

DEIN ALBTRAUM WIRD ZUR WIRKLICHKEIT

AHNENGEISTER

DIE GRUFT DES BLEICHEN LORDS

DAS JUWEL DES DÄMONS

„Seltsame, unerklärliche Dinge geschehen im Leben einer jungen Anwältin in Kanada, seit sie einen indianischen Schamanen verteidigt, dem der Mord an einem Geschäftsmann zur Last gelegt wird, dessen Hotel mit Golfanlage auf dem Boden einer uralten indianischen Kultstätte errichtet wurde. Wird sie von rachsüchtigen indianischen Ahnengeistern verfolgt oder ist sie eher Opfer einer perfiden Verschwörung? Schon bald gibt es weitere Opfer...“

Alfred Bekker schrieb diesen fesselnden Romantic Thriller. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im Dezember 2012 erscheint mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Alles rund um Belletristik!

Dein Albtraum wird zur Wirklichkeit

von Alfred Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 106 Taschenbuchseiten.

Linda wird von Albträumen geplagt, in denen sie von einer Gestalt in eine Burgruine gehetzt wird. Ist sie nur überarbeitetet oder schon dem Wahnsinn nahe? Als sie dann dieselbe Burgruine auf einem Reiseprospekt entdeckt und sie ihren scheinbar grundlosen Ängsten auf den Grund zu gehen versucht, wird ihr Albtraum zur Wirklichkeit...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author /COVER WERNER ÖCKL

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

[email protected]

1

Der Mond schien fahl zwischen schnell daherziehenden Wolken hindurch. Einen Augenblick später wirkte er nur noch wie ein verwaschener Fleck am Nachthimmel.

Das graue Gemäuer der uralten Burgruine wirkte kalt und abweisend. Aus irgendeinem Grund schien die Vegetation diesen Ort zu meiden, obwohl sie ihn nach all den Jahrhunderten, in denen er sich selbst überlassen gewesen war, längst hätte überwuchern müssen. Nirgends war auch nur ein Moosbewuchs in den bröckeligen Mauerfugen zu finden.

Nebelschwaden krochen wie formlose, kriechende Ungeheuer über den schlüpfrigen Boden dieses unheimlichen Labyrinthes.

Die Aura des Todes hing schwer über diesen Mauern.

Linda zitterte - halb vor Angst und halb wegen der alles durchdringenden feuchten Kälte.

Linda presste sich an den kalten Steinwänden entlang. Grauen hatte sie erfasst.

Sie hörte das Galoppieren eines Pferdes. Das Tier wieherte.

Das ist er!, ging es ihr schaudernd durch den Kopf.

Ihr unbarmherziger, düsterer Verfolger...

Der Puls schlug Linda bis zum Hals. Vorsichtig stieg sie die rutschigen, vom Nebel feuchten Stufen hinauf... Sie saß in der Falle und wusste das auch sehr genau. es gab kein Entkommen. Wenn der Verfolger sie erreichte, dann war es um sie geschehen. Lautlos glitten ihre Füße über den Stein, bis sie einen Wehrgang erreichte.

Sie hielt inne und lauschte. Dabei hielt sie sich geduckt, damit man sie aus dem Burghof heraus nicht sehen konnte.

Einige Sekunden lang geschah gar nichts.

Und das war beinahe noch schrecklicher, als wenn sie jetzt die schweren Schritte der eisenbeschlagenen Stiefel gehört hätte, die der Unheimliche trug. Das Rasseln der Sporen, das metallische Klappern von...

Sie wusste es nicht.

Eine Eule schrie irgendwo von einem der Türme her und ließ Linda zusammenzucken.

Dann hörte sie die Schritte.

Dumpf und drohend kamen sie immer näher.

Linda starrte in den Nebel. Schreckensbleich und einen Augenblick wie gelähmt stand sie da und sah, wie etwas die Treppe hinaufschritt.

Eine Gestalt zeichnete sich schattenhaft im Nebel ab. Wie ein schwarzer Umriss aus reiner Finsternis.

"Nein!", flüsterte sie.

Und dann lief sie davon. Den Wehrgang entlang und dem Westturm entgegen, der als einziger noch ungefähr die Gestalt hatte, die seine mittelalterlichen Erbauer ihm gegeben hatten.

Dort endete der Wehrgang.

Zu beiden Seiten waren die steinernen Brustwehren und dahinter ging es so tief hinunter, dass jeder Gedanke daran, dort hinabzuspringen buchstäblich halsbrecherisch war.

So blieb nur der Turm, der sich als düsterer Schatten gegen das fahle Mondlicht abhob.

Die Tür war bereits seit Jahrhunderten verfault und zu Staub geworden. Nur die metallenen, über und über mit Rost bedeckten Halterungen steckten noch im Gemäuer.

Hinter der Türöffnung war nichts als Dunkelheit, so schien es. Linda zögerte deshalb. Ihr Kopf wandte sich halb herum.

Hinter sich sah sie den Verfolger mit gemessenen Schritten herankommen. Als Mondlicht für einen Moment das Gesicht erhellte, sah sie totenbleiche, hohlwangige Züge und vor abgrundtiefem Hass blitzende Augen.

Woher kenne ich dieses Gesicht?, ging es ihr durch den Kopf.

Es war absurd. Sie hatte das Gesicht noch nie gesehen, dessen war sich die eine Hälfte ihrer selbst völlig sicher.

Andererseits war da dieses unbestimmte Gefühl der Vertrautheit.

Vertrautheit, die irgendeiner finsteren Vergangenheit entsprang...

Der Unheimliche trug einen dunklen Umhang, unter dem etwas hervorragte.

Eine Schwertspitze!

Linda war irritiert, als sie das erkannte.

Der Unheimliche blieb stehen.

Er schlug den Umhang zur Seite und im Mondlicht sah sie dann einen mittelalterlichen Brustpanzer metallisch blitzen.

Schon wollte Linda in die Finsternis im Innern des Turms flüchten, da hörte sie seine Stimme.

"Gwen!", rief er.

Sie blieb wie erstarrt stehen. Seine Hand hob sich und deutete in ihre Richtung.

"Ich bin nicht Gwen!", erwiderte sie wie automatisch, ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken.

Dieser Name..., ging es ihr dann verzweifelt durch den Kopf. Woher kommt dieser Name mir so bekannt vor?

"Gwen!", rief der Düstere dann erneut und setzte anschließend noch einige dunkel klingende Worte hinzu, die sich in Lindas Ohren wie Donnergrollen anhörten. Aber sie verstand kein einziges Wort. Er sprach in einer ihr unbekannten Sprache, die entfernte Ähnlichkeit mit dem Französisch zu haben schien, das sie in der Schule gelernt hatte. Einzelne Worte und Wortfetzen glaubte sie wiederzuerkennen, aber denn Sinn konnte sie nicht begreifen.

Wohl aber, dass ihr geisterhaftes Gegenüber es nicht freundlich gemeint hatte. Sein Tonfall ließ darüber keinerlei Zweifel zu.

Er kam näher.

Die Hand hatte er um den Griff seines gewaltigen Schwertes gelegt, so als wollte er die Waffe im nächsten Moment herausziehen.

"Was habe ich dir denn getan?", flüsterte Linda verzweifelt.

Er kam mit entschlossenen Schritten auf sie zu und die dumpfen Worte, die dabei über seine blassen Lippen kamen, klangen wie das drohende Knurren eines Raubtiers...

Linda floh in die Dunkelheit des Turmes.

Sie strauchelte. Fühlte, wie ihre Knie hart gegen die Kante einer steinernen Treppenstufe kamen. Der Unheimliche war bereits hinter ihr. Sie drehte sich herum, rappelte sich auf, obwohl ihr das Knie schmerzte.

Er streckte seine Hand nach ihr aus und als er sie an der Schulter berührte schrie sie aus Leibeskräften.

"Nein!"

Eine unmenschliche Kälte durchströmte sie. Die Kälte schien von der Hand des Unheimlichen auszugehen und durchflutete ihren gesamten Körper mit einem eisigen Schauer.

"Gwen...", flüsterte der Düstere.

Sein Atem war wie der erste Frosthauch im Oktober.

Linda riss sich los und hetzte in grenzenloser Panik die schmale Wendeltreppe hinauf. Die Stufen waren tückisch. Es war fast stockdunkel hier und manche der Stufen waren teilweise unter der Last der Jahrhunderte zerbröckelt.

Linda strauchelte, aber die Angst trieb sie vorwärts.

Und dann erreichte sie wieder das Freie.

Der Turm wurde von einer Brustwehr begrenzt. Das Mondlicht schien auf den grauen Stein.

Jetzt gibt es keine Flucht mehr!, wurde es ihr klar.

Sie stand an der steinernen Brüstung und sah hinab in die Tiefe. Weiter konnte sie nicht. Sie drehte sich halb herum und sah den Düsteren auf sich zukommen. Sein kaltes, bleiches Gesicht ließ sie erschaudern. Sie fühlten den Griff der eisigen Hände...

Und schrie, wie sie noch nie in ihrem Leben geschrien hatte, als sie im nächsten Moment über die Brüstung in die Tiefe fiel.

2

Alles drehte sich vor ihr und dann war da nichts als Finsternis.

Linda riss die Augen auf und spürte den kalten Angstschweiß auf ihrer Stirn.

Kerzengerade saß sie in ihrem Bett und es dauerte einige Augenblicke, bis sie begriff, dass sie geträumt hatte.

Alles ist so real gewesen!, ging es ihr schaudernd durch den Kopf. Sie fasste nach der Decke und erst diese Berührung schien ihr Sicherheit zu geben, nicht noch immer in dem grauenerregenden Traumgespinst gefangen zu sein. Sie schlug die Decke zur Seite und stand auf. Ihr Nachthemd war schweißnass. Aber langsam ließ das Zittern nach.

Durch das Fenster fiel das Mondlicht in ihr Schlafzimmer.

Sie machte kein Licht, sondern ging zum Fenster und blickte hinab. Linda Blane wohnte im fünften Stock. Etwas unterhalb ihrer komfortablen Wohnung leuchteten die Reklamen von Boutiquen und Kaufhäusern die ganze Nacht über. Im Herzen Londons herrschte rund um die Uhr Betrieb. Nie schien diese Stadt völlig zu schlafen. Linda öffnete das Fenster und die kühle Nachtluft erfrischte sie. Von Ferne war das Hupen eines Wagens und ein aufbrausender Motor zu hören.

Linda atmete tief durch.

Es war nicht ihr erster Traum dieser Art. Eine ganze Weile schon wurde sie von derartigen Albtraumvisionen gepeinigt.

Und die Szenerie war immer ähnlich. Ein unheimlicher, leichenblasser Mann in mittelalterlicher Kleidung verfolgte sie durch die grauen Mauern einer Burgruine und nannte sie "Gwen".

Für den Bruchteil einer Sekunde stand das blutleere Gesicht mit den dünnen Lippen ihr wieder so lebhaft vor Augen, dass sie unwillkürlich zusammenzuckte.

Mein Gott, was hat das alles zu bedeuten?, ging es ihr durch den Kopf. An einem Bankgebäude fand sich eine große elektronische Uhr, die außerdem über die Temperatur Auskunft gab. Es war weit nach Mitternacht. Linda dachte mit Schrecken an den nächsten Tag. Sie fühlte sich, als hätte sie keine Minute geschlafen. Und in ein paar Stunden würde sie im Büro der Werbeagentur sitzen, bei der sie angestellt war, und sich Mühe geben, dass ihr nicht die Augen vor Erschöpfung zufielen...

Es ist alles gut!, sagte sie sich selbst und wiederholte es in Gedanken wieder. Sie versuchte, langsamer und tiefer zu atmen und sich dadurch zu beruhigen. Ihr Puls schien schon wieder die normale Frequenz zu haben.

Und dann sah sie die Gestalt...

Sie wartete an einer Hausecke. Nicht mehr als ein Schatten war zu sehen, aber der Umhang bewegte sich. Und für einen Augenblick sah sie das bleiche Gesicht im Schein der Straßenbeleuchtung.

"Nein!", flüsterte sie voller Verzweiflung.

Sie fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht und schüttelte stumm den Kopf. Grauen hatte sie gepackt und für einen Moment vergrub sie das Gesicht in den Händen und schluchzte. Ich werde wahnsinnig!, hämmerte es in ihr.

Zumindest bin ich nahe daran...

Sie hatte das Gefühl, an einem Abgrund zu stehen.

Kalt wehte jetzt der Nachtwind von draußen herein.

Wolke zogen auf und der Mond, der hoch über Stadt stand, war bald nur noch jener verwaschene Fleck aus ihrem Traum.

Sie blinzelte durch ihre Finger.

Sieh ihm ins Auge, Linda!

Sie nahm die Hand zögernd zur Seite.

Ihre Augen suchten nach dem Unheimlichen, aber sie konnte die schattenhafte Gestalt nirgends sehen.

Vielleicht war alles nur Einbildung!

Aber das war ebenfalls kein sehr beruhigender Gedanke.

Namenlose Angst hielt ihr Herz in eisernem Griff. Die Furcht vor dem Unheimlichen mischte sich mit etwas anderem, dass nicht minder bedrohlich erschien: Der Angst davor, den Verstand zu verlieren...

3

"Es ist nicht das erste Mal, Miss Blane, dass wir über Ihre Träume sprechen", stellte Dr. Jakes fest, während er Linda mit hochgezogenen Augenbrauen musterte. "Jedenfalls finde ich es in Ordnung, dass Sie mich angerufen haben..."

"Ich brauchte Hilfe! Ich bin so verzweifelt..."

"Ja, das verstehe ich."

"Ich bin so froh, dass Sie diesen Termin so kurzfristig ermöglichen konnten..."

Linda strich sich mit einer fahrigen Geste das Haar aus dem Gesicht und wich dem Blick des Psychiaters aus. Seit einiger Zeit nahm sie regelmäßig an Sitzungen teil. Und nach diesen Gesprächen hatte sie immer das Gefühl, sich ein bisschen besser zu fühlen als vorher. Zumindest hörte ihr jemand zu und nahm sie ernst. Linda hatte versucht mit anderen über ihre Alpträume zu reden, war aber nur auf Unverständnis gestoßen. Selbst ihre beste Freunden Elizabeth hatte ihr kaum mehr als einen halb bedauernden, halb verständnislosen Blick geschenkt. Linda hatte daraufhin das Thema nie wieder angeschnitten.

Linda saß in dem bequemen Sessel in Dr. Jakes' Praxis und fühlte sich unbehaglich.

"Sagen Sie mir, was Sie als erstes zu diesem Traum assoziieren! Was fällt Ihnen spontan ein?"

"Ich habe Angst."

"Weiter."

"Ich habe Angst vor der Zukunft."

"Vor der Zukunft?", echote Jakes.

Linda sah ihn an. Sie rieb die Handflächen aneinander. Dann erklärte sie: "Ich sage Ihnen jetzt etwas, worüber ich noch mit niemandem gesprochen habe."

"Ich höre Ihnen zu."

"Ich...", sie stockte, schien nach den richtigen Worten zu suchen und blickte Dr. Jakes dann mit einem Ausdruck vollkommener Verzweiflung an. "Ich glaube, dass dieser Traum, den ich Ihnen geschildert habe, etwas mit meiner Zukunft zu tun hat. Das mag sich jetzt für Sie sicher verrückt anhören, aber es wäre nicht das erste Mal, dass ich ein Déjà-vu-Erlebnis hätte. Und was diesen Traum angeht, weiß ich einfach, dass er sich erfüllen wird."

Sie sah ihn an und Dr. Jakes nickte ihr ermunternd zu.

"Erzählen Sie weiter, Miss Blane", sagte er auf seine klinisch neutrale Weise. Aber Linda entgingen die tiefen Furchen nicht, die sich auf Dr. Jakes' Stirn gebildet hatten.

Auch er hält mich für verrückt!, ging es ihr bitter durch den Kopf. Aber mit irgendwem muss ich darüber reden!

Also fuhr sie fort.

Sie sah den Psychiater dabei nicht an.

"Als ich zwölf oder dreizehn war, war mein Onkel mit seiner Familie bei uns zu Besuch. Am Abend verabschiedeten sie sich. Und als ich ihm die Hand gab, wusste ich, dass ich meinen Onkel nicht wiedersehen würde. Ich hatte es einfach im Gefühl. In der Nacht träumte ich dann, dass er einen Unfall hätte. Einen Tag später kam die Nachricht, dass genau das eingetreten war..."

"Und Sie glauben, dass auch ihr jüngster Traum in diesem Zusammenhang zu sehen ist?", murmelte Jakes.

"Ich bin mir sicher."

"Was macht Sie so sicher?"

Sie zuckte die Achseln. "Ich weiß es nicht, es ist einfach ein Gefühl..."

"Ich verstehe."

"Sie halten mich jetzt sicher für übergeschnappt."

"Aber nein."

"Wissen Sie, am liebsten wäre mir, Sie würden mir ein paar Tabletten verschreiben, die allem ein Ende machen...", seufzte Linda und als sie dann Dr. Jakes erschrockenes Gesicht sah, setzte sie noch schnell hinzu: "Natürlich nur den Träumen!"

"Das ist kein Problem, das sich durch Tabletten lösen lässt, Miss Blane."

"Und wie dann?"

"Die Ursachen unserer Ängste liegen in Erlebnissen in der Kindheit", erklärte Jakes.

"Sie glauben nicht, dass meine Angst einen realen Hintergrund hat, nicht wahr?", erwiderte Linda. Ihr Lächeln war matt. Sie fühlte sich müde und zerschlagen.

"Zumindest glaube ich nicht daran, dass sich in Träumen die Zukunft offenbart. Aber was Ihre Ängste angeht - für Sie sind sie real und nur das zählt!"

"Ich verstehe schon", murmelte Linda. "Trotzdem, es tut gut mit jemandem darüber zu reden. Allein das hilft schon. Ich hoffe nur..." Sie stockte.

"Was?", fragte Jakes und hob die Augenbrauen dabei.

"Nichts."

"Sagen Sie es ruhig!"

Sie sah ihn an und hatte das Gefühl, dass der Blick der blassblauen Augen des Psychiaters bis tief in ihre Seele ging.

"Ich habe Angst, verrückt zu werden, Dr. Jakes. Wenn das so weitergeht, kann ich irgendwann meinen Job nicht mehr machen! Bei uns in der Werbebranche weht ein rauer Wind. Da muss man auf Zack sein, sonst ist man weg vom Fenster..."

"Hm..."

"Ich hoffe, ich rede nicht nur dummes Zeug in ihren Ohren!"

"Gewiss nicht. Sie sollten wissen, dass viele Menschen von solchen Ängsten geplagt werden, wie Sie, Miss Blane. Manche trauen sich nicht mehr in Fahrstühle hinein oder geraten in zu engen Räumen in Panik. Andere fliegen grundsätzlich nicht mit dem Flugzeug, finden aber nichts dabei in ein Auto zu steigen, obwohl das rein statistisch gesehen viel gefährlicher ist!"

Linda lachte kurz auf.

"Sie meinen, ich bräuchte keine Angst zu haben, nicht wahr?"

Jakes nickte.

"Das zu begreifen - wirklich zu begreifen und nicht nur abstrakt nachvollziehen zu können - ist das Ziel der Therapie, Miss Blane!"

"Ja", murmelte sie tonlos.

4

In den nächsten Tagen wurde sie von ihren Alpträumen verschont. Aber die Erinnerung war noch immer wach. Das Gefühl der Abgeschlagenheit wollte einfach nicht von ihr weichen.

Gwen...

Immer noch grübelte Linda Blane darüber nach, woher sie diesen Namen zu kennen glaubte.

Aber da war niemand in ihrem Bekanntenkreis, der so hieß.

"Darf man erfahren, wovon Sie träumen?", riss die Stimme von Clint Moran sie aus ihren Gedanken. Clint und Linda teilten sich bei der Werbeagentur Peter Smith & Friends ein Büro.

Clint sah mit seinem Pferdeschwanz und den knallbunten Jacketts, die er trug etwas unkonventionell aus und benahm sich auch so. Aber er war kreativ und deshalb arbeitete er hier. Zur Zeit brütete er über dem Storyboard für den Werbespot eines Waschmittelherstellers.

Aber im Moment hatte er den Stift hingelegt.

Er sah Linda an.

"Sie sehen aus, als wären Sie gar nicht von dieser Welt", meinte er.

"Ach, ja?"

"Was ist los? Irgendetwas bedrückt Sie doch!"

"Meinen Sie..."

"Linda, das sieht ein Blinder mit Krückstock!"

Sie atmete tief durch.

Clint war ein netter Kollege aber sicher nicht derjenige, mit dem sie sich jetzt über ihre Probleme unterhalten wollte. In den letzten Tagen hatte Clint immer wieder versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Aber Linda hatte das stets abgeblockt.

Er beugte sich nach vorn.

"Wissen Sie, was Sie brauchen, Linda?"

"Ich fürchte, ich werde nicht drum herumgekommen, es mir anzuhören!", versetzte sie etwas bissiger, als sie es eigentlich gewollt hatte.

Er nahm das mit einem schiefen Grinsen hin.

"Sie brauchen eine Ablenkung!"

"Ach, wirklich? Vermutlich bei Ihnen zu Hause und mit Kerzenlicht?"

"Warum nicht?"

"Nein, danke, Clint!" Linda lächelte nachsichtig. "Sie versuchen es immer wieder."

"Was habe ich zu verlieren, außer meinem offenbar ziemlich miserablen Ruf bei Ihnen!" Er sah sie an. "Jetzt lächeln Sie sogar. Das steht Ihnen!"

"Sehr witzig, Clint. Besser wir sehen beide zu, dass wir mit unserer Arbeit vorankommen."

"Linda..."

Sein Gesicht wurde sehr ernst.

"Was ist noch?", fragte sie mit leicht genervtem Unterton.

"Ich meine es ernst. Ich mache mir Sorgen um Sie. Vielleicht sollten Sie es mal mit einer Reise versuchen. Ganz spontan irgendwohin. Selbst wenn es nur für ein Wochenende ist - so etwas kann schon Wunder bewirken!"

5

In der Mittagspause aß Linda in einem nahen Schnellimbiss.

Dann schlenderte sie ein bisschen an den Geschäften vorbei, schaute kurz in eine neue Boutique rein und blieb dann bei dem Drehständer stehen, den ein Buchhändler vor seinen Laden auf die Straße gestellt hatte. Reiseführer zum halben Preis. Die Saison war wohl zu Ende.

Vielleicht ist Clints Vorschlag gar nicht schlecht!, ging es der jungen Frau durch den Kopf. Sie griff wahllos zu den Reiseführern, hatte einen schmalen Band über Marokko in der Hand und dann einen etwas dickeren über Frankreich.

Dann erstarrte sie plötzlich.

Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in ihrer Magengegend bemerkbar. Sie schluckte. Das kann es nicht geben!, schoss es ihr durch den Kopf.

Zögernd griff sie nach einem der Reiseführer. Ein schmaler Band über die nordenglische Grafschaft Yorkshire. Was Linda so erschreckte, war das Bild auf dem Cover.

Die Burgruine...

Sie starrte auf das graue Gemäuer, die Brustwehren, den Westturm... Nein, da gab es nicht den geringsten Zweifel.

Dies war jene Ruine, in der die schrecklichen Traumszenen zu spielen pflegten, von denen sie nun schon so oft heimgesucht worden war.

Es gab diese Burg also wirklich!

Ich hatte doch recht!, ging es durch den Kopf. Es war ein Traum, in dem sich die Zukunft offenbarte...

Sie schauderte allein bei dem Gedanken. Aber was sie jetzt erlebt hatte, war zweifellos ein Déjà-vu-Erlebnis. Sie hatte von etwas geträumt, was nun, in Form dieses Reiseführers tatsächlich in ihr Leben getreten war.

"Gwen!", hörte sie in ihrem Inneren die Stimme des unheimlichen Mannes, der sie sie verfolgt hatte und von dem Linda annahm, dass er ihr nach dem Leben trachtete. "Gwen!"

"Aufhören!", rief Linda und hielt sich die Ohren zu.

"Kann ich Ihnen helfen?", fragte eine unscheinbare junge Frau, die offenbar zum Ladenpersonal gehörte. Ihre Stimme riss Linda aus ihren düsteren Tagträumen heraus. Sie atmete schwer, keuchte fast und blickte die Verkäuferin mit weit aufgerissenen Augen an.

Die Verkäuferin erschrak ein wenig.

Linda bemerkte das und es versetzte ihr einen Stich.

Wirklich!, durchzuckte es sie. Ich bin nahe daran, den Verstand vollends zu verlieren... Auf einem schmalen Seil balanciere ich über den Abgrund des Irrsinns...

Sie reichte der Verkäuferin das dünne Yorkshire-Bändchen.

"Hier!", sagte sie. "Das hätte ich gerne."

6

"Vielleicht ist es wirklich keine schlechte Idee, wenn Sie eine Reise nach Yorkshire machen", sagte Dr. Jakes, während er sich das Coverfoto des Reiseführers mit nachdenklichem Gesicht ansah.

Dann gab er es schließlich Linda zurück.

"Ich habe Angst davor", bekannte Linda.

"Sie glauben, dass diese Ruine in Ihrem Traum ein Bild aus Ihrer Zukunft war, aber viel wahrscheinlicher ist, dass Sie vorher bereits irgendwann ein Bild der Burg gesehen hatten und Ihnen das nur nicht mehr klar war."

Linda seufzte.

"Das würde erklären, weshalb mir alles so seltsam vertraut vorkam."

"So ist es."

Linda nickte. Sie wollte gerne glauben, was Dr. Jakes ihr gesagt hatte. Aber die düsteren Schatten, die schwer auf ihrem Inneren lasteten wollten einfach nicht weichen.

Dr. Jakes deutete auf den Reiseführer.

"Steht dort auch etwas über eine gewisse Gwen?"

"Nein. Nur, dass die Ruine sich in der Nähe des Dorfes Wynmore befindet und ehedem die Residenz des normannischen Grafen Sir Walter de Remoire war... Ein Mann, der für seine Grausamkeit bekannt war und über den man sich noch heute allerlei schreckliche Geschichten erzählt."

Dr. Jakes lächelte.

"Fahren Sie zu dieser Burg, Linda..."

"Aber..."

"...und Sie werden feststellen, dass es wirklich nichts anderes als eine gewöhnliche Ruine ist. Nicht mehr."

"Und Sie meinen, dass meine Ängste dann verschwinden?"

"Möglicherweise begreifen Sie dann, dass diese Ängste keinen realen Grund haben. Niemand kann in die Zukunft sehen oder diese vorherbestimmen."

Die Gewissheit, mit der Dr. Jakes das sagte, überraschte Linda.

"Meinen Sie wirklich?"

"Ich bin überzeugt davon. Lassen Sie sich von der ganzen esoterischen Literatur, die im Moment den Markt überschwemmt, nichts anderes einreden. Einzig und allein Sie selbst bestimmen Ihr Leben!"

Linda rieb die Hände aneinander und wirkte etwas nervös.

"Schön wär's!", meinte sie.

"Sie müssen sich der Verantwortung zu stellen lernen, Linda! Sie glauben, sich von finsteren Mächten verfolgt und vorherbestimmt - aber das entspricht nicht der Realität. Schließlich sind Sie eine erfolgreiche junge Frau, die ihr Leben sehr wohl im Griff hat, wie mir scheint."

Linda atmete tief durch.

"Gut", meinte sie dann. "Ich fahre nach Wynmore..."

Sie sagte das beinahe mehr zu sich selbst als zu Dr. Jakes.

Vielleicht, dachte sie, werden meine Ängste dann verschwinden...

Sie hoffte es zumindest.

7

In der Agentur war man alles andere als begeistert, als Linda Blane Urlaub haben wollte. Peter Smith, der Inhaber, bat sie in sein Büro.

"Ich bin einfach ausgebrannt", bekannte Linda. "Ich muss jetzt für ein paar Tage aus dem Trott..."

Smith seufzte.

"Wissen Sie, was Sie mir da antun? Gerade jetzt, wo wir den dicken Auftrag von dieser Airline haben, die ihre Werbekampagne am liebsten schon gestern auf dem Tisch gehabt hätte?"

"Das weiß ich", murmelte Linda.

Smith beugte sich etwas vor und meinte dann in gedämpftem Tonfall: "Okay, Linda. Weil Sie es sind! Schließlich weiß ich ja was ich an Ihnen habe. Und wenn Sie dann um so frischer aus dem Urlaub zurückkehren - um so besser!"

Wenn es nur darum ginge, mich ein bisschen zu erholen, erwiderte Linda in Gedanken. Aber das behielt sie selbstverständlich für sich.

So bekam sie schließlich, was sie wollte und zwei Tage später packte sie ihre Reisetasche in den Kofferraum des kleinen roten Sportflitzers, den sie ihr Eigen nannte und fuhr Richtung Norden.

Linda fuhr mit gemischten Gefühlen.

Einerseits war da die Aussicht, dass ihre Ängste vielleicht ein Ende hatten, sobald sie jenen Ort erreicht hatte, der in ihren Alpträumen eine so entscheidende Rolle spielte.

Andererseits...

Sie wagte kaum daran zu denken, und wenn sie es doch tat, standen ihr sogleich die entsetzlichen Szenen ihrer Alpträume wieder derart lebendig vor Augen, dass unwillkürlich eine Gänsehaut ihre Unterarme überzog.

"Gwen!" Immer wieder hörte sie die totenbleiche Gestalt in Gedanken diesen Namen rufen. Warum hat er mich so genannt?

Diese Frage wollte einfach nicht aus ihrem Bewusstsein verschwinden.

Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als sie York erreichte. Immer wieder hatte sie unterwegs Pausen gemacht.

Dennoch fühlte sie sich ziemlich zerschlagen. Aber der schwierigste Teil der Strecke kam noch, denn Wynmore war nicht mehr als ein kleiner Flecken irgendwo zwischen der Stadt Malton und der Küste. Die Straßen wurden immer enger und die Hinweisschilder immer spärlicher. Am Morgen hatte sie sich im Wynmore Grove Inn ein Zimmer reservieren lassen und jetzt fragte sie sich, ob sie dieses Gasthaus heute überhaupt noch erreichen würde.

Dicke Wolken verdeckten den gerade aufgegangenen Mond.

Finster türmten sie sich übereinander, bald schon zuckten grelle Blitze aus ihnen heraus. Es regnete so heftig, dass die Scheibenwischer ihres Sportflitzers das vom Himmel herunterpladdernde Nass kaum bewältigen konnten.

Die Straße führte durch einen düsteren Wald hindurch. Die Baumkronen wurden vom immer heftiger werdenden Sturm hin und her gewirbelt. Es wurde rasch dunkel.

Dann kam irgendwann das erlösende Schild.

Linda fuhr sehr langsam, um es bei diesen Verhältnissen entziffern zu können:

WYNMORE 5 Meilen

Gott sei Dank!, atmete Linda innerlich auf. Wenigstens würde sie bald im trockenen sitzen, vielleicht an einem gemütlichen Kamin, wie man sie in ländlichen Gasthäusern häufiger finden konnte. Linda blickte nach draußen, hinein in das Meer der düsteren Schatten, das sie zu umgeben schien. Ein einziges tosendes Chaos. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dort draußen ein Spiegelbild für das zu sehen, was in ihrer Seele vor sich ging.

Das Unbehagen in ihr meldete sich wieder.

Deutlich und unüberhörbar.

Unterschwellig hatte sie es die ganze Zeit über gespürt, vom ersten Augenblick an, da sie in diesen Landstrich gekommen war. Eine düstere Aura schien über dieser Gegend zu liegen...

Unfug!

Sie versuchte sich an Dr. Jakes Worte zu erinnern. An seine nüchterne Art. Er war in der Lage alles kühl und logisch zu betrachten, selbst die düstersten Abgründe der Seele, die ihm seine Patienten anvertrauten.

Linda beneidete ihn in diesem Moment um diese Fähigkeit.

Der Regen wurde immer heftiger. Das Gewitter war jetzt genau über ihr. Linda kniff die Augen ein wenig zusammen, sah angestrengt durch die Frontscheibe und fuhr langsamer.

Man kann kaum etwas sehen!, ging es ihr durch den Kopf.

Das regelmäßige, reibende Geräusch der Wischblätter auf der Scheibe wirkte einschläfernd. Ich müsste mal neue Belege kaufen!, dachte sie beiläufig.

Sie gähnte und wollte gerade das Autoradio anmachen, da erstarrte sie.

Ihr Gesicht wurde schreckensbleich, die Augen traten hervor und wenn sie sich nicht verkrampft auf die Unterlippe gebissen hätte, so hätte sie in diesem Moment einen gellenden Schrei ausgestoßen.

Dort draußen... Mein Gott!

Eine Schrecksekunde später trat sie das Bremspedal durch.

Die Reifen des Sportflitzers quietschten. Linda hatte das Gefühl, über etwas Hartes zu fahren. Einen Stein vielleicht... Jedenfalls gab es ein schreckliches Geräusch hinten links. Der Reifen war geplatzt und der Wagen drohte seitlich auszubrechen. Dann kam er mit einem Ruck zum Stehen und Linda spürte, wie der Sicherheitsgurt in ihre Schulter schnitt und verhinderte, dass sie frontal gegen das Steuerrad knallte.

Vor ihr auf der Straße war etwas...

Linda schluckte.

Eine Gestalt...

Sie sah nicht mehr als den Umriss eines Reiters.

Der dunkle Umhang wehte im Wind.

Ein Blitz durchzuckte die Nacht und erhellte für den Bruchteil einer Sekunde das Gesicht des Reiters.

"Nein", flüsterte sie halb wahnsinnig vor Angst vor sich hin. Er war es - jener unheimliche Fremde, der ihr im Traum begegnet war und dessen Schatten sie bei dem Blick aus ihrem Fenster zu sehen geglaubt hatte...

Er - ein namenloser bleicher Dämon, der es darauf abgesehen zu haben schien, sie in den Irrsinn zu treiben.

Das Pferd des Reiters stellte sich auf die Hinterhand.

Sein Wiehern mischte sich auf schaurige Weise mit dem Grollen des Donners.

Der Reiter zog sein Schwert heraus. Als es erneut blitzte, sah Linda es einen Augenaufschlag lang metallisch leuchten.

Was hat er nur vor?, ging es ihr durch den Kopf, während ihr der Puls bis zum Hals schlug.

8

Der Regen ließ fast ebenso schlagartig nach, wie er eingesetzt hatte und verwandelte sich in leichtes Nieseln.

Die Wischerblätter schabten jetzt mit einem klagenden Geräusch über die Frontscheibe des Sportflitzers.

Linda hatte das schreckliche Gefühl, ausgeliefert zu sein.

Ausgeliefert einer seltsamen, unheimlichen Erscheinung, von der sie nicht wusste, wie sie sie einzuordnen hatte...

Ihre Glieder waren eigenartig schwer.

Wie gelähmt saß sie hinter dem Steuer ihres Wagens und nahm jeden ihrer schnellen Herzschläge wahr.

Alles nur eine Ausgeburt meiner Fantasie? Nein, das kann nicht sein... Oder bin ich schon über jene Grenze hinweggestolpert, die den Wahn von der Wirklichkeit trennt?

Wie Peitschenhiebe zuckten diese Gedanken durch ihr Hirn.

Und jeder von ihnen war schmerzhaft.

In diesem Moment wünschte sie sich, nie diese Reise angetreten zu haben. Eine Reise, auf die sie sich begeben hatte, um ihre Ängste loszuwerden - nicht um endgültig dem Irrsinn zu verfallen.

Während der schwertschwingende Reiter ein Stück näherkam, drang ein Geräusch von Ferne in Lindas Bewusstsein.

Es wurde lauter, schwoll an und Linda registrierte schließlich, dass es der Motor eines Wagens war.

Sie drehte sich kurz herum und sah zwei Lichter aus der Dunkelheit auftauchen.

Scheinwerfer mit Abblendlicht.

Der Reiter riss indessen sein Schwert herum und ließ das Pferd davonpreschen. Mit ausholenden Beinbewegungen stob es in die Dunkelheit des Waldes seitlich der Straße hinein und es dauerte nur Sekunden bis nichts mehr von dem seltsamen Reiter zu sehen war.

Linda atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen.

Indessen hielt der fremde Wagen hinter dem ihren am Straßenrand.

Ganz gleich, wer es auch sein mag... Ihn muss der Himmel schicken!, dachte Linda voller Erleichterung.

Im Rückspiegel sah sie einen Mann aussteigen. Er kam zu ihr an die Tür. Zwei freundliche blaue Augen sahen sie an. Er hatte kurzes blondes Haar und ein markantes Gesicht. Die breiten Schultern steckten in einem etwas zu knappen Jackett, das seine besten Tage wohl schon hinter sich hatte.

Dazu trug er Jeans.

Er klopfte an die Scheibe und Linda drehte sie herunter.

"Guten Abend. Ich sehe, Sie haben Probleme..."

"Kann man wohl sagen..."

"Meine Güte, was ist passiert? Sie sehen ja aus, als ob Ihnen der Leibhaftige über den Weg gelaufen ist..." Im nächsten Moment merkte der junge Mann dann, was er gesagt hatte und das sein Gegenüber das kaum als Kompliment auffassen konnte. "Naja", verbesserte er sich dann. "So meinte ich das nun auch wieder nicht."

Linda schluckte.

"Schon gut."

Sie öffnete die Tür und stieg aus. Ihre Beine fühlten sich noch immer schwerfällig an, so als hätte man sie mit Blei beschwert. Ihr zitterten die Knie.

"Mein Name ist Clark Nolan", sagte er. "Nennen Sie mich Clark..."

"Linda Blane", erwiderte sie wie in Trance.

Er stemmte die Hände in die Hüften und dabei sah sie das Funktelefon, das Clark in einem kleinen Futteral an seinem Gürtel trug. Er bemerkte den Blick und meinte dann: "Ja, so ein Ding brauche ich in meinem Job. Ich bin Reporter beim York Independent, da muss man ständig erreichbar sein..." Dann deutete er auf den geplatzten Reifen und fuhr dann fort: "Aber das da bekommen wir hin, ohne extra Hilfe zu rufen..."

Linda zuckte die Achseln.

"Wenn Sie meinen?"

"Haben Sie ein Ersatzrad?"

"Ja. Im Kofferraum. Warten Sie, ich helfe Ihnen, Clark..."

Er berührte sie mit der Linken an der Schulter. Sie sah ihn an, sah in diese blauen Augen hinein undd hatte das spontane Gefühl von Sympathie.

"Geben Sie mir den Schlüssel und setzen Sie sich wieder in den Wagen, Linda."

"Aber..."

"Keine Widerrede! Sie müssen sich erst einmal ein bisschen erholen. Vielleicht stehen Sie sogar etwas unter Schock..."

Linda lächelte matt.

"Übertreiben Sie nicht ein bisschen?"

Er lächelte.

"Finden Sie?"

Da war etwas an seiner Art, das ihr sehr gefiel. Der Klang seiner Stimme verzauberte sie auf eigenartige Weise. Dieses Timbre in Verbindung mit dem leicht herausfordernden Blick dieser blauen Augen schien zumindest für den Moment ein äußerst wirksames Mittel gegen den Schwall düsterer Gedanken zu sein, der sie bislang gefangengehalten hatte.

9

"Fertig!", sagte Clark, nachdem er den Reifen mit dem großen Kreuzschlüssel angezogen hatte. Linda stand neben ihm und hatte ihm zugesehen.

"Danke", sagte sie. "Wissen Sie, Clark, es genügt mir, wenn Autos schön und schnell sind - darüber wie sie funktionieren und wie man sie repariert, habe ich nur wenig Ahnung!"

Clark grinste.

"Das geht mir genauso!", meinte er und zwinkerte ihr dabei zu.

"Oh", machte sie.

"Aber ich sage immer: Probieren geht über studieren!"

"Naja, Sie sind es ja auch nicht, der nach den nächsten zwei Meilen im Graben liegt, wenn das Rad nicht richtig sitzt!"

Clark zuckte die Achseln.

"Sagen Sie bloß, Sie wären lieber gelaufen!"

"Wenn ich das vorher gewusst hätte..."

Sie lachten beide. Linda hielt dann irgendwann inne, sah ihn an. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe. Aber schon spürte sie düsteren Schatten zurückkehren, die auf ihrer Seele lagen. Die Ängste, die namenlose Furcht vor einem unheimlichen Reiter, vor dem sie nicht einmal in den Schlaf flüchten konnte.

"Wo fahren Sie hin?", fragte Clark.

"Nach Wynmore... Ich habe ein Zimmer im Wynmore Grove Inn bestellt und hoffe, dass ich nicht zu spät komme und der Wirt es inzwischen an jemand anderen vergeben hat."

Clark lachte hell auf.

"Was ist daran so komisch?", fragte Linda.

"Ich kenne den Wirt. Er heißt McDouglas und kann froh sein, wenn überhaupt jemand bei ihm übernachtet."

"Ist sein Haus denn derart schlecht?"

"Im Gegenteil. Es ist das beste in der Gegend - und vor allem das einzige. Aber Wynmore ist nicht gerade das, was man eine pulsierende Großstadt nennen könnte, wo Geschäftsleute übernachten. Und Touristen zieht es auch nur in kleiner Zahl hier her. Zu weit von der Küste weg für die Badegäste und zu weit von York entfernt für Sightseeing-Touristen..."

"Naja, dann brauche ich mir ja keine Sorgen zu machen..."

"Das Wynmore Grove Inn liegt genau in meiner Richtung", behauptete Clark.

"Gut", sagte Linda. "Dann fahr ich hinter Ihnen her..."

Für einen Moment trafen sich ihre Blicke.

Er lächelte und sie erwiderte dies.

10

Wynmore war nur ein kleiner Ort, dessen Kern aus einer verwitterten Kirche, einem Friedhof und einigen Häusern bestand, von denen jedes ein Alter von mindestens einem Jahrhundert zu haben schien.

Vor dem Wynmore Grove Inn, dem einzigen Gasthaus des Ortes, standen drei uralte Bäume mit knorrigen Wurzeln und eigenartigen Verwachsungen. Einer der Bäume machte den Eindruck, als sei er vor langer Zeit durch einen Blitzschlag auf groteske Weise entstellt worden.

Linda Blane stellte ihren Wagen an der Seite ab und stieg aus.

Clark stellte seinen Wagen dahinter ab. Er öffnete die Tür und stieg ebenfalls aus.

Als er auf Linda zuging, hatte er die Hände in den Taschen seines Jacketts vergraben.

"Haben Sie vor, länger hier zu bleiben?", fragte er dann.

"Ein paar Tage. Genau weiß ich es noch nicht", erwiderte Linda.

Clark zuckte die Achseln.

"Vermutlich werden wir uns hier noch das eine oder andere Mal über den Weg laufen", war er überzeugt.

"Ja..."

"Also dann. Gute Nacht, Linda."

"Gute Nacht, Clark. Und vielen Dank für Ihre Hilfe."

Sie standen jetzt ziemlich dicht beieinander. Die Bewölkung hatte sich indessen wieder soweit aufgelöst, dass der Mond zeitweilig zu sehen war.

Er wollte sich bereits zum Gehen herumdrehen, da hielt Lindas Stimme ihn zurück.

"Clark..."

"Ja?" Er hob die Augenbrauen dabei.

Linda stockte. Sie suchte nach den richtigen Worten. "Sie kennen hier die Leute ein bisschen?"

"Ich kenne jeden", behauptete er großspurig. "Schließlich bin ich Lokalreporter für diese Gegend..."

"Wissen Sie, als ich vorhin die Reifenpanne hatte, da..."

Linda zögerte, weiterzusprechen. Sie war sich nicht sicher, ob es richtig war, nach dem Reiter zu fragen... Schließlich wollte sie auf keinen Fall für eine Verrückte gehalten werden. Andererseits...

Sie war auf jeden Hinweis angewiesen.

"Ja?", hakte Clark nach.

"Da war ein Reiter auf der Straße. Ein Mann mit langem Umhang. Kennen Sie jemanden in der Umgebung, der...."

"Bei solchen Wetter ausreiten würde?" Er schüttelte den Kopf. "Wohl kaum. Pferdebesitzer gibt es allerdings mehr als genug hier." Er sah auf die Uhr. "So, jetzt wird es Zeit für mich. Heute Abend muss ich noch einen Artikel schreiben!"

"Sie Ärmster!"

Clark lachte. "Na, wenigsten eine, die Mitleid mit mir hat."

"Wo fahren Sie jetzt hin?"

"Nach York."

Linda sah ihn etwas erstaunt an.

"Dann lag Wynmore aber nicht gerade auf Ihrer Strecke", meinte sie, während sie in gespieltem Tadel die Arme in die Hüften stemmte.

Clark hob die Arme.

"Ein überführter Schwindler ergibt sich!", lachte er. Dann nahm er Lindas Hand und drückte sie sanft. "Ich wollte einfach nochmal in Ihre wunderschönen brauen Augen sehen, Linda. Entschuldigt das nicht alles?"

Sein Blick ließ sie ein wenig erröten. Sie hatte Schmetterlinge im Bauch und glaubte für einen Moment zu schweben. Eine unglaubliche Leichtigkeit hatte sie erfasst.

Sie lächelte.

"Süßholzraspeln können Sie jedenfalls!"

"Und ich hatte mich schon gefragt, wann Sie das endlich erkennen!"

Er ließ sie los, verabschiedete sich mit einer Handbewegung und ging zu seinem Wagen, einem schon etwas in die Jahre gekommenen Austin.

Dann fuhr er los und Linda sah ihm nach.

Dieser Mann hat was!, dachte sie und musste unwillkürlich schmunzeln dabei. Zumindest ist er ein Gegengift gegen düstere Gedanken...

11

Es war wie Clark vermutet hatte. McDouglas, der Besitzer des Wynmore Grove Inn war froh, dass Linda doch noch ihr Ziel erreicht hatte. Außer ihr - das sah sie an den Eintragungen im Gästebuch - weilte nur noch ein weiterer Gast gegenwärtig in McDouglas' Gasthaus. Jemand, der Carter hieß. Der Vorname war unleserlich.

McDouglas war ein untersetzter, kräftig wirkender Mann mit einer dicken Nase und einem ziemlich runden Gesicht.

Linda schätzte ihn auf Anfang fünfzig.

Er trug ein kariertes Jackett mit ledernen Ellbogen. Die Strickweste, die er unter der Jacke trug, gab ihm etwas Gemütliches.

Er nahm ihr die Reisetasche ab und führte sie durch sämtliche freien Zimmer, die er im Obergeschoss noch hatte. Es waren insgesamt sieben, von denen sie sich eins aussuchen konnte.

"Glücklicherweise muss ich nicht von der Zimmervermietung leben", meinte er. "Das meiste Geld bringen die Gäste unten im Schankraum..."

Sie suchte sich ein Zimmer aus, durch dessen Fenster man die drei großen Bäume sehen konnte, die vor dem Wynmore Grove Inn wuchsen.

McDouglas stellte die Tasche auf das Bett und hob dann die Hände. "Ich hoffe, es gefällt Ihnen! Einfach, aber gemütlich!"

"Es ist hervorragend", sagte Linda, während sie den Blick über die völlig überladene Möblierung gleiten ließ. Ein dicker Kleiderschrank aus Nussbaum stand da wie ein wahrer Koloss, daneben eine Kommode aus dem selben Holz. Immerhin gab es fließend Wasser auf dem Zimmer.

"Zum Duschen müssen Sie über den Flur!"

"Schon in Ordnung."

"Sie können soviel Krach machen, wie Sie wollen. Außer Ihnen wohnt hier nur noch ein Archäologe, der hier in der Gegend nach Schätzen der Vergangenheit gräbt!" McDouglas lachte heiser. "So ziemlich die einzige Sorte von Schätzen, von denen wir hier genug haben!" Er zuckte die Achseln und fuhr dann fort: "Jedenfalls kommt Mr Carter gewöhnlich erst sehr spät von seinen Grabungen - oder was sonst er immer auch treiben mag - zurück und arbeitet danach oft noch stundenlang in seinem Zimmer."

Linda sah ihn etwas erstaunt an.

McDouglas schien ein Wirt zu sein, der es für wichtig hielt, über seine Gäste genauestens Bescheid zu wissen. Linda wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte...

"Wissen Sie, Mr Carter hat so ein neumodisches Ding bei sich. Einen Computer, den man tragen kann."

"Ein Laptop?

"Ja genau. Daran schreibt er immer. Ich frage mich, ob der Mann gar keinen Schlaf braucht. Schon seit Wochen scheint er rund um die Uhr zu arbeiten. Richtig unheimlich kann einem das werden... Ich arbeite auch viel, auch wenn mir meine Frau zur Hand geht und die Küche..."

Oh, Gott!, dachte Linda. Gleich muss ich mir seine gesamte Lebensgeschichte anhören!

Danach stand ihr nun wirklich nicht der Sinn und so unterbrach sie ihn.

"Mr McDouglas..."

Er sah sie an.

Seine buschigen Augenbrauen zogen sich zu einer Art Schlangenlinie zusammen, während sich auf seiner Stirn eine tiefe Furche bildete.

"Ja?"

"Es soll hier in der Gegend eine berühmte Ruine geben..."

Linda griff zu ihrer Handtasche und holte das inzwischen mit Eselsohren verunzierte Exemplar ihres Reiseführers hervor. Sie zeigte McDouglas das Bild auf dem Cover...

"Ah, die Teufelsburg...", meinte McDouglas.

"Die was?", vergewisserte sich Linda, die im ersten Moment schon geglaubt hatte, sich verhört zu haben. Sie spürte, wie sich wieder das Grauen in ihr Platz verschaffte. Leise schien es in ihre Seele zu kriechen und dort sein dunkles Gift zu verbreiten...

Linda schluckte.

"Naja, Teufelsburg, so heißt sie nicht wirklich. So sagt der Volksmund hier und in vielen Legenden wird diese Ruine so genannt. Ein verwunschener Platz, ein Ort, an dem es spukt und von dem man sich besser fernhalten sollte... Aber davon will ich nicht weiter reden!"

McDouglas' Tonfall hatte sich geändert.

In seinen Augen flackerte es unruhig und er kratzte sich nervös am Kinn.

Er schien auf einmal gar keine Lust mehr dazu zu haben, die Unterhaltung fortzusetzen und wandte sich in Richtung Tür.

"Wenn Sie noch irgendetwas brauchen sollten, dann rufen Sie mich einfach..."

"Gut. Und was diese Burgruine angeht..."

"Da fragen Sie besser Mr Carter!", versetzte McDouglas etwas schroffer, als er es beabsichtigt hatte. Er zuckte mit den Schultern und erklärte dann: "Ich muss zurück in den Schankraum...."

12

Etwas später, als Linda ihre Sachen in den Schrank geräumt hatte, ging sie nochmal hinunter in den Schankraum, um etwas zu essen. Einige Männer aus dem Dorf saßen an der Theke und und an den wenigen Tischen. Ihre Gespräche wurden zunächst etwas verhaltener, als sie sie sahen.

Die Blicke, mit denen sie sie musterten, sprachen vom Misstrauen einer Fremden gegenüber.

Linda setzte sich an den einzigen freien Tisch und McDouglas servierte ihr ein paar Sandwiches.

Sie aß mit großem Appetit und blätterte in der neuesten Ausgabe des York Independent, das als Leseexemplar auslag.

Etwas später kam dann ein hagerer, großgewachsener Mann in den Schankraum. Auf jeder Schulter hatte er eine schwere Tasche hängen. Dazu trug er noch ein kleines Laptop-Köfferchen in der Linken sowie einen Klappspaten in der Rechten.

Das musste der Archäologe Carter sein!, dachte Linda sofort.

Den Blick seiner hellwachen blauen Augen ließ er durch den Raum schweifen. Offenbar suchte nach einem freien Tisch.

Einen Moment später ging er dann auf Linda zu. Vor ihrem Tisch blieb er stehen und fragte dann: "Ist hier noch frei, Miss..."

"Blane. Setzen Sie sich ruhig."

Er lächelte und stellte auf eine ungeschickte Art und Weise seine verschiedenen Taschen ab. Seiner Art haftete etwas Hektisches, Ruheloses an. Gleichzeitig wirkte er aber auch ziemlich ungelenk.

Er gab Linda die Hand und stellte sich etwas steif vor.

"Dr. Arnold Carter, Professor für Archäologie."

Er strich sich schließlich das ungekämmte, bereits etwas schütter gewordene Haar zurück und setzte sich.

"Ich habe schon von Ihnen gehört, Mr Carter."

"Oh, wirklich? Vermutlich nichts Gutes..."

"Nun..."

"Wissen Sie, die Leute hier stehen meiner Arbeit nicht gerade aufgeschlossen gegenüber...."

In diesem Moment kam McDouglas und nahm Carters Bestellung auf. Der Archäologe schien einen Bärenhunger zu haben.

Vermutlich hatte er den ganzen Tag ohne Pause an seiner Grabungsstelle verbracht, so schätzte Linda ihn ein.

"Sie graben bei der sogenannten Teufelsburg, nicht wahr?"

Linda hielt ihm den Reiseführer hin, den sie schnell aus ihrer Handtasche herausgezogen hatte. Carter lachte kurz auf.

"Ja,ja, das ist sie, die alte Ruine... Ehemals die Residenz des normannischen Ritters Sir Walter de Remoire, der Wynmore von König John als Lehen erhielt und der Überlieferung nach wie ein Teufel über diese Gegend geherrscht haben soll... Aber bestimmt langweile ich Sie."

"Nein, ganz gewiss nicht!", entgegnete Linda.

"Wissen Sie, das ist eine Art Berufskrankheit von mir. Wenn ich über solche Dinge zu erzählen beginne, kann ich kein Ende finden und nehme dabei für gewöhnlich kaum noch Rücksicht auf meine Zuhörer!"

"Ich möchte mehr über diese Burg und Sir Walter und all das wissen..."

Arnold Carter sah Linda einen Augenblick lang etwas erstaunt an. "Eigentlich bin ich es eher gewohnt, dass junge Frauen Reißaus nehmen, wenn ich mit solchen Geschichten anfange!"

Linda lächelte charmant.

"Ich bin eben eine Ausnahme!"

"Nun, also wo war ich stehengeblieben?"

"Bei Sir Walter..."

"Ach ja. Manche glauben, dass sein Geist noch heute in der Ruine umherspukt. Immer wieder kommt es vor, dass jemand behauptet ihn gesehen zu haben. Alte Leute erschrecken mit Erzählungen über ihn ihre Enkel aber auch die jüngeren halten den Ort für verflucht und meiden ihn. Deswegen stehen Sie meiner Arbeit auch misstrauisch gegenüber. Ich hatte eigentlich ein paar Hilfskräfte für die Grabungen anstellen wollen und dachte mir, sicher ein paar junge Burschen zu finden, die sich ihr Taschengeld etwas aufbessern wollten..."

"Und?"

"Sie sehen es ja! Von diesen Feiglingen, die auf Ihren Motorrädern so mutig sind, wollte keiner mit anpacken. Auch nicht, als ich den angebotenen Lohn verdoppelte. Zwei hatten erst zugesagt, aber nachdem Eltern und Verwandten ihnen ordentlich eingeheizt hatten, schützten sie dann plötzlich andere Verpflichtungen vor."

Carter atmete tief durch. Indessen kam McDouglas mit einem Riesenberg Sandwiches. Linda machte große Augen und fragte sich, wie ein einzelner Mensch bei einer einzelnen Mahlzeit derartige Mengen vertilgen konnte.

Und dabei war Carter dürr wie ein Hering.

Kauend erzählte der Archäologe dann die Legende von Sir Walter de Remoire.

"Von Sir Walter heißt es, dass er die junge Frau eines seiner Gefolgsleute begehrte. Sie hieß Gwen..."

"Gwen...", echote Linda nachdenklich. "Erzählen Sie weiter."

"Sir Walter war nicht gerade zimperlich in der Wahl seiner Methoden. Er ermordete Gwens Ehemann, doch auch danach wies sie ihn ab. Allerdings nahm er selbst dann auch kein gutes Ende. Seine Grausamkeit gegenüber den Bauern sollte sich bitter rächen. Er hatte die Abgaben derart drastisch erhöht, dass das Fass überlief. Ein Mob rottete sich zusammen, stürmte die Burg und plünderte sie. Sir Walter wurde dabei erschlagen." Carter zuckte die Achseln. "Seitdem gilt die Burg als verfluchter Ort, an dem der Geist von Sir Walter noch umgeht und auf Rache an den Nachfahren der damaligen Bewohner von Wynmore sinnt..."

Vielleicht auch auf Rache an Gwen?, überlegte Linda. Konnte es möglich sein, dass der geheimnisvolle Reiter...

Nein, so etwas gibt es nicht!, sagte Linda zu sich selbst. Es ist absurd!

"Was wurde aus Gwen?", fragte Linda plötzlich und dabei hatte sie das Gefühl, als ob ihre Lippen sich von selbst bewegten.

"Gwen?" Carter nahm einen großen Bissen, mit dem er nahezu ein halbes Sandwich auf einmal verschlang. Er brauchte ein paar Augenblicke, um wieder sprechen zu können. "Den Quellen nach soll sie nach der Ermordung Ihres Mannes in ein Kloster gegangen sein, womit sie dann für Sir Walter endgültig unerreichbar war..." Carter machte eine Pause, musterte Linda einige Augenblick lang und meinte dann: "Nun rede ich schon die ganze Zeit, aber Sie sind so gut wie gar nicht zu Wort gekommen."

"Das macht nichts. Es war sehr interessant, Ihnen zuzuhören."

"Ich weiß überhaupt nichts über Sie. Wie kommt es, dass Sie sich so sehr für diese Ruine interessieren?"

Linda zuckte die Schultern.

"Solche Legenden haben mich schon immer fasziniert...", murmelte sie tonlos.

"Morgen werde ich einen alten Steinsarkophag öffnen, der sich in den Überresten der ehemaligen Burgkapelle befindet..."

"Ein Sarkophag?"

"Ja. Vermutlich das Grab von Sir Walter. Zumindest lassen einige Quellen darauf schließen... Heute habe ich die Vorarbeiten gemacht." Carter lachte plötzlich lauthals und setzte dann noch hinzu: "Sehen Sie, Miss Blane, auf diese Weise hat die alte Legende der Wissenschaft gedient! Zwar ist der Sarkophag sehr schwer zu öffnen, aber da die Ruine als verfluchter Platz galt, haben es wohl auch nicht allzu viele versucht. Ansonsten wäre er vermutlich längst geplündert worden..."

"Professor Carter, ich..." Linda stockte. Sie rang mit sich selbst, aber dann faßte sie einen Entschluss. "Darf ich Sie morgen begleiten? Es würde mir viel bedeuten..."

Carter zuckte die Achseln.

"Warum nicht, Miss Blane? Aber stellen Sie sich die Arbeit eines Archäologen nicht als publikumswirksames Spektakel vor!"

Linda lächelte matt.

"Gewiss nicht!"

13

Bevor Linda zu Bett ging, stand sie noch einen Augenblick am Fenster ihres Zimmers und blickte hinaus zu den drei verwachsenen Bäumen, die sich wie formlose gespenstische Schatten vor dem Wynmore Grove Inn erhoben. Der Wind wiegte die Kronen leicht hin und her. Das Rascheln der Blätter drang an ihr Ohr. Linda hatte das Fenster einen Spalt geöffnet und die frische Luft war angenehm.

Das Bild von Clark Nolan erschien vor ihrem inneren Auge.

Immer wieder hatte sie während des Abends an den jungen Reporter des York Independent denken müssen. Und jedesmal hatte sich auf ihren Lippen fast wie automatisch ein sanftes Lächeln gebildet.

Sie hatte den Wunsch ihn wiederzusehen.

Sie sehnte sich nach seinem Lächeln, seinem Charme, dem angenehm dunklen Klang seiner Stimme...

Du wirst dich doch nicht etwa verliebt haben?, ging es ihr durch den Kopf, während sie das eigentümliche prickelnde Gefühl genoss, das die Gedanken an Clark in ihr auslösten.

Es war schon ziemlich lange her, seit sie das letzte Mal derart sehnsuchtsvoll an einen Mann gedacht hatte. Es hatte sie viel Kraft gekostet, in ihrem Job Fuß zu fassen - einem Job der hundertprozentiges Engagement verlangte und der einem nicht viel Freizeit ließ, sofern man sich oben halten wollte.

Für anderes - auch für die Liebe - war da nicht viel Zeit übrig geblieben.

Linda schloss das Fenster und legte sich wenig später ins Bett. Sie war hundemüde und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Immer wieder wälzte sie sich von einer Seite zur anderen.

Und im Traum sah sie wieder jenen geheimnisvollen Reiter.

Hoch zu Ross kam er herbeigeritten.

Diesmal spielte der Traum nicht in jener uralten Burgruine, sondern vor dem Wynmore Grove Inn.

Der Reiter zügelte sein Pferd.

Die Schwertspitze ragte deutlich unter dem weiten Umhang hervor und der Mond viel aschfahl in sein totenbleiches Gesicht.

"Gwen!"

Der Ruf ließ Linda erzittern. Eigenartig, wie vertraut dieser Name klang... Gwen... Zu Lindas Erschrecken stellte sie fest, dass sie sich beinahe so angesprochen fühlte, als hätte jemand ihren eigenen Namen gerufen.

"Gwen!"

Es folgten noch ein paar Worte, die sie nicht verstand...

Und plötzlich saß Linda kerzengerade in ihrem Bett, die Augen weit aufgerissen.

Gott sei dank, alles war nur ein Traum!, war ihr erster Gedanke. Sie atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen. Schon wollte sie sich diesem wohligen Gefühl der Erleichterung hingeben.

Da hörte sie ein Geräusch, das ihr das Blut in den Adern gefrieren zu lassen drohte.

Erstarrt saß sie da und rührte sich nicht.

Das Geräusch war das Scharren von Hufen...

"Gwen!"

Ihr Blick ging zum Fenster, durch das Mondlicht ins Zimmer fiel...

Dort draußen...

Lindas Herz hämmerte wie wild. Was geschieht hier nur? Bin ich dem Wahnsinn schon derart nahe?

Sie erhob sich zögernd, nachdem sie erneut ein Scharren von Pferdehufen vernommen hatte. Ein Geräusch, das ihr bis ins Mark ging. Sie ging mit vorsichtigen Schritten zum Fenster und sah hinaus.

Dort stand er - wer immer er auch sein mochte. Die Züge seines bleichen Gesichts wirkten ärgerlich. Er riss sein Pferd herum und preschte davon. Aus irgendeinem Grund fiel Linda das Wappen auf, das auf der Satteldecke aufgestickt war.

Ein Löwenkopf.

Linda sah ihn nach wenigen Metern im dunklen Nichts der Nacht verschwinden...

14

Am nächsten Morgen fühlte Linda sich wie gerädert. Darüber hinaus hatte sie auch noch das Klingeln ihres Weckers verschlafen. Sie fuhr auf und machte sich in Windeseile fertig. Dabei hoffte sie, dass Carter nicht bereits weg war, denn so wie sie den Archäologen einschätzte, war er kein Mann, der den Morgen verschlief.

Sie hatte Glück und traf ihn noch vor einem bereits ziemlich abgegessenen Frühstückstisch.

"Ah, da sind Sie ja, Miss Blane!"

"Guten Morgen."

"Ich dachte schon, Sie hätten vielleicht das Interesse verloren!"

"Nein, nein..."

"Nehmen Sie ruhig noch einen Happen! Ich bringe schon einmal die Sachen in den Wagen!"

Wenig später fuhren sie dann hintereinander zur alten Ruine, die die Leute aus der Umgebung die Teufelsburg nannten. Carter fuhr einen Landrover und hatte einen ziemlich flotten Fahrstil, der nicht unbedingt zu den schmalen Straßen der Gegend passte. Linda musste sich mit ihrem Flitzer ziemlich Mühe geben, ihn nicht zu verlieren.

Besonders als es dann über schmale Feldwege mit tiefen Schlaglöchern ging, war Lindas Wagen natürlich hoffnungslos im Nachteil.

Dann fuhren sie einen schmalen Waldweg entlang. Der Boden war teilweise noch aufgeweicht von dem gestrigen Regenguss.

Der Wald war von dichtem Unterholz durchsetzt. Kein gepflegter Forstwald, sondern ein üppiges Gewimmel von Vegetation. Die Bäume waren dick und teilweise uralt. Manche von ihnen waren bereits durch Rankpflanzen fast überwuchert.

Ein unheimlicher Ort, von dem eine eigenartige Aura des Alters auszugehen schien.

Plötzlich, als bereits eine Lichtung in Sicht war, hielt Carters Landrover an. Irgendein Hindernis schien sich auf dem Weg zu befinden.

Carter stieg aus und auch Linda verließ ihren Wagen.

"Was ist los?", fragte sie, aber Carter achtete nicht auf sie. Stattdessen fluchte er unflätig vor sich hin.

Linda folgte ihm und ging an dem Landrover vorbei, der ihr die Sicht verstellte.

Dann blieb sie stehen und schluckte.

"Mein Gott..."

Mitten auf dem Weg befand sich eine Art hölzernes Stativ, das aus drei am oberen Ende zusammengebundenen Bambusstöcken bestand.

Darauf war der Kopf einer schwarzen Katze aufgespießt, deren gelbe Augen jeden Ankömmling wütend anzustarren schienen.

Darunter hing ein blutbesudeltes Leinentuch, auf dem ein Löwenkopf aufgestickt war.

Das Wappen des Unheimlichen! Die Erkenntnis traf Linda wie ein Schlag vor den Kopf.

Ärgerlich packte Carter das Gestell und warf es zur Seite.

"Was hat diese Scheußlichkeit zu bedeuten?", fragte Linda.

Carter strich sich das Haar zurück und atmete tief durch.

Er beruhigte sich etwas, aber der Ärger stand ihm noch immer im Gesicht geschrieben.

"Das sind die Verrückten!", schimpfte er dann.

"Welche Verrückten?"