Unter Männern - Urlaub auf Gran Canaria - Sebastian Castro - E-Book

Unter Männern - Urlaub auf Gran Canaria E-Book

Sebastian Castro

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Beschreibung

An einem Regentag in Berlin beschließen vier Männer, für zwei Wochen nach Gran Canaria zu reisen. Sebastian Castro ist dabei, und ob Strandapotheke, Café Wien oder Jumbo-Center, ob Sexrausch oder Beziehungsdrama – von den Dünen bis zur Liege am Pool beschreibt er den ganz normalen Urlaubswahnsinn, sehr komisch, sehr realistisch und ethnographisch besonders wertvoll. Anfang der 1990er Jahre erschien mit Elvira auf Gran Canaria das Kultbuch dieser Urlaubsinsel. Sebastian Castro liefert nun die längst überfällige Fortsetzung. Der beigefügte Sprachführer versetzt den Reisenden zudem in die Lage, den Urlaubsschwarm in perfektem Spanisch zu fragen: "Möchtest Du mich in Detmold besuchen? – ¿Quieres tu visitarme en Detmold?"

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SEBASTIAN CASTRO

 

UNTER MÄNNERN

 

URLAUB AUF GRAN CANARIA

Drama in fünf Akten auf den Spuren von Elvira Klöppelschuhmit einem hilfreichen Sprachführer

 

 

Männerschwarm VerlagHamburg 2009

FÜR PEDRO

PROLOG AM EINGANG ZUR UNTERWELT

Sie sind alle da. Ein paar sind mit dem Fahrrad gekommen, zwei oder drei auch mit dem Taxi. Mehr oder weniger dezent herausgeputzt, wie sich das für eine Party gehört, stehen sie jetzt herum und beäugen sich gegenseitig. Lehnen an irgendeiner Wand, rauchen, reden. Aber es ist keine Party, es ist ein Abschied. Der Abschied von Elvira. Es regnet auf die Gesellschaft, die dem Sarg über den Parkfriedhof folgt. Der Regen macht aus dem dunkelgrauen Vormittag ein echtes Trauerspiel. Verwischt alle Unterschiede zwischen gut gespielter, echter, schlecht gespielter und grauenhaft schlecht gespielter Trauer und macht im Handumdrehen alle zu begossenen Krähen. Die hocken nun um die offene Grube und sehen zu, wie der Sarg hinunterrauscht. Je tiefer die Grube, desto näher ist sie an ihrer geliebten Unterwelt, auch Sub genannt, denke ich und bin daher nicht wirklich überrascht, als jemand neben mir flüstert:

«Fahr zur Hölle, Liebling!»

Ich glaube kaum, dass sie den Sarg so weit hinunterlassen werden, und schaue interessiert erst in die Grube, dann auf die Krähen an ihrem Rand.

Natürlich ist Hasso erschienen. Er ärgert sich bestimmt über den Regen, der ihm die Garderobe ruiniert und dazu führt, dass seine schwarz-weiß-roten Gucci-Schlappen langsam im Lehm versinken. In der dritten Reihe links, auf den billigen Plätzen, entdecke ich einen Blondi mit Knackarsch, so ziemlich der Einzige, dem der Regen nichts anhaben kann. Er ist einfach so ein Superschnuffi. Unter seinem durchnässten Sakko klebt sein durchnässtes Hemd an der modellierten Brust, und die patschnassen Haare hängen ihm verwegen wie einem Buckler-Model bis in die leuchtend grünen Augen. Neben mir höre ich wieder das Flüstern: «Wer hätte gedacht, dass wir mal alle zusammen unter der Dusche stehen würden!»

Diesmal wage ich einen Blick aus den Augenwinkeln. Ich hätte es mir denken können, es ist Eduardo Maria Dolores, genannt Dolo, mit bürgerlichem Namen Eduard der Jammerlappen, dessen herzzerreißendes Klagen schon manchem den letzten Nerv geraubt hat.

Ich will gar nicht daran denken, mit wem von all diesen Krähen ich schon geduscht habe. Endlich gibt der Pfarrer das Signal zum Aufbruch und die Sache ist ausgestanden. Alle tänzeln, schreiten und stapfen Richtung Leichenschmaus. Mit dem Blondi zu duschen, da würde ich nicht zweimal Nein sagen. Höchstens einmal, ganz leise, der Form halber, aber dann würde ich beherzt zugreifen. Ich lasse ihn nicht aus den Augen und verlangsame meinen Schritt ein wenig, ganz unauffällig, um hinter ihm zu bleiben und seinen Hintern in aller Ruhe auf mich wirken zu lassen. Grade habe ich meine Fantasie ein bisschen schweifen lassen, als es neben mir «stier nicht so, sonst beschlagen die Kontaktlinsen» flötet. Hasso hat mich entdeckt, mein Exexex, der aus lauter Liebe vor einigen Monaten den Namen seines Ehemannes angenommen hat. Jetzt heißt er nicht mehr von Niebelpütz, sondern Hasso Heilig. Eine klare Verbesserung, finde ich, obwohl der Name über seinen wahren Charakter hinwegtäuscht.

Hasso hat also noch immer Augen für mich, denke ich, und er kennt mich einfach zu gut, um nicht sofort die Zielkoordinaten meiner Blicke zu erfassen. Wir gehen ein Stück zusammen, und es bedarf wenig mehr als eines fachmännischen Kopfwiegens, um uns zu verständigen.

«Immer noch der alte Genießer!»

«Wo ist denn dein Gatte?», frage ich ihn ganz unschuldig.

«Der verabscheut Beerdigungen. Auf Friedhöfen wird dem sofort ganz mulmig.»

«Hat er immer noch nicht gelernt, dass der Tod nun mal zum Leben dazugehört? Du weißt schon, der Kreislauf des Daseins. The Great Circle of Life. Zwei Seiten einer Medaille, nicht wahr. Ohne die Rückseite ist die Vorderseite nur halb so viel wert.»

Hasso nickt versonnen. «Oh ja», sagt er. «Wie recht du hast. Phänomenal, dieser Arsch.»

Ich gedenke der Vergänglichkeit, rieche den Geruch von gefallenem und nun moderndem Laub und höre das verspätete Lied einer Amsel, dann murmele ich in mich hinein: «Eine runde Sache jedenfalls.»

Während wir uns im Friedhofsimbiss um die Tische sortieren, fragen Sie sich vermutlich grade, ob eine Beerdigung wohl der richtige Einstieg für eine Lektüre ist, die der Verlag Ihnen bestimmt mit einem flotten Werbetext untergejubelt hat. So im Stil von Die perfekte Strandlektüre für alle, die reif für die Insel sind! «Fahr zur Hölle» ist ein Muss für alle Gran-Canaria-Fans! Leichte Unterhaltung voller Witz, Spannung und Erotik. Pustekuchen. Es ist ein Drama! Nur dass das schon mal klar ist. Der Verlag hat Sie getäuscht und betrogen. In Wahrheit geht es um ein paar mittelalte, mittelbetuchte und auch sonst ab-solut durchschnittliche Homosexuelle, die zu allem Überfluss auch noch aus Berlin kommen (wie einfallsreich, werden Sie denken) und gemeinsam Ferien in Playa del Inglés machen. Das interessiert Sie nicht? Pech gehabt. Deshalb heißt dies Buch ja auch «Unter Männern» und hatte den hübschen Arbeitstitel «Fahr zur Hölle», denn ich kann Ihnen schon jetzt versprechen, dass Sie mit Schadensersatzklagen nicht weit kommen werden.

Sie fanden den Titel aufregend? Der Verlag auch. Und seien Sie ehrlich, hieße das Buch «Untersuchungen über das Urlaubsverhalten urbaner Homosexueller», hätten Sie es nicht gekauft und nicht mit zum Strand genommen. Jetzt sitzen Sie da, und es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als es in einer emotionalen Aufwallung den Wellen zu übergeben oder es zu lesen. Und Ersteres, seien wir mal ehrlich, ist doch ein bisschen arg pathetisch.

Ich selbst hab Elvira übrigens nie persönlich kennengelernt, aber ich gehe gern auf Beerdigungen, sogar von Fremden. Das ist ein ungewöhnliches Hobby, ich weiß. Vielleicht komme ich ja noch dazu, Ihnen den Reiz von Friedhöfen und Beerdigungen im Lauf dieser Geschichte etwas näherzubringen. Auf Elviras Beerdigung bin ich allerdings gegangen, wie ich auf die Beerdigung von Marlene Dietrich oder Evelyn Künneke gegangen bin. Ich wollte bei einem gesellschaftlichen Ereignis dabei sein.

Ich hoffe doch, dass Sie nicht nur wissen, wer die Künneke und die Dietrich waren, sondern auch, wer Elvira gewesen ist. Das sage ich, weil doch tatsächlich jemand einen Knaben auf die Beerdigung mitgeschleppt hatte, der seine Ferien wahrscheinlich an der Ostsee verbringt und dem völlig unbekannt war, dass die Begriffe Elvira und Gran Canaria quasi untrennbar miteinander verknotet und verschmolzen sind. Elvira hat sich als Inselschreiberin ihren Platz in der Sub-Literatur ja nun wirklich redlich verdient. Und bis heute kommt kein Homo-Tourist auf Dauer an Elvira auf Gran Canaria vorbei. Sogar ich nicht. Obwohl ich nicht auf Tunten stehe und eigentlich keine Bücher mag. Aber irgendein Lover hat mir Elviras legendäre Reiseerinnerungen mal in einer Nacht vorgelesen, weil er meinte, das könnte mir helfen, ein bisschen mehr zu den femininen Anteilen meiner Persönlichkeit zu stehen. Manche Leute haben schon komische Ideen. Der Typ sitzt übrigens jetzt beim Leichenschmaus an einem Tisch schräg gegenüber, würdigt mich aber keines Blickes. Geschenkt.

Aber zurück zu unserer Geschichte. Jedes Ende ist doch auch ein Anfang, denke ich, als die Schnittchen gebracht werden. Trauern macht hungrig. Zwei große Tabletts à sechzig Schnittchen für vielleicht fünfundzwanzig männliche Wesen, das ist üppig. Zieht man die fünfzehn Prozent Diätisten ab, die gerade ein paar Kilo abzuhungern versuchen, so bleiben gut 5,7 Schnittchen mit geschätzten tausend Kalorien pro Trauergast. Das überschlage ich kurz, während der Kellner die Getränkebestellung aufnimmt. Im Kopfrechnen war ich immer schon gut. Auch Jahreszahlen und Telefonnummern kann ich mir seit Kindertagen prima merken, deshalb präge ich mir auch gleich mal ein, was der Knackarsch seinem Nachbarn auf einen Bierdeckel notiert. Man weiß ja nie, wofür‘s gut ist.

«Tunten sterben, aber sie sterben nicht aus», sagt Eduardo Maria Dolores gerade zu meinem Exexex, der im Gegensatz zu manch anderem in der Runde schon wieder halbwegs durchgetrocknet ist. Nur die Augenwinkel sind noch etwas feucht, aber das kann auch Method Acting sein, falls Sie wissen, was ich meine. Man presst sich ein Tränchen raus, indem man den Po zusammenkneift und dabei an den Hunger in der Welt oder seinen überfahrenen Waldi denkt. Hasso hat jedenfalls mal in New York bei so ‘nem Anfängerkurs mitgemacht und konnte hinterher tatsächlich auf Befehl heulen. Man brauchte nur «Hasso, heul!» zu sagen und er heulte. Zumindest, wenn er gute Laune hatte. Wenn er schlecht drauf war, dann war er bockig. Für rot verquollene Augen hatte der Anfängerkurs in New York allerdings nicht gereicht. Dafür braucht man wahrscheinlich schon das Junior Master Acting Degree oder so was in der Art. Das hatte aber weder Hasso noch sonst ein Trauergast erreicht, und auch in Hollywood war so viel Realismus ja in der Regel verpönt. Heulen ja, aber bitte gut aussehen dabei.

Hasso macht irgendwie eine klägliche Erscheinung hinter seiner geleckten Strellson-Fassade. Zu viel gute Kinderstube mit Handkuss-Üben und Hacken-Zusammenschlagen. Blaues Blut ist eben nicht mehr zeitgemäß, denke ich noch, als er zu husten anfängt, rot anläuft und ihm die Adern auf der Stirn hervortreten. Dolo, der gerade in sein erstes Schnittchen gebissen hat und gleich neben ihm sitzt, schlägt ihm rhythmisch mit der Rechten auf den Rücken. Dabei fällt ihm sein Schnittchen in Hassos Schoß. Hundertachtzig Kalorien für die Katz, denke ich, als Hasso ausholt und Dolo blitzschnell eine scheuert – man beschmiert seinen teuren Zwirn nun mal nicht mit minderwertigen Nahrungsmitteln. Sofort herrscht totale Stille. Wenn Tunten Macho spielen, dann wird es gruselig. Und tatsächlich steht das Entsetzen auf allen Gesichtern.

«Kinder, ihr werdet euch auf Elviras Beerdigung doch nicht prügeln wollen», ruft ein beleibter Herr und fegt mit einer lapidaren Geste die Dramatik des Schauspiels einfach hinweg. «Setzen, sechs», sagt er streng und Dolo und Hasso ducken sich sofort.

«Ich wollte doch nur ...», beginnt Dolo, doch der Herr sendet einen Blick, der Dolo zum Schweigen bringt.

«Wozu pensionierte Lehrer gut sind», zirpt es neben mir. Eine männliche Gottesanbeterin im dunklen Anzug führt grazil ein Glas Apfel-Mango-Schorle an die Lippen und schaut dabei auf die Trockenblumen auf der Fensterbank, als seien die Worte von sonst wo gekommen, nur nicht aus ihrer spitzen Schnute.

«Ist was?», fragt die Gottesanbeterin mit einem zickigen Lächeln. Ich schüttele nur den Kopf. Mir gehen diese verschlagenen Zierpflänzchen gewaltig auf die Nüsse. Man soll ja solidarisch sein, aber auch das hat seine Grenzen. Zufällig auf Männer zu stehen ist ja nun weiß Gott nicht genug an Gemeinsamkeit, oder? Ich selbst kann ganz schön kernig sein, wenn ich will. Ich bin keins dieser Mädchen. Tunten sind out, verstehen Sie? Die Ära ist vorbei, finito. In meinen fünf Internetprofilen steht jeweils «Spinner und Tunten zwecklos», und zwar in vier Sprachen. Nur auf Türkisch hab ich das nicht ganz hingekriegt, obwohl das grad in Berlin natürlich besonders wichtig wäre.

Jedenfalls hab ich mir nicht so einen plüschigen Frauennamen zugelegt, wie das im zwanzigsten Jahrhundert schick war, sondern heiße Sebastian. Und zwar Sebastian Castro, und dabei bleibt‘s. Also, wenn das nicht markig klingt, dann weiß ich auch nicht.

Eduardo der Jammerlappen hat seinen Beinamen Maria Dolores auch noch aus dem letzten Jahrtausend. Der ist irgendwie kleben geblieben, ein Relikt eben. Bei uns heißt er einfach Dolo, wenn wir‘s eilig haben, wir denken nicht mehr drüber nach. Ungefähr so, wie die pubertären Jungs auf den Schulhöfen auch jeden Tag hundertmal «ey, wie schwul ist das denn!» sagen, ohne dabei an Schwule zu denken. Behaupten wenigstens manche von denen.

Die Trauergesellschaft ist wieder ganz entspannt, ein bisschen angeheitert, und sogar Dolo hat zu schmollen aufgehört, als keiner mehr hinsah. Hasso hat sich brav entschuldigt und nicht unerwähnt gelassen, dass er selbstverständlich die Kosten für die Reinigung seines Anzugs selber tragen werde.

Dann stehen wir plötzlich zu dritt vor der Tür. Ich zünde mir eine Zigarette an, es nieselt nur noch, aber die Kälte kriecht einem überallhin. Ausgerechnet jetzt kommt Hasso mit einer echten Überraschung. Einem Elvira-Memorial-Urlaub.

«Klar! Nach Gran Canaria!», ruft er. Und wie so oft, ist er auch diesmal wieder selbst am meisten von seiner Idee begeistert.

Was in den nächsten Stunden noch passiert, lässt sich in wenigen Worten sagen. Wir haben Dienstag, und wenn man Montag im Hafen und Stall war und Mittwoch ins Marietta will, dann ist der Dienstag grade richtig fürs Ficken 3000. So was in der Art sagt Hasso zum Abschied auf dem Friedhof, und Dolo ist sofort bereit, dieser Argumentation zu folgen. Jedenfalls sind wir ein paar Stunden später mittendrin in der Geisterstunde auf der Urbanstraße.

«Wir müssen hier weg», meint Dolo und Hasso nickt. «Die habe ich schon alle durch.»

«Alle?»

«Na ja, alle, die ich sehe. Ich habe da eine besondere Technik entwickelt. Andre gehen ins Gym und trainieren ihren Trizeps, ich hab in der Zeit meinen Ziliarmuskel trainiert.»

«Deinen was?», frage ich.

«Na, den Schließmuskel fürs Auge, Schatz! Ich blende einfach reflexartig aus, was mir nicht gefällt.»

Hasso hat seine Zweifel, aber insgeheim wünscht er sich natürlich ebenfalls diese Fähigkeit, das kann ich sehen, auch wenn er sich jetzt scheinbar gelangweilt nach hinten räkelt und von unserer Sitzgruppe aus die Männer an der Bar mit Blicken betastet.

«Und ihr meint, in Gran Canaria ist alles besser?», wechsle ich das Thema.

«Keine Ahnung.» Dolo tätschelt meinen Arm. «Elvira jedenfalls fand es toll da. Drei Wochen reichen auch völlig.»

«Bist du von allen guten Geistern verlassen?! Ich bleibe höchstens eine!»

Hasso wendet sich nun wieder uns zu und wir finden schnell einen Kompromiss. Zwei Wochen, das wird die richtige Dosis sein.

Dafür muss ich mich um die Buchung kümmern. Ich habe gar keine Zeit, zu begreifen, wie mir geschieht, und mich in mein Schicksal zu fügen, denn nun haben es die beiden plötzlich sehr eilig, in den Keller zu kommen, und ich weiß auch, warum, denn der Blondi von der Beerdigung ist erschienen und macht gerade Anstalten, den Darkroom mit seinem Körper aufzuwerten. Dolo und Hasso wollen ihm offenbar unten auflauern. Vielleicht hegen sie die Hoffnung, er werde sie nicht erkennen. Es ist schon ein Kreuz mit dem unkomplizierten, anonymen Sex. Manchmal muss man direkt zu Tricks greifen, damit wirklich alles anonym bleibt.

Dolo und Hasso sind gerade abgetaucht, als der Blondi mich entdeckt und mir freundlich zunickt. Ich gebe ihm möglichst unauffällig ein Zeichen, dass er ruhig mal rüberkommen könne. Für die anderen soll es schließlich so aussehen, dass er sich aus purer Freude zu mir gesellt und nicht etwa aus Höflichkeit.

Als er sitzt, nimmt er einen großen Schluck aus der Bierflasche und erzählt mir, wie traurig doch die Beerdigung für ihn gewesen sei. Übrigens heiße er Lex. Er reicht mir die Hand und ich sage so was wie: «Freut mich, Sebastian.» Und weil ich sonst nichts zu sagen weiß, rede ich einfach weiter. «Sag mal, willst du nicht mit uns nach Gran Canaria kommen? Wir wollen vierzehn Memorial-Days für Elvira einlegen.»

Kaum habe ich zu Ende geredet, da überkommen mich Zweifel, ob das wirklich eine gute Idee ist, ob unserem Freundeskreis unter der heißen Sonne der Kanaren angesichts dieses Kraftpakets mit der schmalen Taille, dem geschmeidigen Gang und den harten Oberarmen nicht die Sicherungen durchbrennen würden. Ich sehe mich mal eben in der Kneipe um und entdecke mindestens drei Männer, denen der Sabber aus dem Mundwinkel tropft. Aber Lex würde sowieso nicht auf die Idee kommen, ausgerechnet mit uns in Ferien zu fahren. Der Gedanke erleichtert mich. Ich fasse Lex also entspannt wieder ins Auge und lächle mit einem leichten Kopfschütteln, um das Absurde meines Vorschlags anzudeuten.

«Klar doch», sagte Lex, «komm ich mit.»

Ich hab einfach weitergelächelt und mich darauf konzentriert, dass das Lächeln auch weiter halbwegs unverkrampft wirkte.

Dann hab ich, während ich lächle, gedacht, was wohl Dolo und Hasso sagen werden, die sich im Darkroom rumdrücken und auf semi-anonymen Sex mit Lex hoffen. Wie kann ich es ihnen am besten beibringen, dass sie heute erst mal die Finger von dieser Sahneschnitte lassen sollen. Ich muss vor Lex im Darkroom sein und sie warnen, doch wie sollte ich das anstellen?

«Ist irgendwas?», fragt mich eine Stimme.

«Was?», frage ich zurück.

«Ob was ist, habe ich gefragt.»

Es ist Lex, der mir nun mit der flachen Hand vor den Augen rumwedelt, um meine Reaktion zu testen, ganz so, als hätte ich Drogen genommen.

«Ich muss mal weg», sage ich. «Ich ruf dich an.»

Dann springe ich auf und laufe zur Treppe nach unten.

«Der Ausgang ist auf der anderen Seite!», ruft mir Lex nach und so was wie: «Du hast doch meine Telefonnummer gar nicht!»

Woher soll er auch wissen, dass ich als Frühwarnsystem in die Unterwelt muss, und wie kann er ahnen, dass ich seine Nummer längst in meinem Hirn abgespeichert habe.

1. AKT

Kaum waren wir im Hotel, warf sich Dolo aufs Bett und fing an zu schnarchen. Aber halt, vorher hatten wir noch einige Prüfungen zu bestehen an den Tagen, die auf jenen Dienstag folgten, der mit Friedhof begann und im Ficken 3000 endete. Es waren zwei «Themenkomplexe», die wir zu bewältigen hatten, bevor wir uns in den Flieger setzen konnten.

Die erste Frage war: Welches Hotel. Es gab etwa viertausend Adressen alleine in Playa del Inglés, dem touristischen Ballungsraum im Süden, Sie wissen schon, was ich meine.

Mach es dir leicht, schlug Dolo vor, nimm einfach eine schwule Bungalow-Anlage. Ich hatte nichts dagegen, doch auch da war das Angebot sehr breit gefächert. Dass man sich als Schwuler die Nächte vor allem im Yumbo Center um die Ohren schlagen musste, hatte mir Hasso gesteckt, doch wäre es nicht schön, am Meer zu wohnen oder in einer ruhigen Ecke, in der man sich nach durchzechten Nächten entspannen konnte? Da gab es zum Beispiel das etwas abgelegene Villas Blancas, one of the great gay resorts of the world, wie der Katalog vollmundig verkündete. Es gab ein deutsches Luxus Gay-Resort nur hundert Meter hinterm Yumbo, das Birdcage hieß, es gab den britischen Club La Mancha und die italienisch geführte Pasión Tropical in Strandnähe. Und natürlich noch Dutzende andere, die in den Prospekten vollkommen gleich aussahen und sich selber jeweils für einzigartig hielten.

Doch Hasso sah mich nur an mit seinen Hundeaugen, als ich ihm die Auswahl zeigte, und schüttelte den Kopf. Er war mit seinem Gatten Manuel im letzten Jahr in einem schicken Hotel gewesen und wollte wieder in ein schickes Hotel. Manuel konnte dieses Mal nicht mitkommen – er arbeitete für eine Partei und es war grade Wahlkampf. Einerseits stand er deshalb eh schon unter Adrenalin, und andererseits war er etwas angefressen, weil ihm G Can durch die Lappen ging. I can, We can, G Can! Ein toller Werbeslogan, der mir da grad so einfällt. Jedenfalls hätte ein Gay-Resort zu sehr nach Sexurlaub ausgesehen, meinte Hasso. Das wollte er seinem Manuel dann doch nicht antun.

«Ich will in kein Homo-Reservat, ich will in ein echtes Hotel, wo auch Heten Zutritt haben, wo man abends an einem Buffet gepflegt essen kann, ohne dass man Angst haben muss, dass jemand in Chaps am Nachbartisch sitzt und mit seinen Nippelpiercings spielt.»

Demokratie ist etwas Schönes, wie wir gelernt haben, und sie lebt von Kompromissen, über die dann alle glücklich sein müssen. Also einigten wir uns auf eine Woche Luxushotel und eine Woche schwule Bungalows. Es sollten jeweils zwei Doppelzimmer gebucht werden, darüber waren wir uns einig, doch dann ging es erst richtig los. Jetzt feilschten wir darum, wer mit Lex das Bett teilen durfte. Lex wurde dabei nicht gefragt. Das war eine Sache zwischen uns dreien. Genauer gesagt zwischen Hasso und mir.

Ich hatte Lex ins Boot geholt, argumentierte ich. Hasso konterte, dass er überhaupt erst die Idee zur Reise gehabt habe. Wir hockten bei einer Flasche Prosecco in Dolos Küche in Friedrichshain und kämpften wie zwei Raubtiere um die saftige Beute.

«Du stehst doch gar nicht auf holde Blondis», giftete Hasso.

Ob er mir Rassismus unterstellen wolle, giftete ich zurück.

Dann schlug Hasso überraschend vor, Dolo den Leckerbissen zu überlassen. Was war das jetzt wieder für eine Finte, fragte ich mich. Doch bevor ich noch zu einem klaren Gedanken kommen konnte, hatte Dolo schon beide Handflächen gegen seine Schläfen gepresst und die Backen aufgeblasen. Dann ergriff er das Wort.

«Ihr beide kommt jedenfalls nicht zusammen in ein Zimmer mit Möbeln, die man zertrümmern kann!» Er verließ die Küche und kehrte mit einer Münze zurück.

«Kopf oder Zahl?»

Kurz gesagt, ich habe verloren, und jetzt lag also Dolo auf dem Hotelbett neben mir und schnarchte, während Hasso grinsend mit Lex im Nachbarzimmer verschwunden war. Ich tröstete mich damit, dass ich mit Dolo über wirklich alles reden konnte und Hasso in der Gesellschaft von Lex sicher bald der Gesprächsstoff ausgehen würde. Lex war zuckersüß anzusehen, aber eben ein Gym-Bunny der Extraklasse, und solchen Exemplaren blieb bekanntlich selten Zeit, um ein Buch in die Hand zu nehmen oder ins Theater zu gehen. Macht ja auch nix, muss ja nicht jeder Ahnung von Wirtschaft und Kunst haben! Bei manchen reicht es völlig, wenn sie hübsch sind, sich für Tennisplätze und Fitnessanlagen interessieren und einem nicht mit Nietzsche oder so was auf die Nerven gehen.

Wir hatten uns beim Check-in in Tegel getroffen und Lex hat die ganze Zeit gegrinst. Gesagt hatte er nicht viel, bis wir sechs Stunden später im Hotel Costa Meloneras waren. Aus Versehen waren wir zuerst im Playa Meloneras gelandet. Ich hatte dem Taxifahrer gesagt: Hotel Meloneras. Und natürlich hat der uns zu dem Hotel gefahren, was weiter weg lag. Woher soll ich denn wissen, dass die Hotels hier alle mehr oder weniger gleich heißen?! Jedenfalls war im Playa Meloneras kein Zimmer für uns gebucht, und Dolo verdrehte schon die Augen, bevor ich auch nur den Hotel-Voucher aus dem Gepäck gekramt hatte. Aber der Irrtum war schnell aufgeklärt und kurz drauf waren wir vier auf unseren richtigen Zimmern im richtigen Hotel. Ich knipste die Nachttischlampe an und nutzte die Gelegenheit, den schlafenden Dolo mal genauer anzugucken. Er schlief wie ein Stein, mit dem Unterschied natürlich, dass Steine nicht schnarchen können. Ich habe also den Begrüßungswein geöffnet und zwei Gläser eingeschenkt. Als ich das zweite Mal nach meinem Glas griff, war gar nichts mehr drin. So was!, dachte ich. Schon ausgetrunken! Hab ich gar nicht gemerkt. Draußen war‘s unterdessen dunkel geworden. Das dritte Glas trank ich auf dem Balkon und versuchte dabei, das Meer zu entdecken. Irgendwie muss ich dann gestolpert sein, als ich ins Zimmer zurückwollte. Ich ließ zunächst mein Weinglas fallen, wischte dann mit dem Wannenvorleger die Scherben zusammen und stieß dabei die Weinflasche um, die scheppernd unters Bett rollte. Beim Versuch, sie zu angeln, muss ich mich mit dem Fuß im Kabel der dämlichen Nachttischlampe verfangen haben, die auch gleich zu Boden krachte. Zack, krach, Kurzschluss.

Plötzlich war es so dunkel wie noch nie in meinem Leben und ich steckte unter dem Bett fest.

Hasso sitzt auf dem Bett, schenkt den Begrüßungswein ein und sieht zu, wie Lex aus der Dusche tritt. Lex hat nur ein Handtuch um die Hüften, das er jetzt löst, um sich seine blonde Mähne zu trocknen. Man soll schließlich keine falsche Scheu voreinander haben, wenn man zwei Wochen das Zimmer teilt. Hasso reicht Lex ein Glas Wein, um ihn davon abzuhalten, sich zu schnell etwas überzuziehen, da ist es plötzlich stockdunkel. Einerseits schade um den schönen Anblick, andererseits unverhofft intim, denn Hassos linke Hand berührt im Dunkel plötzlich zarten Flaum auf seidiger Haut, bevor Lex das Weinglas entgegennimmt. Lex lacht leise, langsam erkennen die beiden die Silhouetten ihrer Körper im schwachen Sternenlicht. Die Spannung, die sich zwischen ihnen entwickelt, führt zu einer prickelnden Entladung, als Hasso anstoßen will. Lex beugt sich ein wenig zu stürmisch herüber, und es schwappt Wein aus seinem Glas, läuft über seine Finger und tropft auf Hassos Brust. Beide wollen zugleich den Wein wegwischen, ihre Hände berühren sich über Hassos pochendem Herz, man hört erneut ein leises Lachen, dann nur noch das Geräusch von Lippen, die sich im heißen Dunkel gefunden haben.

Hallo? Sind wir hier vielleicht bei Frau Pilcher? Alkohol ist nicht gut für mich, da laufen plötzlich solche Filme in meinem Hirn ab, wie ich sie mir sonst nur in Albträumen ansehen muss. In diesen Träumen bin ich in einer Industrieruine an ein zufällig herumstehendes Andreaskreuz gekettet, aber statt rauen Pornos mit Titeln wie Unter Kolbenfressern bekomme ich Irrwege des Herzens vorgelesen. Und statt Rocco Calamari, der es dem willigen Brandon Montano mal wieder so richtig besorgt, höre ich die verliebte Claudia sülzen, bis es mir die Kehle zuschnürt.

Also, sagen wir es deutlich. Ich war ein wenig angetrunken, als ich da unter dem Bett feststeckte. Es war wie ein dumpfer Knall, der das ganze Hotel lahmlegte. Zumindest kam mir das so vor. Ruhe bewahren, sagte ich mir. Ist das Wirklichkeit oder ein Traum? Wie schnell man in aussichtslose Situationen geraten kann! Können wir nicht einfach noch einmal ganz von vorne anfangen? Was man halt so denkt, wenn man im Dunkeln unter einem Hotelbett feststeckt.

Dolo ist von der Dunkelheit offenbar wach geworden, ist aufgestanden und hat sich durchs Zimmer Richtung Bad getastet. Jetzt, wo er nicht mehr die Matratze belastete, konnte ich mich wieder befreien.

«Was machst du denn da unten?», fragte Dolo.

«Ach, nix», log ich. «Ich wollte ein bisschen aufräumen und da ist plötzlich das Licht ausgegangen.»

Dolo hatte inzwischen den Lichtschalter im Bad ertastet, und siehe da, es wurde hell. Der Lichtschein fiel durch die Badezimmertür auf den blutrot gefärbten Badewannenvorleger vor seinem Bett. Dolo räusperte sich.

«Ich fand eigentlich, dass es vorher ganz ordentlich war. Da hält man ein kleines Nickerchen und du veranstaltest derweil ein Massaker. Ich hoffe, das ist nicht das Blut von Hasso oder einem unschuldigen Zimmerkellner, den du unterm Bett verstaut hast.»

Es war höchste Zeit, das Schlachtfeld zu räumen, also klopften wir bei Hasso und Lex und fuhren mit dem kleinen Aufzug nach unten.

«Normalerweise nehme ich ja die Treppe», sagte Hasso, um seine sportliche Ader herauszustellen. Ich lächelte und schwieg.

Nach dem Abendessen traute ich mich gestärkt an die Rezeption und bat dort eine sehr freundliche Dame, in unserem Zimmer mal nach dem Rechten zu sehen und vielleicht eine neue Birne in die Nachttischlampe zu drehen. Die Birne könnte, so sagte ich ihr, der Grund für den Kurzschluss im zweiten Stock gewesen sein. Sie lächelte und nickte, und wir beschlossen unterdessen, den Ort zu erkunden, an dem wir gelandet waren. Meloneras, das war ein wild wucherndes Einkaufszentrum hinter einer Stafette von Hotelgiganten. Auf der anderen Straßenseite lag eine Fußgängerzone mit Läden und Cafés, hinter der die Kräne aufragten, die für den Bau neuer Fußgängerzonen, Läden und Hotels benötigt wurden. Alles war sauber und hübsch, eine echte Wohlfühlmeile mit bayrischem Beergarden, China Art Shop und einem Italiener, der tatsächlich Fontana di Trevi hieß. Statt Trevibrunnen spuckte allerdings nur ein Blechfrosch Wasser in ein Becken, das wie eine Stretch-Badewanne aussah. Aber Meloneras ist eben noch nicht Rom, auch wenn man mit Säulen und Kolonnaden und Eros-Ramazotti-Beschallung aufrüstet. Natürlich gibt‘s auch eine Parfümerie Douglas und eine Esprit-Boutique, damit man bloß nicht fremdgeht beim Shoppen. Vor so einem Unterwäsche-Shop, wie man ihn in jeder deutschen Fußgängerzone findet, ist Dolores dann kleben geblieben, hat vorsichtig seinen nachtschwarzen Mecki betastet, als wolle er den Sitz einer Dauerwelle prüfen, und dann seine kleinen Fäuste in die Wespentaille gestemmt.

«Guckt euch diese geölten, knusprigen, liebreizenden Delikatessen an!», ächzte er.

«Hmm, stimmt, die sind nich verkehrt», bestätigte ich.

«So ein klassischer weißer Brief oder dezent gemusterte Boxer, also das ist schon toll mit dem richtigen Kerl drin!» Dolo konnte sich gar nicht losreißen von den Werbebildchen in der Auslage.

«Bekleidung ist ein Medium», dozierte jetzt Hasso. «Verhüllung stimuliert die Fantasie.»

«Dann kauf dir doch ‘ne Burka», meinte Lex, der ein paar Meter weiter stehen geblieben war und sich jetzt umdrehte. Aber Hasso war noch gar nicht fertig.

«Es geht eben um das richtige Verhältnis zwischen dem Geheimnis und dem Kick der Enthüllung.»

«Unter Brief und Boxer hab ich ja bisher was anderes verstanden», meinte Lex. «Aber zusammen mit Geheimnis macht der Brief dann natürlich wieder Sinn.»

«Tragen Boxer eigentlich Boxer?», erkundigte ich mich.

«Was sollen die denn sonst tragen?», fragte Hasso zurück.

Sie sehen schon, Geheimnisse und unergründliche Fragen lauern oft an Orten, wo man sie so gar nicht erwartet. Doch Dolo war immer noch nicht fertig.

«Männer in Unterhosen sind doch wirklich sexy», beharrte er, aber Lex schüttelte nur den Kopf.

«Bitte, jeder, wie er mag. Ich finde, Männer ohne Unterhosen sind wirklich sexy.»

Wie ferngesteuert glotzten wir drei sofort auf seine weite dunkle Jeans. Ungefähr an die Stelle, hinter der sich sein Schwanz verbergen musste, und Lex lachte auf.

«Ich trage nie Unterhosen, wenn ihr das meint!»

Hasso räusperte sich.

«Willst du damit sagen, dass du dich selbst so kolossal sexy findest?», wollte er wissen.

«Sagen wir es so: Leute, die sich selbst nicht mögen, haben echt ein Problem.»

Lex drehte sich um, steuerte auf eine der Plastik-Korbsessel-Sitzgruppen unter verschossenen Buddha-Fotos in der Buda Bar zu, und wir folgten ihm, um noch einen Drink zu nehmen. Dann sind wir zurück ins Hotel. Man soll ja nichts überstürzen. Morgen, das sagt schließlich die Erfahrung, ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch ein Tag.

Das Frühstück war eine gediegene Angelegenheit, wir waren sehr andächtig, und keiner hat gegackert über die anderen Gäste, die auch nicht besonders auffällig waren, wenn ich ehrlich sein soll. Aber wenn gegackert werden muss, findet sich natürlich immer ein Grund. Ich war sehr dankbar, denn dieses Gegacker ist echt nicht meine Sache. Immerhin gab es da noch ein Homo-Paar im Saal, das immer zu uns rübergestiert hat. Mal sehen, dachte ich, wie lang es dauert, bis die sich trauen, uns anzuquatschen. Der eine zumindest war ganz lecker. Und im Grunde steh ich drauf, wenn leckere Männer einen Freund haben, dann bleiben sie nicht so schnell an einem kleben und man hat mehr Freiraum für weitere leckere Männer. Das klingt ein bisschen verschlampt, aber vielleicht verstehen Sie mich ja trotzdem. Jetzt war aber nicht der Moment für andere Männer. Jetzt wollte ich erst mal rausfinden, was da letzte Nacht zwischen Lex und Hasso gelaufen war. Die beiden saßen total unschuldig am Tisch, und ich kannte Hasso gut genug, um sagen zu können: Die Unschuld war echt. Er hätte es andernfalls nicht geschafft, mir ohne ein Feixen in die Augen zu schauen. Es war ein super Tag, wir vier waren eine super Runde. Was wollte ich mehr.

Diesen ersten Morgen haben wir so richtig zelebriert, ganz ohne Ablenkung durch andere Kerle. Dolo hat ihre Croissant-Spitzen genascht, sie frühstückt ausschließlich Croissant-Spitzen, Lex hat mindestens einen Liter Orangensaft geschluckt und ich die gleiche Menge Kaffee in mich reingegossen. Anschließend haben wir noch von der Hotelterrasse ein paar Minuten in die Ferne geschaut, über den Pool hinweg, der so gebaut ist, dass er fast nahtlos ins Meer überzugehen scheint. Dann haben wir unsere Strandsachen zusammengesucht. Das heißt, Lex und ich hatten jeweils ein Handtuch dabei und ich noch ein Päckchen Zigaretten, während Hasso und Dolo ihre Multifunktions-Beach-Bags bis an den Rand mit Strandmatten, Schirmchen und Handfegern gegen Versandung, mit Pre-, Während- und After-Sun-Lotions sowie Zeitschriften, Badehosen und MP3-Playern bepackt hatten.

«Du hast den Sektkühler vergessen», spottete Lex im Aufzug und fixierte Hasso mit tadelndem Blick. «Außerdem nimmst du schon wieder nicht die Treppe!»

Es war eigentlich nicht anders zu erwarten, aber Dolo begann gleich hinter dem naturgeschützten Tümpel, der sich vor dem Eingang der Dünen ausbreitet, zu nölen wie ein Fünfjähriger. Sie wissen schon, da kommen dann so Fragen wie: «Isses noch waaaaiit?» und «Können wir nich ma ‘ne Pause machen?» Wir haben das einfach unkommentiert im Raum stehen lassen und nur auf die Regenbogenfahne gedeutet, die am Horizont ausgelassen im Wind flatterte. Das Gelobte Land war in Sicht und jemand hatte sogar schon unsere Flagge gehisst. Die Liegen mit blau-roten Schirmen standen in Reih und Glied und warteten auf die Belegschaft. Auf jedem Schirm stand Maspalomas und die Bar war auch schon offen. Ein perfekter erster Strandtag, wäre da nicht der gelbe Bagger gewesen, der hinter der letzten Reihe Liegen auf und ab fuhr und den Sand verschob, umschichtete oder wie auch immer man diese Umverteilung in der Baggerfahrerfachsprache nennt. Er fuhr vor und zurück und vor und zurück, dann vor bis zur Strandbar, der Baggerfahrer trank dort einen Kaffee, natürlich mit laufendem Baggermotor, dann zurück und wieder vor. Wir waren bereit, den Lärm zu ignorieren, denn der Bagger arbeitete ja im Dienste der guten Sache, im Dienste eines noch schöneren Homo-Strandes. Es war zehn Uhr, und wir waren unter den Ersten, die sich am Strand eingefunden hatten. Ein massiger Bär mit imposanter Tätowierung saß in unserer Nähe und ölte sich ein. Bei genauerem Hinsehen war auf dem breiten Rücken ein geflochtener Zopf zu sehen, der sich verzweigte und auf dem ein Adler, ein Stier, ein Löwe und ein Surferboy hockten.

«Hast du das gesehen?», flüsterte Hasso.

«Lässt sich ja kaum drüber weggucken», flüsterte ich zurück.

«Vor allem der Surfer ist ja gut gelungen.»

«Kinder», schaltete sich Dolores nun ein, «das sind die vier Evangelisten. Und zu denen gehört kein Surfer, sondern ein Mensch mit Flügeln.»

Es geht doch nichts über eine katholische Kinderstube, hab ich gedacht. Die hilft einem sogar beim Entschlüsseln von Tattoos am Homo-Beach. Selbst Hasso war beeindruckt und hielt die Klappe, zumal sein Blick schon weiterschweifte zu einem entzückend auf Holländisch plappernden Pärchen, das auf der anderen Seite das Liegenensemble neu arrangierte. Holländisch, dieses Donald-Duck-Deutsch, macht mir immer sofort gute Laune. Ich klaute mir was von Dolos Sonnenmilch, schmierte mich ein und schloss die Augen, und irgendwann, so nach einer Stunde, war sogar der Bagger fertig. Ich bekam im Halbschlaf mit, wie der Motorenlärm hinter den Dünen verschwand und sich immer weiter entfernte, bis nur noch das Meeresrauschen und der Generator der Strandbar zu hören waren. Herrlich. Dann öffnete ich die Augen und erschrak, denn alles war voll mit Männern. Überall Männer! Und wenn man sich ein wenig anstrengte, konnte man sogar die Gespräche der umliegenden Körper belauschen.

Ein Paar hinter uns sprach über ein anderes Paar.

«Was hat er denn eigentlich?», fragte die eine Stimme.

«Er hat eigentlich nur ein Problem», sagte die andere Stimme. «Es geht ihm beschissen.»

«Aber warum denn?»

«Na, nach dem Konkurs und dem Wohnungsbrand hat er im Krankenhaus, wo er wegen dem Schlaganfall war, diesen Erbschleicher da kennengelernt.»

Nun sah auch ich die beiden einige Meter vor uns am Strand stehen und die Menge taxieren.

Dolo tat so, als ob er schliefe, und Hasso las eine Gazette. Also stand ich auf und ging mal durch die Reihen zur Bar. Auf dem Weg hatte ich Nahsicht auf alle Stadien sich pellender Haut, alle Hautfarben der Erde und eine Menge rasierter Eier, die in der Sonne glänzten.

Nun bin ich jemand, der den Großteil sozialer und asozialer Kontakte über das Internet erledigt, ein Angehöriger der Generation Chatroom. Zuerst dachte ich daher bei all dem echten Schweiß und all dem dampfenden Fleisch: Welche Gnade ist doch Photoshop! Doch schon als ich an der Strandbar angekommen war, fand ich das ganz geil, dass alles so echt war. Das Volk, das sich sonst bei Gayromeo und so weiter rumdrückte, hatte Urlaub. Hatte den Computer runtergefahren und war nun in einem 3-D-Forum gelandet, wo man sich riechen und sogar anfassen konnte.

Mein erstes Bier im Plastikbecher tat gut. Immerhin war es schon nach elf und irgendwann musste man schließlich anfangen. Nach dem Bier ging ich mal zum Strand runter und steckte den Fuß ins Wasser. Es gibt ja immer irgendwelche Unerbittlichen, aber ich musste mir das nicht antun. Meistens waren diese Eiswasser-Bader ja Frauen jenseits der sechzig, die sowieso zäher sind und bei denen einfach auch der Körperfettanteil höher ist. Ich jedenfalls musste niemandem was beweisen. Also ging ich zurück zu meiner Liege. Der Wohnungsbrand und der Erbschleicher saßen schräg vor uns und ölten sich gegenseitig ein. Das sah eigentlich ganz liebevoll aus, wie die beiden Herren da miteinander umgingen. Vor allem der etwas betagtere Wohnungsbrand wurde gewissenhaft bis in alle Körperritzen hinein versorgt. Nach meinem ersten Schlaganfall, sagte ich mir, hätte ich gegen so einen Erbschleicher gar nichts einzuwenden. Und da mir im Traum nicht einfallen würde, mein kleines Finanzpolster, das sich über die Jahre angesammelt hatte, an meine idiotischen Neffen zu vererben, wäre es auf diese Weise ganz gut investiert.

Um zwölf gab es das zweite Bier. Diesmal kam Hasso mit an die Bar.

«Und?», fragte er.

«Was und?», fragte ich zurück.

«Steigen die Säfte langsam? Da hinten geht‘s übrigens in die Dünen, falls du‘s brauchst.»

«Seh ich so aus?»

Ein schmales Lächeln war seine Antwort. Ich steckte mir eine Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch über seine Schulter.

Nach meinem vierten Bier musste ich pinkeln. Es gab zwar ein Klohäuschen, aber ich wollte für einmal Pinkeln nicht fünfzig Cent zahlen, denn vor dem Klohäuschen hielt eine Klofrau Wache. Von der Bar aus konnte ich landeinwärts in ein weites Tal sehen mit Sandbergen links und rechts, die alle gleich aussahen. Wie Sandberge eben. Im Minutentakt liefen Männer in dieses Tal, um alle an dieselbe Stelle zu pissen. Als gäbe es da eine geheime Markierung. Vielleicht lenkte der Uringeruch sie unterbewusst an diesen Ort. Ich jedenfalls wollte es genauer wissen und machte mich ebenfalls zu dieser Stelle auf. Nichts. Nichts zu sehen, kaum was zu riechen. Es war einfach eins dieser parapsychologischen Mysterien, für die es beim FBI angeblich eine eigene Abteilung gibt.

Dolo hätte ja noch ein paar Stunden weitergebraten und ich hätte mir auch noch ein bisschen die Männer angeguckt, aber Lex und sogar Hasso wurden langsam unruhig. Außerdem zogen erste Wölkchen auf.

«Jetzt gehen wir in die Strandapotheke zechen», verkündete Hasso.

Ich sagte gar nichts und trottete hinter ihm her. Das Bier hatte seine volle Wirkung entfaltet, und ich fühlte mich wohlig gedämpft, bis wir die nächste Homo-Flagge sichteten, die irgendwo über der Kneipenfront am Strand von Maspalomas wehte. Wir stiegen ein paar Stufen rauf, ich konnte grad noch ein Schild lesen, auf dem Kommt wie ihr wollt, seid wie ihr seid oder so was Ähnliches stand, dann waren wir mitten in einem rheinischen Karneval mit Meerblick.

«Wat nötz di janze Stadtsanierung schon?», schepperte es aus den Boxen. «Do sull doch leever alles blieve, wie et es. Un mir behaale uns‘re schöne Dom.» Beim Refrain sang die voll besetzte Bar: «Mer losse de Dom en Kölle, denn do jehööt hä hin. Wat sull di dann woanders, dat hätt doch keine Senn.» Jemand hatte sich bei mir untergehakt, und bevor irgendeine Art von Denken einsetzen konnte, schunkelte ich hemmungslos mit. Alles bewegte sich, der Tresen in der Mitte des winzigen Raums und die Oberkörper der Menschen, die ihn umringten. Die Bilder an der Wand und der Horizont über dem Meer. Alles rotierte.

«Hattest du deinen Begrüßungsorgasmus schon?», rief mir ein Kellner zu und ich schüttelte nur den Kopf. Schnell kippte ich den gereichten Honigrum mit Sprühsahne, der mir sofort die Speiseröhre verklebte. Da musste ich mit Bier nachspülen. Meine Freunde hatten ihre Orgasmen auch schon hinter sich und standen nun eingeklemmt zwischen Tresen und Wand, jeder Fluchtweg abgeschnitten durch zwei dickbusige Mittfünfzigerinnen, die so aussahen, als fänden sie Schwule einfach besonders nett und süß und harmlos. Inzwischen waren wir musikalisch in Bayern gelandet und mit «Servus, gruetzi und hallo» tauchte auch tatsächlich das schwule Paar aus unserem Hotel auf. Die waren in dieser Umgebung viel lockerer drauf und ich hab ihnen mal gewinkt. Sie sind dann auch gleich rübergekommen.

Wie das passiert ist, weiß ich nicht mehr so genau, aber Abba sang Waterloo und ich hatte meine Hand bei Andrew in der Unterhose. Der kam aus Liverpool, aber das erfuhr ich erst, nachdem ich schon drei Minuten auf Deutsch auf ihn eingeredet hatte. Wie soll man auch auf den Gedanken kommen, dass das nicht alles Deutsche sind, die in einem Laden rumstehen, der Strandapotheke heißt. Andrew war aber doch nicht ganz so locker, wie ich dachte, jedenfalls hat er sehr freundlich meine Hand aus seiner Unterhose gezogen. Der braucht wohl noch ein Bier, hab ich gedacht. Sein Freund sah jetzt übrigens auch gar nicht mehr so übel aus, aber zunächst wurde ich abgelenkt von einem Kerl, der es geschafft hat, zwischen Bar und Fenster, vor dem hinreißenden Sonnenuntergangspanorama, auf Vicki Leandros‘ Ich liebe das Leben Flamenco zu tanzen. Ich bestellte noch ein Bier für mich und einen Orgasmus für Andrew und überlegte, ob ich nicht als Gegenprogramm auf dem Tresen strippen sollte. Aber die Decke war zu niedrig und mein Versuch scheiterte.

Für die, die sich die anderen Gäste noch immer nicht schön getrunken hatten, wurde bei Biene Maya das Licht gedimmt. Wer jetzt nicht zugriff, dem war nicht zu helfen. Schunkeln, Knutschen, Honigrum. Und draußen flatterte die ausgefranste Regenbogenfahne im Abendwind.

Beim Aufwachen fühlte ich mich ziemlich zerstört. Zwar lag ich einigermaßen kultiviert auf dem Hotelbett und nicht unterm Tresen, war aber doch ganz schön fertig. Und der Tag war noch lange nicht vorbei. Im Gegenteil. Es war vor dem Abendessen!

Als ich die Augen aufmachte, sah ich die drei Freunde an meinem Bett sitzen. Sie grinsten reihum. Das bedeutete: Mein Zustand war nicht hoffnungslos, sondern nur bedenklich.

«Und? Was Schönes geträumt?», fragte Lex.

«Keine Ahnung. Woher soll ich wissen, wo die Realität aufhört und der Albtraum anfängt?»

Lex sah einfach überwältigend aus. Er trug nur ein weißes Unterhemd und eine weite Jeans. Das machte ihn richtig natürlich, nahm ihm den Rest von diesem etwas künstlichen Muckibuden-Styling. Sein Körper war jetzt nicht mehr modelliert, sondern wirkte einfach gewachsen. – Können Sie mir folgen? Hasso war übrigens auch schon präpariert für den Abend, Polohemdchen in Zartrosa über Karo-Shorts, und Dolo knöpfte sich grade ein weites, nachtblaues Hemd zu, das seinen grazilen Körper umschmeichelte. Dass Hasso immer aussieht, als käme er grade aus dem Internat, hat etwas entwaffnend Spießiges. Es hat mich schon in den Wahnsinn getrieben, als ich ihn kennenlernte. Entschädigt haben mich seine muskulösen Waden mit den goldenen Härchen drauf. Das fand ich sehr sexy. Und jetzt, wo er die Shorts trug, hätte man fast glauben können, er würde sich daran erinnern.

«Hurtig unter die kalte Brause, Sebastian!», ermahnte er mich und ging mir damit sofort wieder auf die Nerven.

Es würde heute jedenfalls schwer werden, mit den dreien mitzuhalten, diese Erkenntnis bekräftigte ein Blick in den Badezimmerspiegel. Verquollene Augen waren noch das wenigste. Ich war mir noch nie so blass vorgekommen, fast ein wenig moosgrün war mein Gesicht. Nach der Dusche machte ich mich an die Feinarbeit vor dem Spiegel, dabei hörte ich Dolos Stimme aus dem Zimmer.

«Und wie komm ich jetzt ins Yumbo?»

«Ganz einfach.» Hasso breitete offenbar einen Stadtplan auf dem Bett aus. «Du gehst die Avenida Cristobal Colón, das ist die Columbus Avenue, bis zur Avenida Touroperador TUI, die bis zur Avenida Touroperador Neckermann, die immer weiter und am Ende rechts wieder in die Avenida TUI. Gradeaus weiter und dann bist du auch fast schon da. Musst nur aufpassen, dass du am dritten Kreisverkehr nicht aus Versehen in die Avenida Jahn Reisen gerätst.»

«Klingt nach einem romantischen Spaziergang», sagte Lex.

«Ja, zauberhaft!» Ich konnte geradezu hören, wie Dolores das Gesicht verzog. «Ich nehm ein Taxi.»

Als ich aus dem Bad trat, wurde applaudiert. Besser als mit so einem Applaus konnte der Abend gar nicht beginnen. Wir schritten zum Buffet. Da war man kräftig am Futterfassen. Wahrscheinlich schon in der dritten Schicht, denn gelangweilte Senioren beginnen ja um 17:30 Uhr nach der Torte ans Abendessen zu denken. Andrew und sein Freund waren auch da, nickten kurz und wandten sich wieder ihrer Suppe zu. Es hatte sich offenbar ausgestiert. Vielleicht war ich ja etwas zu direkt gewesen. Und klar, mit meinem Strip-Versuch hatte ich bestimmt auch alle Deutschen-Klischees bestätigt. Die sind ja weltweit dafür verschrien, dass sie sich überall nackt ausziehen.

Aber gut. Ich würde diesem Andrew nicht nachweinen.

Jetzt musste erst mal eine Basis geschaffen werden für den weiteren Abend. Buffets lasse ich mir zum Frühstück ja noch gefallen, da ist man sowieso wortkarg, und ein bisschen Bewegung schadet auch nichts, aber am Abend ist das echt nichts für mich. Man sitzt eigentlich nie zusammen am Tisch, weil immer irgendwer grade noch irgendwas holt. Gespräche sind unmöglich. Man steht in Schlangen wie Bettler vor Suppenküchen, und zwar in der Salatschlange, dann in der Fischschlange und irgendwann in der Dessertschlange. Das ist für mich das Gegenteil von Luxus. Irgendjemand hat mal gesagt «Buffets sind die späte Rache des Sozialismus». Ich glaube, es war Peter Ustinov.

Nun gut, das Essen hat wenigstens geschmeckt. Austrinken, Mund abtupfen und los. Wir quetschten uns in ein Taxi, und zehn Minuten später waren wir im Centro Comercial Yumbo, wie das Homo-Paradies offiziell heißt. Über dem Eingang dieses ultimate symbol of straightforward gay pleasure (das hab ich mal in ‘nem britischen Reiseführer gelesen) prangt ein lachendes Krokodil mit ganz langem Schwanz, und wenn man ein paar Meter weiter geradeaus geht, drei oder vier Stufen hoch, einfach zwischen der Boutique für alle Sorten Alkohol zur Linken und der Moschee zur Rechten hindurch, dann schaut man plötzlich über eine Brüstung auf einen großen Platz hinunter, der großzügig betoniert wurde. Von dort aus türmen sich auf vier Etagen Läden und Kneipen herauf bis auf Straßenniveau und noch höher. Na ja, hab ich gedacht, diese Insel, die irgendwann vor vierzehn Millionen Jahren aus dem Meer aufgetaucht ist, wird auch das noch überstehen. Als wir da so über die Brüstung spähten, machten grade die letzten Läden zu und die ersten Kneipen so richtig auf. Es war die Stunde des Wechsels vom harmlosen Shopping-Center zum verruchten Homo-Inferno!

Hasso wusste, wo man anfangen musste. Wir stiegen hinab auf den riesigen Platz und tranken unser erstes Bier im Adonis, das mehr oder weniger so aussah wie die andern Bars auch in dieser Yumbo-Ecke. Kleiner Innenraum, schummrige Beleuchtung, und draußen massenhaft Tische. Ich musste gleich mal aufs Klo und betrachtete beim Pinkeln die Ralf-König-Comics, die überall an den Wänden hingen. Schien fast so, als habe auch der hier schon gepinkelt. Als ich zurückkam, wirbelte gerade ein Akrobat die Betonpiste herunter, vorbei an den versammelten Brüdern und Schwestern. So wie vorhin ich beim Verlassen des Bades bekam auch der Akrobat Applaus, vielleicht ein bisschen mehr, aber der war auch wirklich nett anzusehen und tat darüber hinaus noch was für sein Geld. Er klatschte in die Hände, um die Passanten von der Piste zu verscheuchen und die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Dann ging‘s zurück. Flick flack flick flack, lächeln und die Mütze hinhalten. Als ob der nie was anderes gemacht hätte.

«Der gehört zum Inventar», sagte Hasso. «Als Nächstes kommt der Sonnenbrillenverkäufer und dann der Clown. Passt auf.»

Bevor der Clown auftrat, kamen drei Sonnenbrillenverkäufer und zwei Uhrenverkäufer, alle nachtschwarz. Auf der Hand hatten sie protzige Modelle, auf deren Ziffernblättern Caltier oder Kasio stand. Zeigte man sich auch nur im Geringsten interessiert, wie eine Trine am Nachbartisch, dann griffen die Händler mit der Hand in ihre Hosen, genauer gesagt zwischen Hosenbund und Schamhaaransatz, und zogen noch ein paar teurere Modelle heraus, auf denen nun statt Bolex tatsächlich Rollex stand.

«Sixty Yurows», hieß es vertraulich.

Irgendeiner der zwölf Millionen Touristen, die Jahr für Jahr auf den Kanaren einfielen, musste diesen Kram ja wohl kaufen, sonst würden Leute mit dem Zeugs im Gepäck, die Polizei im Nacken, nicht um die Blocks ziehen. Aber die Nachtschwester vom Nachbartisch konnte sich heute nicht entschließen.

Kaum war der letzte Händler weitergetrottet, hörten wir Gelächter von nebenan. Wir reckten die Hälse und sahen den Clown, der gerade eine Frau nachäffte, die vorbeikam. Er legte ihr einen Arm um die Schulter, und im ersten Moment dachte die Frau offenbar, es sei ihr Mann. Doch der Clown war viel kleiner und knubbliger als ihr Gatte und das kam ihr bald seltsam vor. Sie drehte den Kopf und erschrak heftig, als sie in das geschminkte Gesicht sah. Alle lachten, und weil alle lachten, traute die Frau sich nicht, sich zu ärgern. Als Nächstes ging der Clown auf alle viere, knurrte hinter einem Typen her und zerrte mit der Hand an seinem Hosenbein. Erschrecken und der Lohn fürs Erschrecken: schadenfrohes Gelächter. Ich streckte die Beine aus, guckte mal, was da so gegenüberhockte, und dachte: Ferien, was für eine geile Erfindung.

«Toll, wirklich toll», sagte Dolo, und nach einer Pause: «Guck mal, da drüben steht in Leuchtschrift Capuccino. Das schreibt man eigentlich mit zwei P.»

«Stimmt», sagte Lex.

«Bist du sicher?», fragte ich ihn.

«Klar», sagte Lex.

«Lex kommt wohl von Lexikon», näselte Hasso.

«Och, Hase! Wie kommst du denn da drauf?»

Ich schaute noch mal rüber auf die Leuchtschrift. Keine Ahnung, ehrlich gesagt. War mir einigermaßen egal, wie man Cappuccino richtig schrieb.

– ? – ! – Hatte ich mich verhört, oder hatte Lex Hasso gerade Hase genannt? Ich musste mich wohl verhört haben und hatte auch gar keine Zeit, um weitere Rückschlüsse zu ziehen, denn Lex erzählte nun die herzzerreißende Geschichte, wie er zu seinem Namen gekommen war.

«Meine Eltern haben sich beim Schrippenkaufen in Friedenau kennengelernt, und mein Vater hat meine Mutter ins Kino eingeladen, weil sie ihm erzählt hat, er sehe aus wie Lex Barker. Sie haben sich Wenn du bei mir bist angeguckt, eine Schmonzette mit lonely Schmierbacke Roy Black und eben Lex Barker. Als ich dann drei Jahre später am 12. Mai geboren wurde, war Lex am Tag vorher gestorben. Herzinfarkt, ausgerechnet auf der Lexington Avenue in New York. Da war klar, wie ich heißen musste.»

«Hmm», machte Hasso. «Glaubst du an Seelenwanderung oder so ‘nen Humbug?»

Lex zog eine Augenbraue hoch und fuhr sich mit beiden Händen durch die dunkelblonden Haare. Dann befühlte er seinen Bizeps.

«Klar. Sieht man doch. Nicht nur Seele, auch Körper.»

«Du meinst, die Seele von Lex Barker hat sich deinen Körper ausgesucht?», fragte ich.

«Durchaus möglich», meinte Lex und sah mich ernst an. Dann lachte er und tippte sich an die Stirn. «Quatsch. Der ist zu Staub zerfallen. Den gibt‘s nur noch als Tarzan und Old Shatterhand auf Zelluloid.»

Inzwischen war es elf und wir wechselten um die Ecke ins The Block. Das klang schon etwas kerniger, war aber letztlich das Gleiche in Grün, oder besser gesagt: in Schwarz. Mit dem Unterschied, dass ein Heteropaar Mitte sechzig gewagt hatte, sich an einem der Tische niederzulassen. Das fand Lex eine echte Sympathieerklärung an die Community. Diese Sympathieerklärung kam aber nicht gut an. Im Gegenteil, der Kellner eilte herbei und verscheuchte die beiden.

«Only for gays, sorry», gestikulierte er und das Paar erhob sich schmunzelnd.

«Die nehmen‘s wenigstens mit Humor», meinte Hasso.

Wir lächelten den beiden zu und zuckten mit den Schultern, um unserer Verständnislosigkeit irgendwie Ausdruck zu verleihen.

«Es lebe die Toleranz», sagte Lex und ich nickte. Manchen Homos sollte man einfach nur in die Eier treten, dachte ich. Natürlich hätten wir aufstehen und auch gehen sollen, aber wie das eben so ist, das Gesetz der Trägheit hielt uns auf den Stühlen und wir ließen uns eine Runde kleiner Biere bringen.

«Cuatro cañas, por favor», sagte Hasso. Dolo, vom Schicksal mit einem kubanischen Vater beschenkt, zeigte sich erstaunt über die phänomenalen Spanischkenntnisse seines Mitreisenden. Leider konnte der Kellner kein Spanisch, deshalb versuchte Hasso es noch mal vergeblich auf Deutsch.

«Four small beers, please», stieß er schließlich hervor und die geschulte Servicekraft zog mit einem angedeuteten Kopfnicken ab. Wir tranken, schauten auf Passanten, tranken und zogen dann weiter zum Construction. Hier fühlte ich mich wohl, auch wenn sich die Bierpreise während der hundert Meter Weg auf magische Weise verdoppelt hatten. Egal. Dafür gab es richtige Musik, richtige Pornos, einen markigosteuropäischen Barmann mit Tattoo auf dem Kopf und ‘nen richtigen Darkroom. Der Laden war gut gefüllt mit dem, was man in der Werbung real people nennen würde. Wenig Schönheiten, aber handfeste Gestalten, und allen standen zwei Ziele auf die Stirn geschrieben: gesehen werden und ficken.

Um es gleich vorwegzunehmen: Keiner von uns hatte irgendwelchen Sex im Construction. Lex und Dolo haben gleich abgewinkt, als Hasso eine ruckartige Kopfbewegung Richtung Darkroom machte. Nur ich bin mitgegangen. Drinnen war ein Geschiebe, als würde man für jeden Körperkontakt ‘nen Euro kriegen. So was hatte ich in fünfzehn Jahren Darkroom-Erfahrung noch nicht erlebt. Wo man hier Sex machen sollte, war mir ein Rätsel. Eng war‘s, heiß war‘s und selbst auf dem Klo gab‘s keinen mannfreien Quadratmeter. Als ich wieder rauskam, die Haare verwuschelt, Schweißflecken unter den Armen, saß Hasso längst wieder geschniegelt an der Bar und alle drei lachten mir entgegen.

«War‘s schön? Sieht nach Nahkampf aus», flötete Dolo durch seine vollen Lippen.

«Ich hoffe, das ist nicht ansteckend», tat Hasso besorgt. Ich sah an mir runter, betrachtete meine Hände von beiden Seiten und bekam sofort Juckreiz.

«Ich hab mir bestimmt ‘ne Schwuppenflechte geholt!»

«So was kommt von so was», kommentierte Hasso, und mir war sofort wieder klar, dass ich ihn unter anderem wegen solcher Sprüche verlassen hatte.

Wir mussten weiter, der Yumbo-Zeitplan trieb uns voran. Also schleppten wir uns in den Pavillon gegenüber, der die Wellblechschuppen-Variante zum Construction darstellte. Der Darkroom war hier im Keller und leider hatte man die Lüftung vergessen, was selbst mich in kürzester Zeit wie einen Frosch im Aquarium zum Luftschnappen wieder an die Oberfläche trieb.

«Uff», japste ich und musste das erste Mal in meinem Leben daran denken, was passieren würde, falls in so ´nem Laden mal ein Feuer ausbrechen sollte. Darkrooms im Keller waren mir ja durchaus schon einige begegnet, doch für Bürokratenpanik hatte es bislang in meinen Kopf nie Platz gegeben. Hier aber dachte ich, als ich wieder Luft bekam: Fluchtweg! Ich ließ zur Musik ein wenig die Hüften kreisen, machte dabei kleine Schritte Richtung Ausgang, wo man bereits auf mich wartete, und dachte nur: Fluchtweg. Ein paar Meter weiter war glücklicherweise die Treppe rauf zum Cruise.

«Das ist das Tom‘s von Playa del Inglés», erklärte Hasso, als wir eintraten.

«Dann könnte man es doch Tom‘s Cruise nennen», meinte Dolo und lachte so laut, dass ich ihm eins mit dem Ellbogen verpassen musste. Lex hatte mitgelacht, allerdings wusste ich nicht, ob er den Witz verstanden hatte. Doch nachdem wir uns gesetzt hatten, platzierte er seine Hand auf Dolos Schulter.

«Besser, wir nennen es Santa Cruise. Lieber lege ich mich mit der Kirche an als mit diesem Hollywood-Psycho.»

Sieh an, dachte ich, hinter der Gym-Bunny-Fassade steckt ‘ne Politschwester! Wer hätte das gedacht.

«So Leute gibt‘s nicht nur in Hollywood», hat Dolores gleich angeknüpft. «Robbie Williams hat ebenfalls Schmerzensgeld gekriegt, weil man ihm ‘nen Lover unterstellt hat. Und die Spanier haben selber auch was zu bieten. Den Schnulzensänger Alejandro Sanz. Auch der hat geklagt, er sei nicht homosexuell, und dann abkassiert. Und ich blöde Kuh bin in Buenos Aires noch ins Stadion gegangen, um ihn zu hören. Noch nie hat mich ein Mann so enttäuscht!» Er stieß einen tiefen Seufzer aus, der trotz der hämmernden Beats im Hintergrund durch Mark und Bein ging. «Aber die Strafe des Himmels ist über ihn gekommen! Statt der geilen Fresse, die er noch vor Kurzem hatte, ist er inzwischen zur Hamsterspeckbacke mutiert. Jetzt glaubt sowieso keiner mehr, dass der noch irgendwie sexuell ist!»

«Da hat er mit Robbie Williams und Tom Cruise ja was gemein», meinte Lex.

Er hatte immer noch seine Hand auf Dolos Schulter liegen und drückte sie nun tröstend, fast als wäre Dolo in Tränen ausgebrochen. Und Dolo schmiegte ihre Wange an diese Hand. Ich konnte gar nicht hinsehen bei all dem Gesülze und Gekuschel. Es war eindeutig Zeit für den nächsten Darkroom.

Dass ich mit Hasso so etwas wie eine Beziehung versucht habe, ist schon eine Weile her. Er ist nicht umsonst mein Exexex. Keine Angst, Details unserer Beziehung will ich hier nicht ausbreiten, doch in manchen Momenten muss ich eben daran denken, wie das mit ihm war. Welche Momente das sind, erstaunt mich selber am meisten. Als ich mich jedenfalls in der Tür zum Darkroom noch mal zur Bar umdrehte, hockte er auf seinem Hocker und glotzte in die Glotze, als würde der Teleprediger Barack Obama gerade sein Yes-we-can anstimmen. Er war einfach süß, wie er da am Tresen klebte. Trotz Polohemdchen.

Ich erspare Ihnen nicht nur meine Hasso-Beziehung, sondern auch den bemerkenswerten Darkroom des Cruise – den können Sie ja selber mal angucken gehen –, denn wir mussten schon wieder weiter. Ganz nach oben diesmal. Das ist das Konzept im Yumbo: Man musste sich im Laufe der Nacht über vier Etagen nach oben arbeiten. Ich war stolz, dass ich das gleich am ersten Abend kapiert hatte. Ganz oben gab es noch mal fünf Läden und eine Sauna. Das halt ich nicht aus, dachte ich, als ich feststellen musste, dass es hier erst ganz langsam losging. Hilfe!, ich bin zu alt! Das Publikum war auch tatsächlich deutlich jünger als im Construction. Man stand draußen auf einer Art umlaufendem Balkon, trank und quatschte. Ich schlich mal vorbei an so einer exzessiv aufgetakelten Superfurie, die vor dem Ministry stand und aussah, als käme sie direkt aus einem Almodóvar-Film, und weiter bis ans Ende des Balkons. Im Mantrix, einer Disco, in der sich alle Welt wohlfühlen konnte, weil sie überall auf der Welt sein könnte, war noch kein einziges Lebewesen. Außer mir natürlich und ein paar Fischen in ‘nem Aquarium, die mich anglotzten und ihre Stirnen in Falten legten, als wollten sie sagen: Falsche Zeit, falscher Ort.

«Da geht‘s erst so um vier los», sagte Hasso, als ich ihn draußen wieder traf. Okay, dachte ich. Klar. Um vier. Warum nicht. Ist ja auch ganz normal.

«UND WIE SOLL ICH MORGEN UM ZEHN WIEDER AUF MEINER STRANDLIEGE LIEGEN?!?»

Ich hatte Hasso angeschrien, meine Stimme hatte sich sogar etwas überschlagen, was ich total unmännlich finde, als ob Hasso was dafür konnte, dass das Mantrix erst um vier richtig in Fahrt kam. Es war eine Art Panikattacke meinerseits, ausgelöst durch die sachliche Feststellung meines Exexex-Freundes, dass irgendeine spanische Dorfdisco ... Ich atmete tief durch und sah auf die Uhr. Es war drei Uhr und ich war urlaubsreif.

Um zehn lag ich wieder auf meiner Strandliege. Eine große Flasche Wasser neben mir. Der letzte Abend hatte natürlich nicht um drei geendet.

Nach dem Mantrix, in dem Lex zu Hochform aufgelaufen war, war ich mit Hör- und Sehstörungen an den Taxistand gewankt, Hasso hatte mich ein wenig gestützt. Doch als wir einsteigen wollten, hatte er plötzlich einen Zettel in der Hand, einen Flyer, wie man das auf Deutsch nennt, der uns nahelegte, doch noch ins Cita Center zu fahren zu einer After Hour Party. Ich war willenlos und deshalb drei Minuten später im Keller des Cita Centers, wo ein paar Typen einigermaßen konzeptionslos und sicher konzessionslos eine Bar betrieben. Anarchie in den verborgenen Kellern des Massentourismus sozusagen. Dieser Keller war das Abgefuckteste, was ich an Location jemals gesehen habe. Tote Gänge zu Bars, die vor Jahren dichtgemacht haben mussten, mit zertrümmerten Barhockern, eingetretenen Rollgittern, zerschlagenen Fensterscheiben, aus denen es seltsam roch und in denen zweifellos reger Betrieb herrschte, wenn auch kein menschlicher. Irgendwo stand ein vergessener Billardtisch, ein paar heruntergerissene Leuchtreklamen hingen herum und über allem flackerten Neonröhren. In der Kneipe, die wir dann inmitten dieser Trümmer entdeckten, stand ein Typ hinter der kleinen Bar, der vor lauter Drogen schielte.

«Willkommen in den Favelas von Playa del Inglés», hat Hasso in mein Ohr gemurmelt.

Außer uns hingen auf Müllmöbeln noch ein paar Gestalten ab. Und wäre ich nicht selbst derart breit gewesen, wäre es bestimmt ein lustiges Spiel gewesen, zu erraten, wie sich ihre jeweiligen Drogencocktails zusammensetzten. In einer Ecke hat noch jemand auf einer verpissten Matratze gelegen und gegrunzt. Selbst Hasso, der im Licht immer adrett aus dem Ei gepellte Hasso, der in der Dunkelheit aber umso dreckiger denken und handeln konnte, ist angeekelt gewesen. Ihn hat in diesem Untergrund das Gefühl beschlichen, bei jedem Schritt auf Sperma auszurutschen. Auf dem Sperma der verlorenen Kundschaft, dieser Kleinkriminellen, abgehalfterten Callboys und Junkies.

«Warum stehen Schwule eigentlich auf Ruinen?», hab ich ihn gefragt, bekam aber keine Antwort, weil Hasso gar nicht da war, sondern das Klo suchte. Als er zurückkam, versuchte ich es noch mal.

«Kannst du dir erklären, warum es Schwule besonders scharf finden, sich in Abbruchhäusern ablichten zu lassen?»

«Weiß nicht», hat Hasso gemurmelt, «vielleicht wollen die so tun, als wären sie Bauarbeiter.»

«Nackte Bauarbeiter? Mit Lederhöschen?» Ich muss doch unbedingt mal fragen, wenn ich das nächste Mal in ‘nem Internetforum auf Männer in Trümmern stoße.

Als wir ins Hotel zurückgekommen sind, war Dolo nicht in seinem Bett. Doch bevor ich groß überlegen konnte, wo er wohl geblieben war, stand Hasso schon in der Tür.