Unsichtbar Kaputt
Leben mit Post-Covid und keiner sieht's
von Andre Wellmann & Astrid Wellmann
Impressum
© 2025 Andre Wellmann &
Astrid Wellmann
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Andre Wellmann, An der Tiergartenbreite 18, 38448 Wolfsburg, Germany .
Einleitung
Ich war mal gesund.Ein Satz, den ich heute kaum noch aussprechen kann, ohne dass mir die Kehle eng wird.Denn was danach kam, hat mein Leben verändert – und nicht zum Guten.
Im Januar 2022 hatte ich Corona.Ich dachte, es wäre eine dieser Krankheiten, die kommen und gehen.Aber sie ging nicht.Sie blieb.Sie wuchs.Sie verwandelte sich – in etwas Neues, etwas Schleichendes, etwas Unheimliches:Post-COVID.
Seitdem ist nichts mehr, wie es war.Ich bin müde – nicht nur körperlich, sondern existenziell.Ich bin vergesslich – nicht nur im Kopf, sondern auch im Herzen.Ich bin erschöpft – von der Krankheit, von der Bürokratie, vom Erklären-Müssen.
Ich habe lange geschwiegen.Weil ich selbst nicht wusste, was mit mir passiert.Weil ich nicht geglaubt wurde.Weil ich zu beschäftigt war mit dem Überleben.
Aber irgendwann war klar: Ich muss reden.Schreiben.Sichtbar werden – für mich, für andere, für alle, die dieses stille Leiden kennen.
Dieses Buch ist kein medizinischer Ratgeber.Kein Drama.Kein Heldenepos.
Es ist einfach nur: meine Wahrheit.Zerrissen, ehrlich, verletzlich.Geschichten aus meinem Inneren,Erfahrungen, die man nicht sieht,und Gedanken, die zu schwer sind, um sie für sich zu behalten.
Ich schreibe für mich –und für alle, die sich im Dunkeln bewegen.Für die, die funktionieren müssen, obwohl sie längst zerbrochen sind.Für die, die niemand sieht.Für die, die leise schreien.
Wenn du dich in diesen Seiten wiederfindest,dann weißt du:Du bist nicht allein.
Astrid WellmannFrühjahr 2022
Kapitel 1 – Ich war mal gesund
Ich war mal gesund.Das klingt heute wie ein Satz aus einem alten Buch.Vergilbt. Staubig. Fast ein bisschen unglaubwürdig.Aber es war so.
Ich war mal gesund – in einem Körper, der mir gehorchte.In einem Kopf, der klar war.In einem Alltag, der laut und voll war, aber lebendig.
Ich habe funktioniert.Mehr als das: Ich war da. Für alle. Für alles.Ich war Mutter, Planerin, Helferin, Zuhörerin, Kraftwerk.Ich habe durchgezogen, auch wenn ich müde war.Ich habe organisiert, geschoben, getragen, gelacht, getröstet, gekocht, getippt, geantwortet – und nie gefragt:„Und was ist mit mir?“
Denn ich konnte.Ich war belastbar.Ich war da.Ich war gesund.
Und dann kam der Januar 2022.
Ein kleines Virus, sagen manche.Eine einfache Infektion, denken viele.Aber für mich war es der Anfang vom Ende –und von etwas Neuem, das ich nie wollte.
Corona.Und es ging nicht wieder weg.
Zuerst waren es nur Nachwirkungen. Ein bisschen länger schlapp, ein bisschen müder als sonst.Dann kamen die Kopfschmerzen.Die Wortfindungsstörungen.Die Schmerzen in den Gelenken.Die Luftnot.Die Erschöpfung, die nicht wie Müdigkeit war, sondern wie ein Nebel, der alles zudeckt.
Und ich dachte noch: „Das wird schon wieder.“Ich hoffte. Ich wartete. Ich lächelte tapfer.
Aber es wurde nicht wieder.
Und als es das zweite Mal kam – Corona 2023 – war da kein Rest Mut mehr.Nur Angst.Denn ich wusste: Jetzt ist es chronisch.
Ich war mal gesund. Und dann war ich: anders.
Anders im Kopf.Langsam. Verwirrt.Vergesslich.Ich konnte Sätze nicht mehr zu Ende denken. Ich verlor Wörter.Ich verlor Gespräche.Ich verlor Sicherheit.
Anders im Körper.Schmerzen, die wanderten.Taubheit in den Händen.Ein Kreislauf, der plötzlich zusammenbrach.Ein Herz, das zu schnell schlug.Ein Magen, der keine Nahrung mehr mochte.Eine Haut, die nicht mehr berührt werden wollte.
Anders im Leben.Ich war nicht mehr verlässlich.Nicht mehr belastbar.Ich wurde die, die absagen musste.Die, die nicht mehr kam.Die, die sich entschuldigte für alles.
Und irgendwann wurde ich unsichtbar.Für andere.Und auch ein bisschen für mich selbst.
Ich war mal gesund. Und heute bin ich krank.
Nicht ein bisschen. Nicht vorübergehend.Ich bin chronisch krank.Ich bin systemisch müde.Ich bin neurologisch beschädigt.Ich bin offiziell arbeitsunfähig.Ich bin ein Fall. Eine Akte. Eine laufende Nummer.
Und trotzdem bin ich immer noch:Mutter.Mensch.Astrid.
Nur eben… anders.
Gedankenpause:
Erinnerst du dich an den Moment, an dem du noch gesund warst?Was würdest du der Person von damals sagen?Und wie würdest du dir heute begegnen, wenn du dich draußen auf der Straße sehen würdest?
Verlängerung – Der Weg von der Unsicherheit zur Gewissheit
Ich kann mich noch genau an den Tag erinnern, als ich begriff, dass meine „alte Normalität“ nicht mehr zurückkommen würde. Ich saß im Wartezimmer einer Hausarztpraxis. Die Wände waren weiß gestrichen, aber die Stühle hatten ein blasses Grün, das an Krankenhauskittel erinnerte. Mir war übel. Nicht nur wegen meiner Symptome, sondern weil mir auf einmal klar wurde, dass ich hier nun Dauergast sein könnte. Ein Gefühl der Beklemmung stieg in mir auf, fast so, als würde ich in einer langen, endlosen Schlange stehen und nicht genau wissen, ob ich je nach vorne käme.
Die Ärztin sprach von Post-Covid-Folgen, vielleicht von Long Covid, aber eigentlich könne man das nicht genau sagen. Jeder Patient reagiere anders. Ich hörte kaum zu, mein Kopf war so schwer, als hätte man mir eine Bleiplatte aufgelegt. Meine Augen brannten, ich wollte am liebsten nur schlafen. Doch da waren diese Schmerzen, die plötzlich meinen Nacken entlang zuckten, mir in den Rücken fuhren und meine Muskeln verkrampfen ließen. Ich versuchte, mich unauffällig hin und her zu bewegen, um die Schmerzen zu lindern.
Die Ärztin schrieb mich zunächst für zwei Wochen krank. „Die Erholung braucht Zeit“, sagte sie. „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Aber ich machte mir Sorgen, denn innerlich spürte ich, dass etwas Grundlegendes nicht mehr passte. Es war wie ein verschobenes Puzzleteil, das einfach nie mehr ganz an die gleiche Stelle zurückfinden würde.
Ein neues Leben im Zeitlupentempo
In den ersten Wochen nach meiner Erkrankung schlief ich mehr, als ich wach war. Doch seltsamerweise fühlte ich mich nie wirklich ausgeruht. Mein Körper war in einer permanenten Alarmbereitschaft. Mal war es das Herzrasen, mal die Kurzatmigkeit, mal einfach nur diese unbeschreibliche, bleierne Müdigkeit, die sich nicht wegschlafen ließ.
Meine Kinder bemerkten schnell, dass Mama nicht mehr so konnte wie früher. Ich versuchte, meinen Alltag weiterzuführen, als wäre nichts passiert. Ich stand auf, machte Frühstück, packte Pausenbrote, schickte die Kinder in die Schule. Aber schon nach dieser halben Stunde des „Funktionierens“ war ich so erschöpft, als hätte ich einen Marathon hinter mir. Ich fiel zurück ins Bett, spürte dieses wirbelnde Schwindelgefühl und klammerte mich an den Gedanken: „Das geht vorbei.“
Doch es ging nicht vorbei. Wochen verstrichen, und ich merkte, dass dieses Zeitlupentempo mein neues Leben war. Jede Bewegung, jeder Gedanke kostete mich Kraft. Ich hatte das Gefühl, als wäre ich in einem zähen Morast stecken geblieben, und egal, wie sehr ich strampelte, ich kam nicht vom Fleck.
Die ersten Selbstzweifel
Was, wenn das Ganze nur in meinem Kopf stattfand? Immerhin konnte ich nicht zeigen, dass mein Bein gebrochen war oder mein Arm. Es waren Schmerzen und Erschöpfung, die von außen unsichtbar blieben. Ich begann, an mir selbst zu zweifeln. War ich einfach nur faul? Verlor ich mich in einer Dauer-Müdigkeit, für die es keinen echten Grund gab?
Manchmal sagte mir ein Teil in mir: „Reiß dich zusammen.“ Ich versuchte, die Zähne zusammenzubeißen und meinen alten Tatendrang hervorzukramen. Ich wollte die Einkäufe erledigen, die Wäsche waschen, die Kinder zu ihren Hobbys fahren, einen Kuchen backen. Oft klappte es für ein paar Stunden. Aber die Quittung kam am nächsten Tag: Noch mehr Schmerzen, noch weniger Kraft, noch mehr Schuldgefühle, weil ich es wieder übertrieben hatte.
Die Suche nach Antworten
Ich begann, das Internet zu durchforsten. Da las ich von Fibromyalgie, vom Chronischen Fatigue-Syndrom, von Post-Covid-Syndromen. Die Symptome ähnelten einander, doch es gab keinen eindeutigen Test, um zu sagen: „Aha, genau das ist es!“ Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Irrgarten von Diagnosen gefangen. Jeder Fachartikel nannte andere Kriterien, andere Zahlen. Manche Ärzte nahmen meine Beschwerden ernst, andere sahen mich nur mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Diese Suche nach Erklärungen wurde schnell zu einem weiteren Stressfaktor. Ich las von Menschen, die ihren Job aufgeben mussten, die Familien zerbrachen, die Freunde verloren, weil sie nicht mehr so „funktionierten“ wie früher. Es machte mir Angst, so viel Angst, dass ich manchmal am liebsten wieder gar nichts mehr gewusst hätte.
Doch ein Funken Hoffnung war da: In manchen Foren berichteten Betroffene, dass sie Strategien gefunden hätten, um besser mit ihren Beschwerden zu leben. Sie erzählten von Physiotherapie, von Achtsamkeitsübungen, von einer Ernährungsumstellung, von Selbsthilfegruppen. Vielleicht gab es doch einen Weg, sich in diesem neuen Körper, in diesem neuen Leben einzurichten, ohne die eigene Identität ganz zu verlieren.
Vom Funktionieren zum Fühlen
Zum ersten Mal in meinem Leben musste ich lernen, wie es ist, auf meinen Körper wirklich zu hören. Nicht nur zu funktionieren, sondern zu spüren: Wann ist die Schmerzgrenze erreicht? Wann sagt mir mein Körper: „Stopp!“?
Früher, als ich noch gesund war, habe ich Warnsignale oft überhört. Kopfschmerzen wurden mit einer Tablette bekämpft, Rückenschmerzen mit einer schnellen Dehnübung, Erkältungen mit Tee und Schnupfenspray, während ich trotzdem weiterarbeitete. Jetzt gab es keine schnelle Lösung mehr. Mein Körper zwang mich in die Knie, regelrecht auf den Boden der Tatsachen.
Und so lernte ich, im Liegen zu meditieren, atmete bewusst ein und aus, ließ meine Gedanken treiben. Manchmal war das beruhigend, manchmal aber auch erschreckend, weil ich merkte, wie voll mein Kopf war. All die Ängste, die Fragen, die Schuldgefühle – sie tanzten in meinem Kopf herum, wie ungebetene Gäste, die keine Anstalten machten zu gehen.
Das soziale Umfeld verändert sich
Wer war ich noch für andere? Die meisten Freundschaften lebten von gemeinsamen Aktivitäten, von Gesprächen, vom Zusammen-Lachen. Nun fiel ich oft aus. Ich sagte Treffen ab, weil ich zu müde war oder zu große Schmerzen hatte. Oft entschuldigte ich mich in letzter Minute. Einige Menschen reagierten verständnisvoll, schrieben mir aufmunternde Nachrichten oder fragten, ob sie mir etwas vorbeibringen könnten. Andere zogen sich zurück. Vielleicht, weil sie sich selbst unbehaglich fühlten oder nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten.
Ich spürte langsam, wie mein Kreis kleiner wurde. Menschen verloren das Interesse, wenn ich ständig nur von Schmerzen und Müdigkeit reden konnte – oder wenn ich eben gar nicht mehr reden konnte, weil mir die Worte fehlten. So wurde ich unsichtbar, obwohl ich es nicht wollte. Ich merkte auch, dass ich selbst begann, mich zu verstecken. Es tat mir weh, mein altes, lebendiges Ich in Spiegeln meines Umfelds zu sehen, in den Erinnerungen der anderen, ohne es jemals wieder ausleben zu können.
Der Kampf mit der Bürokratie
Ein Kapitel, das ich nie für möglich gehalten hätte, begann, als mein Krankengeld anfing. Plötzlich war ich nicht mehr nur Astrid, Mutter, ehemalige Powerfrau, sondern ein „Fall“. Ich musste Formulare ausfüllen, Unterschriften leisten, Berichte von Ärzten vorlegen. Jeder Schritt war anstrengend, und doch ging es nicht anders.
Irgendwann musste ich mich bei der Rentenversicherung melden, wegen Erwerbsminderungsrente. Das klang so endgültig. Aber mein Hausarzt meinte, wir müssten alles in die Wege leiten, falls es nicht besser würde. Also saß ich wieder in Wartezimmern, diesmal mit Papieren und Diagnosen in der Hand. Mir stiegen die Tränen in die Augen, als ich meinen Namen las, darunter diverse Symptome aufgelistet: Fatigue, diffuse Schmerzen, kognitive Störungen. Ich fühlte mich fremd in meinem eigenen Leben.
Ein Blick in den Spiegel
Man sagt, die Augen seien der Spiegel der Seele. Wenn ich in meine Augen sah, erkannte ich immer noch dieselbe Person. Aber das Drumherum wirkte verändert. Falten, die Stress und Sorgen eingegraben hatten. Blässe von zu wenig Sonne und Bewegung. Ein Ausdruck von Müdigkeit, der nicht mehr verschwinden wollte.
Manchmal stand ich minutenlang vor dem Spiegel und fragte mich: „Wer bin ich jetzt?“ Früher hätte ich die Frage vielleicht mit einer Handbewegung abgetan: „Na, ich bin ich. Ganz klar.“ Doch dieser einfache Satz galt nicht mehr. Ich war nicht mehr dieselbe. Meine Gedanken waren anders, meine Gefühle waren anders, meine Energie war anders.
Von der Wut zur Trauer
Auf diesem Weg durch die Krankheit erlebte ich eine Fülle von Emotionen. Wut auf meinen Körper, der mich im Stich gelassen hatte. Wut auf die Ärzte, die keine klare Lösung fanden. Wut auf das Schicksal, das mir dieses Los zugespielt hatte. Diese Wut fraß mich regelrecht auf. Sie raubte mir die letzte Kraft, weil sie sich immerzu gegen etwas richtete, das ich nicht kontrollieren konnte.
Und dann kam die Trauer. Eine tiefe Trauer, fast wie bei einem Abschied. Ich trauerte um mein altes Leben, um meine Unbeschwertheit, um das Vertrauen in meinen Körper. Es war, als hätte ich jemanden verloren, den ich gut kannte und liebte: mich selbst in gesundem Zustand.
Diese Trauer war schmerzhaft, aber sie war auch befreiend. Denn durch das Trauern erkannte ich, dass ich loslassen musste, um nicht daran zu zerbrechen. Es ist in Ordnung, um das Alte zu weinen. Es bedeutet nicht, dass man aufgibt, sondern dass man anerkennt, was verloren ist.
Neue Gewohnheiten, neue Grenzen
Aus der Trauer heraus wuchs so etwas wie ein Neubeginn. Ich stellte mir die Frage: „Wie kann ich in diesem neuen Körper, mit diesen neuen Einschränkungen, ein lebbares Leben finden?“
Ich begann, meinen Tag anders zu planen. Statt eine To-do-Liste mit zehn Punkten abzuarbeiten, setzte ich mir nur noch ein bis zwei Ziele am Tag. Wenn ich es schaffte, mich auszuruhen und mich um eine Kleinigkeit zu kümmern, war das ein Erfolg. Ich versuchte, mich nicht mehr mit meinem alten Ich zu messen. Das war schwer, denn manchmal dachte ich: „Früher hätte ich das alles in zwei Stunden erledigt.“
Ich entdeckte Entspannungstechniken, die mir halfen, mit Schmerzen und Stress besser umzugehen. Leichte Yoga-Übungen, Dehnungen im Sitzen, geführte Meditationen. Es tat gut, dem Körper freundlicher zu begegnen, statt ihn ständig anzutreiben. Ich begann zu akzeptieren, dass meine Leistungstoleranz begrenzt war. Es fühlte sich anfangs wie eine Kränkung an, aber zugleich war es auch eine Befreiung, weil ich aufhörte, mir permanent Unmögliches abzuverlangen.
Der Körper als Baustelle
Fibromyalgie bedeutet, dass es immer irgendwo zwickt, sticht oder brennt. Manche Tage sind erträglicher, andere sind die Hölle. Ich beschreibe sie manchmal als „Schmerz Stürme". Sie ziehen durch den Körper, erstrecken sich mal über den Nacken, mal in die Knie, manchmal auch in die Finger und Gelenke, sodass jede Bewegung schmerzt.
Ich lernte, kleine Routinen zu schaffen: Wärmebehandlungen, ein Bad mit ätherischen Ölen, leichte Massagen. In guten Phasen war das Wohltat und Heilung zugleich. In schlechten Phasen war es lediglich ein Trostpflaster. Aber es half mir, etwas für mich zu tun, für diesen Körper, der oft mehr Feind als Freund war.
Das emotionale Gleichgewicht
Mit der Zeit wurde mir klar, dass nicht nur mein Körper, sondern auch meine Seele dauerhaft aus dem Gleichgewicht geraten war. Die Unsicherheit, ob ich je wieder „normal“ sein würde, nagte an meinem Selbstwertgefühl.
Ich sprach mit meiner Familie, mit meinem Partner, mit engen Freunden. Ich erklärte, dass ich nicht unwillig oder faul sei, sondern dass mein Körper teilweise einfach streikte. Doch auch das Reden machte mich müde, weil immer wieder dieselbe Geschichte erzählt werden musste. Ich spürte, wie schwer es für Außenstehende war, das Ganze nachzuvollziehen. „Aber du siehst doch gar nicht krank aus“, hörte ich oft. Oder: „Jeder hat mal einen schlechten Tag.“
Und so ging ich in mich. Ich fing an zu schreiben. Notierte meine Gefühle, meine Schmerzen, meine Fortschritte, meine Rückschläge. Dieses Schreiben wurde zu einer Art Selbsttherapie. Es gab mir Raum, meine Gedanken zu ordnen, meine Emotionen rauszulassen, ohne dass ich sofort kommentiert oder bewertet wurde.
Die Frage nach dem Sinn
Manchmal fragte ich mich: „Warum ich?“ Diese Frage führte selten zu einer befriedigenden Antwort. Doch sie brachte mich dazu, grundsätzlich über mein Leben nachzudenken. Was war eigentlich wichtig? Wofür lohnte es sich, weiterzukämpfen?
Ich merkte, dass ich trotz aller Einschränkungen immer noch Dinge hatte, die mir Freude bereiteten. Ein gutes Buch, das Lächeln meiner Kinder, die Farben des Himmels beim Sonnenuntergang. Früher hätte ich das vielleicht als selbstverständlich angesehen. Jetzt leuchteten diese kleinen Momente heller, weil sie in einem Alltag stattfanden, der oft von Schmerz und Müdigkeit geprägt war.
Freude neu entdecken
Es klingt vielleicht paradox, aber inmitten der Krankheit fand ich auch eine neue Art von Lebensfreude. Eine Freude, die nicht mehr an große Leistungen oder an äußere Erfolge geknüpft war. Sondern eine, die sich im Kleinen zeigte – in einer Tasse Tee, wenn der Duft von Kräutern mich beruhigte, in einer Umarmung, die mich an meine Menschlichkeit erinnerte, in dem Lachen meiner Kinder, das mir klarmachte, dass ich immer noch Mutter war, egal, wie eingeschränkt ich mich fühlte.
Ich begann, bewusst nach diesen Momenten Ausschau zu halten, sie zu sammeln wie kleine Schätze. Mir half es, am Abend drei Dinge aufzuschreiben, die gut waren an diesem Tag. Manchmal war es eine Kleinigkeit: „Ich konnte eine halbe Stunde spazieren gehen, ohne mich komplett zu verausgaben.“ Oder: „Ich habe heute kein einziges Medikament gebraucht, um meine Kopfschmerzen zu besiegen.“
Neue Begegnungen
Über Online-Foren und Selbsthilfegruppen lernte ich andere Menschen kennen, die ähnliches durchmachten. Dort wurde Fibromyalgie oder das Chronische Fatigue-Syndrom nicht belächelt, sondern ernst genommen. Ich fand Verständnis, wo in meinem alten Umfeld oft nur Schulterzucken war.
Der Austausch tat gut. Auch wenn ich nicht jeden Ratschlag umsetzen konnte, fühlte ich mich weniger allein. Wir konnten lachen über gemeinsame Erlebnisse, weinen über vergleichbare Schicksalsschläge und uns gegenseitig Mut machen. Diese Menschen wurden zu einer Art „zweiter Familie“, weil wir uns emotional besser verstanden, als so mancher Verwandte, der zwar guten Willens war, aber unsere Lage einfach nicht nachempfinden konnte.
Akzeptanz heißt nicht Aufgeben
Einer der größten Lernprozesse war für mich, dass Akzeptanz nicht gleichzusetzen ist mit Resignation. Als ich begriff, dass meine Gesundheit nicht einfach wiederkommt, war das zunächst schockierend. Doch mit der Zeit spürte ich, dass darin auch eine Chance lag.
Wenn ich akzeptierte, dass mein Körper Grenzen hat, konnte ich endlich aufhören, ständig darüber zu hadern, wie unfair das doch alles sei. Ich konnte meine Energie darauf verwenden, mein Leben den neuen Umständen anzupassen, statt vergeblich gegen etwas zu kämpfen, das ich nicht ändern konnte.
Das heißt nicht, dass ich mich in meine Krankheit hineinfand und jegliche Hoffnung fahren ließ. Es heißt aber, dass ich begann, anders zu hoffen: auf kleine Verbesserungen, auf Phasen der Stabilität, auf ein neues Maß an Lebensqualität, das möglich war, anstatt auf die vollständige Wiederherstellung meines alten Selbst.
Die Familie als Rettungsanker
Meine Kinder wurden zu einem wichtigen Antrieb. Natürlich brauchten sie ihre Mutter, aber sie lernten auch, Verantwortung zu übernehmen. Plötzlich halfen sie beim Kochen, beim Wäscheaufhängen. Sie wussten, dass Mama manchmal Pausen brauchte. Und sie merkten, dass sie dennoch geliebt wurden, auch wenn ich nicht mehr alles für sie erledigen konnte.
Mein Partner lernte mit mir gemeinsam, dieses neue Leben zu gestalten. Es war nicht einfach. Es gab Streit, weil wir beide verzweifelt waren und nicht wussten, wie wir den Alltag meistern sollten. Doch wir blieben im Gespräch, erklärten uns, unterstützten uns. Ich bin sicher, diese Krise hat unsere Beziehung tiefgreifend verändert. Aber vielleicht hat sie uns auch gezeigt, was uns wirklich verbindet.
Die Unsichtbarkeit durchbrechen
Unsichtbar zu sein, ist ein schleichender Prozess. Man sagt Termine ab, taucht seltener in der Öffentlichkeit auf, kann in Gesprächen nicht mehr mithalten, weil die Konzentration fehlt. Nach und nach fällt man aus dem Raster. Ich spürte, wie mein Umfeld mich immer weniger einlud, vielleicht um mir den Stress zu ersparen. Oder weil ich ohnehin absagte.
Aber gleichzeitig wollte ich nicht völlig verschwinden. Also schrieb ich E-Mails oder Nachrichten, wenn ich etwas Kraft hatte. Ich erklärte meinen engsten Freunden, dass ich mich freue, wenn sie mich trotzdem fragen, auch wenn ich vielleicht nicht immer zusagen kann. Langsam begriffen sie, dass es mir guttut, die Wahl zu haben – selbst wenn ich oft „Nein“ sagen musste.
Der Wert des Moments
In diesem Prozess der Krankheit und der Veränderung lernte ich, den Moment anders zu sehen. Früher dachte ich oft an die Zukunft, plante und organisierte. Heute weiß ich, dass Pläne schnell Makulatur werden können, wenn ein Schub kommt oder ein Schmerz Sturm mich lahmlegt.
Also versuche ich, bewusster in den Tag hineinzuleben. Ich nehme wahr, wie sich mein Körper morgens anfühlt, ob ich Kapazitäten für eine kleine Aktivität habe. Ich genieße es, wenn die Sonne scheint und ich einen Schritt vor die Tür machen kann. Dieser eine Schritt kann sich anfühlen wie ein Sieg.
Kein „Happy End“ – aber Hoffnung
Dies ist kein Märchen, und ich bin keine Heldin, die am Ende strahlend gesund aufsteht und in die Welt hinaus marschiert. Mein Leben ist immer noch von Beschwerden geprägt. Es gibt Tage, an denen ich nur schlafen will, an denen mir alles zu laut, zu hell, zu schnell ist. Es gibt Tage, an denen die Schmerzen mich weinen lassen.
Aber es gibt auch Tage, an denen ich einen Hauch von Leichtigkeit spüre. Dann habe ich das Gefühl, das Leben schenkt mir ein kleines Lächeln, vielleicht in Form eines Sonnenstrahls, eines Liedes, das mich berührt, oder eines Gesprächs, das mir Mut macht. Und das ist Hoffnung.
Ein Blick zurück – und nach vorn
Ich war mal gesund. Heute bin ich chronisch krank. Aber ich bin immer noch ich. Diese Erkenntnis ist wichtig. Auch wenn ich mich verändert habe und vieles nicht mehr kann, trage ich meine Erfahrungen und meine Persönlichkeit in mir.
Das Alte loszulassen, heißt nicht, alle Erinnerungen auszuradieren. Ich darf dankbar sein für die Zeit, in der ich fit war, und zugleich akzeptieren, dass sich alles gewandelt hat. Vielleicht lerne ich in diesem Prozess, Mitgefühl für mich selbst zu entwickeln, mich weniger zu verurteilen, sondern mit Nachsicht auf meine Situation zu blicken.
Das innere Kind trösten
Manchmal stelle ich mir vor, ich begegne meinem jüngeren Ich. Dieser gesunden, fröhlichen Astrid, die voller Elan in den Tag startete, die sich keine Gedanken um Gelenkschmerzen oder Erschöpfung machte. Was würde ich ihr sagen? Vielleicht würde ich sie umarmen und ihr raten, mehr auf ihren Körper zu hören. Vielleicht würde ich sie daran erinnern, Pausen einzulegen, wenn sie sich verausgabt. Ganz sicher würde ich ihr sagen, dass das Leben nicht immer planbar ist, dass Krankheit manchmal wie ein Raubüberfall kommt.
Und vielleicht würde mein jüngeres Ich mir heute sagen: „Trotz allem bist du immer noch stark auf deine Weise. Deine Stärke liegt nicht mehr im Durchpowern, sondern in deiner inneren Widerstandskraft.“
Die Kunst des Sich-selbst-Erkennens
Durch meine Krankheit habe ich angefangen, intensiver in mich hineinzuhorchen. Wer bin ich ohne Leistung, ohne Funktionieren, ohne die Bestätigung von außen? Diese Frage ist unangenehm, weil sie uns zwingt, unser Selbstbild zu hinterfragen. Aber sie kann auch befreiend sein.
Ich merke, dass ich ein Wesen mit vielen Facetten bin. Eine Frau, die liebt und geliebt wird, die fühlt und denkt, die lacht und weint. Eine Mutter, die immer noch Ratschläge gibt und Nähe schenkt, auch wenn sie physisch eingeschränkt ist. Eine Freundin, die zuhören kann, auch wenn sie manchmal Wörter vergisst.
Ein neuer Zusammenhalt
Als ich anfing, offener über meine Krankheit zu sprechen, merkte ich, dass viele Menschen – teils selbst betroffene, teils Angehörige – ihre eigenen Geschichten erzählten. Plötzlich war da ein Austausch, der Verständnis und Trost brachte. Wir lebten in unterschiedlichen Städten, hatten unterschiedliche Diagnosen, aber wir alle kannten dieses Gefühl, im eigenen Körper gefangen zu sein.
Diese geteilten Erfahrungen führten zu einer neuen Art von Zusammenhalt. Und manchmal dachte ich: „Wir brauchen mehr Sichtbarkeit, mehr Worte für all diese stillen Krankheiten, die von außen nicht zu erkennen sind.“
Zukunfts Fragmente
Natürlich denke ich oft an die Zukunft. Werde ich irgendwann wieder arbeiten können? Werde ich in ein paar Jahren einen einigermaßen stabilen Zustand erreichen? Oder wird es noch schlimmer? Die Fragen tauchen auf und verschwinden wieder, manchmal in angstvollen Nächten, manchmal mitten am Tag.
Ich habe gelernt, dass meine Zukunftspläne flexibel sein müssen. Vielleicht finde ich eine Tätigkeit, die ich zu Hause ausüben kann. Vielleicht reicht meine Kraft nur für ein paar Stunden in der Woche. Vielleicht wird es andere Therapien geben, die mir helfen. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich mit Geduld, Selbstfürsorge und Unterstützung von lieben Menschen weitergehen werde.
Ein Wort an dich, wenn du gesund bist
Ja, dich! Wenn du dies liest und gesund bist, bitte lächle einmal dankbar. Atme durch und spüre deinen Körper. Er funktioniert, vielleicht nicht immer perfekt, aber er trägt dich durchs Leben. Achte auf ihn. Zeige ihm Dankbarkeit, indem du ihm Pausen schenkst und seine Grenzen respektierst.
Krankheit ist nicht immer sichtbar. Manchmal tobt sie im Verborgenen, während die Person vor dir lächelt und behauptet, es gehe ihr gut. Ein mitfühlendes Herz kann viel bewirken. Man muss nicht alles verstehen – ein offenes Ohr und ein liebevolles Wort sind oft schon Trost genug.
Abschließende Gedanken
Ich war mal gesund, und das werde ich wohl immer vermissen. Dieses Gefühl, dass mir die Welt offensteht, dass ich jede Treppe hinauflaufen kann, ohne zu schnaufen, dass ich jede Aufgabe ohne große Anstrengung bewältige. Ich vermisse die Klarheit im Kopf, wenn ich mich auf ein Buch oder ein Gespräch konzentriere, ohne ständig den Faden zu verlieren. Ich vermisse das Selbstvertrauen, das mit einem gesunden Körper einhergeht.
Doch inmitten dieser Sehnsucht ist ein neues Ich gewachsen. Eines, das langsamer, achtsamer und vielleicht sogar empathischer ist. Das gelernt hat, wie zerbrechlich wir alle sind – und wie kostbar jeder Moment sein kann.
Wenn ich mich heute auf der Straße treffen würde, als mein altes, gesundes Ich, würde ich mich vielleicht anlächeln und mir sagen: „Du wirst vieles verlieren, aber dich selbst, den Kern deines Wesens, nicht. Du bist immer noch wertvoll, immer noch liebenswert, immer noch du. Vergiss das nicht, egal wie dunkel es wird.“
Und vielleicht würde ich mir dann antworten: „Danke. Ich hätte nie gedacht, dass es so hart wird. Aber ich sehe, dass in allem auch eine Lektion steckt. Ich werde weitermachen, jeden Tag, so gut ich kann, in meinem neuen Tempo.“
Denn am Ende, ob gesund oder krank, sind wir alle auf der Suche nach einem Leben, das sich richtig anfühlt. Und vielleicht ist es gerade diese Suche, die uns am meisten über uns selbst lehrt.
Kapitel 2 – Der Anfang vom Ende
Es begann schleichend.Nicht wie ein Schlag.Nicht wie ein klarer Schnitt.Sondern wie ein Tropfen, der immer wieder auf denselben Stein fällt.Bis er bricht.
Nach Corona im Januar 2022 dachte ich:„Okay, das dauert halt. Ich bin keine Zwanzig mehr.“Ich war müde, ja.Aber ich war immer müde gewesen.Ich war Mutter. Ich war im Stress. Ich war stark.
Doch diese Müdigkeit war anders.Sie ließ sich nicht wegschlafen.Nicht wegdenken.Nicht wegreden.
Und es kamen neue Dinge dazu.Kleine Dinge, die ich erst gar nicht ernst nahm:Ich stand im Flur und wusste nicht, warum.Ich griff nach einem Wort – und es war weg.Ich suchte Sätze – und fand nur Nebel.
Mein Körper begann zu flackern.Er schaltete ab – hier mal kurz die Konzentration,da mal ein Kreislauf,ein Schwindel,ein Zittern.Plötzlich konnte ich keinen Einkaufszettel mehr schreiben,weil mein Gehirn den Weg zwischen „Milch“ und „Papier“ nicht mehr fand.
Und ich sagte immer noch:„Das wird schon wieder.“
Aber es wurde nicht.Ich fing an zu googeln.Long COVID. Post-COVID. Fatigue.Ich landete in Foren. In Gruppen. In Erfahrungsberichten.Und plötzlich war ich nicht mehr allein –aber auch nicht mehr sicher.
Denn was ich dort las, machte mir Angst.
Menschen wie ich.Vorher leistungsfähig, aktiv, belastbar.Jetzt: im Bett. Im Rollstuhl. Im Kampf mit der Bürokratie.Und keiner glaubt ihnen.
Ich war entsetzt.Und ich war mittendrin.
Der Anfang vom Ende war kein einzelner Tag.Es war ein Prozess.Ein allmähliches Verblassen.Von Kraft.Von Klarheit.Von Alltag.
Ich wurde langsam aus dem Leben gespült.Erst waren es Freunde, die sich weniger meldeten.Dann Familie, die sagte: „Du musst dich halt mal aufraffen.“Dann Ärzt:innen, die nur fragten:„Haben Sie vielleicht gerade einfach viel Stress?“Dann Behörden, die gar nichts mehr sagten – außer: „Abgelehnt.“
Ich saß da.Mit einem Körper, der nicht mehr wollte.Einem Kopf, der nicht mehr konnte.Und einer Welt, die sagte:„Stell dich nicht so an.“
Der Anfang vom Ende war nicht laut. Er war leise.Ein leises Weinen nachts, weil ich wusste:Morgen wird nicht besser.Ein leises Aufgeben, wenn ich wieder eine Aufgabe abgab, die ich früher mit links gemacht hätte.Ein leises Schweigen, wenn ich gefragt wurde:„Wie geht’s dir?“ –und ich nicht wusste, ob ich lügen oder brechen soll.
Die Unsicherheit wächst
„Es ist nur eine Phase“, redete ich mir immer wieder ein. Ich hoffte, dass diese Erschöpfung, die in mir wucherte, einfach eines Tages verblassen würde. Dass es vielleicht nur eine Art Nachhall der Infektion war, eine Erschöpfung, die man eben übersteht, wenn man ein paar Nächte mehr schläft. Aber die Realität war eine andere: Ich schlief mehr und fühlte mich gleichzeitig immer kraftloser.
Manchmal lag ich abends auf dem Sofa, meine Augen brannten vor Müdigkeit, und doch kreisten meine Gedanken wie ein endloser Karussell Fahrschein. „Warum ich? Warum jetzt? Was, wenn das nie wieder weggeht?“ Fragen, die ich niemandem stellen wollte, weil mir die Antworten ebenso Angst machten wie das Schweigen.
Gleichzeitig war da dieses diffuse Gefühl, dass alles anders war, obwohl die Welt um mich herum scheinbar dieselbe blieb. Das Licht am Morgen schien mir zu grell, die Geräusche im Supermarkt waren zu laut, der Geruch von Essen machte mich manchmal unendlich müde. Es war, als hätte ich in meinem Innersten eine Schaltzentrale, die plötzlich falsch kalibrierte.
Die ersten Arztbesuche
Ich weiß noch, wie ich zum Hausarzt ging und davon erzählte, dass ich mich nicht regenerieren könne. Ich zählte meine Symptome auf: Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme, dieses fatale Gefühl, mein Gehirn sei in Watte gepackt. Er hörte mir zu, schrieb einige Werte auf, machte Bluttests. Als die Ergebnisse kamen, zuckte er mit den Schultern. „Ihre Werte sind im Normbereich. Vielleicht haben Sie gerade mehr Stress als üblich? Oder Schlafmangel? Versuchen Sie, sich ein bisschen zu schonen.“
Ich wollte ihm nicht Vorwürfe machen. Zu diesem Zeitpunkt war Long COVID in aller Munde, aber es war auch etwas, das offenbar kaum jemand so recht greifen konnte. Ich fühlte mich schutzlos. Denn wenn selbst Ärzte nur ratlos waren oder mir sagten, das sei normal nach so einer Infektion, wie sollte ich mir selbst glauben, dass es mehr war als eine bloße Erkältungs-Nachwirkung?
Doch in meinem Innersten wusste ich, dass da etwas gründlich schieflief. Mein Körper, einst verlässlich, arbeitete wie in einem Notlaufprogramm. Ich ging nach Hause, setzte mich an den Küchentisch, schaute meine Kinder an, die fröhlich von ihrem Tag erzählten, und zwang mich zu einem Lächeln. Immerhin war ich noch da. Irgendwie.
Zwischen Hoffnung und Verzweiflung
In den folgenden Wochen versuchte ich, mich zusammenzureißen. Ich zwang mich dazu, den Haushalt zu erledigen, die Wäsche zu waschen, das Essen zu kochen – so wie ich es immer getan hatte. Doch schon nach einer Stunde spürte ich einen Druck in meinem Kopf, als würde jemand von innen dagegen hämmern. Ich merkte, wie mir schwarz vor Augen wurde, wenn ich zu schnell aufstand. Meine Beine zitterten.
Immer wenn ich kurz davor war, mich fallen zu lassen und zu sagen: „Ich kann nicht mehr“, meldete sich eine innere Stimme: „Du übertreibst. Du bist nur müde. Andere kriegen das doch auch hin.“ Dieser innere Kritiker war grausam. Er ließ mir keine Ruhe, machte mir Vorwürfe. Dabei wollte ich doch nichts anderes, als wieder normal funktionieren – für mich, für meine Familie, für meinen Job.
Manchmal setzte ich mich ins Auto, um die Kinder abzuholen, und spürte Panik. Was, wenn mein Kopf plötzlich „aussteigt“? Was, wenn ich vergesse, wo ich abbiegen muss? Es erschien mir absurd, solche Gedanken zu haben. Ich fuhr diese Strecke seit Jahren. Dennoch schlich sich die Angst ein.
Die Entdeckung der Online-Community
Als ich anfing, mehr zu googeln, stieß ich auf Berichte von Menschen, die genau das Gleiche erlebten wie ich. Sie erzählten von Tagen, an denen sie vor lauter Erschöpfung nicht aus dem Bett kamen, von kognitiven Aussetzern, die sie daran hinderten, selbst einfache Texte zu lesen. Sie berichteten von Herzrasen, von Schmerzen in Muskeln und Gelenken, von Atemnot beim kleinsten Gang in die Küche.
Ich verschlang diese Beiträge – und mir wurde heiß und kalt zugleich. Da waren also andere, die haargenau das durchmachten, was mich gerade erschreckte. Einerseits war das tröstlich: Ich war nicht allein. Andererseits jagte es mir einen Schauer über den Rücken: Wenn so viele betroffen waren, warum gab es dann keine klare Hilfe, keine klare Diagnose? Wieso tappten wir alle im Dunkeln?
In manchen Foren las ich Geschichten, die mir schlaflose Nächte bescherten. Menschen, die ihren Job verloren, weil sie zu oft krankgeschrieben waren. Menschen, deren Partner sie verließ, weil die Beziehung die chronische Überlastung nicht überstand. Menschen, die von einem Arzt zum nächsten rannten und immer wieder hörten: „Ihre Werte sind doch okay.“
Eine neue Art von Einsamkeit
Wenn ich versuchte, meinem Umfeld zu erklären, was mit mir los war, erntete ich oft Unverständnis. Manche reagierten mit einem verwirrten Lächeln, so als wollten sie sagen: „Na, das wird schon. Du bist doch immer so stark gewesen.“ Andere hörten mir interessiert zu, doch in ihren Augen sah ich eine gewisse Hilflosigkeit. Sie konnten nicht nachvollziehen, wie sehr mich dieser Zustand lähmte.
Ich begann, Einladungen abzulehnen, weil ich wusste, dass meine Energie nicht reichen würde. Bei Familienfeiern saß ich am Rand und versuchte tapfer, mich zu konzentrieren. Doch die Gespräche um mich herum verschwammen. Die Geräuschkulisse strömte ungebremst in mein erschöpftes Gehirn, bis ich kaum noch folgen konnte. Immer öfter ging ich früh nach Hause oder blieb gleich ganz fern.
Ich fühlte mich isoliert, obwohl ich Menschen um mich hatte. Es war eine Einsamkeit, die daher kam, dass ich etwas Erdrückendes erlebte, das die anderen weder sehen noch verstehen konnten. Eine unsichtbare Mauer stieg zwischen mir und der Welt auf, und jeden Tag wurde sie ein Stück höher.
Bürokratie und das Schweigen der Behörden
Irgendwann bekam ich den Rat, mich an eine Post-COVID-Ambulanz zu wenden. Doch die Wartelisten waren lang. Mehrere Monate Wartezeit – in dieser Zeit konnte sich alles verbessern oder verschlechtern, ohne dass ich eine konkrete Anlaufstelle hatte. Als ich endlich einen Termin bekam, wurde ich untersucht: Lungenfunktion, Herz, Blutwerte, neurologische Tests. Wieder dieses Gefühl, wie ein Versuchskaninchen durch Apparate geschleust zu werden, nur um am Ende zu hören: „Wir sehen da keine akute Auffälligkeit.“
Gleichzeitig drängte mich meine Krankenkasse, irgendwelche Nachweise einzureichen. Ich war inzwischen häufiger krankgeschrieben, und das Krankengeld drohte zu enden. Ich telefonierte mit Sachbearbeitern, füllte Formulare aus, lieferte Arztbriefe und Atteste. Doch immer kam die nächste Hürde: „Das können wir so nicht anerkennen.“ – „Uns fehlen noch weitere Befunde.“ – „Haben Sie schon an eine psychische Ursache gedacht?“
Es war zermürbend. Während mein Körper versuchte, irgendwie den Tag zu überstehen, kämpfte mein Kopf gegen den Wust an Bürokratie. Das Gefühl, nicht nur gegen eine Krankheit, sondern auch gegen ein kompliziertes System kämpfen zu müssen, fraß jede Hoffnung auf schnelle Besserung.
Der Verlust von Selbstvertrauen
Mit jedem Tag, der verging, verlor ich ein Stückchen mehr das Vertrauen in meinen Körper. Ich war früher jemand, der Bäume ausreißen konnte. Egal, wie viel Arbeit anstand, ich fand immer einen Weg. Jetzt konnte ich manchmal nicht einmal eine halbe Stunde spazieren gehen, ohne danach zwei Stunden zu schlafen.
Die Erschöpfung fraß sich in meine Gedanken: „Bin ich faul? Stelle ich mich an? Warum schaffe ich nicht, was andere schaffen?“ Meine innere Kritikerin wurde immer lauter. Und je mehr ich mich anstrengte, desto heftiger fielen die Rückschläge aus.
Einmal dachte ich: „Jetzt probiere ich es, ich gehe joggen, nur ganz kurz. Vielleicht tut es mir ja gut.“ Früher war Joggen ein Teil meines Alltags gewesen, ein Ausgleich, eine Quelle für neue Energie. Ich schnürte meine Laufschuhe, ging hinaus, setzte an zu einem leichten Trab – und musste nach wenigen Minuten aufgeben. Mein Herz klopfte wie wild, mir wurde schwindelig, und ich setzte mich keuchend auf den Bürgersteig. Auf dem Heimweg kamen mir die Tränen. Ich fühlte mich nicht nur krank, ich fühlte mich gebrochen.
Wenn die Familie nicht mehr versteht
Meine Familie versuchte, mich zu unterstützen, doch ich bemerkte, wie schwer es ihnen fiel, meine Lage wirklich zu begreifen. „Mach doch mal einen Spaziergang, frische Luft hilft sicher“, schlug meine Mutter vor. „Du musst dich nur aufraffen“, meinte meine Schwägerin, „sonst kommst du nie da raus.“
Ich wusste, sie meinten es gut. Aber es war, als würden sie mir raten, auf ein Bein zu hüpfen, obwohl beide Beine gelähmt waren. Diese Erschöpfung, die Post-COVID mit sich brachte, war nicht mit normaler Müdigkeit zu vergleichen. Es war eher, als hätte jemand einen riesigen nassen Mantel auf meine Schultern gelegt, der mich nach unten zog, egal, was ich tat.
Zudem kamen die kognitiven Aussetzer hinzu. Ich verwechselte Zahlen, vergaß Termine, brachte Namen durcheinander. Meine Familie fragte sich, ob ich nicht einfach nur unkonzentriert sei. Ich selbst fühlte mich, als würde mein Gehirn sich in Luft auflösen.
Das schleichende Gefühl des „Nicht-glaubt-wer-dir?“
Wenn du eine Krankheit hast, die man auf einem Röntgenbild sehen kann oder in einem Laborwert, bekommst du Mitleid, Blumen, Besuche. Aber wenn du eine Krankheit hast, die keinen eindeutigen Marker hat – wenn jeder Test sagt, du bist „unauffällig“ – dann stehst du oft da wie ein Hypochonder.
Mir war das nicht bewusst, bevor ich Post-COVID bekam. Ich hatte früher auch gedacht, wenn jemand ständig müde ist, müsse er eben mehr schlafen, sich besser organisieren, weniger am Handy hängen. Jetzt spürte ich am eigenen Leib, wie falsch diese Annahmen sein können.
Ärzt:innen konnten meine Symptome nicht eindeutig einer einzigen Ursache zuordnen. War es Fibromyalgie? Chronisches Fatigue-Syndrom? Ein neurologisches Problem? Oder psychosomatisch? Allein das Wort „psychosomatisch“ jagte mir einen Stich ins Herz, denn es klang nach „eingebildet“. Und ich wusste, dass ich mir das nicht einbildete.
Der schrittweise Rückzug aus dem Alltag
Nach und nach ließ ich mich krankschreiben. Erst für ein paar Tage, dann für ein paar Wochen, schließlich für Monate. Mein Arbeitgeber, der anfangs verständnisvoll war, wurde zunehmend ungeduldig. Wie lange sollte das noch dauern? Konnte ich denn nicht im Homeoffice ein paar Stunden arbeiten? Ich versuchte es, setzte mich an den Laptop, aber nach einer halben Stunde merkte ich, wie mein Kopf blockierte. Die Worte verschwammen, meine Finger tippten Fehler, ich verlor den Faden.
Dieser Rückzug war hart. Ich hatte jahrelang gearbeitet, war stolz auf meine Leistungen, hatte mich als zuverlässige Mitarbeiterin gesehen. Jetzt wurde ich zur „Problemkraft“, die ständig ausfiel. Es nagte an mir und verstärkte das Gefühl, dass mein Leben, wie ich es kannte, langsam verblasste.
Depression oder Erschöpfung?
Unweigerlich kam die Frage auf, ob ich vielleicht depressiv sei. Und ja, mit der Zeit fühlte ich mich tatsächlich niedergeschlagen. Wenn du wochen- und monatelang nicht mehr so leben kannst wie vorher, wenn du dich von den einfachsten Dingen überfordert fühlst, dann zieht sich der Mut zusammen wie ein trockenes Blatt.
Doch ich spürte in mir den Unterschied. Die Traurigkeit war eine Folge meiner körperlichen Einschränkungen, nicht deren Ursache. Ich wollte nicht, dass meine Psyche als Hauptverursacher herangezogen wurde. Ich war traurig, weil mein Körper nicht mehr so konnte wie zuvor – nicht umgekehrt.
Der Kreis wird enger
Ich bemerkte, wie sich mein Freundeskreis veränderte. Manche Menschen, die ich regelmäßig gesehen hatte, meldeten sich nur noch sporadisch. Andere versuchten, mir aufmunternde Nachrichten zu schicken, doch sie klangen seltsam distanziert, als wüssten sie nicht, was sie sagen sollten. Ich wurde vorsichtiger, erzählte weniger von meinen Beschwerden, weil ich nicht als Jammerlappen erscheinen wollte. So wurden die Gespräche oberflächlicher, bis wir uns kaum noch etwas zu sagen hatten.
Gleichzeitig fehlte mir auch die Kraft, mich um Freundschaften aktiv zu bemühen. Ich war ja froh, wenn ich den Tag hinter mich brachte. Nach und nach fühlte ich mich wie jemand, der im falschen Film saß – oder eher: wie jemand, der gar nicht mehr im Kino war, sondern draußen, in der Kälte, und durchs Fenster zusah, wie andere lachten und ihr Leben genossen.
Das Ende der „Normalität“
Irgendwann kam der Punkt, an dem ich wusste, dass mein altes Leben nicht zurückkehren würde. Nicht so, wie es einmal gewesen war. Vielleicht würde ich mich in kleinen Schritten verbessern, vielleicht würde es Therapien geben, die helfen. Aber diese Energie, die Selbstverständlichkeit, mit der ich früher aufgestanden und in den Tag gestartet war, die war verschwunden.
Ich fühlte mich, als hätte ich nicht nur meine Gesundheit verloren, sondern auch meine Identität. Wer war ich noch, wenn ich nicht die Powerfrau war, die alles managte? Wer war ich, wenn ich nicht die Mutter war, die immer ein offenes Ohr und einen fröhlichen Spruch hatte? Wer war ich, wenn ich nicht die Kollegin war, auf die sich alle verlassen konnten?
Dieses Gefühl des Verlustes war vielleicht das Schwerste. Denn es war kein Verlust, den man betrauern kann wie den Tod eines geliebten Menschen – es war ein ständiges, schleichendes Sterben meiner alten Rollen und Fähigkeiten.
Die leisen Momente der Verzweiflung
Abends, wenn alles still war, schlichen sich oft Tränen in meine Augen. Ich lag im Bett und spürte eine Mischung aus Schmerz, Wut und Hilflosigkeit. „Wie lange noch?“, fragte ich mich. „Wird das jemals besser?“
In solchen Momenten hätte ich mir gewünscht, jemand würde mir die Hand halten und sagen: „Ich glaube dir. Ich sehe deinen Schmerz. Du musst das nicht allein tragen.“ Aber die Wahrheit war, dass die meisten Menschen mir nicht in den Kopf schauen konnten, nicht in meinen Körper. Und selbst wenn sie bei mir waren, spürte ich eine Mauer aus Unverständnis oder Unsicherheit.
Ein Gespräch mit mir selbst
„Der Anfang vom Ende“ – so hatte ich es in meinen Gedanken oft genannt. Als wäre mein Leben eine lineare Geschichte, die nun an einem tiefen Wendepunkt angelangt war und nie mehr umkehren konnte. Vielleicht war es aber auch der Anfang von etwas Neuem, das ich nur noch nicht begreifen konnte.
Manchmal redete ich mit mir selbst. Ich blickte in den Spiegel und sagte: „Du bist nicht wertlos, nur weil du nicht mehr alles schaffst. Du bist immer noch du.“ Diese Sätze brauchte ich, um die Stimme in mir zu übertönen, die flüsterte: „Du bist gescheitert. Du bist eine Belastung. Du schaffst es nicht.“
Ich versuchte, kleine Lichtblicke zu finden. Ein gutes Gespräch mit einem alten Freund, der sich die Zeit nahm und wirklich zuhörte. Ein Spaziergang, bei dem ich den Wind auf der Haut spürte und für einen Moment das Gefühl hatte, mein Kopf sei klarer. Ein Lied, das mich an unbeschwerte Zeiten erinnerte und mir gleichzeitig zeigte, dass das Leben auch jetzt noch schöne Facetten haben könnte.
Gedankenpause
Wann hast du zum ersten Mal gespürt: „Ich verliere etwas – und ich weiß nicht, was kommt“?Wer war damals für dich da?Und was hättest du gebraucht?
Der Punkt, an dem alles zerbrechlich wird
Der eigentliche „Anfang vom Ende“ ist nicht immer ein einziger Tag. Oft ist es diese Summe von Momenten, in denen man merkt: Die Welt um mich herum geht weiter, aber ich kann nicht mehr Schritt halten. Ein Ausflug, den man absagen muss. Ein Anruf, den man nicht beantwortet, weil das Reden zu anstrengend ist. Ein lachendes Kind, dem man nicht hinterherlaufen kann, weil die Beine zu schwach sind.
Je mehr solche Momente sich ansammeln, desto größer wird die Kluft zwischen dem, was war, und dem, was ist. Ich konnte mir früher nie vorstellen, wie es ist, zu spüren, dass einem das eigene Leben Stück für Stück entgleitet. Doch genauso fühlte es sich an.
Die Stimme der Hoffnung – und der Realität
Trotz alldem schlich sich immer wieder eine Stimme der Hoffnung ein. Vielleicht, wenn ich einen besonders guten Tag hatte und ausnahmsweise das Haus verlassen konnte, ohne danach stundenlang schlafen zu müssen. Vielleicht, wenn eine neue Behandlungsmethode in Aussicht gestellt wurde: eine Reha, eine Physiotherapie, ein spezielles Training, das angeblich gegen die Fatigue helfen sollte.
Dann flackerte in mir die Frage auf: „Was, wenn ich es doch schaffe, zurückzukehren?“ Doch die Realität war oft ernüchternd. Denn auf gute Tage folgten häufig Rückschläge. Wenn ich mich überforderte, war ich danach noch tiefer im Loch der Erschöpfung. Ich lernte, dass dosiertes Vorgehen wichtig war – aber das zu akzeptieren war ein Prozess, der mir sehr schwerfiel.
Eine leise Wut auf das Ungewisse
Manchmal war ich wütend. Auf das Virus, auf die Umstände, auf meinen Körper, der mich verraten hatte. Ich war wütend, weil ich mich ohnmächtig fühlte. Diese Wut war wie ein schwelendes Feuer, das mal aufflackerte und mal in glühender Asche lag. Ich wusste nicht, wohin damit.
Wut kann antreiben, kann einem Energie geben, um zu kämpfen. Aber wenn der Körper keine Kraft mehr hat, kann Wut auch zerstörerisch sein. Sie fraß meine Nerven, brachte mir Kopfschmerzen, ließ mich ungeduldig und unfreundlich werden, obwohl ich das gar nicht wollte.
Das große Fragezeichen: Zukunft
Während ich so in diesem Nebel lebte, fragte ich mich, wie meine Zukunft aussehen würde. Würde ich jemals wieder einen normalen Alltag haben? Würde ich meinen Job behalten können? Würde ich meine Kinder so begleiten können, wie sie es verdienten? Diese Ungewissheit nagte an meiner Seele.
In den Foren las ich von Menschen, die sich nach Monaten oder Jahren langsam stabilisierten. Andere blieben dauerhaft eingeschränkt. Keiner schien zu wissen, was die nächste Woche oder der nächste Monat bringen würde. Und ich erkannte, dass ich lernen musste, mit diesem Fragezeichen umzugehen, so unangenehm es war.
Der Anfang vom Ende – und ein vorsichtiger Neuanfang
Vielleicht ist der „Anfang vom Ende“ auch der Anfang eines neuen Kapitels, das wir uns nie ausgesucht hätten. Ein Kapitel, in dem wir lernen, mit weniger Energie das Leben zu gestalten, in dem wir uns selbst neu definieren, in dem wir entdecken, wer wir sind, wenn unsere Kraft schwindet und die Welt um uns herum lauter und schneller ist als wir.
Ich bin noch mittendrin in diesem Prozess. Jeden Tag spüre ich, wie fragil mein Körper ist und wie schnell mich alles überfordern kann. Doch manchmal sehe ich auch, dass ich anders auf meine Umgebung blicke – aufmerksamer, sensibler. Ich nehme Kleinigkeiten wahr, die mir früher entgangen wären. Die Sonne auf meiner Haut, den Duft von Kaffee, das sanfte Schnurren einer Katze.